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Viertes Kapitel.

Im Kerzenlichte.

Eine zinnerne Ampel wirft ihren Schein zur gewölbten Decke empor, von der er als matter Lichtnebel ringsum in dem geräumigen Gemache herabsinkt. Nur an zwei Stellen werden die weißgetünchten Wände unterbrochen: rechts, wo der Alkoven seine dunkle Grotte wölbt, und gegenüber der Tür, wo ein gotisches Fenster mit seinen schwärzlichen, oben schwach glänzenden Scheiben dem Nachtdunkel eine Pforte öffnet. Man hat den Eindruck, daß dies Finsternis-Ungetüm dort draußen steht und jeden Augenblick hereinbrechen kann, um alles zu überwältigen, was hier drinnen ein kümmerliches Lichtdasein fristet.

In der Ecke links von der Tür ist der untere Teil der Wände mit grob gewebten großmusterigen Teppichen behangen, um einen angenehmen Sitzplatz zu schaffen.

Hier steht ein Tisch, auf den Ottmar etwas ratlos seine Leuchte von sich stellt.

Renata nimmt sie sofort und geht zu einem Gebetpult gerade gegenüber in der Ecke.

Dort öffnet sie die Hornscheibe, um mit dem Flämmchen die beiden Wachskerzen anzubrennen, die in silbernen Leuchtern auf dem Pulte stehen.

Dieses ist ein ehrwürdiges Familienstück. Ottmar erinnert sich dessen sehr wohl aus alten Tagen, als dies Gemach das Zimmer ihres Vaters, eines frommgläubigen Mannes, war.

Er möchte wohl wissen, ob die Tochter es wie er täglich benutzt. Ob ihre Knie gewohnt sind, auf dem gepolsterten Schemel zu knien; ob ihre Stirn sich allabendlich über das große Gebetbuch neigt, oder ob dieses nur zum Schmuck dort auf der Schräge liegt. Es fällt ihm schwer, sich Renata in dieser Stellung zu denken. Ihm ist, als müsse, wenn diese Frau betet, das Gebet anders sein denn alles, was Menschenhände zum Nachbeten auf Pergament geschrieben haben – ihre Andacht könne selbst für das ehrwürdigste angeerbte Gebetpult kaum Gebrauch haben.

»Du wunderst dich gewiß, Renata, daß ich dich so spät aufsuche.«

»Das tu' ich, Ottmar.«

Sie ist mit den Kerzen beschäftigt. Diese weigern sich zu brennen, wie die weißen Dochte bezeugen, ist es das erste Mal, daß sie angezündet werden – vielleicht ein Zeichen, daß die Burgfrau in einem kleinen Familienheiligtume keine Abendandacht zu halten pflegt.

»Als ich meine Turmkammer verließ, ahnte ich allerdings nicht, daß ich jetzt hier sitzen würde. Mein Ziel war lediglich das Zimmer meines Famulus, wo ich ein für meine Arbeit wichtiges Papier suchte – das ich auch fand. Da drinnen glaubte ich aber schon zu hören, daß du hier hin und her gingest, und draußen im Gange sah ich deutlich, daß hier noch Licht brannte; ich konnte es nicht über mich bringen hinaufzugehen, ohne zuvor mit dir zu reden. Es ist zwar der höfischen Sitte entgegen; allein es wäre unverantwortlich, eine so ausnehmend günstige Gelegenheit zu einem ungestörten Gespräch unter vier Augen unbenutzt vorübergehen zu lassen, wenn sie sich so von selber bietet.«

Sie befinden sich in der Tat so abgesondert, als ob sie die einzigen Bewohner der Burg wären.

Links das fünfeckige Zimmer; rechts die Stadtstube, zu der eine Tapetentür von dem Alkoven hineinführt. Über ihnen seine Turmkammer, unter ihnen der Saal. Hinter ihnen der Gang, vor ihnen der Abgrund und die Nacht.

Von Gertrud weiß er, daß sie unten mit der Haushälterin zusammen schläft und dieses Gemach scheut, in dem einst ihr Bruder starb.

»Ja, es würde in der Tat unverantwortlich sein. Denn ich habe dir etwas zu sagen, was du so bald als möglich erfahren mußt, auch wenn es dir deine Nachtruhe raubt.«

»Hättest du mir das nicht heute abend sagen können?«

»Ich fand keine Gelegenheit, mit dir allein zu sprechen. Aber die Hauptsache war wohl die, daß ich selber noch nicht die Sache in so furchtbar klarem Lichte sah wie jetzt, nach diesem Besuche bei meinem abwesenden Famulus.«

»Was konnte dir denn der Abwesende sagen?«

»Ich weiß, daß dieser junge Mann keinen guten Eindruck auf dich gemacht hat. Solche Eindrücke trügen dich selten. Ich habe – ohne danach zu suchen – unter seinen Papieren den Beweis gefunden, daß er Verrat geübt hat und ihn weiter üben wird mit Hilfe der schlimmsten Leute unten im Städtchen. Nun, dem Beginnen wollen wir ein Ende machen. Es wäre morgen meine erste Arbeit gewesen, die Rädelsführer gefesselt nach Regensburg führen zu lassen. Jetzt aber, da ich dich getroffen habe, können wir das sofort tun, und zwar ganz ohne Aufsehen, in der Stille und im Dunkel der Nacht, wir schicken ein paar von meinen Leuten hinunter, und du gibst ihnen einige handfeste Knechte mit, vielleicht vom Hausmeier geführt – ihm ist wohl zu trauen?«

»Konrad! Der ginge durchs Feuer für mich.«

»Gut. Vertrau darauf: die glimmende Glut des Verrates soll noch vor Morgengrauen ausgetreten sein.«

›Verrat‹ – ist ein böses Wort und ein drohendes, wenn schon Gefahr in der Luft schwebt.

Die beiden Leuchter klirren aneinander.

Und doch ist die Angst, die Renata schüttelt, ihr beinahe willkommen. Man muß den Teufel durch Beelzebub austreiben. Diese neue Unruhe verjagt diejenige, die sie seit dem Eintreten Ottmars ergriffen hat. Hier handelt es sich um eine äußere Gefahr, Einer solchen gegenüber hat sie Mut genug.

Eine brennende Kerze in jeder Hand kommt sie auf ihn zu. Da verwirrt ein seltsam süßes Schaudern ihn und raubt ihm die Worte.

Renata trägt das Haar offen. Goldig umschwebt der Lichterglanz die schwere braune Haarflut, die das Oval des Gesichtes, die Säule des Halses, die herrliche Rundung der Schultern umrahmt.

Nur ein einziges Mal hat Ottmar Renata früher so gesehen. An einem Abend jener Karnevalswochen im Festsaale zu Regensburg.

Wie schön hatte sie ausgesehen, als sie ihm damals entgegentrat, gerade so wie jetzt – denn er sieht keinen Unterschied. Die ganze Stimmung von damals, all die bitterste Minnesüßigkeit seiner Jugend, deren Bitterkeit, durch die lange Reihe der Jahre durchsiebt, nunmehr bloß ein Gewürz ist, um den Trunk noch berauschender zu machen – die sinkt auf ihn herab, wie auf den wink eines Zauberstabes ...

Sie sieht, wie er mit dem Blick eines Geistersehers ihr entgegenstarrt. Aber ist es ein Gespenst oder eine himmlische Erscheinung, was er schaut denn eine solche Doppelheit mischt sich in seinem Blicke. Sie weiß es nicht – nur daß seine Benommenheit sich unmittelbar ihr selber mitteilt. Trotzdem hält sie die wiedergefundene Fassung fest. Schritt für Schritt, wie sie die Kerzen fest hält, von denen das wachs auf ihre Hände herabtropft. Aber die Hände dürfen und wollen nicht zucken, bevor sie nicht die Leuchter ruhig auf den Tisch von sich gestellt haben.

Dann nimmt sie auf einem Stuhle Platz und fordert durch ein freundliches Nicken Ottmar auf, sich ihr gegenüber zu setzen.

»Und was hast du denn erlebt? Denn ich höre aus deinen Worten, daß es noch mehr ist, als diese Entdeckung in der Kammer deines Famulus. Du warst in Langenstein, bergab und bergauf in dieser Sonnenglut, war das auch notwendig, Ottmar?«

»Es stellte sich als notwendig genug heraus, wiewohl ich das nur wenig ahnte, als ich mich auf den Weg begab, wenn eine gütige Vorsehung mir je einen Schritt eingegeben hat, dann geschah es gewißlich an diesem Nachmittag, als mir die vier Wände meiner Turmkammer zu eng wurden.«

Auch Ottmar hat seine Ruhe wiedergefunden. Ausführlich und anschaulich berichtet er alles, wovon er Zeuge war, als er auf der Bank des Brückenpfeilers saß.

Für seine Zuhörerin nur zu anschaulich.

Langsam, allmählich sinkt sie gegen die senkrechte Rücklehne. Sie fühlt, wie eine schleichende Ohnmacht ihre Glieder erstarrt und erschlafft.

Die Worte, die sie gestern im Innersten vernahm, als Ottmar sie nach dem Saalgespräche verließ: ›Er weist den weg fort vom Martyrium‹, kehren mit furchtbarem Widerhall zurück.

›Das Martyrium‹ – ein feierliches Wort mit den Klangen einer Kampffanfare für den Geist, der bereit ist; aber es durchschüttelt das schwache Fleisch, wenn es selber sich in Fleisch kleidet, wie hier in die Gestalt Kaspars, des Schmiedes.

Renata kennt den Schmied sehr gut. Er hat manche kleine Arbeit hier in der Burg verrichtet. Ihr ganzer Körper zittert bei dem Gedanken, eine wehrlose Beute dieser muskelstarken, schwärzlichen, haarigen Arme zu sein, um unter dem Geschrei des Haufens auf die flammensprühenden Reisigbündel geworfen zu werden ...

Ottmar hält mit seinem Bericht inne und blickt Renata an. Augenblicklich wird er die Veränderung gewahr, die mit ihr vorgeht.

Bestürzt springt er auf und ergreift ihre Hand: –

»Renata! fürchte dich nicht! Ich hin bei dir, ich werde dich beschützen. Laß dir das nicht nahe gehen! Gefahr war da, gewiß, aber sie ist es nicht mehr – vorläufig wenigstens nicht, und später werden wir vorzubeugen wissen. Du wirst selber sehen, daß keine Gefahr mehr da ist, wenn ich dir erzähle, was dann weiter geschah.«

»Ja, sage mir alles, Ottmar!«

Alles? Auch die häßliche Beschuldigung des Giftmordes? Soll er nicht wenigstens letzt, wo sie so schwach ist, sie damit verschonen? – Nein, auch die! Gerade die wird ihr ja am deutlichsten die Notwendigkeit zeigen. Langenstein zu verlassen. Auch nimmt die Antwort, die er den Bürgern gab, den schärfsten Stachel weg.

Dieser Teil seines Berichtes wirkt nicht so auf sie, wie er es erwartet hat. Kein Ausbruch der Überraschung und des Entsetzens. Die Lippen bleiben fest zusammengepreßt. Der Blick ist starr nach innen gewandt, das Gesicht aschfahl geworden. Dieser Ausdruck beunruhigt ihn mehr als der heftigste Ausbruch.

Diese Lippen sehen aus, als könnten sie nie mehr reden. Jetzt aber sprechen sie: –

»Du hast mir nun alles gesagt, und jetzt habe ich dir etwas zu sagen. Es war natürlich genug, daß du bei dieser falschen Beschuldigung gerade das als die wirkliche Grundlage erblicktest, was du in der Tat gesehen hast, und die Sache auf deine Weise den Langensteinern erklärtest. Aber ganz so ging es doch nicht zu, als der arme Hugo starb.«

»Nicht? So hast du ihm die schmerzstillenden Tropfen nicht gegeben?«

Renata schüttelt den Kopf mit einem unendlich traurigen Lächeln.

»Entsinnst du dich noch der Inschrift, die auf einem Pergamentstreifen am Halse der Flasche befestigt ist?«

Ottmar nickt: –

»Des Leibes Leiden weicht zehn braunen Tropfen, Doch fünfzig heben ab des Lebens Last.«

Fest und prüfend schaut ihn Renata an: –

»Ottmar! Es waren die fünfzig, die ich Hugo gab.«

»Renata!«

Er starrt sie mit leerem, verständnislosem Blick an.

Dann versteht er. Und sieht sie nicht mehr.

Die schönen ernsten Züge, die goldigbraunen Augen, die so ängstlich-erwartungsvoll die seinen suchen, die Haarfülle, die Kerzen, weiße Wände, schwarze Scheiben – alles schwimmt vor seinen Blicken durcheinander.

Das Gefühl einer nahenden Ohnmacht, das vorher Renaten befiel, sinkt jetzt auf ihn herab.

Sie sieht es an seinem aschfahlen Erblassen.

Beide schweigen eine Weile.

Ein losgerissener Zweig des wilden Weines schlägt leise an das Fenster. Unten in den Obstbäumen schreit eine Eule.

Renata neigt sich vor: –

»Ottmar, die ganze Zeit habe ich mich vor diesem Augenblicke gefürchtet. Ich wußte ja, daß ich es dir einmal sagen mußte. Aber ich hoffte – ach Ottmar, ich war so zuversichtlich, daß du es verstehen würdest. Und jetzt sehe ich, daß du mich verdammst.«

»Ich dich verdammen! O Renata! Nein, nein –«

»O doch. Ich seh' es ja. Du entsetzest dich vor mir.«

»Nicht vor dir, Liebste. Entsetzen ergreift mich – deinetwegen. Fühle ich doch, wie diese Sache mir aus den Händen gleitet. Und ich war so sicher, dich beschützen zu können! Noch mehr: – wie wenig glaubte ich, daß du hierbei meines Schutzes bedürftest, wegen der Ketzerbeschuldigung, ja – das war etwas anderes, damit kann heutzutage die Unschuld selbst durch böse Zungen in Gefahr kommen. Aber keinen Augenblick fiel es mir ein, daß hier eine wirkliche Gefahr lauere. Und jetzt steht es so, daß der Hauch eines Menschen dir tödlicher sein kann als der der Seuche ... Wenn eine Anklage erhoben wird – ja, was nützt es, daß man dich nicht überführen kann? Ich kenne dich ja – du wirst es dem Richter beim Verhör sagen, wie du es mir sagtest.«

Renata lächelt: –

»Nicht wie dir – o nein, nicht wie dir! Aber sagen würde ich es ihm ... vielleicht... wer weiß solches im voraus?«

Ottmar ringt die Hände: –

»Renata, Renata! weißt du denn, daß es dein Leben gilt?«

»Glaubst du, ich hätte mir das nicht klar gemacht, als ich ihm, dessen Lebenslicht am Erlöschen war, die Tropfen zuzahlte – drüben am Fenster – beim sterbenden Tageslichte? Ich zählte einen nach dem andern, bis fünfzig voll waren. ›Vielleicht mische ich meinen eigenen Todestrank, nur daß mein Tod nicht so sanft wird‹ – dieser Gedanke machte meine Hand fest. Ohne ihn hätte ich es vielleicht nicht fertig gebracht ... Und doch: ich hatte ja keine andere Wahl, was hätte ich sonst tun können? Ach, wenn du gesehen hättest, wie schwer er litt! Es war keine Hoffnung, das wußten wir alle; aber es konnte noch Tage, vielleicht gar Wochen dauern, denn er hatte eine starke Natur. Und er bat so flehentlich. Das war alles, was ich für ihn tun konnte, und es schien so wenig. Nur, daß so viel Selbstüberwindung dabei war, das schien es zu etwas zu machen ... und besonders das Bewußtsein, daß ich mein eigenes Leben gefährdete – deshalb war ich dankbar für die Gefahr ... Ja, das war alles, was ich für ihn tun konnte, und ich war es ihm schuldig.«

Sie hat sich erhoben und legt ihre Hand auf Ottmars Schulter.

»Schuldig – um unser beider willen, Ottmar!«

»Um unsertwillen, Renata?«

Er blickt bewegt und zugleich verwundert zu ihr empor.

»Ja, Ottmar. Wir beide, du und ich, wir haben Hugo ums Leben gebracht.«

»Renata! was ist das für eine Wahnvorstellung!«

»Kein Wahn, die einfache Wahrheit ... Freilich, du ahnst nicht, daß er an der Wunde starb, die er in eurem Zweikampf erhielt.«

»Großer Gott! Aber das kann nicht sein. Hab' ich doch immer gehört, daß die Wunde verheilt war und keine Folgen hinterließ.«

»Das glaubten wir ebenfalls, wenn er auch bisweilen Schmerzen in der Seite verspürte. Als er aber mit dem Pferde stürzte, brach die Wunde auf, und er starb endlich nach langem Hinsiechen an innerer Verblutung.

Ottmar wendet seinen Blick weg und seufzt tief: –

»Gott ist mein Zeuge, daß es nicht meine Absicht war, ihn so schwer zu verwunden. Auch wäre das nimmer geschehen, wenn nicht sein eigener unbändiger Zorn ihn unversehens in mein Schwert gestürzt hätte.«

»Ich weiß das wohl, was aber war der Grund dieses unbändigen Zornes? Was anderes als der Gedanke an die Schmach, die du mir vor aller Augen angetan hattest? Du siehst jetzt: hättest du in den Regensburger Karnevalstagen nicht dein verzweifeltes Spiel getrieben – (und dieser Versuch, mich zu meinem eigenen Besten zu betrügen, wie innig hängt der nicht mit deinem ganzen Wesen zusammen, mit deinen besten wie mit deinen bedenklichsten Eigenschaften?) – ja hättest du, sage ich, dies Schalk- und Mummenspiel nicht getrieben, sondern gehandelt wie jeder andere an deiner Stelle: dann wäre es nie zu jenem Zweikampfe zwischen euch gekommen und am allerwenigsten zu einem mit solchem Ausgange. Denn keine blinde Wut hätte ihn in dein Schwert getrieben.«

Ottmars Kopf sinkt auf seine Brust herab. Ein gedämpftes Stöhnen drängt sich hervor.

Die Hand, die noch auf seiner Schulter ruht, drückt diese sanft und fest.

»Aber du sollst es nicht alleine tragen. Glaubst du, daß ich nicht auch die andere Seite der Sache sehe – meine Seite? Wäre ich nicht jenes törichte, leichtsinnige Kind gewesen, auf Lust und Freude in Wald und Feld versessen und begierig nach Kurzweil in Sälen und auf den Märkten, wo die Leute sich trafen zu Fest und Scherz; – wäre ich solch ein Weib gewesen, wie du es verdientest; hätte ich dich verstanden, deine Gedanken und Träume mit dir geteilt, so daß ich dein ganzes Vertrauen gewann und du mit deinen Ängsten und Anfechtungen zu mir kommen konntest, auf daß ich dir beistände im Kampfe gegen den Fluch, von dem du dich getroffen wähntest: – ja wäre ich solch ein Weib gewesen, dann wäre all das, was sich in Regensburg ereignete, nie geschehen, und Hugo würde noch heute leben.«

»Und wir – wir Beide –! ... Ach ja, auch daran mag etwas Wahres sein.«

»Mir war es ganz Wahrheit und der für mich wichtigste Teil der Wahrheit. Und mußte ich nicht mit einem solchen Bewußtsein fühlen, daß es meine Pflicht sei, für uns Beide Buße zu tun, so gut ich konnte? Als er mich bei meiner Liebe zu ihm beschwor, ihn nicht länger zwecklos leiden zu lassen: wie hätte da Furcht vor Gefahr, die mir selber dabei drohte und woran er nicht dachte – wie hätte mich die zurückhalten können? Es war scheinbar nur so wenig, was ich zu geben hatte, und doch wurde es so viel! Denn anstatt in einem Wirbel von Qualen und in der Finsternis der Bewußtlosigkeit von hinnen zu scheiden, geschah es, sobald er den Becher Weines ausgetrunken, in den ich die Tropfen geträufelt hatte, daß die Schmerzen, wie er sagte, gleichsam weggestrichen wurden, und Ruhe und Klarheit zogen bei ihm ein. Er konnte dann mit uns sprechen, bis er nach und nach müde wurde und so sanft entschlief, daß niemand wußte, wann er seinen letzten Atemzug tat. Denn also ist die Wirkung jenes wundersamen Elixiers Arabiens.«

»Bin ich schuld an seinem Leid, dann muß ich ihn auch um einen solchen Tod beneiden.«

»Meinst du das wirklich, Ottmar? »Wie sollt' ich das nicht meinen? O, wie gern und froh verzichtete ich auf alles törichte Träumen von Ruhm und Macht, könnte ich mich jetzt, in dieser Stunde, auf solche Weise von dem Zeitlichen lösen, den Tod wie eine köstliche Gabe von deiner Hand empfahend! Nur daß ich dich nicht verlassen möchte, dich nicht mit brechendem Auge in dieser bitteren Welt zurückbleiben sehen.«

»Ach, könnten wir uns zusammen so von ihr lösen!«

Ihr Blick senkt sich in den seinigen; dringt jedoch weiter, nicht räumlich, sondern als ob er in einer unsicheren Zukunft eine solche lockende Möglichkeit suche.

»Ein zu schöner Traum, Geliebte! Viel zu schön, um bei ihm verweilen zu dürfen. Wir müssen der Wirklichkeit mit ihren Gefahren ins Auge schauen ... Aber, nicht wahr, hiervon weiß niemand etwas?«

»Gertrud weiß es.«

»Gertrud?!«

»Sie war selber anwesend.«

Gertrud und – Vincentius! ... welche Drohung in diesem Namenpaar! Nichts Wichtigeres jetzt, als ihn von Langenstein und von ihr fern zu halten!

»Aber sonst niemand?«

»Noch Einer. Ein Mann.«

»Der auch anwesend war?«

»Er kam erst einige Tage später. Es war ein Freund Hugos, der von seiner Krankheit gehört hatte.«

»Um Gottes willen, Renata, wer ist denn dieser Mann?«

»Zwischen uns sollten keine Geheimnisse sein, aber dies eine kann ich dir nicht sagen.«

»Ein Jugendfreund Hugos?«

»Ja, aber viel älter. Nicht gerade ein alter Mann, aber doch wohl etwa zwanzig Jahre älter.«

Daß der Fremde kein ›alter Mann‹ ist, fühlt Ottmar als eine Enttäuschung. Die zwanzig Jahre gereichen ihm wieder etwas zum Troste. In ihm ist Eifersucht wach. Ja, trotzdem er bis ins Innerste erschüttert ist durch das, was sie ihm anvertraut hat; obwohl die Furcht vor einer Entdeckung, die durch einen solchen unbekannten Mitwisser droht, ihm den Atem raubt, brennt die Eifersucht lichterloh in seiner Brust und versucht flackernden Scheines diese geheimnisvolle Gestalt zu beleuchten, was ist das für ein Manne und welches Zeichens? welches Standes? Ritter oder Bürger? Mönch, Priester oder Ketzer? Nichts zu erraten! Nur das Eine weiß er: der Unbekannte steht etwa in der Mitte der fünfziger Jahre ... und dies noch: vor ihm hat Renata ihr furchtbares Geheimnis nicht bewahren können!

Oder ist es Gertrud, die es verraten hat? Wenn dem so ist, wie kann man jetzt auf ihre Verschwiegenheit bauen?

»Sage mir nur: wie kam dieser Freund in den Besitz eines so gefährlichen Geheimnisses?«

»Ich hab' es ihm selber gesagt. Ich mußte es ihm sagen. Er war mir Trost und Stütze in jenen schweren Tagen.«

Also, Gertrud hat jedenfalls damals nichts verraten. Das ist so weit tröstlich.

Aber, großer Gott, welchen Einfluß muß dieser Freund auf Renata ausgeübt haben! Sie ›mußte‹ ihm das sagen, das heißt, ihr Leben in seine Hand legen! Es ist Ottmar schon ein unleidlicher Gedanke, irgend etwas vom Geiste, von der Seele dieser Frau mit jemand zu teilen – zumal mit einem völlig Unbekannten ... vielleicht einer mächtigen Persönlichkeit, jedenfalls einer starken, denn darauf deuten ihre Worte.

Vor allem aber, welche Macht hat dieser Unbekannte über sie gewonnen! wenn sie sich in ihm geirrt hätte! Wenn er diese Macht mißbrauchte und sie in den Dienst einer unreinen Leidenschaft stellte – welche furchtbaren Möglichkeiten eröffneten sich hier! –

»Und später hast du ihn nicht gesehen?«

»Einmal. Vor drei Jahren besuchte er uns.«

Dies ist wie ein Stich in die Brust.

Dieser Freund, ein Freund des Verstorbenen, hat Renata besucht. Zu welchem Zwecke? Nun, zu welchem Zwecke reist ein Mann nach einer abseits gelegenen Burg, wo eine schöne geistreiche Frau einsam als Witwe haust? Daran, wenigstens, ist nichts Rätselhaftes! Er ist ihr in ihrer schwersten Zeit ›Trost und Stütze‹ gewesen. Er hat auf den Grund ihrer Seele geschaut, als diese sich in dem stürmischsten Aufruhr befand – so wie nachher in der abgegorenen Durchsichtigkeit der Trauerstille – Zustände, in denen eine dreißigjährige Frau am allergefährlichsten für einen Mann von hoher und edler Gesinnung ist. Nur um einen solchen kann es sich ja handeln, wie sollte er sie nicht lieben? Und ist der Besuch selber nicht ein Beweis, daß er es tut?

Und er hat sie völlig in seiner Macht. O, welche Versuchung liegt darin – wenn nicht alles in ihm edel ist! Wo aber findet sich der Mann, bei dem alles edel ist? Alles und zu jeder Zeit?

Renata hat sich ihm wieder schräg gegenüber gesetzt.

»Laß dich aber das nicht unnötig bekümmern. In meiner eigenen Brust ist das Geheimnis nicht sicherer aufbewahrt als bei diesem frommen und weisen Mann.«

»Hoffen wir's, hoffen wir's!« murmelt Ottmar, halb abwesend.

Seine Gedanken streifen auf Irrwegen umher, von deren Richtung sie keine Ahnung hat.

Dieser » fromme und weise Mann« liebt Renata. Sicherlich. Renata aber liebt mich. Ja, tut sie das auch wirklich? Wie, wenn ihr jetziges Gefühl für mich nichts weiter als die Erinnerung an ihre Jugendliebe wäre, ein Nachklang der ersten taufrischen Träume des Herzens? Wie, wenn sie dies Schattenbild für lebendige Wirklichkeit hielte, während vielleicht schon tief im Seelengrunde ein Gefühl für diesen Fremden sproßt? Und wenn dann gar Zeit und günstige Gelegenheit einem solchen Keim Nahrung gäben, könnte er sich dann nicht zu einer jener alles überwältigenden Leidenschaften entfalten, denen Frauen ihres Alters oft zur Beute fallen? Und er, der Unbekannte? wahrscheinlich ist er ein unverheirateter Mann. Er hört von der Krankheit seines Jugendfreundes und reist offenbar aus weiter Ferne her – denn er kommt zu spät: die Handlung eines Unverheirateten. Während ich selber – ich, der Bischof – sie nicht ehelichen kann! Welche ungeheure Begünstigung seines Werbens! ... Aber dies ist eine neue Hand, die nach dem Mittelmünster zeigt. Dort ist sie seinem Einfluß entzogen, abgesondert – noch mehr: dort ist sie in meiner Hut. Und schon in ihrer Wahl wird ihr wahres Gefühl zum Ausdruck kommen. Wenn sie mich wirklich liebt, warum sollte sie sich dann weigern, Äbtissin zu werden? noch immer sich weigern, nach dieser Begebenheit, die ihr so gebieterisch den rechten Weg zeigt?

Ottmar schiebt den Stuhl zurück und steht auf.

»Das aber siehst du wohl jetzt ein, Renata, daß hier auf Langenstein nicht mehr deines Bleibens ist.«

Renata nickt, ohne aufzublicken.

Das ist ein Kopfnicken, welches besagt, daß sie seine Worte hört, sie versteht und nicht blind ist für die Gründe, die dafür sprechen. Es ist keineswegs ein Kopfnicken, womit man einen Entschluß für das Leben faßt. Einen solchen aber erfleht sein Herz zu seiner Beruhigung.

Diese Frau muß sich ihm bedingungslos auf Leben und Tod verschreiben. Und seine Worte dringen nur an ihr Ohr, nicht ins Herz! Wie sie dort vor ihm sitzt, kennt er nicht einmal ihre Gedanken, geschweige denn ihre Gefühle!

Ungeduldig, ja unwillig dreht er sich um und fängt an zwischen dem Alkoven und dem Tische hin und her zu gehen.

»Seit wir gestern von dieser Sache sprachen,« beginnt er, indem er wieder vor ihr stehen bleibt, »ist etwas geschehen, was meinen Gründen mehr hinzufügt, als Worte es tun können, und wenn ich auch in allen den Stunden gesprochen hätte und beredsamer wäre als Demosthenes. Ich habe Macht dich zu beschützen, aber freilich nicht, wenn du hier sitzest und ich in Regensburg. Allein, ich will mich nicht nur an deine Furcht wenden, obwohl ich sah – fast muß ich sagen, ich seh's mit Freude – daß du für sie nicht unempfänglich bist, wie mutig auch dein Herz sei. Aber denke nur daran, wie mein Zustand in Regensburg sein muß, wenn ich keinen Augenblick weiß, ob du noch lebst, oder schon vom fanatischen Pöbel ermordet wurdest! ... Liebst du mich, dann kannst du mich nicht zu einem solchen Leben verdammen.«

Renatas Blick will dem seinigen nicht begegnen. Ein Zucken der Lippen zeigt ihm aber, daß er die rechte Saite anschlug.

»Ich könnte jetzt in Regensburg Zuflucht suchen. Dort habe ich ja noch Verwandte, die mich willig aufnehmen werden.«

»Gut. Wir wollen wenigstens das festsetzen. In den ersten Tagen droht keine Gefahr, zumal nach den kräftigen Maßregeln, die wir sofort ergreifen werden. Wir können in voller Ruhe unsere Abreise vorbereiten, ohne Aufsehen zu erregen. Die Seuche ist Erklärung genug sowohl hier wie in Regensburg. Daß du dort bei deinen Verwandten wohnst, ist ebenso natürlich. Ein solcher Aufenthalt kann allerdings ein passender erster Schritt sein – aber auch nicht mehr.«

»Wenn ich bei ihnen bleibe, bis die Seuche ausgewütet hat, wird sich dieser Wahnsinn bei den Langensteiner Bürgern gelegt haben, und damit ist die Gefahr verschwunden wie ein böser Fiebertraum aus dem Blute.«

»Um bei der ersten Gelegenheit wieder auszubrechen und ihr Opfer zu heischen, bevor noch jemand von ihrem Wiederausbruch etwas weiß. Oder haben wir etwa hier oben das Geringste geahnt von dem, was am Fuße des Felsens vorging? – Nein, Renata, ich sage dir: nur im Mittelmünster ist bleibende Sicherheit für dein Leben und für meine Ruhe.«

»Und für unsere Ehre, Ottmar?«

Ihr Blick trifft ihn plötzlich. Er wendet sich ab. Nur einen Augenblick. Dann sieht er sie fest an: –

»Darauf gab ich dir gestern Antwort. Die Gefahr, die in uns selber wohnt –«

»– ›In mir selber, das ist in meinem Fleische‹, sagt der Apostel.«

»Gewiß, das ist eben das Selbst, das dir und mir mit seiner Gefahr droht. Und jetzt sage ich mit doppeltem Recht: besser ihr unterliegen, als ihren Schatten zu scheuen und dadurch tödlicheren und wirklicheren Gefahren zum Opfer zu fallen, wagen wir es doch, unsere Ehre in unsere eigene Hand zu nehmen!«

»Du könntest darin Recht haben. Die Ehre ist nur eine geringe Sache. Aber das Heil unserer Seele ist es nicht.«

»Sicherlich nicht. Doch hier ist von keiner Todsünde die Rede. Für einen Fehltritt der menschlichen Natur hat die Kirche Buße und Vergebung. Mich wird die Schuld treffen, ich werde sie tragen, sie für uns beide büßen. Sünde mag da sein, aber keine Schande. Bleibt unserer Liebe auch das Sakrament versagt, – durch meine Torheit, durch die Jugendirrung meines Trübsinnes, die ein unauslöschliches Stigma auf meine Stirn drückte, diese Tonsur, die jetzt mein Fluch ist, ein wahrer Fluch, kein eingebildeter wie jener, den ich damals auf mir fühlte – wie ein Kainsmal brennt sie mich, hab' ich doch meinen Bruder ermordet: den Menschen Abel in mir mit allen seinen natürlichen Rechten auf Freude und Glück in dieser lichten Gotteswelt – seinen Rechten und deinen – eurem gemeinsamen Erbe ... O Renata, Geliebte – vergib mir! zeige, daß du mir vergibst – zeige mir's dadurch, daß du mich nicht verläßt, mich nimmst wie ich bin – gebrandmarkt wie ich bin! Ja, das Heiligsprechen durch den Ehebund ist unserer Liebe verwehrt, aber sie trägt ihr Sakrament in sich selber. Sie ist so hochgebürtig – –«

»So hochgebürtig, daß sie nur zur höchsten Wiedergeburt emporführen sollte – Hast du mich doch selber an die Bedeutung meines Namens gemahnt. Nicht uns noch tiefer in die Materie und Sünde herunterziehen! Darum schilt mir nicht die Tonsur als einen Fluch – mach sie vielmehr selber zu einem Segen für uns beide. Ein Kainsmal? O nein, ein Christusmal – ein Zeichen, daß du ihm gehörst, der aus Liebe zu uns die Himmelsglorie mit einer Dornenkrone umtauschte! O Ottmar! unsere Liebe hat lange und schwer genug gelitten, laß ihr Leiden nicht vergebens sein! zeigen wir, daß sie geläutert aus ihm hervorgehe! Möge sie uns vereinigen in dem Geistesdienste des guten Gottes, nicht uns in der Lust des Fleisches verbinden, um das Werk des Weltschöpfers zu üben!«

Renata ist aufgesprungen. Sie hat seine rechte Hand, die er noch ausgestreckt hält, ergriffen und preßt sie zwischen den ihren. Aber ihrem innigbegeisterten Blicke begegnet nur ein verständnisloses, beunruhigendes Starren aus seinen tiefliegenden hellgrauen Augen.

Renatas letzte Worte haben ihn erschüttert, wie der Blitz den nächtigen Wanderer, dem er die rings um ihn gähnenden Abgründe enthüllt.

»– ›Das Werk des Weltschöpfers üben‹ – Renata! Was ist das für eine Rede? Bekennen wir nicht einen Gott und Schöpfer, und hat er nicht die Ehe zu einem Sakrament gemacht, nur nicht für uns – o wir Unseligen! nicht für uns! ...«

Kopfschüttelnd läßt Renata seine Hand sinken. Sein Blick, seine Worte, sein Ton bringen ihr mit lähmendem Gefühl zum Bewußtsein, wie weit sie sich in ihrer Selbstvergessenheit hat hinreißen lassen, welcher Abstand sie von dem Kirchenfürsten trennt.

Mit einer müden Bewegung tritt sie an das Gebetpult und stützt den Arm darauf.

»Wie oft hab' ich hier als Kind gekniet, Ottmar! Da betete auch ich zum Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich dachte mir ihn über den Wolken des Tages und den Sternen der Nacht thronend und meinte, wie man mich gelehrt, daß dies alles das Werk seiner Hände sei. Jetzt suche ich ihn nimmer dort. Der Vater, zu dem ich bete, der Geist und Liebe ist – wie sollte er dort oben weilen? Und der Weltschöpfer? O, die ›Werke seiner Hände‹ habe ich seitdem kennen gelernt! Hier, in diesem Gemach lernte ich sie kennen, seine beiden Meisterwerke: die Sünde und der Sünde Sold! Der Körper, mit dem mein eigener eins war in sündhafter Lust, ihn habe ich unter meiner Pflege hinsiechen und dahinschwinden sehen, stündlich und unaufhaltsam. Ich selber mußte ihm zuletzt den Todestrunk bereiten und reichen, damit sein Weh enden und er Ruhe im Grabe finden konnte. Seit jener Stunde bin ich kein Kind mehr, keines der Kinder, von denen der Apostel schreibt, daß er ihnen keine kräftige geistige Nahrung geben könne, sondern nur Milch, denn sie seien noch fleischlich.«

»Und mich? hältst du mich für ein solches Kind?«

»Ich halte dich für einen Kinderlehrer, gewohnt die Sprache zu reden, die Kinder verstehen, so daß sie deine eigene geworben ist. Aber unter deinem Bischofsmantel schlägt doch das Herz des Mannes, und du hast den Geisteswein der alten Weisheit Griechenlands und Roms getrunken. Du mußt es verstehen, ja, du mußt in deinem Innersten wissen, was du fühlst, daß der Gott, zu dem du dich in deiner Andacht erhebst – nichts gemeinsam hat mit dem Demiurgen, dem Baumeister, dem Weltschöpfer der Juden, der die Materie in Raum und Zeit ausgebreitet hat zu einer Welt des Mordens und des Gebärens und ihr seine Ordnung eingepflanzt und sein Gesetz über sie gesetzt und seine Propheten erweckt, um die Geister sich dienstbar zu machen und in Knechtschaft zu halten, auf daß sie nimmer zum guten Vater aufschauen mögen, von dem sie stammen, dessen Kindschaft sie in sich tragen.«

»Renata –!«

»Ich verwerfe ihn, euren Schöpfer, ich schwöre ihn ab, den Abgott, den Gegengott! Ja, die Lust des Fleisches hat er gesegnet, hat sein Sakramentsiegel darauf gesetzt, damit sein Reich sich auf immer fortpflanze und das wahre Reich Gottes nimmer kommen möge – –.«

»Schweig, Unselige! dies ist purer Manichäismus! Es ist eine schrecklichere Ketzerei als irgend etwas, dessen dich jemand geziehen hat!«

»Ich glaub' es gern ... Und jetzt Ottmar – jetzt weißt du, warum ich nicht Äbtissin im Mittelmünster werden kann.«

Ottmar hat sich auf den Stuhl am Tische geworfen und verbirgt mit dumpfem, verzweifelndem Stöhnen das Gesicht in seinen Händen.

»Furchtbar! Gibt es denn keinen Ausweg?« »Es gibt keinen ... für dich nicht! ... Du bist nicht der Mann, um mich zu retten. Verlaß dieses Ketzernest, überlaß mich meinem Schicksal – Kaspar dem Schmied –!«

Bei diesem Namen schüttelt ein unwiderstehlicher Schauder ihren Körper vom Scheitel bis zur Sohle.

Sie sinkt auf den Schemel nieder und umfaßt mit beiden Händen fest das Pult.


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