Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

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Das Auswanderer-Schiff

Von einer günstigen Brise getrieben glitt das wackere Auswanderer-Schiff, die Captaube, die schon acht Tage durch stürmisches Wetter in der Mündung der Schelde und in der Nordsee zurückgehalten worden, über die wieder ziemlich beruhigte Fluth in den Kanal hinein und zwischen Calais und Dover hin.

Die Captaube kam von Antwerpen mit hundert und dreißig Auswanderern nach New-York bestimmt. Für Passagiere ganz besonders mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten, räumlichen Decks und Kajüten, gutem Proviant und Wasser ausgestattet, fingen die meisten der Leute, wie sie nur einmal den ersten Anfall der Seekrankheit überstanden hatten, schon an, sich wohl und behaglich an Bord zu fühlen. So recht zur Besinnung war aber noch Keiner gekommen.

Es ist auch ein wunderliches Gefühl, auf einem solchen Fahrzeug sein Alles eingeschifft zu haben, für eine andere Welt. – Wenn wir nur eine Reise unternehmen, und sei sie noch so weit, wären selbst Jahre für ihre Dauer bestimmt, der Schwerpunkt unseres Lebens bleibt doch im Vaterlande zurück; der Platz, der unsere Heimath geworden, bleibt derselbe. Hunderte uns liebe Wesen und Dinge lassen wir mit dem Bewußtsein hinter uns, sie wieder zu finden, wenn wir zurückkehren, und die Freude des Wiedersehens wirft Ihre Strahlen schon jetzt auf jenes Bild. Mit gepacktem Koffer machen wir nur eben einmal einen Sprung in's Leben hinein, um zu sehen, wie sie's draußen treiben, halten unsern Rücken dabei gedeckt, und sind wir's müde, treten wir den Heimweg an. Wir haben einen Platz, wohin wir gehören; geht es uns draußen schlecht, was thut's? ist die Reise vorüber, können wir uns daheim wieder erholen.

Die fremden Länder, die wir betreten, behalten dabei eine ganz bestimmte Färbung; wir interessiren uns wohl für sie, aber mehr auch nicht; wir freuen uns ihrer Scenerie, ihres Klimas, der Sitten und Gebräuche ihrer Völker, wie man etwa ein schönes Gemälde betrachtet oder ein gutes Buch liest, aber unser Herz hängt nicht weiter daran, und eine neue Landschaft läßt uns die früher gesehene bald vergessen. – Wir sind nicht gezwungen, uns dort heimisch zu fühlen.

Wie anders ist das, wenn der scharfe Kiel, der unser Alles trägt, die Fluth dem fernen Welttheil zu durchfurcht; wenn die Brücke zum Vaterland hinter uns abgebrochen liegt und wir die Heimath gemieden haben auf Nimmerwiederkehr. Wir wissen, was wir hier verlassen, aber nicht, was wir dort wiederfinden, und der dunkle Schleier, der über der Zukunft liegt, füllt da nicht selten selbst das Herz des Muthigsten mit banger Sorge.

Ein herrliches Mittel dagegen ist die Seekrankheit. In dem müßigen, monotonen Leben der Seefahrt würden sich Tausende von denen, die ihr Vaterland für immer verlassen haben, nur dumpfem Brüten und Trübsinn hingeben und den Schmerz der Trennung viel schwerer, viel furchtbarer empfinden; aber ehe sie an Bord nur recht zur Besinnung kommen können und kaum im Stand sind, ihre Sachen zu ordnen zu der langen Fahrt, und sich nur ein klein wenig bequem in dem neuen, ungewohnten und eigentlich höchst unbequemen Leben einzurichten, naht mit dem ersten Schaukeln des Schiffes der unerbittliche, erbarmungslose Feind und ertränkt in Vergessen das Vergangene.

Von dem Augenblick an, wo der Mensch seekrank ist, existirt keine weitere Welt mehr für ihn, weder in Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. – Was er daheim verlassen, was dort drüben aus ihm wird, was hier mit ihm geschieht – bah – was kümmert's ihn; er hört und sieht und riecht und schmeckt nicht mehr. Der einzige Sinn, der ihm geblieben, ist das Gefühl – das Gefühl grenzenlosen, unbegriffenen Elends und einer Gleichgültigkeit wieder, sogar hiergegen, die ihn selber in Erstaunen setzen würde, wenn es noch irgend etwas auf der Welt gäbe, das dies bewirken könnte.

Dieser Zustand hat eine solche Consistenz, daß die Vergangenheit, selbst wenn er endlich gewichen, doch nur wie mit einem dichten Schleier bedeckt hinter uns liegt und dem scharfen Schmerz des Abschieds keine Gewalt mehr über das Herz verstattet. Mit ihm beginnt gewissermaßen ein ganz neuer Abschnitt unseres Lebens, und eigenthümlich zu beobachten ist die Veränderung, die in dem ganzen Wesen und Betragen der Passagiere nach dem ersten eintretenden stillen Wetter vor sich geht. Die Leute sind gar nicht mehr dieselben; die heimathliche Küste ist außer Sicht, dieser furchtbare Zustand zwischen Leben und Sterben, vor dem sie sich nicht retten konnten, gewichen, und das weite, offene Meer um sie her, mit seinen leichten plätschernden Wogen, der Anblick der geblähten Segel, des vorn am Bug aufträufelnden Schaumes und Gischts, wie das wackere Schiff so rasch die Fluth durchschneidet, füllt ihre Seelen mit neuer Lebenslust, mit frischer, fröhlicher Hoffnung bis zum Rand.

Amerika, das ist das Ziel jetzt, dem sie entgegen streben, und wenn sie Abends nach dem dünnen Thee oben auf dem Verdeck sitzen und die Sterne über sich funkeln sehen, die Wasser unter sich rauschen hören, dann schaaren sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, wie sie sich eben neben einander gefunden an Bord, und bauen sich Schlösser in die blaue, reine Luft, die hoch zu den Wolken reichen und mit diesen gen Westen ziehen – aber traurig ist Keiner mehr.

So mancher schöne Plan wird da ersonnen, wie mancher phantastische Traum ausgebrütet und gehegt. Gar weh freilich würde Vielen von ihnen um's Herz sein, wenn sie vorher wüßten, wie bei den Meisten es nur eben Pläne, nur eben Träume bleiben sollen. Aber die Zukunft birgt das noch in ihrem dunkeln Schooß, und durch den tausendfarbigen Regenbogen der Hoffnung liegt ihnen das ferne Land schon jetzt in Paradieses Pracht und Schmuck vor Augen.

Wie sie lachen dabei und singen und jubeln – sind das dieselben Menschen, die erst vor wenig Wochen mit rothgeweinten Augen am heimischen Strande standen und denen das Herz brechen wollte von bitterem Weh und Leid? – Fort mit den Sorgen! Amerika, das ist das Zauberwort, dem alle trüben Gedanken weichen mußten, und »wenn wir nur erst einmal dort sind!« lautet der Tröstungsruf. Indessen haben sie weiter nichts zu thun als zu essen, zu trinken und sich zu amüsiren, bis sie der Capitain an Ort und Stelle liefert, und sie thun das eben nach besten Kräften.

Hier sitzen ein paar oben an Deck um einen umgestülpten Waschkübel und spielen Karten; dort steht eine kleine Gruppe um einen kurzen, dicken Schuhmacher, den Spaßvogel des Schiffes, herum, den Geschichten zu lauschen, die er ihnen erzählt, und über die sie sich ausschütten wollen vor Lachen. Hier kauern Einige vorn auf der Back des Schiffes und singen, und Andere liegen lang ausgestreckt auf den warmen Planken in der Sonne und schauen zu den schwankenden, neigenden Masten und den über ihnen hinziehenden Wolken hinauf, die herüber und hinüber zu schießen scheinen am Firmament. Ein Theil hat sich aber nützlicheren Beschäftigungen gewidmet, reinigt sein Geschirr oder seine Kleider, wäscht und bessert aus, und die Frauen besonders sind mit den Kindern in voller Arbeit, an denen sie ebenfalls gerade wie an dem Geschirr, zu putzen und zu scheuern haben, und die sich trotzdem am allerwohlsten an Bord zu fühlen scheinen.

Das Kind richtet sich auch am leichtesten in solch' neue Verhältnisse ein; sein junger Geist ist nur dem Augenblick empfänglich, und neue Eindrücke prägen sich so rasch dem Kinderherzen ein, als es die älteren schnell und leicht verwischt. Was weiß es von Vergangenheit und Zukunft; seine kleine Welt umschließt eben der Augenblick, und in dem engen Kreis hat es an Lust und Sorgen, Schmerz und Freude auch wieder gerade so viel zu tragen, wie's eben tragen kann.

So dauert es denn auch gewöhnlich gar nicht lange und die Kinder, die überdies am wenigsten von der Seekrankheit ergriffen werden, spielen und haschen sich, selbst bei schwerem Wetter, munter über Deck, lachen und jubeln, wenn sie eine Spritzwelle trifft, und kennen selbst keine Furcht in dem grollenden Sturm, der an den Planken rüttelt und reißt.

Die schlimmste, schwerste Zeit an Bord haben die Frauen, denn außer der Sorge um die kleine Brut, die lustig tobend über Deck schwärmt und klettert und steigt und ewige Aufsicht erfordert, nicht dennoch zu Schaden zu kommen, nagt ihnen das, was sie verlassen haben, auch am meisten am Herzen. Die Frau ist weit mehr an die Scholle gebunden als der Mann; ihr ganzes Leben und Wirken schon liegt in der Häuslichkeit, in dem engen Kreis ihres eigenen Herdes, und nur mit Mühe und tiefem Schmerz reißt sie sich von diesem los. Hätten die Frauen darüber zu bestimmen, nicht der zehnte Theil der Auswandernden würde das Vaterland verlassen, und lieber ertrügen sie das Schwerste, ehe sie die wohnliche Stätte mieden, die ihre Heimath geworden. Bei ihnen wurzelt die Erinnerung an das, was sie verloren, auch am tiefsten; die Sorge für die Zukunft müssen sie doch dem Manne überlassen, und all' ihr Sinnen und Grübeln gehört der Zeit, die hinter ihnen liegt. Die Frauen sind deshalb gewöhnlich die stillsten Passagiere an Bord, und wenn sie auch nicht klagen und jammern über etwas, das nun doch einmal nicht mehr zu ändern ist, spricht die heimlich zerdrückte und rasch und ängstlich wieder entfernte Thräne, die ihnen nur zu oft die Wange feuchtet, desto lebendiger das aus, was ihnen auf der Seele liegt.

Gleichgültig gegen alles Derartige sind natürlich die Matrosen, Steuerleute und Capitain mit eingerechnet. Die See ist ihre Heimath, sie kennen keine andere, und das Schiff ist der Gegenstand, um den sich ihre ganze Sorge dreht.

Der Seemann gehört auch wirklich mit zu den Amphibien, d. h. zu den Wesen, die auf dem Lande und im Wasser oder wenigstens auf dem Wasser leben können, sonderbarer Weise aber sämmtlich das Wasser vorziehen und zu ihrem Hauptaufenthaltsort wählen. Am Lande sind sie unbehülflich und linkisch, man kann sie auf den ersten Blick erkennen: der schwankende Gang, die vom Körper abhängenden Arme, die etwas gedrückte Haltung selbst, machen die Burschen überall kenntlich, wo sie sich auf festem Boden sehen lassen. Sie fühlen sich auch dort nicht wohl, sie wissen, wie das ihr Element nicht ist, und halten sich wie Seehund, Frosch, Alligator, Schildkröte etc. etc. immer dicht am Ufer auf, zu neuer Ausfahrt jeden Augenblick bereit. Ein ächter Matrose würde sich im innern Lande gerade so wohl da fühlen wie ein Fisch auf einer Wiese.

Der ächte Matrose wechselt auch sein Schiff nicht gern. Wenn er es nur irgend mit Capitain und Steuermann aushalten kann und diese es ihm eben nicht gar zu bunt machen, bleibt er an Bord des einmal gewählten Fahrzeugs und gewinnt das lieb, wie wir die eigene Heimath lieb gewinnen. Er wird sogar stolz darauf und fühlt sich bitter gekränkt, wenn ein anderes Schiff besser aufgeriggt, reinlicher gehalten wäre, oder gar, das Schlimmste von Allem fast, schneller segelte, als das seine, und mit gleicher Anzahl von Segeln auf offener See an ihm vorbeiliefe. Es ist ein Theil seiner selbst geworden, und was dem Schiff geschieht, geschieht auch ihm.

Einen besondern Haß hat der Seemann, der ächte, richtige Matrose wenigstens, auf Passagiere – oder, wenn er sie auch nicht gerade wirklich haßt, verachtet er sie doch gründlich. Ein Passagier ist ihm das nutzloseste, unbequemste, störendste und fatalste Stück Fracht, das sich auf der weiten Gotteswelt nur denken läßt, und einem ordentlichen Matrosen wird es auch nie einfallen – wenn er das irgend ändern kann – sich ein Schiff auszusuchen, das regelmäßige Passagierfahrten macht – er ginge eben so gern auf einen Walfischfänger.

Ueberall im Wege, wo sie nicht gebraucht werden, Alles beschmutzend und verderbend, woran sie die Hände legen können, auf allen Reisen fast Ungeziefer brütend, machen ihm die Passagiere das Schiff zu einer Hölle, und haben selber genug dabei von seinem Unmuth und Schabernack zu leiden. Wozu, um Gottes willen, ist solch ein Passagier auch nütz? – Er kann nicht nach oben gehen, denn wenn er das Deck wirklich einmal verläßt, um in die Wanten zu steigen, hat er alle Hände voll zu thun, sich nur selber festzuhalten; er kann kein Segel nähen, kaum einen Reefknoten machen, kann nicht steuern, noch eine der gerade verlangten BrassenDie Taue zum Anholen der Raaen. finden, und wenn er Monate lang an Bord wäre, und ist zu faul, Schiemanns Garn zu drehen oder Werg zu zupfen. Was also in der weiten Welt ist mit ihm anzufangen? Gar nichts. Dabei sitzt er gewiß immer an den Stellen, wo er gerade nicht sitzen sollte, hängt die gewaschene Wäsche an das laufende Tauwerk, daß die Falle, wenn sie einmal recht rasch angeholt werden sollen, in den Blöcken hängen bleiben und einklemmen, hat natürlich immer nägelbeschlagene Schuhe und zertritt die frisch gestrichenen Decks, und trampelt regelmäßig zur Unzeit über dem »Logis« herum, in dem der Theil der Mannschaft, der »seine Wache zur Koje hat«, liegt und die paar Stunden schlafen will.

Außerdem kann er nur einen Menschen verachten, der seekrank wird, und zwar so seekrank, wie es eben nur ein Passagier werden kann. Und in der Zeit hat der Matrose auch wirklich seine wahre Last und Noth mit dem unglückseligen Volk in Zwischendeck und Kajüte, das, wie er nur kaum einmal das Deck rein gewaschen hat, aus irgend einer Luke vorgestürzt kommt, nur selten im Stande ist, die Railing zu erreichen, und seiner Krankheit den Lauf läßt, wo er eben liegt. Wer dann wieder mit Eimer und Scheuerbesen hinterher kommen muß, ist natürlich der Matrose, und die einzige Erleichterung, die er sich dabei verschaffen kann, ist, seinem Herzen durch eine unbestimmte, ungemessene Anzahl von Flüchen Luft zu machen.

Und wie sieht so ein Auswanderer-Schiff in der Zeit von außen aus! – Was müssen die Fische denken, wenn sie vorüberschwimmen! – denn von der Schiffmannschaft schaut gewiß Keiner über Bord. Doch genug von den Leuten; wir wollen an Bord selber zurückkehren.

Es war Abend – eigentlich der erste warme, freundliche und stille Abend, den die Auswanderer gehabt, seit sie in der Schelde ihren Anker gelichtet, und die Passagiere versäumten nicht, ihn zu genießen. Der kleine dicke Schuster besonders war unter ihnen thätig, einen Ball zu arrangiren, holte aus den Tiefen seiner Kiste eine alte Violine – eine »Schwester von Paganini's Instrument«, wie er behauptete –, setzte sich damit auf den Windlaß, der hinter dem Haupmast stand und dessen blank gescheuerter Messingknopf mit einer ledernen Ueberkappe bedeckt war, und begann eine wahrhaft nichtswürdige Polonaise zu spielen.

Wo sich aber, bei wirklich guter Musik, Mancher nach der so kurzen Trennung von der Heimath gescheut haben würde zu tanzen, überwand das Komische dieser kreischenden, ohrzerreißenden Melodie, die kein anderes Verdienst hatte, als ihre Mißtöne wenigstens im richtigen Tact herauszustoßen, bald jede weitere Bedenklichkeit. Selbst die sonst Ernstesten lachten erst über die wirklich entsetzlichen Passagen, die der Schuster mit einer unzerstörbaren Ruhe und endlich, als er mehr in Hitze kam, selbst im Schweiße seines Angesichts herausarbeitete, und traten dann langsam selber mit zu der endlosen Polonaise an, die sich um den Windlaß herum am Larbordgangweg hin, vorn vor dem Logis vorüber und dann auf dem Starbordgangweg zurück wieder zu dem Platze bewegte, von dem sie ausgegangen war. Selbst einige hannöversche Bauern in Holzschuhen nahmen an dem Tanze Theil, und wie der Schuster erst einmal sah, daß er sie Alle in Bewegung hatte, sprang er mit seinen Dissonanzen plötzlich in einen munteren Rutscher über, dessen Erfolg über sein Erwarten gut ausfiel.

Eine Masse junger Leute, Burschen und Mädchen, waren an Bord, bei denen es eben keiner besonderen Einladung bedurft hätte, sie zum Tanz zu bringen, und die fingen natürlich rasch an, sich lustig im Kreise zu drehen. Die Uebrigen folgten, wenn auch etwas langsamer, dem gegebenen Beispiel, und selbst von den Matrosen mischten sich einige zwischen die wie von der Tarantel Gestochenen, griffen sich die hübschesten Mädchen heraus und flogen im Tact herum, den jetzt die Holzschuhe der Hannoveraner, selbst ohne die dazwischen quietschende Violine, auf dem Deck der Captaube schlugen und stampften.

Der Capitain hatte nichts gegen das fröhliche Treiben an Bord; bis acht Uhr, wo doch sämmtliche Mannschaft an Deck versammelt war, konnten sie toben, die Bewegung war ihnen überdies gesund, dann freilich, mit dem Ton der Glocke, war Feierabend – die Schiffs-Polizeistunde – und die Nacht begann. Die Zeit bis dahin mußte also nach besten Kräfte benutzt werden.

Rasch und schäumend, über die nur leise wogende See, verfolgte indessen das wackere Schiff seine Bahn; der Wind hatte sich nach Nordosten gedreht, und mit allen Segeln gesetzt, bis in die obersten Stengen hinauf, durchschnitt der scharfe Bug lustig die zischend und spritzend zur Seite schlagende Fluth. Vorn im Westen erhob sich zwar eine dunkle Wolkenschicht, hinter der die Sonne jetzt gluthroth niedersank, aber die obere Luftströmung ist der untern, über das Wasser streichenden, oft ganz entgegengesetzt, und keinesfalls bekümmerten sich die Passagiere um den grauen Saum, der ihren Horizont umzog.

Hell und klar funkelten die Sterne schon vom sonst wolkenreinen Himmel nieder und zu ihrer Rechten wurde ein rothschimmernder Punkt dicht über dem Wasserspiegel sichtbar – ein Leuchtfeuer der englischen Küste, unter der sie hinsegelten. – Wie das so still und freundlich zu ihnen herüberglühte von dem fernen Strand, der sichere Führer nach dem Hafen dort. Aber ihr Ziel lag weiter; kein gastliches Ufer konnte sie ablocken von der bestimmten Bahn, und weiter und weiter zurück blieb das Wachtlicht dort drüben, bis andere vor ihnen auftauchten, die Bahn bezeichnend, die sie nahmen.

Der Tanz hatte jetzt aufgehört; die Tänzer waren allerdings so wenig müde geworden wie der Geiger, aber die Saiten des Instruments – wenn der violinartig geformte Kasten wirklich einen solchen Namen verdiente – weigerten längeren Dienst, mußten, da sie in der feuchten Abendluft mehr und mehr nachgaben, höher und höher hinaufgeschraubt werden und platzten endlich. Nur die Holzschuhe waren einmal in Gang und Tact gekommen und klapperten fort, bis endlich des Capitains lauter Ruf auch ihre Fröhlichkeit unterbrach und den mißhandelten Schiffsplanken Ruhe gönnte.

Es wurden Leute nach oben geschickt, die leichteren Segel einzunehmen und ein paar gegen Abend ausgesetzte Leesegel wieder einzuholen; die Wolkenwand im Westen hob sich höher und drohender, und der vorsichtige Seemann wollte sein Segelwerk bei doch etwa eintretendem andern Wind besser in der Gewalt haben.

Die Oberbramsegel flatterten und schlugen im nächsten Augenblick an ihren Raaen, die »leichten Matrosen« sprangen nach oben, um sie an ihren Hölzern festzuschnüren; die Leesegel kamen ebenfalls blähend an Deck und wurden dort geborgen, und die nächste Wache, die von Acht bis Zwölf zu stehen hatte, lag, ihre Antrittszeit erwartend, vorn auf der Back, den Erzählungen des Segelmachers lauschend, der einst an Bord eines englischen Kriegsschiffes gedient hatte und die nöthige Gabe besaß, ein »Garn zu spinnen«, d. h. eine Erzählung mit der fabelhaftesten Phantasie auszuschmücken und zu würzen.

Die Auswanderer hatten sich indessen ebenfalls in kleinen Gruppen gesammelt. In LeeDie der Richtung, von welcher der Wind herkommt, entgegengesetzte Seite des Schiffes. stand eine Anzahl von ihnen zusammen und sang ihre heimischen Weisen; Andere lehnten über Bord und schauten still und schweigend zu den einzelnen Leuchtfeuern hinüber, die jetzt auch von der französischen Küste sichtbar wurden und untergehenden Sternen glichen, und wieder Andere lagen über die an Deck festgeschnürten Wasserfässer zerstreut, oder im großen, zwischen dem Haupt- und Fockmast befestigten Boot, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen oder Cigarren in die stille Nachtluft hinein und schauten zu den Sternen und den schwankenden Masten hinauf.

Ein eigenthümlich schriller Laut pfiff da über die See, und das Schiff neigte sich plötzlich und scharf nach Lee hinüber, daß, wer nicht fest stand, zur Seite rutschte und rollte und alles an Deck stehende lockere Geschirr und Geräth polternd nach Larbord über kollerte.

»Steht bei den Fallen! Los mit den Bramfallen, um Euer Leben, los mit den Marsen!« schrie in diesem Augenblick die Stimme des Capitains gellend über Deck. Die Matrosen sprangen erschreckt herbei, aber sie selber hatten Noth, sich im ersten Augenblick der Ueberraschung festzuklammern und nicht ebenfalls nach Lee zugeworfen zu werden, und ehe sie nur die Falle, an denen die oberen Raaen befestigt waren, erreichen und, wie der Befehl lautete, abwerfen konnten, brach es und knatterte es oben in den Stengen und kam, unter dem Heulen der plötzlich aufgesprungenen Bö, rasselnd an Deck nieder, zwischen die ängstlich aufschreienden Passagiere hinein.

Noch standen die unteren Masten, und durch die niedergeschmetterten Stengen hatte der so plötzlich herangebrauste Sturm wenigstens seine größte Macht auf das Schiff verloren, das sich langsam wieder aufrichtete. Aber die Captaube trieb auch, ein halbes Wrack, auf den Wellen, und unter dem Flattern der Segel, da der Mann am Steuer in plötzlichem Schreck das Schiff gerade in den Wind hineingedreht hatte, daß es nicht den mindesten Fortgang mehr durch's Wasser machte, sprangen die Matrosen jetzt an ihre Plätze, lösten die Schoten des großen Segels und den Fock, ließen den Clüver nieder – der Clüverbaum war ebenfalls abgebrochen – und warfen das Besansegel los.

In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herging, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Uebrige über Bord zu schneiden, kam ein fluthender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt überdies noch mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.

Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, daß sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinctartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein mußte mit dem eigenen Körper zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder und schrieen und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.

Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, daß sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Fluth selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoß und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, niederzuklettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.

Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtentheils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den untern, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten soviel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Capitain den Cours. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Fluth fortbewegen, und das Sicherste für sie war, nach Norden hinauf zu laufen, um mit Hülfe der Leuchttürme einen schützenden Hafen zu erreichen, wo der erlittene Schaden wieder ordentlich reparirt werden konnte. Mit dem Wrack durfte er nicht wagen, seine Reise durch den Atlantischen Ocean fortzusetzen.

An Deck arbeiteten die Matrosen jetzt mit unermüdlichem Eifer, ihr Schiff von Allem, was es noch behinderte, nicht allein frei zu bekommen, sondern auch die noch stehenden kurzen Masten und das Takelwerk zu untersuchen, das Schiff auszupumpen, ob die Erschütterung nicht vielleicht irgendwo eine »Naht« aufgerissen habe, und dann soviel als möglich Segel zu setzen, um rascheren Fortgang zu machen. Die so plötzlich hereingebrochene Bö hatte sich indessen wieder vollständig gelegt; die See brauste und wogte allerdings noch heftig und unruhig, und weiße Schaumadern zischten durch die aufgeregten Wasser, aber die Luft war ruhig geworden, und nur im Nordwesten dichteten sich die Wolken mehr und mehr, und sandten von dort aus breite Schattenstreifen ab, hinter denen die funkelnden Sterne bald vollständig verschwanden. Nur die jetzt aufgehende Mondessichel warf dann und wann einmal einen flüchtigen matten Schein durch die zerrissenen Schleier nieder und beleuchtete das rege, thätige, ängstlich schaffende Leben an Bord des Wracks.

Im Zwischendeck sah es indessen traurig aus. Abgeschlossen von Luft und Licht, mit den nassen Kleidern nach unten geschickt, die jetzt einen feuchten, unangenehmen Dunst ausströmten, in vollständiger Dunkelheit dabei, hatten die armen Auswanderer, unter dem Wimmern und Schreien der Frauen und Kinder und dem Stöhnen Einzelner, die von der Seekrankheit wieder erfaßt worden, eine traurige Stunde zu verbringen. Durch das ruhige Wetter sorglos gemacht, war eine Masse von Geschirr, halbgefüllte Flaschen, Gefäße mit Wasser oder Thee und anderen Sachen, im Laufe des Abends oberflächlich auf die Kisten gestellt oder nur leicht verwahrt worden, dem geringen Schaukeln des Schiffes zu begegnen. Wie aber dem Steward in der Kajüte, bei dem plötzlichen Ueberwerfen des Fahrzeugs, ein ganzer Korb Geschirr nach Lee hinübergeworfen und meist zertrümmert worden, so stürzte hier unten mit dem ersten Stoß das ebenfalls über den Haufen, was nicht fest verwahrt und angebunden war, und kleine Kisten und Körbe, zerbrochene Krüge und Glasscherben, mit den ausgegossenen Flüssigkeiten, und dem Erbrechen der wiederum Erkrankten, vermehrten nur noch in dem engen, dumpfigen, dunkeln Raum die entsetzliche Lage der Passagiere.

Glücklicher Weise dauerte dieser Zustand nicht so lange. Der Capitain, der sich wohl denken konnte, wie den unglücklichen Passagieren drunten zu Muthe sein mußte, ließ, als der Regen aufgehört hatte niederzuströmen, die Luken öffnen, um wenigstens frische Lust einzulassen, und die Zwischendecks-Laternen hinunterschaffen, damit die Passagiere bei dem matten Schein derselben den engen Raum wieder ein wenig in Ordnung bringen und sich dann zu Bett legen konnten. An Deck wurden jedoch nur Einzelne nach einander hinaufgelassen, um die Arbeiten der dort noch immer beschäftigten Matrosen nicht zu hindern – unter Deck konnten sie machen was sie wollten – wenigstens was ihnen die Schiffsgesetze erlaubten oder nicht verboten.

Wie sich die Leute aber nur einmal von dem ersten Schreck erholt und sich vergewissert hatten, daß ihnen weiter keine unmittelbare Gefahr drohe, kehrte auch bei den Meisten der frische, fröhliche Lebensmuth zurück, und nachdem sie sich, so weit das die Umstände erlaubten, getrocknet, oder ihre Kleider gewechselt und das Zwischendeck selber von den umherliegenden Scherben und Sachen gesäubert hatten, sammelten sie sich unter den beiden Laternen, die neben der vordern und hintern Luke hingen, um die Erlebnisse des Abends zu besprechen, wie ihre verschiedenen Meinungen über die erlittene Havarie auszutauschen.

»Schöne Geschichte das,« sagte ein breitschultriger Schneider, der wegen revolutionärer Umtriebe in Deutschland hatte landesflüchtig werden müssen und auch schon steckbrieflich verfolgt, aber noch glücklich an Bord der Captaube entkommen war – »vortreffliche Geschichte das – aber das kommt nur von der Ueberklugheit der Herren Matrosen, die Alles besser wissen wollen als andere vernünftige Leute. Ich hab' es dem Holzkopf von Steuermann schon heute Morgen gesagt, daß die Segel zu hoch wären und das Schiff nächstens einmal umkippen müßte – ob er mir nur darauf geantwortet hätte, und jetzt haben wir die Bescheerung. – Mir ist eine Flasche Syrup ausgelaufen, und gerade über mein Kopfkissen weg und in meinen einen Stiefel hinein, und dem Bäcker da drüben haben sie eine Flasche Dinte in die Wäsche gegossen.«

»Es ist wirklich schade, daß Du nicht Capitain geworden bist,« sagte ein Lohgerber, der mit dem Schneider in einer Koje schlief, »und hier könntest Du's gleich großartig betreiben, denn heut Abend sind uns in der einen Viertelstunde mehr Lappen über Bord gegangen, wie Du in Deiner ganzen Lebenszeit wahrscheinlich unter den Tisch gesteckt hast.«

»Ja, Ihr braucht auch noch darüber zu spotten,« sagte aber ein Instrumentenmacher, der seine kleine Familie und eine Anzahl fertiger Fortepianos an Bord hatte, um sie nach Amerika überzuführen; »oben sieht's schön aus, und daß wir diesmal so mit dem Leben davongekommen sind, können wir eben nur dem Capitain Dank wissen. Wie wir aber mit den Maststumpfen nach Amerika hinüber kommen wollen, weiß ich nicht.«

»Wir sind auch noch nicht davon,« sagte da die tiefe, dumpfe Stimme eines alten, wetterharten Burschen, der jedenfalls schon mehr von der See gesehen, als einer der Uebrigen, und in seinem ganzen Wesen, obgleich er nicht so gekleidet ging, kaum den Matrosen verleugnen konnte, an Bord der Captaube aber als Passagier eingeschrieben war – »dahinten im Westen steht noch faules Wetter genug, und ich will keinen Zwieback mehr kauen, wenn ich nicht glaube, daß wir die Nacht noch 'was Tüchtiges auf die Mütze kriegen.«

»Ach, Dummheiten,« sagte der Schneider, »jagen Sie Einem keinen Schreck ein; das Wetter ist ja wieder recht still und freundlich geworden –«

»Na, mir soll's recht sein,« meinte der Alte, »denn wenn's von da drüben herüberkäme, wo die Wolken jetzt so dicht und dunkel heraufziehen, und wo das erste auch schon hergekommen ist, dann könnten wir uns gratuliren. Mit den paar Lappen da oben wären wir nicht im Stande, uns gegen den Wind noch einmal zu halten, und in Lee haben wir die fatalste Sandküste, die sich ein Mensch eben zu wünschen braucht. – Wer weiß, ob uns nicht schon vor Tag der Hals voll Wasser gelaufen ist!«

»Das ist ja eine schreckliche Unke,« brummte der Lohgerber. »Hals voll Wasser laufen – ja wohl, wer das Maul aufmacht, hätte das Vergnügen schon vor einer Stunde haben können.«

»Glauben Sie wirklich, daß es noch einmal anfängt?« rief eine der Frauen, die dem Gespräch zugehört hatte und sich jetzt, mit einem kleinen Kind auf dem Arm, ängstlich zwischen die Männer hineindrängte, dem Alten zu.

»Ach papperlapapp!« rief aber der Schneider ärgerlich. »Herr Meier weiß eben auch nicht mehr davon wie wir Anderen, und da uns noch nichts gemeldet worden, brauchen wir uns auch an nichts zu kehren. Die Matrosen werden die Geschichte schon wieder in Stand setzen; sie haben ja eine ganze Portion Nothmasten und andere Stücke Holz, die sie zu Querbalken und Latten gebrauchen können, an Bord, und die Segel sind auch wieder zu flicken; das ist keine Kunst.«

»Ehe der Morgen dämmert, sind vielleicht so viele NähteDie Stellen, wo die Planken zusammengefügt sind, heißen in der Schiffssprache Nähte. an dem alten Kasten auszubessern, daß alle Schneider der Welt eine Lebenszeit daran zu thun hätten,« brummte der Alte wieder – »'s wäre mir lieb, wenn ich mich irrte. Hat Jemand von Euch hier einen Barometer?«

»Einen Korkzieher habe ich bei mir,« sagte der Schneider, »aber einen Barometer nicht.«

Die Anderen lachten, und Meier, wie der alte Mann hieß, zog sich finster auf seine eigene Kiste in die vordere Ecke zurück, wo er, mit seinem Rücken an die Koje gelehnt und vollkommen im Schatten, keinen Antheil an dem Gespräch weiter nahm und sitzen blieb.

»Wichtigthuer,« brummte der Schneider noch mürrisch hinter ihm her – »der Art Leute meinen immer, wenn sie nur recht 'was Unglückliches prophezeien können, nachher hätten sie Recht, und dann soll man sie für 'was Großes ansehen – Hals voll Wasser laufen – ja wohl und was sonst noch.«

»Na, so viel weiß der Capitain ja wohl auch noch,« sagte der Lohgerber, »und wenn der glaubte, daß Gefahr bei der Sache wäre, führ' er doch gewiß einfach an's Land und ließe uns aussteigen. Ich hab's in meinem Contract, daß er uns sicher hinüber bringen muß.«

»Herr Gott von Danzig,« mischte sich der Schuster, der bis dahin ziemlich still und vor sich hinbrütend gesessen hatte, mit in das Gespräch, »Was die Kerle da oben an Deck herumtrampeln und einen Spectakel machen, als ob sie die Planken durchtreten wollten. Das thun sie uns doch nur justament zum Possen, gerad' über unseren Köpfen hin.«

»Ich will einmal hinaufgehen und zuschauen, wie's oben aussieht,« sagte der Schneider, indem er aufstand und seinen Hut hinter sich von der Kiste nahm; »wenn der Koch nur noch heiß Wasser in der Cambüse hätte, daß man sich einen Grog machen könnte – auf den Schreck und die Nässe wär' der famos.«

»Donnerwetter, ja, Heidelberger, versuchen Sie's einmal,« rief der Schuster, von dem Gedanken ergriffen, »wenn Sie dem Burschen ein paar Groschen in die Hand drücken, thut er's auch, und nachher legen wir zusammen.«

Der Schneider stieg mit dem doppelten Auftrag an Deck, und das Gespräch drehte sich unten indessen um allerlei häusliche Angelegenheiten, umgestoßene Senfbüchsen, ausgelaufene Milch- und Essigkrüge, zerbrochene Flaschen und Tassen und durchweichten Zwieback. Nur die Frauen drängten sich noch einmal ängstlich heran, wenn das Schreien und Stampfen der Matrosen an Deck gar zu arg wurde, und wollten wissen, ob der Sturm wieder angefangen hätte zu wehen. Von den Männern wurden sie aber gewöhnlich kurz abgefertigt, und die meisten waren auch durch das erneute Schaukeln zu unwohl geworden, sich in lange Gespräche einzulassen – wenn die Matrosen an Deck nur nicht gar solch' entsetzlichen Spectakel gemacht hätten!

Oben an Deck wurde jetzt die große, vorn hängende Schiffsglocke in regelmäßigen Schwingungen angezogen, während zugleich Heidelberger, der Schneider, wieder nach unten kletterte, mit dem einen Fuße von der Leiter ab vorsichtig nach seiner Kiste fühlte und dabei sagte:

»Herr Du meine Güte, ist das eine Finsterniß und ein Nebel da oben; keine Hand kann man vor Augen sehen.«

»Vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn –« zählte der Lohgerber – »an was schlagen die denn da oben an? Die Uhr ist wohl mit ihnen durchgegangen.«

»Nein,« sagte der Schneider, der an Deck zufällig gehört hatte, wie der Befehl dazu gegeben wurde, »das ist immer bei Nebel und soll nur ein Zeichen sein, daß wir mit keinem andern Schiff zusammenrennen.«

»Wie sieht es denn oben aus, Herr Heidelberger?« frug die Frau des Instrumentenmachers, ein junges, blühendes Weibchen, die eben ihr Kind beruhigt hatte, aber aus Sorge selber nicht schlafen konnte.

»Stockpechrabenschwarze Dunkelheit, verehrte Madame Halter,« erwiderte Heidelberger achselzuckend, »man kann nicht einmal bis dahin an die Masten hinauf sehen, wo die Stücken abgebrochen sind; kein Stern am Himmel, keine Ecke Mond, kein Leuchtfeuer mehr zu sehen – blos noch Licht in der Cambüse und am Compaß –«

»Nun, kriegen wir heiß Wasser?« frug der Schuster schnell.

»Der Koch bringt's selber herunter,« lachte Heidelberger, »der trinkt auch gern einen Schluck und will die Gelegenheit nicht unbenutzt vorüberlassen. Sie sind gleich fertig mit ihren Arbeiten, und dann hat er »seine Wacht zur Koje«, wie er sagt. Es geht übrigens kein Lüftchen mehr oben, und die Segel hängen wie Lappen am Mast herunter.«

»Das wär' bös!« sagte Meier, jetzt zum ersten Mal wieder aus seiner Ecke aufstehend und ebenfalls an Deck kletternd.

»Bös?« brummte der Schuster hinter ihm drein. »Jetzt seh' Einer den Holzkopf an; ärgert sich, weil es still geworden und der Sturm nicht gekommen ist, den er prophezeit hat – alter Barometermacher, der.«

»Ach, laß ihn gehen,« sagte aber Heidelberger, »wir wollen lieber unterdessen Alles zum Grog zurechtmachen, bis der Koch mit dem Wasser kommt – er meinte, der Capitain müßte nur erst von Deck sein, daß er nicht etwa 'was merkte. Vor dem Alten hat er einen heillosen Respect.«

Oben an Deck wurde es jetzt ruhig – es war wirklich so dunkel, daß sie keine weitere Arbeit vornehmen konnten. Was sich von den abgeschlagenen Spieren und dem Takelwerk bergen ließ, lag an Deck, die Segel, die jetzt angebracht werden konnten, standen, den geringsten wiederkehrenden Luftzug zu fangen, und alles Weitere mußte bis zu dem dämmernden Tag verschoben werden, wo sich der erlittene Schaden dann freilich erst ordentlich übersehen ließ. Nur die eine Beruhigung hatten sie, daß sich kein Wasser im Raum fand. Der Schlag, der die Stengen über Bord jagte und das ächzende Schiff bis in seinen Kiel hinab erschütterte, hatte nicht vermocht, die Nähte zu trennen oder zu lockern, und sie durften hoffen, am nächsten Tag einen Hafen irgendwo an der englischen Küste anzulaufen um dort den erlittenen Schaden wieder auszubessern. Freilich mußte das die Reise um Wochen lang verzögern.

Wie still und unheimlich das auf dem Wrack jetzt aussah, mit den an Bord geholten gebrochenen und zersplitterten Hölzern, den zerrissenen Segeln und wirr durcheinander geschlungenen Tauen, und wie das klappte und schlug von noch locker hängenden Enden und losgegangenen Blöcken, die mit dem faulen Schlingern des Schiffes, das keinen Widerhalt im Wind mehr fand und auf den Wogen herüber und hinüber taumelte, an die Maststumpfe und großen Raaen klopften. Dick und schwer lag dabei ein dicker Nebel auf dem Wasser, daß man nicht einmal von Bord zu Bord des eigenen Schiffes sehen konnte, und was dabei das Schlimmere war: er verdeckte auch das Licht der Leuchttürme, das Einzige, wonach der Capitain im Stande gewesen wäre den Platz jetzt zu bestimmen, wo er sich gerade befand, und die Strömung zu erfahren, die ihn, wie er fast fürchtete, dem südlich gelegenen flachen Lande zu setzte. Hierüber mußten sie sich aber Gewißheit verschaffen, und die war auch außerdem durch das Senkblei zu bekommen.

Mit dem kleinen Loth erreichten sie allerdings noch keinen Grund, das größere ergab jedoch eine Tiefe von fünfzig Faden, und als sie das Senkblei einige Secunden auf dem Boden liegen ließen, fanden sie ihre Befürchtung der Strömung wegen allerdings gegründet, denn das Schiff trieb über die Leine hin, nach Südosten zu. Trotzdem ließ sich für den Augenblick nichts weiter thun, denn das Wasser war zum Ankern zu tief und das Ankern selber auch für sie gefährlich. Die Brise konnte nicht mehr lange ausbleiben, dann verzog sich auch aller Wahrscheinlichkeit nach der Nebel, und ihr einziges Streben mußte jetzt sein, so rasch als möglich einen Hafen zu erreichen. Das Schiff selber war dicht und unbeschädigt, und die paar Hölzer und Segel ließen sich dann bald wieder herstellen.

Fortgang machten sie indessen fast gar nicht, höchstens vielleicht eine oder zwei englische Meilen die Stunde; nichtsdestoweniger wurde vorn am Bug die Glocke zeitweilig angeschlagen, ein mögliches Zusammenstoßen mit einem andern Schiff, dem sie kaum hätten ordentlich ausweichen können, zu vermeiden.

Der Capitain hatte jetzt seine Wacht zur Koje und ging nach unten. Was geschehen konnte, war geschehen, und sie durften ihre Kräfte nicht vor der Zeit aufreiben, da man allerdings nicht wissen konnte, was dem arg beschädigten Schiff noch bevorstand. Der Steuermann, der mit seiner Wache an Deck blieb, hatte aber strenge Ordre, das Senkblei von Zeit zu Zeit auswerfen zu lassen, sowie bei einer Veränderung der Witterung, oder sonst etwas Auffälligem, den Capitain augenblicklich zu wecken und davon in Kenntniß zu setzen.


»Na, da kommt er endlich!« rief unten im Zwischendeck Heidelberger, als der Koch, ein eben nicht besonders reinlich aussehender Bursche, mit einem großen dampfenden Blechgefäß in der Hand, rasch die schmale Treppe, die in der Vorderluke lehnte, herabstieg, sich die Mütze dann abnahm und den Schweiß von der triefenden Stirn mit einem rothbaumwollenen Tuche abtrocknete.

»Hurrah, der Koch soll leben!« wollte der Schuster eben, in dem Vorgefühl bald befriedigten Durstes, ausrufen, als ihn aber das also zu ehrende Individuum selber eben nicht sanft gegen die Schulter stieß und bedeutete, »das Maul zu halten«.

»Hol' Euch doch der Henker hier mit Eurem ewigen Brüllen!« knurrte er dabei; »muß es denn immer gleich das ganze Schiff wissen, wenn man Euch einmal einen Gefallen thun will? – Und dann werdet Ihr überdies nicht mehr lange zu hurrahen haben – beten wär' Euch besser und nützlicher.«

Der Koch war ein mürrischer, finsterer Gesell, trotzdem aber mit einem ziemlichen Theil trockenen Humors begabt, der ihn schon bei seinen Passagieren sehr beliebt gemacht hatte. Auch kochte er nicht übel und verstand die Behandlung einer Auswanderungsküche aus dem Fundament. Nur mit der Reinlichkeit sah es nicht besonders aus, und das in tausend kleine bewegliche Falten gezogene Gesicht ließ ihn dabei immer noch schmutziger erscheinen, als er vielleicht wirklich war. Der einzige Fehler nur klebte ihm an: er trank und ließ sich auch deshalb mehr und intimer mit den Passagieren ein, als das auf der langen Reise für den Koch nützlich und den Officieren des Schiffes angenehm ist. Die Auswanderer führten aber eine Menge spirituöser Getränke bei sich, und denen konnte er, da an Bord selber kein Branntwein verabreicht wurde, nicht widerstehen.

»Beten? Hallo, was ist nun im Wind?« lachte der Schneider, der ihm indessen das Wasser abgenommen hatte und einen Theil desselben in eine große Blechkanne auf die darin schon vorbereitete Mischung von Rum und Zucker goß; »weil die paar Stücken Holz und Ellen Leinwand über Bord gegangen sind?«

»Der Klabautermann ist fort!« flüsterte aber der Koch dem Schneider heimlich zu, und sah sich dann scheu im Kreise um, die Wirkung zu beobachten, die diese Worte auf die Umstehenden machen würden.

»Der Klabautermann?« rief der Schneider erstaunt und lachend, denn es war das erste Mal in seinem Leben, daß er den Namen auch nur erwähnen hörte – »wer heißt Klabautermann? Nennt Ihr einen von Euern Masten so?«

»Kennt Ihr den Klabautermann nicht?« rief der Koch, auf's Aeußerste erstaunt – »na, Gott sei Dank, weiß nicht einmal, wer der Klabautermann ist, und geht zur See; Ihr Passagiere seid noch schrecklich dummes Volk.«

»Na, Donnerwetter, woher sollen wir denn in Preußen erfahren haben, wer der Klabautermann ist?« brummte der Schuster – »heraus mit ihm denn, was ist mit ihm los, und wo ist er hin?«

»Fort ist er,« sagte der Koch wieder mit unterdrückter Stimme – »fort und vom Schiff, und nun ist die Geschichte aus.«

»Aber wer ist der Klabautermann?« rief der Lohgerber, jetzt auch ungeduldig werdend – »schwafelt der Mensch da in den Tag hinein, daß keine Seele daraus klug wird, und antwortet auf keine vernünftige Frage. Was haben wir mit dem Klabautermann zu thun?«

»Was Ihr mit dem Klabautermann zu thun habt?« wiederholte der Koch, »das wird Euch bald klar werden. Der Klabautermann ist der Schiffsgeist, ein kleines kurzes Männchen, ganz wie ein Matrose angezogen, der unten im Raum der Fahrzeuge seine Wohnung hat und das Schiff, wenn ihm ein Unglück bevorsteht, warnt, sobald es aber nicht mehr zu retten ist, von Bord geht und nicht wiederkommt. Wenn die Ratten und der Klabautermann ein Schiff verlassen, dann gnade Gott der Mannschaft!«

»Na, die Geschichte muß uns der Koch nachher einmal ein bischen näher auseinandersetzen,« sagte der Instrumentenmacher, der ungemein gern Geschichten erzählen hörte, »jetzt macht nur, daß Ihr mit Eurer Mischung fertig werdet, denn der Schreck vorhin und die Nässe sind mir dermaßen in die Glieder geschlagen, daß mich's ordentlich wie im Fieber schüttelt. Dagegen ist ein guter Grog die beste Medicin, und ich habe hier auch noch eine famose Flasche Rum.«

»Bravo,« sagte Heidelberger, »solche milde Beiträge lassen wir uns gefallen – der Wohlthätigkeit werden keine Schranken gesetzt, und Eure Becher her, Ihr Leute. Wer ist denn da hinten noch so seekrank? Herr Du meine Güte, würgt der Mensch –«

»Das ist der Nadler aus Nummer Sieben,« lachte der Lohgerber; »so wie sich das Schiff anfängt zu bewegen, liegt der auf der Nase.«

»So gebt ihm einen Schluck von der Mischung hier,« meinte der Instrumentenmacher gutmüthig, »das wird ihn wieder auf die Beine bringen.«

Des Nadlers Frau wurde gerufen, um ihrem Mann etwas von dem Grog zu bringen, der aber stöhnte und ächzte, weigerte sich zu trinken und bat, man solle ihn lieber über Bord werfen. Die Anderen lachten und nahmen weiter keine Notiz von dem Seekranken.

Die Becher wurden indeß fleißig gefüllt und geleert; der Schreck von heut Abend war Manchem in die Glieder geschlagen, und von allen Seiten kamen Flaschen und Krüge mit Rum gefüllt aus den verschiedenen Kojen vor, daß der Koch noch zweimal in die Cambüse mußte, mehr heißes Wasser herbeizuholen. – Der Steuermann trank ebenfalls gern ein Glas, und wenn es ihm auch nicht einfiel, das mit den Zwischendecks-Passagieren zu thun, ließ er es doch geschehen, daß ihnen der Koch gefällig sein durfte – noch dazu an dem heutigen Abend. Auch Meier hatte sich bei der Bowle eingefunden, von der er aber oft fort und nach oben ging, um nach dem Wetter und Wind zu sehen.

Der Koch, der dem Grog fleißig zugesprochen, übrigens eine sehr bedeutende Quantität davon vertragen konnte, hatte indeß den aufmerksam und vergnügt lauschenden Passagieren die Sage vom Klabautermann ausführlich erzählen müssen. Es war ein kleiner gemüthlicher Geist, ein Ueberbleibsel noch der alten Heinzel- oder Wichtelmännchen, der im Innern des Schiffes, aber immer nur einzeln und einsam, sein Quartier aufgeschlagen und die weitesten Reisen mit dem einmal erwählten Fahrzeug machte. Bei gutem Wetter ließ er sich dabei weder hören noch sehen, und kam nicht vor; wenn aber dem Schiff Gefahr drohte, rief er aus den Masten herunter den Leuten zu, zu reefen, oder warnte sie auch wohl vor drohenden Klippen und Bänken, und nur wenn das Schiff rettungslos verloren war, nahm er sein kleines Matrosenkistchen, das er, wie jeder andere Seemann, bei sich führte, unter den Arm und zeigte sich gewöhnlich noch einmal, ehe er ging, denen an Bord, die er während seiner Anwesenheit am liebsten gehabt. Nachher war er fort, und was aus ihm wurde, konnte Niemand sagen.

Heut Abend aber war er fortgegangen. Er, der Koch, der ihm immer die gebührende Ehrfurcht erwiesen, und dem er deshalb auch gut geblieben war, hatte ihn mit eigenen Augen gesehen, und wenn Einer von ihnen wieder das Land sehe – meinte der Mann mit leiser, unheimlich flüsternder Stimme – sei es ein Werk des Himmels.

Die Passagiere, die den Koch dicht umdrängten, hatten im Anfang über das »Märchen« gelacht und ihren Spaß damit gehabt; als der Mann aber so gar ernsthaft dabei blieb und das überdies finstere und faltige Gesicht noch weit mehr zusammenzog und die Kunde, die auch sie so nahe betraf, so geheimnißvoll flüsterte, daß man ihm wohl ansehen konnte, wie er selber jede Silbe glaube, wurden doch auch Manche der vorher noch ganz Beherzten und Ungläubigen stiller – das Lachen verstummte, und die noch immer unheimlich durch die Nacht tönenden Schläge der Schiffsglocke über ihren Häuptern mahnten sie dabei, daß allerdings nicht Alles an Bord sei, wie es eigentlich sein solle.

»Aber es giebt doch keine Geister,« sagte endlich der Instrumentenmacher, der das ihm fatale Grausen zuerst abzuschütteln suchte mit einem allgemeinen Beweisgrund gegen jede derartige Erzählung.

»So? – giebt es nicht?« erwiderte ihm der Koch, ohne von seinem Becher aufzuschauen – »und mich haben sie wohl nicht einmal an der Weser drüben zehn Meilen in's Land hinein gesetzt, ohne daß ich wußte wie?«

»Zehn Meilen in's Land?« rief der Schneider erstaunt.

»Zehn Meilen in's Land,« bestätigte der Seemann, den Becher jetzt bis auf den letzten Tropfen leerend und wieder zum Füllen gegen Heidelberger vorstreckend, »und die Geschichte war merkwürdig genug. Wir lagen mit dem Robert Fulton, einem andern deutschen Schiff, auf dem ich damals meine Reise als Koch machen sollte, unter Bremerhafen vor Anker und warteten auf den letzten Lichter, der mit Fracht von Bremen herunter kommen mußte. Abends nach dem Essen schickte mich der Capitain mit dem Kajütsjungen und zwei Leuten an Land, um in dem nächsten Dorf eine Partie Eier und Hühner und andere Sachen für die Kajüts-Passagiere und den Capitainstisch einzukaufen. Der Eine von den Leuten, die ich mithatte, war aber ein alter Matrose, der damals schon seine sechzig Jahre auf dem Rücken haben mochte und die ganze Zeit, von Kindheit auf, zur See zugebracht hatte, und der behauptete, daß ihm an dem nämlichen Abend der schwarze Mann an Bord erschienen sei.«

»Der schwarze Mann?« rief der Lohgerber, der mit offenem Munde der Erzählung lauschte.

»Ja, der schwarze Mann,« bestätigte der Koch, »auch so ein Wesen, das sich nur sehen läßt, wenn es mit Einem von uns zu Ende geht, und der alte Bursche, sonst immer einer der Flinksten und Muntersten von Allen, ließ den Kopf hängen und sprach kein Wort. Wir anderen jungen Burschen lachten ihn jetzt aus, neckten ihn, daß er einen Schluck zu viel genommen und den Pumpstock für den schwarzen Mann angesehen habe, und ich – ein junger Kehrdichannichts, der ich damals war – trieb es am tollsten, ja behauptete zuletzt sogar, es gäbe gar keine Geister, weder schwarze noch Klabautermänner, und rief, wenn wirklich welche da wären, sollten sie sich mir auch einmal zeigen, und dann wollte ich an sie glauben. Der Alte bat mich zwar nun, ich möchte still sein; wenn ich älter würde, erführ' ich das Alles überdies noch zeitig genug; mit ein paar Gläsern Grog im Kopf machte ich mir aber aus der ganzen Sache nichts und trieb es toller als vorher. Unter der Zeit war es ziemlich dunkel geworden; das Dorf lag jedoch keine fünfhundert Schritt vom Fluß ab und ein breiter Fahrweg lief von der Landung gerade darauf zu, so daß wir gar nicht irre gehen konnten. Wir machten also unser Boot fest, stiegen an's Land und fanden auch glücklich den Platz, wo wir kauften, was wir brauchten, und dann mit den Sachen den Rückweg antraten.

»Ziemlich schwer zu tragen hatten wir übrigens und gingen deshalb einzeln hintereinander her auf der Straße, ich hintennach, weil ich auf das Ganze sehen mußte. Gerade halbweg zwischen dem Dorf und Fluß lag ein kleines Erlendickicht, vielleicht hundert Schritt breit, wie denn überhaupt die ganze Entfernung vom Dorf bis nach der Weser ja kaum einen Büchsenschuß betrug. Als wir nun mitten im Erlenbusch drin sind, hör' ich links neben mir, vielleicht zehn Schritt vom Wege ab, den Alten fluchen und mich rufen; er wäre von der Straße abgekommen und hätte ein paar Hühner verloren. »Na, ja,« sag' ich, »und in der Dunkelheit – wie sollen wir die nur wieder finden!,« und dann rief ich ihm zu, er möchte stehen bleiben, wo er wäre, ich wollte zu ihm kommen. Den Korb, den ich trug, behielt ich übrigens umhängen und drängte mich durch die kleinen Büsche der Stelle zu, wo ich ihn noch immer hören konnte; – auf einmal war Alles still. – »Steffen,« sagte ich – keine Antwort – »Steffen, wo steckst Du denn – mach' keine Dummheiten –« keine Antwort.

»Jetzt wurde mir's unheimlich zu Muthe, und was ich heute mit dem Alten gesprochen, fiel mir wieder ein; dann dachte ich aber auch daran, daß er mich wahrscheinlich zu fürchten machen wollte, weil ich nicht an Geister geglaubt hatte, und nun fing ich an zu lachen und rief ihm zu, so dumm wär' ich nicht, daß ich mich bange machen ließe. Wenn er das Maul nicht aufthun wollte, damit ich ihn im Finstern fände, möcht' er stehen bleiben wo er wär', und arbeitete mich dann wieder rasch zurück auf die Straße – mit dem schweren Korb war's auch in den doch ziemlich dichten Büschen eben nicht angenehm zu marschiren.

»Die Anderen konnten übrigens kaum hundert Schritt vor mir sein, und da mir's doch jetzt, wie Alles so still und ruhig um mich war, ein wenig unheimlich zu Muthe wurde, schrie ich ihnen laut nach, auf mich zu warten – keine Antwort. Ich schrie noch einmal, und wie ich jetzt immer noch nichts hörte, fing ich an auszukratzen und lief, so rasch ich mit meinem schweren Korbe nur vorwärts kommen konnte, dem Flusse zu. Es war jetzt so dunkel geworden, daß man keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, vor mir aber schimmerte ein Licht – wie ich glaubte aus meiner eigenen Cambüse an Bord – und ich fing jetzt wieder an ein wenig aufzuathmen und langsamer zu gehen. Sonderbar kam es mir freilich dabei vor, daß ich noch immer Büsche zur Seite hatte, und vorher war mir es doch, als ob das Ufer vollkommen frei von Buschwerk gewesen wäre. Ich dachte mir aber doch nichts weiter dabei und kam dem Lichte immer näher; – das Schiff war es aber nicht, und, Jungens, ich sage Euch, der Schweiß trat mir in großen Tropfen auf die Stirn, als ich plötzlich vor einem kleinen niedern Hause stand, aus dessen Fenstern ein Licht schimmerte, und von Fluß oder Schiff auch nicht die Spur zu finden war.«

»Natürlich,« lachte jetzt der Instrumentenmacher, »Sie hatten sich vorher in der Angst falsch herumgedreht und waren, anstatt nach dem Fluß zu wieder nach dem Dorf zurückgelaufen.«

»Das dacht' ich auch,« erwiderte der Koch, der jetzt in der Erinnerung an das damals Geschehene selbst des Trinkens vergaß, »setzte den Korb nieder, um ein wenig auszuruhen, und wollte dann eben umdrehen, als ich aus dem Dorf heraus einen Wagen kommen hörte, der jedenfalls nach dem Strom zu fuhr. Die Schultern thaten mir überdies von dem Schleppen weh, und ich beschloß, den Wagen abzuwarten und meinen Korb da aufzusetzen. Der Wagen kam auch und hielt, als ich ihn anrief, und der Fuhrmann, der erst dicht zu mir herantrat, um zu sehen, wen er vor sich hätte, sagte ganz freundlich, er wolle meinen Korb gern mitnehmen, und ich möchte mich dazu oben aufsetzen. »Aber wo wollt Ihr denn hin,« frug er mich dann, »mit dem schweren Ding?« – Blos bis zum Fluß, sagte ich. – »Zur Elbe?« – Ih Gott bewahre, zur Weser. »Zur Weser?« rief der Mann erstaunt aus, »an die Elbe meint Ihr wohl.« – Nein, sagte ich wieder, an die Weser, mein Schiff liegt ja drüben, dicht unter Bremerhafen. – »Na, Du lieber Himmel,« rief da der Mann, »da habt Ihr noch einen weiten Weg vor Euch und bliebt am besten hier über Nacht, vielleicht könnt Ihr dann morgen früh eine Fuhre dorthin bekommen; durch den Ort durch müßt Ihr doch.« Durch den Ort durch? rief ich erschreckt, ja das ist ja doch gar nicht möglich, ich kann doch nicht darum hingelaufen sein. »Das weiß ich nicht,« lachte der Fuhrmann, »aber die zehn Meilen seid Ihr doch nicht mehr im Stande, heut Abend mit der Last zu machen.« Zehn Meilen? schrie ich, und ich konnte mich vor Schreck kaum auf den Füßen erhalten, so fingen mir die Knie an zu zittern: – das kann ja aber gar nicht sein, denn ich bin vor einer Stunde etwa – der Fuhrmann ließ mich aber gar nicht ausreden und meinte: »Kann nicht sein; – wenn Ihr sie mit dem Korb da laufen wolltet, würdet Ihr glauben, es wären fünfzehn. Von Buxtehude aus werden zehn gute Meilen nach der Weser gerechnet.« – Aber das ist doch nicht Buxtehude? schrie ich, halb todt vor Schreck. – »Das ist Buxtehude, Freund»« sagte der Mann; »doch ich muß fort jetzt, will noch die Nacht nach Harburg und habe ebenfalls einen langen Weg vor mir. Gleich links, wenn Ihr in's Städtchen kommt, ist ein gutes Wirthshaus, da könnt Ihr übernachten,« und damit schwang er seine Peitsche um den Kopf, trieb seine Pferde an und ließ mich allein auf der Straße stehen. Wie mir aber zu Muthe war, könnt Ihr Euch denken – und der Mann hatte Recht. Ich mußte die Nacht in Buxtehude bleiben, wo sie mir aber mein Unglück nicht glaubten und mich für einen Deserteur von einem Hamburger Schiff hielten. Dorthin wurde ich am nächsten Morgen geschickt und später erst mit meinem Korb nach Bremen ausgeliefert, mein Schiff war aber indessen natürlich abgesegelt und ich blieb zurück.«

»Koch, Ihr gingt besser nach oben und wecktet den Capitain,« unterbrach plötzlich Meier's tiefe und hochklingende Stimme das athemlose Schweigen, das der Erzählung des Kochs gefolgt war – »es ist die höchste Zeit.«

»Höchste Zeit?« rief der Koch, erschreckt aufspringend; »was ist nun wieder los?«

»Noch nichts,« sagte Meier, »aber es kommt, der Wind hat sich nach Nordwesten gedreht und – es riecht draußen nach Schwefel.«

»Ich hätte bald 'was gesagt,« brummte der Koch ärgerlich; »wenn der Steuermann den Alten wach haben will, wird er ihn schon selber wecken. Bis er nicht morgen früh das Frühstück verschläft, weck' ich ihn gewiß nicht.«

»Wir werden morgen früh wohl kein Frühstück brauchen,« sagte Meier ruhig und setzte sich wieder auf den Platz in die Ecke.

»Um Gottes willen, was ist vorgefallen?« riefen ein paar der leicht geängstigten Frauen, die den Platz umstanden und der Erzählung des Kochs ebenfalls gelauscht hatten; »hat der Sturm wieder angefangen?«

»Unsinn,« sagte der Koch, der aufgestanden war und durch die Luke nach oben gehorcht hatte; »es ist todtenstill draußen – man kann die Segel an die Masten schlagen hören.«

Die Zwischendecks-Passagiere waren aber, schon durch die Erzählung aufgeregt, ängstlich gemacht worden, tranken ihre Becher aus und stiegen nach oben, um selber zu sehen, wie es an Deck ausschaue. Die See lag todtenstill und der Nebel noch immer dick und schwer auf der Fluth. – Wie das so sehr unheimlich um sie her rauschte und schwoll und in dem zerrissenen Takelwerk klapperte und schlug! Vorn am Bug standen die wachthabenden Matrosen und hatten eben wieder das Senkblei ausgeworfen, das diesmal dreißig Faden gab. Mit einem Flaschenzug holten sie das schwere Blei herauf, und der Steuermann ging langsam auf dem Quarterdeck auf und ab.

Hinten an der kleinen Compaßglocke schlug es elf Uhr, die große Glocke vorn antwortete den Schlägen; der Mann am Steuer wurde abgelöst und das Log geworfen, die Fahrt des Schiffes zu prüfen; die Brise hatte sich ein klein wenig verstärkt und das Schiff lief drei Meilen durch's Wasser, aber dicht am Winde, der jetzt gerade von Nordwesten zu wehen anfing. Als Log- und Senkbleiwerfen vorüber war, nahm Alles wieder seinen ruhigen Gang, und der Steuermann stieg in die Kajüte hinunter, um Lauf und Richtung des Schiffes wie vermuthete Abdrift auf seiner Tafel für die letzte Stunde zu notiren.

Die Zwischendecks-Passagiere blieben eine Weile an Deck, da sich aber nichts Außergewöhnliches erkennen ließ und die Nachtluft kalt und unfreundlich über die See herüberkam, stiegen sie nach und nach wieder einzeln hinunter, ihre Kojen zu suchen.

Es war recht still unten geworden; die Passagiere lagen sämmtlich in ihren Betten, der alte Meier ausgenommen, der noch immer angezogen vor seiner Koje auf der Kiste saß und den Kopf in beide auf die Kniee gestemmte Arme gestützt hatte. Nur das Schnarchen und regelmäßige Athmen der Schläfer unterbrach die Ruhe, und dann und wann einmal das ängstliche Aufschreien eines Kindes, das von der Mutter wieder beschwichtigt wurde.

Ein hohler, brausender Laut tönte über das Wasser, dem die dröhnenden Schritte der rasch über das Deck laufenden Matrosen folgten. Meier hob den Kopf, horchte einen Augenblick und stieg langsam nach oben.

»Capitain, kommt an Deck!« rief der Steuermann mit lauter, fast ängstlicher Stimme in die Kajüte hinunter, daß die Kajüts-Passagiere ebenfalls in ihren Betten auffuhren und die Männer sich rasch ankleideten. Der Capitain hatte unausgekleidet auf seinem Bett gelegen, sprang mit beiden Füßen aus seiner Koje, griff seinen Südwester und den dicken Ueberrock auf, sie unterwegs aufzusetzen und anzuziehen, und stand im nächsten Augenblick neben dem Steuermann und dem Ruder vor dem Compaß.

»Was ist, Steuermann, was giebt's?« frug er mit ruhiger Stimme.

»Es kommt!« sagte dieser lakonisch.

»Wie viel Faden?«

»Zwanzig,« lautete die Antwort.

»Böser Platz, wo es herweht,« sagte der Capitain, nach dem Compaß sehend und seinen Rock dabei anziehend, »aber wir können mit bestem Willen nicht mehr Segel anbringen. Und wenn's zu arg wird, müssen wir sehen, daß wir irgendwo Anker werfen.«

»Wär' eine schlimme Geschichte,« brummte der Steuermann zwischen den Zähnen durch, »hallo, wie das zu heulen anfängt!«

»Werft das kleine Loth noch einmal,« sagte der Capitain, während er den Fortgang seines armen Schiffes beobachtete und einen scheuen Blick nach Lee hinüber sandte. »Wenn man wenigstens die Leuchtfeuer erkennen könnte! Wie viel Uhr ist's?«

»Dreiviertel auf Zwölf,« sagte der Mann am Ruder, indem er sich bückte und nach der im Compaßgehäuse hängenden Uhr sah.

»In einer Viertelstunde wissen wir, woran wir sind,« meinte der Seemann – »wie viel Faden?« rief er dem vorn postirten Matrosen zu.

»Bei der Mark neunzehn,« lautete die Antwort.

»Wie viel Kette haben wir oben, Steuermann?« fragte der Capitain.

»Ungefähr vierzig Faden.«

»Ist der zweite Anker klar?«

»Noch nicht.«

»Laßt ihn klar machen.«

Ueber die Wasser heulte es dabei in scharfem, pfeifendem Ton herüber und schäumte und zischte über die erregte Fluth. So scharf als möglich lag das seiner meisten Segel beraubte Schiff dabei gegen den Wind an, aber nicht verkennen ließ es sich, daß es, mit zu wenig Kraft, den schweren Bau vorwärts zu treiben, unverhältnißmäßig viel Abdrift machte und mehr und mehr nach Lee hinübersetzte.

Von den Kajüts-Passagieren kamen jetzt ebenfalls mehrere an Deck und frugen den Capitain ängstlich, ob Gefahr vorhanden sei. So freundlich und zuvorkommend aber dieser auch sonst gegen seine Passagiere war, so kurze, abfertigende Antwort bekamen sie jetzt, wo er andere Sachen im Kopf hatte, und er bat sie mit ziemlich dürren Worten, in ihre Kojen wieder zurückzugehen, da sie an Deck doch nichts helfen könnten und nur im Wege ständen.

Es war zwölf Uhr, der Wind hatte sich wieder zu vollem Sturm erhoben und die leichterregte See rollte mit den kurzen aber schweren Wogen ärgerlich gegen den Bug des Schiffes an, über den sie die schäumenden Kronen an Deck spritzte; die weißen, zähen Nebelschwaden wälzten sich dabei in dichten Massen vor ihm her, dem Lande zu, und wenn sie auch, hier und da zerrissen, einen Blick nach den jagenden Wolken verstatteten, hüllten sie doch das leewärts gelegene Land noch immer in tiefe Nacht.

»Bei der Mark siebzehn!« tönte der monotone Ruf des am Senkblei stationirten Matrosen, und die schwere Kette des Starbordankers rasselte, von der jetzt ebenfalls an Deck gerufenen andern Wache gehoben, der Ankerwinde zu.

»Bei der Mark sechzehn –«

»Steuermann, wir müssen wahrhaftig den Anker fallen lassen!« rief der Capitain; »steht bei da vorn, Anker klar?«

»Alles klar, Capitain!« lautete die Antwort.

»Wie viel Faden jetzt?«

Der zischende Schlag des Senkbleis auf das Wasser antwortete der Frage, und gleich darauf tönte wieder der eintönige Ruf:

»Bei der Mark zwölf!«

Noch immer zögerte der Capitain – sie konnten sich gerade hier an einer Bank befinden, die sie vielleicht im nächsten Augenblick passirten. Solcher Art in offener See zu ankern, wo die Wogen mit ungebrochener Kraft heranwälzen können, ist auch immer eine ängstliche, gewagte Sache; so lange er sich flott halten kann, thut es kein Seemann.

Wieder wurde das Blei geworfen, und der Ruf zeigte dreizehn Faden.

»Gott sei Dank!« rief der Capitain mit einem aus innerster Brust herausgeholten Seufzer –, »das Wasser wird tiefer – es war richtig nur eine Bank.«

»Bei der Mark vierzehn –«

»Bravo, mein Bursche, fahr so fort!«

»Bei der Mark vierzehn ein halb.«

»Dort drüben, glaub' ich, sehe ich ein Licht durch den Nebel schimmern,« rief plötzlich der Steuermann – »dort nach der Richtung hin!«

Der Capitain strengte seine Augen an, das Dunkel zu durchsuchen, und glaubte selber einen Schein zu erkennen.

»Bei der Mark fünfzehn!« rief der Mann.

»Sobald wir das Licht ausmachen können, daß wir herausbekommen, wo wir sind,« sagte der Capitain, ohne auf das Senkblei jetzt weiter zu achten, »wollen wir die Peilung nehmen, und wenn der Sturm nicht nachläßt, wird uns nichts weiter übrig bleiben, als in Lee Schutz zu suchen.«

»Der Henker soll die Küste holen!« brummte der Steuermann; »weiß es Gott, da ankere ich lieber hier mitten im Kanal.«

»Bei der Mark elf!« schrie der Mann vorn.

»Elf?« fuhr der Capitain empor; »was ist das – bist Du gewiß? – Steht klar bei Eurem Anker da vorn.«

»Alles klar, Capitain!« rief der zweite Steuermann zurück.

»Bei der Mark sieben!«

»Nieder mit Eurem Anker!« gellte der schrille Ruf des Capitains über Deck, und zu gleicher Zeit rasselte die Kette donnernd durch die Klüsenlöcher. In demselben Augenblick aber auch, und noch ehe der Anker den Grund erreicht haben konnte, zitterte das Schiff bis in seinen Kiel hinab von dem furchtbaren Stoß, den es erhielt, und der Capitain mußte sich an den Compaßkasten halten, um nicht vorn überzustürzen.

»Heiliger Gott, wir sind verloren!« schrie eine Stimme vom Bug aus, und eine See wusch hochaufbäumend an dem gestrandeten Schiff über Deck und schleuderte ihre Fluth in die noch offenen Luken des Zwischendecks hinab.

Ein gellender Wehschrei antwortete von dort her, und in der nächsten Minute stürzten die halb entkleideten Passagiere aus Kajüte und Zwischendeck jammernd und wehklagend an Deck.

»Wir sind verloren – wir sind verloren!« tönte der gellende Ruf von den bleichen Lippen, und Männer, das, was sie gerade im ersten Augenblick gefaßt, Frauen, ihre Kinder auf dem Arm oder an den zitternden Händen, drängten dem höher gelegenen Quarterdeck zu, um Rettung, Hülfe von dem Capitain zu erflehen.

»Die Luken zu – hinunter mit Euch!« schrie dieser aber, der rasch seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte, als eine neue Woge sich an der Seitenwand des Schiffes brach und ihre Fluth die steilen Zwischendeckstreppen niederwusch – »die Luken zu – wir füllen sonst das Schiff – hinunter mit den Passagieren, sag' ich!«

Ja, der Befehl war wohl gegeben, aber wie auszuführen? – Nicht allein die eindringende Fluth, sondern auch die wiederholten Stöße, die das seinem Untergang geweihte Schiff erhielt, und die es dermaßen erschütterten, daß sich weder Passagiere noch Matrosen auf den Füßen halten konnten, weckten auch den festesten Schläfer aus seinem Schlummer und donnerten ihm die furchtbare Wirklichkeit in das betäubte Ohr: – wir sind verloren! Wieder ein Stoß, der mit einer Wucht gegen den Kiel traf, als ob die Planken von einander bersten müßten, und schäumend, schmetternd wälzten die mehr und mehr emporgerüttelten Wogen über Deck, wieder und wieder einzelne der Passagiere, die sich nach oben retten wollten, von den Treppen hinunterwaschend. Die Matrosen suchten jetzt die Klappen auf die Luken zu werfen, die übersteigende See zu verhindern, hineinzuschlagen, aber der von den Passagieren hatte noch ein Kind unten, der eine Schwester oder Mutter, und die Leute, in der Verzweiflung des Augenblicks ihrer Sinne kaum mächtig, warfen die Matrosen zurück und hielten den Eingang frei und offen.

»Sie wollen uns nicht herauf lassen – da unten sollen wir ersaufen und ersticken, während sie sich in den Booten retten!« schrieen sie dabei. »Nein, die Boote nieder – wir haben unsere Passage bezahlt – wir müssen an's Land gesetzt werden. Herr Capitain, um Gottes willen, die Boote nieder!«

Der Capitain hatte indessen mit vollkommener Ruhe die Wassertiefe um das Schiff her untersuchen lassen, und es blieb bald keinem Zweifel mehr unterworfen, daß sie auf einer weiten gleichhohen Sandbank aufsaßen, wo sie nicht hoffen durften, so bald wieder frei zu kommen. Ja, im Gegentheil schien die Bank in Lee höher, als zu windwärts, und jeder Stoß, den das unglückliche Schiff von den anprallenden Wogen bekam, setzte es höher und fester hinauf.

Die Passagiere, die jetzt über Deck schwärmten, ließen endlich, da sich keiner weiter von ihnen im untern Raum befand, die Luken schließen, die untersuchten Pumpen ergaben aber gleich darauf sieben Fuß Wasser im Raum; das Schiff hatte jedenfalls bei den furchtbaren Stößen einen Leck bekommen, und Rettung schien jetzt nur in den Booten möglich.

Aber, guter Gott; wie waren die zu benutzen? Die kleine Jolle hing allerdings unter den eisernen Krahnen, aber Dollen und Ruder fehlten und konnten in der jetzt herrschenden Verwirrung gar nicht gleich gefunden werden, und das große Boot, die sogenannte Barkasse, stand mitten auf Deck und mußte erst mit Flaschenzügen über Bord gehoben werden.

Die Verwirrung, die indessen unter den Passagieren herrschte, war furchtbar; ein Theil von ihnen riß die Luken wieder auf, hinunter zu klettern und das im ersten Schreck unten vergessene Geld heraufzuholen und zu retten; Andere lagen auf den Knieen und beteten und weinten. Die Frauen drängten, mit ihren Kindern auf dem Arm, der Kajüte zu, den Capitain anzuflehen, nur diese, nur die Kleinen zu retten, und wieder Andere standen, an irgend ein Tau oder Holz geklammert, in stumpfer, starrer Verzweiflung da, ließen die Sturzwellen über sich hinübergehen und sahen mit stierem Blick hinaus über die anstürmenden Wogen, die mit immer wachsender Kraft wieder und wieder gegen das Wrack anschmetterten und es wild und heftig auf die Sandbank aufstießen. Konnten doch in jedem Augenblick seine Rippen brechen und in Trümmer auseinander bersten.

»Heiliger Gott, Du wirst doch nicht wollen, daß wir hier so elend umkommen sollen!« schrie eine Frau, die, ihre zwei Kinder fest an sich gedrückt, auf den Knieen lag und mit einem umklammerten Tau sich vor dem Werfen des Schiffes zu schützen suchte. Da bäumte eine See, stärker als eine der vorigen, an dem Starbordbug des Fahrzeugs aus und riß, niederschlagend, die Cambüse und einen Theil der Wasserfässer, wie die ganze vordere Schanzkleidung des Larbordquater mit über Bord. Zehn oder zwölf Menschen, die sich dort angeklammert hatten, wurden ebenfalls mit in die See gewaschen, und ihr Wehegeschrei schlug dumpf und entsetzlich an das Ohr der noch Lebenden, denen sie vergebens die Arme nach Hülfe entgegenstreckten. Auch die Frau war von der Woge erfaßt und an die andere Seite des Schiffes geschleudert worden, wo sie sich wieder festklammerte – aber ein Kind fehlte ihr, und ihr gellender Hülfeschrei übertönte selbst den Sturm. Eine neue Woge brach mit solcher Kraft gegen die Seitenwand des Wracks an, daß sie das Schiff ganz auf die Seite warf, und nur die strenge Disciplin an Bord eines Schiffes konnte noch einen Theil der Matrosen zusammenhalten, den Befehl des Capitains Folge zu leisten und die Barkasse klar zu machen.

»Hurrah, hurrah!« schrie in dem Augenblick der Koch, der – mit dem vollem Bewußtsein, nach der Flucht des Klabautermanns doch hier unterzugehen und zu ersaufen – in die ihm bekannte Vorrathskammer der Kajüte geschlichen war und jetzt mit einem kleinen Anker Rum unter dem Arm auf dem Larbordgangweg hin nach vorn sprang, um seine Beute mit den Matrosen und den Passagieren zu theilen – »hurrah, Jungens, hier ist der Stoff, der uns aus dem Wasser hilft; hier ist die richtige Mischung mit Salzwasser zu nehmen. Ein Spließeisen her, daß wir den Spund herauskriegen. Hol der Teufel die Boote und den alten Kasten, der Klabautermann ist fort, und die Latten gehen doch in der nächsten Viertelstunde aus dem Leim – hurrah, der Rum soll leben!«

»Her mit dem Rum!« schrieen die Matrosen, in wilder Verzweiflung zu dem letzten Mittel greifend, ihre Todesangst zu betäuben, und der Zimmermann hatte rasch mit einem Spließeisen den Korkspund hinein gestoßen, als der Capitain, ein Enterbeil in der erhobenen Rechten, zwischen sie sprang und aus voller Kraft einen mächtigen Hieb gegen den aufgedrehten und unter dem Schlag zusammenbrechenden Boden führte.

»Wahnsinnige!« schrie er dabei, während er zu gleicher Zeit das Faß mit dem Fuße um- und in das dort strömende Seewasser stieß; »wollt Ihr Euch die letzte Möglichkeit rauben, unser Aller Leben zu retten, und wie feige Schufte, die sich vor dem Tode fürchten, in viehischem Trunk vor Euren Gott treten? An die Arbeit mit Euch, die Barkasse in See, und bei dem Himmel dort oben, der jetzt seine Schrecken über uns ausgießt, dem Ersten, der einen weiteren solchen Versuch macht, schlag' ich mit diesem Beil den Schädel ein, wie ich dem Faß den Boden ausgeschlagen habe. – In See mit dem Boot!«

»Schade um den Rum!« brummte der Koch, der sich scheu vor der gehobenen Waffe hinter die Uebrigen zurückdrückte; aber die Besseren der Schaar sahen doch ein, daß der Capitain Recht hatte und warfen sich, trotz der jetzt mit immer wilderer Wuth überschlagenden Wogen, in die Wanten hinauf, die Flaschenzüge oben an den Raaen zu befestigen und das Boot, das sie mit Armeskraft allein gar nicht hätten regieren können, empor zu heben und überzulassen.

Die Zwischendecks-Passagiere drängten indessen fast sämmtlich dem Quarterdeck zu, das gegen den Anprall der Wogen noch am meisten geschützt lag, und herzzerreißend war der Jammer, das Elend der Unglücklichen. Mütter schrieen nach ihren Kindern, Gatten nach ihren Weibern, und suchten die noch unter den Lebenden, die schon, von den wilden Sturzwellen erfaßt, über Bord in ihr Verderben gerissen waren. Gerade die Männer aber, die sonst mit keckem Wort die Gefahr herausgefordert, betrugen sich am muthlosesten, am verzagtesten von Allen. Der Lohgerber, ein großer, starker Mann, mit ein paar Fäusten wie ein Bär, lag, das Gangspill umklammernd, auf den Knieen und wimmerte zu Gott um Vergebung seiner Sünden und Rettung aus dieser Noth, und der Schneider hing mit beiden Armen in der Starbord-Besanwant und weinte und schluchzte wie ein Kind.

Andere dagegen sahen dem Unvermeidlichen, das über sie hereinzubrechen drohte, mit stillem, entschlossenem Muth entgegen, und unter ihnen der Instrumentenmacher, der sein junges Weib und das zweijährige Kind fest umklammert hielt, sie gegen eine etwaige Sturzsee soviel als möglich zu schützen, während er der an seinem Halse weinenden Frau mit leiser Stimme Muth und Trost einsprach.

Am wildesten geberdete sich einer der Kajüts-Passagiere – ein Kaufmann Wolf, der, in Unterkleidern aus der Kajüte gestürzt, in wirrer Todesangst kaum mehr wußte, was er that. Von einem Ende des Decks taumelte er schreiend zum andern, warf sich vor den Matrosen auf die Kniee und rief, er dürfe nicht sterben, er habe Geld, viel Geld, und sie sollten ihn retten – er würde sie reich, er würde sie steinreich machen. Die Seeleute stießen den Mann mit Ekel von sich, und winselnd lag er zuletzt lang ausgestreckt und mit dem Schwanken des Schiffs herüber und hinüber rollend auf dem Vordeck, kratzte sich die Nägel blutig an den Planken, raufte sich die Haare und fluchte und betete.

Der Einzige von Allen, der kein Wort sprach, keinen Klageruf, keinen Fluch über die Lippen brachte, war Meier. So ängstlich und besorgt er gewesen, ehe das Unglück geschehen war, so ruhig betrug er sich jetzt und trat zwischen die Matrosen hinein, um die von dem Capitain gegebenen Befehle mit ausführen zu helfen. Er war auch der Erste, der nach oben lief, einen Block an der Raae zu befestigen, um die Barkasse überheben zu können, und wie das Tau hindurchgebracht und an Deck eingeholt war, stieg er wieder nieder, faßte es auf und sang vor, wie das an Bord Sitte ist, als ob gar nichts vorgefallen wäre und sie sich auf sicherem Schiff draußen in offener See, statt auf einem zertrümmerten, gestrandeten Wrack befänden.

Sein Beispiel wirkte auch ermuthigend auf den Rest der Seeleute, die sich über ihren früheren Kleinmuth, wie darüber, daß sie jetzt ein Passagier beschämte, ärgerten, und unbekümmert um den heulenden Sturm, um die überstürzenden Seen, griffen sie wacker und unverdrossen zu.

Das Aufwinden des Bootes brachte aber eine eigenthümliche Wirkung auf die Passagiere hervor. Da war Hoffnung; ein Mittel, eine Aussicht wurde ihnen geboten, das Land zu erreichen, die gefährdeten Planken, die in jedem Augenblick auseinander zu brechen drohten, zu verlassen, und ohne Verabredung, aber still und sicher, ja Jeder in der Angst, daß ihm der Andere zuvorkommen könnte, drängten die Unglücklichen der Stelle zu, wo das Boot über Bord gelassen werden sollte. Nur einmal in dem kleinen Fahrzeug, und sie waren ihrer Meinung nach gerettet.

»Ein Licht – dort ist der Leuchtthurm!« schrie Meier plötzlich, der bei der Arbeit fortwährend sehnsüchtig den Blick dorthin geworfen hatte, wo er Land vermuthen mußte.

»Ein Licht! – der Leuchtthurm! Land!« jubelten und schrieen die Passagiere durcheinander. »Gott sei Dank, Gott sei ewig gelobt und gepriesen, oh, er konnte, er wollte uns nicht verlassen!«

Land? – Guter Gott! Noch eine weite Strecke stürmischer See lag zwischen ihnen und dem rettenden Lande, aber die Schiffbrüchigen begrüßten es, als ob sie den festen Boden schon unter sich fühlten.

Jetzt hob sich die Barkasse, von den starken Tauen getragen und von hundert Händen dabei in krampfhafter Angst gezogen, empor und schwang gleich darauf, durch die schräge Lage des nach Lee zu übergedrückten Schiffes begünstigt, über Bord. Der Capitain erkannte aber ganz das Gefahrvolle ihrer Lage, wenn sich die Passagiere voll wilder Todesfurcht in das hinuntergelassene Boot, das sie nicht alle tragen konnte, geworfen hätten. Zwischen sie springend, bat und beschwor er sie deshalb, nur erst die Frauen und Kinder hinunter- und überhaupt nicht mehr Menschen hineinzulassen, als möglicher Weise in dem kleinen Fahrzeug sicher gegen die Wogen ankämpfen konnten – umsonst. Es war, als ob wilder Wahnsinn die Unglücklichen erfaßt hätte und sie nicht hören wollten.

»Hinunter mit dem Boot!« schrie und brüllte die Schaar – »hinunter damit – sie wollen uns zurücklassen – die Matrosen wollen sich allein retten – hinunter!« Und die losgegebenen Taue ließen im nächsten Augenblick das breite, etwas schwerfällige Boot, rücksichtslos ob es schöpfe oder schwimme, auf die Wogen hinunterschlagen. Glücklicher Weise kam es, nur wenig Wasser einnehmend, unten auf, und das Fahrzeug selber, in dessen Lee es lag, schützte es die ersten Augenblicke vor den anprallenden Wellen.

Ein Theil der Matrosen hatte indessen Ruder und Segel aufgegriffen und war hineingesprungen, wild und blind folgten ihnen dabei Männer, Frauen und Kinder in furchtbarem Gemisch, als ob sie sich an festes, schützendes Land retteten, und nicht in ein schwimmendes, gebrechliches Boot, das sinken mußte, sobald es mehr bekam als es tragen konnte.

»Stoßt ab – kappt die Taue!« schrieen die unten Befindlichen dabei wirr durcheinander, als sich das Boot mit Menschen füllte – »zurück da – es kann Niemand mehr herein!« – Aber, lieber Gott! was halfen die Rufe, was selbst die Gewalt, mit der sich die im Boot des weiteren gefährlichen Andranges erwehren wollten; die Todesgefahr gab den Schüchternsten Muth und Stärke, und ehe die Matrosen unten im Stand waren, die Taue zu kappen und die Barkasse abzustoßen, war sie bis zum Rand gefüllt. Ja, selbst noch, als sie das Schiff verließ, sprangen Einzelne in die unten kochende Fluth, den Bootrand theils mit den Händen fassend, theils um Hülfe und Rettung die Arme danach ausstreckend. Aber wo war Erbarmen von den selbst Verzweifelten zu hoffen – die Hände der sich Anklammerndem wurden abgeworfen, selbst mit Messern zerschnitten, wo sie sich krampfhaft eingehakt, und im nächsten Augenblick trieb das überfüllte Boot, von den ihm nachstürzenden Wogen gefaßt und wild umhergeschaukelt, nach Lee zu.

Der Instrumentenmacher hatte mit seiner jungen Frau und dem Kind unwillkürlich mitgedrängt, dem Boot entgegen, als er sich am Arm gefaßt und zurückgehalten fühlte. Wie er sich umsah, stand Meier neben ihm und flüsterte ihm zu:

»Bleibt da – das Boot ist verloren und wird nimmer das Land erreichen.«

»Aber wir hier?« rief der Mann in Todesangst – »meine Frau, mein Kind –«

»Sind vielleicht auch verloren,« sagte der alte Mann erregt, »aber noch nicht so gewiß, als die da draußen. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, bleiben Sie auf dem Schiff – ich bleibe bei Ihnen.«

»Auf dem Wrack?«

»Immer besser auf einem Schiffswrack auf dem Sand sitzen, als auf den Trümmern eines untergegangenen Bootes draußen in solcher See schwimmen.«

Noch zögernd stand der Mann, als das Abstoßen des Bootes draußen ihm keine weitere Wahl ließ. Zu gleicher Zeit war auch das Capitainsboot in See gelassen, in das sich die Steuerleute mit einem Theil Matrosen und vier oder fünf Damen aus der Kajüte retteten. Der Kaufmann Wolf war einer der Ersten gewesen, die, rücksichtslos um alles Andere, in die Barkasse sprangen.

Der Capitain, der alte Meier, der Instrumentenmacher mit seiner kleinen Familie und sieben oder acht Frauen aus dem Zwischendeck, die nicht gewagt hatten, in das Boot hinab oder über Bord zu springen, waren die Einzigen, die noch an Bord zurückgeblieben waren.

»Und Sie sind nicht mit in Ihr Boot gegangen?« redete der alte Meier den Capitain an, der auf der Railing des Quarterdecks stand und, den linken Arm um die Besanwant geschlagen, mit stieren Blicken den mit den Wogen kämpfenden Booten folgte.

»Ich darf mein Schiff nicht verlassen,« antwortete der Seemann, »aber Ihr?«

»Wenn ich denn einmal ersaufen muß,« sagte der alte Meier ruhig, »will ich das doch gern so lange hinausschieben als irgend möglich.«

»So glaubt Ihr nicht, daß die Boote das feste Land erreichen?« rief der Capitain mit einem tief aus der Brust geholten Seufzer.

»Eben so wenig, wie wir je mit der Captaube wieder flott werden,« sagte der Alte – »seht Ihr die Woge, Capitain, die da hinter der Barkasse herschäumt?« – das ist die letzte – und die Jolle – wo ist die Jolle? – ich kann sie gar nicht mehr finden.«

»Großer, allmächtiger Gott!« stöhnte der Capitain, sein Antlitz in den Händen bergend – »sie sind verloren, Alle verloren!«

Ein wilder, gellender Hülfeschrei schallte noch von dort herüber. In dem weißen Schaum, der durch die Nacht blitzte, war es fast, als ob sich dunkle, ringende Gestalten erkennen ließen – dann blieb Alles still. Nur die wilden Wogen brachen und stürmten ärger als je gegen das jetzt fast ganz auf die Seite geworfene Wrack an, dessen vordere Planken von den ungestümen Wassern schon so auseinander gerissen waren, daß sie die gierige Fluth unter sich konnten gurgeln und bohren hören.

Stoß folgte jetzt auf Stoß, und die drei Männer gingen daran, durch das Kappen der noch stehenden unteren Masten dem Schiff Erleichterung und vielleicht auf der Sandbank auch mehr Festigkeit zu geben. Die Masten, mit dem Uebergewicht der schweren Raaen und zerrissenen Segel, die noch daran hingen, bedurften nur weniger Schläge, um einzubrechen und umzuschlagen, und Meier suchte nun, von den beiden Anderen dabei unterstützt, was sie an Hölzern an Bord erreichen und losschneiden konnten, zusammenzubinden und eine Art Floß herzustellen. Die Möglichkeit war vorhanden, daß sich der Sturm mit Tagesanbruch legte und die See beruhigte, und sie durften dann doch wenigstens hoffen, wenn sie über Tag kein Schiff fand und rettete, die in Lee liegende, gar nicht so ferne Küste zu erreichen.

Entsetzlich war indeß die Lage der armen Frauen, die, auf dem schrägen Deck zusammengedrängt, die See schon nach sich heraufzüngeln fühlten und jeden Augenblick erwarten mußten, von den überstürzenden Wogen erfaßt und fortgerissen zu werden.

So brach der Morgen endlich an, und das Licht des jungen Tages beschien die wildempörte Oberfläche der See, beschien den Schauplatz der Zerstörung, wo Woge auf Woge noch an den lockeren Planken riß und zerrte und arbeitete, das ganze Wrack mit seinen letzten Insassen zu sich hinabzuziehen in Nacht und Tod. Aber der Sturm hatte schon vor Tag seinen Gipfelpunkt erreicht gehabt und sich fast unmittelbar nach der Zerstörung der Boote mehr und mehr beruhigt. Die See ging noch hoch, aber der dem Wrack so gefährliche Druck hinter den Wogen, die jetzt nur, durch ihre eigene Schwere getrieben, dem Land zurollten, fehlte, und die an Bord Zurückgebliebenen durften auf Rettung hoffen.

Aber noch ein langer Tag der Angst stand ihnen bevor, lange, furchtbare Stunden, an lockere Planken geklammert und über einem drohenden Abgrund schwebend, und erst gegen Abend kam ein Schiff in Sicht, von dem sie Rettung hoffen durften. Es war ein von Havre nach London bestimmter Dampfer, der glücklich das gestrandete Schiff mit seinem aufgesteckten Nothsignal entdeckte, und jauchzend sahen sich die Unglücklichen endlich bemerkt – sahen, wie das Fahrzeug auf sie zuhielt, so weit es sich dem sandigen Ufer nähern durfte, sahen, wie es auch endlich beilegte und ein Boot aussetzte – und fanden sich schon dem sicher geglaubten Tod entrissen.

Von dem Wrack war aber nichts mehr zu bergen. Das Wetter sah noch viel zu drohend aus, um lange an solch gefährlicher Stelle zu weilen; das Postboot, an eine bestimmte Zeit gebunden, durfte sich auch nicht aufhalten, und der in der nächsten Nacht wieder losbrechende Sturm jagte das seinem Geschick verfallene Fahrzeug noch höher auf den Sand hinauf, schmetterte die riesigen Wogen gegen den geborstenen Bau, riß seine Planken auseinander und warf die Trümmer in seinem tollen Spiel der Küste zu.

 


 


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