Ludwig Ganghofer
Der Besondere
Ludwig Ganghofer

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7

Im ersten Augenblick, als Sepp das Mädel gewahrte, machte er ein wunderlich verdutztes Gesicht. Dann blitzten seine Augen in heimlicher Freude. Er warf die Axt beiseite und hob, mit den Fingern schnalzend, die beiden Arme: »Madl! Wie kommst denn du daher! Da muß unser Herrgott drauf Obacht geben haben, wie fleißig als ich war den ganzen Morgen, weil er mir gar so eine Freud macht! Grüß dich Gott, Zäzil, grüß dich Gott!«

Zäzil stotterte etwas, das sich anhörte wie eine Erwiderung dieses Grußes. Die letzten fünfzig Schritte mußten sie aber bedenklich erhitzt haben, denn sie zog ein weißes Tüchlein hervor, mit dem sie sich ein um das andere Mal über das glühende Gesicht fuhr.

Langsam näherte sich der Bursch, und schmunzelnd gewahrte er den kleinen Strauß von getrockneten Edelweißblüten auf dem Hütlein, das Zäzil am linken Arm hängen hatte. »Na also, grüß dich Gott da heroben!« wiederholte er und reichte dem Mädel die braune Rechte hin. »Ein Patscherl wirst mir doch geben!«

»Weswegen denn net?« meinte Zäzil; sie steckte das Tüchlein ein und gab dem Burschen die Hand. Er umspannte ihre Finger mit zärtlichem Druck und sah ihr in die Augen. Da wurde sie rot bis unter die Haare und guckte an ihm vorüber über den weiten, von goldigem Sonnenschein überfluteten Windbruch.

»Aber sag, was suchst denn da heroben? Wo willst denn hin?«

Mit einiger Anstrengung befreite sie ihre Hand. »In unser Almhütten muß ich nauf.«

In den Zügen des Burschen zuckte etwas, als hätte er diese Antwort erwartet und als wäre sie ihm aus irgendeinem Grunde willkommen. Dennoch fragte er verwundert: »Hat denn dein Vater da rum in der Näh wo eine Alm?«

»Aber freilich! Gleich die erste überm Windbruch droben, keine dreiviertel Stund von da.«

»Jetzt da schau!« lachte Sepp. »Den ganzen Sommer lieg ich da heroben umeinander im Holz und hab von keiner Alm was ghört und gsehen. Das hätt ich halt früher wissen sollen! Da wär ich fein schon diemal auf ein Bsuch auffikommen und hätt ein bißl plauscht mit dir!«

»Plauschen? Mit mir? Das hätt sich aber hart gmacht!« erwiderte Zäzil ein wenig schnippisch. Als sie aber das erstaunte Gesicht sah, das er machte, lachte sie und fügte erklärend bei: »Ich bin ja nimmer droben gwesen, seit der Vater im Frühjahr auftrieben hat. Er hat eine Sennerin ghabt . . . der alten Bachhuberin ihr Wabi.«

»Ah so! Da hätt sich ein Bsuch freilich net verlohnt.«

»Warum? Kennst du denn die Wabi?«

»Gott bewahr . . . ich hab nur gmeint, weil ich dich net droben gfunden hätt.«

Zäzil hustete und tat, als hätte sie diese Worte ganz überhört. Sie rückte die Kraxe höher gegen die Schultern und lockerte das kleine Lederkissen, das sie über den Zöpfen liegen hatte, um den Druck des auf dem Kopfe ruhenden Brettes zu mildern.

»Das muß aber eine schöne Alm sein, deim Vatern sein Alm!« meinte Sepp. »Und schau, da sollt ich die Gelegenheit schon benutzen, daß ich noch einmal auffikomm, vor der Winter herfallt übers Holz. Weißt was . . . wenn's dir recht is, trag ich dir dein Kraxen das Katzensprüngl auffi!«

»Aber was dir einfallt!« stotterte Zäzil erschrocken. Dann aber verzog sie das Mäulchen und spottete: »Dein Bauer tat weiters net mamsen, wenn er hören möcht, daß ich dich von seiner Arbeit abzieh.«

»Soll er mamsen, so lang er mag!« lachte Sepp. »Ich kann's einmal net sehen, daß sich dein liebs Köpfl plagen soll mit so eim Kasten. Geh weiter, gib her!« Mit kecken Händen griff er zu, und bevor es ihm Zäzil wehren konnte, hatte er schon den einen Tragriemen von der Kraxe losgehakt. Sie sträubte sich, sie schalt und zürnte; er aber lachte nur immer, zog ihr auch den zweiten Riemen von der Schulter und lud mit flinkem Schwung die Kraxe auf seinen Rücken.

Einen Augenblick schien es, als möchte sie ernstlich böse werden. Doch seinem hellen, fröhlichen Lachen und seinen lustig blitzenden Augen gegenüber konnte sie zu keinem rechten Zorne kommen. »Du bist aber einmal ein gewalttätiger Nickel, du!« schmollte sie und bückte sich nach dem runden Lederpolster, das sie während des kleinen Handgemenges verloren hatte. »Aber wenn grad meinst, es muß sein . . . meintwegen! Mir is 's recht! Brauch ich mich grad net z' plagen!« Bei diesen Worten schritt sie an Sepp vorüber und folgte dem Steige, der nach kurzer Strecke vom Holzschlag wieder hinweglenkte und in engen Zickzacklinien durch steilen Lärchenwald emporführte.

Gemächlich wanderte Sepp hinter dem Mädel her. Er machte keinen Versuch, das abgebrochene Gespräch wieder anzuknüpfen. Er musterte nur immer mit blinzelnden Augen ihre schmucke Gestalt, drehte ab und zu seinen blonden Schnurrbart und schmunzelte vergnügt vor sich hin. Dann zog er sein Pfeiflein hervor, um es instand zu setzen; in dem tönernen Kopfe wollte das Rohr nicht halten; da suchte Sepp aus seinen Taschen ein Blatt Papier hervor, riß einen fingerschmalen Streif davon ab, den er um die Schraube des Rohres wickelte, und warf den Rest des Blattes über den Wegsaum.

Als der steile Hang überwunden war und der Lärchenwald in sanfter Neigung sich gegen die offenen Almgehänge hindehnte, die schon durch die schütteren Wipfel niederschimmerten, mündete der schmale Steig in einen breiteren Holzweg, der den beiden wohl gestattet hätte, Seite an Seite zu gehen. Doch eine gute Strecke wanderte Zäzil mit flinken Schritten noch allein voraus. Dann plötzlich blieb sie stehen, ließ den Burschen herankommen und reichte ihm das kleine Lederkissen hin, das sie die ganze Zeit über in der Hand getragen hatte. »Ganz vergessen hab ich«, sagte sie, »da, nimm doch 's Polsterl, 's Brettl muß dich ja drucken am Kopf.«

»Gott bewahr!« lachte Sepp. »Da hab ich schon ganz andere Kraxen ohne Polster tragen, gladen mit anderthalb Zentner!«

»Jetzt sei net bockbeinig!« erwiderte Zäzil ärgerlich. »Halt ein bißl an!« Und als er dicht vor ihr stehenblieb, lehnte sie den Bergstock an einen Baum, hob die beiden Arme und schob ihm das Kissen unter das Brett, das auf seinem Kopfe lag.

»Vergeltsgott, Madl! Aber gwiß wahr, das bißl Tragen hätt ich kaum verspürt. Die Kraxen liegt ja so leicht als wie ein Federl. Hab mich eh schon gewundert, weswegen mit der leeren Kraxen da aufsteigst. D'Alm muß ja doch schon abtrieben sein . . . der Zeit nach, mein' ich.«

»No freilich abtrieben, aber noch gar net lang«, antwortete Zäzil, während sie hart am Rande des Weges langsam weiterging, so daß sich Sepp an ihrer Seite halten konnte. »Der Vater hat wohl vor drei Wochen schon gmeint, daß d' Sennerin abtreiben sollt auf d' Niederalm. Aber die Wabi hat 's Abtreiben allweil gschoben und gschoben . . . kann mir gar net denken, was für ein Grund 's Madl ghabt haben muß, daß sie sich gar so lang da heroben verhalten hat. Mit der Weid kann 's doch schon lang nimmer gut ausgschaut haben. Aber wie nacher auf einmal das grobe Wetter eingfallen is und wie 's den tiefen Schnee gworfen hat über Nacht, da hat die Wabi auf Knall und Fall abtreiben müssen und gar kein Zeit nimmer hat s' ghabt, daß sie in der Hütten ein bißl aufgräumt und alles nuntergschafft hätt, was droben is. Und natürlich wie d' Wabi so auf einmal daherkommen is mit'm Vieh, da hat's beim Vater ein richtigs Wetter gsetzt, und im Zorn hat er 's Madel heimgschickt zur Mutter. Und gestern am Abend hat er gmeint, ich sollt heut in der Früh mit der Kraxen auffi, sollt die Hütten ein bißl zammrichten, 's Gschirr alles aufpacken, und er selber tät am Nachmittag mit'm Knecht nachkommen und alles nunterschaffen. No ja, und so bin ich halt auffi.«

Ein tiefer Atemzug folgte diesen Worten. Zäzil hatte mit flinkem Eifer gesprochen. Sie schien von der Wichtigkeit der Sache, die sie da behandelt hatte, ganz durchdrungen. Aber was ihr die Zunge so leicht gemacht hatte, war doch nichts anderes als die ihr selbst wohl nur halb bewußte Wahrnehmung, daß sie mit diesen wichtigen Dingen einen unverfänglichen Gesprächsstoff gefunden hatte. Nur schade, daß die Sache gar so hurtig abgesprochen war. Das schien der tiefe Seufzer zu sagen, den sie als Punktum hinter ihre Rede gesetzt hatte.

Mit einer Aufmerksamkeit, die ganz des behandelten Gegenstandes würdig war, hatte Sepp zugehört. Er schien vollständig bei der Sache zu sein. Keine Miene verriet, daß er vielleicht noch an etwas anderes dächte als eben nur an das, was er hörte. Jeden Satz, den Zäzil sprach, begleitete er mit einer verständnisvollen Bewegung seiner Augenbrauen. Und als sie dann mit ihrer Wissenschaft zu Ende war, sagte er: »Da wirst aber den ganzen Tag über ordentlich schaffen müssen. Gwiß wahr, ich tät dir gern helfen . . . aber ich versteh halt net viel von solchene Sachen. In die Sennhütten und mit der Hauserei hab ich nie was zum tun ghabt. Ich glaub, ich bin schon als Holzknecht auf d' Welt kommen.«

»Geh!« lachte sie. Eine Weile schien sie sich mit irgendeinem Gedanken zu beschäftigen; dann plötzlich fragte sie: »Und von der Bauernarbeit verstehst gar nix?«

»Net bsonders viel! Aber wenn's drauf ankäm . . . so einer bin ich schon, daß ich bei jeder Arbeit grad ein einzigs Mal zuschauen darf, nacher mach ich's nach. Ein hellen Kopf mußt halt haben, ein richtigen Fleiß, den rechten Willen und zwei gsunde Arme dazu. Es is bei der Holzarbeit grad so! Ja, du! Beim Windbruch drunt is fein kein zweiter net, der mit mir auf gleich kommt . . . da bleibt ein jeder zruck.«

Zäzil nickte, als hätte Sepp ihr mit diesen Worten nichts Neues gesagt.

»Aber no, ich bin's halt auch gwöhnt von klein auf!« fuhr der Bursch mit lustigem Geplauder weiter. »Ein Bübl von zwölf Jahren bin ich gwesen, da hab ich schon mein ersten Baum gschlagen. Selbigsmal war's noch ein Gspaß für mich, aber mit dem Gspaß hab ich bald Ernst machen müssen. Denn wie mein Vater verstorben is . . .«

»Geh! Kein Vater nimmer hast?« fuhr Zäzil auf und sah den Burschen herzlich an.

»Na, kein Vater nimmer!« wiederholte Sepp in wehmutsvollem Ton, der auf eine mitfühlende Mädchenseele wohl seine Wirkung üben konnte. »Bloß ein alts Mutterl hab ich noch! Ja, du . . . die hab ich fein sakrisch gern! . . . In meiner Heimat draußt hat d' Mutter ein kleins Häusl. Viel is freilich net drin, aber die richtige Zfriedenheit is noch allweil daheim gwesen unter unserm Dach. Vom Frühjahr bis in Herbst, da schaff ich drauflos wie der Teufel, und im Winter bin ich mit 'm Mutterl beinand, und da leben wir von dem, was ich im Sommer erspart hab. Was liegt denn dran, daß ich ein armer Hascher bin? Ein richtigs Gnügen muß man halt haben! Wenn ich so bei der Mutter in der warmen Stuben sitz und wenn wir so gemütlich plauschen miteinand, da neid ich den reichsten Bauern net um sein Gut und Geld. Ich hab zwei gsunde Arm, ein lustigen Hamur und ein treues Herz dazu . . . das is auch was wert.«

»Und net wenig!« glitt es leise von Zäzils Lippen.

»Meinst?« lächelte Sepp.

Ihre Augen begegneten sich, und dunkle Röte färbte die Wangen des Mädels.

Einige Schritte wanderten sie schweigend weiter, dann lachte der Bursche: »Gwiß wahr, ich tausch auch mit keim von die reichen Bauernsöhn. Und weißt, wenn's grad drauf ankommt, da laß ich mich fein von keim andern spotten. Den muß ich erst noch finden, der mir am Tanzboden mein Schuhplattler nachtanzt. Am Berg droben is mir noch kein Wand unterkommen, die mir z'gach gwesen wär, und ein Wasser darf so wild sein, wie's mag . . . ich fahr aussi! Im Zitherspielen und Gstanzlsingen fürcht ich schon gar kein, und bei eim Scheibenschießen, wenn's grad sein müßt, trau ich mir noch allweil zu, daß ich mir's Allerbeste rausschieß. Ja . . . bei jeder Lustigkeit trau ich mir der erste z'sein, wie ich's bei der Arbeit und beim Schaffen bin. Aber mein, wie d' Welt schon is . . . ein richtigs Gmüt und die richtige Schneid kann man net abschätzen wie ein Sack voll Kronentaler . . . und drum, mein' ich, könnt's mir übel ausschlagen, wenn's mir vom lieben Herrgott fürgsetzt wär, daß ich einmal mein arms Herzl, mein einschichtigs, am unrechten Platz verlieren müßt.« Unter schwerem Seufzer fuhr er sich mit der Hand über die Stirne; dabei spähte er zu Zäzil hinüber. »No schau«, sagte er in einem Ton, der ein schmerzliches Empfinden verraten sollte, »bist ja auch eine reiche Bauerntochter. Dir werden deine Leut auch schon einpredigt haben, daß bei deim Zukünftigen z'allererst auf den Leibgurt schauen mußt statt in d' Augen und ins Gmüt. Wirst dir halt auch einmal ein recht ein Gstatzten aussuchen, der, wo er hingreift, auf ein Geldsack schlagen kann. Oder net?«

»Natürlich! Was denn anders!« stieß Zäzil mit bebenden Worten vor sich hin.

Wieder ein Seufzer, noch schwerer. »Hast dir am End gar schon ein ausgsucht?«

»Is schon möglich.«

»Ja, ja, ich kann mir auch denken, daß dir unter die reichen Bauernhäuser jede Tür offen steht, und wenn's gleich eine wär, wo auf und auf von Gold und Silber is. Is ja gleich in deiner Nachbarschaft einer, ein recht ein Reicher . . . weißt, mein Holzherr, der junge Bründlbauer . . . der is ja noch ein Lediger!«

Da fuhr das Mädel auf, als hätte sich ihm ein Schlänglein um die Füße geringelt. Und der Bursch machte ein verblüfftes Gesicht zu dem zornfunkelnden Blick, der ihn aus Zäzils Augen traf.

»Ein Lediger, ja . . . und das kann er von mir aus bleiben, solang er mag! Für so ein, wie der is, halt ich mich noch allweil z'gut.« Und beim letzten Wörtlein stieß Zäzil den Bergstock auf, daß unter dem Eisenstachel ein morscher Kiesel in schwirrende Stücke zersplitterte.

 


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