Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

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Der Klabautermann

Ich werde meinen alten Freund wohl erst bei Dir einführen müssen, lieber Leser aus dem »inneren Lande«, denn oben im Norden, an der Weser und Elbe und Schelde, kennen sie gar wohl den wackern Klabautermann, den Freund der Seeleute – oder fast mehr noch ihrer Schiffe, und den treuen Begleiter auf ihren weiten gefahrvollen Reisen. Aber auf's feste Land kommt er nicht; er hält es nicht aus auf dem trockenen, unbeweglichen Boden, und zwingt ihn die Noth vielleicht einmal irgend auf einer Insel, an der sein eigenes Schiff gescheitert, zu hausen, bis er ein anderes findet, auf dem er wieder Passage nehmen kann, so ist ihm das nichts weniger als angenehm, und er kann sich dann mit den Bewohnern dort nicht im Geringsten vertragen. Ich weiß ein solches Beispiel und es wäre beinahe der Tod des armen Klabautermannes gewesen, wenn Klabautermänner eigentlich überhaupt sterben könnten.

Der Klabautermann also hat in seinen Gewohnheiten einige Aehnlichkeit mit der Katze, indem er sich, wie schon bemerkt, selten oder nie an besondere Menschen anschließt, sondern irgend ein Fahrzeug auswählt und auf diesem bleibt, so lange es gesund und in gutem Zustand ist; – wird es aber leck oder alt, oder steht ihm sonst ein Unheil bevor, was der Klabautermann, vermöge seiner geistigen Fähigkeiten, leicht voraussehen kann, dann verläßt er sein Schiff und sucht sich ein anderes, und es ist für die Schiffer dann auch immer ein sicheres Zeichen für eine unglückliche nächste Reise, wenn ihr alter Hausfreund auszieht und sie allein darin zurückläßt. Der Klabautermann sagt es dann auch gewöhnlich den Ratten, die er besonders unter seinem Schutz hat, weil sie ihm manche lange Nacht im untern Raum Gesellschaft leisten, und die gehen dann auch meistens mit ihm. Fragt einmal einen der alten Matrosen, ob er sich auf einem Fahrzeug einschiffen möchte, das der Klabautermann und die Ratten verlassen haben, – nicht für zwanzig Thaler den Monat – er würde eben so leicht daran denken, in einem Waschtuppen in See zu gehen.

Seiner gewöhnlichen Natur nach ist er unsichtbar, kann sich aber nichtsdestoweniger, wenn ihm das je nützlich oder angenehm erscheinen sollte, wann er will, auf dem Schiffe zeigen und thut das auch gar nicht selten, meistens aber doch nur bei wichtigen Gelegenheiten. Seine Tracht ist natürlich ächt seemännisch: blaue Tuchjacke und weiße weite Zwillighosen, große Seestiefel, die bis unter die Kniee reichen, ein wollenes Hemd, blau oder roth, wie es gerade seinem Geschmack zusagt, und eine rothe wollene Zipfelmütze. (Die rothe wollene Zipfelmütze ist freilich etwas altmodisch, er hat die aber noch aus der guten alten Zeit beibehalten und trennt sich von ihr nur bei höchst feierlichen Gelegenheiten).

Der Klabautermann ist übrigens nicht so groß als die übrigen Menschen, sondern eher von kleiner, aber äußerst untersetzter, kräftiger Statur – er wird selten über dritthalb Fuß hoch, ist aber für seine Größe ungemein breitschultrig und von derbem Gliederbau, mit einem manchmal allerdings etwas sehr dicken Kopf, was in seiner Familie liegen soll – aber doch nie unproportionirt. Er lebt auch keineswegs blos von der Luft allein, wie das Elfen und Sylphiden und andere Mondscheindinger vielleicht thun mögen – fällt ihm nicht ein, nein, er verlangt sogar, wenn er auch nicht gerade in der Kajüte permanent wohnt, denn er haust überall im Schiff, wo es ihm gerade einfällt, daß doch sein Couvert in der Kajüte gedeckt, und Gnade Gott dem Koch, wenn das einmal vergessen sein sollte. Er nimmt dann von diesem nicht etwa Entschuldigungen an, daß es die Schuld der Jungen gewesen sei, Gott bewahre, der Koch muß dafür büßen und er bekommt, ohne daß er die Hand sieht, die sie austheilt, Ohrfeigen links und rechts. Klabautermann verlangt Ordnung.

Der Klabautermann ist außerdem aber nicht allein ein guter Gesellschafter, sondern ein fleißiger, thätiger Gesell, der seine Anwesenheit an Bord nicht etwa heimlich hält, sondern im Raum fortwährend arbeitet und schafft, wenn das Schiff erst unterwegs ist, die Ladung zurecht rückt und schüttelt, wo sie locker geworden ist feststaut, und das Stauholz dabei herüber und hinüberwirft und manchmal wirklich einen Heidenlärm macht. Liegt sein Schiff im Hafen und ist der Capitain vielleicht an Land, um Fracht zu suchen, so können die Leute an Bord auch gerade an diesem Holzherumwerfen wissen, ob er Fracht gefunden hat und sie nun bald wieder in der See gehen; Klabautermann wirtschaftet dann im Raum herum, daß es eine Lust ist, wirft die Scheite aus einer Ecke in die andere, und fängt an, Platz zu machen für die kommende Ladung. Solch' ein Zeichen trügt auch nie, denn Klabautermann hält viel zu viel auf sich und seinen guten Ruf, als daß er falschen Lärm schlagen sollte.

Wird aber Menschenblut auf einem Schiffe vergossen, verläßt Klabautermann das Fahrzeug ebenfalls bei der ersten passenden Gelegenheit, und verhält sich dann, so lange er noch an Bord ist, so still und ruhig, daß die Leute oft schon geglaubt haben, er sei geradeswegs über Bord gesprungen. Das ist aber sicherlich nicht der Fall, Klabautermann gehört keineswegs zu den Sprudelköpfen, die gleich, wenn ihnen einmal irgend etwas in die Quere kommen sollte, über Bord springen; er kann allerdings schwimmen, liebt aber Salzwasser gar nicht so sehr, um selbst muthwillig hineinzusetzen. Nein, er wartet ruhig seine Zeit ab, aber seiner guten und friedlichen Natur ist Blutvergießen zuwider. – Das Schiff ist seiner Meinung nach entehrt, und er mag es deshalb auch weder länger beschützen noch bewohnen – es ist den Geistern der Rache verfallen, und zu denen gehört unser guter, gemüthlicher Klabautermann wahrhaftig nicht.

Geht er aber in einem solchen Fall von Bord, so nimmt er von Niemand Abschied, zeigt sich Niemand und verkehrt überhaupt mit Niemand mehr; nur wer recht aufpaßt, kann vielleicht hören, wenn er seine Kiste aus dem untern Raum heraufschafft, und den Koch läßt er's wissen, daß er für ihn kein Gedeck mehr hinzulegen braucht, denn er drückt ihm den Teller, den dieser ihm hinsetzt, mitten von einander.

Es muß immer eine höchst traurige Sache für die Mannschaft sein, wenn der Klabautermann von Bord geht. Sonderbar und höchst eigenthümlich ist es aber, daß, so sicher man auch von der Existenz eines Klabautermannes überzeugt ist, doch noch nie Jemand von einer Klabauterfrau gehört hat. – Es circuliren darüber allerdings einzelne dunkle Gerüchte, Niemand weiß jedoch etwas Bestimmtes darüber, und wer vielleicht etwas Bestimmtes wirklich wissen sollte, darf es nicht sagen – es geht das gewöhnlich so auch in dem übrigen Theil der Welt. So viel ist sicher, der Klabautermann lebt in unserer jetzigen Zeit – so viel die Seeleute wissen und so lange er bei ihnen an Bord ist – in, was die Engländer nennen: »single blessedness«, und was wir etwa übersetzen könnten: »einfacher Seligkeit«. Was er thut, wenn er auf festem Land ist, weiß er selber wohl am besten, es ist aber gewiß selten, daß er hierin einem armen Sterblichen eine Einsicht erlaubt, denn da er sich je nach Belieben unsichtbar machen kann, wird er Anderen seine geheimen Gänge und Wege eben nicht freiwillig auf die Nase binden.

Der Klabautermann ist solcher Art das einzige, uns Menschenkindern bekannte überirdische Wesen, das einzig und allein als Maskulinum besteht und sich sogar nur äußerst wenig aus dem schönen Geschlecht zu machen scheint. Selbst die Gnomen – kleine knirpsige Dinger, die tief in der Erde Schachten wohnen, haben ihre Weibchen und Schätzchen, mit denen sie zu Zeiten gar lustig tanzen und jubiliren können, ebenso alle anderen Nymphen und Elfen, Nixen – denn es giebt der und die Nixen – Salamander, Sylphen, Undinen etc. etc. gar nicht gerechnet; nur der Klabautermann sitzt still und einsam auf seinem erwählten Schiff und zieht damit allein und freundlos in die weite See hinaus, oft in langen, langen Jahren nicht wieder heimkehrend, und doch immer gutmüthig mit denen, die er einmal in seinen Schutz genommen; nie mürrisch und unzufrieden, nie zänkisch und gehässig, wie man das sonst wohl so häufig bei den alten Junggesellen findet. – Es liegt wirklich etwas Rührendes in dem Charakter des Klabautermannes.

Doch da ich den Leser hier mit einem der Klabautermänner, einem guten, lieben Freunde von mir, näher bekannt machen will, so wird er da wohl auch noch Manches von den näheren Eigenthümlichkeiten dieses kleinen wackern Seegeistes erfahren, und ich will der Erzählung deshalb weiter nicht vorgreifen.

Andere Erzähler würden übrigens unter die Ueberschrift ihrer Skizze »Der Klabautermann« wahrscheinlich auch noch – »eine Volkssage« gesetzt haben – ich habe das aber aus verschiedenen Gründen nicht gethan, und zwar deshalb schon, weil es auch jetzt sehr viele Schiffer giebt, die, wenn sie im Geheimen auch wohl recht gut von seiner Existenz überzeugt sind, öffentlich doch ihren Spaß über ihn haben und sich Wunder etwas einbilden, wenn sie die Freigeister dabei spielen können. Klabautermann ist ein viel zu stilles und bescheidenes Wesen, um große Ansprüche zu machen, aber so etwas kränkt ihn denn doch auch, und geht das mit unserer Cultur so fort, wie in den zwanzig und dreißig Jahren, so möchte ich gar nicht dafür einstehen, daß wir von dem »Letzten der Klabautermänner« zu hören bekämen, was mir recht von Herzen leid thun sollte. Für jetzt leben und wirken sie aber noch, wir können sie noch hören und manchmal, in günstigen Augenblicken, auch sehen, und meine kleine Erzählung vom Klabautermann ist deshalb also nichts weniger als eine Volkssage, sondern eher eine Skizze aus dem Leben eines Klabautermannes.

Wer das nicht glauben will, mag nur irgend einer der alten deutschen Schiffscapitaine fragen, von denen noch einige würdige Exemplare, aber auch nur wenige, existiren, und die werden es ihm gewiß bestätigen.


Jetzt sind es schon lange Jahre her, denn es war am 1. März 1849 – ich bin gern genau mit dem Datum – als ein kleiner Schooner, oder vielmehr eine Galeotte, was sie auch droben einen Brigschooner nennen, von nicht mehr als höchstens sechzig Tonnen, auf der Weser, eine kleine Strecke unterhalb Brake, fertig zum Auslaufen lag und nur noch auf den »Capitain«, wie sich der Führer desselben gern am Lande und stets am Bord nennen ließ, wartete.

Ein paar Worte werden genügen, den Leser mit dem Fahrzeug selber bekannt zu machen, das von außen rauh und ungeleckt genug aussah und eben von einer Reise um Cap Horn oder von einer Walfischfahrt zurückgekehrt zu sein schien, auch von den Seeleuten dort manchmal mißtrauisch, meist aber mit irgend einer spöttischen Bemerkung über sein ganzes Aeußeres betrachtet wurde.

Das Takelwerk sah noch ziemlich neu und gesund aus, und an den Masten ließ sich nicht das Mindeste aussetzen; in der That waren die beiden Masten und Stengen erst ganz kürzlich neu eingesetzt und das kleine Fahrzeug wieder frisch aufgetakelt und kalfatert worden; wie aber die Kalfaterer den Rumpf gelassen hatten – die Nähte voll Pech, an einer Seite halb wieder glatt gekratzt, an der andern noch unberührt – so war er liegen geblieben, und die Segel, die eines starken Regens wegen, der die Nacht gefallen, gelöst herunterhingen, um wieder abzutrocknen, sahen so alt und geflickt aus, einzelne mit Theer beschmiert, andere mit alten viereckigen, runden und vieleckigen Fetzen ausgebessert oder vielmehr besetzt, denn ausbessern konnte man das gar nicht nennen, daß sie die Vermuthung vollkommen rechtfertigten, sie wären von allen möglichen anderen Schiffen – theils zurückgekehrten Südseefahrzeugen, theils Auswandererschiffen, die solches Segeltuch nicht mehr fahren mochten, zusammengekauft und wieder, so gut das eben gehen wollte, zurecht geflickt.

Der Schooner hatte auch in der That schon volle vier Jahre abgetakelt und gewissermaßen als Wrack in Cuxhaven gelegen, und war kürzlich von dem jetzigen Capitain desselben, dem er noch tauglich genug schien, um den Kostenpreis wieder herausschlagen zu können, aufgekauft und reparirt worden. Takelwerk und Masten hatten aber doch mehr gekostet, als Steffen Vechthold – der Name des jetzigen Eigenthümers – erwartet haben mochte, und an Segeln und anderer Einrichtung mußte nun wieder so viel gespart werden, um einigermaßen wenigstens einen Durchschnittspreis herauszubringen. Kein Pinsel voll Farbe war deshalb auch noch auswendig oder inwendig an das Schiff gekommen, und wenn man dem »Steuermann« glauben wollte, so beabsichtigte der Capitain auch keineswegs, einen einzigen Topf voll an den »alten Kasten« zu streichen.

Nur die Kajüte war ein klein wenig hergerichtet worden. Steffen Vechthold hatte sich nicht umsonst so lange in der Welt und allen Welttheilen umhergetrieben, um auch etwas auf seine eigene Bequemlichkeit zu halten. Das kleine Fahrzeug mußte überhaupt früher einmal ein brillant eingerichtetes Schiff gewesen sein; den Spuren nach wenigstens, die sich noch hier und da in den Verzierungen der Kajüte zeigten, war an deren Ausschmückung nicht das Mindeste gespart gewesen. Das Holzwerk im Innern war alles von massivem Mahagoni- und Palissanderholz, die Kuppen aber schwer vergoldet, und die Thürklinken und Schlüssellochverzierungen sollten, wie man munkelte, von reinem massiven Silber gewesen sein.

War das übrigens der Fall, so waren sie auch wirklich gewesen, und Jemand, der mehr davon wußte, hatte sie sich sämmtlich sauber abgeschraubt und mit nach Hause genommen. Die jetzigen, die Steffen erst hier in Brake hatte neu einsetzen lassen, bestanden aus keinem kostbareren Metall als Messing.

So das Schiff. – Die Mannschaft bildeten: der Capitain, Steffen Balthasar Vechthold; sein Steuermann, ein junger Schwede mit hellblonden Haaren und blauen gutmüthigen Augen; der Koch, ein Mulatte, erst kürzlich einem amerikanischen Schiff davongelaufen; ein sogenannter »Kajütenjunge,« hier aber ein alter Bursche von wenigstens achtundvierzig Jahren mit einem mürrischen, grämlichen Gesicht und Pockennarben, – und vier Matrosen. Die Besatzung war allerdings nicht übermäßig stark, aber auch hinreichend für ein so kleines Fahrzeug.

Der kleine Schooner sollte irgendwo an der Elbe gebaut sein, er trug wenigstens noch auf seinem Stern sein altes Abzeichen, eine etwas roh gearbeitete und riesengroße hölzerne Schwalbe mit der Unter- oder vielmehr Umschrift: »Die Elbschwalbe,« war aber nachher in amerikanische Hände übergegangen und Gott weiß zu welchem Handel und Geschäft ge- oder mißbraucht worden, dann aber einmal in Winterszeit, als der frühere Capitain desselben ohne Lootsen in die Elbe einlaufen wollte, auf den Strand gejagt und bald darauf um einen Spottpreis verkauft worden.

Der ganze Handel war privatim und ein wenig geheimnißvoll betrieben worden; der letzte Besitzer schien auch sehr wenig dafür gegeben und nicht im Geringsten die Absicht zu haben, je im Leben das verunglückte Fahrzeug wieder in Stand setzen zu wollen. – Der jetzige Eigentümer glaubte es aber zu seinen Zwecken noch recht gut brauchen zu können, und es sollte nun den Beweis liefern, ob es zu billig oder zu theuer angekauft war.

Die Elbschwalbe hatte nur ungemein wenig Ladung ein; etwas Kaffee und Zucker, einige Fässer Tabak, Cigarren, Kattune, wollene Zeuge und Decken, wie mehrere andere Kleinigkeiten, um nach Norwegen damit hinaufzugehen und seine Fracht gegen Holz, Eisen und Kupfer einzutauschen, und die Ladung war in den letzten Tagen besonders beeilt worden, da der Capitain gern noch wieder vor der Blockade, die am 26. desselben Monats beginnen sollte, in der Weser zurück sein wollte. Das deutsche Reich, wie wir es damals nannten, hatte dem benachbarten Dänen den Krieg angekündigt, und die Fahrzeuge des »deutschen Reiches« durften sich deshalb nicht draußen in offener See erwischen lassen. Es geht das manchmal so in der Welt.

Doch wieder nach Brake zurückzukehren, so war es etwa um drei Uhr, die Fluth oder vielmehr die Ebbe günstig, eine leichte Brise von Südost gerade stark genug, um die Segel ein wenig auszublähen, und der Steuermann schon so ungeduldig, wie nur je ein Steuermann mit voller Ladung, einen Anker auf und Segel gelöst, gewesen ist, oder möglicher Weise sein kann.

Endlich kam Steffen Vechthold aus Grosse's Hotel, wie das Wirthshaus in Brake etwas schmeichelhafter Weise genannt wird, kreuzfidel herausgesprungen, unter jedem Arm hatte er einen andern Bremer Capitain, alle drei mit dicken rothen Köpfen und freudestrahlenden Gesichtern; an der Landung fielen sie sich noch einmal um den Hals, schwuren sich ewige Freundschaft und setzten Vechthold zuletzt in seine kleine Jolle hinein, die schon zwei Stunden dort auf ihn gewartet hatte und ihn jetzt, so schnell ihn eschene Ruder bringen konnten, an Bord seines eigenen Fahrzeuges schaffte.

»Der Alte,« wie er und jeder andere Capitain gewöhnlich an Bord seines eigenen Schiffes genannt wird, war die Fallreepstreppe noch nicht ganz hinauf, als die Raaen schon herumflogen und die Schoten festgezogen wurden – das Tau, was sie noch am Lande festhielt, war gelöst, und während das kleine Boot hinten hängen blieb und nachgezogen wurde, bewegte sich die Elbschwalbe langsam vom Ufer ab und den Strom hinunter. Gegen Abend wehte ein frischer Südost, und vor Dunkelwerden verließ das wackere kleine Schiff, das viel besser segelte, als man es ihm, seinem Aussehen nach, hätte zutrauen sollen, die letzte Wesertonne und befand sich in offener See. Capitain Vechthold, der in seiner Koje lag und schnarchte, daß es eine Lust war, verschmähte es, einen Lootsen an Bord zu nehmen, der Steuermann kannte aber das Fahrwasser eben so gut wie ein solcher, und brachte das Schiff allein hinaus.

Der Steward, wie er an Bord genannt wurde, mußte natürlich ebenfalls seine Wache mitstehen und überhaupt Matrosendienste thun. Er und ein alter Matrose Namens Jahn (der Steward – wie fast sämmtliche Matrosen und Capitaine, die von Bremen aus schiffen – hieß Meier) waren die beiden Aeltesten an Bord und früher schon lange Jahre mitsammen gefahren, es versteht sich daher von selbst, daß sie hier unter lauter fremden Kameraden ebenfalls wieder zusammenhielten, noch dazu, da sie eine Wache mitsammen gingen.

Die Wachen an Bord eines Schiffes sind in die Steuerbord- und Backbordwache eingetheilt. Der Capitain hielt mit dem Steward Meier, der des Unterschiedes wegen Tellermeier genannt wurde, mit dem alten Jahn, der aus Oldenburg stammte, und mit einem Finnen, Clas genannt, die Steuerbordwache.

Auf der Backbordwache waren der Steuermann, zwei Bremer Matrosen, beide mit Namen Meier und des Unterschiedes wegen Pech- und Theermeier gerufen, und der Koch Scipio. Jetzt kennt der Leser die ganze Besatzung und es ist seine eigene Schuld, wenn er sich mit ihnen nicht befreunden kann.

Drei Tage waren sie in See gewesen, das Wetter und der Wind hatten sich ziemlich gut gehalten und der kleine Schooner bis jetzt seinem Namen keine Schande gemacht. So ruppig das kleine Ding aussah, so gut segelte es noch bei und vor dem Wind, und »der Alte« schien darüber auch eine so unmäßige Freude zu haben, daß er aus den Feiertagen gar nicht herauskam und ein Glas nach dem andern, eine Flasche nach der andern zu Ehren seiner wackern Elbschwalbe leerte.

Nur die Art, auf die er dies that, war eigenthümlich. – Er hatte im hintersten Spiegel des Schiffes eine kleine, vollkommen abgeschlossene Kajüte für sich, die der Steuermann auch nicht einmal Mittags zur Observationsberechnung betreten durfte; nur der Steward Tellermeier kam Morgens früh, wenn der Capitain noch im Bett lag, hinein, machte rein und räumte auf, und nachher war dieser kleine Verschlag auch für ihn ein Heiligthum. Abends aber, und manchmal schon früh Nachmittags, ließ sich Steffen Vechthold einen Kessel mit heißem Wasser hinter bringen, schloß die Thür ab, schob zwei Riegel vor, und dann dauerte es auch keine Stunde, so fing es an in der Kajüte lustig herzugehen; Gläser und Löffel klirrten, Pfropfen flogen, der Capitain brachte in einer vollkommen fremden Sprache eine Gesundheit nach der andern aus und sang zuletzt, daß das Verdeck dröhnte, manchmal bis spät in die Nacht hinein. Auf dem Steuermanne lag indessen die ganze Leitung des Schiffes, und in der Capitainswache nahm Clas, der Finne, den sich Capitain Vechthold in dem Schooner mit aus der Elbe gebracht und gewissermaßen zu einer Art Bootsmann gemacht hatte, seinen Stand auf dem Quarterdeck, hielt jedoch auch seine gehörige Zeit am Steuerrad, denn des ziemlich häufigen Nebels wegen war es zugleich nöthig, daß ein regelmäßiger Ausguck nach vorn zu gehalten werden mußte, und die Wache wäre sonst zu schwach gewesen.

An diesem Abend saßen Jahn und Tellermeier vorn an der Back, die Beine nach der Galion zu hinaushängend; Clas stand gerade am Steuer, und eine Weile hatten sie schon schweigend und Jeder mit seinen Gedanken beschäftigt in die Nacht hinausgeschaut, als endlich Tellermeier seinen Ideen Worte gab und mit dumpfer, hohlklingender Stimme sagte:

»Der Capitain gefällt mir nicht, Jahn!«

»Mir auch nicht,« erwiderte Jahn, und die Unterhaltung schien damit für eine ganze Zeit abgebrochen.

»Hast Du den Klabautermann schon gehört?« fuhr Jahn endlich nach einer, wohl eine halbe Pfeife lang dauernden Pause fort.

»Ne!« rief Tellermeier schnell und drehte sich, jetzt vollkommen aufmerksam geworden, nach seinem Kameraden um, der aber ohne weitere Bemerkung ruhig fortrauchte – »haben wir einen Klabautermann an Bord? – wie kommt denn der in den alten Kasten?«

»Weiß ich nicht,« sagte Jahn, »aber es giebt noch Unheil. Der Alte will nicht, daß ihm Scipio ein Gedeck mit in der Kajüte auflegen soll, und Klabautermann ist ärgerlich darüber – vorgestern hat er dem Koch den großen eisernen Kaffeebrenner, der oben in der Cambüse hängt, auf den Kopf geworfen und ihm gestern einen ganzen Korb mit Tellern und Geschirr umgestoßen, und Scipio schwört Stein und Bein, er hätte gestern nach Tisch eine Ohrfeige gekriegt, daß ihm die Ohren den ganzen Nachmittag danach geklingelt hätten – er will auch gar nicht mehr allein in der Cambüse bleiben.«

»Was weiß aber der Mulatte vom Klabautermann?« sagte Tellermeier erstaunt.

»Was er davon weiß?« rief Jahn mitleidig – »ich denke, der Klabautermann wird's ihm schon auf die Haut schreiben, was er davon wissen soll; – übrigens hab' ich ihm gestern die ganze Geschichte ordentlich auseinandergesetzt, und da die Schwarzen bei sich zu Hause ähnliche Wesen haben, die bei ihnen wohnen und mit ihnen essen, und Scipio auch sonst ein ganz vernünftiger und gebildeter Mensch für seine Farbe ist, ließ er sich leicht überzeugen.«

»Wenn der Alte aber verboten hätte, ein Gedeck für den Klabautermann hinzustellen,« sagte Tellermeier jetzt plötzlich, »so müßte ich doch eigentlich davon wissen, denn ich setze ja die Teller in der Kajüte auf, und er hat mir noch kein Wort davon gesagt.«

»Setz' einmal eins hin und sieh, was der Alte sagen wird,« brummte Jahn; »ich ging gestern zu ihm und stellte ihm die Sache vor, aber er lachte mir gerade in's Gesicht hinein und schwur, wenn ich ihm noch einmal mit einem solchen Unsinn käme, wollte er mich beklabautermannen!«

»Hm, hm, hm!« murmelte Tellermeier nachdenkend vor sich hin, »es geht curios zu auf der Welt.«

»Ja wohl geht's curios zu auf der Welt,« wiederholte aber Jahn – und jetzt leiser als vorher, als ob er fürchtete, daß ihn Jemand behorchen möchte, »und noch curioser in der Kajüte dahinten,« (er deutete dabei, ohne sich umzusehen, mit dem rechten Daumen über die linke Schulter) »curioser als in der ganzen andern Welt zusammengenommen. – Sag' einmal, Tellermeier, mit wem trinkt denn der Alte Nachts in seiner Kajüte – mit wem stößt er denn an, und mit wem singt er denn solche heidnische Lieder? – Wenn das mit rechten Dingen zugeht, will ich nicht Jahn Holzkeller heißen, wie ich christlich getauft bin. Bist Du da so ruhig bei?«

»Ruhig bei?« flüsterte Tellermeier jetzt ordentlich leise und rückte, so nahe er konnte, nach seinem Kameraden hinüber – »ruhig dabei? – Da soll Einer auch ruhig dabei sein – mir arbeitet's schon lange im Kopfe herum, und ich habe mir Mühe genug gegeben, dahinter zu kommen – aber keinen Fußbreit geh' ich der Thür wieder näher, wenn sie's da drinnen zusammen haben, und wenn sie die Kajüte um und um drehen.«

»Sie –?« frug Jahn rasch und nahm zum ersten Mal die Pfeife vor lauter Erstaunen aus dem Munde.

»Nun, der Alte wird doch wohl allein keinen Chor singen sollen?« sagte Tellermeier.

»Also Chor singen sie – hm? – Aber wer sind denn eigentlich die sie – hast Du noch gar nichts davon wegbekommen können, Mann, Du schläfst doch dicht vor der Kajüte, und ich sollte denken –«

»Ja, ich habe auch gedacht,« brummte Tellermeier halblaut vor sich hin, »und neulich plagte mich einmal der Böse, daß ich's absolut heraushaben wollte. Wie ich also die Wache zur Koje hatte und der Heidenlärm dadrinnen erst recht losging, denn schlafen konnt' ich ja doch nicht dabei, schlich ich mich leise an die Thür und versuchte, ob ich nicht durch's Schlüsselloch hineingucken könnte. Nun wußt' ich recht gut, daß der Alte das Schlüsselloch immer von innen mit Papier zustopft, dagegen hatt' ich mich aber vorgesehen und meinen Pfeifenräumer mitgenommen, und wie sie dann nun drinnen im besten Jubiliren waren, drückte ich den leise in's Schlüsselloch und bohrte so lange, bis ich den kleinen Papierpfropfen inwendig glücklich hineinbrachte.«

Jahn hatte bis jetzt mit wahrhaft peinlicher Spannung zugehört, die Pfeife war ihm im wahren Sinn des Wortes ausgegangen, und er sah aus, als ob er Tellermeier mit den Augen verschlingen wollte.

»Nun?« sagte er gespannt, als dieser einen Augenblick anhielt, um Luft zu schöpfen.

»So wie das Papier inwendig herunterfiel,« fuhr der Steward noch leiser und sich scheu dabei umsehend fort, »war auf einmal Alles todtenstill drin – Du kannst etwa denken, was ich für einen Schreck kriegte, und ich fuhr wie der Blitz zurück und wollte mich fortmachen – ich glaubte, der Alte hätte 'was gemerkt und dann gnade Gott – aber ich war noch keine zwei Schritte von der Thür, als es drin wieder losging, toller als vorher. Jetzt kam mir die Courage und ich glitt im Nu wieder auf meinen Posten.«

»Und konntest Du denn inwendig 'was erkennen?« frug Jahn im äußersten Interesse.

Tellermeier bog sich langsam zu ihm über, legte seine Hand auf Jahn's Schulter und wollte eben den Mund aufthun, als sie Beide, wie vom Blitz getroffen, auseinanderfuhren.

»Brassen!« schrie der Finne am Steuerrad – »brassen da vorne!«

»Alle guten Geister, was mir der Schuft für einen Schreck eingejagt hat!« murmelte Jahn vor sich hin, als er aufsprang, um dem Ruf Folge zu leisten – »nachher,« flüsterte er dann leise Tellermeier zu, und sie gingen nach Backbordseite hinüber, um die Raaen dort ein wenig anzubrassen. Der Wind hatte sich etwas gedreht und war auch stärker geworden. Jahn aber konnte die Zeit kaum erwarten, bis sie wieder vorn am Bugspriet saßen, und sie waren noch nicht oben, als er Tellermeier schon beim Arm nahm und sagte:

»Also hast Du doch wirklich etwas gesehen?«

»Ne!« sagte Tellermeier noch leiser als vorher, »aber ich hatte die Nase kaum gegen die Thür geklemmt, und eben die Lampe, die mitten auf dem Tisch stand, auf's Visir genommen, als es mir plötzlich eine ganze Partie Schnupftabak in's Auge blies und ich vor Schmerz und Schreck laut aufschreien mußte. Drinnen ging aber jetzt erst recht der Teufel los, und ich kroch in meine Koje so schnell hinein, wie ich nur hineinkommen konnte und – Jesus, meine Güte, wie mir das Auge weh that.«

»Hör' einmal, Tellermeier,« sagte Jahn nach einiger Zeit, in der er nachdenkend wieder fortgeraucht hatte – »die Sache geht schief – das thut's nicht hier an Bord – und – der Finne gefällt mir auch nicht.«

»Mir auch nicht,« sagte Tellermeier jetzt und fing an, sich seinen Tabak zu einer neuen Pfeife zu schneiden. Er schüttelte dabei in einem fort mit dem Kopf, aber er äußerte nichts weiter.

»Die Finnen sind überhaupt gefährliche Gäste,« fuhr Jahn fort, – »ich trau' ihnen allen miteinander nicht. – Wo noch Unglück über ein Schiff kam, ist's durch einen Finnen geschehen – und mach' Dir einen von den Halunken zum Feind und sieh, ob Du nicht ein böses Bein oder eine dicke Backe oder sonst 'was Unnatürliches kriegst – sie haben's alle hinter den Ohren – und Clas auch.«

»Der Capitain und Clas sind höllisch dick mit einander,« sagte Tellermeier – »sie haben immer insgeheim mit einander zu schwatzen, und Clas ist auch schon einmal Abends mit unten in der Kajüte gewesen.«

»Siehst Du, wie Du bist!« rief Jahn schnell; aber jede weitere Unterredung wurde durch den Klang der Kompaßglocke unterbrochen, die die zehnte Stunde kündete und Jahn und Tellermeier zum Loggen, wie den Einen von ihnen an's Ruder rief.

Auf dieser Fahrt fiel weiter nichts Merkwürdiges vor, nur bekam der Steward einmal Nachts im Schlaf einen solchen Hieb auf die Nase, daß sie ihm am andern Morgen dick aufgelaufen war. Er wußte recht gut, wo der hergekommen war, und stellte gleich zum Frühstück, um sich nicht weiteren Mißhandlungen auszusetzen, einen dritten Teller auf den Tisch. Die Folge davon war, daß er mit dem Teller aus der Kajüte geworfen wurde, und der Capitain fluchte hinter ihm her, nannte ihn Eselmeier und sagte, er hätte sich Nachts im Schlaf an die Nase gestoßen und sein Gehirn verletzt.

Damit war die Sache vor der Hand aus, und sie kamen nach einer sehr glücklichen Fahrt von acht Tagen ohne weitern Unfall in Bergen an. Der Klabautermann hatte nichts weiter von sich hören lassen.

In Bergen beeilte Steffen Vechthold das Aus- und Einladen des kleinen Fahrzeugs auf das Eifrigste, er nahm Leute dort an, die ihm helfen mußten, und am achten Tage, nachdem er vor der kleinen Stadt Anker geworfen, kam die letzte Stange Eisen an Bord. Denselben Morgen noch nahm er sein nöthiges Wasser und seine Provisionen ein, und am 17. Morgens lichtete er die Anker und stand wieder in See, um noch vor der dänischen Blockade im sichern Hafen zu sein.

Capitain Vechthold hatte ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht und war ungemein guter Laune, saß auch jetzt nicht mehr Abends allein in der Kajüte und sang und jubilirte, sondern hielt seine Wache ordentlich auf Deck wie der Steuermann, pfiff aber die ganzen vier Stunden durch, der Wind mochte nun mit vollen Backen wehen oder nicht, und fluchte, wenn ihm irgend etwas in die Quere kam, wie ein wirklicher lebendiger Heide. – Steffen Vechthold's Fluchen mußte jedem guten Christen ein Greuel sein, und Jahn besonders hatte seine bösen und ängstlichen Gedanken darüber. Dem kleinen Schooner schien das aber Alles nichts anzuhaben; der lief vor dem Wind seinen Weg, sieben und acht, ja manchmal auch wohl neun Knoten die Stunde weg und rührte sich weiter nicht.

Vier Tage waren sie jetzt wieder in See, und Jahn hatte die Hundewache – von Vier bis Sechs – und war eben nach oben gegangen, um auf des Capitains Geheiß (der unten auf dem Quarterdeck, mit beiden Händen in den Taschen seines dicken Rockes, rasend schnell auf- und ablief und pfiff) einen neuen Strapp um den Oberleesegel-Block an Backbordseite zu legen. Die Leesegelspiere war noch von der letzten Wache her, wo das Leesegel gebraucht worden und der Strapp riß, ausgeschoben, und Jahn trat oben in die Lufttaue oder »Pferde«, die unter der Raae für die Matrosen zum Darinstehen angebracht sind, und faßte eben die Spiere, um sie nach innen zu schieben, damit er den Block von der Marsraaenocke aus erreichen konnte, als es ihm plötzlich wie mit einem kalten Schlag durch die Glieder fuhr, und es fehlte nicht viel, so wäre er von der Raae weggefallen.

Uebrigens hatte er auch alle Ursache zu erschrecken, denn draußen, auf der schwanken Leesegelspiere, ohne sich anzuhalten und die Hände in den Taschen seiner kurzen Jacke, die kleinen dicken Beine herunter und hin- und herschlenkernd, saß Klabautermann und nickte dem Matrosen, als er ihn zu sich hinausschauen sah, freundlich, aber doch mit einem recht wehmüthigen Zug um den Mund zu, ohne jedoch seine Stellung auch nur im Mindesten zu verändern, oder aufzuhören, mit den Beinen dabei zu schlenkern.

»Guten Tag, Jahn,« sagte Klabautermann.

»Ei, Gott zum Gruß, Klabautermann!« sagte aber auch Jahn jetzt, der seine Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte und hier auch keine Ursache zur Furcht sah, obgleich es ihn nicht wenig wunderte, den Klabautermann am hellen lichten Tage oben in der Takelage gleich so gesprächig und freundlich zu finden. »Aber, Blixem!« – setzte er dann erstaunt hinzu – »der Klabautermann hat sich ja heute, mitten in einem Werkeltag, gewaltig geputzt und sein hellneues Zeug an; wie kommt denn das, oder ist heute Geburtstag?«

Jahn hatte ganz Recht, Klabautermann trug weder seine rothwollene Mütze, noch seine Seestiefeln, sondern war genau so angezogen, als ob er an Land gehen und sich bene thun wollte. Er hatte einen niedern, mit Wachstuch überzogenen und ziemlich breitrandigen Hut auf, von dem, vorn über das linke Auge herüber, ein paar breite Streifen schwarzseiden Band etwas keck und verwegen herunterflatterten, außerdem trug er eine kleine, mit dichten Reihen niedlicher, runder und blanker Knöpfe besetzte Tuchjacke, aus deren linker Tasche der Zipfel oder vielmehr die Hälfte eines gelb- und rothseidenen Taschentuches herausflatterte, weite, weiße Hosen, weiße Strümpfe und blanke Schuhe, und den Hemdkragen vorn mit einem dünnen schwarzseidenen Tuch in einem Schifferknoten zusammengehalten.

Es mußte 'was ganz Absonderliches mit Klabautermann im Werke sein.

»Jahn!« sagte Klabautermann endlich, nachdem er sein Priemchen von Backbord nach Steuerbord hinübergeschoben und wie unwillkürlich einen Blick nach den Wolken und den Segeln hinauf und neben sich geworfen hatte – »Jahn, es gefällt mir hier nicht mehr länger bei Euch, und ich habe Lust, mich nach einem andern Fahrzeug umzusehen.«

»Ach Du lieber Gott, Klabautermann, Ihr wollt uns doch nicht verlassen?« sagte Jahn erschreckt; »dann sind wir ja verkauft und verloren und sehen die Weser und Oldenburg im Leben nicht wieder.«

»Jahn!« sagte Klabautermann, und er sah ordentlich gerührt dabei aus, »es thut mir leid um Euch, aber mit der Elbschwalbe geht's schief.«

»Hab' ich denn das nicht immer gesagt!« rief Jahn mit Todesschreck aus, »Tellermeier glaubt's auch. Oh Du mein gütiger Heiland! so soll ich mein junges Leben hergeben und hier so elendig mit den übrigen sündigen Menschen von Haifischen und anderen Kreuzbestien gefressen werden!«

»Weine nicht, Jahn,« beruhigte ihn aber Klabautermann. »Erstlich bist Du gar nicht so jung mehr, denn ich glaube doch nicht, daß Du noch viel in den Vierzigen zu suchen hast, und dann geht's auch noch nicht zum Schlimmsten. Es ist schon manches Schiff verloren gegangen und die Mannschaft gerettet worden. Euer Capitain hat aber selbst Schuld, das viele und ewige Fluchen –«

»Heiliges Kreuzhimmeldonnerwetter!« tönte in diesem Augenblick des Capitains Stimme von unten herauf – »wie lange soll das dauern, Jahn, bis Du die Leesegelspiere hereinkriegst? Soll ich Dir etwa noch Jemand zum Helfen hinaufschicken, oder selber kommen? Da soll doch ein Sackerment dreinschlagen über so ein verdammtes Getrödel.«

»Da haben wir's wieder,« sagte Jahn und sah bestürzt den Klabautermann an, der traurig dazu mit dem Kopf nickte und schüttelte.

Jahn befand sich übrigens in einer peinlichen Verlegenheit; denn unten fluchte und wetterte der Capitain, und gehorchte er dem nicht, so durfte er sich auch wohl noch auf etwas Schlimmeres gefaßt machen, und hier auf demselben Holz, das er bergen sollte, saß der Klabautermann und schlenkerte mit den Beinen. Er konnte doch dem Klabautermann die Spiere nicht unter dem »Setz' Dich drauf« fortziehen. Mochte kommen was da wollte, das ging unmöglich an.

Klabautermann sah aber recht gut, wo ihn der Schuh drückte, und sagte gutmüthig:

»Zieh nur ein, Jahn, ich setze mich auf die Raae neben Dich, obgleich ich mir nicht denken kann, daß er bei dem Wind auch noch Leesegel führen will, die Bramsegel sind schlimm genug und die Bramstenge kann's so nicht mehr lange machen; beim ersten Puff geht entweder das Segel oder die Stenge weg!« Mit diesen Worten war er von der Spiere verschwunden, und als Jahn diese rasch einholte und sich erstaunt umschaute, saß er auf der Marsraae neben ihm und steckte sich eben wieder ein frisches Priemchen in den Mund. – »Das viele und ewige Fluchen,« fuhr nun auch Klabautermann in seiner vorhin kurz abgebrochenen Rede weiter fort, als ob gar nichts Störendes dazwischen hineingekommen wäre – »kann auf der Welt nicht gut sein. Ich habe gar nichts dagegen, daß Einem manchmal so recht in der Hitze und in Gedanken ein kurzes »Gott verdamm' mich« oder »Schwerenoth« herausfährt, es ist das nicht so bös gemeint und liegt mehr in unserer Natur« (Klabautermann sprach gerade, als ob er genau eine solche Constitution hätte, wie andere Menschen), »aber den ganzen lieben unausgesetzten Tag wettern und schwören und fluchen, daß einem ordentlich ein Schauder über den Leib läuft, das ist nichts. Und mit dem Pfeifen unten wird er's auch noch kriegen – ich will nichts sagen, bei Windstille und schwachem Wind ein bischen zu pfeifen, das schadet nichts und hilft manchmal sogar zu besserer Witterung: so gegen alle Vernunft aber einem tüchtigen Norder gerade die die Zähne hineinzupfeifen, das ist Lästerung und führt zum Uebel, und ehe Ihr hier an Bord drei Tage älter seid, werdet Ihr erleben, ob ich Recht habe.«

»Und ein Couvert will er auch nicht für Euch legen lassen, Klabautermann,« sagte Jahn, dem jetzt ganz angst und bange wurde, mit betrübter Stimme, »Tellermeier und ich haben alles Mögliche versucht, um ihn dazu zu bringen, aber Gott bewahre – er ist ein reiner Heide.«

»Hm, das wäre das Wenigste,« sagte Klabautermann, drückte die Unterlippe wie verächtlich vor und warf den Kopf ein wenig in die Höhe, daß ihm das Band hinten überflatterte; »daraus mach' ich mir verwünscht wenig, wenn sich's auch eigentlich gehört und in der Ordnung ist.«

Klabautermann sagte das aber nur so, denn Jahn sah deutlich, daß er sich durch eine solche Hintenansetzung doch innerlich beleidigt fühlte; er wollte das aber den Matrosen nicht gerne merken lassen.

»Ja,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in der er sich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu haben schien, »es thut mir leid, das alte Schiff verlassen zu müssen, ich habe es mitbauen und auftakeln helfen und bin selbst damals, als es das Unglück hatte, nicht von Bord gegangen – wenn Jemand einmal ein altes Kleid bequem ist, zieht er's nur ungern aus, aber wenn's denn zuletzt sein muß, dann kann man's auch nicht mehr ändern und muß sich in das Unabänderliche fügen. Wenn Ihr übrigens meinem Rath folgen wollt,« brach er kurz ab, denn er sah, daß Jahn mit seiner Arbeit fertig war und hinunter mußte, »so nehmt Ihr die Bramsegel weg und das schnell. Wer weiß, ob sich nicht Alles noch zum Besten lenken läßt; der Mensch muß dann aber auch nicht muthwillig in's Verderben hinein stürmen!« Und als Jahn ihm einen guten Tag bieten wollte, war er verschwunden.

Jahn stieg wie im Traum die Wanten hinab, und als ihn der Capitain unten seiner Langsamkeit und Faulheit wegen ausschalt, hörte er es gar nicht. Erst als der Befehl gegeben wurde, das Boven-Leesegel wieder klar zu machen, kam er zu sich selber und bat den Capitain fast mit Thränen im Auge, er möchte doch um Gottes willen nur diesmal keine Leesegel setzen, es ginge sonst gewiß schief und der Klabautermann hätte selber gesagt, das Schiff hielt's nicht aus.

Da hatte er sich aber eine kostbare Suppe eingebrockt – oh Du liebe Güte, wie zog der alte Steffen Vechthold los, und was wußte er heute für Schimpf- und Fluchwörter! Um ein Himmeldonnerwetter fing er gar nicht an, immer gleich zehn- und zwanzigtausend, und das Ende vom Lied war, daß Jahn selber das Leesegel mit aufhissen mußte und dann Tellermeier vorgerufen wurde. Jahn hatte indessen Tellermeier seine ganze Unterredung mit dem Klabautermann erzählt, und der Steward war, wie sich das auch denken läßt, nicht wenig bestürzt darüber.

»Meier,« ranzte ihn aber der Capitain an, als ob er ihn auf der Straße gefunden hätte – Steffen Vechthold verschmähte auch sein Unterscheidungswort und nannte ihn nur schlechtweg Meier – »Meier, wenn Du dem Lump, dem Jahn davorn, noch einen Tropfen Schnaps giebst, außer seinem Deputat, was die Anderen kriegen, dann häng' ich Dich bei den Ohren auf und ihn daneben, und dann kannst Du – das Maul sollst Du halten, verdammter Lump, wenn ich mit Dir rede – und dann kannst Du Dich nachher mit ihm von Eurem Klabautermann unterhalten. Hast Du gehört, he? – nun jetzt marsch nach vorn – und nun nimm Dich in Acht, Du – Du Advocat Du!«

Steffen Vechthold war immer ungemein böse, wenn er seine Leute Advocaten nannte. Er hielt das für das ärgste Schimpfwort auf der ganzen Welt und hatte mehr als einmal versichert, er wollte lieber mit größter Gemüthsruhe fünfundzwanzig auf den bloßen »T. Z.« d. h. Rücken haben, als sich ein einziges Mal Advocat nennen lassen. – Er hatte nun einmal eine Antipathie.

Wie's Jahn aber, oder der Klabautermann vielmehr, vorher gesagt hatte, so geschah es. Das Bovenleesegel stand kaum, als ein plötzlicher Windstoß die Spiere dicht an der Raae wegbrach, und wäre nicht des Capitains Wache jetzt nach unten gewesen und der Steuermann auf Deck gekommen, der weit vernünftiger und ruhiger war und jetzt auch die Unterleesegel und Bramsegel wegnehmen ließ, es hätte jedenfalls ein Unglück gegeben.

Von dem Tage ab verließ sie aber der günstige Wind, sie mußten in einem fort kreuzen, und lagen sie über diesen Bug, so schrahlte der Wind nach der, und lagen sie über den andern, so schrahlte er nach jener Seite weg, daß sie anstatt sechs Strichen manchmal acht und zehn brauchten und viele Tage lang nicht allein keine Meile vorwärts kamen, sondern sogar noch zurückgetrieben wurden. Der Capitain hätte sich zu jeder andern Zeit freilich den Henker daraus gemacht; so genau auf ein paar Tage kommt es bei einer Seereise nicht immer an, und auf Stunden und Minuten läßt sich das Erreichen eines Zieles mit Segelschiffen nun gar nicht bestimmen. Hier lag aber der Knüppel beim Hunde – wenn die Elbschwalbe am 26. März nicht in der Weser war, kam sie gar nicht hinein, so viel war sicher, oder sie mußte sich hineinstehlen, und wurde sie dann abgefaßt, so ging der ganze hübsche Profit, der sich unter günstigen Umständen aus der Ladung herausschlagen ließ, jedenfalls in die Brüche. Da sollte Einer auch nicht ärgerlich bei werden.

Die Zeit, wo es selbst möglich gewesen wäre, noch vor dem Wiederbeginn der Blockade den schützenden Hafen zu erreichen, war indessen beinahe verlaufen, als sich endlich der Wind wieder drehte und nun aus dem rechten Winkel und mit der rechten Stärke blies. Nur vier Tage so anhalten, und die Elbschwalbe war in Sicherheit; aber vier Tage sind eine lange Zeit, wenn der Wind fest auf einem Strich stehen bleiben soll, und Capitain Vechthold setzte deshalb auch jeden Lappen Leinwand auf, den er nur aufsetzen konnte. »Je ärger es weht, desto mehr Segel auf,« schien überhaupt sein Sprüchwort, und Jahn wie Tellermeier, die bis jetzt immer in kleinen Küstenfahrern, in Kuffen und Kähnen in der Nord- und Ostsee herumgeschifft und gewohnt gewesen waren, wenn es nur irgendwie zu wehen anfing, entweder gleich irgendwo einlaufen oder, wenn das nicht anging, beizudrehen und so lange zu Koje zu gehen, ja auch nicht selten, wenn sie das nur noch irgend möglich machen konnten, wieder nach dem Platz ihrer Ausfuhr zurück zu laufen und dort besser Wetter abzuwarten, sahen mit Entsetzen, wie Steffen Vechthold seinem Verderben entgegenrennen wollte, und weder sie noch der Klabautermann selber konnten ihn davon zurückhalten.

Der Wind hielt aber nicht aus, wenigstens nicht so stark wie bisher; einen Tag hatten sie fast vollkommene Windstille, und obgleich Steffen Vechthold auf Deck umherschimpfte und fluchte und sich bald die Seele aus dem Leibe pfiff, wollte keine Brise kommen. Das Aergerlichste aber dabei blieb, daß sie sich gar nicht mehr so weit von der Weser befanden und morgen war der 26ste. Wenn die Nacht keine ordentliche Brise kam, fanden sie die Bude zugeschlossen und ein paar dänische Kriegsschiffe vor der Mündung liegen, die dann wohl wissen würden, wohin sie mit der Elbschwalbe gingen. Die Nacht kam aber Brise; um Mitternacht, zu welcher Zeit sich gewöhnlich der Wind ändert, wenn es überhaupt eine Aenderung geben sollte, oder die Witterung irgend einen bestimmten Charakter annimmt, blies es von Norden herunter, daß es eine Lust war, und Steffen ließ mit seinen Segeln auch nicht lange auf sich warten. So schnell Menschenhände sie hinaufbringen konnten, saßen Leesegel an beiden Seiten, und vor dem Wind jagte die Elbschwalbe ihre neun Meilen Wache herunter.

Aus der Brise wurde aber ein Sturm, über die aufgeregten Wasser heulte es her und pfiff durch die Taue und Blöcke; aber Steffen Vechthold rührte sich nicht, ein einziges Segel zu bergen.

»Thu' ich Segel weg,« sagte er zu seinem Steuermann, »so kriegen mich die Dänen, und thu' ich keine weg, so holt mich vielleicht der Teufel, also 's ist so oder so, zuletzt kommt's doch immer auf eins heraus, und es mag biegen oder brechen – verassecurirt bin ich wenigstens gegen Schiffbruch.«

Und es brach auch – erst die Leesegelspieren, die wie Schwefelhölzer abknickten und der Elbschwalbe um die Ohren herum schlugen; die Leute brauchten sich aber keine Mühe zu geben, die Leinwand zu bergen, denn die flog in Fetzen davon und voraus. Das Bramsegel stand jedoch noch und bog sich wie eine Ruthe – es sah ordentlich gefährlich aus und man hätte glauben sollen, es möchte jeden Augenblick herunter kommen.

»Reefen!« schrie Klabautermann von oben schon eine halbe Stunde lang nieder; aber die Einzigen, die ihn hörten, waren Tellermeier und Jahn, und die durften nicht mucksen, wenn sie's nicht faustdick vom alten Steffen bekommen wollten.

Wie damals bei der Ausfahrt, hatten sie wieder die Wache von Vier bis Acht an Deck. Clas stand am Ruder und Steffen Vechthold ging heute mit großen Schritten auf seinem Quarterdeck auf und nieder und tauchte nur dann und wann einmal in seine Kajüte unter, um sich in der Geschwindigkeit einen »kalten Grog« zurecht zu mischen und die Lebensgeister damit ein wenig frisch zu halten, wie er's meinte. Die andere Wache war aber ebenfalls nicht zu Koje gegangen, es hing Alles an diesen letzten wenigen Stunden, und die ganze Mannschaft wurde deshalb beordert, bei der Hand zu bleiben, im Falle ja etwas vorfallen sollte.

Die Leute hätten auch so nicht schlafen können; denn in stockfinsterer Nacht, mit solchen Segeln auf eine Küste los zu jagen, die bei einem heftigen Nordwind schon am hellen Tage gefährlich war, machte selbst Pech- und Theermeier um ihre eigene Sicherheit besorgt, und in ihre dicken Jacken eingeknöpft, dem Unwetter soviel als möglich die rauhe Seite zuzukehren, standen sie gegen die Cambüse gedrückt und erwarteten den Tag.

»Besahn-Schoot!« rief es da, als die kleine Compaßglocke eben acht Glasen (vier Uhr Morgens) geschlagen hatte, vom Hinterdeck herüber, und – »Potz Wetter, Besahnschoot!« wiederholte Pechmeier, der sonst selten oder nie etwas sagte, mit ganz außergewöhnlicher Lebendigkeit, und die Leute zeigten überhaupt sämmtlich eine Bereitwilligkeit, dem Rufe »Besahnschoot« Folge zu leisten, die jeden Uneingeweihten sicherlich in das größte Erstaunen versetzt haben würde.

Die Sache hatte aber auch einen guten Grund und die Besahnschoot selber nicht das Mindeste damit zu thun, sondern der Ruf galt der kleinen steinernen Kruke, mit der Tellermeier in der Nähe der Besahnschoot lehnte und der Ankunft der Leute harrte, die auch keineswegs lange auf sich warten ließen. In der Rechten die Kruke, deren unteres Ende er mit dem Ellbogen gegen die Seite gedrückt hielt, während er mit der Hand selber den Hals nach Befinden auf und nieder lenkte, hielt er in der Linken einen kleinen Blechbecher, so groß ungefähr wie ein halbes Loth Kaffee, und schenkte diesen Jedem der Leute einmal mit Bremer Genever (Kartoffelbranntwein, auf ein altes Geneverfaß abgezogen) voll. Das Benehmen der Leute blieb sich dabei fast durchgängig gleich – sie traten mit einem halb vergnügten, halb besorgten Gesicht heran – denn wenn Tellermeier einschenkte, sah es immer aus, als ob er die Hälfte dabei vergießen wollte, – hielten die rechte Hand etwas vorgestreckt, um den kostbaren Stoff in Empfang zu nehmen, damit sie ja keine Zeit versäumten, und holten indessen mit der linken das Priemchen aus dem Mund, das sie so lange, bis der glückliche Moment vorüber war, in der Hand bargen. Jetzt war das Mäßchen voll, sie ergriffen es und balancirten einen Augenblick damit, denn das Schiff schwankte gerade nach der andern Seite hinüber – jetzt war ihre Zeit – mit einer geschickten und schnellen Bewegung brachten sie das »schwappend volle« Gefäß an den schon gastlich geöffneten Mund – wupp, weg war's – dann schnitten sie ein entsetzliches Gesicht und schüttelten sich, wischten sich mit dem rechten Rockärmel den Mund, schoben mit der Linken das Priemchen wieder an Ort und Stelle, und traten zurück, um einem der Kameraden Platz zu machen.

Tellermeier war ziemlich durch, und der Wind hatte indessen auch nicht still geschwiegen, sondern von Nordosten herübergeblasen, daß es eine Lust und Freude war und Einem das Mark in den Knochen vor Kälte erstarren machte. In den Blöcken und dem Takelwerk heulte es, die Stengen krachten ordentlich vor der gewaltigen Kraft, die in sie hinein preßte; der ganze alte Kasten knitterte und knatterte, und es war, als ob ihm die Rippen im Leibe weh thäten und sich nicht länger mehr auf der alten Stelle wohl fühlten – ein einziges Wunder nur, daß noch die Segel dem Allen hielten, was sich wohl daher erklären ließ, daß die Flicken so wild und bunt und nach allen Ecken hin durcheinander saßen, dem Winde nicht einen einzigen festen Punkt zu bieten, in den er hineingreifen konnte.

Wie also gesagt hatte der Wind gerade wieder einmal beide Backen zum Zerplatzen voll genommen, und die Taue standen so straff gespannt, daß sie ordentlich klangen, wenn man sie berührte, als durch all' das Geheul und Gepfeife im Takelwerk, das Arbeiten des Schiffes, das Brausen des Sturmes und das polternde Ueberstürzen und Plätschern der Wogen eine Stimme von oben klar und deutlich herunterrief:

»Reefen – Sapperment, Ihr Leute, reefen!«

Die Leute hörten es alle miteinander, und der Capitain mußte es ebenfalls gehört haben, denn es klang zu deutlich herunter und ließ sich wahrhaftig nicht verkennen; war das aber wirklich der Fall, so that er wenigstens, als ob er nicht das Mindeste davon vernommen hätte – er warf zwar einen flüchtigen Blick nach oben und dann nach windwärts, das war aber auch Alles und an Reefen kein Gedanke; nein, ich glaube fast, wäre die Oberbramstenge nicht gar so morsch und beschädigt gewesen, er hätte sein Oberbramsegel auch noch darauf gesetzt, dem Klabautermann gerade zum Possen – solch ein Mann war Steffen Vechthold.

Die Leute standen stumm vor Schrecken, und Jahn besonders war der Ruf so in die Glieder gefahren, daß er sein erstes Mäßchen Wachholder ganz vergessen hatte und sich noch ein zweites einschenken ließ.

»Habt Ihr's gehört?« rief Tellermeier und zeigte mit dem Blechmaß, das er noch in der Hand hielt, nach den Raaen oben, über welchen die hell am Himmel funkelnden Sterne wie tollgewordene Meteore herüber- und hinüberschossen – »habt Ihr gehört, was er sagte?«

Das half ihnen aber nichts; der einzige Mann, der darüber zu befehlen hatte, ging trotzig an Deck auf und ab und schien sich den Henker um den Klabautermann oder die ganze übrige Welt zu scheeren. Auf diesem Fahrzeug war sein ganzes Bischen irdischen Reichthums verschifft; nahmen ihm das die Dänen, so konnte er betteln gehen, und um das zu retten, lag seine einzige Hülfe in den Segeln. Er ließ deshalb auch nicht allein nicht reefen, sondern sogar das Bramsegel stehen und die ganze Sache ihren Lauf gehen, wie sie eben gehen wollte.

Die Leute blieben noch einen Augenblick am Quarterdeck stehen, als ob er den Befehl: »Bramsegel-Fallen los« nicht etwa doch noch geben sollte, aber Gott bewahre, er dachte nicht daran, und langsam zogen sie sich wieder vorn nach ihren Plätzen. So viel sahen sie aber alle ein, etwas mußte passiren, und wenn sie nicht in der nächsten Stunde vielleicht schon Stengen und Masten über Bord jagten, so gab es keine Vorzeichen mehr auf der Welt.

Tellermeier wollte übrigens jede Verantwortung von seinen Schultern soviel als möglich herunterhaben, und als der Capitain den Rücken wandte, schenkte er rasch das kleine Blechmaß voll und setzte es auf einen bestimmten Platz, den er dafür hatte, neben den Pumpstock. Der Schnaps war für den Klabautermann bestimmt, denn dieser sollte doch wenigstens sehen, daß er, Tellermeier, nicht zu der Heidenschule des Capitains gehöre und gern Alles thun wollte, was in seinen Kräften stehe, um sein einstiges Seelenheil, besonders aber seine irdischen Gliedmaßen zu retten.

Dieser beigesetzte Schnaps verschwand auch regelmäßig, und Tellermeier war fest überzeugt, daß Klabautermann seine Gabe freundlich aufnähme; es thut mir aber leid, das hier widerlegen zu müssen, denn Klabautermann hat so wenig davon bekommen, wie Du, lieber Leser, und der Schnaps wurde jedesmal hinterlistiger und schmutziger Weise von Einem der Leute, dem nichts auf der Welt heilig war, selbst nicht einmal Klabautermann, entwendet.

Theermeier nämlich, sonst ein höchst ruhiges, Keinem und am wenigsten sich selber etwas in den Weg legendes Individuum, hatte gleich von Anfang der Reise an gemerkt, daß Tellermeier irgend Jemandem (er wußte selber nicht wem und interessirte sich auch in der That nicht für den Namen der Person) diese heimliche Huldigung allabendlich brachte, und es mag sein, daß er ihn die ersten Male vielleicht nur deshalb austrank, weil er fürchten mochte, das kleine Gefäß könnte umgestoßen werden; später aber gewöhnte er sich daran, und er wußte das auch mit solcher Schlauheit durchzuführen, daß er nicht ein einziges Mal entdeckt wurde.

Klabautermann hätte sich nun natürlich leicht dafür rächen können, war aber ein viel zu vernünftiges und gutmüthiges Wesen, wegen solcher Kleinigkeit und solchem Schnaps Spektakel zu machen, und ließ eben, zu Gunsten Theermeier's, der sonst kein Wasser trübte, fünf gerade sein.

Die Elbschwalbe befand sich aber in viel zu großer Gefahr, als daß wir unsere Zeit jetzt mit solchen Kleinigkeiten vertändeln dürften; der Sturm war eher im Wachsen als im Abnehmen, und das Vorcastle noch der einzige trockene Platz im Schiff, so schlugen die Wellen hinten und an der Seite über Bord, als ob sie mit gierigen Zügen nach ihrer Beute leckten, die ihnen doch nun nicht mehr lange entgehen konnte.

Tellermeier war mit Jahn wieder vorn auf die Back gegangen, und sie sahen eine kurze Zeit lang, Jeder mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt, schweigend dem Toben der Elemente zu.

»Jahn!« sagte Tellermeier endlich und wandte sich an seinen Kameraden, der in dem Ruf stand, eine Taschenuhr zu haben – ich sage in dem Ruf, denn es hatte sie noch Niemand von Angesicht zu Angesicht gesehen und es war auch wirklich keine, sondern nur ein Gehäuse. Falsche Scham hielt ihn aber jetzt ab, das einzugestehen, was er im Anfang vielleicht nur im Scherz oder in unschuldiger Prahlerei geäußert, so daß er nun oft zu traurigen und unangenehmen Nothlügen greifen mußte – »Jahn,« sagte also Tellermeier und wandte sich nach seinem Kameraden hinüber – »ist es bald fünf Uhr?«

»Nein,« sagte dieser traurig – »ich habe eben nachgesehen, es fehlt noch ein halber Fuß daran.«

»Jahn!« – fuhr Tellermeier nach kleiner Pause fort – »die Sache geht wahrhaftig schief, wir können nicht mehr weit von der Küste sein, Steffen Vechthold gießt einen nach dem andern in die Unterkinnbacke, und ich habe die Nacht auch einen bösen Traum gehabt.«

»Klabautermann weiß wohl, was er sagt,« murmelte Jahn mit schwermüthigem Kopfnicken – »was hast Du denn aber geträumt? war's gar so schlimm?«

»Ich bin die ganzen drei Stunden, die ich in der Koje gelegen,« – sagte Tellermeier flüsternd und sich zu Jahn hinüberbiegend – »hinter einem Hasen hergelaufen.«

»Hast Du'n denn gekriegt?« frug Jahn schnell.

»Ne,« sagte Tellermeier und schüttelte wehmüthig mit dem Kopfe.

»Kannst Du schwimmen?« sagte Jahn endlich und sah Tellermeier wieder von der Seite an – es war natürlich, welche Ideenfolge sich in seinem Hirn gebildet hatte.

»Wenn wir auseinander gehen, bin ich gewiß verloren,« murmelte dieser in düsterem Brüten vor sich hin, »für mich giebts keine Rettung!«

»Wieso denn?« sagte Jahn, den das zu ängstigen schien.

»Nun, erstens kann ich nicht schwimmen,« meinte Tellermeier finster, »und zweitens ist es man auch noch so!«

Jahn nickte traurig mit dem Kopf; der zweite Grund schien ihm besonders einzuleuchten.

»Vor fünf Jahren,« fuhr Tellermeier nach einer Pause fort, »litten wir einmal an der englischen Küste Schiffbruch, da kam ich aber gut ab; ich war der Einzige von der ganzen Mannschaft, der gerettet wurde.«

»Wie hast Du das aber angefangen?« frug Jahn neugierig, denn das Mittel ließ sich vielleicht auf ihren jetzigen Fall wieder anwenden.

»Ja, da hatten wir einen so großen langhaarigen Hund mit an Bord,« erwiderte Tellermeier, »der dem Capitain gehörte – sie kommen glaub' ich von Amerika.«

»Ich weiß schon,« meinte Jahn, »sie nennen sie hufländische Hunde.«

»Ja, ich glaube,« sagte Tellermeier; »den hatte ich immer unterwegs gefüttert, denn der Racker biß und ich wollte ihn mir gerne zum Freunde halten, und wie unser Schiff leck wurde und wir Alle in's Boot sprangen und mit dem Boot nachher gegen den alten Kasten schlugen, daß es in tausend Fetzen ging, da packte mich der Hund am Kragen und schleppte mich an's Ufer, und seinen Herrn ließ er ersaufen – das war doch ein Glück?«

»Und was hast Du nachher mit dem Hunde gemacht?« frug Jahn.

»Ei, den hab' ich verkauft, was sollt' ich denn mit der großen Bestie anfangen?« fragte Tellermeier.

In diesem Augenblick schien der Sturm neue Kräfte gewonnen zu haben, »there is a fresh hand at the bellows«Ein frischer Gesell ist an den Blasebalg getreten. sagen die Engländer in solchem Fall, und zu gleicher Zeit ließen sich im Osten die ersten Zeichen des dämmernden Morgens erkennen.

»Hallo an Deck!« rief es plötzlich oben aus der Bramraae mit heiserer Stimme herunter; »nehmt das Bramsegel ein oder 's ist weg wie 'ne Mütze!«

Keine Antwort von unten. Die Matrosen sahen schweigend und entsetzt bald hinauf nach der Höhe, von wo die Stimme kam und wo sich die Bramstenge wie eine Ruthe bog, während das Segel bis zur äußersten Kraft angespannt schien, und bald hinüber nach dem Capitain, der aber wieder that, als ob er nicht das Mindeste gehört hätte, und die Hände nur tiefer in die Taschen schob, das Kinn nur fester in den dicken wollenen Comforter, den er um den Hals trug, hineinwühlte – aber das Bramsegel blieb stehen.

Die Stenge bog sich jetzt, daß man meinte, sie hätte brechen müssen; und sie wäre auch gebrochen, aber Tellermeier wie Jahn sahen jetzt deutlich von der Back vorn aus, daß Klabautermann oben auf der Raae stand und aus Leibeskräften gegenhielt – Klabautermann wollte wenigstens Alles thun, was in seinen Kräften stand, damit er sich selber nachher keine Vorwürfe zu machen hätte; aber es ging zuletzt nicht mehr, es überstieg selbst übermenschliche Kräfte. Klabautermann kriegte schon einen ganz dicken rothen Kopf, und den beiden Matrosen unten, die ihn in peinlichster Spannung beobachteten, blieb das Herz ordentlich vor ängstlicher Furcht und Erwartung stehen.

»Ich kann die Stenge nicht mehr halten!« rief Klabautermann endlich, und man hörte es ihm deutlich an, wie er kaum noch im Stande war zu sprechen, so mußte er festhalten.

Jahn litt es nicht mehr vorn, und er sprang hinter nach dem Quarterdeck, wo Steffen Vechthold so ungenirt spazieren ging, als ob ihn die ganze Sache auf der weiten Gotteswelt auch nicht das Geringste anginge – er trat zum Capitain, nahm die Mütze in die Hand und sagte mit ehrfurchtsvoller, durch die Gefahr aber auch beeilter und gepreßter Stimme:

»Er kann sie nicht mehr länger halten, Capitain Vechthold –«

»Wer? – Dößkopp!« lautete die ermuthigende Gegenfrage des Alten – »nun, wird's bald – wer kann was nicht mehr länger halten?«

»Der Klabautermann die Stenge,« platzte aber jetzt auch Jahn heraus, denn hier war Noth an Mann, und er konnte wahrhaftig keine Rücksicht mehr darauf nehmen, ob Steffen Vechthold mit seinem Klabautermann auf einem guten Fuß stand oder nicht. In dem Augenblick brauste es dabei über die See daher, als ob die wilde Jagd über einen Föhrenwald führe; der weiße Schaum der hinter ihnen überstürzenden Wellen wurde vom Sturm hoch aufgehoben und wie ein feiner scharfer Staubregen über Deck gesprüht, und die Masten stöhnten unter der furchtbaren Last der Segel. Jahn warf einen Blick nach oben und sah, wie Klabautermann noch für Leben und Tod festhielt, der Hut war ihm dabei vom Kopf heruntergeweht, und das krause, starre, lockige Haar wehte und schlug ihm wild und peitschend um die Schläfe.

»Klabautermann?« sagte der Capitain endlich, als dieser neue Windstoß gewissermaßen vorübergebraust war und das Schiff, das vor der Gewalt desselben seine Nase tief in die schäumenden Wogen hineingegraben, sich wieder etwas aufrichtete – »was hat der Esel nun wieder mit dem Klabautermann?«

»Er kann sie nicht mehr halten, Capitain Vechthold!« betheuerte Jahn noch einmal.

»Nun, so soll er sie loslassen!« lachte der alte Steffen und drehte sich rasch auf dem Absatz um.

Damit war die Sache aber nicht vorbei, denn während Jahn wie versteinert bei der Lästerung dastand, kam es wieder mit frischer, gesammelter Kraft über die Wogen daher, die See glättete sich ordentlich vor der entsetzlichen Gewalt und das Schiff schoß mit rasender Schnelle durch die Wogen.

»Hallo da unten!« tönte es in diesem Augenblick noch einmal aus den Raaen nieder, und zwar so gellend und kreischend, daß selbst Steffen Vechthold stehen blieb und hinaufsah.

»Ich kann sie, Gott straf' mich, nicht länger halten!« schrie Klabautermann, und die Stimme klang hohl und unheimlich.

»Klabautermann kann sie wahrhaftig nicht länger halten, Capitain Vechthold!« bat Jahn.

»Klabautermann soll verdammt sein!« schrie der Capitain und stampfte mit dem Fuße. – Er konnte aber kein Wort weiter sagen – oben in den Raaen brach es und prasselte es zusammen. Die Bramstenge fuhr mit einem Schlag, als ob ein Kanonenschuß abgefeuert wäre, vorn über, die Brambrassen, die an der Stenge des Schooner- oder Besahnmastes fest waren, rissen diese ebenfalls mit. Zu gleicher Zeit gab eine der großen Stengen-Pardunen auf Backbordseite, wo sie am meisten angestrengt waren, nach, wenigstens krachte in demselben Moment, als die Bramstengen übergingen, auch die große Stenge. Während aber Alles mit dem Schrei der Verzweiflung auf den Lippen nach hinten flüchtete, um dem stürzenden Holze zu entgehen und nicht mit von den schlagenden Stengen und Pardunen getroffen oder über Bord gerissen zu werden, während das ganze künstliche Segel- und Takelwerk, ein wirres Chaos, durcheinanderhing: tönte oben von dem Top des stehen gebliebenen großen Maststumpfs ein heiseres Lachen, das aber auch fast wie Weinen und Wehklagen klang, herunter, und Jahn sah bei dem ersten Schimmer des jetzt dämmernden Morgens klar und deutlich, wie Klabautermann ohne Hut und in Hemdärmeln oben auf dem Top saß und sich mit seinem seidenen Taschentuche den Schweiß von der Stirne und die Thränen aus den Augen trocknete.

Gleich darauf war er verschwunden; als Jahn aber jetzt mit den Uebrigen nach vorn sprang, um auf des Capitains Befehl das Wrack von dem schleifenden Tauwerk frei zu kappen, was besonders auf der Steuerbordseite umhing und das Steuern desselben total verhinderte, hörte er, wie Jemand leise seinen Namen rief. Als er sich rasch dorthin umwandte, stand Klabautermann vorn auf der Schanzkleidung, er hatte seine rothe Mütze wieder auf und seine kleine Kiste stand neben ihm. Er war augenscheinlich im Begriff auszuziehen.

»Ach Du mein lieber Gott, Klabautermann, wollt Ihr uns verlassen?« rief Jahn wehmüthig.

»Es geht nicht anders, mein Junge,« sagte aber dieser, »dahinten kommt ein Bremer Schiff eingekreuzt, und da will ich machen, daß ich an Bord komme, denn Ihr treibt mir hier gerade auf den Strand drauf. – Grüß' Dich Gott, Jahn, und grüß mir den Tellermeier!« sagte Klabautermann noch und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Die Matrosen kappten und schnitten jetzt wohl Alles weg, was sie nur erreichen konnten und was über Bord hing und ihren Fortgang aufhalten mußte; durch den Unfall war ihnen aber auch nicht ein einziges gutes Segel geblieben, bei dem sie hätten steuern können, denn selbst das große Segel, in das die stürzende Stenge hineingefahren, war zerrissen, und wie der Sturm nur einen Anhalt in der ersten geöffneten Naht hatte, so sprengte er die ganze Leinwand von oben bis unten von einander. Die Elbschwalbe trieb nun vor Top und Takel, so rasch sie nur Wind und Strömung dahin nehmen konnte, auf die flache und gefährliche deutsche Küste zu. Das Wasser brach sich dabei fortwährend in ungeheuren Sturzseen über dem unglücklichen Fahrzeug, Alles, was an Deck gestanden hatte, Cambüse und Boote, Wasserfässer und Hühnerkästen, war schon über Bord gewaschen. Die Mannschaft hing nur noch in letzter verzweifelter Todesnoth in den stehen gebliebenen Wanten des großen Mastes, und erwartete mit jedem Augenblick den entsetzlichen Moment, wo sie aufstoßen und von den nachstürzenden Wellen begraben werden mußte.

Der Augenblick rückte denn auch mit furchtbarer Schnelle heran, – es war jetzt hell genug geworden, sie das Schreckliche ihrer Lage vollkommen übersehen zu lassen. Gerade in Lee lag die flache, von einem dichten Nebel bedeckte Küste, und wenn auch der Bug der Elbschwalbe noch von dem Capitain selber, der am Ruder stand und seine dem Geschick verfallene Barke lenkte, wie ängstlich dem drohenden Ufer abstrebte, so hatte das arme Fahrzeug doch keinen Fortgang mehr, auch nur die Aussicht auf Rettung zu bieten. Für jede halbe Meile, die sie vorwärts machten, trieben sie zwei Meilen der Küste zu, und als die Sonne eben blutroth im Osten aufging, hatten sie die Brandung so dicht in Lee, daß sie ihre Mützen hätten hineinwerfen können.

Die einzige mögliche Rettung lag jetzt vielleicht noch in der kleinen Jolle, die hinten auf dem Quarterdeck stand; das große Boot, in dem sie sich bequem hätten bergen können, war von den stürzenden Stengen total zerschmettert worden.

Mit Sonnenaufgang schien das Wetter ruhiger werden zu wollen und des Capitains Ruf sammelte die Leute auf dem Quarterdeck, die Jolle in's Wasser zu lassen. Es war das letzte Mittel, die letzte Möglichkeit, ihr Leben noch zu retten, und Alle arbeiteten daran mit dem Eifer stiller Verzweiflung – selbst Tellermeier. Taljen, das Boot niederzulassen, waren bald angeschlagen; aber würde es nicht die See, sobald es nur in den Bereich ihrer Wellen kam, füllen, oder gegen den Schooner anwerfen und zerschmettern? – Doch es half nichts; war auch der Versuch verzweifelt, es blieb ihnen keine andere Wahl. Große Vorbereitungen brauchten sie nicht dabei zu machen, denn Provisionen und Wasser hatten sie nicht nöthig – in Zeit von ein oder zwei Stunden waren sie auf festem Land oder ertrunken, und in langer, peinlicher Furcht und Erwartung sollten sie deshalb nicht gehalten werden.

»Nieder damit – rasch, meine Jungen!« rief der Capitain jetzt, der schon lange ängstlich einen Moment erwartet hatte, wo sich die Wogen genug beruhigen würden, ihm ein paar Secunden still Wasser zu geben, und die Leute wußten nur zu gut, was sie zu thun hatten, und das Wichtigste dabei: für wen sie's thaten. Im Nu stieg das Boot in die Höh' und hing hinausgestoßen über Wasser.

»Viehr weg!« – unten war's und an den Taljen nach rutschten in bunter Reihe – was nur das Tau zuerst erfassen konnte – die Leute, Steffen Vechthold mitten zwischen ihnen. – Eine furchtbare Welle kam auf sie zugeschossen – die Leute hatten ihre Riemen (Ruder) aufgegriffen, aber ließen sie nicht in's Wasser – sie wußten recht gut, wenn sie von der Woge gefaßt wurden, half ihnen weder Boot noch Rudern mehr. Dadurch aber, daß das Steuer total verlassen und freigegeben war, drehte sich das Steuer von selber etwas in den Wind, und als sich die Mannschaft der Elbschwalbe in ihr Boot geworfen und die Taljen eben so rasch ausgehakt und abgeworfen hatte, schoß der kleine schwanke Kahn ein paar Schritte vorwärts und bekam dadurch das Wrack der armen Elbschwalbe gerade zwischen sich und die Woge, die an den krachenden Planken aufbäumte und das ganze Deck mit ihrer Fluth erfüllte, daß das Wasser stromweise in die unteren Räume schoß.

»Nun greift aus, für Euer Leben, meine Jungen!« schrie der Capitain und ergriff das Steuer, »brecht die Riemen, wenn's geht, aber laßt uns machen, daß wir an Land kommen.«

Die Leute bedurften keines Zuredens, sie legten sich in die Ruder, daß es eine Lust und Freude war, und das kleine Boot glitt, von einer riesigen Welle getragen, eine weite Strecke dahin, als ob es vom Sturm hinweggeführt würde. Aber höher und immer höher schwollen die gewaltigen Wogen an, wilder und steiler bäumten sie hinter dem kleinen schwankenden Kahn, der ihnen bis jetzt immer noch, und fast wie durch ein Wunder bewahrt, entgangen war. Jetzt tanzte er oben in dem kräuselnden Schaume der einen Welle, die unter ihm wegschmolz, als ob sie von Schnee gewesen wäre, und die Rudernden fast in demselben Moment, wo sie sich auf der Höhe glaubten, in einem von drohenden Fluthmassen umstürzten Kessel ließ.

Lange konnte das aber nicht dauern, mehr und mehr Wasser kam in das Boot, und wenn auch Drei der Leute unablässig beschäftigt waren, mit ihren Hüten das einströmende wieder auszuwerfen, konnten sie das tückische Element doch nicht mehr bewältigen. Jetzt schlug ihnen, zwar nur die äußerste Spitze derselben, eine Welle über Bord, aber sie füllte das Boot halb voll Wasser; die Rudernden legten sich mit letzter verzweifelter Kraft in die Riemen – sie sahen keine bestimmte Gefahr mehr: wie ein dichter Nebel quoll es ihnen vor den Augen, aber sie fühlten, daß die nächste Welle die entscheidende sein müsse, denn das Boot war durch die neue Wasserlast zu schwer geworden und ließ sich nicht mehr vorwärts treiben. Dort kam sie heran: wie ein weißes, in der aufgehenden Morgensonne furchtbar schön blitzendes, blinkendes Dach hing sie über den ihrem Geschick Verfallenen, und im nächsten Moment kämpfte die Mannschaft der Elbschwalbe gegen die zürnenden Fluthen mit dem nahen Tode.

Als Tellermeier (der, wie das Boot sank, Mund und Augen fest zukniff, die Hände ballte und die Kniee bis unter das Kinn heraufzog, und jedenfalls so weggesunken wäre, hätte ihn das zürnende Element nicht selber zum nahen Strand getragen) wieder zu sich kam, befand er sich unfern der Brandung auf dem freien, weißen Sande, und zwei Fischerburschen waren emsig damit beschäftigt, ihn in die Höhe zu heben und auf den Kopf zu stellen. Glücklicher Weise für ihn kam er noch vor diesem menschenfreundlichen Versuche, der ihm wahrscheinlich den letzten Athemhauch ausgeblasen hätte, in's Leben zurück und sah zu seiner unaussprechlichen Freude die ganze Mannschaft der Elbschwalbe schon um ein großes Feuer versammelt und Einzelne eifrig dabei, einen großen Kessel mit Wasser zum Kochen zu bringen, während Andere wollene Decken und Bürsten herbeischleppten, um mit diesen neue Versuche zu machen, ihren alten Steward in's Leben zurückzurufen.

Tellermeier glaubte erst wirklich, er sei gestorben oder träume jetzt, denn daß er, der gar nicht schwimmen konnte, ohne »hufländischen« Hund sollte an Land gekommen sein, schien ihm total unmöglich. Jahn löste ihm aber dies Räthsel; denn er nahm Tellermeier bei Seite und versicherte ihm, mit der Hand auf dem Herzen, daß er es mit eigenen Augen gesehen habe, wie der Klabautermann erst ihn und den Steward, und dann die ganze übrige Mannschaft, selbst den Capitain nicht ausgenommen (der das wahrlich nicht um Klabautermann verdient hatte), an's Land geschafft hätte. Klabautermann ist ein viel zu gutmüthiges, rechtschaffenes Wesen, als daß er, selbst mit der gegründetsten Ursache, Groll oder Haß auf Jemand haben könnte; aber dann und wann denen, die es verdienen, einen kleinen Streich zu spielen und sie wenigstens fühlen zu lassen, daß so ein Ding wie Klabautermann auf der Welt ist, verschmäht er auch nicht.

Das sollte Steffen Vechthold, wenn er diesmal auch noch mit dem Leben davongekommen war, an seinem Leibe genugsam erfahren; denn er war der Einzige von allen Geretteten, der, als er wieder zu sich kam, weder gehen noch stehen konnte, und wie ihn die guten Fischersleute dann in's Haus nahmen und auszogen und zu Bett brachten, sah er am ganzen Körper blau und braun aus, so zerschlagen war er. Nun behauptete er freilich, er sei von der Brandung gegen den harten Sand geworfen worden, Jahn und Tellermeier wußten aber recht gut, wo die Schläge herkamen, und meinten nachher, Steffen Vechthold könne sich noch gratuliren, daß er einzig und allein mit einer Tracht Prügel davongekommen sei – wären sie Klabautermann gewesen, könnte er schlimmer gefahren sein.

Der Klabautermann war aber mit dieser kleinen Rache vollkommen zufrieden und sie sahen ihn auch, so sehr sich besonders Jahn danach sehnte, ihm für seine Rettung zu danken, nicht wieder. Klabautermann ist viel zu anspruchslos, etwas auf eine gute Handlung zu geben, und hat sich jetzt wohl schon lange wieder ein anderes Schiff gesucht, wo er sein altgewohntes Wirken und Schaffen fortführt – den schlechten Menschen aus dem Wege geht und den guten ein treuer und wackerer Freund ist und bleibt.

 


 


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