Ludwig Ganghofer
Der Besondere
Ludwig Ganghofer

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8

Wäre das harte Wort, das Zäzil gesprochen hatte, von einem verräterischen Windhauch getragen, hinuntergeklungen bis zu Martls Ohr, er hätte nicht finsterer blicken können als eben jetzt, da er unter den leise rauschenden Bäumen hervortrat auf die breite offene Gasse, die der Frühlingssturm durch seinen Wald gerissen. Schwer atmend nahm er den Hut ab und trocknete die feuchte Stirn. Noch trüber wurde sein Blick, als er hinsah über den sonnenheißen Platz, auf welchem Axtschläge und rufende Stimmen hier und dort sich vernehmen ließen. Das Bild der Verwüstung, das vor seinen Augen lag, schien ihm schmerzlich in die Seele zu greifen. Wie herrlich war dieser Wald gestanden mit seinen ragenden Masten und schaukelnden Kronen! Und jetzt! Nur einzelne zersplitterte Strünke ragten noch in die Luft. In wirrer Menge lagen die geschälten Stämme durcheinander. Überall ein Wust von geknickten Zweigen und zerrissenen Rinden; beinah mannshoch deckten an manchen Stellen die abgeschlagenen, halb schon verdorrten Äste den Boden. Und wo der Grund noch frei lag, da war der einst so sanfte Moosteppich von grobem Unkraut überwuchert oder zerwühlt bis auf den felsigen Untergrund und durchsetzt von Schuttlöchern, die sich überall gebildet, wo die von der Riesengewalt des Sturmes jählings niedergedrückten Bäume ihren ganzen Wurzelstock aus der Erde emporgerissen hatten.

Ein paar Dutzend fleißiger Hände rührten sich auf dem Platze, man hörte die Sägen knirschen, und es hallten die Schläge der Axt. Hunderte von Stämmen lagen schon gemessen und gerichtet, um nach Einbruch des Winters auf glatter Schneebahn ins Tal geschleift zu werden. Die Abfälle dieser Blöcke, die zersplitterten Stämme und die stärkeren Äste waren zu Brennholz verarbeitet, das überall geklaftert stand und auf die Schlitten wartete, die es in fliegender Eile über die beschneiten Wege ins Dorf hinunterführen sollten. Das Holz hatte seinen Wert, und es war ein schönes Stück Geld, das der junge Bründlbauer an diesem Windbruch verdiente. Aber wie Martl so dastand, auf seinen Bergstock gestützt, mit schwermütigen Augen, war es ihm ohne Mühe vom Gesicht zu lesen, daß er den ganzen Gewinn mit Freuden hingegeben und gern noch ein wohlgezähltes Hundert blanker Markstücke dazu gelegt hätte, wenn ein freundliches Wunder den toten Wald wieder erweckt haben würde zu grünem Leben.

»So schön is er gststanden, mein Wald!«

Seufzend drückte Martl den Hut über die krausen Haare und mühte sich über das wirr liegende Astwerk hinweg, bis er zu zwei Holzknechten kam, die einen böse zersplitterten Stamm in kurze Stücke zersägten. Eine Weile sprach er mit ihnen über den Gang und den Stand der Arbeit, dann plötzlich fragte er: »Wo schafft der Sepp?«

Die beiden Knechte tauschten einen lächelnden Blick. »Da draußen hat er gschafft«, sagte der eine, »gleich da draußen am Weg. Aber mir scheint, er hat Gesellschaft gfunden, die ihm besser taugt hat wie 's Holzklieben. Dem Pfrointner sein Madl is auf d'Alm auffi, und der hat er die Kraxen nachtragen.«

»Hat halt ein mitleidigs Herz!« lachte der andere.

»Muß schon so sein, denn der Weg da auffi, der kann ihm doch nix Seltsams sein! Er is ihn ja oft gnug gangen!«

Martl brachte keinen Laut aus der Kehle. In seinen Schläfen hämmerte das Blut, und ihm war, als schlösse sich eine kalte Faust um seinen Hals. In seinem Kopf aber jagten sich die Gedanken, und in seinen Ohren klangen die spöttischen Reden der beiden Holzknechte mit allem zusammen, was ihm der alte Förster vorgeplaudert hatte. Nun wußte er, weshalb sich Sepp den ganzen Sommer hindurch so selten im Dorfe drunten hatte sehen lassen. Mehr als einmal hatte Martl den genügsamen Sinn und die Sparsamkeit des Burschen belobt, der seine Feierabende, die Nächte und jeden Sonntag, wie er sagte, lieber im Bergwald droben in einem aus Fichtenzweigen und Baumrinden gefügten Hüttchen verbracht statt dem Beispiel der anderen Holzknechte zu folgen, die am Feiertag den sauer verdienten Wochenlohn auf dem Tanzboden, hinter dem Biertisch und beim Kartenspiel verjubelten. Jetzt aber verstand Martl das merkwürdige Lächeln, mit dem der Bursch diese Lobsprüche immer eingesteckt hatte; jetzt wußte Martl, wo die Hütte stand und wie sie hieß, in welcher Sepp seine Sonntage gewiß nicht verschlafen hatte und auch nicht die mondhellen Nächte. Hastig wechselnde Bilder schossen vor Martls Augen auf: Er sah die Bachhuberin vor dem Förster stehen, sah, wie dem alten Weiblein die Zähren über das Fürtuch kollerten, aus Kummer um die Tochter, die zu Hause in einem Winkel kauerte und das Gesicht in die Hände vergraben hielt – es tauchte die Gestalt des Burschen vor ihm auf, schmuck und lachend – er sah ihn im schwankenden Nachen stehen, Zäzil zu seinen Füßen, umrauscht vom stürmischen See – und er sah ihn am Ufer, wie er die Arme jauchzend um dieses junge, schmucke Leben schlang und diese roten Lippen küßte! Dann wieder sah er sie beisammen stehen am Gartenzaun, hörte sie plaudern und scherzen und sah den Burschen lachend davonschreiten, mit den Blumen auf dem Hütl. Und jetzt wanderten die beiden hinauf durch den sonnigen Wald, Hand in Hand; sie erreichten die Hütte, Seite an Seite sitzen sie auf dem Herde, Zäzil allein mit ihm, mit diesem Heuchler, diesem Wilddieb und Verführer! Da steht dem Martl plötzlich wieder das alte Weiblein vor den Augen – aber nein, das ist nicht mehr die Bachhuberin! Seine Nachbarin ist es, die Bäuerin auf der Pfroint – und dort in der Stubenecke . . .

Martl fuhr mit der Hand an seinen Hals und riß den Hemdkragen auf: »So? So?« Dann nickte er einen wortlosen Gruß und stieg an den beiden Holzknechten vorüber, die ihm nachblickten mit verdutzten Gesichtern. »Was hat er denn?« brummte einer. Der andere zuckte die Achseln und lachte: »Was weiß denn ich!« Nun sahen sie, wie Martl stehenblieb und sich zurückwandte. Er hatte sich an das Versprechen erinnert, das er dem Förster gegeben. Mit heiser klingender Stimme rief er den zwei Knechten zu, daß sie hinuntersteigen sollten zum Förster, um ihm behilflich zu sein beim Heimschaffen des erlegten Hirsches. Dann eilte er weiter, wobei er sich oft mit dem Bergstock in hohem Satz über die liegenden Stämme hinwegschwang. Als er den freien Steig erreichte, streifte er mit finsterem Blick die am Wegsaum liegende Axt. Und so hastig wanderte er den steilen Pfad hinauf, daß ihm der Atem verging, noch ehe der Wald zu Ende war. Sein Gesicht war bleich vor Aufregung und Erschöpfung; er mußte sich zu kurzer Rast auf einen Wurzelstock niederlassen. Da sah er ein Blatt Papier vor seinen Füßen liegen. Er griff danach; es war ein abgerissenes Stück von einem Briefe, mit ungelenken, zittrigen Buchstaben beschrieben, und Martl las:

 . . . den ganzen Sommer nix von dir hören laßt, wo ich mich so viel kimmern tu um dich und schier nich zun leben hab. Gottlob das die gutten Nachbarsleut net ganz auf mich vergessen, aber net sagen kann ichs wie mir das in Herzen weh tun muß, daß ander Leut besser sind zu mir, als mein leibligs Kind, wo ich untern Herzen tragen und gsorgt hab mein Leben lang in Noht und Sorgen. Dein Vater selig müßts in Grab umdrehn, wenn ers wissen tät, aber gottlob das er nichts net weiß, wo er mich soviel gern ghabt hat, der gutte, brave Mo, und wan er jez wissen müßt, wie ich mich hinsorgen mus auf meine alten Tag, und allweil noch fürchten müssen, daß einmal was anfangst und was aufkommt von deine Sachen, völli zidern muß ich Tag und Nacht. Schau ich bitt di gottstausendmal mein lieber Bub, sei doch einmal gscheid und las dir was sagen, meints dir ja kei Mensch net besser, weil halt die Mutterlieb is wie ein Brunn ein tiefer, wo kein Mensch net ausschöpfen kann, und las dir sagen . . .

Anfang und Ende des Briefes fehlten. Von dem zusammengelegten Blatte war der Breite nach ein Streifen Papier abgerissen worden, wie man ihn wohl benötigt, um das im Pfeifenkopf wackelig gewordene Rohr damit zu füttern.

Martls Augen waren feucht geworden beim Lesen, eine Weile starrte er auf die kleinen runden Flecken nieder, unter denen hier und dort die ungelenke Schrift verschwommen war; dann wog er das Blatt auf der flachen Hand – es war so leicht, und der Kummer doch so schwer, der aus diesen stammelnden Zeilen sprach. Da wehte ihm ein Windhauch das Blatt aus der Hand, es gaukelte quer über den Pfad und flatterte zwischen die Bäume.

»Ja, Briefl, hast recht . . . was das arme Weibl gschrieben hat in dir, es war in Wind einigredt!«

Aufseufzend erhob er sich und eilte dem offenen Almgehänge zu. – –

Sepp und Zäzil hatten inzwischen die Hütte fast erreicht. Nur langsam kamen sie vorwärts; die abgeweideten Grasflächen waren schlüpfrig und die Viehsteige durchweicht vom Schneewasser. Auch sonst war die Wanderung vom Waldsaum über das Almfeld keine sehr behagliche gewesen. Mit dem Augenblick, da die Rede auf den jungen Bründlbauer gekommen, war Zäzils gute Laune verflogen. Sie gab auf die zutunlichen Reden des Burschen nur kurze, ausweichende Antworten, so daß er schließlich stehenblieb und ihr gekränkt in die Augen sah.

»Madl? Was hast denn auf einmal? Ich kann dich doch um Gottes willen net beleidigt haben?«

Zäzil schüttelte den Kopf.

»No schau, ich tät mir ja lieber die Zung abbeißen, vor ich zu dir ein unguts Wörtl sagen möcht. So geh . . . gib mir d' Hand drauf, daß mir gut bist.« Er bot ihr die Hand hin, und ohne Zögern schlug sie ein. »Jetzt is mir ein ganzer Stein vom Herzen!« lachte er glückselig. Und da entzog sie ihm errötend ihre Hand, die er etwas gar zu zärtlich gedrückt hatte.

Zäzil schien ihre gute Laune wiedergefunden zu haben, wenngleich sie dem Burschen keine Zeit ließ, ihre versöhnliche Stimmung zu nützen. Zu den himmelhoch getürmten Steinmassen deutete sie empor, die über dem Almfeld sich erhoben und deren Gehänge und Stufen von schwerem Schnee bedeckt lagen. Der würde, wenn er ins Rollen käme, wohl genügen, um das ganze Almfeld haushoch zu verschütten. Sepp lächelte und ging auf ihre Sorgen ein; er meinte sogar, daß die Sennhütte, die hart an den Fuß der Felswand angebaut war, auf einem recht gefährlichen Platze stünde. Diese Meinung aber wollte Zäzil nicht gelten lassen. Die Hütte stünde hier schon seit ihres Großvaters Zeiten, und wenn auch manch ein harter Winter dem alten Blockhaus schon übel mitgespielt hätte, so wäre es doch in jedem Frühjahr immer wieder heil hervorgetaucht aus dem schmelzenden Schnee. Der läge im tieferen Winter freilich bis hoch über das Dach, aber das wäre gerade gut so, weil dann die von den Felswänden niederstürzenden Lawinen darüber hinweggingen und der Hütte nichts anhaben könnten.

Unter solchen Gesprächen erreichten sie das von rohem Zaunwerk eingehegte, nun verwilderte Gärtchen, das die altersgrauen Blockwände der Hütte von drei Seiten umzog. Es war eine herrliche Aussicht, die man von dieser Stelle genoß. Ringsumher das weite Almfeld, von Wassergräben durchrissen, von schmalen Steinhalden durchzogen, quer über den Berghang hingedehnt in stundenweite Ferne, so daß die entlegensten Hütten sich ansahen wie kleine Steinblöcke, die in der Sonne schimmerten. Und tiefer dann der Wald mit seinen dunkelgrünen Wogen, die in der Nähe des Tales, wo der welkende Laubwald mit seinen grellen Farben begann, in ein rot und goldig leuchtendes Meer zu verrinnen schienen. Gleich einem blank geschliffenen Smaragd blitzte der See herauf, und winzigem Spielzeug glichen die Häuser des Dorfes, in buntem Wirrwarr ausgestreut über den fahlgrünen Talgrund, der durch weiße und rote Linien, durch die Sträßchen, Bretterzäune und welkenden Hecken abgeteilt erschien in zierliche Gevierte. Und rings um das herrliche Bild spannten die ragenden Felskolosse ihre steinernen Riesenarme, mit Schnee behangen, überwölbt vom klaren Blau des Himmels und umlagert vom majestätischen Schweigen der herbstlichen Bergwelt, das die Schneebäche mit ihrem gedämpften Rauschen kaum zu stören vermochten.

»Gfallt's dir da heroben? Gelt, da is schön?« lächelte Zäzil. »Mir geht 's ganze Herz allweil auf, wenn ich so aussischauen kann in d' Weiten.«

»Ja, schön, das muß ich sagen«, schmunzelte Sepp. »Das hätt ich halt früher wissen sollen! Da wär ich schon diemal auffigstiegen. Ich bin ein Freund von die schönen Aussichten, ein ganz ein bsonderer!«

Zäzil schaute zu ihm auf, doch als ihr Blick seinen lachenden Augen begegnete, wandte sie sich der Hütte zu, um mit dem Schlüssel, den sie aus der Tasche hervornestelte, die Tür aufzusperren.

Die Sennhütte des Pfrointners war einer der stattlichsten ›Kaser‹ weit und breit, nach ländlichen Begriffen fast schon ein Haus zu nennen. Ein breiter, mit Lehm ausgeschlagener Gang führte vom Eingang quer durch die ganze Hütte. Links von diesem Gang lag der große, jetzt leere Stall, der sein eigenes Tor ins Freie hatte. Zur Rechten gelangte man in die geräumige Sennstube, an die sich, gegen die Felswand, zwei kleine Kammern schlossen.

»Mein Gott, aber da schaut's aus!« seufzte Zäzil, als sie, dem Burschen voran, die Sennstube betrat, in der eine Unordnung herrschte, als hätte die Sennerin während der Arbeit die Hütte verlassen. Auf der langen Holzbank, die unter den zwei kleinen Fenstern in die Blockwand eingelassen war, standen allerlei Holzgefäße umher, ungewaschene Milchtücher hingen dazwischen, dünne Reiser und kleine Späne lagen auf den Dielen; und auf dem breiten, niederen Herde, der mit dem großen kupfernen Käsekessel fast die ganze der Tür gegenüberliegende Wand einnahm, lag zwischen halbverkohlten Scheitstücken noch die Asche des letzten Feuers.

Während Zäzil unmutig umherguckte, stellte Sepp die Kraxe auf den Herd, ließ zwischen den Fenstern den Klapptisch nieder und setzte sich auf die Bank. Zäzil legte ihren Hut ab, trat in eine der beiden Kammern hinaus, und als sie wieder erschien, hatte sie eine große, blaue Leinenschürze umgebunden.

»Was is denn? Pressiert's denn gar so mit der Arbeit?« fragte Sepp. »Sollst doch ein bißl rasten z'erst! Geh, setz dich her, plausch ein bißl, d' Arbeit lauft dir net davon.«

»D' Arbeit freilich net, aber meine Zeit, die lauft. Ich därf mich ordentlich tummeln, wenn ich alles sauber und in der Ordnung haben will, bis der Vater kommt. Und es wär mir schon gar net wohl, wenn ich alles so stehn und liegen sehen müßt vor mir. Je flinker ich zugreif, desto besser freut's mich.«

»Bist halt die Richtige, wie s' unser Herrgott net alle Tag auf d' Welt schickt. Mit dir wär einer aufgricht!« seufzte der Bursch und zeigte dem lachenden Mädel zwei fromme, sehnsüchtige Augen. Und leise, als wäre diese Meinung gar nicht für Zäzils Ohren berechnet, fügte er bei: »Schad, daß du grad in so eim reichen Bauernhof auf d' Welt hast kommen müssen.«

»Schad? Warum? Tust ja, wie wenn's ein Unglück war!«

»Ein Unglück für dich freilich net . . . aber wer weiß, leicht für ein andern!«

Zäzil erwiderte keine Silbe, sondern begann mit unruhiger Hast ihre Arbeit. Auch Sepp blieb stumm; er nickte nur langsam vor sich hin, atmete tief und fuhr sich mit der Hand über die Stirne. So saß er eine Weile. Dann griff er wie spielend nach Zäzils Hut, drehte ihn ein paarmal zwischen den Händen und sagte: »Da hast aber ein schönen Edelweißbuschen auf deim Hut! Wo hast ihn denn her?«

Zäzil zögerte mit der Antwort; dann sagte sie schmunzelnd: »Der Buschen? Heut nacht is er gwachsen an meim Kammerfenster.«

»Geh?«

»Ja, wie ich aufgwacht bin in der Früh, hat er mich anglacht durchs Fenster.«

»So stad is er gwachsen, daß gar nix ghört hast . . . in der Nacht?«

»Na, gar nix! Mein, wer jung und gsund is, hat halt ein guten Schlaf.«

Er blitzte sie mit seinen flinken Augen an, und da konnte er aus ihrem verschmitzten Lächeln ohne Mühe lesen, daß sie den ›Buschen‹ doch wohl hatte ›wachsen‹ hören. Wieder betrachtete er die gut erhaltenen Edelweißblüten und sagte: »Ein nobliger Buschen . . . der Geist, der ihn dir z'lieb hat wachsen lassen an deim Fenster, muß dir's schon recht gut vermeint haben. Schön is er, das muß ich selber sagen . . . aber weißt, ich hab auch ein Buschen, und ein, der mir noch weitaus lieber is, wenn er gleich nimmer darnach ausschaut.« Er hielt ihr den eigenen Hut entgegen, hinter dessen Schnur, nun freilich verwelkt, die Blumen hingen, die Zäzil gepflückt und dem Burschen geschenkt hatte.

»Der Gschmack is halt verschieden«, meinte sie verlegen, »mir gfallt der meinige besser. Aber was ich sagen will, wegen dem Geist . . . gar so geisterhaft kann er net ausgschaut haben, denn die Geister fliegen, soviel ich weiß, durch d' Luft, derselbig aber hat kerzengrad an der Mauer aufnsteigen müssen übers Spalier. So ein Wildling, so ein kecker! Hätten ja leicht die Latten brechen können.«

»No, ja, wer weiß, leicht is er schon so, der gwisse Geist, daß er aufs Halsbrechen net ansteht, wann er dir eine kleine Freud machen kann!«

»Geh, du!« schmollte sie ihn freundlich an. »Und wenn ihm was geschehen wär bei so eim kecken Stückl . . . daß ich den Schrecken und ein rechten Verdruß davon hätt haben müssen, daran hat er net denkt!«

»Madl . . . bist ihm harb darum?«

Sie schüttelte den Kopf und schwieg. Erst nach einer Weile sagte sie: »Eigentlich sollt ich ihn schon recht auszanken . . . aber no, weil's schon einmal gut ausgfallen is und weil ich's net leugnen will, daß er mich gfreut hat, der Buschen . . . wenn ich wüßt, wo er z'finden wär, der gwisse Geist, so möcht ich ihm gern ein Vergeltsgott sagen!«

Mit blitzenden Augen sprang Sepp von der Bank und streckte ihr die Hand entgegen: »So sag's ihm halt!«

Frei und offen schaute sie zu ihm auf und legte ihre Hand in die seine. »No also, Vergeltsgott halt!«

»Madl . . . Madl . . . schau, wieviel mir dein Vergeltsgott wert is, ich kann dir's gar net sagen! Und daß dir meine Blümerln ein bißl Freud machen, schau, nix Liebers wüßt ich mir gar net in der Welt! Im Sommer hab ich die Blümerln brockt, z'höchst auffi bin ich gstiegen ins Gwänd, wo mir kein anderer net nachsteigt . . . und gmeint hab ich, daß ich den Buschen einmal meiner Mutter heimbring . . . an ein Madl hab ich ja nie net denkt! Aber jetzt . . . jetzt . . . schau, ich kann's nimmer verhalten, und sagen muß ich's: Gleich wie ich dich 's erstemal gsehen hab, da hat's mich schon packt, daß ich mich nimmer dagegen hab wehren können! Kein Ruh nimmer hab ich ghabt in der Nacht, und Tag um Tag bist mein Denken gwesen, du ganz allein! Freilich, ein armer Teufel bin ich, und Hoffnung hab ich mir keine net gmacht. Aber mein Herzl, das ghört dein, und das is treu wie Gold! Und wenn gleich sagen möchtest: Sepp, steig auffi, und über die höchste Wand spring abi . . . Madl, ich tu's! Alles, alles für dich! Zerreißen tät ich mich lassen . . . mein letzten Blutstropfen tät ich hergeben für dich . . . so viel hab ich dich gern, Madl, so viel, so viel!«

Heiß funkelten die Augen des Burschen – das war kein Sprechen, sondern ein Jauchzen, Wort um Wort – und als hätte die jäh entfesselte Leidenschaft ihn trunken gemacht, so streckte er die Arme, um das junge Geschöpf an seine Brust zu reißen.

In glühender Röte brannten Zäzils Wangen, ihre Augen waren halb geschlossen, und sie ließ es geschehen, daß er sie mit beiden Armen umschlang. Doch plötzlich zuckte es wie Schreck durch ihren Körper. »Sepp!« stammelte sie – er wollte ihren Mund mit Küssen schließen, doch sie drängte den Ungestümen von sich und hob lauschend den Kopf. »Sepp . . . ich hab was ghört . . . es muß wer auf d' Hütten zukommen!«

Einen flüchtigen Blick nur warf er durch das Fenster. »Gott bewahr! Kein Mensch net weit und breit! Hast halt mein Herzl ghört, weil's gar so gschlagen hat! Schau, Madl, laß dir sagen . . .« Und wieder streckte er die Arme.

Abwehrend hob sie die Hand. »Ja, Sepp . . . ich bin dir gut, und ich glaub dir auch, daß dein Leben für mich lassen tätest. Deine richtige Schneid, dein lustigs Gmüt und wie an deim alten Mutterl hängst, das hat mir gfallen. Und ich sag dir's auch gern, daß ich dich für ein von die Bsonderen halt, wo man suchen darf unter die Leut. Aber . . . aber brav mußt sein . . . oder es müßt mich reuen, daß ich dich hab mitgehn lassen.«

»Aber Schatzl . . . geh . . . net einmal ein Bußl sollt ich kriegen?«

»Du! Ich hab dir das ander noch net vergessen!« drohte sie lächelnd. »Drum tu mich net harb machen und sei brav! Oder denkst vielleicht aus lauter Lieb net dran, daß 's in der Zeit schon auf Mittag gehn muß? Geh weiter, rühr dich ein bißl, trag Holz eini! Nacher zünd ich ein Feuer an und koch dir was auf!« Freundlich nickte sie ihm zu und wandte sich zum Herd.

Am Schnurrbart nagend, musterte Sepp das Mädel; dann verzog er spöttisch den Mund und verließ die Sennstube.

»Wenn den Gang hintergehst«, rief ihm Zäzil nach, »und zur hintern Tür aussi, da findst schon ein Holz!«

»Das weiß ich besser wie du!« brummte der Bursch, als er die Stubentür schon hinter sich geschlossen hatte. Und nun lachte er: »Brav soll ich sein! Wart nur, der Tag is noch lang! Aber no . . . kann ich grad nach meim Büchsl schauen, ob's net eingrostet is derweil.«

Er folgte dem schmalen Gang und öffnete die mit einem Holzriegel verschlossene Pforte. Ein kleiner hofartiger Raum tat sich vor ihm auf; denn während die beiden Ecken des Blockhauses sich hart an die steile Felswand lehnten, zog sich das Gestein der Türe gegenüber halbkreisförmig zurück. Ein Stück des blauen Himmels leuchtete über den unfreundlichen Raum hernieder, der zur Hälfte mit Scheitholz und zerhackten Föhrenästen angefüllt war. Am Fuß der vertieften Felswand zeigte sich noch eine dunkle Höhle, deren Bohlentüre jetzt offen stand und die zur heißen Sommerszeit als Milch- und Vorratskammer gedient hatte.

Der Bursche schien es mit dem Holzbringen nicht sehr eilig zu haben. Er kauerte sich in einer Ecke auf die Erde nieder und warf die schräg aufgebauten Scheite auseinander, als suche er etwas, das unter ihnen verborgen lag. Bei dem Gerappel des Holzes überhörte er die schweren Schritte, die draußen vor der Schwelle und dann im Flur sich vernehmen ließen.

Martl hatte die Hütte betreten. Sein Gesicht glühte, und heiß ging sein Atem. Er lehnte den Bergstock an die Wand, lüftete den Hut und strich mit dem Ärmel über die nasse Stirn. Noch einen Augenblick zögerte er, dann griff er entschlossen nach der Türklinke und trat in die Sennstube.

»Schnell bist wieder da«, sagte Zäzil, mit dem Säubern des Herdes beschäftigt, »leg nur 's Holz daher!« Doch als sie keine Antwort hörte, guckte sie sich verwundert um. Im ersten Schreck erblaßte sie, als sie den unvermuteten und unwillkommenen Gast an der Tür stehen sah; doch unter dem ernsten, fast traurigen Blick, der sie aus Martls Augen traf, stieg ihr jäh wieder das Blut in die Wangen. Was hatte sie nur getan, daß sie erröten mußte? Nicht das geringste! Am allerwenigsten etwas, worüber sie sich vor dem da verantworten müßte. Zornig blitzten ihre Augen. Und ehe Martl noch das erste Wort fand, rief sie ihm mit scharfer Stimme zu: »Mir scheint, du hast dich verlaufen, oder . . . was willst?«

Martl rückte den Hut. »Nix für ungut . . . bloß fragen möcht ich, wo mein Holzknecht is, der Sepp?«

»Siehst es ja . . . daherin is er net!«

»Leicht aber weißt, wo er z' finden is?«

»Kannst ihn ja selber suchen, hast ja Augen im Kopf!« Dabei drehte sie ihm den Rücken, trat in die Kammer hinaus und schlug die Türe zu.

Martl stand mit bleichem Gesicht. Dann nickte er, drückte den Hut übers Haar und verließ die Stube.

Inzwischen hatte Sepp gefunden, was er suchte: einen kurzläufigen, plump gearbeiteten Stutzen, der unter dem Holze verborgen gelegen. Die Sorge, daß sein ›Büchsl‹ verrostet sein könnte, erwies sich als grundlos; alles Eisen an der Waffe war spiegelblank; nur das Zündhütchen, das auf dem Kegel des geladenen Gewehres saß, hatte sich mit Grünspan überzogen. Sepp spannte den Hahn, um die Federkraft des Schlosses zu prüfen. Schon wollte er, mit dem Finger am Drücker, den Hahn wieder in die Rast niederlassen, als er hinter sich die Türe gehen hörte. Erschrocken drehte er den Kopf und machte scheue Augen.

Martl trat aus der Hütte; er schwieg; doch wie Pfeile bohrten sich seine Blicke in das Gesicht des Burschen.

»Jetzt da schau . . . der Bauer!« stotterte Sepp verlegen. »Grüß dich Gott . . . und mußt mir's net verübeln . . .« Da sah er, daß Martls Augen an dem Gewehre hingen. »Ja, da schau, was ich grad gfunden hab! Holz hätt ich tragen sollen, und wie ich d' Scheiter so auf nimm, hab ich das Büchsl drunter gfunden.«

»Für dich is leicht zum finden, was selber versteckt hast.«

»Oho, Bauer!« brauste der Bursche auf. »Wann mich schelten magst, weil ich von der Arbeit weg bin . . . meinetwegen! Da leg deiner Gall kein Beißkorb an. Im übrigen aber . . .«

»Im übrigen wirst noch hören, was ich mit dir zum reden hab!« fiel Martl mit stahlhart klingender Stimme ein. »Jetzt aber sag ich dir, Knecht . . . das Gewehr gib her!«

»Oeha! Langsam, langsam!«

»Her damit! Hast es ja gfunden . . . leicht weiß der Förster, wem's ghört!« Und mit hastigem Griffe faßte Martl das Rohr der Büchse.

»Auslassen, sag ich . . . auslassen!« keuchte Sepp. Mit zornigem Ruck wollte er seine Waffe befreien, vergaß dabei, daß der Hahn noch immer gespannt war, vergaß, daß seine Hand unter dem Bügel lag – und krachend fuhr der Schuß empor in die Luft.

Mit dumpfem Hall rollte das Echo des Schusses über die Kette der Berge hin. Noch aber war das Grollen der erschütterten Luft in der Ferne nicht verklungen, als hoch über den beiden, die in dem engen Raum standen, ein Knirschen und Rieseln sich hören ließ, ein Knattern und Sausen, das von Sekunde zu Sekunde sich verstärkte und zu schmetterndem Donner anwuchs.

Die Gesichter der beiden Männer wurden weiß wie Kalk, sie starrten sich in die Augen, sie verstanden, was über ihnen tobte, zu gleicher Zeit öffneten sie die Hände, klirrend schlug die Büchse auf die Steine nieder, und die beiden stürzten durch den schmalen Gang davon, Sepp der Türe zu, die ins Freie führte, Martl in die Sennstube.

»Zäzil!« gellte es mit verzweifeltem Schrei von seinen Lippen. Und da kam sie ihm schon entgegengetaumelt, totenblaß, mit angstvollen Augen, und stammelte: »Jesus Maria . . . Martl, was is? Ein Schuß hab ich ghört . . . und . . .«

»Um Gotts willen, komm . . . fort, fort!« schrie er mit erstickter Stimme. Er haschte ihren Arm, er riß sie mit sich der Tür zu – doch ehe sie den Gang noch erreichten, durchfuhr ein Krach das Haus, als stürze der Himmel über ihnen ein. »Aus is's, Madl, aus und gar!« stöhnte Martl. Und als möchte er Zäzil mit dem eigenen Körper gegen das niederbrechende Verderben decken, so riß er sie mit beiden Armen an sich – und sie hing an seinem Hals und vergrub das Gesicht an seiner Brust, als wäre hier, zwischen Graus und Tod, noch eine sichere Heimat. Und rings um die beiden fiel es nieder mit Schmettern und Dröhnen, ein dumpfes Klatschen ging über das Dach und um die Wände, man hörte Balken ächzen, brechen und stürzen, in allen Fugen wankte das Haus, das Licht entschwand, und tiefes Dunkel füllte die Stube.

Da atmete Martl auf. Denn als das Licht erloschen war, schien auch die Macht des entfesselten Dämons, des weißen Bergriesen, gebrochen zu sein. Nur ein dumpfes Rollen ließ sich noch vernehmen, ein leises Knirschen und sachtes Rieseln noch, dann herrschte Stille, Totenstille.

 


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