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Während der Belagerung.

Jubel und Festgelage, Illumination, Feuerwerk, Bälle und indianische Aufzüge in der Hauptstadt.

General Marquez – jetzt vom Kaiser zum lugarteniente (Stellvertreter) in Mexiko ernannt (er verheimlichte den wirklichen Auftrag, in dem er gekommen war), brachte die besten Nachrichten aus Queretaro. Sie wären in allen Gefechten siegreich gewesen, und die liberalen Truppen so demoralisiert, daß sie nach jeder Schlacht mehr Überläufer bekamen, als sie Tote und Verwundete verloren hatten. Die Armee vergrößerte sich dadurch fortwährend, und der Kaiser gedachte in nächster Zeit einen Hauptschlag gegen den Feind zu führen, der der Belagerung dort ein schleuniges Ende machen würde.

Marquez selber aber, anstatt seine vom Kaiser befohlenen Aufträge auszuführen, rüstete sich, um gegen den Puebla bedrohenden Porfeirio Diaz auszuziehen, und freudig folgten ihm dahin jetzt die deutschen Regimenter. Insofern nur kam er dem Auftrag Maximilians nach, daß er den vollkommen untüchtigen, ja auch verräterischen Lares absetzte und Vidaurri die Stellung eines Ministerpräsidenten und Finanzministers übertrug. Ibarran wurde zum Minister des Innern bestimmt.

Wie das jetzt in der Stadt lebte und schwirrte – Marquez brauchte freilich viel Geld zu seinen nächsten Operationen, aber die Reichen gaben es willig, denn sie erhofften nun bald eine bessere, glückliche Zeit, und selbst, daß er die vom Kaiser streng abgeschaffte Leva wieder einführte, und aufgriff, was er an militärfähiger Mannschaft aufgreifen konnte, wurde von den Konservativen vollkommen gebilligt. Sie selber waren ja nicht von der Maßregel betroffen, und zu einem letzten entscheidenden Schlag mußte auch jeder sein Scherflein beitragen, sei es in Geld, sei es mit der eigenen Haut.

Die Geistlichkeit war indessen in Mexiko selber übermütiger denn je geworden, und mit Marquez zur Hilfe, der sich ganz der klerikalen Partei angeschlossen hatte, regierte sie fast allein, beherrschte wenigstens die Familien vollständig.

Marquez selber konnte natürlich nicht die leyes de reforma wieder aufheben, denn er besaß kein weiteres Terrain als die Hauptstadt selber, aber er ließ die Pfaffen wenigstens nach Herzenslust wirtschaften. In keinem Hause, das früher der Geistlichkeit gehört hatte, wurden mehr die Sakramente gereicht oder irgendeine heilige Handlung verrichtet, ja Labastida ging sogar so weit, alle Bewohner desselben, bis zur Dienerschaft hinab, zu exkommunizieren. – Eine Prozession folgte dabei der anderen durch die Straßen; die Glocken wurden fast den ganzen Tag geläutet und riefen ununterbrochen zum Gebet, und die Priester selber traten mit einem Stolz und Hochmut auf, der unerträglich zu werden drohte.

Das alles schwand aber in dem einen Gefühl baldigen Sieges, und mit einer wirklich fabelhaften Zuversicht gaben sich die Bewohner von Mexiko in einer Zeit diesem Glauben hin, wo die kaiserlichen Truppen überhaupt nur noch wenige größere Städte im ganzen Land besetzt hielten, und allerorten und an allen Enden, selbst in der Hauptstadt, von Tag zu Tag enger eingeschlossen wurden. Aber die Hoffnung verläßt uns ja nie, und um so lieber und leichter vertraute man den endlich einmal günstigen Berichten des eingetroffenen Generals, da so lange Zeit verflossen war, in der nur ungünstige Berichte die Hauptstadt in steter, fast ununterbrochener Aufregung gehalten. Außerdem sprachen auch eine Masse Einzelheiten dafür, daß er die Wahrheit rede, denn hätte der Kaiser schon so viel Truppen in Queretaro entbehren können, wenn er sich nicht stark genug fühlte, dem Feind die Spitze zu bieten.

Mit Jubel sah man auch die treffliche Armee – Marquez, den man als einen tüchtigen General kannte, an der Spitze, dem Feind entgegenziehen. Es waren zwei Infanteriebrigaden in der Stärke von 2000 Mann, und unter ihnen das 18. Regiment, befehligt vom Oberstleutnant Hammerstein, mit fast nur Österreichern und Belgiern, wie einem kleinen Teile mexikanischer Soldaten. Die Kavallerie bestand aus der Brigade Quiroga, einer ausgezeichneten Truppe, dem wackeren Khevenhüller Husarenregiment, der vom Oberst Wickenburg befehligten Gendarmerie und einem Regiment berittener Cazadores, dabei mit 18 Geschützen – und wie kehrte sie zurück.

Am 30. März war Marquez mit dem zuverlässigsten Heer, das je in Mexiko vereint gestanden, aus der Hauptstadt ausgerückt, und am 11. April, nachts 10 Uhr, kehrte er auf abgehetzten Tieren, wenige Offiziere zur Begleitung, ein Flüchtling, in die Stadt zurück – eilte in sein Hauptquartier, schloß sich in sein Zimmer ein und verkehrte mit niemandem mehr. Allerdings wurden seine Offiziere, ein paar Mexikaner, mit Fragen bestürmt, was aus dem ganzen Heere geworden, das sie mitgenommen, aber sie konnten keine andere Auskunft geben, als daß es vernichtet sei. – War es doch die einzige Entschuldigung, die sie für sich hatten, denn ließ es sich denken, daß sie selber nur in feiger Flucht entkommen seien und ihre Kameraden, die ganze ihnen anvertraute Truppe im Stiche gelassen haben sollten?

Und trotzdem war es so. Schon am nächsten Tag zogen die wackeren deutschen Truppen in geordnetem Zug, als ob sie von einem Manöver kämen, in die Hauptstadt ein. Sie waren halb verhungert, ja und zum Tode ermattet, ihre Reihen auch gelichtet, aber trotzdem schwenkten die Husaren, ehe sie ihre Kaserne aufsuchten, nach der Plaza ihres Kaisers ein, und als sie in Sicht kamen, donnerte ein lautes Viva el emperador von ihren Lippen.

Und wilde Gerüchte zogen dabei durch die Stadt: Porfeirio Diaz sei im Anzuge – ja schon vor den Toren. Die Läden wurden geschlossen, die Frauen flüchteten in die Häuser, und es dauerte stundenlang, bis man sich überzeugte, daß die Gefahr wohl drohe, aber keineswegs so nahe sei, um sie unmittelbar zu gefährden. – Weiter aber verlangten die Bewohner auch nichts, um sich ganz wieder ihrem gewöhnlichen Zuwarten hinzugeben – und doch hatten sie in der Gefahr geschwebt. Wäre General Diaz nämlich scharf nachgerückt, so fiel die Hauptstadt Mexiko jedenfalls in seine Hände, denn die mexikanischen Truppen zeigten sich in dieser Zeit vollständig demoralisiert. Porfeirio Diaz war aber selber durch die Tapferkeit der deutschen Truppen geschädigt worden und brauchte geraume Zeit, um nur seine Toten zu beerdigen und seine Verwundeten unterzubringen. Dann aber zog er langsam gegen die Hauptstadt vor – Puebla war gefallen, und er konnte nun seine sämtlichen Truppen dazu verwenden, Mexiko selber zu belagern.

In Rodriguez' Hause, der in diesem Augenblick, und besonders seit der letzten Schwenkung Maximilians zugunsten der Konservativen, wieder einmal fest am Kaisertum hielt, hatte sich indessen manches verändert, und besonders war durch den gezwungenerweise lange ausgedehnten Besuch seines Schwagers San Blas viel Leben und Bewegung in das Haus gekommen. Mexikanische Gastfreundschaft kennt aber keine Grenzen, und so oft San Blas auch ganz ernstlich gewillt war, mit seiner Familie in eins der jetzt ziemlich verlassenen Hotels zu ziehen, so oft erklärte Rodriguez, daß San Blas sich von dem Augenblick an nicht weiter als sein Verwandter gerieren solle, denn er würde jede Verbindung mit ihm abbrechen.

Platz genug hatte er im Haus, um noch eine solche Familie aufzunehmen, zu leben gab es auch noch genug, obgleich die Lebensmittel seit der Belagerung schon bedeutend im Preis gestiegen und im allgemeinen oft schwer zu beschaffen waren, was also konnte ihn veranlassen, in ein Hotel zu ziehen? Gar nichts, und wie hätten sich die Familien in Mexiko nachher darüber aufgehalten. Es wäre unerhört gewesen, und er durfte ihm das gar nicht antun.

San Blas wußte dabei, daß er selber unter ähnlichen Verhältnissen auch genau so gehandelt haben würde und weigerte sich denn auch nicht länger, seines Schwagers Gastfreundschaft anzunehmen, der noch außerdem erklärte, daß er Ricarda auf keinen Fall hergeben könne – San Blas möge machen, was er wolle, aber das Mädchen bliebe unter jeder Bedingung im Haus.

San Blas hatte in Mexiko selber einen alten Freund aus früheren Zeiten gefunden, oder vielmehr einen jüngeren, denn er zählte mindestens fünfzehn Jahre weniger als er – den General O'Horan, früheren Präfekten von Tlalpam, jetzigen der Hauptstadt, der sich in letzter Zeit besonders dadurch ausgezeichnet, daß er eine Verschwörung gegen das Leben des Kaisers entdeckte und in energischer, fast zu grausamer Weise dagegen einschritt.

Es gingen allerdings verschiedene Gerüchte um, nach denen die ganze Verschwörung bezweifelt und O'Horan. bezichtigt wurde, daß er eine Anzahl von Leuten habe in aller Geschwindigkeit hängen lassen, weil er von ihnen Aussagen befürchtete, die ihn selber kompromittieren konnten. Wer aber hatte in dieser Zeit der Parteileidenschaften keine Feinde, und da ihm gar nichts bewiesen werden konnte (die Leute waren alle tot), so schwieg auch das Gerücht, da sich außerdem noch O'Horan der Sache des Kaiserreichs treu ergeben zeigte und als ein entschieden ausgesprochener Feind der Liberalen auftrat.

General O'Horan war, was man einen schönen Mexikaner nennt – ein Mann in seinen besten Jahren, mit einem intelligenten Gesicht und scharfen, fast zu unruhigen dunklen Augen, dabei lebendig und ein vortrefflicher Gesellschafter, ohne besondere Bildung wohl, aber mit einer natürlichen Art von Mutterwitz begabt; selbst Rodriguez fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft oder sah ihn doch wenigstens gern in seinem Hause, in dem er bald, wenn auch nicht ein täglicher, doch jedenfalls sehr häufiger Gast wurde.

Seine Vergangenheit konnte man allerdings nicht ganz rein nennen; es wurde ihm manches zur Last gelegt, und mit besonderer Unbefangenheit hatte er schon verschiedene Male, je nach Befinden, die Parteien gewechselt, ja sollte früher sogar ein leidenschaftlicher Liberaler gewesen sein. Aber lieber Gott – wie wenig Menschen in Mexiko hatten überhaupt eine »reine« Vergangenheit, und die Parteien zu wechseln, konnte in einem Lande nicht als Verbrechen gelten, wo das besonders unter den Generalen überhaupt zu den Alltäglichkeiten gehörte.

O'Horan bekleidete übrigens jetzt eine angesehene und bevorzugte Stellung in Mexiko, galt sehr viel bei Marquez und schien sich – wie blieb ziemlich gleichgültig, was ja in Europa ebenso der Fall ist – ein bedeutendes Vermögen erworben zu haben. Er lebte wenigstens auf vornehmem Fuß, hielt sich ein paar prachtvolle Reitpferde und galt überall in der Hauptstadt für einen »Caballero«.

Übrigens konnte es in Rodriguez' Hause nicht lange ein Geheimnis bleiben, daß seine Besuche nicht allein dem befreundeten San Blas, sondern vorzugsweise dessen Tochter Ricarda galten, gegen die er sich äußerst liebenswürdig zeigte, ohne sich selber freilich einer besonderen Auszeichnung rühmen zu können.

San Blas hatte es jedenfalls ebensogut bemerkt, schien aber diese halbe Bewerbung nicht ungern zu sehen. Er mochte den General gern leiden und – hoffte durch ihn eine Ableitung für eine in Ricardas Herzen aufglimmende Leidenschaft – vielleicht jetzt nur noch ein Interesse, das sie, wie ihm nicht entgangen war, an dem jungen belgischen Offizier gewonnen. Die Fremden hatten ihm aber in Mazatlan sein Haus zerschossen und seine besten Pferde aus dem Stall geholt – er konnte ihnen das nicht vergessen, und wenn er sich auch gestehen mußte, daß van Leuwen vollkommen unschuldig dabei gewesen, ja nicht einmal Franzose war, so – sprach er doch französisch und war auf einem französischen Schiff in ihr Land gekommen – sah auch wie ein Franzose aus und – er behielt nun einmal ein Vorurteil gegen ihn.

Übrigens hatten sie sehr lange nichts von van Leuwen gehört, und San Blas gab sich schon der stillen Hoffnung hin, daß er – ebenso wie tausend andere seiner Landsleute, wie überhaupt der Fremden, einfach verschollen wäre. Man erinnerte sich wohl noch seiner dann und wann, aber er wurde doch nicht weiter gesehen und moderte vielleicht in irgendeiner wilden Bergschlucht im Lande drinnen. Die unruhige Zeit in der Hauptstadt nahm auch in diesen Tagen die Aufmerksamkeit fast aller viel zu sehr in Anspruch, und nur Ricarda allein hatte vielleicht des Verlorenen gedacht.

Ein junger Offizier, den linken Arm in der Binde, den Kopf mit einem Tuch umwunden, und dabei bleich und erschöpft, stieg mühsam die Treppe in Rodriguez' Haus hinauf und bat den Diener, ihn bei dem Hausherrn zu melden. Ehe dieser aber imstande war, den Auftrag auszuführen, öffnete sich eine Seitentür, und Ricarda, bleich und erregt, trat heraus und eilte auf ihn zu.

»Sennor,« rief sie aus – »um der heiligen Jungfrau willen, was ist Ihnen geschehen? – Sie sehen totenbleich aus.«

Das war allerdings in dem Moment der Fall gewesen, als er die Treppe erstiegen hatte, jetzt freilich färbten sich seine Wangen wieder ein wenig, als er das junge Mädchen erkannte und ihr mit einem glücklichen Lächeln die Hand entgegenreichte.

»Nichts als ein wenig Blutverlust, Sennorita,« sagte er dabei. – »Sie haben uns draußen tüchtig zusammengehauen und ich – scheine wirklich Unglück in der militärischen Karriere zu haben. Während Hunderte meiner Kameraden aus dem wildesten Melée keine Schramme nach Hause gebracht, bin ich selber fünf verschiedene Male verwundet worden, und kann noch Gott danken, daß ich die Kraft behielt, im Sattel zu bleiben.«

»Dieser unglückselige Krieg – aber wollen Sie nicht eintreten? – Ruhe tut Ihnen not. – Wir hatten schon gehört, daß Sie verwundet wären.«

»Wenn Sie mich nur noch einen Augenblick entschuldigen – mein Bein ist durch das Treppensteigen ein wenig steif geworden.«

»Ich führe Sie« – sagte Ricarda herzlich, indem sie seinen Arm ergriff – »stützen Sie sich nur fest auf mich – ich lasse nicht nach – kommen Sie.«

Van Leuwen wollte sich sträuben, aber es half ihm nichts – es ging auch schon viel besser. Die Wunden waren glücklicherweise sämtlich nicht gefährlich gewesen, und seine gesunde Natur überwand das alles.

»Caramba, Don Guillelmo,« rief ihm aber Rodriguez entgegen, als er ihn in der Tür mit seiner Begleiterin erblickte. – »Sie sind ja über und über eingebunden. Alle Wetter! Ihnen haben sie bös mitgespielt.«

»Ja, Sennor,« nickte der junge Offizier – »ich sagte es auch schon zur Sennorita – ich habe Unglück im Feld, und wenn ich diesmal noch gesund aus Mexiko hinauskomme – was bis jetzt freilich den Anschein nicht so hat, so hänge ich den Soldatenrock und Säbel an den Nagel. Meine Haut ist jetzt schon ziemlich wie ein Sieb.«

Im Zimmer befanden sich noch San Blas, der den jungen Offizier ziemlich kühl grüßte, und General O'Horan, der Präfekt von Mexiko.

»Ich weiß nicht, ob sich die Herren kennen – Capitano van Leuwen und General O'Horan – der Präfekt dieser guten Stadt und ein intimer Freund unseres Hauses – bitte, nehmen Sie aber Platz, Kapitän – Sie sehen wirklich angegriffen aus.«

»Sie hätten noch nicht ausgehen sollen, lieber Kapitän,« sagte auch Sennora Rodriguez, die ihn freundlich grüßte und ihm einen Stuhl hinschob, »daß Ihnen auch das Ihr Arzt erlaubt hat!«

»Ich bin vollkommen wohl, Sennora,« lächelte der junge Offizier – »nur zu Fuß will das Bein nicht recht mit fort, und könnte ich die benachbarten Schwefelquellen besuchen, so wäre ich in acht Tagen wieder vollständig hergestellt, aber die Liberalen scheinen die Kur nicht für nötig zu halten, denn sie lassen niemanden hinaus – die Stadt ist ja eng eingeschlossen.«

»Und halb ausgehungert dazu,« setzte Ricarda hinzu.

»Nun,« sagte van Leuwen bitter – »wenn wir noch ein paar solche Züge mit General Marquez an der Spitze unternehmen, so werden Sie wenigstens uns Soldaten los, denn der General hat eine ausgezeichnete Geschicklichkeit entwickelt, eine Armee zu ruinieren.«

»General Marquez ist ein ausgezeichneter Feldherr,« erwiderte O'Horan, dem nicht entgangen war, daß Ricardas Blicke länger auf der Gestalt des jungen Offiziers verweilten, als ihm angenehm sein mochte – mit einiger Schärfe.

»Das mag sein,« nickte van Leuwen düster vor sich hin, »ausgezeichnet hat er wenigstens manöveriert, um die fremden Truppen aufzureiben. – Er ist entweder ein Schuft oder eine Memme

»Sennor,« rief der Präfekt, von seinem Stuhle emporfahrend, »wie können Sie es wagen, in solcher Art von dem Höchstkommandierenden, dem Lugarteniente des Kaisers, zu reden?«

»Das ist die allgemeine Stimme über ihn in allen deutschen Regimentern,« sagte van Leuwen gleichgültig, »und bannte uns nicht unser dem Kaiser gegebenes Wort nach Mexiko, die Stadt zu halten, wir marschierten heute noch mit klingendem Spiele hinaus und ließen Ihren Lugarteniente sehen, wie er allein fertig würde.«

»Das ist Rebellion!«

»Nennen Sie's, wie Sie wollen,« sagte van Leuwen verächtlich – »es war Verrat, wie uns Marquez behandelt hat.

»Er mußte in die Stadt zurück, um diese gegen den Feind zu behaupten.«

»Und war allerdings in großer Eile das zu bewerkstelligen,« lachte van Leuwen. – »Außerdem aber,« setzte er finster hinzu, »geht ein Gerücht in der Stadt, daß er noch ein anderes faules Spiel treibe, denn General Arellano aus Queretaro ist vor einiger Zeit in diesen Mauern gesehen worden und seit der Zeit verschwunden. Was für Nachrichten hat er gebracht? – Kein Mensch erfährt es, und ich fürchte fast, unser General spielt ein gefährliches Spiel mit seiner eigenen Armee.«

»Es ist unerhört,« rief O'Horan empört aus, »daß ein unterer Offizier solche furchtbare Anschuldigungen gegen seinen Vorgesetzten in die Welt streuen darf. Herr! wissen Sie, daß Sie Kerkerstrafe für dieses Vergehen verdient haben?«

»Herr Präfekt,« sagte van Leuwen verächtlich, »ich bin jetzt nicht im Dienst, und wir Deutschen haben nun einmal unsere eigene und sehr bestimmte Meinung über diesen Herrn General gefaßt, den seine Landsleute selber nicht anders nennen, als den Schlächter von Tacubaya.«

»Sennores,« sagte O'Horan jetzt ernstlich aufstehend, »Sie müssen mich entschuldigen, wenn ich solchen Reden gegenüber es nicht mit meiner Pflicht vereinbaren kann, länger in dieser Gesellschaft zu bleiben! Möglich auch, daß Sie beide mir später einmal die Verleumdungen dieses jungen unüberlegten Mannes bezeugen müssen. Auf dem Statthalter Seiner Majestät darf kein solcher Makel haften, und herrscht wirklich ein solch rebellischer Geist in dem ganzen Fremdenkorps, so ist es die höchste Zeit, daß dagegen energisch eingeschritten wird.«

»Aber bester O'Horan,« rief Rodriguez, »Sie dürfen, was junges, hitziges Blut sagt und vorsprudelt, nicht so ernst auffassen. Die Leute sind in dem letzten Treffen arg mitgenommen, und haben sich wirklich brav gehalten.«

»Sie haben nur ihre Pflicht getan,« sagte O'Horan giftig.

»Und das ist mehr, als der Lugarteniente von sich sagen kann,« bemerkte van Leuwen trocken.

»Genug und übergenug – hasta luego, Sennores – Sennoritas; ich lege mich Ihnen zu Füßen,« und damit verließ er hastig und zum äußersten gereizt den Saal.

Rodriguez schüttelte, als er die Tür hinter sich ins Schloß gedrückt, den Kopf. Er sah Ricardas angstvollen Blick auf van Leuwen geheftet und sagte:

»Mein lieber van Leuwen, ich fürchte. Sie haben sich einen hier in der Stadt sehr einflußreichen und mächtigen Mann höchst unnötigerweise zum Feind gemacht, und sich selber bei der Sache in Gefahr gebracht. O'Horan geht jedenfalls direkt zu Marquez, und dieser – ist zu allem fähig.«

»Nur dazu nicht, mit unseren Regimentern anzubinden,« sagte van Leuwen trotzig; »die Erbitterung gegen ihn ist furchtbar, und nur die Liebe zu unserem Kaiser und das ihm gegebene Wort hat uns bis jetzt abgehalten, direkt trotz allen Befehlen dieses Schlächters von Tacubaya hinauf nach Queretaro zu marschieren und selber zu sehen, wie es dorten steht.«

»Sie erwähnten vorher,« sagte San Blas, der indessen kein einziges Wort gesprochen, wohl aber O'Horan wie van Leuwen scharf beobachtet hatte, »des Generals Arellano. Wer will ihn gesehen haben?«

»Mexikanische Offiziere, Sennor, die ihn genau kennen. – Er ist bemerkt worden, wie er abends spät in den Konvent Santiago trat; selbst die wachthabenden Soldaten, die früher unter ihm gedient, haben ihn erkannt, aber von dem Augenblick an blieb er spurlos verschwunden, und wir fürchten jetzt mit Recht, daß er böse Nachrichten oder doch Befehle gebracht, die uns selbst betreffen, ohne daß sich General Marquez bemüßigt sähe, sie bekannt zu machen.«

»Aber was könnte er dabei haben?«

» Quien sabe,« – aber glauben Sie mir, Sennor, wir haben volle Ursache, den Mexikanern, wenn es auch Ihre Landsleute sind, nicht mehr zu trauen, denn wir wissen gut genug, daß sie uns hassen und jetzt nur noch unsere Zahl und Macht fürchten. Nicht unbegründet ist der Verdacht, daß uns Marquez absichtlich im Stich gelassen. Wer weiß denn, welchem von seinen Plänen wir im Wege stehen, und was diesen Freund von ihm, den Präfekten von Mexiko, betrifft, so zirkulieren über ihn ebenfalls absonderliche Gerüchte.«

»Welcher Art?« fragte San Blas rasch.

»Zuerst wird bestimmt behauptet, daß jene ganze Verschwörung in Tlalpam damals, wobei es auf eine Ermordung des Kaisers sollte abgesehen sein, gar nicht existiert hat. Zwölf Personen sind allerdings auf O'Horans Befehl aufgehängt worden –«

»Aber lieber Freund, das ist ein altes Märchen.«

»Aber der Dreizehnte nicht,« fuhr van Leuwen fort, »der ebenfalls um die Sache wußte und nach dessen Aussage jetzt O'Horan selber der Vierzehnte gewesen sein sollte. Es handelte sich auch gar nicht um die Ermordung, sondern nur um die Gefangennehmung des Kaisers, die aber verraten wurde, und damit seine Vertrauten ihn nicht – was sie jedenfalls getan hätten, verrieten, ließ er sie einfach hängen.«

»Und wer ist dieser Dreizehnte?«

»Ein junger Liberaler, der glücklich zu Juarez entkommen ist und gegen Gefangene selber die Aussage gemacht hat. Kommen die Liberalen je nach Mexiko herein, so ist O'Horan der erste, der erschossen wird, darauf können Sie sich verlassen.«

»Weil er treu am Kaiser gehangen?«

»Nein, weil er zwölf Liberale gehangen, die ihm gefährlich zu werden drohten.«

»Und der Rache eines solchen Mannes haben Sie sich ausgesetzt?« sagte Ricarda besorgt.

»Haben Sie keine Angst, Sennorita,« lächelte aber van Leuwen, »gerade solche Burschen sind feig, und er wird es nicht wagen, irgend etwas gegen einen von uns Fremden zu unternehmen – selbst Marquez nicht.«

»Marquez ist zu allem fähig,« sagte Rodriguez, »er brandschatzt jetzt die Stadt, und uns sind hier wenigstens bedeutende Kontributionen auferlegt, aber ebenso den Fremden – alle Läden der Groß- und Kleinhändler stehen ja geschlossen, und kein Mensch ist mehr seines Eigentums sicher.«

Ein dumpfes Murmeln und Geschrei tönte von der Straße herauf, und als Ricarda an ein Fenster eilte, sah sie eine Menschenmenge, die sich schräg gegenüber gegen ein Haus warf, die Läden aufbrach und die Tür einschlug. Es war das der Laden eines der Franzosen, der Lebensmittel und Getränke, besonders Delikatessen, feinere Weine und Liköre hielt, und wenige Minuten später stürmte schon die Masse in das Haus hinein, und kam bald mit Beute beladen wieder heraus. – Es war der Beginn einer Reihe solcher Verzweiflungsakte, deren sich das halb ausgehungerte Volk, die Leperos und ähnliches Gesindel mit voller Lust und vom Präfekten unbelästigt hingaben.

Van Leuwen war ebenfalls an das Fenster zu Ricarda getreten. – »Da fängt es an,« sagte er, »und wir werden Mühe haben, einen Aufruhr zu dämpfen. Das Volk verlangt schon seit gestern die Übergabe der Stadt an Porfeirio Diaz, aber Marquez weigert sich auf das bestimmteste und darf sich darin auch auf uns Fremde verlassen.«

»Sie wollen wieder fort?«

»Ich muß. – Ich will in meine Kaserne gehen. Man kann nicht wissen, was für Befehle gegeben werden.«

»Aber Sie können doch keinen Dienst tun?«

»Wenn es sein muß, gewiß – zu Pferd, und mit dem rechten Arm gesund, geht es vortrefflich – der linke ist nicht so weit verletzt, daß ich nicht mit der linken Hand die Zügel halten könnte.«

»Sie werden sich töten,« hauchte Ricarda.

»Und würden Sie um mich trauern, Sennorita?«

Ricarda antwortete ihm nicht, aber ihr Blick traf ihn, und mit freudig blitzenden Augen rief er aus: – »Jetzt ist alles gut, Ricarda, und recht von Herzen danke ich Ihnen dafür!«

»Für was, Sennor?« sagte San Blas, der hinübergetreten war und seiner Tochter Arm ergriff.

»Für ein freundliches Wort, Sennor,« sagte der junge Mann bewegt, »und glauben Sie mir, sie sind uns spärlich genug in der letzten Zeit zugeteilt worden. Für wen vergießen wir unser Blut? Für unseren Kaiser, dessen ganzes und einziges Streben es ist, Mexiko glücklich zu machen, und wie wird ihm, wird uns dafür gedankt? Nur mißtrauisch betrachtet man überall die Fremden, als ob wir gerade als Eroberer in das Land gekommen wären. Glauben Sie mir – wenn wir Mexiko einmal wieder verlassen, werden nur wenige an das Land mit Liebe und Dankbarkeit zurückdenken.« –

Über das Pflaster der Straße klapperten die scharfen Hufschläge einer Reiterpatrouille – es waren Khevenhüller-Husaren, die im scharfen Trab die Calle San Francisco herabkamen und im Nu den Pöbelhaufen zusammentrieben. Der ganze in Angriff genommene Laden war freilich schon so ziemlich ausgeraubt, aber sie verhüteten doch weitere Exzesse, und ließen dann einen Teil ihrer Patrouille dort zurück, während der Rest weiter ritt, um die benachbarten Straßen abzufegen.

Van Leuwen hatte sich der Familie empfohlen und stieg langsam die Treppe hinunter – sein, durch einen Streifschuß verwundetes Bein hinderte ihn besonders auf der Treppe. Die Straße lag wie verödet, denn die Leperos hatten sich vor der drohenden Soldatengruppe scheu nach anderen Stadtteilen zurückgezogen. Weit war er aber noch nicht auf seinem Weg zur Kaserne gegangen, als er den Präfekten O'Horan bemerkte, der mit vier Mann zur Begleitung ihm entgegenkam und ihn rasch, schon an der Uniform und dem in der Binde getragenen Arm erkennen mußte. Quer über die Straße schritt er auch direkt auf ihn zu, und ihn mit einem triumphierend lächelnden Blick betrachtend, sagte er:

»Sennor Capitano – Sie werden sich wohl noch der Worte erinnern, die Sie vor kaum einer halben Stunde äußerten – Sie sind mein Gefangener.«

»In wessen Namen?« rief van Leuwen heftig aus, und seine rechte Hand fuhr rasch und zornig nach dem Korb seines Säbels – im Nu fielen ihm aber die Häscher in den Arm, und der Präfekt rief höhnisch:

»Wenn es Sie zu wissen interessiert, Sennor – im Namen des Kaisers.«

»Das ist eine niederträchtige, infame Lüge!« schrie der Offizier, indem er gewaltsam seinen rechten Arm – wenn auch vergebens, frei zu bekommen suchte – »Schuft, verdammter, dafür sollst du mir büßen!«

Aber sein Sträuben half ihm nichts, die Burschen hatten den überdies wundenschwachen Mann zu fest und sicher gepackt, und wenn sich auch die wenigen Menschen, die sich auf der Straße befanden, wunderten, was die Polizei mit einem Offizier der deutschen Husaren zu tun haben könne, so dachte doch niemand daran, sich hineinzumischen. Es war nun einmal eine wilde, tolle Zeit in der Stadt, Aufruhr an allen Ecken und Enden, und wohin man den Blick wandte, Verrat oder Mißtrauen – wer wußte denn, oder kümmerte sich auch nur darum, was der da verbrochen hatte, und was man von ihm wollte.

Da klapperten hinter ihnen die Hufe einer herankommenden Husarenpatrouille, und General O'Horan, gerade mit keinem besonders guten Gewissen und den Husaren auch nicht recht trauend, wollte mit seinem Gefangenen rasch in das nächste Haus treten – aber die Haustür war verschlossen. Er pochte heftig an, doch niemand öffnete ihm – die Leute wollten mit den Vorgängen auf der Straße nichts zu tun haben und dachten gar nicht daran, sie zu sich herein und in das Innere des Hauses zu lassen.

Die Husaren waren indessen auch schon zu nahe in einem scharfen Trabe herangekommen, denn sie hatten die rote Uniform eines der Ihrigen erkannt, den sie zu ihrem Erstaunen in den Händen der Zivilbehörde sahen. Über die Gewalttätigkeit der Handlung ließ ihnen aber der Gefangene selber schon keinen Zweifel. Ihm war die herantrabende Patrouille ebenfalls nicht entgangen, und wie er sie nur in Rufes Nähe wußte, schrie er ihnen auch schon sein: »Zu Hilfe, Kameraden!« entgegen.

Rittmeister Schindler von den Khevenhüllern kommandierte den kleinen Zug, war aber, sein Pferd schon scharf im Zügel und den blanken Säbel überdies in der Faust, mit wenigen Sätzen bei der Gruppe, die den jungen Offizier noch immer gefaßt hielt, und fragte hier mit seinem sehr gebrochenen Spanisch, was das bedeuten sollte.

»Schindler,« rief ihm van Leuwen in deutscher Sprache zu, »tun Sie mir einmal den Gefallen und hauen Sie dem Schuft, dem Präfekten, eins mit der flachen Klinge um die Ohren, das verstehen die Kanaillen am allerschnellsten.« Schindler aber, der den Präfekten ebenfalls erkannte, war doch zu vorsichtig, um den bescheidenen Wunsch gleich so ohne weiteres zu erfüllen. – O'Horan selber antwortete auch sofort:

»Der Herr hier ist mein Gefangener, im Namen des General Marquez, des Stellvertreters des Kaisers. Er hat verräterische Reden geführt.«

»Caracho!« rief der Rittmeister, der die spanische Sprache besser verstand, als er sich darin auszudrücken wußte – »weiter nichts, und da werft ihr euch zu fünfen auf einen verwundeten Offizier? Laßt ihn los, Carachos, oder ich haue euch mit der Plempe über die Schädel, daß euch die Haare vom Kopfe herunterfliegen.«

»Sennor!« rief O'Horan fast außer sich vor Wut. »Ich bin Präfekt in Mexiko, und wenn Sie sich unterstehen, in meine Rechte einzugreifen ...«

Van Leuwen indessen hatte kaum seinen rechten Arm freibekommen, als er auch den Säbel aus der Scheide riß.

»Hund von einem feigen, nichtswürdigen Mexikaner,« schrie er den erschrocken zurückweichenden Präfekten an, »öffne den verräterischen Mund noch zu einem einzigen Worte, und ich stoße dir den Säbelkorb in die Zähne – fort oder beim Himmel ich vergesse, daß du an den Galgen gehörst, und gebe dir einen ehrlichen Soldatentod.«

»Wenn ihr was von uns wollt,« sagte aber auch der Rittmeister finster, »so meldet euch beim Grafen Khevenhüller und beklagt euch bei dem. Das wäre noch schöner, wenn wir uns auch noch sollten von der Polizei in den Straßen abfangen lassen. Wir müssen so schon eure Dienste tun. – Geht und treibt euer eigenes Gesindel auseinander, da habt ihr genug Arbeit. – Herr van Leuwen, nehmen Sie ein Pferd von einem meiner Leute. – Sie sind noch so schwach auf den Beinen.«

O'Horan, der dem jungen hitzköpfigen Belgier nicht recht traute, war ein paar Schritte zurückgetreten. Jetzt rief er dem Rittmeister zu:

» Sie haben mir über diese Mißhandlung der öffentlichen Gewalt Rechenschaft zu geben!«

Die Offiziere kümmerten sich aber gar nicht um ihn, die Husaren lachten, und der kleine Zug verfolgte jetzt langsam seinen Weg nach der Kaserne zu. Von einzelnen Balkonen aus aber, auf welche hier und da Damen herausgetreten waren, winkten sie den Husaren, die sich erst wieder vor ganz kurzer Zeit so besonders ausgezeichnet hatten, mit ihren Tüchern zu, und Rittmeister Schindler dankte auf das huldvollste mit seinem Säbel.

Die nächsten Tage verliefen, außer einigen Brotkrawallen, zu denen das arme Volk durch Hunger getrieben wurde, und bei welchem sich hier und da die Polizei selber beteiligte, ziemlich ruhig. Einzelne Gebäude wurden erbrochen, sogar das große Theater, von dem es hieß, daß Maisvorräte darin aufgestapelt seien, obgleich man freilich nur sehr wenig fand.

Aber mehr noch fast als leibliche Not, die jetzt unter allen Schichten der Bevölkerung fühlbar wurde, quälte die Einwohner von Mexiko die Ungewißheit über alles, was außerhalb vorging und nur in dumpfen, beunruhigenden Gerüchten nach innen seine Bahn fand. – Woher die Nachrichten kamen, man wußte es nicht – es war, als ob sie in der Luft lägen; aber bald flüsterte man sich von Mund zu Mund zu – Queretaro sei genommen und der Kaiser gefangen. – Andere wieder hatten »von irgendwem« gehört, daß Santa Anna in Vera-Cruz gelandet sei und dann ein neuer Bürgerkrieg vor der Tür stand.

Andere Gerüchte durchliefen aber auch wieder die Stadt, die gerade das Gegenteil behaupteten. Nach diesen sollte der Kaiser Escobedos Armee vollständig geschlagen haben und im Anrücken auf die Hauptstadt sein – woher sie kamen? – Wer wußte es, wer kümmerte sich darum – man glaubt ja so gern, was man wünscht.

Wieder hieß es: das von den Liberalen genommene Puebla habe sich für das Kaiserreich erklärt und die Besatzung vertrieben; dann: die Hälfte des Belagerungsheeres sei abgegangen, um den von Osten und Norden anrückenden Feind zu bekämpfen und sich mit den geschlagenen Truppen zu vereinigen, kurz, es war ein Gewirre von unverfolgbaren Gerüchten, von denen sich bis jetzt noch keins auf irgendeine tatsächliche Weise bestätigte, daß es die Bewohner der eingeschlossenen Hauptstadt fast zur Verzweiflung trieb.

Dabei wurde Mexiko aber immer schärfer beschossen und enger eingeschlossen, und fast zu jeder Stunde am Tag flogen die Kugeln in die Stadt hinein und verwundeten und töteten einzelne – aber man hatte sich so daran gewöhnt, daß man die Gefahr zuletzt fast gar nicht mehr achtete und viel begieriger geworden war, neues draußen und aus erster Hand zu hören, als seine Glieder sicher hinter festen Mauern zu wissen.

Die Alameda, der eigentliche Spaziergang der Mexikaner, war allerdings in den ersten Tagen der Belagerung, besonders da auch dort einige Kugeln einschlugen, völlig verödet gelassen, und kein Mensch wagte sich dort hinaus – jetzt schwärmte es wieder in den Abendstunden von Besuchern, und selbst Damen scheuten sich nicht, oft unter schwirrenden Kugeln hin, unter den schattigen Bäumen derselben ihre Promenade zu machen, um da und dort Bekannte zu treffen, die ihnen doch vielleicht etwas Bestimmtes mitteilen konnten.

Dahinein brachte der »Dario del Imperio« eine Nachricht, die allen wieder neuen Mut gab: »Glaubwürdige Personen,« hieß es, »welche von Maravatio abgingen, versichern, daß am 13. Escobedo einen allgemeinen und heftigen Sturm auf Queretaro unternommen, von den Kaiserlichen aber total zurückgeschlagen worden sei und 400 Mann verloren habe. Escobedos Truppen seien nicht mehr zum Stehen zu bringen gewesen und desertierten in Masse.«

Man glaubte es die ersten Stunden und zweifelte dann wieder daran.

Danach erschien ein kaiserliches Handbillett in demselben offiziellen Blatte, welches ankündigte, daß sich Seine Majestät schon auf dem Wege nach Mexiko befinde, der große Train aber, wie die den Kolonnen massenhaft angeschlossenen Familien von Queretaro die Ankunft verzögerten.

Es war kaum möglich, an diesem Gerücht zu zweifeln, aber trotzdem stiegen wieder Zweifel auf, denn Kaufleute aus Mexiko, welche direkte Briefe erhielten, berichteten an Oberst Kodolich, daß Queretaro am 15. Mai bestimmt gefallen und der Kaiser ein Gefangener der Liberalen sei – aber es waren nur Geschäftsbriefe, auf die sie sich beriefen – keine bestimmte Order, kein Befehl vom Kaiser selber, die Waffen niederzulegen, und die wackeren Österreicher konnten auf solche, wenn auch fast zu glaubhafte Berichte die Stadt nicht übergeben. Noch war eine Möglichkeit vorhanden, daß auch die Kaufleute getäuscht seien, wenn auch die schlimme Nachricht mehr und mehr Glauben in der Hauptstadt fand.

Da plötzlich läuteten eines Tages alle Glocken – Kanonendonner erschallte, so daß die Liberalen draußen glaubten, es sei in der Stadt eine Revolution ausgebrochen, und zu stürmen versuchten. Aber sie wurden in entschiedener Weise zurückgewiesen, denn Jubel herrschte in der ganzen Armee – und weshalb?

General Arellano hatte sich – wie es hieß, der Armee des Kaisers vorausgeschlichen und war verkleidet in die Stadt gekommen. Er brachte die günstigsten Nachrichten. Queretaro mußten die Kaiserlichen allerdings aus Mangel an Lebensmittel räumen. Escobedo aber sei vollständig geschlagen, und siegreich zog das kaiserliche Heer seiner Hauptstadt wieder zu.

An dem Abend war große Illumination in der Stadt, und ein prachtvolles Feuerwerk, sandte die flammenden Raketen dem sternenhellen Himmel zu. Die Belagerungstruppen draußen vor den Wällen zerbrachen sich den Kopf, was da drinnen so Glückliches passiert sein könne, ja hörten sogar mit der Beschießung der Stadt auf, um erst einmal näheres zu erfahren.

Marquez ritt, von seinem Stab begleitet, durch die Stadt, und sein sonngebräuntes finsteres Gesicht, das jetzt noch eine häßliche Schußnarbe entstellte, da er sich erst kürzlich den früher getragenen Vollbart abrasiert, strahlte vor Vergnügen.

Die Mexikaner sind leicht erregt. Obgleich die Leute fast nichts mehr zu essen hatten, wurden doch überall gleich Bälle und Festivitäten arrangiert. Die Indianer hielten Aufzüge in den Straßen, und man gab sich dem vollen Jubel eines baldigen Sieges hin.


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