Friedrich Gerstäcker
Die Regulatoren in Arkansas
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Brown und Marion

Rowson war fortgeritten, um, wie er sagte, »das Wort des Herrn in einer andern Ansiedlung zu predigen«, und Marion lehnte bleich und erschöpft in einem Sessel. Harper, Roberts und Brown saßen am Kamin, in dem die Negerin wohl mehr der Gewohnheit als der wirklich kühlen Luft wegen ein Feuer entzündete, und Mrs. Roberts stand neben ihrer Tochter und streichelte ihr das Haar.

»Komm, Kind – laß das Sorgen und Träumen«, sagte sie beruhigend zu dem Mädchen, »sieh, es ist ja alles vorbei. Mr. Rowson kann den Männern heute unmöglich mehr begegnen, er hat ja eine ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Geh hinaus an die frische Luft, dann wird dir besser; Mr. Brown begleitet dich vielleicht und führt dich ein wenig spazieren. Ich wollte wirklich, Mr. Rowson hätte heute bei uns bleiben können, aber freilich – der Dienst Gottes geht vor.«

Brown war schon bei der ersten Andeutung, daß seine Begleitung erwünscht werde, aufgesprungen und näherte sich jetzt etwas verlegen der Tochter des Hauses, ihr seinen Arm anzubieten.

»So, das ist recht, mein Kind«, ermunterte sie die Mutter, »das ist brav, Kopf hoch, draußen wird dir besser werden, und laufen Sie tüchtig, Mr. Brown, daß sie ordentlich in Bewegung kommt. Gott verzeih es den bösen Leuten, solchen Streit und Unfrieden in die ruhigen Häuser seiner Diener zu tragen.«

Harper war indessen sehr nachdenklich geworden und starrte schweigend auf das knisternde, nasse Holz, während Roberts, der ein Gespräch über den letzten Streit begonnen, dann auf den Revolutionskrieg gekommen war und eben eine Anekdote aus Washingtons Leben erzählen wollte, als die beiden jungen Leute das Haus verließen und langsam und schweigend den breiten Fahrweg entlanggingen, der den Fluß hinauf nach den oberen Ansiedlungen führte.

Die Sonne neigte sich dem Untergang zu, und der Schatten der riesengroßen Bäume fiel über den Weg hinüber; Scharen von munteren Papageien flatterten kreischend von Baum zu Baum, graue Eichhörnchen sprangen in kühnen Sätzen über die Zweige hin oder knabberten an irgendeiner Nuß, deren Schale dann raschelnd in das Laub hinunterfiel. Vorsichtig den schönen Kopf erhebend, schritt leise eine Hirschkuh mit ihrem Kalb über den Weg, blieb einen Augenblick, die breite Straße hinauf- und hinabschauend, stehen und verschwand dann langsam im Dickicht, als ob sie wisse, es drohe ihr von den Nahenden keine Gefahr. Stiller Friede lag auf der Landschaft, und majestätisch rauschten die gewaltigen Wipfel der Kiefern und Eichen im darüber hinstreichenden Südostwind.

»Wir sind Ihnen eigentlich großen Dank schuldig, Mr. Brown«, brach endlich Marion das peinlich werdende Schweigen. »Sie nahmen sich so freundlich und tapfer meines – des Mr. Rowson an und setzten sich selbst so großer Gefahr aus.«

»Nicht so großer, als Sie vielleicht glauben, mein Fräulein«, erwiderte Brown zögernd, »der Bursche ist ein Feigling und suchte nur mit Mr. Rowson Streit, weil er von diesem – weil dieser als Prediger nicht darauf eingehen konnte.«

»Sie wollten etwas anderes sagen? Sprechen Sie es aus – Sie halten Mr. Rowson für feig?«

»Er ist Prediger, Miß Roberts, und es würde ihm einen gar schlechten Namen in der Gemeinde machen, wollte er Händel suchen.«

»Nicht suchen, aber – es bleibt sich gleich – Sie nahmen sich seiner an. Es ist mir ein recht wohltuendes Gefühl, daß Sie so gut miteinander befreundet sind. Wo haben Sie sich eigentlich kennengelernt?«

»Kennengelernt? Befreundet? Miß Roberts, ich kenne Mr. Rowson gar nicht, wir haben heute die ersten Worte miteinander gewechselt.«

»Und Sie setzten Ihr Leben für ihn aufs Spiel?« fragte Marion schnell, während sie stehenblieb und den jungen Mann erstaunt anblickte.

»Ich hörte, daß – er Ihr Verlobter sei – ich sah Sie erbleichen und – ich bin etwas heftiger Gemütsart. Der Zorn übermannte mich über den rohen Burschen; ich war wohl etwas rascher, als ich eigentlich hätte sein sollen; aber mein Gott, Miß Roberts, Sie werden wieder unwohl, wollen wir uns nicht einen Augenblick auf diesen Stamm setzen?«

Marion ließ sich von ihm zu einem der Bäume führen, die beim Aushauen der Straße gefällt und auf die Seite gerollt waren. Wieder trat eine lange Pause ein, und Marion fragte endlich leise:

»Sie wollen uns verlassen, Mr. Brown? Vater sagte vorhin, daß Sie in den Freiheitskampf nach Texas ziehen werden.«

»Ja, Miß Roberts, es wird besser für mich sein, wenn ich eine derartige Beschäftigung finde. Ich möchte manches vergessen, und dazu ist ein Kampf wohl das passendste Mittel. Vielleicht kommt dann auch eine mitleidige – ich werde wahrscheinlich einen Pferdehandel mit Ihrem Vater machen.«

»Sie scheinen nicht glücklich zu sein«, sagte leise das Mädchen, indem es ernst und sinnend zu ihm aufsah. »Sie lebten lange in Kentucky?«

»Ich verließ Kentucky mit leichtem Herzen!«

»Und hat Arkansas Ihnen solchen Schmerz bereitet? Das ist nicht schön, ich habe das Land bis jetzt so liebgehabt.«

»Sie werden es auch liebbehalten. In wenigen Wochen feiern Sie die Verbindung mit dem Manne Ihrer Wahl, und mit dem Herzen, das man liebt, muß ja die Wüste zum Paradies werden, wieviel mehr denn der schöne Wald, das liebliche Klima von Arkansas. Ach, es gibt doch noch recht glückliche Menschen auf der Erde!«

»Und wen zählen Sie dazu?«

»Rowson!« rief der junge Mann, und erschrak dann selbst über die Kühnheit dieses Wortes.

»Die Moskitos sind arg an dieser Stelle«, sagte Marion, indem sie schnell aufstand, »lassen Sie uns weitergehen, Mr. Brown. Wir werden auch bald wieder umkehren müssen, die Sonne steht nicht mehr hoch.«

Aufs neue verfolgten sie schweigend eine Zeitlang ihren beschwerlichen Weg.

»Sie wohnen mit Ihrem Onkel ganz allein, nicht wahr, Mr. Brown?« fragte endlich Marion wieder nach langer Pause, »Mutter sagte mir wenigstens so.«

»Ja, mein Fräulein, wir führen eine Junggesellenwirtschaft, es ist ein rauhes Leben.«

»Ihr Onkel ist ein wackerer Mann, immer heiter, immer zu einem Scherz aufgelegt, und hat dabei so etwas Ehrliches, Offenes im Blick. Ich war ihm vom ersten Augenblick an gut, als ich ihn sah; so ernst wie heute hab' ich ihn übrigens noch nie gesehen. Aber auch Sie kommen mir heute recht ernst vor; die bösen Menschen sind an dem allen schuld.«

»Mr. Rowson wird sich wohl hier in der Gegend ankaufen? Ich hörte, daß Mr. Roberts sagte, er erwarte erst einen Teil seines Vermögens.«

»Ja«, flüsterte Marion, »Vater wollte es so – Vater war überhaupt gegen diese Verbindung.«

»Das ist nicht recht von Ihrem Vater, Miß, er darf dem Glück des eigenen Kindes nicht im Wege stehen.«

»Er behauptet aber, daß ich nicht glücklich werden würde«, sagte Marion, wehmütig lächelnd.

»Ist die Liebe nicht das größte Glück?«

»Man sagt so.«

»Man sagt so? Lieben Sie denn nicht Ihren Bräutigam?«

»Mutters ganzes Herz hing an dieser Verbindung. Durch den gottesfürchtigen Wandel des frommen Mannes eingenommen, glaubte sie für mich nicht besser sorgen zu können, als wenn sie mich vermochte ihm meine Hand zu reichen. Ich bekam hier im Walde wohl manchen Mann zu sehen, aber keiner hatte Eindruck auf mich gemacht. Die wilden, rauhen Streifschützen, die zügellosen Floßleute, die Otterfänger und selbst die Farmer, die sich hier in unserer Nähe niederließen, waren alle nicht geeignet, mein Herz zu gewinnen. Mr. Rowson war der erste, der sich durch sein gesittetes, freundliches Betragen meine Achtung erwarb. Er kam öfter in diese Gegend, predigte häufig hier, und – Mutter lernte ihn schätzen. Sie selbst beredete ihn, sich unter uns niederzulassen und ein Weib zu nehmen, er bat um meine Hand, und Mutter – sagte sie ihm zu.

Ich hatte bis dahin nie an eine Verbindung mit ihm gedacht«, fuhr Marion nach einer Weile zögernd fort, »immer mehr den väterlichen Freund als den möglichen Geliebten in ihm gesehen, und der Antrag überraschte mich. Dabei hatte – Ihnen kann ich es vielleicht gestehen – sein Auge etwas, das mir Grauen einflößte, wenn ich schnell und unerwartet zu ihm aufblicke; sah ich ihn aber recht ernst und fest an, so lag wieder etwas so Mildes, Sanftes in den Zügen, das mich endlich selbst für ihn einnahm. Durch Mutters nicht endende Vorstellungen getrieben, gab ich zuletzt mein Jawort. Aber Vater wollte nicht einwilligen; er mochte den stillen, ruhigen Mann nicht leiden und hatte darüber mit Mutter ein paar recht ernste Auftritte. Aufrichtig gestanden, war es mir ziemlich gleich, wer von ihnen recht behielt, denn ich glaube wohl, mit Mr. Rowson glücklich, ohne ihn aber auch nicht unglücklich zu werden. Wie daher Vater sich entschloß, der Mutter das Feld zu räumen, und nur noch darauf bestand, daß Mr. Rowson ein Eigentum haben müsse, welches ihm die Hoffnung gebe, eine Frau zu ernähren, ohne bloß auf das Predigen angewiesen zu sein, versprach ich Mr. Rowson sein Weib zu werden. – Wie er uns nun heute sagte, hat er die Hoffnung, in wenigen Wochen eine hinreichende Geldsumme zu erhalten, um nicht allein das Land, auf dem er wohnt, zu kaufen, sondern sich auch noch einen Anfang zur Viehzucht, wie alles übrige nötige Ackergerät, anzuschaffen. Dann steht der Erfüllung seines Wunsches weiter nichts im Wege und – ich werde die Seine.«

Marion sprach diese letzten Worte mit so leiser, zitternder Stimme, daß Brown unwillkürlich stehenblieb und auf sie hinabsah. Sie hatte den Kopf gewendet, und das Bonnet, das sie trug, verbarg ihm ihr Gesicht.

»Sie werden glücklich werden«, flüsterte er, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

»Wir müssen umkehren, Mr. Brown«, sagte Marion nach einer kleinen Weile, »sehen Sie nur, die Wipfel der Bäume röten sich schon, die Sonne ist bald untergegangen, und in diesen dichten Wäldern wird es gleich Nacht. Mutter wird sich ängstigen.«

Die beiden jungen Leute wandten sich stumm zum Heimweg. Nach einigen Minuten nahm Marion das Gespräch wieder auf:

»Ich habe Ihnen jetzt meine ganze Lebensgeschichte in wenigen Worten erzählt und dadurch erstaunlich viel Vertrauen bewiesen; Vertrauen aber, wie Mr. Rowson sagt, erweckt Vertrauen, und es wäre jetzt nicht mehr als recht und billig, daß ich ein gleiches von Ihnen forderte. Das heißt – wenn Sie keine Geheimnisse zu bewahren haben, die ein geschwätziges Mädchen, wie ich bin, natürlich nicht erfahren dürfte.«

»Mein Leben ist ziemlich einfach verflossen«, erwiderte Brown, »fast zu einfach. Ich bin in Virginien geboren, doch zog mein Vater, als ich noch ein Kind war, mit uns nach Kentucky, wo er mit Daniel Boon die ersten Ansiedlungen gründete. Ich war kaum stark genug, die Büchse zu tragen, als ich schon mit gegen die Indianer kämpfen mußte, die uns damals Tag und Nacht beunruhigten. Lange trotzten wir ihrer Hinterlist und Übermacht, einmal aber doch, in einer unglückseligen Nacht, hatten sie meinen Vater überfallen und erschlagen. Mit Tagesanbruch weckte uns ihr Schlachtgeschrei und das Prasseln der Flammen, die unsere Blockhütte zerstörten. Alle die Meinigen fielen unter dem Tomahawk, und nur wie durch ein Wunder entging ich ihren Blicken. Ich floh und erreichte die nächste Ansiedlung. Von da an aber trieben wir kämpfend die Wilden aus ihren Schlupfwinkeln und zwangen sie, uns in Frieden zu lassen. Es ist in jenen Zeiten viel Blut – viel unschuldiges Blut vergossen, und ich weiß noch nicht, ob die weißen Männer damals ein Recht hatten, so hart und grausam von Anfang an gegen die Eingeborenen aufzutreten. Freilich rächten sich die Indianer dann auch wieder auf eine entsetzliche Art.

Später zog ich zu meinem Onkel nach Missouri, wo wir mehrere Jahre lebten und dann von dem herrlichen Lande und dem gesunden Klima am Fourche la fave hörten; wir beschlossen hierher auszuwandern. Onkel hatte mich nun immer angetrieben zu heiraten, denn die Junggesellenwirtschaft, die wir führten, war wohl beiden schon zur Last geworden, nie aber fand ich ein Mädchen , das der Vorstellung entsprach, die ich von meinem künftigen Weibe hatte. Ich konnte mich nicht entschließen, eine Frau zu nehmen, ohne daß ich mich von Herzen zu ihr hingezogen fühlte. Ach, ich ahnte wohl die Liebe, aber ich kannte sie noch nicht. Da ritt ich eines Abends spät – es war noch in Missouri – durch eine Gegend, die mein Fuß früher nicht betreten hatte, Wolken verhüllten den Himmel, ich verlor meine Richtung und kam an eine Hütte, von der aus ich zwar meinen Weg wiederfand, meine Ruhe aber und meinen Frieden auf ewig verlor.

Ich sah ein Mädchen in dieser Hütte – ich sah – doch wozu einen Engel schildern, den ich nur finden mußte, um die Gewißheit zu bekommen, daß ich ihn nie besitzen könnte. Jenes Mädchen, Miß Roberts, war verlobt. Ich blieb nachdem nur noch wenige Tage in Missouri und ging nach Texas – ging nach Arkansas; daher mag denn wohl mein oft verstörtes Wesen kommen, was Sie, mein Fräulein, freundlich entschuldigen müssen. Es tut weh, wenn man einmal sein Glück gefunden zu haben glaubt und sieht es dann in Nebelbilder zerrinnen.«

Marion hatte den Kopf gesenkt, und heiße Tränen quollen unter den langen Wimpern hervor, aber Brown sah sie nicht, denn neben ihnen, im dichten Gebüsch von Sumach und Sassafras, rauschte und rasselte es, ein leiser Tritt war im dürren Moos zu hören, und in demselben Augenblick, als der junge Mann, eine mögliche Gefahr befürchtend, stillstand und mit der Hand nach der Waffe fuhr, öffneten sich die dichten Zweige gerade vor ihnen, und ein gewaltiger Panther trat in den Weg und schaute, keineswegs ängstlich, sondern eher wild und frech zu den beiden Menschen empor, die es gewagt hatten, seine Einsamkeit zu stören. Mit einem leisen Schrei warf sich das erschrockene Mädchen in die Arme Browns, der es mit seiner Linken umfaßte, während die Rechte das Terzerol aus der Tasche zog, das er schon einmal heute auf den wilden Kentuckier gerichtet hatte.

Der Panther schwang indessen den langen Schweif halb zornig, halb spielend in der Luft und schlug sich die Flanken damit, als ob er noch unschlüssig sei, was er tun solle – angreifen oder den Platz verlassen. Brown zielt ruhig auf den Kopf des Tieres, das sich eben, wie zum Sprung, niederbog, und drückte ab. Durch das Zittern des schönen Mädchens aber, das er in seinem Arm hielt, vielleicht selbst durch die süße Last zu aufgeregte, verfehlte er den Kopf, und die Kugel fuhr über der rechten Schulter der Bestie in die Weichen. Hoch auf sprang das Tier vor Schmerz, dann aber, als ob die Kugel jede weitere Kampflust vernichtet hätte, stieß es einen durchdringenden Schrei aus und floh mit mächtigen Sätzen in das Dickicht.

»Die Gefahr ist vorüber, Miß Marion – wenn uns überhaupt eine Gefahr gedroht – das Tier ist entflohen«, sagte Brown leise, »mein Schuß hat es verscheucht – Marion – was ist Ihnen – Marion, fassen Sie sich – um Gottes willen – Marion!« Die lange verhaltenen Gefühle brachen sich aber jetzt mit Gewalt Bahn. Schluchzend lehnte das Mädchen an der Schulter des Geliebten und flüsterte leise, aber in tiefem, bitterem Schmerz:

»Oh, ich bin sehr, sehr unglücklich!«

»Marion – Sie töten sich und mich!« rief, von wildem Schmerz erfüllt, der junge Mann; »Oh, daß die glücklichste Stunde meines Lebens auch die sein muß, die mich mein ganzes Elend mit einem Blick überschauen läßt! Ja, Marion, ich liebe dich, liebe dich mit all der Glut eines Herzens, das auf Erden weiter kein Glück kennt, als dich zu besitzen!

Es ist Zeit, daß wir scheiden« fuhr er dann mit leiser, unterdrückter Stimme fort, »ich darf nicht hier bleiben; meine Gegenwart würde nur Unheil stiften, nur dich und mich elend machen. Morgen schon verlasse ich Arkansas, und im wilden Schlachtenlärm will ich das Andenken an dich zu betäuben versuchen. Vergessen, Marion – vergessen kann ich dich nie!«

Schluchzend lehnte das Mädchen an seiner Brust, und lange hielten sich die Liebenden schweigend umfaßt.

»Liebst du den Mann, dem du dich zugesagt?« fragte Brown endlich leise, indem er ihre Hand ergriff, »hast du ihn je geliebt?«

»Nie – nie!« beteuerte Marion, »ich hatte keinen Willen, kannte niemand, dem ich freundlicher gesinnt gewesen wäre als ihm, weil meine Mutter mit wahrer Verehrung an ihm hing, und alle anderen Leute sagten, daß er ein braver, guter Mann sei. Ich glaubte, es wäre Liebe, was ich für ihn empfand. Da kamen Sie, da sah ich Sie, sah Ihr freies, offenes Benehmen, lernte Ihr redliches, treues Herz kennen und – wurde elend. In Trauerbildern stieg meine Zukunft vor mir empor; ein Leben endlosen Jammers an der Seite des Mannes, den ich nun nicht mehr lieben konnte, hätte er sich auch nicht heute so feig und unmännlich benommen; ein dunkler Nebel umhüllte alle meine Träume von Glück und Zufriedenheit, und mit Ihnen nimmt das schöne Leben von mir Abschied. – Aber Abschied muß sein«, fuhr sie entschieden fort, »selbst unser Zusammensein hier ist Sünde. Ich bin dem fremden Manne verlobt – bin seine Braut – lassen Sie also dies das letztemal sein, daß wir uns sehen – es ist besser für uns beide.«

»Sie haben recht, Marion, wir müssen scheiden, ich bin das Ihrem Herzen, Ihrer Ehre schuldig. Ich will Sie nur noch zurückgeleiten zu den Ihrigen, dann kreuze ich Ihren Pfad nie mehr.«

Er umschlang in heftigem Schmerz die Geliebte, und ihre Lippen begegneten sich zum erstenmal im langen Abschiedskuß; dann riß sich Marion aus seinem Arm. Harper und Roberts begegneten ihnen gleich darauf; sie hatten den Schuß gehört und gefürchtet, es könne ihnen etwas geschehen sein. Roberts nahm seiner Tochter Arm, und Harper und Brown folgten ihnen in geringer Entfernung.

»Onkel«, sagte Brown, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergeschritten waren, »Onkel – ich reise morgen früh!«

»Unsinn!« rief Harper und blieb, seinem Neffen ins Auge sehend, erschrocken stehen. »Unsinn!« sagte er noch einmal, aber mit ungewisser, nur noch halb zweifelnder Stimme, »und wohin willst du?«

»Nach Texas.«

»Willst deinen alten Onkel hier allein auf dem trockenen sitzen lassen? Ist das recht?«

»Ich muß fort, Onkel!«

»Du mußt? Und wer zwingt dich?«

Brown schwieg und wandte sein Gesicht ab, drückte aber krampfhaft des alten Mannes Hand.

»Und da soll ich wirklich hier zurückbleiben, trübselig und einsam in meiner Hütte? Bill, das ist hart – das ist nicht recht von dir. Ich werde dich enterben, Bill!« fuhr er nach einigen Sekunden wehmütig lächelnd fort, »ich enterbe dich wahrhaftig!«

Brown ergriff seine Hand. Der alte Mann war arm, und alles, was beide jetzt an Land, Vieh und Geld besaßen, gehörte eigentlich dem Neffen.

»Haben Sie keine Angst, Onkel – Ihr Alter ist gesichert. Sie wissen ja, daß ich vor acht Tagen einen Brief von meinem Advokaten aus Cincinnati erhielt. Mein Prozeß ist gewonnen, und die Auszahlung der Gelder kann nicht mehr lange dauern; heute abend noch schreibe ich an Wolfey und gebe ihm den Auftrag, alles an Ihre Adresse zu befördern. Sie werden es dann verwalten, bis ich zurückkehre, und – kehr' ich nicht zurück – nun – doch darüber sprechen wir noch. Ich will morgen früh an den Petite-Jeanne und von da nach Morrisons Bluff am Arkansas hinüber, wo ich Geschäfte zu besorgen habe. In acht Tagen komm' ich dann auf meinem Wege nach Texas noch einmal an Ihrem Hause vorbei. Inzwischen erhandeln Sie den Fuchs für mich von Mr. Roberts.«

»Hallo da!« rief Roberts jetzt vom Haus aus, das er mit seiner Tochter indessen erreicht hatte, »hallo da! – ihr geht ja, als ob ihr Blei an den Sohlen hättet – kommt, Brown – das Abendessen ist fertig.«

»Und du willst wirklich fort?«

»In diesem Augenblick brech' ich auf. Ich muß noch den Brief schreiben und Kugeln gießen, auch etwas Brot backen, um einigen Proviant mitnehmen zu können.«

»Kommst du aber auch gewiß in acht Tagen wieder hier vorbei?«

»Hier meine Hand darauf – ich muß ja auch das Pferd abholen; bis dahin – leben Sie wohl, Onkel, in acht Tagen bin ich sicher wieder da. Sagen Sie aber Roberts nichts davon, daß Sie mich zurückerwarten – ich – ich könnte dann keine Zeit haben, ihn zu besuchen, und er möchte das übelnehmen.«

»Heda, Brown! – Was will den Brown im Stall, Harper?« fragte Roberts, als dieser allein ins Haus kam, »das Essen wird kalt, meine Alte hat schon gebrummt.«

»Er will fort«, meinte Harper traurig, »weiß der liebe Gott, was ihm in den Schädel gefahren ist.«

»Fort? Heut abend?« riefen Mr. und Mrs. Roberts, »aber weshalb denn?«

»Er hat Geschäfte morgen am Petite-Jeanne und muß erst noch vorher nach Hause. Da würde es zu spät werden, wenn er heute nacht hierbliebe.«

»Sonderbar, daß ihm das so auf einmal eingefallen ist«, sagte Mrs. Roberts, »heute nachmittag war er doch ganz damit einverstanden, den Abend hier zuzubringen.«

»Er hat mit mir schon unterwegs davon geredet«, sagte Marion, während sie sich abwandte, ihr Bonnet abzulegen, »und daß es ihm leid sei, nicht bei uns bleiben zu können. Er muß wohl dringende Geschäfte haben.«

»Ja, und ich will ihn lieber begleiten«, warf Harper ein, »wir haben keine Köchin weiter zu Hause als mich, und da muß ich doch für Proviant sorgen. Es könnte sein, daß er einige Tage wegbleibt.«

»Aber, Mr. Harper!« rief Mrs. Roberts halb beleidigt, »ich begreife Sie beide gar nicht, das Abendbrot ist angerichtet. So essen Sie nur wenigstens erst einen Bissen!«

»Danke schön, Mrs. Roberts – danke schön – morgen früh, wenn Sie nichts dagegen haben, lad' ich mich zum Frühstück ein, denn die Jagd mach' ich mit, Roberts. – Jim, bring mir mein Pferd auch – aber schnell«, unterbrach er sich, einem kleinen Negerjungen den Befehl gebend. »Also um sechs Uhr bin ich hier. Soll ich den Indianer mitbringen?«

»Der kann uns beim Aufsuchen der Schweine von wesentlichem Nutzen sein«, meinte Roberts.

»Aber, Mr. Harper – nur eine Tasse Kaffee, ehe Sie gehen. Sie haben doch nichts Warmes, wenn Sie nach Hause kommen.«

»Das ist eine unbestrittene Wahrheit, Mrs. Roberts«, erwiderte der alte Mann, während er zum Tisch trat und die dargebotene Schale heißen Kaffees leerte, »leider wahr – 's ist ein elendes Leben, so eine Junggesellenwirtschaft – ich denke, ich heirate!«

»Hahaha!« rief Roberts lachend, »das ist ein gescheiter Einfall. Reitet hier in der Nachbarschaft herum und macht den Mädchen den Hof. Dazu müßt Ihr aber den neuen hellblauen Frack anziehen, den Euch der Schneider in Little Rock gemacht hat, wie? Ihr habt mir noch nicht einmal gesagt, was er kostet. Ja, die Schneider sind merkwürdig teuer in Little Rock. Neulich, wie ich unten war...«

»Gute Nacht, Mr. Roberts – gute Nacht, Ladys!« rief Brown vor dem Hause, wo er mit dem Pferd hielt.

»Aber, Mr. Brown – so kommen Sie wenigstens einen Augenblick herein und trinken Sie eine Tasse Kaffee – Ihr Onkel...«

»Danke herzlich, Madame – habe gar keinen Durst – gute Nacht nochmals allen!«

»Halt da, Bursche, ich komme mit«, rief Harper.

»Sie, Onkel?«

»Jawohl, – da ist schon das Pferd. – Nun also morgen früh, und, Roberts, nehmt nicht etwa wieder die kleingebohrte Büchse mit, gießt lieber heut abend Kugeln für die andere, 's ist ein elendes Schießen mit einem so erbärmlichen kleinen Blei. Gute Nacht allen denn«, fuhr er fort, als er aufstieg und sich im Sattel zurechtsetzte, »gute Nacht!«

Mr. und Mrs. Roberts standen in der Tür – hinter ihnen Marion.

»Gute Nacht!« rief Brown noch einmal und schwenkte den Hut – noch einmal sah er die Gestalt der Geliebten, zum letztenmal rief er den Gruß hinüber und stieß dann dem Pferd den Hacken so wild in die Seite, daß dieses mit jähem Seitensprung in die Höhe fuhr und in wenigen tollen Sätzen aus dem Lichtschein verschwand, der aus der offenen Tür des Hauses drang.

»Halt da!« rief Harper dem Neffen zu, »bist du toll – willst du Hals und Beine brechen? Hübsch langsam, wenn ich Schritt halten soll – toller Bursche...« Und noch lange hörte man den alten Mann schimpfen und räsonieren, wie er sein Pferd antrieb, um das unruhig galoppierende Tier seines Neffen wieder einzuholen.

»Seltsam!« sagte Mrs. Roberts, als sie sich zum Abendessen mit ihrem Mann und ihrer Tochter niedersetzte, »seltsam! Das war doch ein ganz absonderliches Betragen von den beiden – hätten den heiligen Sabbat auf eine würdigere Weise beschließen können als heimzureiten und...«

»Torheit Alte!« unterbrach sie Roberts, »dem Jungen, dem Brown, geht die Geschichte mit dem Lump Heathcott noch im Kopf herum; kann's ihm nicht verdenken. Der Bube drohte sehr unzweideutig, ihn über den Haufen zu schießen, wo er ihn finden würde, und er ist schlecht genug dazu, in dieser Hinsicht sein Wort zu halten.«

»Glauben Sie wirklich, Vater?« fragte Marion, leichenblaß werdend.

»Nun, der Junge wird schon seinen Mann stehen«, fuhr der Alte fort, »ein tüchtiger, braver Bursche ist's, hat das Herz auf dem rechten Fleck. Seit der Zeit, wo er mit seinem Onkel herkam – das sind nun jetzt etwa sechs Wochen; nicht wahr? Ich dächte, ich hätte damals gerade das neue Stück Land eingefenzt, wo uns noch das eine Stück wieder abbrannte. Ja, die Tagelöhner soll der Henker holen, und wenn es aus einem fremden Säckel geht...«

»Trinkst du noch eine Tasse Kaffee, Roberts?« fragte seine Frau.

»Nein, danke schön.«

»Nun, dann wollen wir unser Abendgebet halten«, sagte die Matrone und holte vom kleinen Gesims die sorgsam aufbewahrte Heilige Schrift herunter.


 << zurück weiter >>