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Drittes Kapitel

Selbstgespräche auf der Brücke und in der ›Stadtstube‹

Leichtfüßig und unternehmungslustig eilt Vincentius den steinigen, wurzeldurchflochtenen Fußpfad hinab, der die Windungen des Weges abkürzt.

In seinem Kopfe wimmelt's und summt's wie in einem Bienenkorbe, wenn das Schwärmen angeht.

›Es sollte mich wundern, wenn der Schimmel beim Stolpern mir nicht einen besseren Dienst leistete, als je ein Freund tun konnte. Hätte es sich nicht ereignet, dann wäre ich spornstreichs über die Brücke geritten, ohne den Wirt im goldenen Stierkopf kennen zu lernen und ohne Veranlassung zu haben, ihn jetzt wieder zu besuchen. Er gefiel mir sofort, und was die edle Burgfrau gestern sagte, zeigt mir, daß ich in ihm tatsächlich eine wertvolle Bekanntschaft gemacht habe. Gerade von solchen Leuten bekommt man was zu wissen, insbesondere über die Herrschaft, die sie weggejagt hat. Hat sie im Keller ein Faß, das vor allen andern dicht und wohl verpicht sein muß, dann wird es gewiß bei dem Spund heraussickern.

›Sicher gibt es hier Verschiedenes, worüber es gilt, klar zu werden. Ei, habe ich gestern Abend die Ohren gespitzt, wie der Bischof kaum zur Tür herein ist, als er als alter Hausfreund angesprochen wird und selber so spricht. Die edle Rittersfrau will ihn im Gemach ihres Vaters behausen und meine Wenigkeit in der ›fünfeckigen Kammer‹ und Seine Hochwürden zieht es vor, in seiner alten Turmkammer zu übernachten, um vor dem Einschlafen gemütvolle Mondscheinerinnerungen mit dem Kalvarienberg auszutauschen. Und ich ahnte gar nicht, daß er je schon seinen Fuß über diese Schwelle gesetzt hatte! Er ist also in seinen jungen Tagen hier zu Hause gewesen – offenbar bevor Herr Hugo hier einzog, und diesen hat er auch ›sehr gut‹ gekannt. Und die Witwe ist jetzt eine hübsche Frau, wenn auch nicht nach meinem Geschmack; als junges Mädchen war sie gewiß reizend. Ich möchte wohl wissen, was die beiden einander sagten in dem langen Gespräch in der Laube, das freilich ›höchstens als ein Exordium‹ zu betrachten ist! Er ließ mich nur deshalb so willig laufen, um mich los zu sein und freie Hand zu haben, wieder allein mit ihr zu sprechen; und die Besorgung im Elisabethinerinnenhause gab er mir nur, damit meine Abwesenheit umso länger dauere.

›Nun, glücklicherweise bin ich ja auf dem Wege – au! verflucht holperiger Weg, muß ich sagen, man muß auf seine Gedanken achten, daß sie dem Fuße nicht zu weit vorauseilen – auf dem Wege nach meinem Quell, der ein Bierfaß ist. Was übrigens die letzten feinen Rätsel angeht, so vertrau' ich mehr darauf, meinen Durst dort oben an meiner kleinen frischen Burgquelle löschen zu können.

›Ja wahrlich, wenn der Wirt ein Finger der Vorsehung ist – ein fetter, schmieriger Finger –, dann ist Fräulein Gertrud eine ganze Handreichung, und zwar eine, die, richtig benutzt, Einen ein gutes Stück in die Höhe bringen kann. Ich wäre ein Narr, wenn ich nicht auch diese Seite in Betracht zöge. Sollte es gelingen, die Gestrenge dort oben böser Ketzerei zu überführen, so muß sie in einem Kloster für den Rest ihres Lebens Buße tun. wir wollen sie nicht auf dem Haidplatz in Regensburg verbrennen lassen; das wird wohl der Bischof um alter Bekanntschaft willen zu verhindern wissen, und es wäre auch schade; denn alsdann würde die schöne Burg der Kirche zufallen. Muß sie aber ins Kloster gehen, dann ist das nette Mädchen, das seine Augen auf mich warf, offenbar die Erbin ... So, nun ist man glücklich unten angekommen, ohne sich den Fuß zu verstauchen.‹

Mit Wohlbehagen fühlt er die Bretter der Brücke unter seinen Sohlen federn. Dort vorn blinzelt ihm das Gasthofschild schon seinen Gruß entgegen.

Mitten auf der Brücke bleibt er jedoch stehen und blickt nach der Burg hinauf, die seine dreisten Träume schon in Besitz genommen haben.

Das Wasser, das still und glasblank unter ihm hinfließt, wirbelt und braust dort vorne, wo ein Teil des Burgfelsens gleich einem Strebepfeiler in den Fluß hineintritt, um oben seine fast senkreckte Linie mit einem erkerartigen Ausbau der Burgkemenate fortzusetzen. Dort oben unterbricht ein Fenster die graue Einförmigkeit von Fels und Mauer.

›Jenes Fenster könnte ganz wohl der Stube angehören, in der ich gestern empfangen wurde. Sie muß ja nach Westen blicken; ich sehe noch, wie dunkel die Burgfrau gegen den Abendhimmel stand. Und das Brausen der Stromschnellen drang herauf. Ja, gewiß ist es das Fenster.

›Es steht jetzt jemand dort oben. Vielleicht Fräulein Gertrud – vielleicht sieht sie mir nach und hat meinen Weg mit ihren schönen schwarzen Augen verfolgt. O ja, sie ist mir gewogen, und ich ihr auch.

›Wenn es nicht die Burgfrau ist mit ihrem bösen Blick. Den hat sie gewiß, und sie ist wahrscheinlich eine Hexe. Das dachte ich mir sofort, als die Kleine damit herausplatzte, ihre Schwägerin fürchte sich nicht vor der Seuche. Dann glaub' ich's wohl. Der Teufel schützt die Seinigen. Gut, daß ich mich sofort ungesehen bekreuzigen konnte – von wegen des Blickes ... Am Ende ist es aber nur der Tölpel von einem Hausmeier. Der aber, na, wenn er nicht den bösen Blick hat, so schielt er doch wie eine Dogge, die Einem an die Kehle springen will.‹

Ihn schaudert.

Der Gedanke, daß jemand dort oben steht und hinunterblickt, verursacht ihm Schwindel. Er kann sich der Vorstellung nicht erwehren, daß die Person dort oben schwindlig wird und zum Fenster hinausstürzt. Ja, seine Einbildungskraft muß dem fallenden Körper folgen: dort halbwegs hinunter würde er entlang des steinernen Kammes scheuern, dessen violetter Schatten sich so scharf auf die Felswand zeichnet ... dort, weiter unten, würde die verkrüppelte Zwergkiefer mit ihren Nadelbüscheln über ihn hinwegfegen ... und jetzt – jetzt würde er ins Wasser hinunterplatschen!

Es ist tief dort in der Krümmung, wo der Strom jahrhundertelang eine Höhle in den schwarzgrauen Stein hineingewühlt hat.

Mit einem Gefühl der Übelkeit wendet sich Vincentius ab und eilt über die steinerne Hälfte der Brücke.

›Ich will ein Eisengitter vor das Fenster setzen lassen, sollte ich je dort oben gebieten‹, murmelt er, während er durch den Kastanienschatten nach dem niedrigen Fachwerkbau hinüberkreuzt, in dessen Torwölbung der Wirt mit tiefem Bückling den schon längst erspähten Gast begrüßt.

 

Die erste Vermutung des eitlen jungen Mannes hat ins Schwarze getroffen. Es ist Gertrud, die dort oben steht.

Sie hat vernommen, daß der Famulus gleich nach dem Mittagsmahle nach der Stadt hinuntergehen soll, um im goldenen Stierkopf zu erfahren, wie es seinem Pferde gehe, worauf er sich in das Elisabethinerinnenhaus zu begeben habe, um dort der Vorsteherin eine Anweisung des Bischofs zu überbringen.

Sofort leuchtete ihr die Notwendigkeit ein, in die ›Stadtstube‹ hinaufzusteigen, so genannt, weil sie der einzige Raum ist, von wo aus man die Stadt sehen kann. Sie muß durchaus nach der gestrigen so plötzlich unterbrochenen Arbeit dort oben aufräumen. Es dürfe noch Verschiedenes von leinenen und wollenen Sachen umherliegen.

Wie sie nun hinaufkam, fand sie die Unordnung geringer, als sie erwartet hatte. Hingegen stand das Fenster noch offen, ein böses Versäumnis, wenn nun in der Nacht ein Gewitter gekommen wäre, was bei dieser Schwüle leicht möglich ist!

In solcher Erwägung blieb sie am offenen Fenster stehen, wobei ihr Blick zufällig an dem Punkte haftete, wo der Fußsteig zum erstenmal zwischen Gebüsch und Felsstücken sichtbar wird.

Dort erscheint alsbald eine wohlbekannte, schmächtige, schwarze Gestalt. Freilich nur, um sehr schnell wieder zu verschwinden, Es gibt aber noch viele Stellen, an denen der Wanderer wieder zum Vorschein kommen muß. Mit dem bißchen Arbeit kann sie warten. So bleibt sie noch immer am Fenster stehen.

›Dort geht Einer, der mir gut ist. O, er würde für mich durchs Feuer gehen, wie dort durchs grüne Gebüsch. Das sehe ich in seinem Blick, ich höre es aus seiner lieblichen Stimme, wenn er auch von etwas ganz anderem spricht, wie könnte er auch davon sprechen? Zwar gehört er nicht zum Klerus. Gott sei Dank! Er hat gewiß noch nicht das Zölibatsgelübde abgelegt und hat es wohl auch nicht im Sinne. Er ist aber doch halb im Dienste der Kirche und etwas scheu, wie's sich geziemt. Als ich ihm wie von ungefähr im Gange begegnete, als er unten gewesen war, um den Leuten des Bischofs Anweisungen zu geben, und zurück auf seine Kammer wollte – (er sieht aus, als ob er viel zu viel in seinen vier Wänden säße und schriebe) – weiß Gott, er wußte kaum, ob er mich anreden durfte ... Hätte ich ihn nicht ein wenig aufgemuntert, er wäre mit einem flüchtigen Gruße weitergelaufen, obwohl er eigentlich gern bleiben wollte ... Es war nicht richtig von mir, ihm die deutschen Episteln zu zeigen, noch dazu das Buch, das mir der Meister selber geschenkt. Aber das wird er ja unmöglich erraten, wenn er auch die Inschrift auf dem Titelblatte sah, die ich in meinem Eifer gänzlich vergessen hatte. Ich hatte recht, und mittelst des Buches konnte ich es ihm beweisen. Es wäre doch zu viel von mir verlangt, es nicht zu tun. Aber wie gut, daß Renata nichts weiß, denn vielleicht ist es wirklich tadelnswert. Und doch – was sollte es schaden können? Er wird gewiß nichts weitersagen, was mir irgendwie bedrohlich ist. Im Gegenteil. Ich bin überzeugt, daß der Himmel ihn zu unserer Rettung geschickt hat. Das war mein erster Gedanke, wie ich ihn sah. Und da wußte ich noch gar nicht, daß Bischof Ottmar käme ...

›Dort ist er wieder unten auf der Blöße. Wie klein! Aber ich glaube sicher, ich würde ihn erkennen, selbst wenn ich nicht wüßte, daß er unterwegs ist. Wie sonderbar: gestern um diese Zeit, ja noch viel später, ahnte ich nicht, daß es einen Vincentius gibt! Das ist ein ganz unfaßbarer Gedanke! Vincentius – ein herrlicher Name! Ich habe noch keinen gekannt, der so hieß ... Er ist schon wieder verschwunden. Aber bald wird er auf der Brücke zum Vorschein kommen.

›Den Bischof haß' ich. Ich weiß wohl, es ist nicht christlich, einen Menschen zu hassen, aber ich habe guten Grund dazu. Er ist der Mörder meines Bruders. Der Sturz mit dem Pferde hätte seinen Tod nicht herbeigeführt, wäre nicht jene alte Wunde aufgebrochen. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Er besaß die Liebe Renatas, die mein Bruder so nötig hatte und so wohl verdiente. Ich war damals in der Fastnachtszeit zu Regensburg erst elf Jahre alt, als sie mit Ottmar verlobt war, aber ich sah wohl, wie der arme Hugo vor Gram hinsiechte. Jedesmal wenn wir sie nur von fern erblickten, war es, als hätte er Gift in den Festwein bekommen. Mir gegenüber dachte er ja nicht daran, sein Gesicht in Festfalten zu legen; meinte er doch, so eine kleine Gans könne nichts verstehen. Aber ich verstand alles sehr gut und weinte jede Nacht und bat Gott, er möge ihn von dieser Seuche seines Herzens heilen. Auch besinne ich mich, als ob es gestern sei, wie wir Ottmar zum erstenmal mit jener Adelgunde von Feuchtwangen zusammensahen, die alle Leute so wunderschön fanden, daß ich mich ob ihres schlechten Geschmacks schämte, – sie lief ja auch später mit einem Fahrenden davon und blieb verschollen; aber einige wollen wissen, sie sei in Avignon am babelschen Papsthof eine große Dame geworden ... Und dann sein ganzes schimpfliches Betragen! Ich seh' ihn noch vor mir mit seinem frechen Lachen, und ich merkte sehr wohl, daß von der Stunde an Hugo Mut faßte und dachte, seine Zeit würde kommen. Die kam denn auch; er gewann Renatas Hand und was noch von ihrem Herzen zu gewinnen war. Sie wurde ihm eine gute treue Gattin, aber ihre Liebe konnte sie ihm nicht geben, die gehörte ihrem untreuen Geliebten und gehört ihm noch; und er kennt seine Macht über sie, das sah ich heute an seinem Blick und seinen Mienen.

›Was will er aber hier? Er ist doch nicht hergekommen, weil ihn seine Rundreise durch den Kirchsprengel in diese Gegend führt und es ihm bequem war, hier zu übernachten! Auch trifft er, Gott sei Dank, keine Anstalten, um in den nächsten lagen weiter zu reisen. Ja, ich sage ›Gott sei Dank‹; denn wenn er nicht da wäre, würde mir recht unheimlich zumute sein. Denn mir ist, als ob ein Gewitter in der Luft läge, wie draußen – wenn es auch heute weniger schwül ist als gestern, Wie sollte mir auch sonst zumute sein nach dem, was mir Konrad gestern von dem scheußlichen Wirt Stephan sagte, der mit verleumderischen Reden die Langensteiner gegen uns aufwiegelt! Ich dachte ja auch sofort daran, daß der Bischof wegen dieser Sache ein guter Schutz ist. Er wird dafür sorgen, daß Renaten kein Leid geschieht. Sicherlich könnte nichts Günstigeres geschehen, als daß sein Famulus mir in Liebe zugetan ist. Vincentius ist der vertraute des Bischofs, er kennt alle seine Gedanken und ist gewiß der Gescheitere von beiden, Vincentius! der Name klingt wahrlich wie der eines Schutzheiligen!

›Dort steht er nun mitten auf der Brücke. Ich glaube, er blickt hier herauf! Ob er wohl sehen kann, daß jemand am Fenster steht? Und ob ihm sein Herz sagt, daß ich es bin und nicht etwa Renata oder jemand vom Gesinde? Wenn es anginge, würde ich mein Tuch nehmen und hinunter winken, aber das geht nimmer an ... Jetzt geht er weiter ... wie sein Spiegelbild durch das Wasser gleitet! ein langer schwarzer Strich, er reicht fast ganz herüber. ... Jetzt vermischt er sich mit dem gelben Streifen von Stephans Schild, der mir immer so in die Augen sticht – wie sich Gelb und Schwarz vermischen, das Gelb wird doppelt so gelb!...‹

Nichts mehr zu sehen.

Gertrud schließt das Fenster und wendet sich dem Schranke zu.

Bald aber bleibt sie mit einem Stoß lavendelduftender Leinwand in den Händen stehen.

›Ein paar Stunden werden dahingehen, bevor er zurückkommt. Ich kann hier bald fertig sein, dann nehme ich ein Körbchen und gehe hinunter, um Erdbeeren für das Nachtmahl des Bischofs zu pflücken. Es gibt eine gute Erdbeerstelle mitten zwischen Straße und Fußpfad; von dort aus kann ich beide im Auge behalten. Ich will ein weißes Kleid anziehen, dieses ist so grau wie ein Felsblock. Nicht aus Putzsucht, aber das Weiße leuchtet so weit durch das Laub. Es müßte dann wie mit einem Wunder zugehen, wenn Vincentius nicht hinkäme und mir bei der Arbeit behilflich wäre. Es ist wirklich von größter Wichtigkeit für uns alle, daß ich diese so glücklich angeknüpfte Verbindung aufrechterhalte. Vincentius ist der Schlüssel zur Geheimkammer des Bischofs.‹


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