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Der Verrat.

Hatte die Garnison wie die Bewohner der Hauptstadt Mexiko mit dringender Not und einiger Ungewißheit zu kämpfen, so war beides nicht minder in dem eng eingeschlossenen Queretaro der Fall. In Mexiko erwartete man stündlich die Ankunft des Kaisers – hier dagegen die des General Marquez, und wie die Regierung dort falsche aber ungünstige Nachrichten verbreiten ließ, um die Soldaten nicht zu entmutigen und das Volk zu beruhigen, so war das nämliche auch hier der Fall.

Der Kaiser selber wie die oberen Generale zweifelten jetzt, nachdem Marquez schon über sechs Wochen ausgeblieben, nicht mehr an seinem wie an Vidaurris Verrat, aber trotzdem hielten sie es geheim, und nicht einmal seinem Leibarzt Doktor Basch teilte der Kaiser seine Überzeugung mit, sondern suchte auch ihn guten Mutes zu erhalten.

Bis dahin hatte sich nun der Kaiser noch immer auf das entschiedenste geweigert, Queretaro aufzugeben, trotzdem ihm selber der größte Teil seiner Generale zuredete, sich nach der benachbarten Sierra Gorda durchzuschlagen, wo General Mejia besonders von den Indianern verehrt wurde. Maximilian nannte den Platz selber zuweilen eine »Mausefalle«, hielt es aber einesteils nicht mit seiner militärischen Ehre vereinbar, da er das schwere Geschütz in Feindes Hand lassen mußte, und zeigte sich auch um das Schicksal der Stadt selber besorgt, die so treu und aufopfernd zu ihm gehalten, Aber jetzt drängte ihn doch alles zu einem entscheidenden Schritt, und er fing selber an, erbittert gegen ein Volk zu werden, das ihm nur all seine Treue mit Verrat und Undank lohnte.

Wie hatte Lares und sein Ministerium Wort und Handschlag gegeben, ihn treu und aufrichtig zu unterstützen und ihm nach besten Kräften zu dienen, und was hatten sie getan? Die Truppen, die er nachgesandt verlangte, schickten sie nicht ab, wahrscheinlich weil sie wußten, daß sie sich in der Hauptstadt besser und sicherer auf diese fremden Soldaten verlassen konnten, als auf ihre eigenen. – Marquez dann, der Elende, und selbst Vidaurri, den er vor allen anderen treu gehalten – wie hatten sie ihm gelohnt – nur dadurch, daß sie ihn vollständig im Stiche ließen, um ihre eigenen – vielleicht verräterischen, jedenfalls selbstsüchtigen Pläne zu verfolgen. – Und durfte er selbst hier in der Festung allen trauen? Die Generale waren stets uneinig untereinander, besonders Marquez und Miramon, und oft kamen ihm Andeutungen zu, daß der oder jener es nicht ehrlich mit ihm meine.

Gegen Miramon besonders hatte er ja noch immer selber von früher her einen, wenn auch durch nichts Direktes begründeten, doch auch nicht ganz grundlosen Verdacht, und nur das stets offene Benehmen des »jungen Generals«, wie er ihn im Gespräch mit anderen gewöhnlich nannte, zerstreute immer wieder jenes Mißtrauen, dem er dann und wann doch vielleicht Raum geben wollte. Zu einem vollen Gefühl der Sicherheit kam er indessen nie, und trotzdem konnten die gerade, von denen er sich vollständig überzeugt halten durfte, daß sie es wirklich treu und ehrlich mit ihm meinten, wie Doktor Basch, Oberst Prinz Salm und sein wackerer indianischer General Mejia, nie einen wirklichen Einfluß bei ihm gewinnen. Sie durften sich im Gegenteil fest davon überzeugt halten, daß, wer nach ihnen zum Kaiser kam und eine bessere Überredungsgabe besaß, auch sicher ihre Ratschläge wieder in den Schatten stellte oder ganz über den Haufen warf.

Wie lange schon hatten ihm diese geraten, die unglückselige Festung, die wohl ein wichtiger Punkt für das ganze Reich war, zu einer Zeit aber, wo das Reich schon eigentlich gar nicht mehr dem Kaiser gehörte und er sich nur noch im Besitz weniger Städte befand, im Stich zu lassen. – Er wollte nicht hören, bis er jetzt endlich doch fühlte, daß er hier nichts in der Gottes Welt tat und tun konnte, als sich selber am Leben zu halten und die Seinigen in nutzlosen Scharmützeln nach und nach zwar langsam, aber sicher aufzureiben. Jetzt endlich entschloß er sich dem immer heftigeren Drängen des alten Mejia und des Prinzen Salm nachzugeben.

In einem Kriegsrat wurde festgestellt, den Feind am nächsten Morgen an zwei bestimmten Punkten anzugreifen und zu beschäftigen und womöglich dabei zurückzuschlagen. Dann, sobald man ihn in Verwirrung gebracht, sollte das ganze Heer, nur mit Zurücklassung der schweren Geschützstücke, aufbrechen und direkt in die benachbarte Sierra Gorda eindringen, die Mejias Heimat bildete, und wo er von den dort hausenden zahlreichen Indianerbanden allgeliebt und verehrt wurde.

Der Ausfall fand statt, und zwar mit so unerwartet günstigem Erfolg, daß die ganze Belagerungs-Armee in Verwirrung geriet. Castillo und Miramon leiteten den Angriff. Major Pittner mit den Cazadores nahm gleich im ersten Anlauf die erste feindliche Linie und die dortige Batterie – und rollte mit Miramon zur Unterstützung die ganze feindliche Linie auf. Die Liberalen suchten ihr Heil in wilder Flucht, 15 Geschütze, 7 Fahnen und 547 Gefangene mit 21 Offizieren fielen den Kaiserlichen in die Hände; dazu Massen von Munition, Waffen, Gepäck und Proviant.

Auch Castillo drang siegreich vor und nahm 6 Geschütze, und die Niederlage des Feindes schien vollkommen.

Anstatt aber nun diesen unerwartet günstig ausgefallenen Schlag zu benutzen und den schon in den kleinsten Teilen vorbereiteten Plan zum Durchbrechen der feindlichen – jetzt völlig aufgelösten Linien auszuführen, zeigte der Kaiser aufs neue Lust, seine Stellung zu behaupten, denn er konnte das ihm unangenehme Gefühl nicht abschütteln, gewissermaßen vor dem Feind zu fliehen.

»Wahrhaftig, Mejia,« sagte er zu dem alten, treuen Indianer, der ihn drängte, den Moment zu benützen, »mir will es nicht in den Kopf, vor einem Maultiertreiber das Hasenpanier zu ergreifen, und Escobedo ist ja doch nichts weiter.«

»Majestät,« sagte Mejia in seiner trockenen und derben Weise, »haben sich schon mehrfach in ähnlicher Art geäußert, aber doch wohl nur den europäischen Begriff von Maultiertreibern mit herübergebracht. Hier in Mexiko und in all den südlichen Ländern ist ein richtiger Arriero stets ein sehr geachteter Mann, und man kann nur die tüchtigsten Leute dazu gebrauchen. Dabei haben sie genaue Terrainkenntnis, das wichtigste in Mexiko für einen General, und daß es Escobedo auch nicht an Mut fehlt, hat er uns schon ein paarmal bewiesen. Wir sitzen außerdem hier eingekeilt, während er da draußen fortwährend neue Zuzüge bekommen kann und das ganze Land zur Verfügung hält. Der Platz wird hier zu warm für uns – doch wozu das alles noch einmal wiederholen, was schon über und über besprochen und beraten wurde. Nur dessen können Sie versichert sein, ein günstigerer Moment, um den Kopf hier ehrenvoll aus der Schlinge zu ziehen, kommt nicht wieder.«

»Aber mein guter Mejia,« sagte der Kaiser, »es hat sich ja doch heute deutlich gezeigt, daß uns der Feind wenn wir bleiben wollen, gar nicht halten kann. Er verfügt über größere Truppenmassen, ja, aber sie sind verteilt, und wo wir jetzt mit ihm zusammentrafen, haben wir ihn doch vor uns hergejagt.«

Mejia zuckte einfach mit den Achseln. Er war kein großer Redner, und wozu noch einmal wiederholen, was er schon alles gesagt hatte.

Vergebens bemühte sich auch jetzt Prinz Salm, den Kaiser zu überreden, ohne weiteres Zögern den Zug in die Sierra Gorda anzutreten. Der siegesgewisse Miramon, der selber keinen Moment an dem Erfolg zweifelte, wo sie heute einen so glänzenden Sieg errungen, bestärkte den Kaiser nur in seinem Vertrauen und überredete ihn leicht, seinen Abmarsch noch zu verzögern – glaubte er doch selber, daß er das mit diesen wackeren Truppen zu jeder Stunde, und wann er es für gut finden sollte, ermöglichen würde.

Dadurch versäumte man die Zeit. – Der Sieg sollte verfolgt und noch ein neuer Angriff unternommen werden, aber dem Feinde waren lange Stunden gelassen, um von Escobedos Hauptquartier mächtige Verstärkungen herbeizuziehen, und Miramons neue Angriffs-Kolonnen wurden jetzt zurückgeworfen.

Der Kaiser war selber an der Spitze seines Heeres – er wollte nicht weichen – in einem wahren Kugelregen feuerte er selber die Truppen an – umsonst – sie waren nicht zu halten, und der Letzte von den Seinigen, nur von dem Prinzen Salm und Miramon begleitet, ritt er im Schritt in die Stadt zurück.

Allerdings glaubte der Feind, jetzt vielleicht den günstigen Moment erfaßt zu haben, um die Stadt gleich selber zu nehmen, mußte seinen Übermut aber schwer büßen. Er wurde mit furchtbaren Verlusten zurückgeworfen und besetzte nun wieder die Höhen, welche die Kaiserlichen heute morgen erst genommen.

Diesem Hauptausfall folgten noch einige kleinere, meist mit Erfolg gekrönte, aber die Situation blieb deshalb dieselbe – nur mehr Verwundete bekam man, nur enger schloß der Feind, der immer mehr Zuzug erhielt, die Stadt ein.

Der Kaiser war in dieser Zeit sehr niedergedrückt – die Stadt wurde unaufhörlich beschossen, und Granaten platzten überall in den Straßen. Er achtete es nicht – es war oft, als ob er den Tod förmlich suche, so wanderte er ruhig und stundenlang an den gefährdetsten Stellen umher, aber er war wie gefeit, und wenn um ihn in unmittelbarer Nähe selbst Granaten platzten, berührte ihn doch nie auch nur ein Splitter.

Dieser Zustand wurde aber auf die Länge der Zeit unerträglich – die Lebensmittel hatten in der Stadt in einem Grade abgenommen, der das Schlimmste befürchten ließ. Man beschloß endlich in einem wieder gehaltenen Kriegsrat, in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai mit dem ganzen Rest der kleinen Armee durchzubrechen und die Sierra zu gewinnen.

Diesmal aber war es Mejia – der um einen Aufschub, und zwar nur von 24 Stunden, bat. Man beabsichtigte während des Abzuges eine Anzahl von Indianern zu bewaffnen, die indes die Wälle besetzen und den Feind glauben machen sollten, daß das eigentliche Heer noch in Queretaro stehe. – Mejia wünschte noch mehr Gewehre herbeizuschaffen – es kam ja nicht auf 24 Stunden an.

An dem nämlichen Abend ließ sich Oberst Lopez bei dem Kaiser, bei dem sich gerade Prinz Salm befand, melden und bat um nur wenige Minuten Gehör.

Der Kaiser hatte den Obersten gern – Lopez besaß, bei einer hübschen Persönlichen Erscheinung, etwas Gewinnendes und selbst Elegantes in seinem ganzen Wesen, das nicht ohne Einfluß auf Maximilian geblieben war. Wußte er doch auch dabei, daß gerade Lopez ihm vor allen anderen in vielen Stücken zu großem Dank verpflichtet war, und hielt sich von seiner Treue desto fester überzeugt.

Der Kaiser hatte ein kleines Wachtelhündchen, das er gewöhnlich Baby nannte, und das mit großer Treue an ihm hing.

Es war auch mit allen Menschen freundlich und biß nie, konnte aber sonderbarerweise gerade Lopez nicht leiden und knurrte jedesmal, sobald er in seine Nähe kam. Heute, wie er nur die Stube betrat, und ehe der Oberst ein Wort sagen konnte, fuhr Baby wütend von seinem Lager auf und gegen den Offizier an, und bellte und schien so außer sich, daß es der Kaiser kaum beruhigen konnte.

»Aber was Tausend, Baby – was hast du nur heute,« sagte Maximilian, indem er es selber aufnahm und leicht klopfte – »was fällt dir denn ein? Kehren Sie sich nicht daran, Lopez – wer weiß denn, was dem kleinen ungezogenen Ding durch den Kopf gefahren ist – was führt Sie zu mir?«

»Eine Bitte, Majestät!« sagte der Oberst, der sichtlich durch den Zorn des kleinen Tieres in Verlegenheit geraten war, »ich wollte Majestät ersuchen, daß Oberstleutnant Jablonsky von der Kavallerie mit seinen Leuten eine Linie der Cruz am Panthenon besetzen dürfe. Die Infanterie ist überdies so enorm mit Wachen überladen, und die Kavallerie im Gegenteil geschont worden, daß man ihr wohl eine Erleichterung gönnen kann.«

»Gern, gern,« sagte der Kaiser freundlich – »ich bin Ihnen sogar dankbar dafür, lieber Oberst. Sonst steht alles gut? Keine Neuigkeiten?«

Des Obersten Augen blitzten für einen Moment auf – aber es war auch in der Tat nur ein Moment, und mit ruhiger Stimme erwiderte er:

»Nicht, daß ich wüßte, Majestät – das neueste, was wir haben, sind die Granaten, die uns der Feind so freigebig in die Stadt schüttet.«

Der Kaiser winkte wehmütig lächelnd mit der Hand. »Wir werden ihm die Mühe bald ersparen, lieber Oberst – also richten Sie es so ein, wie Sie es für gut finden. – Daß mir die Leute aber wachsam sind!«

»Majestät können sich fest auf sie verlassen.«

»Merkwürdig,« sagte der Kaiser zu Prinz Salm, als Lopez das Zimmer verlassen hatte, »daß mein kleiner Baby den Obersten nicht leiden mag. Wenn ich abergläubisch wäre, würde ich das Gefühl teilen.«

»Es ist sonderbar,« sagte der Prinz, »aber Hunde haben manchmal einen richtigen Instinkt. Übrigens halte ich den Obersten selber für ehrlich. Wenn er es nicht wäre, Majestät, welchem Mexikaner sollten Sie nachher noch trauen?«

Der Kaiser seufzte, aber er erwiderte nichts weiter, und als auch Doktor Basch das Zimmer betrat, nahm das Gespräch bald eine andere Wendung.

Oberst Lopez indessen ging in die Stadt hinab, aber in düsterem unheilvollen Sinnen. Die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt, das fast glühende Auge auf den Boden geheftet, schritt er in sein Grübeln vergraben vorwärts und achtete nicht auf das, was um ihn her vorging.

»Hallo, Lopez – so in Gedanken?« – rief ihn da plötzlich eine Stimme an – Oberst Guzmann, der dicht an ihm vorüberging, ohne daß er ihn bemerkt hätte – »ist etwas vorgefallen?«

»Vorgefallen?« sagte Lopez, rasch und fast erschreckt den Kopf hebend – »nein – nicht, daß ich wüßte – wenigstens nicht hier im Lager.«

»Sie kennen die Nachrichten von Europa, die heute eingetroffen sind?«

»Von der Kaiserin?« rief Oberst Lopez heftig, und seine ganze Gestalt bebte – »Wohl kenne ich sie – aber ihr ist wohl. Sie hatte keine Freude und kein Glück im Leben – mag sie Frieden im Tode finden – aber wer brachte die Nachricht?«

»Ein Deserteur – Escobedo soll eine Depesche erhalten haben.«

»Arme Frau,« sagte Lopez düster – » sie opferte sich für Mexiko, während dieser Schattenkaiser sich zu einem Bandenführer herabwürdigte.«

»Lopez?« rief Oberst Guzmann erschreckt – »was fällt Euch ein – hat der Kaiser nicht wie ein tapferer Soldat sein Recht verteidigt?«

»Ja,« sagte Lopez, dem die Worte vielleicht nur in der Übereilung entschlüpft waren – »das hat er allerdings – er ist tapfer.«

»Und teilt alle Entbehrungen seines Heeres willig?«

»Auch das tut er –«

»Und ist ein besserer Mexikaner als Juarez und Ortega zusammen.«

»Möglich,« sagte Lopez finster – »aber er war ein schlechter Gatte –«

»Ein schlechter Gatte? Was fällt Euch ein? Die Kaiserin hing mit unendlicher Liebe an ihm.«

»Aber er war kalt und unfreundlich gegen sie.«

»Torheit – wer hat Euch das Märchen aufgebunden? Außer sich war er, als er von ihrer Krankheit hörte, und man verheimlicht ihm ja auch deshalb nur ihren jetzt erfolgten Tod.«

»Ich weiß es,« sagte Lopez düster – »es – es mag sein, daß ich mich irre. Seine Umgebung sprach nur davon.«

»Seine Hausdiener? – eine schöne Bande, die er sich da mitgebracht hat. Sie stehlen wie die Raben. Als ich in Cuernavaca einmal bei ihm war, hatte er nicht einmal Butter in der Hofhaltung, und als er in das Dorf schickte, wollten sie ihm ohne Geld keine schicken. Sein Verwalter, oder was der Kerl war, hatte wochenlang die Butter gekauft, nicht bezahlt und dann für bar Geld wieder verkauft, also doppelt gestohlen, und die kaiserliche Hofhaltung bekam nichts. Das sind auch die Halunken, die, wenn das Kaisertum einmal zusammenbricht, mit gefüllten Geldbeuteln und Koffern nach Hause zurückkehren und dann noch womöglich eine Pension für die »treuen Dienste« verlangen, die sie geleistet. – Hol' sie der Teufel!«

Lopez erwiderte nichts darauf; er war still und in sich gekehrt, und als er bald darauf Jablonsky begegnete, nahm er dessen Arm und schritt mit ihm die Straße hinab.

*

Der Ausfall war auf die nächste Nacht verschoben worden, aber schon in dieser sollte alles gerüstet bleiben, und der Kaiser hatte sogar befohlen, daß die Leib-Eskorte und die Husaren ihre Tiere gesattelt ließen. Sie konnten sich nachher über Tag ausruhen und reichlich Futter bekommen.

Die Vorbereitungen waren vollständig getroffen, alles reise- und marschfertig, und das kleine Gepäck lag schon bereit, um im letzten Moment auf Pferden und Maultieren mitgenommen zu werden.

Doktor Basch war noch spät beim Kaiser.

»Ich bin sehr erfreut,« sagte er ihm, »daß es endlich einmal zum Schluß kommt. Ich habe auch die beste Hoffnung. Teilweise baue ich auch auf mein stetes gutes Glück, das mich bis jetzt noch nicht verlassen hat, und – halten Sie es für ein Vorurteil oder nicht – aber morgen ist der Namenstag meiner Mutter, und ich glaube, der wird mir Glück bringen.«

Elf Uhr nachts war es, als Lopez, völlig angekleidet, in seinem kleinen Gemach mit raschen, hastigen Schritten auf und ab ging – sein Säbel wie seine Revolver lagen auf dem Tisch und neben ihnen ein Geldgurt mit Silber gefüllt, das er aus der Reisekasse des Kaisers bekommen hatte, um es für diesen zu sichern.

Da klopfte es leise an die Tür, und auf sein heftiges entra öffnete Jablonsky dieselbe.

»Caracho!« sagte dieser leise, indem er sich scheu im Zimmer umsah – »was ist nun im Wind? – Der Kaiser schickt und verlangt nach Euch.«

Lopez wurde totenbleich – endlich stammelte er: »Zu dieser Stunde der Nacht?«

»Seine Majestät haben oft wunderliche Ideen,« sagte der Bursche, »aber diesmal begreife ich selber nicht, was es sein kann. Der Teufel wird doch nicht etwa sein Spiel gehabt haben?«

»Wer ist draußen?«

»Mein eigener Schwager Pedro, der heute bei ihm die Wache hat, aber er behauptet, auch nichts weiter zu wissen, als daß ihn der Kaiser abgeschickt habe, Euch zu rufen.«

Lopez blieb sekundenlang, den Blick auf den Gefährten geheftet, im Zimmer stehen – endlich sagte er mit finsterer Entschlossenheit in den strengen Zügen, indem er seinen Degen umschnallte und seine Revolver in seine Uniform hineinschob:

»Was kommen soll, kommt doch – vielleicht nur etwas früher – ich gehe.«

»Und wenn sie Euch zurückbehalten – was wird nachher?«

»Unsinn – es ist nicht möglich, daß sie auch nur eine Ahnung haben – aber führe mein Pferd unten an die Tür und halte es dort bereit.«

»Und ich bleibe dann in der Falle sitzen.«

»Du kannst das deinige auch mitbringen. Vorwärts – wir dürfen ihn nicht lange warten lassen. Er ist außerdem immer mißtrauisch –«

»Und hat doch so wenig Grund dazu,« lachte Jablonsky – »aber vamonos compannero. In einer Viertelstunde wissen wir, woran wir sind – was wird mit dem Gelde da?«

Lopez zögerte – einen Moment war es, als ob er es dem Freunde übergeben wollte, aber ob er auch diesem nicht traute, er schnallte es selber um, und rasch schritt er dann hinaus, um dem Befehl des Kaisers nachzukommen. – Seine Befürchtungen aber, welche er auch gehabt haben mochte, zerstreuten sofort die freundlichen Worte, mit denen ihn der Kaiser begrüßte.

»Ich konnte mir doch denken, lieber Lopez,« sagte er, »daß Sie noch nicht schliefen, und – wollte Ihnen gern noch eine kleine Freude bereiten, denn morgen in dem Wirrwarr werden wir an anderes zu denken haben. Hier,« fügte er hinzu, indem er von seinem Tisch eine der Bronze-Tapferkeitsmedaillen nahm und sie dem bestürzt vor ihm stehenden Offizier an die Brust heftete – »nehmen Sie dies Ehrenzeichen, das ich Ihnen schon längere Zeit zugedacht. – Eigentlich hat sie jeder einzelne meiner wackeren Soldaten verdient, aber ich kann ja nicht alle dekorieren.«

»Majestät sind so gnädig,« stammelte Lopez aufs tiefste beschämt.

»Aber eine Bitte habe ich dafür an Sie, und ich verlasse mich fest darauf, daß Sie dieselbe erfüllen – eine ernste Bitte, Lopez!«

»Bedarf es da noch einer Versicherung, Majestät?«

»Gut,« sagte der Kaiser, als er vor ihm stand, ihm die rechte Hand auf die Schulter legte und ihm still ins Auge sah. – »So hören Sie, Lopez. Ich – möchte den Feinden nicht gern lebendig in die Hände fallen – versprechen Sie mir, daß, wenn ich beim Durchbrechen durch die Armee vielleicht verwundet würde und in Gefahr wäre, gefangen zu werden – Sie – mit einer mitleidigen Kugel mein Leben enden wollen – nur nicht Gefangener werden – versprechen Sie mir das!«

»Majestät,« rief Lopez jetzt wirklich bestürzt – »aber was könnte Ihnen, selbst als Gefangener, geschehen?«

»Nur nicht gefangen, Lopez!« rief Maximilian in unverkennbarer Aufregung – »nur nicht gefangen. Geben Sie mir Ihr Wort als Ehrenmann, daß Sie mich lieber töten wollen.« Nach des Kaisers eigener Aussage.

Lopez zögerte noch immer, in die dargereichte Hand einzuschlagen.

»Und wenn ich Sie nur darum bitte,« sagte der Kaiser, »ich hätte ja noch andere Freunde, aber ich fürchte wohl mit Recht, daß sie Vorurteil oder Weichherzigkeit davon abhielte. Schlagen Sie ein, Lopez.«

»Gut denn, Majestät,« sagte der Oberst, indem er seine Hand in die des Kaisers legte, mit entschlossener Stimme, und sein Auge blitzte dabei in unheimlicher Glut. – »Ihr Wunsch soll erfüllt werden. Verlassen Sie sich auf mich.«

»Ich danke Ihnen – ich wußte es,« nickte der Kaiser befriedigt, indem er die Hand zurückzog – »und nun, mein lieber Lopez, legen Sie sich noch ein paar Stunden schlafen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie mich sehr beruhigt haben. Ich gehe allem, was jetzt kommen mag, mit fester Zuversicht entgegen.«

Der Kaiser schritt noch lange in seinem Zimmer auf und ab. In seinem Vorzimmer hatte von zehn Uhr abends an ein Mexikaner, aber ein treuer Bursche, der an dem Kaiser von ganzem Herzen hing, die Wache. Um ein Uhr hatte sich Maximilian niedergelegt, aber um halb drei Uhr schon mußte Pedro den Doktor Basch wecken, da er einen heftigen Kolikanfall bekommen, der sich aber nach etwa einer Stunde gab.

Es mochte halb fünf sein, als die Tür leise geöffnet wurde, und Pedro, der sich dahin wandte, erkannte zu seinem Erstaunen seinen Schwager Jablonsky, der mit leisem Schritt in das Zimmer schlich.

»Schläft der Kaiser?« fragte er flüsternd.

»Ja,« nickte Pedro – »was willst du, Antonio?«

Jablonsky sah sich scheu um. »Dem Kaiser eine Mitteilung machen,« flüsterte er zurück.

»Jetzt?« sagte Pedro kopfschüttelnd – »der Kaiser ist eben erst eingeschlafen – er war krank. Du kannst jetzt nicht zu ihm – komm morgen wieder.«

»Ich kann nicht – es ist wichtig,« sagte aber der Oberstleutnant, und seine dunklen Augen blitzten dabei im Zimmer umher, ohne denen Pedros zu begegnen – »nur wenige Worte sind es – dann – mag er schlafen.«

»Höre, mein Bursche,« sagte der ältere Mexikaner, der ihn indessen aufmerksam und auch mißtrauisch betrachtet hatte – »was hast du denn eigentlich? – Du kommst mir so sonderbar vor!«

»Ich? – Nichts – was soll ich haben – aber laß mich hinein, Pedro,« flüsterte er ihm zu – »es soll dein Schaden nicht sein – ich muß den Kaiser sprechen, der Feind ist in der Stadt und doch alles verloren.«

»Der Feind!« rief Pedro entsetzt.

»Pst – nicht so laut – wir dürfen ihn nicht erschrecken,« meinte Jablonsky, »ich komme gleich zurück.«

»Halt, Compannero,« sagte da Pedro, indem er seinen Arm ergriff – »ist der Feind wirklich in der Stadt, so muß der Kaiser allerdings geweckt werden und du magst ihm deine Nachricht bringen, aber« – setzte er drohend hinzu, indem er einen Revolver von dem nächsten Tische nahm, »hüte dich, amigo – mit dir ist nicht alles richtig!«

»Aber Pedro!« rief Jablonsky bestürzt – »sei vernünftig – es ist doch alles vorbei – du sollst –«

»Wird dem Kaiser da drinnen ein Haar gekrümmt – und die Tür bleibt offen – so schieße ich dich über den Haufen wie einen tollen Hund.«

»Aber Pedro, bist du wahnsinnig?« flüsterte Jablonsky zurück.

»Vollkommen bei Verstand, amigo,« nickte der Bursche – »geh und mache deine Meldung rasch, aber hier an der Tür halte ich Wache – lebendig verläßt du das Zimmer nicht wieder, wenn du böse Absichten hast, und sagst du noch ein Wort, so rufe ich die Wache – vorwärts, wenn du einen Auftrag hast.«

Jablonsky biß die Zähne zusammen, aber er kannte den starrköpfigen Burschen gut genug – zögerte er, so wurde dessen Mißtrauen überhaupt nur noch gerechtfertigter, und mit einem halblaut gemurmelten Caracho betrat er das Schlafzimmer des Kaisers. Wohl warf er noch einmal den Blick zurück, aber in der Tür stand Pedro, mit dem Revolver in der Hand, und den Arm des Schlafenden jetzt ergreifend und schüttelnd, rief er mit lauter Stimme:

»Majestät – stehen Sie auf! Der Feind ist in der Cruz!«

»Der Feind?« rief der Kaiser, der halb angekleidet auf seinem Bette lag, indem er rasch emporfuhr – »in der Cruz?«

»Wir sind verraten – fort, so schnell Sie können – ich will die übrigen alarmieren« – und hinaus stürzte er, indes Pedro selber über die furchtbare Nachricht entsetzt stand – und doch herrschte eine durch nichts unterbrochene Stille in dem weiten Gebäude.

Unmittelbar nachher wurden Doktor Basch und dann Prinz Salm, aber diese durch den Obersten Lopez alarmiert, der verstört zu ihnen in das Zimmer drang und sie beschwor, den Kaiser zu retten, – und ringsumher diese fabelhafte Ruhe – kein Posten auf seinem Platze, der Markt selbst war menschenleer und öde, und kein Soldat zu sehen.

Prinz Salm und Doktor Basch eilten zum Kaiser – sie fanden ihn schon vollkommen angekleidet, den Säbel umgeschnallt, in jeder Hand einen Revolver, aber so ruhig, als ob es einen Spaziergang gelte.

»Salm, wir sind verraten!« rief er dem Prinzen zu – »lassen Sie Husaren und Leib-Eskorte ausrücken. – Wir wollen nach dem Cerro und sehen, wie wir die Sache in Ordnung bringen. Ich werde gleich folgen.«

Der Prinz erfüllte die Aufträge – als er zurückeilte, traf er den Kaiser, aber schon traten ihm feindliche Soldaten entgegen, die Maximilian aufhalten wollten. Oberst Don José Rincon Gallardo kommandierte die Truppe. Er erkannte auch jedenfalls im Augenblick den Kaiser, wandte sich aber an seine Soldaten und sagte: » Que pasen – non paysanos« (können passieren, sind Landsleute (Freunde).

Die Soldaten traten zur Seite – der Kaiser mit seiner Begleitung schritt vorüber, und als der Prinz den Kaiser fragend ansah, sagte dieser lächelnd:

»Sehen Sie, es schadet niemals, wenn man Gutes tut. Man findet zwar unter Zwanzigen neunzehn Undankbare, aber doch hier und da einen Dankbaren. Das hat sich soeben bewährt. Die Mutter des feindlichen Offiziers, der uns passieren ließ, war sehr häufig bei der Kaiserin, die ihr viele Wohltaten erwiesen hat. Tun Sie Gutes, Salm, wenn immer Sie können.« Prinz Salm: »Queretaro«.

Der Kaiser zog sich jetzt mit seinen Begleitern nach dem Cerro de las Campanas hinüber, ohne daß er von feindlichen Truppen aufgehalten worden wäre – als Lopez, beritten und bewaffnet, hinter ihm hergesprengt kam und in ihn drang, sich in das Haus des Bankiers Rubio zu flüchten; allein der Kaiser, der noch immer keine Ahnung von dem schändlichen Verrat dieses Buben hatte – sagte entschlossen: »Nein – ich verstecke mich nicht!« Ja er wollte nicht einmal seinen ihm wahrscheinlich von Lopez gebrachten Schecken besteigen, weil seine Begleiter dann hätten gehen müssen.

Auf dem Cerro de las Campanas stellte sich der kleine Trupp endlich, um den sich ein Bruchteil der Armee gesammelt hatte – waren doch die mexikanischen Truppen, nach Art dieser Kriegführung, schon fast sämtlich zu den Feinden übergegangen. Was sollten sie sich für eine verlorene Sache totschießen lassen, und militärisches Ehrgefühl war ein Wort, das sie nicht einmal dem Namen nach kannten.

Indessen hatte General Miramon versucht, Truppen zu sammeln und Widerstand zu leisten, um eine der Straßenecken bog aber feindliche Kavallerie, und der Offizier, seinen Revolver auf den General abdrückend, verwundete ihn im Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Mau trug ihn allerdings in das Haus des ihm befreundeten Doktor Licea, der ihn aber natürlich augenblicklich an die Liberalen verriet. Er konnte sich doch nicht selber in Ungelegenheiten bringen, eines Freundes wegen!

Die Feinde rückten jetzt gegen den Cerro vor und begannen ihn zu beschießen. – Der Prinz stand neben dem Kaiser.

»Jetzt, Salm, eine glückliche Kugel!« flüsterte ihm dieser zu – aber sie kam nicht. – Er wandte sich an Mejia und fragte ihn, ob es möglich sei, sich durchzuschlagen. – Zu spät – der Platz war von Feinden umzingelt, ein Durchhauen zur Unmöglichkeit geworden – selbst Widerstand wäre hier Wahnsinn gewesen. Die Weiße Flagge mußte aufgezogen werden, und der Kaiser Maximilian war Gefangener in den Händen seiner Feinde.


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