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In Guerrero.

Der wildeste und zerklüftetste Staat des wilden und zerklüfteten Mexiko ist der Staat Guerrero, der sich vom 15. bis 17. Breitegrad schräg am Stillen Meer hinaufzieht und an seiner Ostgrenze bis fast an das der Hauptstadt benachbarte Cuernavaca hinanreicht, wo sich der Kaiser in dem alten Cortez-Palast eine Sommerresidenz errichtet hatte.

Hier in Guerrero hauste der sogenannte »alte Panther von Guerrero« unumschränkt und verdankte diesen fast poetischen Namen viel weniger seiner Tapferkeit und seinen »echt republikanischen« Gesinnungen, wie die republikanische Presse in Amerika und Europa es zu verbreiten suchte, sondern einzig und allein sowohl der Unzugänglichkeit als ebenso Unbrauchbarkeit seines wilden Landes.

Schon zu Zeiten der Spanier hatte Alvarez' Vater, ein Indianer, der sich indessen taufen ließ und einen spanischen Namen annahm, jenen abgelegenen Teil der Berge, dem man bei der letzten Einteilung den Namen Guerrero gegeben, inne gehabt, und sich ziemlich unabhängig dort von den sonst rücksichtslos herrschenden Vizekönigen gehalten. – Als aber in den späteren Unabhängigkeitskriegen und denen folgenden Revolutionen und Pronunciamentos die Regierungen derart wechselten, daß, ehe die Kunde von einem Präsidenten nach dem entfernten Distrikt gelangte, schon ein anderer das Staatsruder wieder an sich gerissen hatte, behauptete sich dessen Sohn Alvarez in seinem alten Reich – angeblich als Gouverneur der in Mexiko zeitweilig herrschenden Regierung, – in Wirklichkeit aber vollkommen so unabhängig wie ein wirklicher Monarch, so daß er auch nur selbst den Namen einer Republik – bloß der Bequemlichkeit wegen und um langweilige Erörterungen zu vermeiden – beibehielt.

Selbst Juarez, dem sich vor der Intervention so ziemlich das ganze Land unterworfen, mußte ihn in seiner natürlichen Festung, seinem Reich anerkennen. Er wußte recht gut, daß es unmöglich sein würde, den alten starrköpfigen Indianer zu irgend etwas, dem er sich nicht gutwillig fügte, zu zwingen, oder gar das Land zu erobern und zu behaupten, und machte deshalb, klugerweise, nicht einmal den Versuch.

Jetzt, nach der Intervention und nach Gründung des Kaiserreichs, würde Alvarez wahrscheinlich ebensowenig etwas dagegen gehabt haben, den Kaiser, wie früher den Präsidenten, anzuerkennen – er betrachtete das gerade so, wie etwa ein europäischer Staat eine Kaiserwahl in China, die ihn weiter nicht berührte. – Was ging ihn Mexiko an, so lange er in seinem kleinen Staat fortregierte. Aber die Franzosen, mit den Verhältnissen des Landes nicht so bekannt, und mit dem Wunsch, dabei den in Guerrero liegenden, nicht unbedeutenden Hafenplatz Acapulco für sich zu gewinnen, glaubten, den Staat ebenso leicht erobern zu können, wie alle die übrigen, und rückten denn auch von Cuernavaca aus, wo die Berge noch nicht so wild und zerrissen sind und eher eine Passage möglich machen, direkt hinein.

Das aber nahm der alte Alvarez, der auch jetzt schon einen Sohn von nahe an dreißig Jahren zur Stütze hatte, übel, rief seine Pinto-Indianer zusammen, besetzte die besten Pässe und Ströme und trieb denn auch richtig die Franzosen, denen in diesen Bergen ihre Geschütze gar nichts halfen, mit blutigen Köpfen wieder heim.

Französische Berichte meldeten allerdings, daß französische Truppen bis über den Mescal-Strom und in das Herz des Landes vorgedrungen seien, um die Hauptstadt zu belagern, wo sie freilich wegen Mangel an Geschütz und unzureichender Mannschaft den Versuch hätten aufgeben müssen. Es ist das aber nur einer der gewöhnlichen französischen Schlachtenberichte, die besonders für die große Nation fabriziert wurden und weiter keinen Zweck hatten. Es war einfach nicht wahr. Die Franzosen haben den Mescal, einen ganz anständigen Strom, der an der Ostkette der Vulkane entspringt, durch ganz Guerrero strömt und oben im Norden die Grenze zwischen diesem Staat und Michoagan bildet, nie überschritten. Sie sind bis an dessen rechtes Ufer gekommen, aber nicht weiter, und haben dann den Rückzug antreten müssen. Sie wären auch in den Engpässen des inneren Landes verloren gewesen.

Alvarez herrschte von dem Augenblick an wieder so unabhängig in seinen Bergen wie vorher, und herrschte so noch – wenigstens der Sohn – bis aus den heutigen Tag, ohne sich um den Kaiser oder Juarez zu kümmern. Er hat jetzt allerdings einen Kontre-Gouverneur in einem früheren General Ximenes gefunden, aber das hatten auch nur wieder die beiden unter sich auszumachen. Die Regierung in Mexiko bekümmert sich klugerweise gar nicht darum und ist vollständig zufrieden, wenn sie die Zölle in Acapulco erheben kann.

Der Staat Guerrero ist unermeßlich reich an Farbehölzern und wahrscheinlich auch an Mineralien. In seinen breiten Tälern könnten dabei alle nur erdenklichen Produkte gezogen werden, denn was man anpflanzt, gedeiht, aber es wird fast nichts angepflanzt. Die ewigen Revolutionen, wenn sie auch Guerrero nicht besonders berührten, übten doch ihren verderblichen Einfluß dadurch aus, daß die jungen Leute fortwährend dem Land entzogen und an die Grenze geschickt wurden, und der Export deckt nicht einmal den Import des spärlich besiedelten wilden Landes.

Aber was für eine prachtvoll wilde Szenerie bietet es nach jeder Richtung, jetzt zu den Tropen niedersteigend, jetzt sich hoch in die gemäßigte Zone zwischen Kiefer- und Fichtenwaldungen hinein erhebend. Murmelnde Bergströme stürzen dazwischen hin, schmale aber steil auflaufende und felsbedeckte Hänge durchschneiden das Land nach jeder Richtung. Ja selbst den hindurchführenden Hauptwegen folgend, die man kaum Saumpfade nennen kann, sind die armen Lasttiere fortwährend gezwungen, an schroffen Hängen emporzuklettern. Wenn sie den Gipfel aber kaum erreicht, gähnt wieder ein Abgrund zu ihren Füßen, den sie mehr hinabrutschen, als gehen müssen, um an der anderen Seite des unten dahinschießenden Bergstromes aufs neue emporzuklimmen.

Kanonen auf diesen Wegen? Die eingeborenen Soldaten sind kaum imstande, ihre Musketen auf jene Bergsättel zu schleppen, und an manchen Stellen können zwanzig Mann einen Paß gegen eine ganze Armee verteidigen.

Hier, hüben und drüben vom Mescal und über das ganze weite Land bis zum Stillen Meer zerstreut, hausen die Pintos oder sogenannten »gemalten« Indianer, ein wunderliches, sämtlich von einer eigentümlichen Hautkrankheit gezeichnetes Volk, das sich aber trotzdem vollkommen wohl und glücklich zu fühlen scheint und mit seiner gefleckten oder punktierten Haut ebenso unbefangen in der Welt herumläuft, wie bei uns mancher ältliche Herr mit einer vollkommen roten oder sogar ins Blaue spielenden Nase – oder mit Stern und Ordensschmuck.

Woher diese Krankheit rührt oder aus was sie eigentlich besteht, weiß kein Mensch. Man sieht und erkennt sie nur, wenn sie die Haut erst unheilbar angegriffen hat, ohne jedoch dadurch den Körper selber nur im geringsten zu schädigen. So viel wird behauptet, daß sie bei näherer Berührung anstecken soll, aber auch das Wodurch ist ein Rätsel und muß erst noch ergründet werden.

Die Pintos sind von ziemlich kupferbrauner Farbe, und die häufigste Bezeichnung an ihren Körpern ist durch blaue Punkte und Flecken, die, unregelmäßig überall verteilt, sich aber am häufigsten auf der Brust und an den Armen finden.

Rötliche Flecken schimmern hier und da mit unter, sehr oft kommen aber auch vollkommen weiße vor, besonders bei den Frauen, und zeigen sich dann immer zuerst an den Händen. Es gibt eine Menge von Frauen, die vollkommen und fast unnatürlich weiße Hände haben, aber diese Farbe reicht selten über das Handgelenk, denn dort schließt sie, wie eine Manschette, ein dunkelblauer oder roter Rand ein, und erst weiter an den Armen hinauf zeigen sie sich wieder.

Die Männer sind dabei kräftige, muskulöse Gestalten, gewandt und ausdauernd, die Frauen schlank und zart, mit oft wirklich hübschen Gesichtern.

Diese Pintos nun, die Alvarez schon von seinem Hafenplatz Acapulco aus mit guten Waffen, besonders vortrefflichen amerikanischen Bajonett-Gewehren versehen konnte, hatten allerdings schon zweimal die in ihr Land dringenden Franzosen zurückgewiesen und glaubten vor einem dritten Angriff ziemlich sicher zu sein. Trotzdem schien Diego Alvarez, der Sohn, dem der schon alternde Vater seit kurzem die Regierung seines Staates überlassen, ihnen nicht recht zu trauen und lag nun, da Juarez im Norden geschlagen worden und auch der Süden kein Heer mehr gegen den Kaiser ins Feld stellen konnte oder wollte, mit einer nicht unbedeutenden Truppe Soldaten in dem kleinen Städtchen Mescal, am linken Ufer des gleichnamigen Flusses. Dort beherrschte er den von Norden aus der Hauptstadt herführenden Weg vollständig und hielt so gewissermaßen Wacht an seiner eigenen Grenze – an der Grenze wenigstens, die er bequem verteidigen konnte. Das wenige, was er dabei dem Feind von seinem Lande preisgab, war nicht des Haltens wert und konnte von ihm auch, abgeschnitten von jeder Verbindung, nicht gehalten werden.

Allerdings hatten die Truppen dort Mühe, sich zu beköstigen, denn die Leute erzeugen Wohl notdürftig, was sie für sich selber brauchen, aber der Fluß war fischreich, Vieh wurde ebenfalls herbeigetrieben, und außerdem gibt es kein mäßigeres Volk als gerade diese in einem rauhen Land erzogenen Pintos, die sich mit dem Wenigsten begnügen und nichts verlangen, als eben nur ihren Hunger und Durst zu stillen.

Fahrzeuge lagen gar nicht auf dem Strom, nicht einmal ein Kanoe, und auch kein menschliches Wesen war an dem linken Ufer zu erkennen, als an der rechten steilen Bank etwa zehn Reiter mit einigen zwanzig beladenen Maultieren sichtbar wurden, die aber kaum in feindlicher Absicht kommen konnten, oder sie hätten sich nicht so offen da gezeigt und ihre Lasttiere selbst bis zum Wasserrand hinabgetrieben. Drüben am Uferrand regte es sich aber doch jetzt – ein einzelner Posten, der im Waldesschatten und unmittelbar am kühlen Uferbett gelegen, sprang hinaus auf die Sandbank, und ohne erst einen Anruf der Fremden abzuwarten, feuerte er seine Muskete in die Luft ab.

Das war das Zeichen, und in dem kleinen Ort, der etwa 200 Schritt vom Ufer ab liegen mochte, regte es sich und wurde lebendig. Trommeln wirbelten, Trompeten tönten, und kaum waren zehn Minuten vergangen, als sich schon eine kleine Truppe von Soldaten zeigte, die raschen Laufs dem Übergang zueilte, um sich bei drohender Gefahr dort wenigstens in die Schanze zu werfen, bis das Hauptkorps nachrücken und sie unterstützen konnte.

Die Fremden schienen davon aber nicht die geringste Notiz zu nehmen und auch ziemlich sicher zu sein, daß sie nicht abgewiesen würden, denn während sich die Pintos drüben wie zu einer verzweifelten Verteidigung rüsteten, packten sie ruhig ihre Lasttiere und sattelten ihre Pferde ab und bereiteten sich so auf den Übergang über den Strom vor. Nur einer der eben Gekommenen hatte seine Kleider abgeworfen, und Hemd und Hose in einen festen Knäuel zusammenrollend und mit einer Schnur umwickelnd, warf er sich ohne weiteres in den rasch fließenden Strom, hielt das Bündel mit dem linken Arm hoch und trocken aus dem Wasser, und schwamm hinüber.

Die Pintos sahen auch bald, daß sie es hier nur mit einer kleinen friedlichen Karawane zu tun hatten, gebrauchten aber nichtsdestoweniger jede Vorsicht, denn schon früher hatten einmal die Franzosen versucht, ihre Aufmerksamkeit einzig und allein auf einen bestimmten harmlosen Punkt zu lenken, indes eine größere Truppenmacht etwas tiefer unten den Strom unbemerkt zu kreuzen und dann den Platz zu überfallen suchte. Es war ihnen aber nicht gelungen, und auch heute hielt Diego Alvarez alle jene Plätze, wo ein Übergang möglich war, streng bewacht. Mit seinen außerdem überall am rechten Ufer zerstreuten Spionen brauchte er denn auch kaum eine Überrumpelung zu fürchten.

Der Bote indessen, der von dem Zug hinüber nach dem linken Ufer schwamm, wurde dort von ein paar Leuten weniger in Empfang genommen als freundlich begrüßt. Er war selber ein Pinto von der Ostgrenze des Staates, aber er brachte auch Leben in die Leute, denn er beorderte augenblicklich das Floß, um ihr Gepäck herüberzuschaffen, und das allerdings gebrauchte lange Zeit. Aber er teilte ihnen zugleich mit, daß der Eigentümer oder Befehlshaber des Zuges der aus den Händen der Franzosen entflohene General Porfeirio Diaz sei, der hier bei Alvarez vorderhand Schutz vor seinen Verfolgern suche, und sofort wurde ein Bote an ihren General abgesandt, um ihn davon zu benachrichtigen.

Indessen kam ein Indianer mit dem am Ufer versteckt gewesenen Floß an, das er allein, und anscheinend noch dazu mit ziemlicher Leichtigkeit auf seiner Schulter trug, und eigentümlich, ja originell genug war es hergestellt. Es bestand nämlich – etwa fünf Fuß im Quadrat, aus nichts als miteinander verbundenen und wasserdicht verstopften hohlen Flaschenkürbissen, die allerdings, so klein der Raum sein mochte, den sie einnahmen, eine ganz bedeutende Tragfähigkeit besaßen.

Eine Strecke am Fluß hinauf, um die Strömung zu überwinden, legte der Pinto dann sein schwankes Fahrzeug auf das Wasser, ging noch damit ein Stück im seichten Wasser, an der Sandbank hin, aufwärts und dirigierte es dann, indem er daneben herschwamm, zum anderen Ufer hinüber, wo dann auch der General ohne weiteres mit seinem Sattel und wenigem Gepäck darauf Platz nahm und auf die nämliche Art übergesetzt wurde.

Diego Alvarez hatte indessen schon von Porfeirio Diaz' Ankunft gehört und eilte ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

Es war eine kleine, gedrungene Gestalt, Mestize, mit einem ziemlich nichtssagenden Gesicht und niederer Stirn, kurzen glatten Haaren und einem flachen schwarzen Schnurrbart, aber mit gutmütigen Zügen, und der Willkomm des in der Tat befreundeten Generals war ein herzlicher.

»Caramba! Don Porfeirio – wie mich das freut, Sie einmal wieder und bei mir begrüßen zu können – also glücklich entkommen? Santisima, sie morden ja jetzt da drüben, was sie unter die Hände kriegen.«

»Don Diego – ich freue mich nicht weniger, Sie hier zu finden,« sagte Diaz, indem er die dargebotene Hand nahm und herzlich schüttelte, »und auch dabei auf freiem, sicherem Boden zu stehen. Hierher kommt kein Feind.«

»Caracho, nein,« lachte Diego, das haben wir ihnen versalzen; aber wurden Sie verfolgt?«

»Gehetzt haben sie mich bis über die Berge hinaus,« lächelte Diaz, »und einmal wäre ich ihnen beinahe wieder in die Hände gefallen. Französische Gendarmen hatten den Platz schon umzingelt, in dem ich versteckt war, und ich bin ziemlich fest überzeugt, daß sie mit dem Befehl hinter mir hergeschickt waren, mich ohne weiteres niederzuschießen, wo sie mich fänden.«

»Und wo war das?«

»Zwischen den beiden Vulkanen; aber der alte Popocatepetl hat mich gerettet und schickte da plötzlich, und fast aus heiterem Himmel, ein so furchtbares Unwetter nieder, wie ich es selber in jenen Bergen noch nicht erlebt. Ein Blitz folgte dem anderen, einer immer greller und zischender dabei wie der andere, der Donner rollte nicht mehr, sondern schmetterte mit Kanonenschlägen drein; die Erde bebte so heftig, daß in der steilen Schlucht, in der ich lag, schon Steine anfingen abzubröckeln und loszurollen, und eine Sturzflut wusch vom Himmel nieder, daß sie sich, kaum eine Viertelstunde später, in reißenden Bergströmen zu Tal wälzte. Mir aber war es zum Heil – die Pferde der Gendarmen hielten diesen furchtbaren Donnerschlägen, die ununterbrochen einander folgten, nicht stand – das Rollen des Erdbebens mochte sie dabei ebenfalls scheu gemacht haben. Die Reiter mußten absitzen und die Tiere am Zügel nehmen, und fast unter den Hufen der stampfenden Pferde fort, mit Lebensgefahr an einer steilen und jetzt durch innere Gewalten erschütterten Schlucht hin, kroch ich, bis ich das lehmige, sprudelnde Wasser erreichen konnte, sank hinein und entging so ungesehen der Gefahr.«

»Ave Maria,« sagte kopfschüttelnd Don Diego, »daß diese Bestien unsere besten Männer im Land auf solche Art umherhetzen dürfen. Aber hier seid Ihr sicher, Don Porfeirio, und könnt Euch von Euren Mühen und Gefahren ausruhen.«

»Keine Ruh' für mich,« sagte Porfeirio Diaz kopfschüttelnd, »so lange noch fremde Hände die Zügel unserer Regierung halten. Habt Ihr Nachrichten hier vom Norden? Wie steht es mit Juarez?«

»Schlecht,« sagte Diego Alvarez, den Kopf schüttelnd, »ich glaube gar nicht, daß er noch auf mexikanischem Boden lebt – wenn so, jedenfalls nur als Flüchtling und gehetzt wie Ihr. Weshalb ist er nicht auch nach Guerrero gekommen?«

»Aus dem einfachen Grund, weil er dort oben Amerikaner für unsere Sache zu werben hofft,« sagte Diaz. »Wie ich schon in Puebla hörte, sprechen sich die Nordamerikaner immer entschiedener gegen das Kaiserreich aus. Die französischen Offiziere unterhielten sich mehr als einmal ganz unbefangen selbst in meiner Gegenwart davon, daß sie bald ihr »schönes Frankreich« wiedersehen würden.«

»Und auf welche Partei stützt sich Maximilian jetzt besonders?«

»Eigentlich auf gar keine,« lachte Diaz. »Die Klerikalen wühlen und bohren gegen ihn; die Konservativen sind entrüstet, daß der Kaiser nur mit liberalen Ministern regiert und Gesetze erlassen hat, die selbst Juarez nicht freisinniger hätte geben können, und gegen die sie sich die langen Jahre immer mit Erfolg gesträubt – zum Beispiel die Befreiung der Indianer von ihrem Schuldzwang, freie Schulen und so weiter, und die Liberalen, die um ihn sind, fangen sich ebenfalls an unbehaglich zu fühlen, denn mit den Finanzen steht es erbärmlich, und sie sehen einen Staatsbankerott vor Augen.«

» Si – Si – Si!« nickte Diego lachend, »ich habe es immer gesagt, daß ich viel lieber Gouverneur von Guerrero als Präsident oder Kaiser von ganz Mexiko sein möchte. Aber was schafft Ihr dort über den Fluß herüber? Doch keine Munition? Die haben wir mehr, als wir verbrauchen können.«

»Nein,« sagte Diaz, aber ich dachte mir, daß Ihr hier knapp an Proviant würdet, und habe an Mais mitgebracht, was ich unterwegs auftreiben konnte. Die Maultiere müssen übrigens zurückgeschickt werden, und der Bursche, der das übernimmt, bleibt gleich mit ihnen am anderen Ufer.«

» Bueno, Bueno!« rief Diego Alvarez, sich vergnügt die Hände reibend, »unsere Proviantsendung von Providencia ist ausgeblieben, und wir haben schon seit zwei Tagen keine Tortillas gehabt. Der Mais kommt wie gerufen, und nun haben wir wieder auf lange Zeit zu leben.«

»Ist Proviant hier schwer zu bekommen?«

»Nicht leicht, – weiter nach Osten zu ist es besser.«

»Dann halte ich mich hier auch nicht auf,« sagte General Diaz, »lange genug habe ich müßig liegen müssen und sehne mich danach, wieder an der Spitze eines Heeres zu stehen.«

»So wollt Ihr wieder vorbrechen und den Krieg erneuern?«

»Sobald ich höre, daß Juarez wieder im Norden eine Macht zusammen hat, werfe ich mich nach Oajaca hinein. Dort strömt mir alles zu, und wir dürfen den Feinden keine Ruhe lassen. Sie müssen gehetzt und beunruhigt werden auf allen Seiten, müssen einsehen lernen, daß sie auf diesem Boden keinen Frieden finden, und dann wollen wir doch einmal sehen, wer es länger aushält, wir, die wir hier von Tortillas und Wildfleisch leben, und in Hitze und Nässe ausdauern können ohne zu ermüden, oder der Feind, der Millionen nach Millionen herüberschicken muß, um nur seine Leute zu erhalten, und die Gefallenen oder Gefangenen ebenfalls nur mit ungeheuren Kosten und neuen Menschensendungen ersetzen kann. Uns kostet die Erhaltung eines einzelnen Soldaten nicht so viel Clacos wie ihn Pesos, und unsere Berge und Schluchten arbeiten für uns mit. Seid bereit, Don Diego, und wenn der Tanz wieder im Norden und Süden zugleich losgeht, dann brecht Ihr von Westen aus mit Euren Pintos vor, und Ihr werdet sehen, wie wir sie hinein ins Meer treiben, woher sie gekommen sind. Mexiko muß frei werden, oder – sie mögen uns ebenfalls totschlagen, wie sie so viele Tausende unserer Brüder totgeschlagen haben.«

»Aber eine Weile haltet Ihr Euch doch bei uns auf?«

»Ein paar Tage, ja, um zu rasten, denn ich bin wirklich wandermüde, aber dann wieder fort an die Arbeit.«

Die Leute unten am Fluß hatten indessen nicht gesäumt, um die verschiedenen Ladungen herüberzuschaffen, aber es ging trotzdem sehr langsam, denn zu ganz Mescal gehörte nur das eine Floß und das konnte nicht mehr als eine Maultierladung auf einmal herüberschaffen, wenn es nicht seine Fracht der Gefahr des Durchnässens aussetzen wollte. Der Fährmann selber wurde aber dabei müde, denn so hatte er sich in langer Zeit nicht angestrengt, und der Fluß, mit sehr starker Strömung, war auch wahrlich gar nicht so schmal, um das unausgesetzte Hinüber- und Zurückschwimmen, noch dazu mit dem beladenen Floß, zu einer leichten Arbeit zu machen. Bis spät in die Nacht hinein dauerte deshalb der Transport, aber reges Leben herrschte indessen in der kleinen Stadt, wo die Ankunft von einer Sendung Mais natürlich Jubel verbreitet hatte.

Stadt? – Wir machen uns daheim einen anderen Begriff von einer Stadt, und doch galt Mescal dafür im Innern Mexikos, oder beanspruchte wenigstens, seiner Einwohnerzahl nach, den Namen.

Über einen ziemlichen Flächenraum lag es wohl ausgedehnt, denn Grund und Boden hatte keinen Wert, aber nicht ein einziges festes Haus befand sich darin, Lehmwände natürlich ausgenommen, die aber, weder innen noch außen »verputzt«, dem Ganzen einen etwas düsteren Ausdruck gaben.

Jedes Haus stand allein auf einem von Menschen, Hunden, Hühnern und Schweinen vollständig kahl gestampften Platz, auf dem nur einzeln ein paar Schattenbäume angepflanzt waren, und jene wunderlichen Kaktushecken, die den Vorteil vor anderen Umzäunungen haben, daß sie mit jedem Jahr höher und dichter werden – schlossen dabei auch jedes Grundstück einzeln ein. Hoch genug waren die Hecken in der Tat, denn an manchen Orten ragten diese sogenannten Kerzenkaktus, fünf bis acht Zoll im Durchmesser, wie eine Stange von zwölf bis achtzehn, ja zwanzig Fuß hoch empor und bildeten dabei unten, durch die neu auswachsenden und mit scharfen Stacheln bewehrten Schößlinge, eine wirklich undurchdringliche Wand.

Trostlos sah freilich dabei das Innere der Häuser aus, und wenn sich die Eingeborenen so weit zivilisiert hatten, daß sie in einer festen Stadt, und mit ein klein wenig Arbeit, beisammen lebten, so schienen sie doch ihren Mangel an allen Bedürfnissen vollständig beibehalten zu haben; ja sie zeigten sogar weniger Neigung, sich der geringen Bequemlichkeiten zu bedienen, die sie in ihrem Bereich fanden, als selbst die Hunde, die sich zwischen ihnen herumtrieben und mager und hungrig genug aussahen. Diese, wo sie es irgend haben konnten, und wo es ihnen gestattet wurde, suchten wenigstens zum Schlafen gewöhnlich eine der hier und da ausgebreiteten Matten, die Kinder dagegen nie, und wo sie gerade standen, legten sie sich auch, wenn sie ausruhen oder schlafen wollten, auf die blanke Erde und in Schmutz und Staub ruhig nieder.

Diese Matten bildeten dabei das einzige Ameublement der Häuser, wenn man ein da und dort mit einer Kuhhaut überspanntes Gerüst ausnehmen wollte, das vielleicht dem Oberhaupt der Familie zur Schlafstelle diente. Kein Schrank, kein Stuhl fast, ein paar notdürftig zusammengehämmerte Bänke und ein fest im Boden wurzelnder Tisch, das war alles, und der eiserne Topf, in dem sie ihre Speisen, ihre Sopa und ihren Mais zu Tortillas kochten, diente auch gelegentlich den Frauen zum Waschbecken, ohne daß sich irgendwer davor gescheut hätte. Die Leute dort wußten es eben nicht besser und waren es nie im Leben anders gewohnt gewesen.

In der ganzen Stadt gab es auch keine Posada oder ein Wirtshaus noch einen Kaufladen. In früheren ruhigen Zeiten hatte man wohl sogenannte Stände gehabt, wo verschiedene Arten von Lebensmitteln als: Tortillas, Eier, ein paar Bananen oder Orangen ec. zu kaufen gewesen; aber das war jetzt schon lange durch die vielen Soldaten aufgezehrt und nur wenn frische Zufuhr von der Küste her oder aus der dortigen Nachbarschaft kam, eröffnete sich damit wieder ein kleiner Handel. Das einzige, was man jetzt in ganz Mescal zu kaufen bekommen konnte, war die aus der gleichnamigen Agave gebrannte »Agua ardiente«, ebenfalls Mescal genannt – ein scharfer aber nicht unangenehm schmeckender Branntwein. Selbst roher Zucker, an dem es sonst doch wenigstens nicht fehlte, war nicht mehr zu bekommen.

In einem dieser Häuser, wohin Diego Alvarez sein Hauptquartier gelegt, logierte sich Porfeirio Diaz ebenfalls mit ein und schien sich schon ganz an diese Lebensart gewöhnt zu haben. Dicht neben seinem Bettgestell, auf das er seine Serape geworfen, knetete eine Pinto-Indianerin mit den weißen Händen und blauroten Ringen und Kanten darum das Mehl für seine Tortillas, aber sie schmeckten ihm trotzdem. Was hatte er nicht alles die letzten Wochen ertragen und durchgemacht – que importe – sein Körper verlangte Nahrung, und wer ihm die bot, und was ihm geboten wurde, blieb sich völlig gleich.

Alvarez und Diaz besprachen indessen den gegenwärtigen Stand des Landes, nach den dürftigen Berichten allerdings, die doch nur spärlich in diesen entfernten Teil drangen, und doch hatten beide so ganz verschiedene Interessen an der Entwicklung des Dramas, das sich in diesem Augenblick in ihrem Vaterland abspann.

Porfeirio Diaz war einer der wenigen Republikaner in Mexiko, die sich fest davon überzeugt hielten, daß ihr Vaterland nur unter einer selbständigen Regierung glücklich werden könne, und die deshalb alles mit ihrem eigenen Leben in die Schanze schlugen, ohne weiteren Ehrgeiz, als mit Hand anzulegen an das große Werk der Befreiung.

Diego Alvarez war das gerade Gegenteil von General Diaz. Schon Alvarez' Vater hatte man den »Panther von Guerrero« genannt und ihn oft als Muster eines freien Republikaners aufgestellt, und trotzdem blieb er nichts als ein kleiner Tyrann in einem kleinen Kreis – ein herrschsüchtiger Indianer, dessen ganzer Ehrgeiz sich aber nur allein darauf beschränkte, unumschränkter Präsident – unter dem Titel eines Gouverneurs – in seinem eigenen Staat zu bleiben. Er würde mit Freuden seine Zustimmung zu der ganzen Besetzung Mexikos durch die Fremden gegeben haben – vorausgesetzt nur, daß man ihn unbehelligt ließ und nichts in seine Regierung dreinredete, und erst, als er sah, daß das nicht geschah, griff er die Waffen auf und wurde Republikaner.

Der junge Alvarez schien deshalb auch gar keine so besondere Lust zu haben, ein festes Versprechen zu geben, um die von Norden und Süden zusammendrückenden Operationen zu unterstützen. »Wenn jeder Gouverneur seinen eigenen Staat gegen die Feinde hielte,« meinte er dabei, »so wäre es gar nicht möglich, daß diese irgendwo Wurzel fassen könnten,« und Diaz hatte Mühe genug, ihm zu beweisen, daß nicht eben jeder Staat durch seine eigene unbezwingliche Lage gerade so geschützt wäre wie Guerrero.

Alvarez nahm auch Partei für Ortegas Ansprüche auf die Präsidentschaft und wollte nichts davon hören, daß Gonzales Ortega vielleicht der unfähigste Mensch in ganz Mexiko sei, den Staat zu regieren. –

Die Nacht war indessen eingebrochen, und in Mescal hatten sich die Bewohner, an frühe Stunden gewöhnt, schon sämtlich zur Ruhe begeben. Da schlugen plötzlich alle Hunde im Ort an und gleich daraus donnerte wieder der Schuß der alten Muskete das Flußtal entlang – neuen Besuch am anderen Ufer kündend. Ausgeschickte Boten meldeten allerdings bald darauf, daß nur ein einzelner Reiter dort drüben harre und den Fährmann verlange, dieser weigerte sich aber entschieden, hinüberzufahren. – Wenn sie ihm drüben sein Floß wegnahmen, war er's los und niemand zahlte ihm dafür. Wer da auch sei, er mochte entweder herüberschwimmen, oder bis zum anderen Morgen drüben am Ufer bleiben – er rührte sich an diesem Abend nicht mehr von der Stelle.

Dem späten Reiter blieb in der Tat nichts weiter übrig, als dem Rat zu folgen, und sein Pferd voraustreibend, schwamm er denn auch in seinen Kleidern hinüber – die Nacht war warm, was konnte ihm geschehen, und bis morgen früh wurden sie doch wieder trocken.

Aber der Mann brachte wichtige Nachrichten. – Oben den ungeheuren Weg von Mazatlan kam er herunter und meldete nun Alvarez: Die Nordamerikaner hätten am Rio-Grande offen Partei für Juarez ergriffen und schon eine Stadt auf mexikanischer Seite für die Liberalen erobert. Baja California war wieder vom Kaiserreich abgefallen, in Sinaloa und Chihuahua wuchsen neue Guerilla-Banden wie aus dem Boden heraus, und das Gerücht ging, daß Juarez selber an der Spitze eines aus amerikanischen Freiwilligen bestehenden Heeres gegen Süden vorrücke.

»Don Diego,« sagte da Porfeirio Diaz, der den Bericht des Boten mit der größten Spannung angehört, während Alvarez die Neuigkeit ziemlich gleichgültig hinzunehmen schien – »morgen in aller Frühe breche ich nach dem Osten auf.«

» Pero amigo,« rief Diego erstaunt. »Ihr seid kaum angekommen und noch todmüde – was wollt Ihr im Osten?«

»Truppen werben und rüsten und den Kameraden im Norden helfen.«

»Und woher wissen wir, daß das alles auch begründet ist? Caramba, der Weg ist weit, und seit der Zeit, die der Mann gebraucht hat, um hierher zu kommen, kann sich wieder viel geändert haben.«

» Ah si amigo,« rief Porfeirio Diaz – »aber zum Besseren für uns. Wer weiß, ob nicht Juarez schon wieder in Durango steht, und ich sollte hier indes müßig die Zeit verträumen? – No sirve! vamonos! Compannero, mir brennt schon der Boden hier unter den Füßen, und ich wollte, die Nacht wäre erst vorüber.«

»Santa Maria,« lachte Diego, »Ihr seid gar nicht wie ein Mexikaner, und ich glaube wahrhaftig, Ihr habt französisches Blut in Euren Adern. Immer unruhig, immer wie Quecksilber; kein Wunder, daß Euch die Franzosen nicht in Puebla halten konnten. Ihr gleitet einem zwischen den Fingern durch.«

»Haben meine Tiere wohl ordentlich Futter bekommen?«

»Sie sind versorgt – habt keine Angst – aber Ihr wollt doch nicht im Ernst schon morgen früh wieder aufbrechen?«

»Mit der Sonne, amigo, denn jeder Tag, den ich hier versäume, ist verloren.«

»Und wo wollt Ihr Soldaten herkriegen?«

» Quien sabe,« lächelte Porfeirio Diaz – »bis jetzt haben sie mich noch nicht im Stich gelassen. Aber nun zur Ruhe; ein paar Stunden muß ich wenigstens schlafen, denn der Körper verlangt sein Recht.«

Porfeirio Diaz hielt Wort. Einen rastloseren Bandenführer gab es nicht im Heer der mexikanischen Liberalen. Mit Tagesanbruch schon trieb er seine kleine Schar von Leuten zusammen. Zwei Tiere wurden mit Proviant, eins mit Munition bepackt, und noch stand die Sonne keine Stunde hoch am Himmel, als der kleine Zug auch schon einem am Fluß hinaufführenden Pfad folgte, um in der Nachbarprovinz aufs neue die Fackel des Aufruhrs zu erheben und dann mutig gegen den Norden aufzurücken.


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