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3. Kapitel. In Schottland.

 

Etwas aus dem Fellerschen Tagebuche.

Diese verflixte ewige Schreiberei von Ansichtskarten und Briefen ist in der That ein Unfug erster Güte. – Abgesehen von dem Heidengeld, was es kostet, verschlingt das Schreiben eine solche Unsumme an Zeit, daß man sie wirklich besser ausnützen könnte. Ich könnte mich ja bessern; aber es ist jetzt, auf dieser Reise, bereits zu spät! Diesmal kann es seinen Lauf nehmen! Das nächste Mal erklärt man dem ›Gemütter‹ und sonstigen ›Liebewesen‹, daß man nur schreibt, wenn es einem schlecht geht! Demgemäß ist das Nichtempfangen von Briefen ein Glück, um das die Leute noch das Schicksal anflehen müssen! –

Wer kommt bei der jetzigen Sachlage zu kurz? Wir! Mein geliebter Gatte mit dem Geld. Ich mit dem Tagebuch! – Was hatte ich mir nicht alles vorgenommen! Hier wollte ich unsere Gefühle, unsere Reiseeindrücke niederlegen, damit dies Buch später – – – ein Spiegel unseres ersten Eheglückes, eine Fundgrube unserer Erfahrungen sein sollte! – Ja, Kuchen, hat sich was! Mit Holland sind wir glücklich durch, und noch steht kein Wort darüber verzeichnet! – – – – – Keine unserer Unterhaltungen, keine Dialoge, von denen ich für später träumte. Nix mit nischt vermischt! Eine leere, weiße Öde! – – Zwar konnte ich Tagebücher, soweit sie sich nicht um historische oder Reisenotizen handeln, nie ausstehen. Ich halte sie alle für Mumpitz. Man versetzt sich künstlich in eine Stimmung und schwindelt sich selbst hochtrabend was vor. Entweder will man sich später über sich selbst täuschen oder man lacht sich in nüchternem Zustande aus und verbrennt diese Lügen! –

Habe ich jetzt wohl das Bedürfnis, zu schreiben? Nee, nich für'n Sechser! Willi hat einen Bekannten getroffen, mit dem er in China gekneipt hat. Kneipen, und noch dazu im fernen Erdteile, scheint die Männer furchtbar fest aneinander zu kitten. Die Beiden haben eine Freude miteinander gehabt! Na! Und jetzt sitzen sie da und plaudern, was Zeug hält! – Wenn ich nicht froh wäre, mit meiner jämmerlichen Seekrankheit-Furcht allein zu sein, würde ich eifersüchtig werden. So benutze ich die Zeit sie ist noch recht lang, und schreibe! – – Es ist scheußlich! Man ist noch nicht zwei Wochen verheiratet. Bis jetzt hat mich mein Herzallerliebster, selbst als Bräutigam, nur nett und appetitlich gesehen. Bei der Influenza war ich äußerst kleidsam aufgebahrt; dafür sorgte Mieze schon!

Und nun, wenn das Geschaukele losgeht? Danke! Erst wird man blaß, dann grün – – – – – – dann kommen die ekligen Würgetöne und das Erbrechen! Pfui Deibel, wie unästhetisch! Kann dem die Liebe standhalten? Ja! – – – Aber die Bewunderung, die Leidenschaft müssen doch in die Brüche gehen, wenn er auch Arzt ist? – Das heißt, umgekehrt, wenn er seekrank wird – – – trotzdem es schlecht ist, wünsche ich es beinah, einmal, um ihn zu pflegen, zweitens, pfui, Lotte, um des kleinen, schadenfrohen Triumphes willen – – – – –! Ich also würde mich garnicht vor ihm ekeln. Dafür ist er ein Mann, und noch dazu ein selten hübscher. Es ist merkwürdig, aber wahr: dem Willi steht alles! – Lacht er – ist er blendend! Sieht er recht ernst aus, ist er berückend! – Ist er müde und blaß – sieht er hochinteressant aus. Und ist er wiederum frisch und heiter, dann ist er reineweg zum Anbeißen!!! Wenn dies ein Anderer schriebe, so würde ich ihn auslachen. Jedoch ich mit meiner kritischen Nüchternheit bin mir kompetent und sicher! Ich übertreibe nicht, das weiß ich! – Manche Bräute und jungen Frauen sind in dieser Hinsicht garnicht glaubwürdig und sehen in ihren Männern einen Gott.

Nachdem wir im Hôtel Zeeland schon zu Abend gespeist, damit ich noch alles recht verdauen kann – hier soll ich nur Thee trinken und Zwieback essen – stiegen wir auf die »Hendrik«. – Erst führte mich Willi oben herum und erklärte mir alles eingehend. Ich that, als ob ich begriff; aber ich habe keine Ahnung mehr von irgend einer Sache. Nur die Kommandobrücke würde ich nie verfehlen! – Dann stiegen wir durch eine kleine, überdeckte Halle auf dem Deck die Stufen hinunter in den Speiseraum. Wie die Platzkarten auf den Bahnen hat man jetzt hier neue Bettgebühr schlauer Weise eingeführt. Das Schiff war sehr voll. Da aber meinem Willi keiner widerstehen kann, erwischte er noch eine Kabine für zwei Personen, gerade in der Mitte des Schiffes. Er tröstete mich damit, führte mich hin, belegte die beiden sehr sauber aussehenden Lagerstätten und gab dem Steward schon im voraus zwei Schillinge, um ihn gefügig zu machen. –

Seitdem ich aus der freien Luft fort und im geschlossenen Raume war, wurde mir gottsjämmerlich schlecht. Mein Herz klopfte zum Zerspringen; ich jappte nach Luft. Willi bemerkte es und fragte lachend, ob mir schon bei Stillstand des Schiffes vor lauter Angst schlecht wäre? Ich biß die Zähne zusammen und ließ mich noch durch die anderen Kajütten führen, deren Sauberkeit mir imponierte. Kaum waren wir aber im Speiseraum, so eilte ich zum Kassierer. Ich fragte ihn, ob es gestattet wäre, die Nacht auf den seitlichen Lederbänken des Vorraumes oben zuzubringen? Er bejahte verwundert. Nun war mein Entschluß gefaßt! – Wir kletterten auf das Deck, wo meine Beklemmung sofort nachließ. Nun erklärte ich meinem überraschten Wonnerich, daß weder er noch sonst eine Macht der Erde mich je in die Kabine hinunterbrächten! Alle seine Einwendungen halfen nichts. Ich blieb fest! – Aus Galanterie muß er nun seine »Birth« opfern und auf der andern Hälfte, durch die Treppe von mir getrennt, bleiben. Das schadet nichts! Wenn wir Glück haben, und es kommt niemand, so können wir uns auch hier ausstrecken. Ich habe beide Ecken schon mit Plaids und Reisekissen belegt. Hier ist mir viel leichter! Ah!

Wir warten noch auf zwei Züge mit Passagieren, dann addio, Kontinent! Draußen wird es jetzt lebhaft. Ein interessant aussehender Bauer in Nationaltracht versorgt das Schiff mit Milch. Seine drei kleinen Töchter sehen in ihren Kostümen so bezaubernd aus, daß ich mich mit Schokoladentafeln bewaffne und zu ihnen gehe. In Edinburg weiter! – – – – Willi findet mit seinem Bekannten noch immer kein Ende. Er hat noch garnicht nach mir gesehen, das nehme ich ihm todübel, und er wird es noch zu hören bekommen. Warte nur, mein Engel! – Morgen, auf festerem Boden! – –

 

Zweite Eintragung.

Gott sei Dank, wir haben längst wieder Land unter uns! Es war famos, und ich nicht die Spur seekrank. Au controlleur! Doch der Reihe nach – – – –

Ich plauderte und ulkte mit Gott und der Welt bis zu den Matrosen. Die Hauptsache war, daß sie mich und ich sie nicht verstand! – Um Willi – p! – kümmerte ich mich absolut nicht!! – Strafe muß sein! Heute beeidet er zwar, daß er nur aus Rücksicht für mich – – – und so weiter – – – das kann nachträglich jeder sagen! – – Inzwischen hatte sich das Schiff gefüllt, die Züge waren oben am Bahnhofe eingetroffen. Rasch nahm ich meinen Platz in der Vorhalle ein. Alles musterte mich verdutzt und stellte seine Handkoffer etc. vor mich hin. Ich verharrte hinter dieser Mauer unentwegt. Die Reisenden strömten auf den »Hendrik«. Viele verschwanden sofort in den Kabinen. Andere futterten im Eßsalon. Andere tanzten rauchend draußen umher. Das war ein Geschnatter und eine Unruhe!! Endlich legte sich diese. Es kam Ordnung. Willi erschien mit dem Steward, der Thee und Schiffszwieback wie Cakes brachte. Pfui, ist das ein hartes Leimzeug. Erstens bricht man sich die Zähne daran aus, und zweitens löst es sich nicht auf, sondern liegt wie Blei im Magen. –

Das große Gepäck und die Post war in die unteren Räume gebracht. – Die Laufbrücken wurden ans Land geschoben. Die Ankerketten rasselten. Die Maschine fauchte und arbeitete. Und aus den Pfeifen brüllten entsetzliche Töne. Die Schornsteine prusteten. Willi stand mit mir und beobachtete die Abfahrt. Wir sahen Vlissingen beleuchtet liegen, sahen zu dem bestirnten Himmel auf und dann auf das dunkle Wasser. – »Ade, Kontinent! – sagte Willi leise, umschlang mich und preßte mich an sich. – Als ich damals hier abfuhr, meine Lotte, um das Schiff in Portsmouth einzuholen, da hattest Du mir tiefe Wunden geschlagen. Gekränkt, verbittert, unglücklich nahm ich von Europa und Dir Abschied. Ich glaubte nicht mehr, daß ich je noch mit Dir sprechen würde! – Aber wie es das Schicksal bestimmt, so kommt es! – In jubelnder Zuversicht fahre ich diesmal hinüber, im ruhigen sicheren Besitz meines höchsten Glückes, und das bist Du, mein süßer, herber Trotzkopf, mein Weib!« – – Ich küßte stumm seine Hand und lehnte sie gegen meine Wange. Und in mich drang eine süße, beruhigende Zuversicht. Ich fühlte mich sicher an seiner Seite und gefeit gegen alles Kommende! – –

Doch wozu Süßholz raspeln? Das ist ja alles so selbstverständlich! –

Die Nacht rückte vor. Das Meer war ruhig. Ich legte mich nieder, und er deckte mich fest zu. Durch die offenen Thüren strömte die gute, kühle Nachtluft hinein. Bald schlief ich ein. Zwar merkte ich im Schlafe, daß ab und zu jemand die Stufen hinauf eilte, daß draußen gegangen wurde, nebenan im Rauchsalon Leute plauderten. – Auch Pfeifen und Kommandoworte drangen in meinen Traum. Als ich endlich erwachte, sah Willi zärtlich auf mich nieder, »'n Morgen, Rangchen, Schlafratze! Komm, den Sonnenaufgang betrachten! So etwas lohnt schon der Mühe!« – Ich nahm einen Schluck Kognak, brrr, machte mein Haar glatt und ging mit ihm draußen umher. Nur noch wenige Menschen waren außer uns da. Sie kamen erst nach und nach zum Vorschein. – So weit das Auge blicken konnte, war nur eine unendliche Wasserfläche. Hinten am Horizont sah man wie winzige dunkle Silhouetten ein paar Schiffe durch den Dunst gleiten. Der Himmel war bewölkt, von tiefschwarz bis in ein stumpfes unbestimmtes Grau hinein. Man bemerkte, wie die Sonne mit dem Dunst kämpfte. Ab und zu zerriß ein Gewölk, und ein grell weißlicher Strahl brach durch. Dann wieder fahler Dämmer, der sich langsam opalfarben überhauchte. Immer mehr rosa und kupferne Flecken drangen durch. Allgemach färbte sich alles glühend rot. Die zackigen, rissigen Wolkenränder begannen goldgelb zu durchglühen. Ein letztes Ringen. Wie Coulissen schoben sich die Wände auseinander. Grell rotgelb, mit schwefelnen Ausstrahlungen, brach die siegende Sonnenscheibe durch. Da stand sie, helle Bahnen auf das Wasser werfend, das immer durchsichtiger grün zu werden schien und – und wie liebevoll anbetend der Allmutter entgegendampfte! –

Oh, war das schön! Leider wurde es bald wieder fahler und wolkig. Aber der Tag war doch unbestreitbar da. – Ich ging mit Willi hinab. Wir machten ein wenig Toilette und nahmen ein Frühstück, wobei uns der heiße Thee doch recht wohl that. Dann ging es wieder auf Deck, das sich inzwischen recht gefüllt hatte. – Man merkte, daß man sich dem Lande näherte. Immer mehr Schiffe tauchten auf. Segel wurden sichtbar. Zahllose Fischerbarken belebten die Wasserfläche. – Eine kleine Sensation ging durch alle, als die Küste von England aus dem Morgennebel hervortrat. – Nun näherten wir uns schnell, unter kreischendem Schrauben der Ventile und wahrem Zetergeheul des Schornsteins, dem Landungsplatz von Queenborough. Willi besänftigte zwar und entschuldigte; aber schon hier ging meine Enttäuschung los. – Erst kamen die Zollbeamten aufs Schiff, beschnupperten alles höchst eilig, fragten mich dringend nach Tabak und Zigarren und verdufteten danach schläfrig. Unser Gepäck wurde uns förmlich weggerissen und von den geldhungrigen Schiffsleuten zum Zuge geschleppt. Dabei stellten sie noch unverschämte Forderungen, und Willi mußte energisch werden. Zwei Damen dagegen blechten tüchtig. Gegen allein reisende Weiblichkeit, die nicht so losbullern kann wie die Mannsbilder, sind doch subalterne Seelen immer noch frech! –

Doch nun muß ich mit meinem Tadel loslegen! Kinder Gottes, sind wir wirklich in dem reichsten, stolzesten, sich am meisten dünkenden Lande der Welt? Überall mäkeln diese Engländer, nichts gefällt ihnen wo anders! Na, Anton, steck' den Degen ein!

 

Brief an die englandbegeisterte Frau Anna Neuwald!

»Herzenshanne! Heute abstrahiere ich von Mann, Söhnen und dem, was sonst noch an Dir drum und dran bammelt! Mein Schreibebrief gilt Dir. Wir landeten höchst fidel und munter. – – Na, Du kennst ja diese öde, trostlose Holzdreckbude, in der Dein England, das stolze, reiche, einen so lieblich begrüßt! Ich sage nur: »Pfui Spinne!« – – Dann ging es durch trostloses, wenig bebautes Land in schwerem, feuchtem Morgennebel. Vereinzelte Gehöfte. Beginnende Reklame auf Riesen-Schildern und Holzgestellen. Die Bahnstrecke schlecht gehalten und unsauber. Ähnlich wie zwischen Warschau und Moskau, nach dem Innern Rußlands zu!!! – Wir mußten bis nach der Viktoriastation in London, dann auf eine Droschke und nach Kings Cross-Station auf den Schnellzug nach Edinburg. Den Plan kanntest Du! Natürlich kann ich über London noch garnicht urteilen und verspare mir das bis zuletzt, wo wir längere Zeit dort verbleiben werden. Ich denke nur an eine Stadtbahnfahrt durch unser helles, sauberes, lachendes Berlin! Ruhig, liebstes Annchen, ich weiß ja, Du selbst hast mir oft von der monströsen Häßlichkeit dieser Ein- und Durchfahrt durch London erzählt! Selbst mein geliebter Gatte hatte mich vorsichtig auf diese Eindrücke vorbereitet. Allerdings mit dem Hinweis, daß dies erste Sehen der gigantischen Kapitale einen absolut falschen Standpunkt zur Beurteilung giebt! –

Was Ihr auch sagt, Kinder, ist zu wenig, zu schonend! Ich erwartete Scheußliches; aber ich fand so himmelstürmend grausam Häßliches, daß ich atemlos war! Dunnerkiel! Gott sei ewig Dank, daß ich an der Seite meines Willi hier durchflitzte. Eine kleine Deutsche, ein bildhübsches Ding, das auf dem Schiff noch sehr munter gewesen, saß bei uns im Coupé. Als sie aber dies pechschwarze, rußige, schauerliche Babel, triefnaß in dem Morgendampf, betrachtete, da überkam sie Sehnsucht und Reue über ihren Entschluß, als Gouvernante hierhergegangen zu sein. Sie schluchzte sich halbtot. Ich heulte fast mit ihr. Willi zeigte ihr vergeblich die Türme von Westminster-Abtei, die Kuppel der Paulskathedrale. Sie und ich sahen nur die engen, dunklen Straßen, die einförmigen Reihen der dachlosen, platten, häßlichen Häuserreihen, die bunten, plumpen Omnibusse. Äx, pui Deibel! – Er vertröstete sie auf Sonnenschein, schöne Stadtteile, das berühmte, gemütliche homelife (häusliche Leben), auf die innere Güte der Engländer! – – – – – – – Die Ärmste schüttelte nur immer den reizenden Kopf und weinte noch ärger! – Sie hat mir den ganzen Tag verdorben, und heute noch kneife ich zuweilen den Daumen, daß sie es doch bloß gut getroffen haben möge! – – – – – – – Endlich fuhren wir in der Station, nur einer Seitenhalle der großen Verkehrscentrale, ein. Was mir gefiel, war die Droschkenreihe, die nur durch einen schmalen Holzweg, übrigens recht unsauber, getrennt, sich längs des Zuges aufgepflanzt hatte. Wenn es auch recht nach Pferden riecht, so ist diese Art sehr praktisch. Man braucht nicht erst auf die Straßen, sondern kann gleich trockenen Fußes einsteigen. Die Gepäckträger, sehr ernste, höfliche Leute, gingen an die Arbeit. Denke Dir, doch Du weißt das ja längst! Willi erzählte mir, alle Gepäckträger sind von den Eisenbahngesellschaften fest mit Gehalt angestellt. Sie sind auf die Trinkgelder nicht so erpicht und mit kleinen Sümmchen sehr zufrieden. Ihre ruhevolle Art, sich zu bewegen, mit den Fremden zu sprechen, imponierte mir doch. Bei uns sind wir den Leuten nur eine schnell und kurz abzufertigende Masse, die blechen soll. Ich weiß nicht; aber hier behandeln sie einen so – – – so, ich kann nicht anders sagen, so individuell! –

Nun hottelten wir dreiviertel Stunden durch London. Himmel, ist das eine Welt! Es schien mir auch nicht mehr so häßlich. Wir kamen sogar durch hübsche Teile. Ich las im Fluge die Straßenschilder, suchte Schutzleute zu beobachten und den Volkstyp zu erkennen. Natürlich ging das so in der Eile nicht! Es war auch noch so früh am Tage und das Leben nicht so gewaltig. Willi erklärte! Mir fiel sofort auf, daß fast alle Herren nicht Zigarren, sondern Pfeifchen rauchten und Cylinderhüte trugen! – – – Doch natürlich kann ich nicht urteilen! Später! – Schließlich kamen wir an den schönen Bahnhof der Privatgesellschaft, welche die Gnade hat, einen nach Schottland zu befördern. Unsere von Karl Stangen zusammengestellten Billette und Rundreisehefte funktionierten glänzend und brauchten nur abgestempelt zu werden. Selbst dies besorgte der Träger für uns. Wie bei allen meinen Reisen segnete ich auch diesmal die Einrichtung der Reisebureaus. Man bezahlt einmal eine große Summe und hat dann nicht wieder nötig, sich eiligst an die Schalter zu drängen, Billette zu kaufen und im Portemonnaie herumzukramen, was besonders unangenehm ist, wenn man mit dem fremden Geld und seinen verschiedenen Münzsorten noch nicht vertraut ist! –

Apropos Geld! Hier kann ich schon wieder loswettern! Der Deibel hole das englische Geld! Ganz Europa hat das bequeme Dezimalsystem. Das mathematisch einzig richtige! Nur diese verbohrten Englishmen sind wie blockiert und führen keine Änderungen ein, selbst wenn sie diese für viel besser und richtiger halten! – Willi nennt das stolzes, konservatives Nationalgefühl. Er meint: England ist eine stolze Welt für sich. Es ist an sein Zwölfersystem gewöhnt und pfeift auf die Mitmenschen der andern Länder, die ja doch alle zu ihm kommen! – Abwarten, wie lange noch? Und im übrigen ist das kein edler Nationalstolz, sondern einfach eine dämliche Verbohrtheit! Alle Staaten und Völker sollen miteinander fortschreiten. Nur das ist klug und gut; darum imponieren mir heutzutage weder die Sabbathruhe, noch der russische Kalender und am allerwenigsten die englische Geldberechnung. – Willi, der sie doch kennt, hat mir die einzelnen Münzen xmal erklärt. Zum Glück irrt er sich selbst zuweilen bei den Stücken von zwei und denen von zwei und einem halben Schilling! Und das scheußliche Kupfer! Genau wie in Italien, Rußland, Frankreich! Ewig hat man das Portemonnaie voll, und doch wenig Geld darin! – – – – Kurz und gut, ich bin überhaupt mehr für Gold und Scheine! – Au Backe! Ein Gemütsmensch, was? –

Wir depeschierten an unser Mutterhuhn: »Spiegelglattes Meer heldenhaft überwunden! Fidel donnernden deutschen Gruß aus London!« – Nun wird die alte Dame doch zufrieden sein, was? – Mein Seebammel ist auch futschikato! Jetzt aber bin ich mit der Schimpferei vorläufig fertig und müßte loben. Diese Freude mache ich Dir aber gemeiner Weise doch nicht so schlankweg. Darum Schluß! Willi grüßt Euch Alle innigst, besonders aber die beiden Lümmel! Ich küsse Euch, Elternpaar, und nasenstübere meine Herren Neffen. Sie sollen sich nur weiter bemühen, mir nachzugeraten – auf dem besten Wege sind sie ja schon – dann werden sie sicher solch musterhaft artige Prachtexemplare wie ich eins war! Auf deutsch: »Würgeengel für Schulmeister.« –

Addio, geliebte Hannenschwester, es grüßt Dich nochmals Deine, wie Du mich so schön nanntest: englandunwürdige Burin – Lotte, Gott sei Dank, eine deutsche Frau Doktor.«

 

An Herrn Paul Seffmann.

»Liebster Freund! – Was ist besser: Allgemeine Staatsbahn mit einer leitenden Verwaltung oder viele Privatbahngesellschaften mit selbständiger Leitung, nur unter staatlicher Aufsicht?

Wir sind uns nicht ganz einig, mein Tyrann und ich! Ich ärgerte mich mal wieder über diese verflixten Gesellschaften hierzulande mit ihren eigenen Bahnhöfen, Gepäckbeförderungen, Kursbüchern. Als Fremder wird man dabei nämlich dreherig im Gemüte! Die hochverehrlichen Bahnbeamten wissen nur innerhalb ihrer Direktion Bescheid und können einem über weitere Anschlüsse ec. kaum Auskunft geben. – Eine amerikanische Familie war falsch gefahren und wetterte. Ein Russe stürzte atemlos an und wollte mit! Ja woll ja, hat sich was! Das Billet gehörte einer anderen Gesellschaft. Weiter, mein Jungeken! – Auch er fluchte! – – Mein Gatte und Cicerone dagegen erklärte mir, daß wir, das Publikum, allen Grund hätten, mit dieser Art Einrichtung zufrieden zu sein. Die Gesellschaften leben in einem beständigen Konkurrenzkampfe. Eine bemüht sich, der anderen die besten und neuesten Erfindungen und Verbesserungen wegzuschnappen! Und darin scheint mir entschieden viel zu liegen! – – – – – –

Doch nun zur Sache! Ich muß beschämt sein. Mein Liebster triumphiert! Doch rasch noch etwas echt Englisches! Man hat jetzt hier etwas Großartiges ausgeknobelt. Ja, wenn John Bull mal was ausheckt, dann ist es kiebig! Also es giebt hier in England jetzt viele Züge, die nur erster und dritter Klasse führen, keine zweiter! Ist das nicht einfach neckisch? – Schad't nischt! – Unser Corridorexpreßzug (sogen. Pullman-Car) hatte auch keine zweiter Güte. Wir kletterten in unsere erste. Das einzig Schöne war, daß wir ein Abteil für uns allein bekamen, was hier und da einen kleinen Knutsch zuließ! Sonst war es der höhere Blödsinn! Wir fanden zwei aus Holland bekannte Berlinerinnen in der dritten reichlich so gut installiert, wie bei uns daheim in einem D-Zug zweiter Klasse. Donnerstiebel, sind das großartige Züge! Die Breite der Wagen und Corridore, hell, luftig, schön ausgestattet. Die Netze für kleines Handgepäck. Hinten am Zuge der »Van« für die großen Stücke. Gottlob, ich kann wieder tadeln. Denn das Gepäck wird in Großbritannien nicht registriert. Du bekommst keinen Schein, hast keine Sicherheit! – In Deiner Gegenwart wird es im »Van« verladen. Bist Du an der Endstation, mußt Du mit einem Träger zum Gepäckwagen stürzen! Dann Dein Stück aus den Hunderten mit scharfem Auge herausfinden und fortschaffen lassen. Was machen Kurzsichtige oder solche, die nicht englisch können? Sie warten, bis alle anderen abgefertigt sind. Was übrig geblieben, gehört ihnen! – Notorisch sind hier dem Diebstahl Thor und Thür geöffnet. Das hiesige Volk muß sehr ehrlich sein, denn verhältnismäßig kommt wenig Gepäckraub, der mehr als leicht ist, vor! – – Wahrscheinlich daher haben die Engländer auch immer ihre Koffer und Handkoffer mit voller Adresse versehen! – Noch eins ist wirklich großartig; wenn zum Beispiel der Perron hochliegt, so schiebt der Träger alles Gepäck auf eine Karre. Mit dieser besteigt er einen riesigen Fahrstuhl, den er selbst durch Handdruck in Bewegung setzt. Im Nu ist er oben. Die andern warten ruhig. Überhaupt herrscht hier eine Ruhe und Gemächlichkeit, die sich von dem irritierenden Geschrei und Gehaste unserer Bahnhöfe vornehm abhebt. –

Doch zurück in den Zug. Mit Lektüre kannst Du Dich versehen. Auch auf den kleinsten Stationen sind erstaunliche Zeitungsstände: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher in großer Auswahl. Ich entdeckte auch einige französische Schweinigeleien (ei, ei, frommes England!) und den Figaro! – Deutsche Blätter und Bücher existieren hier nur für die Elitemenschen, welche außer ihrem Englisch und schlechtem Französisch noch Deutsch können. – Dann kannst Du Dir Futterkörbe erstehen, welche die Bahnhofsrestaurateure an den Zug senden. Manche bestellen die reichhaltigen, appetitlichen Dinger schon telegraphisch. Wir hatten dies nicht nötig. Ein Kellner fragte bescheiden, ob wir dinieren wollten? – Natürlich wollten wir. Die Sache kostete drei und einen halben Schilling, und ich war mächtig gespannt auf das erste englische Essen! – – Wir brauchten nicht wie daheim in den Speisewagen. Einfach großartig war es, wie Beamte mit raschen Händen die Tische aufklappten, feststellten, deckten. Dann erschienen diverse Kellner mit den Gerichten, Zuthaten, frischen Tellern! Alles ging sehr schön, lautlos und mit einer überraschenden Aufmerksamkeit. Es war, als ob sie die Wünsche errieten! Dabei erhielten sie kein Trinkgeld. Ein Zahlmeister oder sonst so was überreichte nachher die Nota und nahm nur die gebührende Summe in Empfang. – Genau wie bei uns, war es in der dritten Klasse, nur einige Gänge weniger. Die jungen Berlinerinnen hörten das Essen sehr loben. Wir jedoch stimmten darin überein, daß es geschmackloser Fraß gewesen! – Ich besuchte die Damen einige Male. Das Publikum war sehr fein, sogar elegant. Es machte uns Spaß, wie zwei Damen in seidenen Gewändern und reichem Schmuck dasaßen und im Coupé strickten. Und dies mit einer überraschenden Langsamkeit. – Rührend vorsorglich und höflich behandelten die Herren ihre Gattinnen, das ist direkt auffallend! Sie holen ihnen Obst, Konfekt, alles! Räumen ihnen Plätze ein, fragen xmal nach ihren Wünschen, nur alles in einer pomadigen Höflichkeit, die ich nicht mag! Ob die Leute sich einmal so recht von Herzen abknutschen? Willi und ich thaten es verschiedentlich in unserm ›Chambre séparée‹. Ach, der Kerl ist zu süß! –

Doch nun Schluß! Nochmals, denk' über meine Frage nach, Pauleken! Und dann sorge als Männermann und stimmberechtigtes Individuum dafür, daß unsere Züge so vortrefflich ausgestattet sind, so schnell und doch so gleichmäßig fahren wie die hier. In unserm Luxuszug könnte ich keinen Brief an Dich loslassen, so ›schunkelt‹ es! – Schön sieht meine Klaue zwar auch nicht aus; aber entsphinxe sie! Gruß von meinem Schatz – Weib und Kind 'nen Schmatz – Dir die rechte Tatz'. – Deine Lotte.–«

 

An Fräulein Hedwig in Heidelberg über Edinburg.

»Liebstes Hedel, genannt Jiepel! – Was sagst Du dazu, wie hoch im Norden wir jetzt schon sind? Ja, es reist sich schnell per Dampfroß. Und hier reist es sich auch bequem! – Hier ist in Feld und Flur alles noch so weit zurück gegen unsern Himmelsstrich, daß wir baff waren. – Wir kamen durch recht düstere Gegenden. Oft trat die Bahn bis fast an das Meer hinan. Es öffneten sich ganz prächtige Blicke. Alles ist ernst und düster, sogar schwarze Kuhherden sahen wir. Da fielen mir die lachenden Ebenen zwischen Florenz und Bologna ein mit ihrem weißen, sauberen Rindvieh. Ich mußte recht über Darwins Anpassungstheorie nachdenken. Aber ich liebe gerade diese interessanten Abwechslungen und Vergleiche auf Reisen. »Jedem Land das Seine!« – Von London bis York sahen wir die richtigen englischen, sehr lieblichen Wiesen, eingerahmt von Hecken, mit kleinen Durchgängen versehen. Auf den grünen Flächen schöne Bäume, die Zweige bis zum Boden senkend. Und das ganze Land belebt mit Schafherden, buntem Rindviehzeug, Pferden. Alles Tag und Nacht im Freien, ohne Hirten! Das ist doch drollig?! Dann kamen wir durch verschiedene Industriestädte, die sich schon von weitem durch dicken, schwarzen Dunst und Wälder von Schornsteinen kenntlich machten. Natürlich sehen auch die Häuser so verrußt aus. – Sehr schön erscheint die Yorker Kathedrale! – Endlich passierten wir die schottische Grenze, und wirklich, ein Sceneriewechsel fand statt! Doch, Hedelchen, ich will ja keinen Bädeker spielen, sondern Dir nur ein wenig von dem »Athen des Nordens« vorplaudern! Auch mein Willi kannte es noch nicht, so genossen wir es denn beide »auf Neu!« und sind überwältigt. – Moskau – Venedig – Edinburg – Budapest! Das ist für mich jetzt ein einzig schönes Viergestirn am Städtehimmel!

Wir kamen auf der Waverleystation an, übergaben unser Gepäck einem »Outsideporter«, der es in das ganz dicht belegene Hotel überführte. Wir beide, froh, etwas laufen zu können, ärmelten uns unter und verließen den Bahnhof. Als wir hinaustraten, ließen wir uns unwillkürlich los und standen wie gebannt da! Der erste Eindruck ist sofort atemraubend: Im vollen Sonnenglanz, in wahrhaft hehrer Schöne, kurz, erhaben liegt Edinburg vor Dir da! – Du stehst in einem schmalen Thalkessel, der ganz in grün gebettet ist und schaust auf zwei herrliche Gebäude in streng griechischem Stil und das grandiose Scott-Monument. Zur Rechten Berghöhen mit Straßenzügen und monumentalen Prachtbauten. Auf der höchsten Erhebung das »Castle«, die Burg. Ein herrliches, historisches Denkmal der früheren Schottenkönige, das diese Stadtseite königlich – ein Zwing-Uri – beherrscht und doch so versöhnend lieblich durch grüne Matten mit ihr in eins verbunden ist. – Zur Linken die feierliche Neustadt mit ihren modernen Verkehrsmitteln und Gebäuden, die sich, wiederum etwas nach rückwärts, zu dem Calton Hill erhebt. – Ein wahrer Hotelgigant, ganz dem Baustil angepaßt, geht seiner Vollendung entgegen, darüber – auf dem bewaldeten Calton – sind so herrliche und malerische Bauten und Denkmäler, etwas tiefer eine so vollendet klassische Universität, daß man wortlos dem Schicksal dankt für solch einen Eindruck! –

Allerdings ist hier – vor dieser Station – der Vogel der Schönheit abgeschossen. Von hier aus verpufft die Stadt ihren schönsten Effekt. Sie ist vom Castle, vom Calton aus, wunderbar schön; aber nirgends so überwältigend wie hier! – Und eben diese düstere Färbung, dieses Schwarz bei dem antiken Stil, der so in Grün hineingebaut ist, wirkt so erhaben. Unter dem lichten, lachenden Himmel Griechenlands würde das Ganze viel weniger hehr, viel heiterer wirken. – Wir begaben uns ins Hotel, wuschen den Reisestaub ab und machten dann eine Rundfahrt, die uns einen Totaleindruck gab. Als wir wieder vor dem »Mound«, jener Stelle vor der Station, standen, da bereitete der Himmel uns eine besondere Gnade! – – – – – Ein Abendrot, wie es köstlicher in den Alpen nicht gedacht werden kann, färbte die Fenster mit glühendem Kupferrot und überhauchte die ernsten Bauten mit lebenswarmem Glanz. – Das war ein Anblick, vor dem man verstummt! –

Ernst gestimmt nahmen wir unser Abendbrot in einem der vornehmen Hotels der Princes-Straße, welche die Hauptstraße ist und sehr schöne Hotels und Magazine hat. Die Müdigkeit von der Nacht auf dem Schiffe und dem Tage in der Bahn kam nach. Wir schliefen ungewiegt in den breiten Riesenbetten, die mir etwas zu luftig sind. Es ist abends doch hier, trotz der Jahreszeit, recht kühl. Denk nur, Jiepel, hier fangen die Rosen erst an zu blühen! Das Klima ist also ganz anders! – Ich jieperte (das kommt nicht von Deinem Spitznamen: Jiepchen!) vor allem nach den Stellen, wo »Stuarts Mariechen« geweilt hatte! So kletterten wir denn eine steilansteigende Treppenstraße hinter dem Hotel in die Höhe, bis wir in die Highstreet kamen. An der »Bank«, der »Börse«, dem »Parlament« – ach, warum haben wir nicht solche Bauwerke mit solcher Platzwahl in Berlin! – vorbei, stiegen wir langsam bergauf bis zu dem riesigen Plateau, wo die Burg vor uns lag. Hier fesselte uns erst die wunderschöne Aussicht auf das kahle massige Gebirge, dann auf die Stadt unter uns. – Und nicht zum wenigsten die Schwadronen der Hochlandtruppen, welche hier übten nach den Kommandos eines Vorgesetzten, die uns völlig unverständlich klangen. – In der Burg ist jetzt längst die Kaserne der »Plaidbeine« oder »Plissee-Lendner«, wie ich sie entschieden richtig taufte. – Über ihre militärische Präcision und den fehlenden Drill entrüstete sich Willis Militärherz ungemein. Ich lachte hell auf über die Zappligkeit und das häufige allgemeine Händegeklatsch nach den Übungen. – Hast Du 'mal solche Kerls in ihren Uniformen abgebildet gesehen? Eigentlich sehen sie doll und mehr nach Maskenanzug aus als nach ernster Soldateska. Das heißt, alle Achtung, es sollen großartige Truppen sein, wenn es ernst wird! Die Helme mit den riesigen, fortwährend im Winde baumelnden, lang herabwallenden Federstreifen tragen sie nur zum Staat auf Posten. – Die schief gesetzten Käppis, die plissierten Röckchen über den nackten Knieen mit dem herabhängenden »Feigenblatt« aus Roß- oder sonstigen Haaren, die Gamaschen, Schärpen, das grelle Rot neben dem dunklen Karo oder die knappen karrierten langen Hosen – – – zu komisch! Fast lächerlich! – Jedoch je verrückter sie aussehen, je malerischer wirken sie hier in dem altersgrauen Schloß, hier gehören sie hin und heben und beleben das Bild.

Eine Menge Führer boten sich unaufdringlich an und traten bescheiden zurück, als wir einen wählten. Dieser geleitete uns über die Zugbrücke hinein, die über den alten Schloßgraben führt. Nach drei Seiten stürzen die Felsen senkrecht ab. Der Olle erklärte famos, während er mit uns auf und ab kletterte. Wir sahen die – Reichskleinodien – die Parlamentshalle – die kleine Margarethenkapelle (1100 gebaut) – das Museum – Maria Stuarts Gemach – die Kanone Mons Meg – die Aussicht – Kasernen – sogar den Hundekirchhof, wo die Soldaten ihren gestorbenen Lieblingen Denkmäler mit Inschriften weihen. Ob sie es mit den gefallenen Buren auch wohl thun?? – – Dann, ach nee, eins darf ich nicht vergessen, es war zu einzig! Wir sahen und hörten einen Unterricht im Dudelsackpfeifen mit an. Der Lehrer rannte blasend mit seinem Instrument in der Mitte. Die beiden Schüler, noch recht schlecht spielend, rasten an seinen Seiten mit. Die übrigen lauschten, in den verkniebeltsten Stellungen auf der Mauer hockend. –

Doch für heute Schluß, liebstes Mädel! – Morgen fahre ich in der Beschreibung fort! Mein geliebter Willi wird schon wieder zum gereizten Rebellen! – Dein Lotte!. –«

 

Zweite Edinburger Schilderung an Fräulein Hedwig. –

»Jieplein, liebes, es geht weiter! – Vom Castle wollten wir nach Maria Stuarts Lieblingssitz, der alten Schottenresidenz. Um dorthin zu gelangen, mußten wir einen guten Teil von Alt-Edinburg passieren. Wir nahmen noch schnell die St. Giles-Kathedrale (Eintritt 3 d, jut, was?) mit. Eine kahle, uralte gotische Kirche mit interessantem Tonnengewölbe, die ein schottischer Verleger auf seine Kosten wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt herstellen ließ! (Da haste es, diese Verleger! Arme Autoren!) – Dann sahen wir uns noch John Knox' Haus an, das ebenso gut in Alt-Nürnberg stehen könnte! – Nun widmeten wir uns diesen engen, altertümlichen Gassen mit ihren engen Durchgängen. Sie hatten alle drei Merkmale: »Erstens waren sie eben alt! – Zweitens

starrten sie vor Schmutz! – Drittens stanken sie entsetzlich!« Aber vielleicht machte diese Echtheit sie gerade deswegen interessant! Es ist oft so mit ollen Jejenden. Ich möchte immer brüllen: »Mehr Luft, mehr Licht, mehr Seife!« Uff! – Über die Bevölkerung ein andres Mal. Heute will ich eilen und Dir nur noch erzählen, wie wir endlich Holyrood Palace erreichten mit seiner hübschen Ruine und seinem sich anschließenden »baumlosen« Queenspark – warum ohne Bäume der Name Park? – Schnuppe! – Auch dieses Schloß ist edel in der Architektur. Die Gemächer Marias mit oder vielmehr trotz des noch heute erhaltenen Blutflecks vom ermordeten Rizzio (tüchtiges Blut muß der Racker aber gehabt haben) sind etwas enttäuschend. Wenn ihr Wesen nicht so berückend war – – – – – äußerlich war sie absolut nicht so blendend schön, die berühmte arme Königin! – Eine Galerie ihrer Vorfahren halte ich für Mumpitz, die Bilder sind Phantasiestücke. –

Noch einige Kleinigkeiten in der Stadt für morgen, und wir sind durch! Hurrah! Dann kommen verschiedene Ausflüge dran und eine Partie nach Aberdeen! – Nun, liebstes Jiepel, wird die Bahn zur Beförderung meines Briefes wohl Vorspann mit einer zweiten Lokomotive nehmen müssen! – Sei nicht böse, wenn diese lange Litanei Dich von Deiner Arbeit abhält; aber »wem das Herz voll etc.« Mit vielen Küssen von meinem goldigen »Ihm« und mir verbleiben wir – Deine herzlich treuen Fellers. –«

 

An Frau Olga O. in Berlin. –

»Liebste Olga! Du siehst, ich soll hochleben! Selbst hier gedenke ich Deiner und Deiner lieben Familie!

Schöne ernste Männergestalten, echte Germanen, sieht man hier unter den Herren. Auch hübsch gekleidete Frauen. Der Ernst ihrer sie umgebenden Natur scheint auf die Schotten sehr gewirkt zu haben. Sie sind auch so feierlich, sehen Dich fest und klar an, sprechen langsam. Dabei sollen sie äußerst schlaue und verschmitzte Racker sein! Ein alter Spruch über die großbritannischen Frauen sagt:

»Mit der Engländerin paradiert man;
Mit der Irin knüpft man Liebeleien;
Aber die Schottin heiratet man!« –

Dies Wort macht der Schottin große Ehre. Die echten Schottinnen sollen gute Hausfrauen und Mütter sein! – Auf den Straßen, in den Bahnen und in Restaurants und Konditoreien haben sie etwas Gemessenes, beinah Phlegmatisches. – Das obere Volk sieht wenigstens gut gewaschen aus. Auf den Spielplätzen, den » grounds«, wo sich die heranreifende Jugend beiderlei Geschlechtes dem Sport ergiebt, freut man sich ordentlich. Hier wächst ein kraftvolles, blühendes Völkchen heran!! – – – – – Um so greller wirken die Kontraste, wenn man von der Neustadt Edinburgs nach der Altstadt wandert. Lieber Himmel, hier sieht man so recht, was eine gute Kinderstube, was Pflege und Geldmittel vermögen! – Der Fluch der Armut, der durch Generationen gegangenen Unkultur wird einem klar. – Ich bedaure die armen Leute von ganzem Herzen, ich wünschte, ich könnte ihnen helfen! Eins kann ich den Armen aber nicht verzeihen: das ist der Schmutz. Waschen und kämmen können sie sich immer, und zerfetzt brauchen sie auch nicht zu gehen! – Damit prahlen sie aber gleichsam hier! – Weißt Du, liebste Freundin von der Schulbank, mit der ich soviel philosophierte, ich glaubte, in Italien und Rußland den Höhepunkt dessen erreicht gesehen zu haben, was der Mensch in puncto »Dreck« leisten kann. Edinburg belehrte mich eines Bessern und schlägt den Rekord!! – Den Leuten hängen die Sachen in Fetzen vom Leibe. Sie gehen fast nackt. Wasser, Seife, Kämme berühren sie sicher monatelang nicht und starren vor Schmutz.

Na warte, Olgchen, ich will auf etwas Anderes, Erfreulicheres kommen! Auf unsern Ausflug nach dem Firth of Forth. Wir hatten den Nachmittag frei und schleuderten nach einer erneuten Entdeckerfahrt durch die prachtvolle Stadt am Posthauptgebäude vorbei. Dort stehen eine ganze Menge Mailcoaches und Breaks aufgepflanzt. Manche der Kutscher in roten Fracks, andere ohne Uniformen. Sie und die Diener rufen unablässig das vorbeiströmende Publikum an und bitten und betteln, man möge doch eine Fahrt mit ihnen machen. Hinten auf den Wagen steht die Endstation und der Preis drauf. Eine Weile sahen wir uns das Treiben an und bewunderten, wie sie doch Leute heranlotsten. Da wir selbst das Wunderwerk der Technik – die berühmte Brücke über den Meerbusen – sehen wollten, machten wir dem einen Kerl endlich die Freude und gingen mit ihm zu seinem Gefährt. Nach zwei Pausen vor Dorfwirtshäusern, mehr für die Kutscher als für die Pferde berechnet, gelangten wir zu der berühmten Brücke, welche das »achte Weltwunder« genannt wird. Mir imponierte besonders, daß die Anlage sieben Jahre gedauert und fünfzig Millionen Mark gekostet hat. Willi war in Ekstase und stellte sie über die Brooklyn Bridge in New Jork. Er erklärte mir, daß sie 2527 m lang ist, 46 m hoch, Fundamente 27 m unter dem Wasser, Hauptspannungen von 520 m Länge – – – –

Herrjemersch, so was ist sehr interessant, ja! Ich sah eine riesige Brücke, über die ein klein erscheinender Zug brauste! All die technischen Sachen sind doch nichts für eine Hochzeitsreise, wo ich nicht mal eine Frau Ingenieur bin! Ich sah meinen schönen Gatten aufmerksam an und dachte mir mit »privater Spannung«: »Ob ich heut von Dir noch 520 Küsse kriege?« Was mir lieber wäre! – – – Dann stärkten wir uns in dem kleinen Hôtel, denn unser »Mehlquatsch« pausierte. Wenn mir doch hier bloß erst etwas schmecken wollte! Aber weder der Kuchen, noch irgend etwas reizte bisher meinen Appetit! – Ach, ein gutes deutsches Bierlokal, und mein Glück wäre vollkommen! Ja – – – – lache nur! – Friß Du mal erst hier! Äx! – Nachdem wir den breiten Strom und die gigantische Brücke genugsam bewundert hatten, fuhren wir heim. Als wir nach dem Souper in unser Zimmer kamen, geriet Willi aus dem Häuschen vor Freude, daß wir uns mal wieder allein hatten! So den ganzen Tag unter Menschen, nur sehen, sehen, sehen – – – ist nichts fürs Herz! Ach, ich war ihm ordentlich dankbar für seinen Zärtlichkeitsausbruch, trotzdem ich es nicht so zeigte und ihn etwas zappeln ließ, den Wonnerich! Aber im Stillen war ich mir schon längst wie eine ausgedörrte Sahara vorgekommen. Gott, mal will man doch auch nur an sich denken?! Kannst Du das noch nachfühlen, liebste Schulfreundin, oder hört das auf, wenn man erst solche Ewigkeit verheiratet ist wie Ihr Beide, Du und Dein lieber Gatte? –

Mein Willi empfiehlt sich Euch bestens! Ich grüße jeden insbesondere und küsse die kleine Gesellschaft herzlich. – Nächstens hörst Du

wieder von Deiner nun auch mit einem Gatten behafteten Medizinfrau
Lotte Feller.«

 

An Frau Geheimrat Bach über eine Ruine.

»Kugelchen! – Hier so weit entfernt kann ich diese Personalinjurie schon ausstoßen. Dein liebes Potchen, alte Mieze, erreicht mich ja nicht und das vor Dich hingemurmelte Wort: »Unverschämter Nickel« fasse ich, wie es ganz logisch – – – als Liebkosung auf! Da haste die Kieste – siehste! – – – Ich glaube, daß wir in Schottlands Hauptstadt jetzt alles Sehenswerte gesehen haben, und unser Eindruck ein guter und richtiger ist. Aberdeen und verschiedene kleine »Spritzen« sind gemacht; drum geht es heute noch zur Ausstellungsstadt Glasgow. Mit Willi, Deiner einzigen jüngsten Tochter Gatten, vertrage ich mich sehr gut. Heute machten wir noch einen Ausflug nach Marie Stuarts Lieblingssitz, der Craigmillar Castle-Ruine. Die Fahrt war kurz, aber beschwerlich.

Endlich waren wir an der blitzblanken, kleinen Schloßverwaltung angelangt. Wir erhielten einen Riesenschlüssel und verzichteten auf die Führung. Nach meinen Erfahrungen von früheren Ruinen, die ich gesehen, freute ich mich diebisch auf die Romantik des Herumkletterns in solch altem bemoosten, spinnenwebbezogenen Gemäuer, wo Eulen, Krähen, Ratten und Mäuse hausten. – Ich hatte ja meinen Gatten bei mir, der die Verpflichtung und die Courage hat, mich vor allem Viehzeug zu beschützen oder es mir abzunehmen. Mit Willi zur Seite bin ich selbst vor Spinnen eine Heldin, und das sind doch, äx, die scheußlichsten Viecher! –

Ferner findet man doch in allen andern historischen Bauten Tafeln mit strengen Regeln, daß man die Wände nicht verklieren soll!? Eine sehr richtige, meist leider nutzlose Anschlags-Verfügung. Hier schien alles anders! Zwar ist die prächtig erhaltene Ruine mit Moos und Epheu umsponnen; aber – – – – – – geliebte Miez – so etwas von Appetitlichkeit hast Du doch noch nie erlebt. Das erste Hôtel könnte sich ein Beispiel daran nehmen! Jedes Eckchen, Treppchen, Söllerwinkelchen, jedes Steingeröll in den verfallenen Hallen ist gekehrt und blitzblank! Der Verwalter muß ein Prachtmensch sein! – Fast ist es schade um diese allzugroße Sauberkeit! Der Blick von den Mauern auf Edinburg und das beginnende Hochland in der Ferne ist entzückend und der Bau selbst, zwar nur klein, aber so harmonisch! Wir krabbelten in alle Winkel, saßen auf dem schattigen Hofe, dem sonnigen Söller, ach, und waren so unendlich glücklich, wie nur zwei Menschen sein konnten!!

Zuletzt besichtigten wir noch die kleinen, gut erhaltenen Räume der Maria, welche wir uns auch erschließen mußten. Denke, der eine – ihr Schlafkabinett, ist schneeweiß getüncht. An der Mauer hängt eine Tafel. Und auf dieser steht die sicher einzig in der Welt dastehende Bitte geschrieben, daß man einige Worte zum Gedächtnis an die Königin an die Wände schreiben soll. Es waren auch sehr nette bereits vorhanden. Der schönste war wohl der folgende Reim:

» Illfated Queen! Thy fate this lesson brings –
Be not desirous of the lot of Kings

(Unglückliche Königin, Dein Schicksal bringt
diese Lektion: Begehre nicht das Los der Könige!)

Dies wahre und passende Wort rührte mich gerade an dieser Stelle tief. Wir schrieben etwas zu Schillers Lobe hin, der uns Deutsche die unglückliche Königin lieben gelehrt hätte. Ein anderer Vers und die mit Datum versehenen Unterschriften vom Tage vorher zeigten uns, daß die Berliner Damen schon hier gewesen waren. Wir konnten also hoffen, die munteren Reisekameraden in Glasgow bereits vorzufinden! – Für heute, kleine Dicke, geliebte Kollegin, das bist Du doch jetzt von mir, Schluß! Ich habe gar keinen Respekt, aber eine unendliche Liebe für Dich. Und das ist doch viel mehr!! So küsse ich denn Dein liebes Vollmondsgesicht in treuester Zärtlichkeit und bin Deine gehorsame (hm!) Tochter.«

»Verehrte Mama! Auch ich muß noch einige Worte hinzufügen und will Dir die herzlichsten Grüße gleichzeitig senden. Soweit bin ich mit meiner »neuen Gattin« und »alten Liebe« ausgezeichnet zufrieden! Ich fürchte nur, daß durch Deine stete Nachsicht und meine ebenso stete Verliebtheit nie eine gehorsame Gattin aus ihr wird, wie sie nie eine gehorsame Tochter war! Es ist gut, daß sie selbst das »hm« hinschrieb, sonst hätte ich es gemacht! – Natürlich ißt sie wieder zu viel Süßes und läuft zu wenig! Jede Konditorei wird ihr gefährlich. Immer wieder probiert sie neue Kuchensorten, trotzdem sie ihr alle scheußlich schmecken. Es ist sogar schon dreimal vorgekommen, daß sie Eis als zu widerlich süß stehen ließ. Ist das schon je dagewesen? – In Städten, Museen, Kirchen rast sie unermüdlich umher; aber im Freien ist sie keine Stunde ohne Gebrumm zu laufen im stande. Die ganze kleine Person besteht aus lauter Widersprüchen! Überlege Dir nur ein Bändigungsmittel. Vielleicht schlägt es noch nachträglich bei ihr an. Ich komme jetzt doch nicht dazu; denn mein kleiner Vogel lacht, zwitschert und schwirrt den ganzen Tag umher. Langeweile kennt man wenigstens an Lottens Seite nicht. Es küßt in Verehrung Deine liebe Hand Dein treu ergebener Schwiegersohn. – – –« – – »Zerbrich Dir nur nicht den Kopf über nachträgliche Pädagogik. Er, p – – – will mich ja nicht einen Deut anders haben als ich bin! Du auch nicht! So bleibe ich denn bis an mein Lebensende Euer Frechling – die Range!«

 

An Fräulein Else K. in Berlin über Glasgows Ausstellung.

»Herzenselse, olle Lange, die so gern kalt thut und doch so warm ist! – So, das ist eine lange Überschrift; aber weil sie eine Charakteristik enthält, darf und kann man sie nicht verwerfen. – Verstanden? – Was bist Du für ein glücklicher Mensch, daß Du keine Ausstellungen zu sehen brauchst! Ich sage Dir – – – – – – scheußlich! Im vorigen Jahr die in Paris lohnte wenigstens noch der Mühe. Aber schließlich kommt man doch zur Erkenntnis, daß sie alle über einen Leisten geschlagen sind! Etwas größer oder kleiner, immer toute même chose. Ich habe sämtliche Ausstellungen für den Rest meines Daseins abgeschworen! –

Nun will ich von dieser selbst plaudern! Sie ist im Ganzen recht jämmerlich! Sie mit Paris in einem Atem zu nennen, wäre ein Wahnsinn. – Die Lage ist schön, und es thut einem fast leid um den herrlichen Kelvingrove-Park, den man dazu hergegeben. Deutschland bekam einen schlechten Platz angewiesen, wie wir hörten! Zu unserer Freude hat es vorgezogen, sich nicht zu beteiligen. Sehr vernünftig, endlich mal etwas stolzes Selbstgefühl! – Nicht eine wirklich originelle Sache ist zu sehen. Außer dem Kunstpalast, der für immer bleibt, nicht ein hervorragender Bau! Der Vergnügungspark ist höchst pauvre: Wasserschaukel, Schießbuden, Miniatureisenbahn, Schweizer Schaukel, voilà tout! – Für Fachinteressenten manches sicher Wertvolle. Für Herumlungerer wie wir recht wenig. Ein paar Webstühlchen im Gange, sonst nix! Bei einem Gange durch die Leipziger Straße hast Du in den Schaufenstern alles, und zwar viel solider und schöner. Nirgends siehst Du so recht die Fabrikation der Dinge, ihr Entstehen, wie bei uns oder in Paris. –

Direkt ekelhaft war uns, wie man die unglücklichen Blinden bei der Arbeit ausstellt. Das sollte der Takt verbieten! – Gute Musik als belebendes Element fehlt. In der Konzerthalle spielten früher die Berliner Neuen Philharmoniker. Wir hörten schlechten Chorgesang und schwache Orchesterdarbietungen. Wie wenig die Leute auf der Höhe der Zeit sind, beweist der Mangel an Ansichtspostkarten. Es giebt immer nur einen ganzen Satz zu kaufen. Von der Ausstellung selbst nur recht scheußliche! – An Eß- und Trinkgelegenheit fehlt es nicht. Wir wurden als Deutsche von unsern Kellnern, während des Mittagessens, erkannt. Da sie, selbst Deutsche, froh waren, Landsleute zu sehen, klagten sie uns ihre liebe Not. Die Armen fühlen sich kreuzunglücklich, denn die Schotten geben fast nie Trinkgeld. Gerade am Sonntag ist die Ausstellung geschlossen. Dann müssen sie sich selbst verproviantieren, denn alle Restaurants sind ja zu; und so veranstalten sie Fußtouren. Donnerschlag, so ein schottischer Sonntag muß es in sich haben! –

Wirklich schön ist das große Kunstausstellungsgebäude, wo merkwürdiger Weise und mir unerträglich – fast fortwährend Militärkonzerte im Lichthofe stattfanden. Dazu drängen sich alle hinein. Gestalten wie Rowdies, zerfledert und schmutzig, mitten unter der Eleganz! An schmutzigster Armut fehlt es hier so wenig wie in Edinburg. Warum aber läßt man diese Galgenvögel hier herein? Verschönernd wirken sie nicht! Und den stillen Kunstgenuß haben weder die Volksmassen, noch die zahllosen Jöhren, noch die Musik! Komische Idee überhaupt! – Dennoch giebt es hier viel Interessantes und Bedeutendes zu sehen! Im Großen und Ganzen hat mir die hier gezeigte Kunst zu wenig Individualität. Sie ist glatt, wirkt leicht süßlich und gemahnt oft an schöne Oblaten! – Selbstverständlich urteile ich nur nach dem Totaleindruck, denn zum Vertiefen blieb mir keine Zeit! –

Am begeistertsten sind die Glasgower selbst. Sie strömen nur so her, auf den elektrischen Bahnen kommt man kaum mit. Recht praktisch finde ich die Einrichtung mit dem Eintritt. Wer Saisonkarten hat, zeigt diese vor und passiert die Drehscheibe. Die übrigen werfen einfach einen Schilling pro Person in den Schlitz im Tisch. Eine Wechselkasse für diesen automatischen Eintritt ist vorhanden. Ich kann Dir übrigens anvertrauen, daß gewisse Geheimkabinette, nicht nur hier, sondern auf fast, allen Bahnhöfen ec. in ganz England, sich gleicherweise, nach Einwurf eines Pennys, öffnen. Bist Du nun glücklich? Addio, herzliebste Else, nimm diesen Brief an Stelle einer Ansichtspostkarte von der Glasgower Ausstellung und sei zufrieden. Es grüßen Deine verehrten Eltern und Dich in alter Treue herzlichst Deine Freunde Willi und Lotte.« –

 

An Herrn Max Zuter in Hamburg über Glasgow.

»Lieber Freund Max! – Freunde, wenn sie einmal geboren sind, können einem recht lieb und nützlich sein! Wenn sie obendrein in einem fremden Lande Schwestern verheiratet haben, dann steigen sie in der Achtung. So geht es uns mit Ihnen! – – – – – Wir haben Ihre Frau Schwester hier heimgesucht und in ihrem prächtigen Familienkreise deutsch-gemütliche, reizende Stunden verlebt! Ihr lieber Schwager hat uns ganz famos über Land und Leute nach seinen jahrzehntelangen Beobachtungen orientiert. Trotzdem, – und das nehme ich dem liebenswürdigen Ehepaar doch etwas übel – das ganze Haus anglisiert ist und die nette Kinderschar sogar kaum deutsch kann – brach doch bei Felds das Heimatsgefühl zuweilen durch.

Ich hatte mir das Glasgow denn doch nicht so groß und nicht so bedeutend in der Welt des Handels vorgestellt. Der Hafen und die Docks, das ganze Geschäftsleben, die großen Bazare sind ja imposant! Und doch ist es eine rechte Handelscentrale! Wir nahmen einen Wagen und hießen den Kutscher, uns die Schönheiten und Sehenswürdigkeiten seiner Stadt zu zeigen. Schon nach einer halben Stunde Fahrt stieg er vom Bocke und erklärte kläglich, er sei fertig.

Morgen wollen wir auf Rat Ihres Schwagers doch noch nach Oban und von dort nach Jona und der berühmten Fingalshöhle. Die Seefahrt soll zwar scheußlich sein, besonders die Bootstour. Ich graule mich jetzt schon! Noch dazu ist das Wetter nicht klar! Pfui! Die beiden Berlinerinnen sind schlauer und verzichten! – – – – – Aber mein Tyrann?? –

Ach, liebste Sensitive, auch Du bist rinjefallen! Nun sitzen wir beide in der Patsche! Na, wir müssen es ertragen! »Unsere« sind noch nicht die schlechtesten! Addio, Zuters! Viele innige Grüße und Dank, daß Ihr so nette Geschwister habt, wofür Ihr zwar nischt könnt!

Pfotendruck von Euren treuen Fellers.«

 

Zwei Postkarten an Frau Feller aus Oban.

1. Liebstes Verehrtes! Wir grüßen Dich aus Oban am Firth of Lorn im Hochlande. Sehr malerisch; aber es gießt! Meine kleine Lotte tückscht mit mir, daß ich sie zwinge, mit mir die Tour nach Staffa und Jona zu machen. Später wird sie es mir doch danken! So ertrage ich ihre schlechte Laune mit Engelsgeduld. Es ist doch wirklich merkwürdig, wie unsere Stimmung auf das, was wir sehen, zurückwirkt. Heute schimpft mein Sonnenscheinchen wie ein Rohrspatz auf alles und ist von allem enttäuscht! Dabei ist die Scenerie bei unbenebelterem Himmel entschieden prachtvoll. Wie geht es Dir, verehrte Mama? Es küssen in Liebe Deine Hände

Deine glücklichen Kinder.«

2. »Meine liebe Mama! Wer hat wieder recht? Ich! Du hast Dir einen netten Sohn geboren, hätte ich das früher gewußt!! Jetzt ist er windelweich! Kann er auch sein! Der Barbar! Erstens sind wir beide total durchgeweicht! Zweitens war ich bei dem Sturm grauenvoll seekrank, der niederträchtigste Zustand, den es nur giebt! In dieser Verfassung mußte ich, denn das Boot konnte nicht in die Fingalshöhle, die der Deibel holen soll, wenn sie auch noch so großartig ist, fast eine halbe Stunde über schlüpfrige, abschüssige Basaltblöcke klettern, mich an Drahtseilen halten, Handschuh opfern. Noch dazu war es bei dem Wetter darin stockdunkel, und das Toben des Meeres wie tausend Donner – grauenhaft unheimlich! – Ich danke, die Tour habe ich im Magen, vielmehr aus ihm herausgebracht! Bemitleide Deine arme, getreue Schwiegertochter.« – »Verehrte Mutter, heute hat Lotte recht, ich bereue, bereue und verspreche Besserung. Gruß – Dein Sohn!« –

 

An Herrn Franz Hutten über die Fingalshöhle.

»Lieber Franz! Wenn Du vernünftig bist, siehst Du Dir die großen Photographien, welche wir mitbringen, recht genau an und verzichtest auf persönliche Bekanntschaft mit Fräulein Fingal! Donnerwetter, war die Tour scheußlich! Ich studierte Kotzebue. Auch Willi hielt sich nur mühsam! – Es grüßen Dich innig Deine kurierten Höhlenforscher, sonst glückliche Hochzeitsreisende.« –


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