Ludwig Ganghofer
Der Besondere
Ludwig Ganghofer

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3

Über dem sturmdurchtobten Tale lag schon das Zwielicht des späten Abends, als Zäzil das väterliche Haus erreichte. Vor dem Zauntor mußte sie stehenbleiben, um Atem zu schöpfen, so rasch war sie über den Hügel heraufgestiegen. Dabei verirrten sich ihre Blicke in den Nachbarhof hinüber. Dort war die Eckstube schon erleuchtet, und Zäzil sah durch das helle Fenster den Tisch und daran den jungen Bründlbauer, der mit einer Schreiberei beschäftigt schien. Martl war ja, wie die Leute im Dorf sagten, ein ›Büchlbauer‹, einer, der allabendlich seine Einnahmen und Ausgaben säuberlich zu buchen pflegte.

Zäzil drückte den Kopf in den Nacken und lachte ein wenig gezwungen auf. Es kam ihr vor, als könnte der Korb, den sie vor einigen Stunden ausgeteilt, den Martl nicht sonderlich schmerzen, da er jetzt, wo ihm doch von Zäzils Worten das Ohr noch klingen mußte, so ruhig hinter dem Tische sitzen und bedächtig niederschreiben konnte, was er heute an Tag- und Fuhrlohn ausgegeben, für Butter und Eier eingenommen hatte.

Noch einmal blickte Zäzil hinüber, verzog den Mund und trat, das Gatter hinter sich zuschlagend, in den Hof. Mit freundlichem Gebell sprang ihr ein großer zottiger Hund entgegen. Das Tier wollte sich scherzend an ihr aufrichten, machte aber plötzlich einen ernsten Eindruck, schnupperte an dem Rocke des Mädchens, der vor Nässe klatschte und schüttelte die Ohren. Zäzil lachte, aber jäh verging ihr dieses Lachen wieder, als sie aus der Stube die laute Stimme des Vaters herausklingen hörte. Da drinnen mußte sich das Gewitter noch immer nicht verzogen haben. Und wenn sie jetzt in das Zimmer trat, in diesem Aufzug, mit dem durchnäßten Gewand, mit den verwirrten Haaren, brennenden Gesichtes, welch ein Staunen und Fragen hatte sie da zu erwarten! Und sie fühlte, daß sie alles vermöchte, nur nicht das eine: Rede und Antwort zu stehen über die verflossene Stunde.

Mit leisen Schritten trat sie in den Flur, schlich pochenden Herzens an der Stubentür vorüber, huschte die Treppe hinauf und schloß sich in ihrem kleinen Stübchen ein, das in dem rückseitigen, nach dem Bründlhof blickenden Erker gelegen war. Einige Sekunden stand sie lauschend, dann streifte sie die nassen Kleider ab und schlüpfte ins Bett. Da hörte sie schlurfende Tritte über die Treppe hinaufsteigen, und gleich darauf rührte eine Hand die Klinke und rüttelte an der verschlossenen Tür.

»Madl, was is denn?« klang die Stimme der Pfrointnerin. »Bist denn schon daheim? Und weswegen hast denn zugsperrt?«

Zäzil drehte das Gesicht an die Wand und zog die Decke bis an den Hals.

»So sei doch gscheit und gib an!« grollte die Stimme draußen. »Was is denn das für eine Manier? Geh weiter und mach auf!«

Im Stübchen rührte sich nichts.

»Da hört sich aber doch alles auf!« zürnte die Pfrointnerin und rüttelte von neuem an der Tür. »So eine Narretei is ja doch noch nie net dagwesen! Mach auf, sag ich . . . mach auf! Drunt in der Stuben steht d' Suppen am Tisch. Drum schau, daß d' abikommst, sonst wird der Vater am End noch harber, als wie er eh schon is!«

Sie hatte gut brummen, die Pfrointnerin. Doch als sie nach kurzer Pause ihr Schelten abermals begann, hörte man vom Hausflur herauf die zornige Stimme des Pfrointners: »Was is denn do droben für eine Metten?«

»'s Madl is daheim, hat sich eingschlossen und gibt mit keiner Silben net an.«

»So laß ihr halt ihren Willen, der bockbeinigen Nocken! Sie wird schon wissen, warum s' mir heut nimmer vor d' Augen kommt!«

Drunten wurde eine Tür zugeschlagen, draußen aber hörte man die Pfrointnerin seufzen und hörte ihre schlurfenden Tritte über die Treppe hinunter sich entfernen.

Zäzil lachte ganz leise vor sich hin; aber seltsam, mitten in diesem Lachen begannen ihr die Lippen zu zittern, und Tränen kollerten über ihre Wangen. Sie fuhr sich über die Augen, richtete sich auf, lauschte und starrte eine Weile ziellos in das Dunkel der Stube. Mit zitternden Fingern begann sie ihre verwirrten Zöpfe aufzulösen, schüttelte ein paarmal das offene feuchte Haar und flocht es von neuem. Dann ließ sie sich auf die Kissen zurücksinken und legte die Wange auf die gefalteten Hände.

Draußen tobte der Sturm um das dunkle Haus, pfiff und heulte um die Mauerecken, rüttelte an allen Fensterläden, klatschte gegen die Scheiben und raschelte im welken Laub des wilden Weins, der vom Boden bis über das kleine Fenster von Zäzils Stübchen den Erker mit seinen Ranken umsponnen hielt.

Draußen tobte der Sturm – man konnte den See nicht rauschen hören – und dennoch hörte Zäzil nicht dieses Heulen, Knarren und Rascheln, sie hörte nur immer die dumpfe Sprache der schlagenden Wellen, das tiefe Murmeln der rollenden Wogen. Über all ihre Sinne kam ein Wiegen und Schaukeln, als läge sie träumend im schwankenden Boot. Hoch über sich erblickte sie den wolkenlosen Himmel im zart getönten Blau des Abends und ringsumher, ohne Grenzen weit, den tanzenden See und seine grünen Fluten, von weißem Schaum übergossen. Und aus den springenden Wellen stiegen vor den träumenden Augen des Mädchens bunte Gestalten und Bilder auf: die unerwartete Werbung – der Vater in seinem Zorn – die gute Pfrointnerin, jammernd und seufzend – das lachende Bürschlein bei der Schiffshütte – die schreienden Leute am Ufer – die verzweifelte Mutter, und dann . . .

Wo hatte sie ihn nur früher schon gesehen, diesen Menschen, diesen kecken? Einmal in der Kirche, ja! Und ein andermal vor dem Wirtshaus. Aber noch früher? Sie sann und sann. Dann plötzlich fiel es ihr ein. Im vergangenen Frühjahr war's. Da hatte der Föhnsturm auf dem Schneeberg droben, unweit von der Alm des Pfrointners, eine breite Gasse durch den Wald des Bründlbauern gebrochen. Zu vielen Hunderten waren die gestürzten Stämme durcheinander gelegen, und Martl hatte nur mit Mühe die zum Aufarbeiten des Windbruchs nötige Zahl von Holzknechten zusammengebracht. Ihrer ein Dutzend war von weitentlegenen Dörfern verschrieben worden. Und da war eines Sonntagabends auch einer auf die Pfroint gekommen, ein verwegen aussehender Bursch, und hatte nach dem Bründlbauer gefragt. Zäzil selbst war es gewesen, die ihn hinübergewiesen hatte in den Nachbarhof. Dort mußte er wohl über Nacht geblieben sein, denn am andern Morgen hatte Zäzil gesehen, wie der Fremde, die Axt hinter dem Rücken, mit anderen Holzknechten den Bründlhof verließ.

Ein Knecht des Martl also!

Zäzil kicherte leise vor sich hin, als sie zu diesem Schlusse kam. Es war keck von ihm gewesen, unverschämt, sie zu küssen, so vor allen Leuten zu küssen. Heiß schlug ihr das Blut in die Wangen, als sie dieses Kusses dachte. Aber eines mußte sie zugestehen: Er hatte den Kuß verdient. Und nun war es ihr gerade recht, daß es vor allen Leuten geschehen war. Die würden es gar flink herumreden im ganzen Dorf, und so mußte es auch dem Martl zu Ohren kommen. Das gönnte sie ihm! Mit lächelnder Freude dachte sie daran, wie er sich ärgern würde. Er, der Herr, der reiche Bauer, hatte sich einen Korb bei ihr geholt – und der arme Knecht, der bei ihm in Lohn und Arbeit stand, hatte sich bei ihr einen Kuß verdient – und wer weiß – vielleicht noch mehr als einen Kuß! Wie ihn das treffen mußte, den hochmütigen Menschen, der in seinem Bauernstolz gar nicht daran gedacht hatte, daß sie ihn nicht mögen könnt'.

Sie lachte boshaft vergnügt bei diesem Gedanken; und da sah sie ihn plötzlich vor ihren Augen stehen, in dem langen, altväterlichen Flügelrock, mit verschüchtertem Gesicht, zwischen den zitternden Fingern den geschmückten Filzhut drehend. Und sie hörte ihn sprechen, mit jener bebenden Stimme – alles, was er ihr vorgebracht hatte, bis zu jenem merkwürdigen Wort: »Daß ich grad auf dich verfallen bin? No mein . . . bist mir halt die nächste gwesen . . . so und so!« Was er nur hatte sagen wollen mit diesem dummen ›so und so‹? Und während sie darüber sann, verwandelte sich die Gestalt vor ihren Augen – sie sah den Martl in Hemdärmeln am Tische sitzen in seiner stillen, einsamen Stube; von der weißen Decke hing die brennende Lampe nieder, und vor ihm auf dem Tische stand das Schreibzeug und lag das offene Heft. Er zählte irgend etwas an den Fingern ab, tauchte dann die Feder ein, spritzte sie achtsam aus und begann mit dicken Buchstaben zu schreiben:

    Eingenommen
für 12 Pfund Butter 13 Mk. 20 Pf.
für 2 Schock Eier vom Wirt 6 Mk. 30 Pf.
 
    Ausgaben
für eine Mistgabel
    einen neuen Zinken – Mk. 20 Pf.
für den Schecken beschlagen – Mk. 60 Pf.
für Wochenlohn dem Holzersepp 11 Mk. 50 Pf.

Nun schaute Martl auf. Die Tür hatte sich geöffnet, und dem Tische näherte sich lachend ein strammer, schmucker Bursche mit verwegen blitzenden Augen. Zäzil kannte ihn – hing ihm doch das blonde Haar noch feucht in die braune Stirne, troff ihm doch das Wasser noch in dünnen Fäden über die nackten Knie! Schmunzelnd strich er die blinkenden Markstücke ein, die der Bauer ihm bedächtig hinzählte, ließ dann die Münzen zwischen den hohlen Händen klimpern und lachte: ›Vergeltsgott! Aber weißt, Bauer, heut hab ich mir ein Lohn verdient, der mir lieber is als wie dein ganzer Hof und all dein Geld!‹ Und als wäre ihm die Freude, die aus seinen Augen lachte, jäh in die Beine gefahren, so begann er sich tanzend in den Knien zu wiegen – und immer reichlicher rann das Wasser von ihm nieder – mit grünen Wellen überschwemmte es schon die ganze Stube, brach sich schäumend und rauschend an den weißen Wänden, die weiter und weiter auseinanderwichen, um endlich ganz zu versinken, mit Schränken und Bänken, mit Tisch und Stühlen, mitsamt dem Martl – und auf den endlos rollenden Fluten tanzte der lachende Bursch, als wäre sein Körper Luft, jauchzend streute er die Münzen über das Wasser aus, klatschte mit den Händen, schnalzte mit der Zunge – und je wilder er sprang und tanzte, desto deutlicher fühlte Zäzil dieses Wiegen und Schwingen in ihrem eigenen Körper, in allen Sinnen. Es kam ihr vor, als schaukle sie, vom Winde getrieben, mit gebauschten Röcken über den Wellen – mit beiden Armen umschlang sie ein weinendes Kind, dessen heiße Tränen sie an ihrem Halse fühlte – das schmerzte sie so seltsam, schmerzte sie so tief hinein in die Seele – und dennoch schaute sie lachend mit leuchtenden Augen zu dem kecken Tänzer und lauschte, wie er jauchzte, wie er sang:

»Ich bin ein frischer Wildbretschütz, juchhe!
Steig auf die Berg mit meiner Büchs, juchhe!
Und wo mir tut ein Gamserl gfalln,
Laß ich mein Stutzen knalln . . . juchhe, juchhe!

Grad sakrisch bin ich bei der Schneid, juchhe!
Ich fürcht kein Teufl, fürcht kein Leut, juchhe!
Ein einzigs grad hat mehrer Gwalt:
Ein Madl, das mir gfallt . . . juchhe, juchhe!«

Nicht im Traum ihres halben Schlummers hörte Zäzil dieses Lied. Wirklich und wahrhaftig klang es durch die stürmische Nacht von der Straße herauf – und es war wohl nur der Sturm die Ursache, daß die singende Stimme so verwischt und schwankend klang wie die Stimme eines Betrunkenen. So meinte Zäzil, während sie lauschte – und dann plötzlich fühlte sie, wie das Blut ihr brennend in die Wangen stieg. Mit beiden Armen umschlang sie das Polster und drückte wie in Schreck und Scham das glühende Gesicht tief in das linde Kissen . . .

Noch ein anderer hörte das Lied, das mit kreischenden, vom Sturm verwehten Tönen die Nacht durchklang. Das war der junge Bründlbauer. Hinter dem von der kleinen Hängelampe beleuchteten Tische, auf dem neben einem geschlossenen Heft und neben dem Schreibzeug ein halbgeleertes Bierglas stand, saß Martl im Herrgottswinkel seiner stillen, einsamen Stube. Er war in Hemdsärmeln, hatte die Arme gekreuzt und schmauchte in langsamen Zügen an einer kleinen Pfeife. Die Lider waren halb gesenkt, die Brauen gefurcht, und sein Gesicht hatte einen müden, schwermütigen Zug. Manchmal atmete er tief auf und strich mit schwerer Hand über die krausen Haare. Es mochten gar trübe Gedanken sein, in die er versunken war.

Nun hob er die Augen, ließ seine Blicke durch die öde Stube gleiten und nickte traumverloren vor sich hin, während ein bitteres Lächeln um seine Lippen zuckte. Eine kreischende Stimme, die sich vom Hof herein vernehmen ließ, weckte ihn aus seinen Gedanken. Lauschend richtete er den Kopf empor. Er hörte ein Gepolter an der Haustür und dann die Stimme eines seiner Knechte: »Aber Sepp, so sei doch gscheit! Das muß ja heut nimmer sein! Der Bauer lauft dir ja net davon!«

»Nix da!« kreischte, nun schon im Hausflur, jene andere Stimme wieder. »Der Bauer schlaft noch net, und ich hab mein Recht, daß ich herkomm!«

Unmutig erhob sich Martl, und da wurde schon die Stubentür aufgestoßen. Wankenden Ganges kam der Holzersepp über die Schwelle gestolpert, mit rotem Gesicht und aufgequollenen Augen.

»Ich kann nix dafür«, brummte der Knecht, der hinter dem Betrunkenen auftauchte, »er hat sich nimmer abwehren lassen.«

»Abwehren? Was abwehren?« lallte der Sepp, während er den Hut in den Nacken schob. »Den möcht ich sehen, der mich abwehren könnt.«

Da stand der junge Bauer vor ihm, mit gerunzelter Stirn und finsterem Blick. »Was willst von mir?«

Sepp lachte. »Weißt denn net, daß heut Samstag is und daß ich mein Wochengeld z' kriegen hab?«

»Komm morgen in der Früh! Für heut aber schau, daß du weiterkommst, und schlaf dein Rausch aus!«

»Was? Rausch? Wer hat ein Rausch?« schrie Sepp dem Bauer ins Gesicht. »Und wenn ich schon ein hätt . . . verstehst mich . . . heut hätt ich mir's verdient, daß ich mir ein ansauf! Und wenn ich schon ein hab . . . geht's dich was an? Du bist der Holzherr, und ich bin der Knecht, und ich hab mein Arbeit gmacht, und jetzt zahl mich aus!«

Martl schwieg eine Weile und sagte dann mit ruhigen Worten: »Jetzt hast aber Zeit, oder ich mach dir Füß!«

»Wer? Was? Wer macht mir Füß?« schrie der Berauschte. »So? Du? Bist du auch schon so einer, der sich auf die Bauernmod versteht: d' Leut schinden und drucken? Die ganze Woch darf man sich plagen für dich, und nacher willst eim net einmal sein Lohn auszahlen . . .«

Weiter kam der Bursche nicht. Mit beiden Fäusten hatte Martl ihn beim Kragen gefaßt, und ehe Sepp noch daran denken konnte, sich zu wehren, war er bereits auf etwas unsanfte Weise in den Hof hinausspediert, und hinter ihm flog die Haustür zu und klirrte der eiserne Riegel. Draußen hörte man ihn eine Zeitlang schreien, mit den Fäusten an Tür und Fensterläden trommeln und dann schimpfend sich entfernen. Drinnen aber lachte der zurückgebliebene Knecht, als Martl wieder in die Stube trat: »Sakra, Bauer, das is aber gschwind gangen! Aber weißt, darfst es ihm net gar so übel vermerken, daß er heut ein bißl z'viel hat. Er hat ein Stück Arbeit gmacht, wo er Durst hat kriegen können. Dem städtischen Maler sein Büberl hat er beim ärgsten Sturm z'mittelst aus'm See aussigholt. No ja . . . und in der Freud, daß ihm d' Leut so schön tan haben, hat er halt ein bißl über d' Schnur ghaut.«

Der junge Bauer, der sich wieder an den Tisch gesetzt hatte, horchte verwundert auf. »Was? Verzähl!«

Und der Knecht erzählte, was ihm, als er am Abend in das Wirtshaus gekommen war, die Leute von der gewagten Fahrt berichtet hatten.

Martl erhob sich. »Schau, das is brav gwesen vom Sepp!« sagte er. »Und da tut's mir jetzt völlig leid, daß ich so grob mit ihm umgsprungen bin. Da hätt ich ihm noch mehr verzeihen können als wie das bißl rauschige Grobheit. Aber sag! Ganz allein is er aussigfahren? Und gar kein anderer hat 's Kurasch ghabt, daß er ihm gholfen hätt dabei?«

»Freilich hat ihm wer geholfen!« lachte der Knecht. »Aber du! Da wirst spannen, wenn ich dir verrat, wer mit ihm aussigfahren is! Die Mannerleut sollten sich schämen . . . ein Madl war's, die so viel Schneid ghabt hat, deine Nachbarin drüben, die Pfrointner-Zäzil.«

Über Martls Gesicht flog eine dunkle Röte. Er nickte und starrte verloren vor sich. »Ja, ja«, murmelte er, »die Zäzil! Da darf man weit gehen, bis man eine zweite findt!«

Der Knecht machte verwunderte Augen. Dann aber lachte er wieder. »Ja, ein nobles Madl, das muß ich sagen. Der Sepp hat heut am Abend auch schon öfters als einmal gesagt, daß er sich eine zweite nimmer z'finden wüßt. Ich mein' allweil, zwischen denen zwei, die so miteinander draußen waren im Sturm und Wasser, in Gefahr und Not, da bosselt sich was zamm mit der Zeit. Der Bub hat 's Madl auch gleich richtig auszahlt für 's Mitfahren . . . mit alle zwei Händ hat er's beim Schüppel packt und hat ihr ein Bußl naufgnagelt, aber schon ein richtigs!«

Martl wurde bleich. »Und . . . und 's Madl?« stotterte er, während die Stuhllehne krachte, auf die er sich stützte.

»Und 's Madl hat's ihm gfallen lassen?«

»No mein, lang gfragt hat er net, der Sepp, 's Madl is halt fuirig worden über und über im Gsicht, hat d' Augen verhalten mit alle zwei Hand und is davongschossen wie ein Wieserl.«

Martl stand und rührte sich nicht, wie einer, der noch etwas zu hören erwartet. Dann plötzlich hob er den Kopf und schaute den Knecht, wie aus verlorenen Gedanken erwachend, ganz befremdet an. Er legte die Hände auf den Rücken, nickte ein paarmal vor sich hin und sagte: »So? So? Ja . . . is schon gut. Ich dank dir für deine Botschaft. Und gute Nacht somit.« Nach diesen Worten wandte er sich zum Tisch und griff nach dem Bierglas; er mußte sich recht müde fühlen, denn seine Hand war schwer und schlaff, als er das Glas an den Mund führte.

Aus schief gehaltenem Kopfe guckte der Knecht seinen Herrn mit wägenden Blicken an. »No also, gut Nacht!« brummte er und ging aus der Stube, wobei er noch einmal über die Schulter zurückblinzelte. Kaum war er verschwunden, da öffnete sich die Tür schon wieder, und ein kleines, behäbiges Weiblein erschien auf der Schwelle. Das war die alte Wabi, die dem Martl seit dem Tode seiner Mutter die Wirtschaft führte. Das Gesicht der Alten hatte einen guten, freundlichen Zug, wenngleich sie nicht bei sonderlich froher Laune zu sein schien. Ihre Lider waren gerötet, als hätte sie geweint. Unter der Tür blieb sie stehen, zog die blaue Schürze durch die Finger und fragte: »Schafft der Bauer noch was?«

Martl schüttelte den Kopf. »Kannst dich schon schlafen legen.«

»So wünsch ich eine ruhsame Nacht!«

Da drehte sich Martl um. »Wabi . . . du! Was ich sagen will . . .«

Die Alte ließ die Schürze fallen und kam langsam näher.

»Wie ich gmerkt hab, war's dir net ganz recht, daß ich dir heut z' Mittag den Dienst auf Allerheiligen kündigt hab?« sagte der junge Bauer, wobei er die Worte etwas schwer zu finden schien.

»Net ganz recht?« stotterte Wabi, und zwei dicke Tränen kollerten ihr über die runzligen Backen. »Ins Gmüt hat's mich troffen . . . ja . . . weil der Bauer schon fragt, muß ich's einbstehn. Den ganzen Abend hab ich drüber nachsinniert, und nix hab ich gfunden, wo ich mir denken hätt müssen, daß ich dir ein Grund zur Unzufriedenheit geben hätt!«

»Na, na, gwiß net!«

»Na also, schau, und daß man vom Bründlhof net gar so gern fortgeht, das kann man sich leicht an die Finger abzählen.«

»No ja . . . wenn's dich halt gar so hart ankommt . . . meintwegen . . . so lassen wir's beim alten. Bleibst halt da!«

Überraschung und Freude verschlugen der Alten im ersten Augenblick die Sprache. Dann aber klatschte sie die Hände ineinander und stammelte: »Jesus Maria! Bauer! Is denn wahr?«

»Ja freilich wahr! Aber . . . aber schau, jetzt laß mir mein Ruh! Geh weiter, Wabi, leg dich schlafen, es is an der Zeit! Gut Nacht!«

Man sah es der Alten am Gesicht an, wie gern sie ihre Freude jetzt in sprudelnden Worten ausgekramt hätte. Aber Martls letzte Weisung hatte so dringend und ungeduldig geklungen, daß Wabi nicht den Mut fand, eine Silbe zu erwidern. Sie bewegte nur zu irgendeinem verschwiegenen Wunsche stumm die Lippen, fuhr sich mit der Schürze über die Augen und humpelte aus der Stube.

Mit einem müden Seufzer schob sich Martl hinter den Tisch und griff nach der Pfeife. Sie war schon längst erkaltet. Er stopfte mit dem Finger die Asche nieder und legte die Pfeife wieder beiseite. Und da saß er nun, mit dem Rücken an die weiße Wand gelehnt, die Fäuste an den Tisch geschoben, und starrte in die kleine Flamme der Lampe. Herb geschlossen war sein Mund; nur manchmal öffnete er die trockenen Lippen, um sie mit der Zunge zu netzen. Dieses unablässige Hineinstarren in das Licht schien seine Augen anzustrengen; sie wurden feucht, und nun perlte ihm gar eine Zähre auf die Wangen nieder. Aber da sprang er auch schon auf, fuhr sich hastig mit dem Rücken der Hand über die nassen Augen und murmelte: »Martl, Martl, sei du der Gscheiter! Was net sein kann, kann halt einmal net sein!«

Er trug das geleerte Bierglas zu dem Kasten, der neben der Tür stand, sperrte Heft und Schreibzeug in einen kleinen Wandschrank, hängte die Pfeife in die Fensternische an einen Nagel und blies die Lampe aus. Durch die Finsternis, die ihn umgab, schritt er der anstoßenden Kammer zu, darin sein Lager stand. Er setzte sich auf das Bett, um die Schuhriemen zu lösen. Dann erhob er sich wieder und trat auf das kleine Fenster zu, durch das ein matter Dämmerschein der sternhellen Nacht hereinfiel in das Stübchen. Martl legte sich mit den Armen in die Nische und blickte durch die Scheiben. Der Sturm umfuhr die Mauern, aber keine Wolke zeigte sich am Himmel, an dem es von tausend Lichtern blitzte. Vor dem Fenster lag der mit Obstbäumen besetzte Grasgarten; ein Bretterzaun schloß ihn ab, und über dem Zaune drüben erhob sich schwarz und massig des Pfrointners Haus. Scharf zeichnete sich der von Ranken umsponnene Erker mit dem stumpfgespitzten Dächlein vom nachtblauen Himmel ab.

Dort hinüber spähte Martl, immer dort hinüber, bis er sich tief atmend endlich erhob. Und die beiden Fäuste an die Stirn drückend, sprach er mit bebenden Worten vor sich hin: »Mich hat s' davongschickt in Ungut und Spott . . . und von so eim . . . von so eim laßt sie sich abbusseln auf hellichter Straßen.«

Wenn Zäzil diese Worte hätte hören können! Sie hatte richtig gedacht! Ja, es hatte ihn getroffen. Aber nicht in seinem Hochmut, nein – in seinem Herzen.

Wenn Zäzil diese Worte hätte hören können! Aber zwischen dem kleinen Fenster hier und dem Erker da drüben tobte der Sturm und dunkelte die Nacht. Und Zäzil schlief – und träumte was ganz besonders Schönes.

 


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