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VI.

Während dem saß Markus in der Stube und weinte, aber seine Liebesleidenschaft war dennoch größer als all sein Schmerz um die brave Benna. Eine Stunde hielt er sich in dem Hause auf, dann fühlte er das Bedürfnis, sich auf eine richtige Art die Zeit zu vertreiben. Deshalb nahm er das erborgte Geld und suchte zunächst den armen Krüppel auf, der unlängst an dem Empfange teilgenommen hatte. In dem Arbeiterdörfchen fragte er einige Kinder, und die führten ihn dann bis an die Türe eines armseligen Hinterstübchens, in welchem der arme, alte Mann schwerkrank auf einer Strohschütte lag. Ein elfjähriger, in schmutzige Lumpen gekleideter Junge war als Krankenpfleger da.

»Was fehlt ihm denn?« fragte Markus, der den röchelnden Alten für schlafend hielt, ganz leise den Buben.

Der Kleine kämpfte sichtlich mit einer großen Verlegenheit, dann platzte er endlich heraus: »Gift't hat er sich so viel. Wenn er sich stark gift't, ist er hernach allemal krank.«

»Wer fragt denn?« rief der Krüppel, der den Markus nicht sehen konnte, weil er von ihm mit dem Kopfe abgewendet lag. »G'wiss der Niemarb! Wer tät denn sonst nach mir fragen da, wo's mit der christlichen Barmherzigkeit so schiech steht?« Dann erklärte er: »Gift't hab' ich mich so viel wie noch nie – weil ich mich halt zuvor so viel wie noch nie g'freut hab'. Der Baldringer! Der Waschhadern! Der hat uns sauber für ein'n Narr'n g'halten! All's erstunken und erlogen, was der red't! Von dem aus könnt' man hundertmal sterben, eh' er sich für ein's rühren tät'. Eine Nacht hab' ich g'wart und ein'n Tag und wieder ein Nacht, und nicht ist er kommen und nicht! Nachher war ich schon so abgetebt Abgehetzt., dass ich mich nimmer hab' aufrecht erhalten können. An der Nahrung hat's halt auch gefehlt! Und z'letzt bin ich auch noch bei mein'r Gall g'stolpert und hab' mir einwendig schiech weh' tan. All's z'wegen dem Baldringer. Wenn ich verlöschen sollt', so sagt es ihm, dass ich ihn verflucht hab', verflucht!«

Markus war zutiefst erschreckt und erschüttert. Er kauerte vor dem Alten hin und bat: »Verzeihen Sie mir – ich war in all der Zeit in einer so fürchterlichen Verwirrung, verzeihen Sie mir…«

Der Alte war merklich zusammengezuckt. »Verzeihen? Verzeihen?« rief er. »Ich hätt' noch so viel gern g'lebt, und wenn ich jetzt Ihretwegen eingehen müsst', da müsst' ich noch beim letzten Atemzug harb auf Sie sein – ich könnt' mir nicht anders helfen.«

»Ich will für Sie tun, was ich kann«, versicherte Markus. »In meine Wohnung bring' ich Sie gleich, in ein schönes Bett, und kurzum: Sie müssen gesund werden. Und dann soll es Ihnen erst recht gut gehen.« Dann erhob er mit Hilfe des Knaben den Krüppel behutsam auf, trug ihn in den Schwemeißerhof und bettete ihn zwischen die schönen Daunen des Liebrichers, in welchen nachts zuvor die Benna geschlafen hatte.

Einigen Arbeitern, die ihm auf dem Wege begegneten, rief er zu, dass sie schnell einen Arzt holen möchten. Dann hielt er an dem Bette Krankenwacht. Als der Krüppel in einem Schlummer lag, fragte Markus leise den armen Jungen, der auch mit in das Zimmer gekommen war: »Wem gehörst denn du?«

»Dem Biegenmacher.«

»Und wie bist du denn Krankenpfleger geworden?«

»Weil mich meine Leut' daheim nicht begeben.«

»Und warum begeben sie dich nicht?«

»Weil wir halt daheim in der Hütte zu viel Kinder sind. Da bin ich da bei dem Ehnl auf dem Unterstand.«

Er fragte das Kind weiter und erfuhr von vielem argen Elende, das in diesen Arbeiterhütten wohnte. Und je länger er dieses Kind, das keine Lügen sprach, anhörte, um desto mehr fühlte er sich in seinem Herzen beschwert, weil er nicht trotz all seiner wirren Empfindungen gleich am Abende seines Hierherkommens in die Arbeiterhütten gegangen war. Eine jede Stunde gereute ihn nun, in welcher er mit sich selbst stritt und eben deshalb diese Unglücklichen leiden ließ. Und sogar wegen der Zeit, die er bei Pepi verbracht hatte, machte er sich Vorwürfe. Solange er nun dabei an seine Liebe dachte, war sie so groß als wie zuvor, aber das Elend, das er hier sah, ließ ihn ihrer nicht mehr recht froh werden.

Während er noch mit dem armen Jungen sprach, dass er sich seiner und seiner armen Lieben sowie auch anderer Leute bestens annehmen wolle, erschien ein junger Arzt. Er untersuchte um des Baldringers willen den alten Krüppel sehr angelegentlich und sagte, dass hier zu einem befriedigenden Heilerfolge sonst nichts als eine sorgsame Pflege nötig sei. Da erfüllte den Baldringer eine Freude, die ihm reiner und wertvoller erschien als selbst das Beste, was er seit Tagen empfunden hatte.

Der Arzt war seit einer Weile schon fort, da kam eine der beiden Dienstfrauen und meldete, dass zwei Knaben den Baldringer zu sprechen wünschten. In der größeren Stube fand er die zwei Söhne des Kleiwenleicht, den Franzl und den Edi.

»Dürft ihr denn zu mir?« fragte er. »Das kann doch euer Pflegevater nicht erlaubt haben?«

Sie schüttelten schelmisch lächelnd die Köpfe, und Franzl sagte in einem geheimnisvollen Tone: »Wir sind heimlich zu Ihnen gekommen, der Wunionkel ist bei der Arbeit. Wir haben zu Ihnen müssen. Es hat uns keine Ruh' mehr gegeben. Aufklären müssen wir Sie über was.«

Edi nickte während der Rede seines Bruders eifrig und ergriff jetzt das Wort: »Sie sind in einem großen Irrtum. Das haben wir unlängst gesehen. Wir hätten gleich gern g'scheit zu Ihnen g'red't, weil das sonst niemand getan hat. Nicht wahr, sie sind sehr unglücklich darüber, weil unser Vater sich umbracht hat? Nicht wahr, so ist's?«

»Ja, ja«, antwortete Markus, und dabei ahnte er es schon gar mächtig, dass diese Kinder zu seinem Glücke gekommen waren.

»Aber Sie wussten es halt nicht, weshalb unser Herrgott das so gemacht hat«, sagte nun der Franzl.

»Und wisst ihr's, weshalb es Gott so gemacht hat?«

Sie sahen ihm beide in die Augen und sprachen mit einem Ernste, der nicht nur heilig schien, sondern es auch war: »Ja, wir wissen's.«

Es war ihm nun fast so, als ob sie zwei Engel wären, die ihm den Willen ihres Herrn offenbaren wollten.

»Es ist ein Glück, dass es so gekommen ist«, sagte Edi. »Bei dem Leben, das wir früher geführt haben, wären wir eh bald ganz verdorben.« Dann erzählten sie ihm, ohne zu lügen, sehr viel von jenem Leben. »Da werden Sie es doch einsehen, dass wir uns bei unsern Eltern nicht so leicht haben brav halten können als wie jetzt«, sagte schließlich Franzl.

»Man kann brav bleiben, wenn es einem auch noch so schlecht geht«, antwortete Markus. »Aber wenn ich sehen werd', dass ihr euch bei der jetzigen guten Gelegenheit gehörig bessert, dann werd' ich wohl recht glücklich sein.«

Da standen sie auf, lehnten sich an ihn, sahen mit leuchtenden Augen zu ihm empor und fragten allzugleich: »Nicht wahr, Sie sind auch jetzt nicht mehr unglücklich?«

»Nein«, sage er leise, und die Tränen rannen ihm über das Gesicht. »Weil mir Gott solche Tröster schickt, darf ich wohl nicht mehr unglücklich sein und muss ihn wohl so begreifen, wie ihr es mich lehrt.«

Da fingen die Kinder dem Markus ihren Wunionkel zu loben an. Der junge Schlosser plage sich zu ihrem Wohle schier übermenschlich. »Wissen S'«, erzählte Edi in einem höchst vertraulichen Tone dem Baldringer, »ein bissl lebensfroher haben wir ihn ja schon gemacht. Er hat sich halt auch wegen unserem Vater so unglücklich gefühlt. Aber jetzt, wo wir's ihm auch gesagt haben, wie wir waren und wie wir werden wollen, jetzt lässt er auch nimmer den Nipf Kopf hängen. Und seit ihm leichter ist, hat er auch auf Sie den blöden Pick nimmer.«

»Woher weißt du denn, dass er den Pick nimmer hat?«

Edi gab ihm dafür die Erklärung: »Wir haben halt allweil von Ihnen gered't, und da hat er nachher gesagt: Na, ja, vielleicht lass ich euch einmal zu ihm gehen, aber sehen müsst' ich's halt auch, dass ihm die Teilung halbwegs gelingt.«

Über das Gesicht des Baldringer flog ein Schatten der Trauer, als das Wort ›Teilung‹ fiel.

»Ich werd' mich halt so viel als möglich danach benehmen, dass er euch zu mir gehen lässt«, versprach er dann.

»Ja, tun S' das«, bat Franzl innig, und dann gestand er: »Am liebsten wären wir ganz und gar bei Ihnen. Der Wunionkel muss sich halt gar so rackern unsertwegen. Und das ist ein hart's Zusehen, wenn sich ein Mensch für einen so viel derwursteln Plagen, schinden muss. Sie bräuchten uns leichter fort – weil's reich sind. Nicht wahr?«

»Ja freilich«, sagte Markus. »Ich hätt' das schon, was er erst euch verdienen muss. Jedenfalls müsst' ihr derweil bei ihm recht brav sein. Ehrt ihn gehörig! Er verdient's. Und jetzt dank' ich euch dafür, dass ihr mich so getröstet habt. Ihr habt da ein'n schönen Beweis eures Mitleids gebracht.«

Dann ließ er die beiden und seinen anderen armen Schützling von der Hofschaffersfrau gehörig bewirten. Als die zwei Buben aus dem Hofe fortgingen, meinte der Franzl: »Dass wir ihn wirklich getröstet haben, ist mir lieber, als wenn er uns einen Gulden geschenkt hätt'.«

»Mir auch«, sagte Edi, und es war ihnen beiden voller Ernst damit.

Die Nacht verbrachte Markus größtenteils bei dem Kranken. Der Alte schlief manchmal eine Weile, und zwischenhin lag er in einem leichten Fieber, aber aus seinem Atem war es zu erkennen, dass er an seiner Krankheit nicht sterben würde. Zeitweise redete er, und Markus tat dabei tiefe Blicke in ein durch langes Elend arg verbittertes Gemüt.

Bei den Gesprächen suchte der Alte stets Gelegenheit, den Baldringer gegen den einen oder den anderen der Dorfleute einzunehmen. Sein Mund schien keines Lobes und sein Herz keiner Zuneigung fähig. Der Baldringer kam trotzdem auch durch diese Reden immer mehr zu der Überzeugung, dass es ihm unmöglich sein würde, hier unter den vielen Armen so reich zu bleiben, wie das die Pepi haben wollte. Und in einer stillen Stunde dieser Nacht erkannte er es wie niemals, dass die Barmherzigkeit doch das stärkste seiner Gefühle sei und dass er in seinem Herzen eher alles als sie ertöten könnte.

»Die Barmherzigkeit hätt' mir auch am besten aus der Verzweiflung geholfen, wenn ich in der letzteren nicht wo anders hingangen wär' als dorthin, wo so sehnsüchtig auf mich gewartet worden ist«, sagte er sich. »Meine so groß erwachte Barmherzigkeit, das ist jetzt mein Licht, und dass ich mir von dem leuchten lass, das muss der Pepi recht sein, wenn sie mein wahres Glück will. Reich werd' ich nicht bleiben können, wie sie's haben will, das seh' ich jetzt. Die Teilung bleibt ja aus, das hab' ich der Pepi versprochen, aber vielleicht schon nach einer kurzen Zeit werd' ich so viel hergegeben haben, dass ich so arm sein werd', als ob die Teilung wahrhaftig stattgefunden hätt'. Und da weiß ich es auch, dass jetzt alles wahrhaftig nach dem Strölkamp seinen Sinn gehen muss, und g'spür's förmlich, dass mich sein Geist nimmer auslasst. Der Pepi muss ich's gleich morgen sagen, dass sie auf unser Reichbleiben nimmer hoffen darf und dass ich die zwei Kleiwenleichtbuben an Kindes Statt annehmen werd', sobald ich sie nur kriegen kann, und damit werd' ich ihr wohl kein Leid bereiten, denn der zu seiner Selbstrettung gewillte Markus muss ihr doch lieber sein als der verzweifelte, als der ich gestern zu ihr gekommen bin.«

Am nächsten Vormittag ließ er sich von einer der Dienstfrauen in der Krankenstube ablösen und fuhr zu Biegenwüls. Pepi war wieder in ihrem Stübchen und Leopold im Kolleg.

»Ich komm dich abholen, weil du dich bei mir um einen Kranken nützlich machen kannst«, sagte Markus zu ihr. »Benna ist heimgereist. Aber ich glaub', sie hätt' nun schon viel weniger Groll über mich, wenn sie alles Neue wüsst', was ich seit gestern erlebt hab'. Und jetzt bin ich neugierig, ob du dich auch mit mir über all' das Neue freuen wirst. Also vor allem: Der Käufer, auf den ich gerechnet hab', kauft uns das Gut nicht ab. Wir müssen es behalten.«

Pepi erschrak sichtlich und wunderte sich dabei, dass Markus die letztere Mitteilung in einem so hellen Tone machte.

»So willst du dich doch dem aussetzen, was diese Arbeiter gegen dich anstellen werden«, sagte sie. »Weshalb willst du keinen anderen Käufer suchen?«

»Weil ich's seit gestern weiß, dass ich unter diesen Armen eine ganz besondere Aufgab'hab'. Ich bin nicht rechtzeitig in das Arbeiterdörfl gegangen, und drum hab' ich's zu spät erfahren, was es dort für Jammer gibt, den ich stillen kann und stillen muss.« Er sah ihr bittend und zugleich forschend in die Augen und redete weiter: »Ich verlang' schon heut ein großes Opfer von deiner Lieb, aber weil du gesagt hast, dass du mir, wenn es sein muss, dieses Opfer willig bringen wirst, so verlang' ich's mit einer guten Zuversicht von dir. Du hast gesagt, dass du, wenn es sein müsst', neben mir auch in Armut leben möchtest. Und es wird nun wohl sein müssen.« Dann begründete er ihr die Notwendigkeit des Armwerdens so gut als möglich. Aber da sah er, wie sich allmählich eine große und immer größere Enttäuschung auf ihrem Gesichte malte, und er fing an betrübt und erschreckt zu werden.

»Pepi!« rief er. »Ist dir der Gedanke an das Reichsein schon so sündhaft lieb geworden?«

»Ja!« gestand sie ehrlich. Und dann fuhr sie leidenschaftlich auf. »Du willst also doch teilen!« rief sie. »Mit allem, was du sagst, umschreibst du nur die Tatsache, dass du doch wieder teilen willst!«

»Verblend't bleiben will ich halt nimmer«, sagte er. »Wenn ich trotz meiner Verzweiflung ausgangen wär', um zu sehen, dann hätt' ich auch so gesehen, wie es der Strölkamp geweissagt hat. Nur nicht gleich närrisch hätt' ich über das erste werden sollen, was ich nicht verstanden hab'. Gott hat mir etliche von meinen Fehlern gezeigt, vornehmlich die Zweifelsucht, und jetzt will er mich nach dieser großen Lehr' weiterführen. Ich werd' jetzt gläubiger sein als wie zuvor. Und du, Pepi, lass mich diesen Weg nicht allein gehen! Hast du mich denn heut weniger gern als gestern, wo ich dir doch recht war, ehe du all das andere gedacht hast?«

»Ich hab' dich so gern wie gestern«, antwortete sie leise. »Weil ich aber weiter denk' wie du und weil ich dich gern hab', geb' ich's nicht zu, dass du teilst.«

Dann warf sie sich plötzlich vor ihm auf die Knie, faltete die Hände und reif: »Folg' mir, wie du mir's versprochen hast: Mach' uns nicht arm!«

»Du musst erkennen, dass ich meiner Pflicht auch gegen die anderen folgen muss«, sagte er fester als je. »Und du sollst darüber glücklich sein, dass die Gerechtigkeit wieder in mir wach geworden ist.«

Er wollte sie emporheben, ließ aber mit seinen Armen gleich wieder von ihr ab.

Da fühlte sie, dass er trotz seiner Leidenschaft stark genug zum Verzichten war, und sie verlor den letzten Rest ihrer mühsam beherrschen Fassung.

»Ich lass nicht von dir!« schrie sie. »Und wenn du ein völliger Narr wärst, so ließ' ich nicht von dir. Ja, dann erst recht nicht! Ich müsst' dich umso mehr lieben, je mehr ich dich bedauern müsst.«

»Das wär' die rechte Lieb' nicht«, sagte er. »So kann das Glück nicht mit uns sein, Pepi. Sieh', nun hab' ich es erkannt, dass du mich nicht achten könnt'st, und mit keiner Lüg' würd'st du mich daran irr' machen können. Aber du wirst nicht lügen, du bist aufrichtig. Ich acht' dich für deine Aufrichtigkeit und bin dir einen großen Dank dafür schuldig. Wenn ihr, du oder deine Geschwister, jemals einen Freund brauchen solltet, so ruft mich, ich bitt' euch drum. Und jetzt leb' wohl.«

Sie hielt ihn mit Gewalt auf, weinte und schrie, und was sie ihm mit tausend leidenschaftlichen Worten sagte, kam doch schließlich wieder auf ein und dasselbe heraus.

Endlich musste sie ihn doch ziehen lassen.

Als sie schieden, weinte sie nur noch stille, wusste sie doch, dass sie an ihm einen Freund behalten würde.

Markus fand keine Tränen, aber eine tiefe Traurigkeit umhüllte sein ganzes Wesen, als er das Haus verließ und den Rückweg antrat.

Im Schwemeißerhofe schrieb er Benna einen Brief, worin er ihr kurz und bündig mitteilte, was sich seit ihrer Flucht zugetragen hatte. Denn pflegte er den alten Krüppel gesund und sah sich zwischenhin fleißig in dem Arbeiterdörfchen um. Er unterschied diejenigen, welche seiner bedurften, ganz leicht von denen, welchen er nicht helfen brauchte, und so vollendete er sein großes Werk, ohne dabei noch einmal zu verzweifeln. Vor Wintereinbruch waren die Gründe des Schwemeißergutes verparzelliert, und zu einem jeden Häuschen gehörte ein Feld, von dessen Ertrage eine Familie bei ehrlicher Arbeit leben konnte.

An dem sonnenseitigen Talmuldenrande standen nun etliche neue Hütten, und in denen waren Leute daheim, die vorher keine eigentliche Heimat gehabt hatten. Das Herrenhaus des Schwemeißerhofes wurde in eine Dorfschule und in ein Bad verwandelt, und dort, wo jetzt noch die weitläufigen Wirtschaftsgebäude waren, sollte schon im nächsten Sommer inmitten einer jungen Gartenanlage eine kleine Kapelle stehen. In einem der neuen Häuschen wohnten der Matthias Läusch und seine Tochter. Mali war genesen und betreute gar emsig ihren eigenen Grund und Boden. Die Schwielen, welche sie nun an ihren früher sehr fein gepflegten Händen hatte, waren ihr erstes Ehrenzeugnis. Der Dominik Läusch und seine Frau waren zu ihrem Sohne, dem Advokaten, in die Stadt gezogen; sie hätten sich eine eigene Wohnung mieten können, aber ihr Geiz ließ das nicht zu. Als sie ihr Häuschen verließen, verfluchten sie den Markus, und auch andere, deren eigennützige Erwartungen er mit der Teilung nicht erfüllt hatte, verfluchten ihn oder hießen ihn einen Narren. Andere wussten es hingegen ganz gewiss, dass sie ihn bis zu ihrem Lebensende ehren würden.

In einigen Briefen, die Markus mit seinen Verwandten gewechselt hatte, war es ausgemacht worden, dass er in den Baldringerhof heimkehren und die zwei Kleiwenleichtbuben mitbringen sollte.

Der Sphändl war eines Tages mit den beiden Knaben bei ihm gewesen. »Ich komm' zuvörderst wegen einer Abbitte«, hatte der junge Schlosser den Markus angeredet. »Schon lange beobacht' ich Sie heimlich bei Ihrer Teilung und seh' dabei immer mehr und mehr, dass Sie dazu doch das wahre Gottesgnadentum in sich haben. Bei diesem Zusehen bin ich so gläubig geworden, wie ich's schon längst gern geworden wär'. Drum bin ich jetzt auch aus meiner Partei ausgetreten und werd' wieder ein Christ. Die zwei Buben hab' ich mitgebracht – weil's mich darum gebeten haben. Die zwei haben Sie gern. Sie haben mir's auch schon eingestanden, dass sie einmal bei Ihnen waren. Wenn die beiden so brav werden, wie es jetzt scheint, so könnten wir's wirklich annehmen – dass sie durch uns zwei um nichts ärmer geworden sind.«

Markus fragte, ob dem Schlosser das Pflegen der Kinder nicht zu schwer falle.

»Nun ja«, gestand der Sphändl. »Leicht bring' ich's nicht fort.« Und dann fügte er hinzu: »Ich verlang' aber deswegen von Ihnen doch nichts für die zwei. Wir sind wirklich nur gekommen, um ihnen ein paar liebe Wort' sagen zu können.«

Der Schlosser log mit diesen Worten nicht. Aber es kam doch zu der Vereinbarung, dass Franzl und Edi mit Markus in dessen Heimat gehen sollten, weil sie dort leichter zu ernähren und zu guten Menschen zu machen wären als wie hier.

An einem hellen Herbsttage machte sich Markus mit den zwei Knaben auf die Heimreise. Er zog so arm von dem Schwemeißergute ab, wie er hierhergekommen war. Bis zu der Reichsstraße gaben ihm viele Menschen, die ehedem tief elend und jetzt zufrieden waren, das Geleite, und es flossen dabei Tränen, um die es schade war, dass sie in den Wegstaub fielen. Die Pepi und ihr Bruder Leopold waren auch unter denen, die bis zur Reichsstraße mitgingen. Pepi hatte nicht zu lange nach der Enttäuschung den Rechten gefunden, einen lustigen Tischler, der besser zu ihr passte als der Markus. Leopold war bereits zum Doktor promoviert, und seine Gesundheit hatte sich gebessert. Von allen denen, die Markus hier näher kennengelernt hatte, fehlten bei diesem Abschiede nur der Egid und die Witwe des Kleiwenleicht. Die zwei jungen Nachbarn waren sich seit ihrem damaligen Auseinandergehen nicht wieder begegnet, und Markus hatte deshalb seine Geldschuld durch die Post beglichen. Die Frau Kati aber kümmerte sich nun weder mehr um ihre Kinder noch um den Baldringer. Sie hatte, um sich zu versorgen, auch wieder geheiratet.

Droben im Gebirge kam dem Markus und seinen Pfleglingen der alte Hans Baldringer entgegen. »Eine große Familie werden wir jetzt sein«, sagte er bei der Begrüßung. »Aber unser Hof wird uns nicht zu klein werden.«

Die Frau des Alten und Benna, welche ihren Pflegling auf dem Arme trug, kamen den vier Mannsleuten vor dem Baldringerhofe entgegen.

Frau Nanni empfing den Markus mit den Worten: »Das ist eine traurige Heimkehr. Aber weil ich dich lieb hab', ist es mir doch recht, dass du bei uns bleibst.«

Benna aber sagte: »Wohl denen, die es wissen, dass das eine glückliche Heimkehr ist.«

Am nächsten Tage stiegen Markus, Benna und die zwei Kleiwenleichtkinder zu jenem einsamen Antoniuskirchlein empor, bei welchem nun, der großen Einsamkeit wegen, niemand mehr hausen wollte.

Vor der morgenseitigen Kirchenmauer war das Grab des Strölkamp. Die zwei Baldringer erzählten es hier oben den Kindern, wer der Strölkamp gewesen war und wie sein Geist hier auf Erden fortlebte. Dann knieten sie alle an dem Grabe hin und beteten. Wie für einen anderen Verstorbenen konnten sie für den Strölkamp nicht beten. Sie dankten ihm und baten für ihr weiteres Wirken um seinen Segen. Er scheint sie wohl gesegnet zu haben. Sie lebten bei ihrer gegenseitigen reinen Freundschaft auf dem Baldringerhofe in Frieden weiter, und in ihren drei Pflegekindern wurde der Glaube des Alten groß, dessen Leib hier unter dem kleinen Hügel ruhte.

 


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