Christian Fürchtegott Gellert
Fabeln und Erzählungen
Christian Fürchtegott Gellert

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Die kranke Frau

                          Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen,
Die uns um die Gesundheit bringen!
Doch nötig ists, daß man sie kennenlernt.
Je mehr wir solcher Quellen wissen,
Woraus Gefahr und Unheil fließen;
Um desto leichter wird das Übel selbst entfernt

Des Mannes teurer Zeitvertreib,
Sulpitia, ein junges schönes Weib,
Ging munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder,
Und fiel halbtot aufs Ruhebette nieder.
Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf?
Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf!
Geschwind! Doch läßt sich dies erzwingen?
Sechs Hände waren zwar bereit;
Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen,
Wieviel erfordert dies nicht Zeit!

Der arme Mann schwimmt ganz in Tränen;
Mit Recht bestürzt ihn diese Not.
Zu früh ists, nach der Gattin Tod
Im ersten Jahre sich zu sehnen.
Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Äskulap
Erscheint sogleich in vollem Trab,
Und setzt sich vor das Krankenbette,
Vor dem er sich so eine Miene gab,
Als ob er für den Tod ein sichres Mittel hätte.
Er fragt den Puls, und da er ihn gefragt,
Schlägt er im Geiste nach, was sein Rezeptbuch sagt,
Und läßt, die Krankheit zu verdrängen,
Sich eilends Dint und Feder bringen.

Er schreibt. Der Diener läuft. Indessen ruft der Mann
Den so erfahrnen Arzt beiseite,
Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute?
Der Doktor sieht ihn lächelnd an:
»Sie fragen mich, was es bedeuten kann?
Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen;
Sie wissen schon, es zeigt viel Gutes an,
Wenn sich die jungen Weiber klagen.«

Den Mann erfreut ein solcher Unterricht.
Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen;
Allein der teure Trank hilft nicht.
Drum muß der zweite Doktor kommen.

Er kömmt! Geduld! Nun werden wirs erfahren.
Was ists? Was fehlt der schönen Frau?
Der Doktor sieht es ganz genau,
Daß sich die Blattern offenbaren.

Sulpitia! Erst sollst du schwanger sein?
Nun sollst du gar die Blattern kriegen?
Ihr Ärzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein,
Denn einer muß sich doch betrügen.
Nein, überlaßt sie der Natur,
Und dem ihr so getreuen Bette;
Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte:
So ist sie nicht so schlimm, als eure Kur.

Geduld! Vielleicht genest sie heute.
Der Mann kömmt nicht von ihrer Seite,
Und eh die Stunde halb verfließt,
Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist?
Ach ungestümer Mann, du nötigst sie zum Sprechen.
Wie? Wird sie nicht das Reden schwächen?
Sie spricht ja mit gebrochnem Ton,
Und an der Sprache hörst du schon,
Daß sich die Schmerzen stets vergrößern.
Bald wird es sich mit deiner Gattin bessern!
Der Tod, der Tod dringt schon herein,
Sie von der Marter zu befrein.

Wer pocht? Es wird der Doktor sein;
Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen.
Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen.
»Er kömmt«, so stammelt sie. »Er kömmt zu rechter Zeit;
Ist dies vielleicht mein Sterbekleid?
Ja, wie Er sieht, so werd ich bald erblassen;
Doch hätte mich der Himmel leben lassen:
So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt,
Von solchem Stoff, als Er, Er wirds schon wissen,
Für meine Freundin machen müssen;
Es ist nichts Schöners auf der Welt.
Als ich zuletzt Besuch gegeben:
So trug sie dieses neue Kleid;
Doch geh Er nur. O kurzes Leben!
Es ist doch alles Eitelkeit!«

O fasse dich, betrübter Mann!
Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann.
O laß die Hoffnung nicht verschwinden!
Der Atem wird sich wieder finden.

Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn,
Sie reden heimlich vor der Türe.
Der Schneider tut die größten Schwüre,
Und eilt, die Sache zu vollziehn.

Noch vor dem Abend kömmt er wieder.
Sulpitia liegt noch danieder,
Und dankt ihm seufzend für den Gruß.
Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß?
Er hat es in ein Tuch geschlagen,
Er wickelts aus. O welche Seltenheit!
Dies ist der Stoff, dies ist das reiche Kleid.
Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen.

»Ach Engel«, spricht der Mann bei sanftem Händedrücken,
»Mein ganz Vermögen gäb ich hin,
Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken!«
»O«, fängt sie an, »so krank ich bin:
So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen.
Ich will mich aus dem Bette wagen;
So können Sie noch heute sehn,
Wie mir das neue Kleid wird stehn.«

Man bringt den Schirm, und sie verläßt das Bette,
So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte.
Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Kaffee.
Kein Finger tut ihr weiter weh.
Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen,
Und durch das Kleid muß sie genesen.
So heilt des Schneiders kluge Hand
Ein Übel, das kein Arzt gekannt.


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