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V.

Auf dem Wege zu den Biegenwüls bekam der Baldringer alsbald einen erhöhten Anreiz, sich das schöne Mädchen nun erst recht deutlich vorzustellen. Aber gerade dies machte ihn über den tieferen Grund dieses Besuches stutzig, und er geriet sogar ernstlich darüber in Zweifel, ob er nicht doch mehr die Pepi als ihr Glück sehen wollte. Ohne dass er jedoch tieferhin über sich selbst klar geworden wäre, betrat er dann jenes Haus der Schiefringerstraße, in welchem die Geschwister Biegenwül wohnten. Die Stubentüre wurde ihm nicht sogleich aufgetan, nachdem er an ihr zerkludertes Gefüge gepocht hatte. Das Mädchen, welches allein zu Hause war, machte eben an dem einen der Fenster einen vielgeflickten Spitzenvorhang auf und schrie:

»Ich hab' jetzt nicht gleich Zeit, wem's dafür steht, der soll warten.« Und sie band erst das eine Ende des Eisendrahtes, der den Vorhang tragen sollte, an einen Nagel fest; dann aber sprang sie von dem schwachbeinigen Stuhle herab, welcher sie ächzend getragen hatte, und schloss die Türe auf. Der Schrei, den sie ausstieß, verriet Freude und Schrecken zugleich. Aber im selben Augenblick schon rief sie: »Ich schwöre es Ihnen, dass ich noch niemals so grob war wie jetzt in meinem fröhlichen Übermut! Und diese Grobheit hat just Sie treffen müssen! Todunglücklich wär' ich jetzt, wenn ich's nicht sehen tät', dass Sie wegen was Wichtigerem als wegen mir so ernst sind.«

Pepi hatte den Markus in das Zimmer eintreten lassen und bot ihm einen alten Polsterstuhl an, die beste Sitzgelegenheit, welche sich hier befand.

»Ich bin allein zu Haus«, plauderte sie währenddessen. »Meine jüngere Schwester haben wir überhaupt nicht mehr daheim. Schauen S', seit Sie in unser Schicksal eingegriffen haben, kommt uns ein Glück über das andere. Ganz unversehens hat es sich geschickt, dass die Dam', von der wir Ihnen ja erzählt haben, schon jetzt meine Schwester braucht. Ein recht gutes Platzl hat die Tonerl. Und mein kleiner Bruder? Der begegnet gestern dem reichen Kunstschlosser, bei dem er schon längst gern Lehrbub sein möcht'. Wenn sonst mein arm's Brüderl den stolzen Herrn auch noch so lieb grüßt, so schaut er's dafür doch kaum an. Aber gestern muss ihm der Bub' plötzlich mehr als sonst gefallen haben, denn da hat er ihn ang'redt: ›Magst du schon eher, als du schulfrei wirst, alle Tag' ein wenig in meiner Werkstatt zuschauen, so komm' halt hin.‹ Heut' war der Bub' dort, hat sich ein bissl anstellig gezeigt und dafür vom Meister einen Gulden bekommen. Und so viel wie heut' soll er vorläufig alle Tag verdienen können, hat der Meister gesagt. Ich glaub', es empfinden nicht viele Leut' durchwegs so heiß wie dieser Bub', und er war noch nie so froh wie jetzt. Sie sollten uns nun alle richtig kennen, damit Sie sehen, wie glücklich Sie uns gemacht haben. Mein älterer Bruder wird sichtlich von dem gesund, was wir Ihnen danken. Er war schon gestern im Kolleg und ist heut' wieder hingegangen.«

»Ich bin ihm vorhin begegnet«, sagte Markus. »Er hat mich hierher führen, mir euer Glück zeigen wollen, aber da war ich zum Mitgehen nicht aufgelegt. Und jetzt bin ich doch da.«

Auf dem Gesichte der Pepi, welche sich indessen dem Baldringer gegenüber gesetzt hatte, wurde nun ein Lächeln der Empfindlichkeit sichtbar, und sie sagte:

»Da denk' ich mir's schon, weshalb Sie hierhergekommen sind. Wenn Sie der Leopold mithaben wollt', da wär er nachher gewiss recht niedergeschlagen, weil Sie ihm seinen Willen nicht getan haben. Das ist Ihnen nachträglich zu Herzen gegangen und deshalb sind Sie jetzt gekommen.«

Sie wollte es ihm nicht offen sagen, wie sie deswegen schmollte, weil sie es für gewiss hielt, dass er zum geringsten Teile ihretwegen hierhergekommen war. Aber sie wünschte, dass ihm ihr Schmollen nicht entgehen, sondern dass es ihn doch wenigstens etwas rühren sollte. Wenn sie es geahnt hätte, wie er den Liebesbeweis, den ihm da ihr Wesen erbrachte, aufnahm, so wäre sie wohl allzugleich beseligt und entsetzt gewesen. Sie wartete auf eine Antwort, und er konnte ihr nicht gleich eine geben. Die Wahrheit glaubte er ihr nicht sagen zu dürfen, lügen wollte er nicht, und erklügelten Ausflüchten war er jetzt ebenso abgeneigt wie sonst. Endlich sagte er:

»Ich hab' es bisher nicht geglaubt, dass es jemals recht sein könnte, wenn man die Wahrheit verschweigt, und glaub' das jetzt auch nicht. Mein Erzieher, der Hans Baldringer, hat es mir so beigebracht, dass man immer bei der Wahrheit bleiben muss, wenn auch einem selbst oder einem anderen noch so viel des Leides und Wehes geschäh'. Das Leid und Weh tät' sich hernach zum rechten Glück wenden, hat er gesagt. An ihm hat sich sein Wort bewährt, ich hab' mich halbwegs danach gehalten und bin halbwegs richtig mit den Leuten ausgekommen, solang' ich daheim geblieben bin. Ob es aber zum Guten wär', wenn ich auch Ihnen jetzt die Wahrheit sagen tät', das weiß ich nicht. Es ist ein völliger Ausnahmefall, in dem ich mich jetzt befind' – ganz von der Ordnung ausgeschlossen fühl' ich mich und glaub' auch, dass es bei mir nimmer nach ihr gehen kann, wenn ich mich auch noch so recht benehm', als ich's vermag. Ich ahn's ganz gewiss richtig, wie Sie sich jetzt um mich sorgen, und es mag daher als gar grob erscheinen, wenn ich sag': Verlangen Sie's nicht, dass ich's Ihnen völlig gesteh', wie mir ist. Aber recht ist's doch, dass ich das von Ihnen verlang'. Viel kann ich Ihnen ja von mir zu wissen geben, nur hauptsächlich über ein's möcht' ich schwergen.«

Nun erzählte er ihr wirklich fast von allen seinen letztherigen Ereignissen, nur die Schilderung dessen ließ er aus, was ihn hierher gezogen hatte und was er jetzt empfand. Dabei dachte er: Ahnen darf sie ja, dass dasjenige, wovon ich nichts erwähn', sie betrifft. Sie darf's sogar wissen, dass ich sie so lieb hab', und begreifen soll sie's, dass es am besten ist, wenn wir von unserer Lieb' nicht reden.

Sie ahnte nun wirklich seine Liebe sowie auch die Ursachen, aus denen er darauf verzichtete, sich zu ihr auszusprechen, und sie hielt diesen Verzicht für töricht. Auf ihrem Gesichte war ein herrlicher Widerschein der Seligkeit, deren sie nun bei dem Erkennen seiner Liebe voll wurde.

Da sah er es auch schon, dass sie ihn verstand und dass sie eher zu allem als zu jenem Entsagen bereit sein würde. Indem er ihr länger in das liebestrahlende Gesicht sah, war es ihm so, als ob durch den Zauber ihrer Augen aus seinem Herzensgrunde ein Feuerquell entspränge und als ob diese jäh emporsteigende Glut sein ganzes, altes Empfinden verbrennen müsste.

Pepi antwortete jetzt: »Nachdem Sie mir das alles gesagt haben, sorg' ich mich erst recht zu viel um Sie, als dass Sie mir Ihr jetziges Empfinden verschweigen dürften.«

Da er es nun wusste, dass ihre Leidenschaft der seinen glich, wunderte er sich gar nicht deswegen, weil sie ihn nun zu einem Liebesgeständnis zwingen wollte. Er spürte auch nicht mehr die Kraft, um sich ihr verschließen zu können, wohl aber noch ein Schamgefühl, bei welchem er sich ihr nicht ohne Weiteres so offenbaren konnte, wie sie es erwartete. So fand er zunächst keine Antwort, und außer seiner Leidenschaft machte ihn nun auch die Scham rot. Endlich sagte er:

»Sie haben ja mein Empfinden schon erraten.«

Da lächelte sie bitter und erwiderte:

»Dass ich's erraten hab' – soll mir das genug sein?«

Dann stürzten plötzlich Tränen aus ihren Augen hervor, sie stand auf und ging zu dem einen der Fenster. Dort drückte sie ihre Stirne an eine Glastafel und weinte. Markus trat an ihre Seite hin und antwortete ihr:

»Nein, jetzt sind wir so weit, dass wir uns ausreden müssen. Aber wenn ich nicht hierhergekommen wär' oder wenn ich besser schweigen gekonnt' hätt', dann wären Sie wohl vor Argem behütet geblieben.« Da kehrte sie sich ihm wieder zu und gab ihm die Versicherung:

»Es wär' nichts Ärgeres für mich, als wenn ich Ihr Unglück nicht als das Meine tragen dürft.«

»Sobald Sie es ganz erkennen werden, wie hoffnungslos elend ich durch mein Schicksal geworden bin, werden Sie mich ja doch aufgeben, wie man einen derart Verlorenen aufgeben muss.«

Nun lächelte sie durch ihre Tränen und entgegnete: »Sie reden, als ob in Ihnen nichts mehr Rechtes aufleben könnt' und dabei…« Hier brach sie den Satz in der Hoffnung ab, dass ihn Markus ergänzen und beantworten würde.

Der junge Mann erfüllte wirklich ihre Erwartung, indem er sprach: »Sie wollen sagen, dass dabei doch diese Liebe für Sie in mir mächtig geworden ist.«

»Ja, ja«, sagte sie, während ein helles Rot über ihr Gesicht flog. Sie war überglücklich, weil er nun doch das Wort »Liebe« über die Lippen gebracht hatte. Dann stellte sie die Frage: »Halten Sie denn diese Liebe für nichts Rechtes?«

»Sie ist jedenfalls das Beste, was ich fühl'«, antwortete er. »Ich fühl' ja nun nichts als sie…«

»Und ich wär' zufrieden, wenn Sie sonst nichts mehr fühlen könnten und wenn Ihnen sonst nichts übrig bliebe, als nur dieser Lieb' zu leben«, erwiderte sie.

»So wird mir nun wirklich sonst nichts übrig bleiben«, sagte Markus, und dann reichte er ihr die Hand. Zu einer anderen Zärtlichkeit als zu diesem Händereichen kam es zwischen den zwei bei ihrer Verlobung nicht.

Sie spürten beide Lust genug, sich in die Arme zu sinken, aber Markus beherrschte sich, weil er es für ganz selbstverständlich hielt, dass er sich bis zu seiner Hochzeit beherrschen müsste. Pepi wartete ein Weilchen sehnsüchtig darauf, dass er sie küssen würde, und weil er dann dies nicht tat, achtete sie dafür seine Liebe noch mehr als zuvor. Markus hatte jetzt das Gefühl, dass er durch diese große Entscheidung ein anderer geworden sei und dass er fürderhin nur hauptsächlich ihr gemäß denken und sorgen müsste. Deshalb sagte er nun lächelnd:

»Du hast mir vorhin nicht Zeit dazu gelassen, dass ich dich noch eines fragen konnt'. Ich möcht's wissen, ob du's denn bedacht hast, dass ich sonst nichts bin als ein bettelarmer Bauernknecht.«

»Ich weiß, dass du ein wunderbar lieber, guter Mensch bist«, antwortete sie ihm. »Ich will nichts mehr Schöneres von dir wissen als das, was ich schon weiß. Dass wir zwei uns haben, das ist mir genug. An das, was wir sonst miteinander zum Leben haben werden, kann ich jetzt nicht denken, du wirst's begreifen, dass ich bei meiner Lieb' an so was jetzt nicht denken kann. Gibt uns Gott nichts außer dieser Lieb', so müssen wir halt miteinander sterben. Ich leb' freilich so gern' und hätt's gern recht gut. Gelt, das verübelst du mir ja nicht, dass ich's so viel gern gut hätt'!«

Sie sprach da ganz aus ihrem wirklichen Gefühl heraus, davon war Markus auch überzeugt. Dass sie es gut haben wollte, hielt er für recht und für begreiflich, und dennoch erschreckte ihn dieses ihr einfaches Geständnis. –

»Nicht wahr, du hast wohl gar bei eurem langen Armsein die Armut hassen gelernt?« fragte er.

»Nun freilich«, erwiderte sie aufrichtig, »das wirst du dir ja wohl vorstellen können.«

Er nickte. »Ja, das kann ich mir vorstellen.«

»Ich hab' ja auch ein zu begehrliches Herz«, sagte sie. »So viel Schönes möcht' ich, und ein richtiges Großstadtmädel bin ich halt teilweis. Dagegen kann ich mir gar nicht helfen, dass ich so viel mehr wünsch', als ich sollt'. Aber bei dir möcht' ich auch das Armsein ertragen – wenn es durchaus sein müsst.«

Markus erwiderte nun ein Weilchen nichts, blickte mit gesenktem Kopfe zum Boden nieder und überlegte, wie er sich nun entscheiden sollte. Er sagte sich: Sie nimmt mich mit meinem seelischen Elend hin. Soll sie meinetwegen auch die Armut und Entbehrung leiden, deren sie ein anderer überheben könnt'? Und soll ich ihr, indem ich sie aus ihrer Vaterstadt, an der so viel hängt, in meine Einschicht entführ' – ein Glück wieder nehmen, das ich ihr erst gegeben hab'? Nein. Ich werd' jetzt ihretwegen dableiben und ihr doch ein gewisses Wohlleben schaffen müssen. Und das kann ich nicht anders, als indem ich mir von der Erbschaft viel behalt'. So ist's jetzt erst durch dieses Weib mit meinem lieben Teilungswerk völlig aus. Jetzt fühlte er um sein Werk ein neuerliches tiefes Weh, und es wollte ihn sogar eine Reue anwandeln, weil er sich von seinem Empfinden hierhertreiben ließ, aber als er Pepi wieder ansah, wusste er, dass er ihr nun nicht mehr widerstehen konnte und dass sie ihn darüber trösten würde. –

»Du sollst bei mir nicht auch die Leiden der Armut tragen müssen«, sagte er. »Ich will die Teilung unterlassen, die mir ja sowieso nicht recht gelungen wär', und will mir den Gedanken an sie, so viel ich kann, aus dem Kopf schlagen. Es zwingt mich zu diesem Vorsatz, so schlecht und erbärmlich er auch sein mag.«

Da lachte ihn Pepi mit einer hellfrohen Miene an. »Du könntest gar keinen vernünftigen Vorsatz fassen«, sagte sie. »Der Leopold und ich, wir haben so schwere Sorgen wegen dieser Teilung gehabt. Ganz sicher haben wir's gewusst, dass du damit die Unrechten übermütig und dich selbst unglücklich machen wirst. Ein fürchterlicher Jammer war's für uns, dass du das Glück hinwerfen willst, das du jetzt hast. Du brauchst den Reichtum so viel wie selten ein anderer. Wer so gut, so barmherzig ist wie du, der könnt' in der jetzigen Zeit – damit ihm das Herz nicht tausendmal brechen müsst' – gar nicht reich genug sein, so sagt Leopold. Deinesgleichen gebührt der Reichtum, damit du geben kannst, wo du beim Versagenmüssen unglücklich wärst. Aber so hinwerfen darfst du ihn nicht, wie du es gewollt hast. Gott sei Dank, dass du jetzt von dieser Teilung abstehst! Gott sei Dank? Früher, wie ich nur ganz allein an meine Lieb' gedacht hab', da war mir so, als ob ich gar nimmer glücklich werden könnt'. Und jetzt, wo ich weiß, dass wir nicht arm sein werden, bin ich doch noch glücklicher als zuvor.«

Sie kehrte sich dem Fenster zu, breitete gegen das Freie hin die Arme aus und jubelte: »Nimmer arm! Nimmer arm! Elend zieh' ab!« Dann wirbelte sie in einem tollen Tanze durch das Zimmer. Sie war aufgelegt, den Markus mitzureißen, wagte es aber nicht, ihn zu berühren. Ihn erfreute ihre Fröhlichkeit, und er staunte mit heißer Sinnenlust über die geschmeidigen Bewegungen ihres schönen Leibes. Noch glücklicher als über diese Augenweide war er deswegen, weil er es den vorigen Worten Pepis entnahm, dass sie es nicht nur selbst gut haben wollte, sondern dabei auch an das Beglücken anderer Menschen dachte.

»Wir zwei werden zusammenpassen«, sagte er zu sich, und in dieser jetzigen Stimmung schien ihm sein Vorhaben nur umso berechtigter. »Vielleicht ist's doch so recht, wie sich's nun fügt«, dachte er. »Wenn jetzt der alte Strölkamp da wär', tät er vielleicht sagen: G'rad wie's dich jetzt treibt, so geh' halt, Bub' – anders kannst du ja nicht. Und an diesem Weib' darfst du dich wohl erfreuen, das ist das Richtige für dich, und von deinem Reichtum gib halt, sooft dich dein Herz dazu zwingt. Bleib du und tu schön langsam recht, weil's dir nicht g'schwind gelingen will.«

Bei diesem Nachdenken sah er wieder von der Pepi auf den Boden hin, bis sie ihn lachend aufstörte.

»Wie laut werd' ich denn bei dir alleweil sein müssen, damit du mich nicht immer wieder vergisst?« scherzte sie. »Oder hast du jetzt vielleicht gar zu viel an mich gedacht?«

»Nein, g'rad wie sich's gehört, hab' ich an dich gedacht«, antwortete er, und sie sah ihn nun eigentlich zum ersten Male wirklich heiter lächeln. Er kam ihr nun noch viel schöner vor als bisher, und sie fühlte bei dem Gedanken, dass er sie in naher Zeit küssen würde, einen wahren Wonneschauer.

»Wir gehen jetzt zur Benna«, sagte er. »Die soll die erste sein, die von unserem Glücke hört. Wenn sie zunächst auch Bedenken gegen unsere Heirat haben sollt', – so sei ihr deswegen nicht feind. Über unser Glück tät' sich ja schließlich doch kein Mensch so viel freuen wie sie.« Er wartete dann im Zimmer, während sich Pepi in der Küche umkleidete. Als sie zu ihm zurückkam, sagte er ihr es mit seinen Blicken, dass ihm ihr ziemlich neumodischer Anzug missfiel. Sie wurde auch rot und sagte: »Wart' nur, sobald es mir möglich ist, kleid' ich mich ganz nach deinem Geschmack. Ich denk' mir's schon, dass du nur das vollständig Einfache magst.« Und dann fügte sie hinzu: »Und bei aller Einfachheit werde ich in meinen künftigen Kleidern doch schön sein. Dass du nichts Hässliches magst, weiß ich ja auch. Nun warte nur!«

Ihr Versprechen befriedigte ihn.

Bald nachher saßen sie nebeneinander auf der Trambahn und fuhren dann auf der Reichsstraße bis zu der Einmündung jenes Weges, der zu dem Schwemeißerhof führte. Als sie zwischen den Gärtnereien in die Talmulde hinab schritten, leuchteten der Pepi bei dem Anblicke des großen Gutes die Augen. »Nicht wahr, der ganze Talkessel gehört zu dem Schwemeißerhof?« fragte sie und, nachdem Markus genickt hatte, jubelte sie: »Das wird herrlich sein! Mitten im Grünen und doch ganz neben meiner lieben Stadt, die ich in meinem Leben nimmer verlassen mag! Sollst sehen, wie ich da als Gutsfrau schaffen werd'. Ich kann alles, wenn ich will! Und dann nach fleißiger Arbeit wollen wir manchmal zu einer feinen Musik oder in ein gutes Theater.«

So plauderte sie, und es ward deutlich, wie sie sich auf ein richtiges Hausmutterleben freute. Markus fand ein so inniges Vergnügen an ihrem ungeheuchelten Glücke, dass er sich während einer hübschen Weile gar nicht an die Verzweiflung erinnerte, in welcher er vor etlichen Stunden von hier fortgegangen war.

Nachdem auf einer beträchtlichen Wegstrecke nur sie allein gesprochen hatte, gab er ihr endlich die Antwort. »Dein Eifer für dein künftiges Wirken freut mich ja genug, ich bleib' auch gern mit dir in deiner Heimat, aber wie ich mit den auf dem Schwemeißergute ansässigen Arbeitern nach all dem, was nun zwischen mir und ihnen gewesen ist, werde wirtschaften können, das weiß ich nicht. Ich werd' einen gar schweren Stand mit ihnen haben. Die meisten von ihnen werden gleich meine Feinde sein, sobald sie es erfahren, was ich nun will.«

»Das ist wahr«, sagte Pepi. »Die große Lieb' ist schuld, dass ich daran nicht schon früher gedacht hab'.« Dann fragte sie: »Gelt, entlassen magst du sie nicht?«

»Gott behüt!« rief Markus. »Da möcht' ich lieber von einem jeden gar viel erdulden, als ihn entlassen! Und ich glaub', die meisten von ihnen täten auch von mir viel erleiden, ehe sie von hier fortziehen möchten. Dieser Boden ist ja ihre Heimat. Fast alle diese Familien leben hier seit vielen Jahren, und es ist keine unter diesen Hütten, die, obgleich sie ja zum Schwemeißergut gehört, nicht jemand als sein Vaterhaus lieb wär'. Der Schwemeiß hat eben dadurch viel Gewalt über seine Arbeiterfamilien gewonnen, indem er einer jeden ein eigenes Haus angewiesen hat. Dieser Boden ist ihnen als die Heimat lieb geworden. Und mein Großvater hat aus ihrer Heimatlieb' eine Sklavenkette zu machen gewusst. Ich werde sie jedenfalls nicht knechten wie er.«

»Du tät'st ihnen ein gar zu guter Herr sein«, sagte Pepi. »Und dafür tät'st du viel leiden müssen.«

»So wird es wohl auch werden«, meinte Markus.

»Nein!« rief nun Pepi. »Da weiß ich jetzt einen Rat. Du verkaufst dieses Gut und kaufst irgendein anderes, ein kleineres, das sich leichter bewirtschaften lässt und womöglich noch näher an der Stadt liegt als dies da.«

Markus blieb stehen, sah erst sinnend vor sich hin und dann in ihr Gesicht. »Da tät' ich ja gewissermaßen auch diese Leut' verkaufen, bedenk' doch, Pepi! Und wenn sie dann wieder einen schlechten Herrn bekämen?«

»Wir wollen einen guten suche!« rief sie. »Ich will dir einen suchen helfen!«

»Ich will daran glauben, dass wir so einen finden könnten«, sagte Markus, »aber soll ich denn nicht wenigstens deshalb hier bleiben, um helfen zu können, wenn einer oder der andere dieser Menschen so hilfsbedürftig werden tät, dass selbst ich's zu erkennen vermöcht'?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Markus, deshalb brauchst du nicht just auf dem Schwemeißerhof zu leben. Wir wollen uns nicht so fern von hier ansiedeln, dass wir nicht das Wichtigste von dem, was hier vorgeht, überwachen könnten. Ich will schon mit dir wachen. Verlass dich nur auf mich. Ich hab' viel bessere Augen, als du glaubst.« Sie sah ihn nun so lieb an, dass sein Wille vor dem ihren dahinschwand. »Du musst mir folgen«, sagte Pepi und forschte kann: »Siehst du es denn nicht schon, dass es zu deinem Glücke ist, wenn du mir folgst?«

»Ja«, sagte er. »Wenn ich dir vorhin widerstanden hätt', wie du wolltest, dass ich reden soll – wie unglücklich ging ich jetzt heim! Ja, du bist mein Glück, und ich will daran glauben, dass du mir besser rat'st als ich. Wir verkaufen den Schwemeißerhof und siedeln uns irgendwo anders bei deiner lieben Stadt an.«

Nach kurzem Nachdenken redete er halblaut vor sich hin: »Der Liebrich sollt' mir das Gut abkaufen, ja, der Liebrich! Das ist hier der einzige Mann, den ich kenn' und dem ich trauen darf. So wie er jetzt ist, tät er den Arbeitern ein guter Herr sein. Er soll es ihnen zeigen, dass er viel besser sein kann, als er es war. Und die Benna sollt' es verhüten, dass er rückfällig wird! Die Benna sollt' hier neben ihm walten. Das wär' nun die richtigst' Herrin für den Schwemeißerhof. Wenn die hier wirkt, so geht wohl keiner deswegen zugrund', weil ich ihm was schuldig blieben bin. Ja, der Liebrich und die Benna gehören jetzt miteinander auf den Schwemeißerhof!«

Pepi hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: »Nun weißt du ja doch selbst einen Käufer.«

»Ja«, antwortete Markus. »Ich hoffe, dass wir keinen anderen suchen brauchen.«

Dann traten sie in das Haus und fanden die Benna in dem größeren der zwei Vorderzimmer. Sie saß noch am Fenster und strählte die lichten Haare eines erbärmlich verwahrlosten kleinen Mädchens, das vor ihr stand und sich mit beiden Händchen an ihren Knien hielt.

Auf ihrem Gesichte spiegelte sich ein schreckhaftes Staunen, als sie die zwei jungen Leute miteinander kommen sah.

Sie merkte es den beiden an, dass nun zwischen ihnen etwas Großes bestand, und ahnte es auch gleich, was es sein könnte.

»Da gibt's schon wieder was Neues!« rief sie. »Und nichts Geringes! Redet nur gleich! Redet!«

Pepi beugte sich nun zu ihr nieder, küsste ihr die eine Hand, welche die Haarsträhne des Kindes hielt, und Markus sagte: »Wir haben uns verlobt!«

Benna erhob sich und setzte das kleine Mädchen behutsam auf den Stuhl. Es war ihr anzusehen, dass sie vor Aufregung zitterte, und dennoch streichelte sie den Kopf des Kindes und sagte in einem zärtlich begütigenden Tone: »Sitz' jetzt ein bissl still, Greterl! Gleich red' ich wieder nur ganz allein mit dir. Und fürcht' dich nicht, wenn ich jetzt mit diesen Leuten da streiten tu'.«

Die Kleine gab es mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ruhig bleiben wollte, und Benna wandte sich an das Brautpaar: »Die Verlobung kommt mir zu schnell, als dass ich mich gleich darüber freuen könnt', und sie ist auch gewiss nicht recht, weil sie so g'schwind zustand kommen ist. Dass ihr euch seit ein paar Tagen gern habt, das weiß ich ja, aber ihr seid zwei so grundverschiedene Menschen, dass ihr von Rechts wegen hübsch lang darüber nachforschen müsstet, ob ihr euch verloben dürft. Ich wünsch' es, dass ihr zusammenpasst, aber glauben tu ich's derweil noch nicht. Und ihr könntet es auch noch nicht glauben, wenn ihr heut richtig bei Vernunft wäret. Dass du heut ohne deine sonstige Vernunft ausgangen bist, das weiß ich ja, Markus.«

»Unsere Verlobung ist dennoch ganz richtig an der Zeit«, sagte Markus. »Und sie ist auch bei hinreichender gegenseitiger Erkenntnis erfolgt. Daran wirst du glauben müssen.«

Benna staunte über die Sicherheit, welche aus seinen Worten klang, aber sie hielt doch dafür, dass er sich teilweise zufolge der verzweiflungsvollen Stimmung verlobt hatte, in welcher er heute Morgen ausgegangen war.

»Ich mein halt, wenn du recht bei dir wärest, so müsstest du mehr daran denken, dass du zu was Größerem als zum Verloben auf den Schwemeißerhof gekommen bist«, sagte sie. »Erst wenn du dieses Große vollbracht hättest, wär' zu Minderem Zeit. Verlobte sind zu zerstreut, um so sehen zu können, wie du hier sehen solltest.«

Markus erklärte nun in seinem entschiedeneren Tone: »Die Teilung bleibt aus. Den Hof verkauf' ich, dass wir ruhiger leben können. Das ist alles mein fester Entschluss.« Bittend fügte er dann hinzu: »Benna, find' dich drein und red' nimmer dagegen, denn es wär umsonst. Es tut mir leid genug, dass ich zu dem großen Werk zu elend und zu dumm bin – red' du nicht weiter davon, wenn du nicht an meiner wehesten Stell' reißen willst.«

Benna rief nun: »Dein Leid um das Werk ist nicht groß genug, und ich möcht's wohl vergrößern können, damit du daneben die Leidenschaft nicht fühlen könnt'st, wegen der du dich für dieses Mädl entscheid'st. Dass du dich so von der Weiberlieb' treiben lässt, das ist mir freilich ein Beweis, dass ich mich an dir geirrt hab'. Du bist nicht der große, außergewöhnliche Mensch, von dem ich mir einbild't hab', dass ihm die richtig' Menschenlieb' allzeit über so eine Liebesleidenschaft gehen wird. Bei der ersten großen Versuchung zeigt sich's jetzt, dass du g'rad so ein gewöhnlicher Weiberfeck bist wie alle anderen, denen gegenüber du dich so viel besser g'fühlt hast. Von dem, was ich und andere an dem Markus Baldringer für das Schönste gehalten haben, ist jetzt nichts da. Du selbst und wir alle waren über dich in einem Irrwahn. Nur noch bitteren Spott und Hohn kann ich jetzt über die vielliebe Meinung haben, die ich von dir gehabt hab'.«

Jetzt fing sie zu weinen an. Schluchzend redete sie weiter: »Gott weiß es, wie viel ich mit dieser Meinung verloren hab'. Vor mir selbst muss ich mich schämen, weil ich mit dir hierher gegangen bin. Und vor allen, die mich sehen, werd' ich mich nun schämen müssen. Allerweltsnarr werd' ich jetzt durch dich.«

Da trat Pepi zu der Weinenden und redete sie an: »Sie stehen da auf einem ganz falschen Standpunkt…«

Benna erwiderte ihr in einem verächtlichen Tone: »Das glaub' ich Ihnen wohl, dass Sie sich für gescheiter halten als mich. Die Allgemeinheit wird Ihnen auch darin recht geben, dass Sie den Markus von der Teilung abbringen und sich gut versorgen wollen. Dass sie das wollen, ist mir jetzt klar, seit ich weiß, dass der Markus nicht teilen will. Aber deswegen ist mein Standpunkt doch der richtige. Zuvor, als ich geglaubt hab', Sie seien gesonnen, mit dem Markus arm zu bleiben – hab' ich Sie lieben lernen wollen. Jetzt wo ich seh', dass Sie ihn schlecht machen wollen und ihn sogar schon zu einem so schlechten Vorsatz verlockt haben, jetzt bin ich entschieden gegen Sie.«

Der Pepi, die sich nun nicht wenig beleidigt fühlte, lag eine heftige Antwort auf der Zunge, aber sie beherrsche sich und sagte bloß: »Wenn Sie mit Ihrem Urteil über mich schon so weit fertig sind, so kann ich mir eine Rechtfertigung ersparen.« Damit eilte sie zur Türe hinaus.

Markus sah seine Base mit traurigen Mienen an. »Ich hab' sicher darauf gehofft, dass du sie zu den Deinen aufnehmen würd'st«, sagte er, dann ging er der Geliebten nach.

Auf dem Hausanger holte er sie ein. Sie weinte, als er sie ansah. »Leid' halt das für unsere Lieb'«, bat er sie.

»Wirst du dem Zureden dieser Verwandten widerstehen können?« fragte sie ängstlich.

»Ja, verlass dich darauf«, antwortete er. »Sie war mir die Nächste, und sie hätt' das neben dir bleiben können, was sie mir war. Es wird mir arg weh tun, wenn sie mich verlässt. Aber mich könnt nun kein Unglück auch nur eine Weil' darauf vergessen machen, dass du mir jetzt die Nächste bist.« Pepi beruhigte sich nun. Als sie zwischen den Bretterzäunen der Gärtnereien hingingen, drückte er ihr mehrere Banknoten, welche ihm Egid gegeben hatte, in die Hand. »Das wirst du jetzt als Braut notwendig brauchen«, sagte er.

Obgleich sie das Geld gerne genug annahm, fuhr ihr doch eine Schamröte in das Gesicht.

»Ich nehm's ja gern«, sagte sie. »Aber traurig ist's, dass du mir die Ausstattung kaufen musst.«

Er war froh, weil er ihr dieses erborgte Geld geben konnte. Beim Hofverkauf soll's der Liebrich zurück haben, sagte er sich, und der Armen, für welche er es erborgt hatte, vergaß er nun bei seiner Liebe ein ziemliches Weilchen.

Auf der Reichsstraße verabschiedeten sich die zwei voneinander. Dann fuhr Pepi nach der Stadt, und Markus begab sich in den Schwemeißerhof.

Hier traf er den Egid bei der Benna. Die beiden jungen Leute saßen einander am Tische gegenüber, und Benna hatte jenes kleine armselige Kind auf dem Schoße. Egid war hauptsächlich deshalb gekommen, weil er das schöne Mädchen wieder sehen wollte und auch, weil er neugierig war, wie der Besuch des Markus bei den Biegenwüls ausgegangen war. Nun hatte Benna zu ihm schon aufrichtig genug über diese Verlobung gewettert und geklagt. Egid hatte zu einer Erwiderung kaum noch Zeit gefunden, als Markus in das Zimmer kam. Ein Mitgefühl brauchte er diesmal nicht groß zu heucheln, weil er ja gleich durch den Gedanken, dass Markus nie als Erbonkel in Betracht kommen würde, in ehrliche Aufregung geriet. Er ging dem Baldringer entgegen und rief: »Nun, das darf nicht geschehen. Ich könnt' das Unglück nicht ansehen, in das du dich da stürzen willst; und ich könnt' doch nicht von dir weichen!«

»Gebt diesen Kampf auf, er nützt euch nichts«, sagte Markus. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und sprach, an den Liebrich gewendet, weiter: »Ich werd' den Schwemeißerhof verkaufen und kauf' mir dann ein kleines Gütl da in der Gegend. Kauf' du mir den Hof ab, Egid.«

Dass Markus nun so gesonnen war, hatte bisher Egid nicht gewusst. Einige Sekunden lange machte ihn die Überraschung geradezu starr. Er hätte schon längst gerne das Schwemeißergut und sein eigenes zu einem einzigen gemacht, ohne jedoch daran zu glauben, dass ihm das einmal möglich werden könnte. Mit dem alten Schwemeiß hatte er eines solchen Kaufens wegen niemals Meinungen ausgetauscht, weil er wusste, dass ihm da ein übertriebener Preis genannt worden wäre.

Der Gedanke, dass er von dem Baldringer die schöne Wirtschaft wohlfeil bekommen könnte, war ihm nun gleich so lieb wie kein anderer. Es erfüllte ihn ein freudiger Geschäftseifer, von dem er sich aber klugerweise nichts anmerken ließ. Er gab seinen Mienen den Ausdruck eines kummervollen Ernstes, indem er fragte: »Weshalb machst du gerade mir dieses Angebot? Weshalb?«

»Weil ich überzeugt bin, dass du und Benna hier an euren Arbeitern doch etwas von dem gutmachen werdet, was ich an ihnen verbrechen muss. Ich glaub', ihr passt so richtig als Herrenleut' auf den Schwemeißerhof wie gar keine anderen Menschen. Ich red' da, als ob ihr schon verlobt wäret, aber vielleicht geb' ich euch eben damit einen Grund zu eurer Verlobung, der noch schöner ist als eure Liebe.«

Er blickte erwartungsvoll von dem einen zu der anderen. Benna saß zunächst schier fassungslos da, aber Egid fand sich schnell und mit Freuden in die neue Lage. Er stand auf, trat vor Benna hin und sagte in einem innigen Tone: »Sie werden es begreifen, Fräulein Benna, dass ich ihm nun mit keinem »Nein« antworten kann. Wollen Sie es, dass ich für uns beide das Schwemeißergut kaufe? Dass er keine Käufer finden wird, die hier so wirken könnten wie wir, das werden Sie wohl so sicher wissen als ich. Aber als unseren großen Verlobungsgrund möcht' ich deswegen doch denjenigen betrachten, den nun Markus als den kleineren hinstellen will. Wenn Sie nun meine Frage, ob ich den Hof kaufen soll, nur mit einem Ja beantworten, so bin ich auch über das andere beruhigt. Machen Sie mich glücklich und sagen Sie dieses Ja.«

Benna war schon wieder im Besitze ihrer Fassung. Zu einem langen Überlegen schien ihr da freilich keine Zeit mehr zu sein. Sie hielt ihre Liebe zu Egid für groß genug, um ja sagen zu können, aber größer als diese Liebe war in ihr doch der Wille, für den Markus das Werk zu tun, das er unterlassen wollte. Sie stand auf, setzte das Kind auf ihren Stuhl, streichelte es begütigend, und dann sagte sie zu Egid:

»Kaufen Sie den Hof. Markus soll ihn billig geben. Und vollbringen Sie und ich miteinander hier die Teilung, die er unterlassen hat. Wir beide werden dann wohl viel ärmer sein als jetzt, aber sicherlich viel besser und glücklicher. Sind Sie zu diesem Werke entschlossen, so werde ich Ihr Weib.«

Schon während sie sprach, sah sie, dass ihn ihre Worte zutiefst erschreckten und dass er deshalb nimmer so gut und ihrer so viel würdig werden könnte, wie sie das gehofft hatte. Er aber sah, dass sie von ihrer Bedingung auf keinen Fall abstehen würde. Und er wollte diese Bedingung auf keinen Fall erfüllen. Aber noch ehe er in seiner großen Enttäuschung und Verlegenheit ein Wort hervorbringen konnte, sagte Benna: »Sie brauchen mir nicht mehr antworten. Ich sehe Ihnen mehr an, als Sie mir sagen würden. Einer, der sich über das Rechte so viel schreckt wie Sie, der könnt' niemals zu mir taugen.«

Liebrich stammelte: »Die Bedingung, die Sie mir da stellen, ist ja so ungeheuerlich…«

Sie unterbrach ihn: »Wenn Ihnen das Rechte ungeheuerlich erscheint, was soll ich mit Ihnen da noch reden. Verlassen Sie uns, ich bitte Sie. Ich weiß nun, dass Sie auch dem Markus niemals ein wahrer Freund sein könnten.«

»Glaubst du das auch?« fragte Egid den Baldringer.

Markus zuckte die Achseln. Dann antwortete er aufrichtig: »Ich zweifle jetzt wenigstens wieder an dir.«

Da wandte sich Egid von den beiden ab und ging rasch zur Türe hinaus.

Zunächst schwiegen die zwei Baldringer ein Weilchen, dann sagte Benna: »Jetzt ist all' das aus, z'wegen dem ich hierher gangen bin – mein' Lieb' und das ander' auch. Nur eins hab' ich hier g'funden, das kleine Dirnderl da. Das nehm' ich mit in mein' Heimat, dass ich doch auch was hab', dem ich jetzt mein Leben widmen kann. Ja, jetzt geh' ich heim und leb' nach dem Strölkamp sein Wort. Wenn ich ihm nur gleich gefolgt hätt' und daheim blieben wär'.« Jetzt wandte sie sich erst ganz an den Markus. »Während du heut' bei deiner Pepi geglüht hast, du elender Mann du – bin ich zu einer sterbenden Arbeiterfrau gerufen worden. Die könnt' nun von dem Teil, den du ihr schuldig geblieben bist, sowieso nichts mehr kriegen, denn sie ist tot. Ich konnt' ihr auch von ihrem Teil für ihr Kind nichts versprechen, weil ich ja nicht wusste, wie du dich entschließen wirst. So hab' ich ihr dann doch noch das Sterben erleichtert, indem ich das Gretl an Kindes Statt angenommen hab'. Und jetzt hab' ich nur noch ein Begehr an dich. Wenn dir der Egid Geld geborgt hat, so gib mir etliche Gulden davon.«

Markus legte das Geld auf den Tisch hin.

Benna nahm eine Zehnguldennote und sagte dann: »So. Jetzt pack ich mein' Binkel. Und nachher reisen wir zwei miteinander heim, mein lieb's Greterl.«

Sie nahm das Kind an der Hand und führte es in das Nebenzimmer. Markus ging ihnen nach. In dem kleinen Raume wandte sich Benna nach ihrem Vetter um und fragte: »Willst du mir noch was sagen?«

»Ich möchte' dir's sagen, wie mir ist, weil du nun so von mir gehst. Aber wie sollt' ich dir das schildern…«

Sie zuckte die Achseln. »Wenn's dir weh genug tät', dass ich jetzt von dir gehen muss, so tätest du danach, dass ich bleiben könnt'.«

Ein Weilchen hoffte sie nun fest darauf, dass er ihretwegen in seinen jetzigen Entschlüssen wankend werden würde. Aber er sagte: »Ich kann nicht anders. Ich hab' die Pepi so viel lieb, und drum kann ich nicht anders. Verarg' mir doch diese Lieb' nicht gar so viel, Benna. Du hast doch alleweil so viel Erbarmen für mich gehabt.«

»Z'wegen dieser Lieb' verdienst du jetzt keines«, sagte sie. »Hast du gesehen, wie schnell ich mit der Meinen fertig worden bin um der gerechten Sach' willen? Noch gar keinem Menschen hab' ich was so viel verargt als wie dir diese Lieb'. Wenn du sie nicht aus deinem Herzen reißen willst, so halt' mich jetzt da bei meinem Packen nicht auf. Geh'!« Sie schob ihn über die Schwelle hinaus und machte die Türe hinter ihm zu.

In einer Weile darauf ging sie zum Tore des Schwemeißerhofes hinaus. Auf dem Rücken hatte sie ihren Wanderpack, und an der Hand führte sie das Kind.


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