Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

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12. Die Riffbank

Der Mate kam um die bestimmte Zeit selber herunter, legte die Distance ab, die sie nach Log und Compaß gemacht, und fand, daß sie der Küste, wenn die Strömung hier nicht sehr stark war, etwa um fünf Meilen näher gekommen. Sie gingen dann mitsammen auf Deck, und es wurde ein Mann nach oben gesandt, um auszusehen, während vorn auf der Back ein anderer die Wache halten mußte. Es ließ sich aber nicht das Mindeste erkennen, und der Capitain blieb bis zu seiner Wache oben. Gewendet wurde aber nicht.

Um vier Uhr ging der erste Mate nach unten, und als er den zweiten weckte, prägte er ihm noch besonders ein, ja fortwährend Jemand auf dem Ausguck zu haben, der nicht allein nach der Brandung aussähe, sondern auch aushorche, denn sie würden sie in dieser stockfinstern Nacht eine Stunde eher hören als sehen können. Er ging dann zu Koje, konnte aber nicht schlafen und wälzte sich unruhig, alle Augenblicke aufhorchend, auf seinem Bett herum.

Es war um fünf Uhr Morgens, als er ganz deutlich durch sein offenes Fenster, bei einem plötzlich herüberwehenden Windstoß, das ferne dumpfe Rollen der Brandung zu hören glaubte. Mit einem Satz war er aus dem Bett und an Deck – einen Augenblick war Alles still, dann kam es dumpfgrollend und deutlich wieder über die empörte See daher und mischte sich in das Heulen des Windes.

»Capitain Oilytt, wir sind dicht auf der Küste,« rief der Mann erschrocken und sprang rasch die wenigen Stufen hinauf und auf den Capitain zu, der bis jetzt auf dem hintern Theil des Quarterdeck mit schnellen Schlitten auf- und abgegangen war.

»Unsinn, Sir – was macht Sie das glauben?« frug der Capitain, indem er stehen blieb.

»Hörten Sie nichts?« sagte der Mate und hielt die gebogene Hand trichterförmig an das lauschend vorgebeugte Ohr. Eine halbe Minute wohl ließ sich nichts deutlich unterscheiden, dann aber plötzlich quollen die dumpfgrollenden Töne ferner Brandung so deutlich zu ihnen herüber, daß sich die Sache nicht mehr bezweifeln oder gar wegleugnen ließ.

»Ich höre nach vorn zu auch die Brandung, Capitain,« sagte Jean, der am Ruder stand und schon eine Weile nach der Richtung hinübergehorcht hatte, »gerad' da drüben.«

»Er hat wahrhaftig Recht,« rief der Mate – »wir sitzen mittendrin.«

»All hands on deck,« donnerte der Capitain jetzt, ohne etwas darauf zu erwidern, über Deck hin – »schnell, Jungens, schnell, treibt mir die Schläfer aus den Kojen. – Nach oben, Ihr Leute, und schüttelt mir die Reefen aus den Marssegeln. – Rasch, munter, Jungens – Zwei nach vorn und Zwei für die Besan – jetzt fehlt uns das große Marssegel. Den großen Klüver los, Einer von Euch, und nun Marsraaen in die Höhe, was das Zeug halten will!«

Die Leute waren aus dem Logis halb bekleidet herausgesprungen und flogen an die Taue. Die Vormarsraae ging rasch, diesmal ohne Singen und nur unter dem schnellen Tactheulen eines Einzelnen, nach oben, und das gewaltige Segel faßte bald voll und kräftig den Wind. »Vor-Bramsegel los!« – tönte der nächste Ruf, und ob sich gleich die Stenge vor der ungeheuren Last, die gegen sie preßte, ordentlich bog, als die Schoten nach den Nocken flogen und der Wind plötzlich hineinschlug, sie brachen wenigstens nicht. Das große Besan war ebenfalls gesetzt, und das Schiff bewegte sich etwas schnell durch's Wasser.

»Ist das neue Marssegel zur Hand, Mr. Black?« frug der Capitain jetzt diesen, der neben ihm stand und die Besanschot befestigen half.

»Alles in Ordnung, Sir – liegt gerade hier unter der Luke. Ich wollte es überhaupt schon heute früh anschlagen und das alte Segel ausbessern lassen.«

»Ich wollte, Sie hätten's gestern gethan,« erwiderte der Capitain – »allons, hinauf damit – wir müssen sehen, daß wir es festkriegen. Wenn wir nicht Segel setzen können, jagen wir unrettbar auf die Riffe hinauf.«

Es ist eine schlimme Arbeit an Bord eines Schiffes, in solchem Wetter und solcher See ein Segel anzuschlagen, das schon durch sein ungeheures Gewicht ein stetes Hinderniß bietet. In offener See wäre es auch sicher unterblieben. Hier aber lag ihre einzige Rettung darin, um von der Küste oder den Riffen vielmehr, die sich hier gefährlicher als an irgend einer Küste hinauf erstreckten, wieder abzukommen, und die Marssegel sind durch ihre Größe wie ihren Platz bei solchem Absegeln gerade die wichtigsten von allen. Ob die Stengen und Masten hielten, mußte sich jetzt zeigen. Aber halten oder nicht – brachten sie nicht mehr Segel auf, so saßen sie in einer Stunde zwischen den Klippen.

Die Luke war geöffnet, und die Männer arbeiteten daran, das schwere Segel auf Deck zu heben, während der Capitain unruhig vorgebeugt nach der Brandung horchte und in der sich mehr und mehr lichtenden Dämmerung den weißen Schaumstreifen, der jetzt sichtbar sein mußte, zu erkennen suchte. Einer der Leute war nach oben geschickt, eine Talje an eine der Pardunen zu schlagen, um das Segel nachher in die Marsen hinaufheben zu können. Zuerst mußte es aber auf Deck vollkommen dicht gereeft und so fest zusammengeschnürt werden, daß oben der Wind, ehe es festgemacht war, nicht hineingreifen konnte.

»Capitain Oilytt,« sagte der Mate jetzt zu diesem tretend – »wir sind zu schwach an Händen – soll ich Hans vielleicht aus dem untern Raum heraufholen lassen?«

»Nein,« sagte der Capitain rasch – »es geht auch ohne den – ich will nicht. – Doch meinetwegen,« setzte er, sich eines Bessern besinnend, hinzu – »wir dürfen nichts versäumen, denn wenn wir Unglück haben, käme uns am Ende die Assecuranz-Compagnie auf den Kragen. Bringt ihn herauf und nehmt ihm die Eisen ab. Wenn wir von der Küste los sind, können wir immer noch thun, was wir wollen.«

Der Zimmermann mußte den Gefangenen heraufbringen, und auch der Steward war indessen aus dem Bett geholt. Obgleich er ächzte und stöhnte, als ob er am Spieße stäke, half ihm das diesmal nichts. Kaum hatte er aber einen Blick über See und Takelwerk geworfen und nach den donnernden Riffen hinüber gehorcht, als er auf einmal so gesund schien, als ob ihm im Leben nichts gefehlt hätte. Er war lange genug zur See gewesen, um bald einzusehen, wie die Sachen hier standen.

Als Hans an Deck kam, warf er einen einzigen flüchtigen Blick über Segel und Luft, im nächsten Moment schlug aber schon das dumpfe, jetzt ganz deutliche Rollen der Brandung an sein Ohr, und ein leichtes, fast triumphirendes Lächeln überflog seine bleichen Züge.

»Nehmt ihm die Eisen ab, Zimmermann,« sagte der erste Mate rasch, als ob er befürchte, daß vom Capitain wieder Einsprache geschehen könnte – »und dann rasch an's Werk, mein Bursche. Wir arbeiten heute Morgen Alle nur für uns selber, denn wer den Hals nicht voll Seewasser haben will, mag zusehen, daß er seinen Mund noch eine Weile über hoch Wassermark behält. – Rasch mit dem Segel, Ihr Jungens, das dauert ja eine Ewigkeit.«

»Mr. Black,« sagte aber in diesem Augenblick Hans, der dem Zimmermann seine Hände wieder entzogen hatte, daß er ihn noch nicht frei machen konnte – »ehe ich einen Finger dazu aufhebe, dies Schiff vom Untergang mit frei zu arbeiten, will ich erst wissen, ob der Capitain die – Prügelstrafe, die er mir zudictirt, zurückgenommen. – Ist das der Fall, so soll er wahrlich keinen willigeren Mann als mich an Bord haben, und er mag mich nachher geduldig wieder in Eisen legen. – Ist das aber nicht der Fall, so – ist mir's lieber, wir treiben auf die Klippen. – Ich für meinen Theil ersaufe nun einmal lieber, als daß ich mich peitsche lasse.«

»Das ist Unsinn Mann,« rief aber der Mate – »macht keine Flausen und seid froh, daß man Euch Gelegenheit giebt. Euer eigenes Leben mit retten zu helfen. – Erst einmal von der Küste ab – das Andere findet sich nachher.«

»Was? – will sich der Hund noch wiedersetzen?« schrie aber der Capitain jetzt, auf das Mitteldeck springend und eine Handspeiche, die beim Oeffnen der Luke gebraucht war, aufgreifend – und ehe ihn Jemand daran verhindern konnte, schlug er sie dem Gefangenen, der wehrlos und mit gefesselten Händen vor ihm stand, über den Kopf, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Bill und Karl wollten ihm zu Hülfe springen und ihn aufrichten. Der Capitain schrie sie aber an, bei ihrer Arbeit zu bleiben und sich nicht zu rühren, warf dann die Handspeiche auf Deck und befahl Timor, den »Körper« aus dem Weg und auf die Seite zu ziehen.

Mr. Black – sonst wohl ein rauher Gesell, aber keineswegs mit solcher unnöthigen Grausamkeit einverstanden, wartete diesmal auf keine weiteren Befehle von seinem Capitain, sondern rief dem ihm nächsten Matrosen zu – es war Bill – den Bewußtlosen aufzuheben und hinunter in das Zwischendeck zu schaffen. Dort legten sie ihn auf ein paar der da aufgestapelten Heuballen und ließen ihn liegen – es war nicht möglich, in diesem Augenblick weiter etwas mit ihm vorzunehmen.

Der Capitain sah dies wohl, da aber Mr. Black, und wie es schien fest entschlossen, selber dabei betheiligt war, ließ er ihn gewähren und ging mürrisch nach hinten.

Das Segel war indessen an Deck dicht gereeft und fest zusammengeschnürt. An einem Ende an die Talje befestigt, zogen es die Leute mit leichter Mühe in den großen Mars. Zwei von den Leuten hatten indessen die Reeftalje von den Marsraaenocken bis hierher niedergeholt, schlugen diese an beiden Seiten durch eine der Reefkausen, und holten nur das Segel nach Steuer- und Backbord aus. Eine andere Talje um die Mitte geschlagen, brachte es dicht unter die Raae, und die ganze jetzt über die Raae vertheilte Mannschaft zog mit unendlicher Schwierigkeit zwar, aber doch sicher und gut das Segel mit den ersten Reefbändern an seine gehörige Stelle und festigte es dort mit allen Bändern.

Nach kaum einer Viertelstunde schlug das Segel, von den beiden Tauen befreit, auf. Mit der Geschwindigkeit von Affen glitten aber auch die Leute zu gleicher Zeit an Wanten und Pardunen nieder, um die Schoten auszuziehen, und hoch flog die wilde Spritzwelle über den Bug des Schiffes aus und schleuderte förmliche Wellen über Deck weg, als die neue Gewalt das ächzende Fahrzeug gegen die anstürmende Wassermasse trieb.

Es war ein Glück für das Fahrzeug, daß sich der Wind mit der Tagesdämmerung etwas gelegt hatte, es wäre sonst gar nicht im Stande gewesen, diese Segel zu führen. Selbst jetzt noch standen die Taue zum äußersten gestrafft, und die starken Stengen bogen sich und schienen nur eines einzigen Druckes mehr zu bedürfen, um wie Glas von einander zu springen.

Mr. Black war indessen selber nach oben gegangen, und sein gleich darauf nichts weniger als tröstlich klingender Ruf: »Brandung einen Strich über den Leebug« brachte auch den Capitain bald an seine Seite.

»Da drüben sind die Riffe, Sir,« sagte der Mate, auf der Bramraae stehend und sich mit dem linken Arm um die Stenge festhaltend. Er deutete dabei mit der Rechten nach einem weißen Kamm hinüber, der, aus hohen Brandungswellen bestehend, weit vom Süden heraufkam und den ganzen Westen zu umschließen schien.

»Können Sie gar kein hohes Land erkennen, Sir?« frug der Capitain, der auf die Raae mit hinausstieg und sein linkes Bein darüber wegschlug. – »Wenn wir nur den Thurm von Raines Island ausmachen könnten – in einer Stunde wären wir in Sicherheit.«

»Es ist zu neblig,« lautete die Antwort – »gerad' hinter der Brandung liegt es wie schwerer Duft auf dem Wasser, und es läßt sich nichts erkennen. – Ich glaube nicht, daß wir abkommen, Capitain.«

»Laßt das große Bramsegel auch beisetzen, Mr. Black,« – sagte dieser, unruhig den drohenden Küsten- oder vielmehr Inselstreifen übersehend – »wir müssen

»Die Stenge hält es nicht, Capitain,« sagte der Mate, »sie ist alt und schon einmal geflickt – wir werfen sie augenblicklich über Bord.«

»Wir müssen, Mr. Black – wir kommen wahrhaftig nicht einmal mehr mit diesen Segeln um die Südspitze der Riffe dort weg, und wenn wir noch einmal zum Wenden gezwungen werden, sind wir rettungslos verloren. Wir verlieren mehr dabei, als wir in einer vollen Woche wieder gut machen können.«

»Große Bramsegel los!« schrie der Mate, statt weiterer Antwort, nach unten. – Einer von den Leuten, es war der Deutsche, Karl, stieg nach oben, um das Segel zu lösen. – Unten zogen sie indessen schon die Raae auf. Als das Segel ausflatterte, ächzte die Stenge, und Karl sah sich erschreckt um.

»Nieder mit Euch – nieder!« schrie ihm der Mate hinüber und winkte ihm mit der Hand, daß er sich rasch niederlassen sollte. Das Brausen des Windes übertönte aber seine Worte, und Karl war eben damit beschäftigt, einen der Geitaublöcke, der unklar gekommen war, wieder frei zu machen – die Schoten fuhren aus und der Wind schlug in das Segel.

»Nieder mit Euch aus dem Top!« schrie der Mate, während er und der Capitain selber blitzschnell nach unten glitten – aber Karl hörte die warnende Stimme nicht. – Um ihn krachte und brach es – seine Geistesgegenwart verlierend, griff er nach dem ersten besten Tau, das er erfassen konnte, und seine Sinne schwanden in der Gewalt des Sturzes.

»Mann über Bord!« schrie Jean, vom Ruder aus, durch den Lärm des krachenden Holzes und das Brüllen der See hindurch. – Wie instinctartig flog auch Bill die Quarterdeckstreppe hinauf, und ein dort liegendes Tau ergreifend, schleuderte er es mit geschicktem Wurf dem eben vorbeitreibenden Körper fast über den Kopf – aber es war umsonst. – Die Fähigkeit, es zu halten und zu greifen, war aus den erschlafften Muskeln gewichen. – Im Fall mußte er mit dem Kopf gegen irgend einen der Blöcke oder Raaenocken geschlagen sein; die Stirn zeigte, eben als Bill noch in Todesangst hinübersah, eine klaffende Wunde. – Die See schlug über den Unglücklichen zusammen und er sank in die Tiefe.

Das Alles geschah, während es über den Häuptern der Beiden ebenfalls krachte und zusammenbrach. – Dicht neben Bill schlug der Besantop herunter und fuhr gerade durch das eine der Boote, die an beiden Seiten in eisernen Krahnen aufgehißt und befestigt waren – aber der Matrose hörte es gar nicht. Wie erstarrt hing sein Blick an der wegsinkenden Leiche des Kameraden. Als er sich wieder umschaute, war das Schiff ein Wrack – alle drei Stengen waren niedergebrochen und der Klüverbaum nach Lee herumgeschlagen. Das Schiff, welches im Anfang fast schon durch die Segellast auf der Seite gelegen und eine Unmasse Wasser übergenommen hatte, richtete sich dadurch allerdings wieder etwas auf, wurde aber auch zu gleicher Zeit durch das jetzt nebenherschleifende Takelwerk mit Raaen und Stengen so in seinem Lauf gehemmt, daß es fast nicht den geringsten Fortgang machte und nur mit der hier stark nach Nordwest setzenden Strömung gerade auf die Klippen trieb.

»Kappt weg, Jungens, kappt Alles!« schrie der Mate und suchte selber, mit gutem Beispiel vorangehend, das Schiff von dem Anhängsel, das sogar im Steuern hinderte, zu befreien, was ihm auch mit Hülfe der anderen Zuspringenden bald gelang. Sie kappten Alles frei, was über Bord hing, das Schiff vermochten sie aber nicht mehr zu retten. Nur noch womöglich eine Stelle zu treffen, wo sie in ruhiges Wasser kommen konnten, war das Einzige, was ihnen zu thun übrig blieb, und der Capitain hatte sich durch das hängende und schlagende Tauwerk bis zu dem Stumpf des vordern Mastes hinaufgearbeitet, von dem er jetzt niederschrie, das Schiff zwei Striche abfallen zu lassen. – Der Befehl wurde augenblicklich befolgt, und sie näherten sich den brandenden, schäumenden Klippen mit rasender Schnelle.

»Können Sie die Backbord-Raaen etwas anbrassen, Mr. Black?«

»Ay, ay, Sir – brassen, meine Jungens – nur ein wenig – für Euer Leben – greift zu hier. Ahoy – ahoy – noch einmal – so – Vor-Raaen jetzt.«

»Noch mehr abfallen – halt – Steady –« tönte der langgezogene Ruf.

Die Leute standen an Deck und wagten kaum zu athmen. Eine, wie es von hier aus schien, durchaus ununterbrochene Mauer von Klippen streckte sich vor ihnen aus, auf die das Schiff jetzt halb vor dem Wind mit wenigstens neun Meilen Fahrt hinauftrieb. Sobald sie aufstießen, mußte sie die erste nachstürzende Woge zerschmettern, und in diesem Chaos von scharfen Korallenfelsen und Sturzseen wäre es nicht möglich gewesen, auch nur ein einziges Leben zu retten.

»Noch mehr abfallen!« lautete der eintönige, ruhige Ruf.

»Noch mehr abfallen!« wiederholten fast bewußtlos mehr als ein halbes Dutzend der Umstehenden. – Jean stand am Steuer und sah todtenbleich aus, aber ein fast trotziges Lächeln spielte um seine Lippen, als er die Befehle, zum Zeichen, daß er sie gehört und während sie schon ausgeführt waren, wiederholte.

Die Brandung stürmte jetzt so gewaltig und so in ihrer Nähe, daß es schon fast war, als ob das Wasser auf Deck spritzen könnte. Bill sah nach den Masten hinauf, denn er erwartete mit jedem Augenblick den ersten Stoß und wußte, daß sie dann auch rettungslos nach vorn übergehen mußten. Keiner sprach aber ein Wort, und wohl drei oder vier Minuten standen die Männer still und lautlos, den Augenblick der Entscheidung erwartend.

An Hans dachte Keiner mehr von ihnen. Der Tod lauerte vor jedes Einzelnen Thür und mahnte mit ernstem Klopfen an Zeit und Ewigkeit.

»Luff – ein klein wenig Luff nur!« rief der Capitain in diesem Augenblick von oben herunter.

»Luff it is!« war die Antwort des Steuernden.

»Steady!« die Stimme klang geisterhaft wild durch das Heulen des Sturmes und das Brausen der Brandung – »Steady, um Euer Leben!«

Rechts und links am Schiff hinauf stürzten die Wogen, die sich an den Korallenfelsen neben ihnen brachen, aber das Schiff schoß mit Blitzesschnelle hindurch.

»Hard a port« – überschrie der Capitain mit seiner Donnerstimme das Toben der Elemente, und während fast jede bleiche Lippe den Befehl wiederholte und sich der Mate selbst mit in die Speichen des Rades warf, ihn auszuführen, glitt Capitain Oilytt blitzschnell an einer der Pardunen an Deck hinunter. Er hatte dieses aber kaum berührt und das Schiff war noch nicht mehr wie seine eigene Länge in der neuen Richtung fortgeschossen, als ein furchtbarer Stoß es bis in den Kiel hinunter erschütterte. – Was nicht fest stand, stürzte auf Deck nieder, und wie mit einem Schlag brachen die drei Masten über Backbord nieder und schmetterten in das wie kochend schäumende, milchige Wasser.

Alle schienen einen zweiten Stoß und das Zerschmettern des Schiffes selber zu erwarten – aber er kam nicht. – Die ungeheuren Wogen des stürmenden Meeres wälzten gegen sie heran, aber sie erreichten das Schiff nicht. – Dieselbe Wand starrer Korallen, die ihnen vorher Verderben gedroht und auf der sie, wenn sie dort aufgestoßen, auch rettungslos verloren gewesen wären, lag jetzt, ein unerschütterlicher Schutz, zwischen ihnen und dem drohenden Verderben.

Die Leute wagten kaum zu athmen, und viele Minuten lang rührte sich keiner von seiner Stelle, als ob sie an Rettung noch gar nicht glauben könnten. Bill war der Erste, der auf das kleine hinter dem Rad angebrachte Haus, das sogenannte Farbenspintje, sprang und mit einem Jubelruf die Rettung verkündete.

»Sicher festgefahren!« schrie er den Anderen zu; »verdammt will ich sein, wenn das nicht der niedlichste Platz ist, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

Die Worte brachen den Zauber, und Alles sprang jetzt auf die hohe Railing, um soviel als möglich die Stelle, wo sie sich befanden, zu übersehen und die Möglichkeit einer Rettung zu berechnen.

Das Schiff war glücklich zwischen zwei hohen Korallenriffen und durch einen Durchgang eingelaufen, der vielleicht nicht viel breiter war als das Fahrzeug selber. – Der glatte Streifen Wasser, der den Weg wenigstens bezeichnete, in dem sie eingekommen, war kaum Mannslänge breit, und an beiden Seiten stürzte die Brandung der Nachbarklippen hinein. Weiter ließ sich aber auch, so weit das Auge reichte, keine einzige Einfahrt erkennen, und nur ihre verzweifelte Lage hatte den Capitain veranlassen können, sein Schiff auf den schmalen Streifen zuzutreiben, der eben so gut wie das Uebrige eine versteckte Klippe hätte bergen können. Hier, inmitten der Riffe, lagen sie nun in einem kleinen, kaum hundert Schritt langen See hellen, fast gelblich grünen Wassers, in dem sich die den Grund bildenden Baumkorallen klar und deutlich erkennen ließen.

Ringsum waren sie total von Korallenbänken eingeschlossen, die an den meisten Stellen bis dicht an die Oberfläche reichten, hier und da aber kleine, zwei, drei und vier Fuß tiefe Kanäle bildeten, von denen einige offen lagen, andere mit langen treibenden Seegewächsen überzogen waren. Diese Korallenriffe konnten indessen kaum zweihundert Schritt breit sein, denn dicht dahinter lag wieder tiefes blaues, nur jetzt von der schweren Brise aufgeregtes Wasser, das nicht so durch die hohe Brandung von dem darüber hinstreifenden Wind geschützt war wie die Stelle, auf der sie gerade saßen.

 


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