Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

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19. Das Bivouak

Die beiden Franzosen, so schon durch das ungewohnte Gehen und Klettern ermüdet und abgemattet, waren durch das Hindurcharbeiten durch Dornen und Schlingpflanzen und niedergebrochenes trockenes Holz oder verwachsene Büsche so erschöpft worden, daß sie kaum mehr ihre Glieder regen konnten. Das Bewußtsein, sich verirrt zu haben, oder wenigstens nicht mehr genau zu wissen, wo man sei – jedenfalls ein geringerer Grad desselben – schien dabei nicht geeignet, sie heiterer zu stimmen. Der Wasservorrath, den sie mitgenommen, war ebenfalls schon aufgezehrt, die Zunge klebte ihnen fortwährend am Gaumen, und das in den Flaschen warm gewordene Getränk löschte nicht einmal mehr ihren Durst.

Hans wußte zu gleicher Zeit recht gut, daß ein Beratschlagen mit den Beiden doch weiter nichts gefruchtet hätte. Ruhig deshalb die Bahn verfolgend, die er für die richtige ansah, hielt er sich jetzt am Ufer einer schmalen Salzwasser-Lagune, die nach Nordosten zulief und in ihrem innern Bett etwas offenere Vegetation zeigte, und suchte dabei so rasch als möglich vorwärts zu dringen. Aber es half ihm Alles nichts, die Nacht brach an, ehe sie auch nur einen andern, der See näher scheinenden Ort erreicht hatten, und es blieb ihnen jetzt nichts weiter übrig als da, wo sie sich gerade befanden, ein Lager aufzuschlagen und den dämmernden Tag zu erwarten.

Jean wollte nun freilich auch noch die Nacht benutzen, den Strand doch am Ende zu erreichen, da, wie er gehört hatte, die Eingeborenen in dunkler Nacht nie gern ihren Lagerplatz verließen. Hans weigerte sich aber entschieden, auf's Gerathewohl noch weiter, besonders im Dunkeln, durch die Büsche zu kriechen, und warf nicht mit Unrecht ein, daß sie möglicher Weise dadurch immer weiter vom Boot abkämen. Dagegen konnten sie in der Nacht, wenn Alles ruhig geworden war und besonders der Lärm der wilden Tauben hier im Unterholz aufgehört hatte, ihre Gewehre abschießen und Antwort vom Boot aus bekommen, wonach sie dann die genaue Richtung wußten, in der dasselbe lag.

Diesem fügten sich François und Jean endlich ebenfalls, und bald loderte mitten in einem Pandanusdickicht ein lustiges Feuer auf, um das sie ihre Gewehre, jedoch immer schußfertig, neben sich lagerten, und von ihren Provisionen ein reichliches Mahl hielten. Der mitgenommene Wein kam ihnen jetzt sehr zu statten, denn sie hatten kein Wasser finden können, und erst nachdem Alles still und ruhig um sie her geworden, und nur noch hier und da das Zirpen einer Grille oder das wunderliche Geräusch eines einzelnen »fliegenden Fuchses« die Ruhe der Nacht unterbrach, nahm Hans sein Gewehr, um es nach der Richtung zu, nach der er das Boot vermuthete, abzufeuern.

In dem Augenblick tönte schwach, aber nichtsdestoweniger deutlich, der Schall eines Schusses zu ihnen herüber, und als sie sämmtlich von ihren Sitzen emporfuhren und horchten, hörten sie unverkennbar das zweite Signal.

»Das ist gescheidt!« sagte François, während er den Hahn seines eigenen Gewehres spannte – »nun wollen wir –«

»Halt!« unterbrach ihn aber Hans, indem er die Hand auf das Gewehr des Franzosen legte, »Bill erspart uns die Nothwendigkeit, der ganzen Nachbarschaft anzugeben, wo wir uns gegenwärtig befinden, und es wäre mehr als thöricht, das jetzt leichtsinnig zu mißbrauchen.«

»Aber sie werden im Boote glauben, wir hätten es nicht gehört,« sagte Jean.

»Desto besser,« erwiderte Hans, »dann schießen sie noch einmal, und die Schwarzen hier herum erfahren um so deutlicher, daß auf dem Wasser noch andere Weiße sind, die sich um ihre Landsleute bekümmern.«

Das Zeichen wurde deshalb nicht erwidert, die regelmäßige Wache aber mit jeder nur möglichen Vorsicht gestellt. Hans selber übernahm die Morgenwache, weil diese von den wilden Stämmen fast stets zur Zeit ihrer Angriffe gewählt wird, wenn sie überhaupt etwas Bösartiges und Feindliches im Sinne haben. Die Nacht verging aber wirklich wider Erwarten vollkommen ruhig. – Sie hörten das Ku-ih der Wilden wohl nach verschiedenen Richtungen hin in den Büschen, aber Niemand belästigte sie, und mit dem ersten Dämmerschein des jungen Morgens hatte Hans schon seine beiden Kameraden geweckt und munter, jedes Angriffs gewärtig.

Eine halbe Stunde hatten sie so zusammen gesessen und eben ihr Frühstück beendet, um mit vollem Tageslicht zum Ausbruch fertig zu sein. Der Tag war auch nicht mehr fern, denn der östliche Himmel deckte sich schon mit einem rothglühenden Schein. Da hörten sie plötzlich in einem kleinen Pandanusdickicht dichtbei Schritte, und gleich darauf die Gewehre im Anschlag und lautlos das Näherkommen des Gegners erwartend, trat keineswegs ein Feind, sondern Niemand weiter als ein einzelner, nur mit seinem kurzen Speer und dem Wurfholz bewaffneter Schwarzer aus den nächsten Büschen. Dieser kam aber allem Anschein nach ganz unbekümmert um die Anwesenheit der Weißen, den Blick nur auf das Feuer gerichtet, auf sie zu, und stand wirklich schon zwischen ihnen, dicht vor den glimmenden Kohlen, ehe er nur einmal aufschaute. Die Wirkung aber war auch fabelhaft.

Einen Blick nur warf er umher. Dann aber, als er entdeckte, in wessen Nachbarschaft, ja in wessen Gewalt er sich befand, vielleicht zur selben Zeit auch halb seiner Sinne beraubt, in dem einen entsetzlichen Gedanken, dem Devil oder sonst einem andern Ungethüm seiner Heimath in die Hände gerathen zu sein, lief er, wie es eine Katze unter ähnlichen Umständen gethan haben würde, in fast wunderbarer Schnelle an dem ihm nächsten Gumbaum empor, wo er in dem höchsten Wipfel desselben, und so weit ihn das Holz nur tragen konnte, regungslos hängen blieb.

Daß dieser Schwarze nichts Böses gegen sie im Schilde geführt, ja ihre Anwesenheit nicht einmal geahnt und ihr Feuer für das seines eigenen Stammes oder seiner Bekannten gehalten, war natürlich, und die jungen Leute suchten ihn nun durch Zureden, durch Winken und Schwenken von Büschen zu überzeugen, daß er von ihnen nichts zu fürchten habe und ruhig und ungehindert herunterkommen möge. Umsonst – wie eine aus schwarzem Marmor gehauene Statue hing er starr und regungslos oben in dem Baumwipfel. Kein Lärm, der unten gemacht werden konnte, schien ihn zu bewegen auch nur das geringste Lebenszeichen von sich zu geben, und selbst als Hans jetzt sein Gewehr ergriff, seine beiden Signalschüsse abzufeuern, und Bill zugleich mit dem Boot zum Strand zu rufen, blieb er noch in seiner Haltung da oben, als ob er zu dem Baum gehöre und mit ihm, als wunderliche Frucht, aus der Erde aufgewachsen sei.

»Hol' den Burschen der Henker,« rief François endlich ungeduldig – »wir wollen ihm doch zeigen, daß wir ebenfalls klettern können und im Stande wären ihn herunterzuholen, wenn wir ihn nur haben wollten,« und damit lehnte er sein Gewehr gegen einen umgefallenen Stamm und fing an, in den ihm nächsten Baum hinaufzuklimmen. Er war aber noch nicht seine eigene Länge vom Boden auf, als der Wilde plötzlich bewies, er sei weder taub noch stumm. Er schrie und »birrrrte,« ku-ihte und hallote, und machte in der That jede Art von Spectakel, die er da oben möglicher Weise machen konnte, und das Alles mit solcher Energie, daß Francis erschreckt wieder niederglitt und zu ihm aufschaute.

»Der Bursche wird uns den ganzen Stamm über den Hals ziehen,« fluchte Jean – »ich glaube, er schreit Beschwörungsformeln von da oben herunter, daß wir ihn nicht fressen sollen. – Seht nur, wie er spuckt und prustet. – Es wird uns nichts übrig bleiben, als ihm eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Wer weiß, ob er nicht zu den Schuften gehört, die gestern Morgen ihr Bestes versuchten, uns zu ersäufen, und der Spectakel da oben nur die Folgen seines bösen Gewissens sind.«

»Horch – das war ein Antwortschuß vom Boot!« rief Hans dagegen. – »Kommt, laßt dem armen Teufel Raum, vom Baum herunter und in's Freie zu kommen; er hat Angst genug ausgestanden, und sein Tod könnte uns wenig nützen. Wir sind sicher nicht weit mehr vom Strand entfernt und können ihm das Vergnügen, sich einmal ordentlich auszuschreien, schon gönnen.«

»Und unter der Zeit brüllt uns der Bursche die ganze Nordküste zusammen,« fluchte Jean.

»Nun, so laßt ihn,« lachte Hans. »Sind wir erst auf offenem Strand, wagt sich keiner der schwarzen Burschen an uns, hier dagegen, wenn wir länger blieben, wären wir allerdings leichter einem Angriff ausgesetzt. Ueberdies wird das Boot jetzt so rasch herankommen, wie es Bill's und Timor's Ruder bringen können, und je eher wir das erreichen, desto besser.«

Damit waren seine beiden Kameraden ebenfalls einverstanden, und ihre wenigen Sachen zusammenpackend, zogen sie sich vor allen Dingen erst einmal eine kurze Strecke von dem Baum zurück, auf dem der Schwarze noch immer schrie und tobte und jedenfalls die Genugthuung hatte, daß ihm schon von mehreren Seiten geantwortet wurde. Sie hörten jetzt das Ku-ih der Eingeborenen an verschiedenen Stellen im Wald.

Kaum aber sah der so wunderlich Gefangene die friedliche Bewegung der vermutheten Feinde, als er seine Schreiübungen einstellte, und noch hatten ihm diese kaum zwanzig Schritte freigegeben, als er mit Blitzesschnelle und gänzlicher Mißachtung aller seiner Gliedmaßen an dem Stamm mehr herunterschoß wie glitt und zwei Secunden später auch in dem dichten Gebüsch von Pandanus- und Theebaumgesträuch spurlos verschwunden war. Das Ku-ihen der Schwarzen kam indeß näher und näher, und so komisch auch wohl der Rückzug des eingeschüchterten Wilden war, durften sie sich doch nicht lange damit aufhalten. Der Richtung also folgend, die sie sich nach dem Schusse gemerkt, und die allerdings von der gestern vermutheten um ein Bedeutendes abwich, durchschritten sie rasch ein hier etwas offenes Terrain von Boxholz und Casuarinen, das seinerseits wieder von Pandanus, Theebaumsträuchen und Cycas, so wie einzelnen Arten von Akazien begrenzt war, passirten ein altes Lager der Blacks, neben dem ganze Berge von Muschelschalen lagen, und erreichten nach einem etwa halbstündigen Marsch, unangefochten von den Schwarzen, aber oft durch ihre jetzt ganz nahen Rufe gewarnt, den Mangrovesumpf und mit diesem, das Ueberklettern über Wurzeln und niedergestürzte Stämme nicht achtend, den freien, offenen Strand von glattem hartgeschlagenen Korallensand.

»Hurrah!« rief Jean, der mit einem etwas gewagten Satz den letzten Schlammstreifen überflogen hatte und zuerst wieder festen, sichern Boden betrat – »hurrah – allem Respect vor der Landpartie – mir ist Salzwasser lieber – aber wo ist das Boot?«

Hans war im nächsten Augenblick an seiner Seite, und das leichte Fernrohr, das er sich umgehangen, als sie das Boot verließen, rasch öffnend und richtend, überflog er zuerst die nächste Nähe der kleinen Insel, wo sie das Boot vermuthen mußten, und dann den Horizont mit dem Glas, ohne das Gesuchte zu finden.

François, der erst noch einmal in ein Schlammloch gerathen war, sich aber wieder herausgearbeitet hatte, stand jetzt ebenfalls an ihrer Seite und rief, nachdem er einen flüchtigen Blick über die Oberfläche des Wassers geworfen und das Auge jetzt wenige Secunden auf der Insel aufmerksam hasten ließ:

»Was ist das dort?«

»Was? – wo?« – frugen Jean und Hans rasch und zu gleicher Zeit, und Hansens Fernrohr haftete auch in demselben Moment, wo er die Richtung von François ausgestrecktem Arm gewahrte, auf der kleinen, schon mehrfach besprochenen Insel.

»Dort ist Bill!« rief er aber kaum zwei Secunden später, und das Wort war kaum seinen Lippen entflohen, als der Knall des Gewehres wieder zu ihnen herüberdrang.

»Er will uns zeigen, daß er uns gesehen hat,« rief Jean lachend, »mich wundert's nur, wo er die Courage hergenommen, seine alte Muskete so oft abzufeuern – er muß sich schon ordentlich daran gewöhnt haben.«

»Dort geht das Boot,« rief François plötzlich, dessen scharfes Auge die dunkeln Umrisse des kleinen Fahrzeugs in demselben Moment erspähte, als es hinter der kleinen Insel, die es bis dahin ihren Blicken entzogen, vorschoß.

»Teufel!« schrie aber auch Hans in diesem Augenblick, mit dem Fuße stampfend – »wir sind verloren. – Es ist in der Gewalt der Schwarzen.«

»Der Schwarzen?« stöhnten die beiden Franzosen entsetzt – »das ist ja nicht möglich.«

»Da seht selber,« erwiderte ihnen Hans tonlos, indem er Jean das Glas hinüberreichte – »nun sei uns Gott gnädig in unserer Noth.«

 


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