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Harpers Blockhaus stand kaum hundert Schritt vom Ufer des Fourche la fave entfernt im Schatten von jungen schlanken Hickory- und Maulbeerbäumen; die beiden Männer aber hatten erst seit kurzem begonnen das Land in der Nähe des Hauses urbar zu machen, und noch lagen auf der Nordseite des Gebäudes die gefällten und teils abgehauenen, teils noch unberührten Stämme durcheinander. Am Haus selbst schienen dagegen viele und bei den gewöhnlichen Farmern sogar selten gefundene Bequemlichkeiten getroffen. Ein kleines Fenster war nicht allein ausgehauen, sondern auch mit Glasscheiben versehen, ein Brunnen trotz der Nähe des Flusses gegraben, um frisches, gesundes Trinkwasser zu erhalten, und eine wohlgefüllte »Corncrip«, wie der Aufbewahrungsort für Mais genannt wird, verriet, daß die Männer, wenn sie auch noch selbst kein Getreide geerntet, doch keineswegs Mangel daran litten und sich wohlversorgt hatten. Hühner und Enten, ja selbst ein Volk stolzer Truthühner umgaben scharrend und gluckend die Tür und schienen sehnsüchtig auf Futter zu harren, während zwei braune kräftige Pferde, augenscheinlich im Norden aufgezogen, an der leeren Krippe standen und sich mit den Nasen daran scheuerten, als ob sie ungeduldig und unzufrieden wären, die gewöhnliche Anzahl Maiskolben nicht an der üblichen Stelle vorzufinden.
Auf dem freien Platz vor der Wohnung waren aber jetzt die am vorigen Abend bei Mullins versammelten Männer eingetroffen, und Roberts besonders fiel die stille, unheimliche Einsamkeit des Platzes auf. Schnell ritt er zur offenen Tür des Hauses, sprang vom Pferd, trat ein und fand hier wirklich seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Auf hartem Lager, die Decken in heißer Fieberglut von sich gestoßen, lag der sonst so heitere, fröhliche alte Mann, der sich fast keinem Hause in der Nachbarschaft nähern konnte, ohne mit herzlichem Händedruck und freundlichem Lächeln begrüßt zu werden, allein und hilflos. Niemand war da, der ihm nur einen Becher Wasser hätte reichen können, um die brennenden Lippen zu kühlen.
Roberts und Bahrens traten erschüttert zum Bett des Kranken und ergriffen seine Hand, er erkannte sie aber schon nicht mehr und phantasierte von Jagden und Märchen, von seinem Bruder, der die Braut eines andern liebe, und von seinem Neffen, der den Gegner erschlagen habe und nun mit dessen Blut bedeckt vor ihm erschienen sei. In diesem Augenblick trat Rowson, der seine ganze Ruhe und Festigkeit wiedererlangt hatte, in das niedere Gemach und zu dem Bett des Kranken, der sich bei seinem Anblick aufrichtete und ausrief:
»Fort – fort – wasche deine Hände – sie starren von Blut – wische den Stahl ab, er könnte dich verraten – ha – deine Kugel trifft sicher, welch ein Loch sie reißt – die Wunde wird schwer zu heilen sein.«
Rowson erbleichte und trat schaudernd einen Schritt zurück, Roberts aber, ohne den Blick von dem Antlitz des Kranken zu wenden, sagte leise: »Er träumt von seinem Neffen, er hält ihn für schuldig und fürchtet für sein Leben.«
»Wilde Phantasien«, flüsterte leise der Prediger und beugte sich zu dem Kranken nieder.
»Mister Harper!« sprach er diesen dann freundlich an, indem er seine kalten Finger auf dessen brennende Stirn legte, »kommt zu Euch – Freunde sind in Eurer Nähe...« Aber noch hatte er die Rede nicht ganz vollendet, als der Leidende mit einem Schmerzensschrei vom Lager emporfuhr.
»Wasser! Wasser!« schrie er, »der böse Feind streckt seine Krallen nach mir aus. Ich war es nicht, der ihn erschlug, nein, der – nein – ja – ich war es doch – ich bin's gewesen – nimm – mich – ich führte – den Streich«, flüsterte er dann leise und brach bewußtlos auf dem Lager zusammen.
»Er ist sehr krank«, sagte Bahrens mitleidig, »bleibt ein wenig bei ihm, ich will ihm einen Trunk Wasser holen, seinen Fieberdurst zu löschen. Das Viehzeug draußen muß auch gefüttert werden, ich kann's nicht mit ansehen, daß das alles hier so hungrig und herrenlos umherläuft.«
Ohne weitere Worte machte sich Bahrens augenblicklich daran, das Gesagte auszuführen, und ehe noch die Männer im Boot mit ihrer traurigen Fracht anlegten, hatte er, von Roberts unterstützt, des Kranken Schläfe durch kalte Umschläge gekühlt, sein Lager besser instand gesetzt, einen erfrischenden Trunk für ihn bereitet, das Vieh versorgt, das Haus ausgekehrt und aufgeräumt und alles wieder ein wenig wohnlicher hergerichtet. Rowson saß indessen neben Roberts am Bett des Kranken und reichte ihm, was er begehrte, bis dieser endlich, nach mehrstündigen wilden Fieberträumen, in einen tiefen Erschöpfungsschlaf fiel.
Kurz darauf landete auch das Kanu, und Brown und Wilson trugen, von dem Indianer gefolgt, die Leiche die Uferbank hinauf und legten sie an dem moosigen Fuß einer gewaltigen Eiche nieder.
»Wo sollen wir das Grab ausheben?« fragte Mullins. Der Indianer aber ergriff schweigend die Hand des Mannes und führte ihn, etwa hundert Schritt von Harpers Haus entfernt und dicht neben seinem eigenen, aus breiten Rindenstücken und ungegerbten Fellen errichteten Wigwam, zu einem alten indianischen Grabhügel, wie sie sich in großer Anzahl in Arkansas finden, und sagte:
»Laßt die Blume der Prärien bei den Kindern der Natchez ruhen. Haß und Zwietracht entzündete in den alten Zeiten die Herzen der Lenni Lenapes gegen ihre roten Brüder im Süden. Der Große Geist hat sie dafür gestraft – ihre Asche ruhe friedlich beieinander.«
Die Männer warfen nun mit regem Eifer an der bezeichneten Stelle die Erde aus, bis sie die Grube für hinlänglich tief hielten, und wollten dann die Leiche in den roh zusammengezimmerten Sarg legen. Assowaum hielt sie aber noch zurück und holte aus seinem Wigwam eine Anzahl fein gegerbter Felle, mit denen er Alapaha umhüllte.
Nachdem der Sarg in die Gruft gesenkt worden war, begann Rowson mit leiser, zitternder Stimme seine Leichenrede über der von seiner eigenen Hand schändlich Gemordeten. Er pries ihre Tugend und Frömmigkeit; er lobte ihren Eifer, mit dem sie dem wahren Gott angehangen und an ihn geglaubt habe; er rühmte ihren Fleiß und ihre Liebe zu dem Gatten und Häuptling und erflehte dann vom Himmel, zu dem er es nicht wagte die Blicke zu erheben, »Gnade für die Verstorbene und – Vergebung für die Hand, die, vielleicht im Zorne, unschuldiges Blut vergossen.«
Er hatte sein Gebet aber noch nicht beendet, als der Indianer sich stolz aufrichtete. Sein durchdringender Blick begegnete dem des Predigers, und mit der Rechten den Tomahawk seines Weibes, den er noch im Gürtel trug, ergreifend, und die Linke gegen Rowson ausstreckend, sprach er mit lauter, klangvoller Stimme:
»Alapaha ist tot – ihr Geist ist zu den seligen Gefilden des weißen Mannes gegangen, ihr Herz hatte sich von dem Großen Geist gewandt, dessen Rache sie jetzt erreicht hat; aber weswegen bittet der blasse Mann bei seinem Gott um Gnade für das Weib, das alles vergaß, um nur ihm anzugehören? Das dem Glauben ihres Stammes entsagte und zu dem weißen Gott betete? Sie bedarf keiner Gnade! Du hast mir oft gesagt, dein Gott sei gerecht, und Assowaums Weib soll nicht einmal von einem Gott Gnade zu erbitten haben, wo es Gerechtigkeit verlangen kann. Ist dein Gott gerecht, so muß er die Unglückliche belohnen, die seinethalben das vergaß, was ihr sonst lieb und heilig war.«
Rowson wollte ihn unterbrechen, doch hielt ihn wiederum der fest auf ihm ruhende Blick des Indianers zurück, der mit immer lauter und kräftiger tönender Stimme fortfuhr:
»Deine Lippen flehen aber auch um Vergebung für den Mörder. Er tauchte seine giftige Hand in das reine Herzblut der Blume der Prärien; wer ist hier, der sie nicht kannte und nicht liebte? Nein! Keine Vergebung – Fluch treffe den Mörder, Assowaum wird ihn finden, sein Leben hat fortan nur den einen Zweck: den Mörder zu strafen. Mag ihn nachher weiße oder rote Erde decken, der Große Geist wird ihn mit offenen Armen und lächelndem Antlitz empfangen.«
Rowson, der nur mit großer Anstrengung den finstern, drohenden Blick Assowaums auszuhalten vermochte, hob jetzt schweigend, wie in stillem Gebet versunken, die Hände und sagte nach langer andächtiger Pause:
»Vergib ihm, Herr, vergib dem Unglücklichen, der, von bitterem Schmerz übermannt, Worte des Zornes und Hasses aussprach, wie sie nicht wohlgefällig vor deinem Angesichte sind. Vergib ihm, Herr – vergib uns allen, die wir hier über eine Tat entrüstet stehen, welche ja ebenfalls durch deine unerforschliche Weisheit verhängt wurde. – Vergib uns, die wir vielleicht auch Gedanken des Zornes und der Rache hegen, und erleuchte uns mit deinem Lichte, auf daß wir erkennen, wie nur in deiner Gnade, in deinem Frieden das Heil liegt, das uns zu guten und gottesfürchtigen Menschen macht, und uns stärkt, das Auge zu dir, du Allmächtiger, reinen Herzens emporheben zu können. Amen!«
»Amen!« flüsterten die Umstehenden, nur Assowaum schwieg finster, die Rechte noch immer am Tomahawk.
Die Feierlichkeit war beendet, und die Nachbarn verfügten sich zurück in ihre Wohnungen, nur Bahrens und Wilson blieben mit Brown in Harpers Blockhaus, um den alten Freund in seiner Krankheit, soweit es in ihren Kräften stand, zu pflegen; Brown aber war noch, ehe sich Rowson entfernte, zu diesem getreten, dankte ihm für seine freundliche Bemühung, die Indianerin beerdigen zu helfen, da er doch selbst krank und angegriffen sei, und bat ihn, sein Haus ganz als das seine zu betrachten. Doch Rowson wies das Anerbieten freundlich zurück, da er für seine kurz bevorstehende veränderte Lebensweise so viele Vorbereitungen treffen müsse, daß an ein müßiges Vergeuden ganzer Tage nicht mehr zu denken sei, und schied mit einem friedlichen Segensgruß auf den Lippen und tiefer Demut und Frömmigkeit im Blick von dem jungen Mann, der ihm noch lange, in finsteres Brüten versunken, nachschaute. Das war der Mann, dem die Geliebte Herz und Hand geopfert, dem sie angehören mußte. »Lebe wohl«, sagte er leise, »lebe wohl, du schöner Traum.«
»Lebewohl«, flüsterte auch Assowaum, der an seine Seite getreten war und die letzten Worte gehört hatte, »Lebewohl, ein wunderbares Wort, einer Toten nachzurufen!«
»Einer Toten?« fragte entsetzt auffahrend Brown.
»Sprachst du nicht mit Alapaha? Sie ist tot, gemordet – doch den Mörder muß ich finden. Der Geistervogel soll mir in nächtlichen Träumen den Namen ins Ohr flüstern; neben dem Grabe will ich lagern, bis ich seine Stimme gehört. – Wird mein weißer Bruder mir beistehen, um der Toten willen? Wird er dem Arm des Freundes seine Sehnen leihen, ehe er in ein anderes Land geht, um für die Freiheit eines fremden Volkes zu kämpfen?«
Brown reichte ihm schweigend die Hand und ging dann langsam zu seinem kranken Oheim zurück.