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Das Ende eines braven Mannes.

»Ich möchte nicht im Tal verderben,
Den letzten Blick beengt von Zwang.
Auf einem Berge möcht' ich sterben,
Bei gold'nem Sonnenuntergang.«

Maximilian.

 

Maximilian und seine Generale wurden nach dem letzten versäumten und dann natürlich ruchbar gewordenen Fluchtversuch allerdings viel strenger bewacht als vorher, ohne daß sich jedoch Escobedo selber Härten gegen den Kaiser erlaubt hätte. Im Gegenteil trat er immer vermittelnd ein, wo ihn untere Offiziere roh behandeln wollten. Er hatte sogar schon früher die Erlaubnis gegeben, daß der Kaiser ein eigenes und bequemes Haus bewohnen solle, was aber durch die Proteste eines rohen Burschen, eines General Gonzales, dem damals die Bewachung anvertraut worden, hintertrieben wurde, und einigermaßen hatte sich auch Escobedo dem Willen seiner Offiziere zu fügen, wenn er nicht jede Verantwortung später allein tragen wollte.

Es war übrigens augenscheinlich, daß wenigstens alle besser gesinnten Mexikaner durch das liebenswürdige und edle, wie standhafte Benehmen des Kaisers nach und nach, mehr und mehr für ihn eingenommen wurden, und mancher von ihnen würde vielleicht nicht ungern seine Flucht gesehen haben. Das rohe Volk behielt aber trotzdem die Oberhand, und Lerdo de Tejada hatte ja einmal seinen Tod beschlossen. Es sollte ein Exempel Europa gegenüber statuiert werden, daß kein fremder Fürst es je wieder wage, die Hand nach der mexikanischen Kaiserkrone auszustrecken.

Das Kriegsgericht über den von allen Seiten fast verratenen Monarchen war in vollem Gang, und damit auch sein Tod beschlossen, denn das nichtsnutzigste Gesindel saß über ihn zu Gericht, und eine Appellation von diesem gab es nicht mehr. Der Kaiser hatte auch schon mit dem Leben abgeschlossen. »Das einzige, um was ich sie bitten werde,« sagte er zu seinem Arzte, dem Doktor Basch – »ist, daß sie mein Leben allein nehmen, mein Blut das einzige sein lassen, was vergossen wird – sie können sich damit genügen lassen.«

Indessen besuchte ihn in diesen Tagen die Prinzessin Salm noch verschiedene Male und verkehrte außerdem häufige in der Stadt mit verschiedenen feindlichen Obersten, besonders mit Oberst Villanueva, der englisch sprach und den sie ja auch schon früher für sich gewonnen. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Kaiser unter jeder Bedingung zu retten, und mit einer fabelhaften Ausdauer verfolgte sie diesen Plan – freilich nur mit der schon früher ausgesprochenen Idee, daß man sich nicht mit geringeren Personen dabei einlassen dürfe, sondern sich an höhere Offiziere wenden müsse, wobei Gold dann der Hebel sein sollte, der sie gefügig machte.

So viel Geld hatte aber der Kaiser natürlich nicht bar bei sich, und konnte es auch jetzt nicht, wo sich das Ganze um Tage handelte, so rasch herbeischaffen – Baron Lago – der wahre Strohmann eines Gesandten, war ebenfalls nicht imstande, hier zu helfen, und der Kaiser stellte endlich zwei Wechsel, jeden von 100 000 Pesos, aus, die auf das kaiserliche Haus und seine Familie lauteten und von Baron Lago, als österreichischem Gesandten, ebenfalls unterschrieben wurden.

Der letztgenannte Herr schien aber über seine Unterschrift sehr in Angst gewesen zu sein, denn als ihm Doktor Basch die Wechsel noch einmal brachte, um auch die Unterschrift der übrigen Gesandten zu bekommen, lief er in heller Verzweiflung in seinem Zimmer auf und ab. »Sie werden uns alle hängen,« rief er dabei, »sie werden uns alle hängen, ohne dem Kaiser etwas nützen zu können,« und mit einer Schere schnitt er seinen Namen wieder ab.

Als man es später dem Kaiser erzählte und ihm die Worte wiederholte, lachte dieser verächtlich und sagte: »Und welch ein Unglück wäre das gewesen? Die Welt hätte dadurch wahrlich keinen Verlust erlitten.«

Die Prinzessin nun – in der festen Überzeugung, mit Geld alles auszurichten, forderte Riva Palacio – einen der wenigen ehrenwerten mexikanischen Obersten, direkt auf, ihr bei der Flucht des Kaisers behilflich zu sein, und bot ihm dafür einen Wechsel von 100 000 Dollars. Villanueva hatte sich schon um den nämlichen Preis bereit gefunden. War es nun, daß der Versuch, ihn zu bestechen, zu schroff an Palacio herantrat, oder ihm auch zu direkt gestellt worden war, da die Prinzessin nur wenige Worte Spanisch sprach, aber – er lehnte es nicht allein nur ab, sondern brachte sogar den Fluchtversuch zur Anzeige bei Escobedo, und das schnitt dem Kaiser dann die letzte Hoffnung ab.

Prinzessin Salm bekam augenblicklich Befehl, Queretaro zu verlassen, und das Schicksal Maximilians war entschieden.

Die Komödie im Theater Iturbide in Queretaro, wo das Kriegsgericht auf der Bühne saß, spielte sich ab. Der Kaiser und die Generale Miramon und Mejia wurden zum Tode verurteilt, das Urteil mußte Escobedo bestätigen, und am 16. sollte die Exekution stattfinden.

Indessen hatte das Gerücht von dem Tode der Kaiserin mehr Verbreitung gefunden, seine wenigen Getreuen fürchteten, daß es dem Kaiser von anderer Seite einmal plötzlich und unerwartet zu Ohren kommen könnte, und beschlossen endlich, es ihm mitzuteilen. Er nahm es – selber schon auf seinen Tod gefaßt, ruhiger hin, als man erwarten konnte.

»Ein Band weniger, das mich an diese Erde fesselt,« sagte er leise, als es ihm Mejia mitgeteilt hatte, und blieb dann still und in sich gekehrt.

Am Morgen des 16., während der Kaiser beschäftigt war, Abschiedsbriefe zu schreiben, kam gegen elf Uhr vormittags Oberst Miguel Palacio, mit ihm General Refugio Gonzales – ihnen folgte eine Truppe Soldaten, die sich schweigend auf dem Vorplatz aufstellten.

Bei offener Tür las der neue Fiscal Gonzales dem Kaiser jetzt das Urteil vor, der es mit ruhig lächelnder Miene anhörte; wie aber nur der Fiscal geendet, sagte er zu Doktor Basch, auf die Uhr zeigend: »Auf drei Uhr ist die Stunde angesetzt – Sie haben noch mehr als drei Stunden Zeit und können ruhig alles vollenden.«

Der Fiscal wendete sich zum Gehen, als Maximilian plötzlich fragte:

»Zu wem gehen Sie jetzt?«

»Zu General Mejia.«

»Dürfte ich Sie bitten, einen Augenblick zu warten – General Mejia hat Besuch – nur einen Augenblick,« – und er schritt selber hinüber zu seinem treuen Indianer. Vor kaum einer halben Stunde hatte er nämlich gesehen, daß Mejias Frau ihn besuchte, und selbst in diesem Augenblicke dachte er daran, wie furchtbar es für die Gattin sein müsse, dem Vorlesen des Urteils zuzuhören. Er trat hinüber in Mejias Zelle, und den Arm der Frau in den seinen ziehend, sagte er:

»Kommen Sie, Sennora – Sie müssen jetzt Ihren Gatten für kurze Zeit allein lassen – kehren Sie nachher zurück« – und damit führte er sie dem Ausgang zu.

Miramon, der wohl ahnte, was das alles bedeute, war Zeuge dieser kleinen Zwischenszene gewesen – er trat, als der Kaiser zurückkehrte, auf ihn zu und sagte:

»Majestät – das ist gar nicht Mejias Frau.«

»Und was tut das?« sagte der Kaiser weich – »es ist eine Frau,« – und damit schritt er in seine eigene Zelle zurück.

Gegen Mittag kam der Beichtvater Pater Soria. – »Ich beichte nicht jedem, der Geistlicher ist,« sagte der Kaiser zu Doktor Basch, »und habe den Padre rufen lassen, um zu erfahren, ob wir uns über gewisse Vorfragen einigen können.«

Um drei Uhr war der zum Tode verurteilte Monarch völlig bereit zum Sterben Die Einzelheiten dieser Stunden hat Doktor Basch einfach und ergreifend in seinen »Erinnerungen« geschildert., als der Oberst ein Telegramm brachte, das die Exekution drei Tage hinausschob.

»Das ist hart,« sagte der Kaiser, »denn ich hatte schon ganz mit der Welt abgeschlossen,« – und es war hart, denn es verlängerte nur die Todesqualen der doch dem Tode Verfallenen. – Und die Tage vergingen, schwache Hoffnung lebte noch in den Herzen der treuen Menschen, die ihn umstanden – aber vergebens. Der dritte Tag kam – Baron Magnus, der preußische Gesandte, der sich mit jeder Aufopferung angestrengt hatte, den Kaiser zu retten, während der österreichische Gesandte gar nichts tat, hatte umsonst diesen Aufschub von Juarez verlangt.

Um halb sieben Uhr morgens kam der Oberst Palacio mit der Wachtmannschaft, um den Kaiser abzuholen, der ernst, aber vollkommen gefaßt, von den Seinen Abschied nahm.

Die Verurteilten wurden, während die ganze Besatzung von Queretaro aufmarschiert stand, auf Wagen zu dem Cerro de las Campanas – demselben, wo er sich seinen Feinden ergeben hatte, hinausgeführt.

Als er aus dem dumpfigen Kloster auf die freie Straße trat, sah sich der Kaiser ringsum, atmete mit voller Brust die frische Morgenluft ein und sagte: »Welch ein herrlicher Tag! – Einen solchen habe ich mir immer zum Sterben gewünscht.«

Und wie öde lag die Stadt – die Straßen waren menschenleer – die Läden geschlossen – keine Neugierigen auf den Balkonen, noch auf den Dächern der Häuser – allgemeine Trauer herrschte in Queretaro, denn man hatte dort den unglücklichen Kaiser von Herzen liebgewonnen und beklagte tief sein gewaltsames Ende.

Auf dem Hügel de las Campanas, der die freundliche Stadt mit ihren zahlreichen Türmen und Kuppeln voll überschaute, und fast unmittelbar neben der Stelle, wohin sich die Verratenen damals zurückgezogen, schritt der Kaiser in das nach dem Cerro hin offene Karree, umarmte noch einmal seine beiden Todesgefährten und stellte sich dann fest und ruhig den Soldaten gegenüber. An ihm vorbei gingen Miramon und Mejia. Miramon blieb wenige Schritte von dem Kaiser stehen, und Mejia, anstatt an seiner anderen Seite zu bleiben, ging noch über Miramon hinaus. Es wird gewöhnlich erzählt, der Kaiser habe Miramon den Ehrenplatz in der Mitte zugewiesen, aber das ist unrichtig. Wie sie sich aufstellen, ohne wohl in diesem Augenblick an den Rang zu denken, blieben sie stehen.

Noch einmal trat der Kaiser vor und gab jedem der Soldaten, die bestimmt waren, auf ihn zu schießen, die Hand und eins der neugeprägten Zwanzig-Dollar-Goldstücke mit seinem Bild darauf. »Schießt gut – schießt gerade hierher!« sagte er, auf sein Herz deutend, und ging dann zu seinem Platz zurück.

Dann sprach er mit klarer Stimme die Worte: »Mexikaner – möge dieses Blut das letzte sein, das für das Wohl des Vaterlandes vergossen wird!«

Miramon wies in wenigen Worten den Vorwurf des Verrates zurück – Mejia rief nur: » Viva Mejico – viva el Emperador!«

Die Büchsen knallten – die drei Opfer stürzten gut getroffen zu Boden; » Hombre!« flüsterte der Kaiser, als er zusammenbrach, dann war alles vorbei. –

Und warum länger bei dem furchtbaren Bild verweilen. Ein edles Herz hatte da ausgeschlagen. Maximilian, der Erzherzog von Österreich, war nach Mexiko in dem festen Glauben gekommen, von dem Volk wirklich berufen zu sein, und mit dem Willen, nur dem Land Heil und Segen zu bringen – und was fand er? Verrat und Treubruch, wohin er den Fuß setzte, eine schwankende Masse, die ihn heut' vielleicht mit lautem Jubel als Kaiser begrüßte, um morgen schon, statt der Blumen und Kränze, Steine auf ihn zu schleudern – ein verkommenes, durch endlose Revolutionen demoralisiertes und gesunkenes und doch in blindem Eigendünkel befangenes Volk, das durch Phrasen einen Moment für jede Sache hingerissen werden konnte, und augenblicklich nüchtern wurde, sobald man das geringste Opfer von ihm selbst verlangte.

Dahinein trat, an der Hand Napoleons, Maximilian, ein Prinz, ein Seemann, ein Poet und außerdem ein braver, ehrlicher Mann, der sich an sein Wort gebunden hielt, und nie glaubte er genug getan und seine Pflicht erfüllt zu haben. So treu und rein sein eigenes Herz war, so konnte und wollte er auch nicht an die Schlechtigkeit anderer Menschen glauben, und selbst zuweilen gewarnt, klammerte er sich noch immer an die Möglichkeit an, daß es seine Umgebung doch gut und ehrlich mit ihm meine, bis sie fast alle – alle – mit nur sehr wenig Ausnahmen auf sein sinkendes Haupt den Fuß setzten, um darüber hin die eigene Sicherheit zu suchen.

Von allen wurde er verraten – am schmählichsten von Louis Napoleon selber und seinem würdigen Marschall Bazaine, von Marquez, von Lopez, den er mit Wohltaten überhäuft, von seinen eigenen Ministern und Räten, ja von seiner eigenen Dienerschaft, die nur ihre Koffer füllte und dann zurück nach Hause floh, um ihren Herrn und Wohltäter zu verunglimpfen.

Die, für die er das wenigste imstande war zu tun, hielten am treuesten bei ihm aus, und zu spät sah er ein, daß er weit besser deren Rat gefolgt wäre, als auf die zu hören, die sich ihm aufdrängten und sich seine Freunde nannten.

Zu spät! Wie oft schon ist das verhängnisvolle Wort einem Fürsten verderblich geworden – zu spät! – wie oft wird es ihnen noch zum Verderben werden.

Und doch kann die Geschichte nie einen Vorwurf auf das Haupt des mexikanischen Kaisers Maximilian häufen. Er fiel – ja – aber wie ein Mann, wie ein Held, wie ein Fürst. Seine Feinde opferten ihn – aber er hinterließ keinen Feind, und selbst die rohen Mexikaner standen erschüttert an seiner Leiche.

» Era una alma grande!« (es war eine große Seele) sagte der Oberst Palacio, als er von der Hinrichtung zurückkehrte, und mehr Tränen sind ihm in Mexiko, auf fremder Erde, nachgeweint worden wie vielleicht irgendeinem anderen Fürsten der Welt, denn erst nach seinem Tode sahen die Mexikaner ein, was er ihnen gewesen – was sie an ihm verloren.

Die Bewohner von Queretaro waren außer sich. Sie hatten die lange und schwere Belagerung ertragen, sie waren gezwungen gewesen, für das Heer zu sorgen, und dabei Hunger und Elend mit ihm zu teilen, aber ein förmlicher Enthusiasmus herrschte in der Stadt für den gemordeten Kaiser.

Die Frauen strömten hinaus auf die Richtstätte, netzten Tücher mit dem vergossenen kostbaren Blut, sammelten Steine und Erde von der Stelle, auf der er gefallen, und deckten den Platz mit Blumen.

Ein kleiner Erdhügel wurde dort aufgeworfen und ein rohes, schwarz angemaltes Holzkreuz darauf errichtet – aber schon in den ersten Tagen war das Kreuz in Splitter geschnitzt und entführt, als teures Angedenken.

Man errichtete ein anderes und wieder ein anderes – das Volk wurde nicht müde. Die Damen gingen in Trauer – das Volk umjammerte die Stätte, bis endlich die Behörden der Liberalen, denen es unter diesen Ovationen für den Gerichteten unheimlich zu werden anfing, und der Gouverneur von Queretaro den Befehl gab, den ganzen Platz der Erde gleichzumachen.

Die Adobie-Mauern, vor denen die Opfer gestanden, wurden abgerissen, die kleinen Erdhügel zerstört, die dort wachsenden Kaktuspflanzen abgeschlagen, und selbst das genügte noch nicht, denn aus der Stadt selber ließ man Schutt hinauffahren und die ganze Stätte dicht damit bedecken, so daß die Stelle verschwand und niemand mehr wußte, wo er die Blumen hinlegen sollte, die fast allnächtlich noch den Opferplatz schmückten. –

In den Straßen standen die Frauen und jammerten und wehklagten, als der Zug der Soldaten von der Richtstätte zurückkehrte.

Ein junges Weib lehnte an der Ecke, den Kopf mit dem Rebozo verhüllt, und jammerte laut – es war Mercedes. Ein Halb-Indianer, ein Soldat und roher Bursche, trat zornig auf sie zu.

»Um wen weinst du, Dirne?«

»Um meinen Kaiser!« rief die Jammernde, sich jäh und zornig emporrichtend – »bist du einer seiner Mörder?«

»Warte, muchacha, das sollst du mir büßen!« rief der Bube und riß den Revolver aus dem Gürtel. Blitzschnell aber zuckte ein Messer in des Weibes Hand, und den Arm treffend, daß die Waffe zu Boden fiel, floh sie die Straße entlang. –

Juarez selber kam einige Tage später auf seinem Weg nach Mexiko durch Queretaro – aber es war ihm unheimlich in dem Ort. Diese Öde, die Trauer um ihn her tat ihm weh. – Kein Jubelruf begrüßte ihn, kein freundliches Wort; wo er sich sehen ließ, trafen ihn nur scheue, vorwurfsvolle Blicke, und schon mit Tagesgrauen am nächsten Morgen setzte er seine Reise nach der Hauptstadt fort.


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