Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

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15. Die Bootfahrt

Bei dem Einnehmen des Proviants war ihnen jetzt Timor, der früher ja auch mit in der Kajüte aufgewartet hatte, von unendlichem Nutzen. Der Steward hatte nämlich, um den Zurückbleibenden wo möglich nichts als die Provisionen zu lassen, die nicht unter seiner Aufsicht standen, alles was von Eingemachtem, sauren Gurken, feinen Zwiebäcken, Weinen und Liqueuren nur irgend noch vorräthig war, entweder selber mitgenommen, oder, wo das nicht anging, zerstört. – Die ganze Kajüte schwamm in Brandy und Wein, denn er schien, als er zuletzt unten war, alle Flaschen, die er nur möglicher Weise erreichen konnte, zerstoßen zu haben.

Die Mühe war aber vergebens gewesen, denn Timor wußte zu genau überall Bescheid und brachte in kurzer Zeit eine solche Unmasse von Delicatessen und Liqueuren angeschleppt, daß sie drei solche kleine Boote hätten damit verproviantiren können. Das Beste wurde natürlich von alle diesem ausgesucht, ein ziemlich bedeutender Wasservorrath in kleinen Brandyfässern als Ballast unten angelegt, eine der Kisten, mit ihren nothwendigsten Sachen gepackt, an Bord geschafft, und um elf Uhr Morgens konnten sie schon die leichte Jolle von den eisernen Krahnen, an denen sie noch unversehrt hing, in See lassen.

Dies war des Capitains Jolle. Obgleich aber in Sidney wenig gebraucht, da das Schiff dort dicht am Lande lag, nahm sie doch nicht viel Wasser ein, und als sie eine Stunde in See gelegen, stand sie vollkommen dicht. Etwa eine Stunde später war das Boot zum Absegeln bereit.

»Alle fertig?« rief Bill, indem er sein Ruder gegen die Seite des Wracks setzte, das noch immer unbeweglich auf den Riffen saß.

»Alles klar!« lautete die Antwort, und im nächsten Augenblick glitten sie von dem kahlen Rumpf ab und in denselben schmalen Kanal hinein, durch den ihnen schon diesen Morgen die Barkasse vorangegangen war.

Bill saß am Steuer, Jean und François standen an den Segeln, Timor kauerte vorn im Bug und schaute auf die unten vorübergleitenden Korallenbäume nieder, und Jean und Hans saßen in der Mitte, der Erstere von den Strapazen des Morgens, von seiner Schwimmpartie, die ihm Timor's List verschafft, und den Provisionstransporten verschnaufend, und der Andere sein Bein ausruhend.

Fünf Minuten später rannten sie aber plötzlich fest. – Einzelne Korallenstämme stiegen hier überall aus der Tiefe auf, und der hinten am Steuer Sitzende konnte von dort aus solche Stellen auf dem blendenden Spiegel des Wassers nicht deutlich genug erkennen, um sie zu vermeiden. François, mit den englischen Ausdrücken nicht so vertraut, war auch nicht dazu geeignet, und Hans nahm deshalb den Platz vorn, dicht am Bug ein, um die nöthige Warnung zu geben, wenn irgend ein Hinderniß in ihrem Fahrwasser liegen sollte.

Sie mußten aber auch über eine halbe Stunde arbeiten, von dem einzelnen Korallenbaum wieder abzukommen, der sie gerade in der Mitte unter dem Boot gefaßt hatte und festhielt und so steil ringsum niederlief, daß sie mit ihren Rudern weder den Grund, noch ihr gerade unten befindliches Hinderniß erreichen konnten. Endlich gelang es ihnen, den Bootshaken zwischen den Kiel und die Koralle zu bringen, und mit einem kurzen Ende Tau an der äußersten Spitze der starken Stange hoben sie das Boot etwas und konnten es seitwärts wieder in tief Wasser schieben. Hans paßte von da an sorgfältig auf, und sie näherten sich mehr und mehr dem tiefen Wasser des innern Beckens.

Gerade an der letzten Wand oder Mauer, die hier wieder zu einer beträchtlichen Tiefe niederschoß, hatten sie aber wohl den weitesten Kanal verfehlt, denn hier starrten überall Korallenbäume empor. Sie mußten Segel bergen, daß sie nur langsam mit der Strömung hindurchliefen.

»Luff, Bill, Luff!« rief Hans, als sie auf diese »Barriere« (denn barrier reefs werden diese Felsen ja auch genannt) zuliefen und sich hier von einem breiten Streifen gelbgrünen Wassers eingeschlossen sahen, aus dem überall, oft wie dichtes Gebüsch, das zum Theil wunderlich geformten und verkrüppelten Bäumen glich, eine braune Korallenart emporschoß. »Luff, mehr noch, so, halt, Steady jetzt – tiefer – tiefer – noch tiefer – Steady – Luff wieder – und nun Cours« – rief er, sich lächelnd nach Bill umdrehend, der sich die größte Mühe gab, den so rasch wechselnden Befehlen zu folgen. »Allons, François, Segel wieder in die Höhe, wir sind jetzt sicher!«

»Donnerwetter, Hans, Du jagst mich ja förmlich im Zickzack herum,« rief Bill, während er das Ruder von Steuernach Backbord und wieder zurückbrachte, »sind wir hinaus?«

»Frei und sicher in die Torresstraße eingelaufen,« gab ihm Hans, viel gesprächiger, als er sich bis jetzt nur je gezeigt, zur Antwort. – »Wetter, Mann, als ich das letzte Mal hier war, dachte ich nicht, daß ich in einer Nußschale, wie dies Ding hier, zurückkommen würde.«

»Bist Du schon früher hier einmal durchgekommen?« frug Bill schnell und erstaunt.

»Dies ist das fünfte Mal, Kamerad, und Ihr könntet keinen besseren Lootsen hier hindurch haben als mich. – Wäre der Capitain ein vernünftiger Mann gewesen, er hätte das Schiff da draußen nicht zu verlieren brauchen – doch so ist's besser, und einmal flott, bekommen wir auch wieder festen Boden, oder, was mir lieber wäre, ein anderes gutes Fahrzeug unter die Füße, mit dem wir weiter gehen können. Ist's aber nicht anders, so mögen wir auch getrost mit diesem kleinen Ding dem Monsun folgen. Wie die Jahreszeit jetzt hier ist, wollte ich in einem Canoe von hier nach Batavia oder Singapore laufen.«

»Hör' einmal, Hans,« sagte jetzt Bill, der ihm die ganze Zeit schweigend zugehört hatte – »ich wollte Dich schon lange – aber Wetter noch einmal, wo steuern wir denn jetzt hin? Der verdammte Schuft von Capitain hat uns nicht einmal einen Compaß gelassen, und ich halte da immer in's Blaue hinein.«

»Hier ist einer,« sagte Hans und löste ein Band von seinem Nacken los, an dem eine kleine wunderzierlich von Kupfer gearbeitete und mit Gold eingelegte Kapsel hing – »gebrauch' den so lange, er thut's wenigstens zur Noth, und steuere nur einen West-Südwest-Cours, bis wir Land in Sicht bekommen.«

»Verdammt wunderliches Ding,« brummte Bill, als er, das eine Steuerreep so lange zwischen den Zähnen, die kleine Kapsel öffnete und mißtrauisch von allen Seiten betrachtete, »wo ist denn darauf Norden oder Süden – Donnerwetter, das Ding steht ja nach allen Seiten hin und – hol's der Henker, die Nadel ist verkehrt angesetzt, die Pfeilspitze sitzt auf der falschen Seite oder zeigt wahrhaftig nach Süden hin.«

»Es ist ein japanesischer Taschencompaß,« lachte Hans, »doch komm, laß mich hin, ich will steuern, und dabei kann ich Dir erklären, wie er eingetheilt ist, Du wirst Dich bald hineinfinden.«

Bill ließ ihn auf seinen Platz, blieb aber neben ihm sitzen, und als er sich die Sache hatte auseinandersetzen lassen, die er bald begriff, sagte er, Hans auf einmal wieder ansehend:

»Ja, Kamerad, was ich Dich vorher fragen wollte, wie mir da der Compaß durch den Kopf fuhr, und was mir die letzten Tage im Schädel hin- und hergegangen ist – wo zum Teufel hast Du denn auf einmal das viele Englisch hergekriegt, und warum hast Du's vorher nicht gesprochen? – Ich will verdammt sein, wenn ich jetzt glaube, daß Du irgend was Anderes bist als ein Engländer. Hol' mich dieser und jener, wenn's nicht wahr ist.«

»Und ich glaube, er spricht auch eben so gut Französisch, wie ich selber,« lachte Jean, »und hat uns hier die ganze Reise zum Besten gehabt – ich möchte nur wissen warum.«

»Wenn ich keinen Grund dazu gehabt hätte, Kameraden,« sagte Hans gutmüthig, jetzt aber auf einmal ganz ernst geworden, »so hätt' ich's nicht gethan. Da ich also einen Grund dafür haben muß, laßt mir den auch. Wenn ich kann, sollt Ihr ihn später erfahren, bis dahin müßt Ihr aber Geduld haben.«

»Kurz und süß, wie wir bei uns sagen,« lachte Bill, »jetzt glaub' ich aber auch, François verstellt sich ebenfalls und kommt nächster Tage einmal, nur hoffentlich bei einer andern Gelegenheit, mit einem so reinen Englisch zu Tage, wie's unser Schulmeister nur zu Hause aus uns Jungen herausquetschen wollte. Doch meinetwegen. Jeder nach seinem Spaß und wie er's verantworten kann – und nun erst einmal einen Schluck auf gute Kameradschaft und glückliche Reise!«

Und damit langte er sich eine Flasche Portwein, die er, wie er versicherte, ganz besonders zu diesem Zweck beigepackt habe, aus dem kleinen Spintge, was unter dem Sternsitz angebracht war, heraus, that erst selber einen kräftigen Zug und ließ dann die Flasche im Kreis herumgehen. Selbst Timor wurde nicht vergessen.

Sie waren nun vollkommen in diesen wunderbaren Ort eingedrungen, der, nicht See, nicht festes Land, nicht Inselgruppe – ein Mittelding zwischen allen dreien zu halten scheint. Wenn sie über Bord schauten, lag es tief unter ihnen manchmal wie die unergründliche Tiefe des Meeres selber da, und manchmal wieder war es, als ob sie in einem Luftballon über weiten, schneeigen Feldern mit Blitzesschnelle hingeführt würden. – Waldungen, Ströme – selbst Städte schwanden mit einer nur etwas regen Einbildungskraft rasch vorüber, und wenn sie plötzlich wieder in tiefer Wasser kamen, sah es gerade so aus, als ob eine dunkle Wolke unter sie getreten sei und nur die eben noch gesehenen Bilder verdecke.

»Es wird einem ganz schwindlig, wenn man so hinunterschaut,« brach Jean endlich ein ziemlich langes Schweigen, in dem sich Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt hatte. »Ist das nicht gerade so, als ob man meilenhoch über einer wundervollen, vom Mondlicht beschienenen Landschaft hinwegflöge? Sieh, Bill, da kommt es wieder – dort der Wald – dort das tiefe Thal.«

Bill warf einen Blick über Bord, wechselte sein Priemchen aus einer Backe in die andere und lachte.

»Aber, Mann, das sind ja die Korallen unten, über die wir weggehen! – kaum drei Faden Tiefe und all' solch' verdammtes bröckliches, aber zähes Zeug wie die dort, die da über Wasser vorragen. – Bless you, Wald und Thäler – der Mann phantasirt. – Nimm noch einen Schluck von dem Portwein, es wird Dir ausnehmend gut thun.«

Bill war nichts weniger als ein Romantiker, und wenn er Bäume oder Thäler sah, so mußten sie auch wirklich mit allem nöthigen Zubehör da sein. Jean lächelte und blinzelte nach Hans hinüber, Bill, der das aber sah, meinte gutmüthig:

»Ja, lacht nur, Jungens; mir ist's recht, aber hier haben wir in Wirklichkeit Salzwasser unter und Korallen um uns, und wir mögen wieder frei von der ganzen Geschichte kommen, das ist wahr, der Teufel kann aber auch sein Spiel haben und uns sonst einen Possen spielen, und nachher ist die Geschichte faul. So viel ist jedoch gewiß, wenn das Bäume da unten sind, so will ich nur wünschen, daß Keiner von uns in ihren Schatten zu liegen kommt, das ist Alles.« – Und damit hob er die Flasche gegen das Licht, zu sehen, ob der Inhalt noch eines Zuges werth war, und leerte sie dann ohne abzusetzen. Fertig damit, machte er eine fast unwillkürliche Bewegung, sie über Bord zu werfen, hielt aber auch eben so rasch wieder ein und legte sie auf ihren alten Fleck zurück. »Halt,« sagte er dabei, »zum Wegwerfen ist's noch immer Zeit, und wer weiß, wozu wir die noch einmal gebrauchen können, ehe wir andere kriegen.«

Vor einer ziemlich stäten und frischen Brise in dem jetzt hier und da leise gekräuselten Wasser dahingleitend, schwand das Wrack mehr und mehr am Horizont, und im Westen tauchten dafür schon einige dunkle Punkte kleiner Inseln in diesen Korallengruppen empor, und boten dem Steuernden, der nun seinen Compaß wieder schloß, ein festes Ziel, auf das er halten konnte.

»Dort links hinüber liegt auch Land, wenn ich nicht irre –« sagte Bill, als sie mehrere Stunden ruhig fortgesegelt waren und wenig mehr sprachen, als eben zu ihrer Fahrt gehörte. – »Am Ende ist das das feste Land, und wir hielten am besten dort gleich hinüber.«

»Habt Ihr Lust, gefressen oder wenigstens Eures bischen Fetts beraubt zu werden, so mögen wir sehen, daß wir die Nacht auf australischem Boden zu schlafen kommen,« meinte da Hans. »Ich meinestheils hätte geglaubt, wir wollten erst einmal eine von den Inseln erreichen und dann Kriegsrath halten. Wir fahren uns dabei nicht einmal aus dem Weg, denn was Du siehst, Bill, kann schwerlich die Küste, sondern wird Hendriks-Insel sein – eine kleine aufragende Spitze; – wie?«

»Ja,« sagte Bill, der auf einen der Thwarten (Bänke) getreten war und seine Augen mit der Hand gegen das helle Licht schützte, »ich kann auch weiter nichts sehen als den Punkt – doch halt, da rechts hinein liegt noch mehr Land, glaub' ich – luff ein wenig mehr auf, Hans, wir halten besser Strich.«

»Ich seh' übrigens gar nicht ein,« meinte Jean, »weshalb wir uns hier im Boot nicht eben so gut berathen können, wie auf irgend einem der kleinen Sandflecke in der Straße hier. Wir haben weiter nichts zu thun, und je eher wir uns einen festen Plan bilden, desto besser.«

»Gut,« sagte Hans – »und seid Ihr wirklich entschlossen, den Landweg nach Sidney zu wagen?«

»Entschlossen?« rief Bill erstaunt; »ei, Mann, ich glaubte, das bedürfe gar keiner Frage mehr, sondern wir wollten nur berathen, wie wir am schnellsten zum Lande kämen.«

»Aber, Leute, Ihr bedenkt gar nicht, was für ein Land Ihr durchwandern wollt! – Ich bin von Herzen gern dabei, den Versuch mitzumachen, Euch zu überzeugen, aber wir kommen keine fünfzig Meilen in's Innere, so viel ist gewiß. Wir finden kein Wasser und verwünscht wenig zu essen, und werden zuletzt froh sein, wenn uns die Schwarzen nur wieder zur Küste zurücklassen.«

»Ja, aber was zum Donnerwetter sollen wir denn da eigentlich thun?« frug Bill verblüfft – »ich habe bis jetzt noch an gar nichts Anderes gedacht. Dann bleibt uns nichts übrig, als hinter dem Alten herzufahren und uns vielleicht von demselben Schiff auflesen zu lassen, das den mit fortnimmt. Deshalb haben wir ja doch keinen Skandal mit dem Capitain angefangen?«

»Nein, daran denk' ich wahrhaftig nicht,« sagte Hans schnell – »das Schiff, das ich betrete, möchte ich mir vorher wählen, und deshalb können wir meinetwegen erst irgendwo an der Küste landen und einen Versuch machen; ich möchte das feste Land selber gern einmal sehen. Geht es aber dort nicht, dann schiffen wir uns wieder ein und segeln mit diesem Monsun und von dieser Strömung begünstigt frisch und fröhlich in den Indischen Archipel ein – vielleicht gar nach Timor, wo wir ja hier einen herrlichen Dolmetscher und Führer haben.«

»Gut, dabei bleibt's,« rief Jean schnell; »es wäre doch wunderbar, wenn vier starke junge Kerle – und Timor dürfen wir immer für einen halben rechnen – sich nicht durch die Welt schlagen könnten, sei's wo's sei. Also frisch einen Südcours hinüber, Hans. Hier verlieren wir zu viel Grund und Boden, und wir wollen gleich von vornherein wissen, welche Aufnahme wir an der Küste zu erwarten haben.«

»Aber wird François damit einverstanden sein?« frug Hans, auf diesen blickend.

François verstand nicht viel Englisch, doch genug, um den Sinn der Verhandlung begriffen zu haben, und nickte lachend mit dem Kopf.

»C'est la même chose pour moi, camarade,« rief er fröhlich, »wohin es auch geht, ich bin dabei, und was die Indianer betrifft, so denk' ich, brauchen wir uns derentwegen keine Sorge zu machen. Wir sind gut bewaffnet, und Schießgewehre kennen sie vielleicht hier oben noch gar nicht.«

»Was sagt er?« frug Bill, der ihn indessen scharf angesehen hatte.

»Vorwärts!« lachte Hans und luffte mit einer leisen Bewegung des Ruders scharf gegen den Wind an. »Brassen, meine Burschen – brassen; so, das thut's, François. Ich denke, wir können mit diesem Cours der Küste nahen.«

»'s ist doch ein merkwürdiges gibberitch, das Französische,« brummte Bill kopfschüttelnd. »Ich habe mich nun so lange zwischen Franzosen herumgetrieben, aber nie mehr davon wegkriegen können, als merci Monsieur und sil woo plaze – Was beinahe wie breit Irihs klingt. – 's ist eigentlich merkwürdig, daß wir Engländer, wenn wir uns ein paar Worte Französisch merken, immer nur Höflichkeiten, und die Franzosen bei ihrem ersten Englischsprechen nur Fluchen lernen. Hol' mich dieser und jener, wenn nicht das erste Wort, was ein Franzmann von unserer Sprache begreift, jedesmal God dam ist. – Ich möchte nur wissen, woher das kommt, denn es ist ja doch gerade gegen beider Natur. Wenn ich z. B. höflich sein soll, komme ich mir immer vor wie eine Katze, die schwimmen will. Wir sind einmal nicht daran gewöhnt.«

»Es mag wohl daher kommen,« sagte Hans lächelnd, »daß Ihr Engländer so entsetzlich viel flucht und die Franzosen so entsetzlich viel höfliche Redensarten haben. Was die eine Nation nun von der andern am meisten hört, behält sie auch am leichtesten.«

»Hm,« brummte Bill, »das wäre möglich, daran habe ich noch nicht gedacht,« und er saß eine Zeit lang so in Gedanken versunken da, daß er nicht einmal merkte, wie er eine neue Flasche vorgeholt, geöffnet und einen langen Zug daraus gethan hatte.

Timor's Augen, obgleich er an dem Gespräch nicht Theil nahm, leuchteten, als er die Möglichkeit vor sich auftauchen sah, sein lange nicht gesehenes Heimathland wieder zu betreten. Nur so viel eifriger machte er sich jetzt daran, die Angelgeräthschaften, die er auch an Bord des Boreas unter den Händen gehabt, hervorzusuchen und seinen Fischfang zu beginnen. Zu dem Zweck befestigte er jetzt ein Stück rothes Zeug an einen ziemlich starken Haken, und ließ es, etwa zehn Ellen vom Boot entfernt, nachschleifen.

Das kleine, ziemlich schwer beladene Boot legte sich indessen mit dem Wind recht breit von der Seite in die Segel, fast bis an den Steuerbordrand auf das Wasser, und die Besatzung mußte nach Backbord hinüberrücken, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Nach Südwesten zu wurden jetzt schon die drei Spitzen der Hannibals-Inseln sichtbar. Nachmittags starb der Wind aber plötzlich weg, und um nicht von der Strömung zu weit westlich getrieben zu werden, ruderten sie nach einer kleinen Sandbank, deren weißen Rücken sie über dem dunkeln Wasser vielleicht zwei Meilen vor sich konnten herausschimmern sehen, und warfen dort Anker. Timor hatte allerdings einen Fisch gefangen, Niemand aber daran gedacht, Feuerholz vom Schiff mitzunehmen, und da auf dieser Sandbank auch nicht der kleinste Strauch, ja kein Grashalm wuchs, mußten sie ihr Abendbrod von ihren Vorräthen halten und den Fisch auf morgen sparen.

Die Nacht schliefen sie im Boot, mit regelmäßig ausgestellter Wache. Es ließ sich indessen nicht das Mindeste hören oder sehen, was sie hätte beunruhigen können. Die Nacht war warm und ruhig, und erst gegen Morgen erhob sich wieder eine schwache Ostbrise, bei der Hans, dessen Wache es war, den leichten Anker hob, die Segel setzte und langsam über das spiegelglatte Wasser hinglitt. Als die Anderen erwachten, fanden sie sich zu ihrem Erstaunen schon wieder unterwegs und die Sandbank, die jetzt bei Fluthzeit auch fast bedeckt war, weit hinter sich.

Der Wind blieb übrigens den ganzen zweiten Tag sehr schwach; sie mußten zweimal wieder ankern, und erreichten den zweiten Abend mit genauer Noth die nördlichste der Hannibals-Inseln, wie sie auf der Karte genannt sind – einen niederen, nur mit wenigem Gesträuch bedeckten Felsen, unter dessen Lee sie ankerten, und es vorzogen, wieder im Boot zu schlafen. Abends gingen sie aber vorher an Land und brieten mit zusammengesuchtem trockenen Holz eine tüchtige Portion delicater Fische, die Timor über Tag gefangen.

Hans war allerdings nicht recht damit einverstanden, daß sie ein Feuer anmachten, denn wenn sie das auch vorsichtiger Weise auf der Nordseite der Inseln thaten, so daß es von der jetzt deutlich sichtbaren Küste des festen Landes aus nicht gesehen werden konnte, so konnte der aufsteigende Rauch dort etwa herumstreifenden Wilden doch leicht verrathen, daß sich hier Fremde aufhielten. Bill wollte davon aber nichts hören und meinte, die schwarzen Schufte würden dann eben so wenig wissen, ob es nicht Fischer von ihrem eigenen Stamm wären, als Weiße, und wenn sie jetzt schon in der Hinsicht so ängstlich sein wollten, wie das dann nachher werden sollte? Die Fische wurden deshalb auch gebraten und schmeckten ausgezeichnet.

Am nächsten Morgen wehte ihnen ein schwacher Landwind gerade entgegen, und erst um zehn Uhr konnten sie Segel setzen und den Anker lichten. Die australische Küste trat jetzt immer klarer und deutlicher heraus. Sie konnten schon das niedere buschige Gehölz, das ihre Ufer bedeckte, unterscheiden. An der weißen sandigen Bank ließen sich aber keine menschlichen Wesen erkennen, und sie sahen auch nirgends Rauch aufsteigen. Der ganze Strich hier schien vollkommen unbewohnt, und Hans, der wieder am Steuer saß, bat Bill, ihm doch das kleine Fernrohr, das gleich oben links in der Kiste lag, herüberzureichen.

»Wenn wir hier nicht mit Wilden zu thun bekommen, finden wir auch kein Wasser,« sagte er, nachdem er das Land eine Weile mit dem Fernglas überflogen hatte. – »Willst Du das Glas haben, Bill?«

»Merci,« meinte dieser trocken, ohne den Arm nach dem dargereichten auszustrecken, »wenn Brandy drin wäre, ja, – weiß der Henker, woher es kommt, ich bin doch sonst nicht so ungeschickt. Mit den Dingern da aber habe ich mich nie befreunden können, und wenn ich durchsehe, schwimmt mir immer Alles vor den Augen. Gerade so geht mir's auch mit den Gewehren; abdrücken kann ich sie, aber wo die Kugel hingeht, das ist ihre Sache. Siehst Du nichts, Hans?«

»Nicht das Mindeste,« sagte dieser, das Glas Jean hinüberreichend. »Nun auch gut, denn da können wir die Gegend ungestört untersuchen und nachher immer noch thun, was uns gefällt.«

Gegen Abend starb der Wind wieder weg, und sie mußten diesmal zu den Rudern greifen, denn es war hier so tief, daß sie nicht einmal hätten ankern können. Mit Sonnenuntergang waren sie etwa noch einen Büchsenschuß vom Lande ab, in vier Faden Wasser, und beschlossen dort auch die Nacht zu bleiben. Sie wollten sich nicht gerade mit Dunkelwerden einem vollkommen fremden Küstenstrich anvertrauen, an dem sie weder die Bewohner, noch die Thiere kannten.

»Was es nur hier für Bestien geben mag,« sagte Jean, als sie ihren Anker fallen gelassen, die Segel geborgen und niedergelegt, und ihr Abendbrod auf zwei besonders dazu aufgestellten Weinkisten ausgebreitet hatten, »weiß man denn gar nichts davon?«

»Der Erste, der hier in's Innere eingedrungen ist und durch den wir einigermaßen Nachricht von diesem bis jetzt noch meist geheimnißvollen Küstenstrich erhalten haben,« sagte Hans, »war ein Deutscher, ein Dr. Leichhardt, der mit einer kleinen Gesellschaft und mit aufopfernder Kühnheit diese Küste bis weit gegen Westen besucht hat. Diesem nach haben wir hier aber eine ganz andere Thierwelt als im südlichen Australien, und es soll an der nördlichen Küste Krokodile und Büffel geben. Ob wir die auch hier so weit im Osten finden würden, weiß ich nicht. Kängurus giebt's aber jedenfalls, und deren Erlegung wäre das Einzige, von dem wir hoffen könnten, im Innern zu existiren. – Seht aber das Land erst, und wenn Ihr Euren Plan, durch das Innere zu gehen, dann nicht aufgebt, dann seid Ihr die ersten Matrosen oder Fischer, die das Land nicht satt hatten und wieder nach Salzwasser schnappten.«

»Unsinn,« lachte Jean, »ich will Gott danken, wenn ich nur erst einmal wieder vom Salzwasser herunter bin. – Nein, ich habe mir Australien zu meiner künftigen Heimath erwählt, und je schneller ich Sidney wieder erreiche, desto besser – und nachher nie mehr zur See.«

Hans hatte das Fernglas wieder aufgenommen und schaute so lange nach der Küste hinüber, als es ihm die jetzt rasch einbrechende Dämmerung erlaubte. Es ließ sich aber nicht das mindeste Verdächtige erkennen, und auf dem blendend weißen Korallensand, der das Ufer bildete, hätte ihm der kleinste dunkle Gegenstand, der sich nur im Mindesten bewegte, augenblicklich in's Auge fallen müssen.

Darüber beruhigt, ging er wieder an sein Abendessen, und die Wache wurde, als sich die Anderen zum Schlafen niederlegten, aufgesetzt. Hans hatte die erste Wache, Jean die zweite, François die dritte, und Bill die Morgenwache. Timor durfte die ganze Nacht schlafen.

Als sich die Männer, so gut das der enge Raum erlaubte, ausgestreckt und für eine gute Rast eingerichtet hatten, sah Hans noch einmal nach seinem Gewehr, setzte frische Zündhütchen auf und legte es zum augenblicklichen Gebrauch an seiner Seite nieder. Dann schob er sich seine zusammengerollte wollene Deck unter den Rücken, und schaute, auf diese gestützt, träumend zu den leichten über ihn hinziehenden Wolken und blinkenden Sternen empor, manchmal nur aufhorchend, wenn er irgend ein fernes Geräusch zu hören glaubte, oder ein aufschnellender Fisch, zweimal auch ein eigenthümlicher Schrei vom Lande herüber, der Ruf irgend eines fremdartigen Nachtvogels, die Stille unterbrach.

Hätte er die sechs dunkeln Gestalten gesehen, die still und geräuschlos, aber schnell wie das Wild ihrer Wälder, durch die düsteren Uferbüsche glitten und nach Osten zu den Strand hinaufliefen, dessen hellen Sand zu betreten sie sich aber wohl hüteten, er würde die Stunden seiner Wache nicht so ruhig verträumt und sich nachher mit so leichtem Herzen zum Schlafen niedergelegt haben. So aber wandte sich sein Geist bald von der Gegenwart ab. – Den Kopf in die Hand gestützt und mit den Blicken an den funkelnden Sternen über ihm haftend, dachte er bald keiner Gefahr mehr, die ihnen hier drohen konnte. – Die Bilder der Vergangenheit gingen vor seiner innern Seele vorüber, und die Stunden der Wache schwanden ihm wie Minuten dahin.

Jean hatte eine Uhr, die einzige an Bord, die der Wachthabende jedesmal in Verwahrung bekam. Die ersten drei Wachen verliefen übrigens vollkommen ruhig, und als Bill sich, von François geweckt, aufrichtete, schliefen Hans, Jean und Timor so fest, als ob sie in irgend einer wohlverwahrten und civilisirten Stadt in ihren Betten lägen und dort auch, bis Morgens der Kaffee käme, jedenfalls liegen bleiben wollten.

»Hallo,« sagte Bill und rieb sich die Augen – »was zum Henker, ist's schon zwei Uhr? – ich glaubte, ich hätte mich eben erst niedergelegt. – Es wird ordentlich kalt Morgens.«

»Schon drei Uhr fast, Kamerad,« versicherte François, »Alles ruhig gewesen.« Damit übergab er dem Wachthabenden die Uhr und rollte sich ebenfalls in seine Decke, die Beine über die nächste Bank streckend.

Bill war übrigens zu lange in Australien gewesen, um sich nicht indessen an ein Pfeifchen gewöhnt zu haben, aus dem sich sonst Matrosen, wenn sie ihren Kautabak haben, gewöhnlich nicht viel machen. Vor allen Dingen knöpfte er sich aber erst einmal warm in seine dicke Lootsenjacke ein, denn die Morgenluft zog schon scharf von Osten her über das Wasser; dann schnitt sich Bill in der Hand eine Pfeife voll Kautabak klein, stopfte seinen kurzen irdenen Stummel und schlug Feuer. – Das dauerte aber wohl eine Viertelstunde lang, denn der Schwamm war feucht geworden und wollte nicht fangen. Bill wurde auch endlich ärgerlich darüber und fluchte nach Matrosenart, bis er zuletzt all' seine Kraftwörter erschöpft hatte und nur immer bei jedem Schlag damn itdamn itdamn it – brummte. Endlich bekam er Feuer, setzte sich dann mit übergeschlagenen Beinen, die Schulter bequem gegen den kleinen Mast gestützt in Wachtpositur und qualmte aus Leibeskräften.

 


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