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IX

Es ist schwer, einer liebenden Frau seine Stimmung zu verbergen, ebenso schwer, wie sein Herz der Musik zu verschließen. Wenn aber diese Frau nach leidvoller Vergangenheit zum ersten Mal das Glück wahrer Liebe erfährt, dann mag der Geliebte sich noch so bemühn, ihr zu verhehlen, was sein Herz bedrückt – vergebens! Sie jedoch wird in liebevoller Selbstverleugnung ihm oft verbergen können, daß sie um seinen Kummer weiß. Denn ein Mann, mag er auch haltlos, ja ausgestoßen sein, geht zu sehr in seinen eignen Plänen auf, um zu gewahren, wie man in seinem Herzen liest.

Als Keith gegangen war, brach sie nicht in Jammer aus, stellte keine Fragen und ließ Larry überhaupt nicht merken, daß sie ihn durchschaute; den ganzen Abend tat sie so, als ahne sie nicht, was in ihm vorging, in ihm und auch in ihr.

Seine Worte, Liebkosungen, der Eifer, mit dem er ihr das Festmahl bereiten half, die Blumen, die er mitgebracht, der Wein, den er sie immer wieder trinken ließ, die Sorgfalt, mit der er jedes Wort vermied, das ihr Glück trüben könnte, all dies sprach deutlich genug. Er war so unerbittlich heiter und liebevoll. Sie, die in jedem Wort das letzte, in jedem Kuß bang und verzweifelt den letzten sah, sie nahm sich wohl in Acht, durch irgendein Zeichen ihr Begreifen zu verraten und sich so dieser letzten Freude zu berauben. Armes Mädchen – alles nahm sie hin und hätte noch hundertmal mehr hingenommen. Sie mochte den Wein nicht trinken, den er immer wieder ins Glas goß, aber sie trank ihn ohne Widerstreben, mit jener rührenden Gefügigkeit, die sie sich bei ihrem frühern Lebenswandel angeeignet. Nie hatte sie ihm das Geringste verweigert. Männer, vor denen ihr graute, hatten so viel von ihr verlangt, daß ihr alles, was der Geliebte forderte, nur eine Ehre war.

Larry trank in tiefen Zügen; aber er fühlte seinen Kopf so klar wie nie, sah die Dinge lebhafter und deutlicher denn je. Der Wein gab ihm, was er brauchte: erhöhte Sinnenfreude für diese kurzen Stunden, unbändige Willenskraft. Der Wein brachte auch sein Mitleid zum Schweigen. Das Mitleid war ihm ja gefährlich – Mitleid mit sich selbst und mit diesem Mädchen. Sehnsucht nach Schönheit ergriff ihn, ein Verlangen, sogar diesen armseligen, geschmacklosen Raum zu verschönern, durch Kaminfeuer und Kerzenlicht, dunklen, ambrafarbenen Wein in den Gläsern, langstielige rote Lilien, die gelben Blütenstaub verstreuten und schwülen Duft ausströmten – ein Verlangen, sie, sogar sich selbst aufs schönste zu schmücken. Und mit bleischwerem Herzen brachte sie ihm auch dieses Opfer, ließ sich mit Blumen bestreun, die er in ihren Armen zerdrückte. Nicht einmal Musik fehlte bei ihrem Fest. Auf der andern Seite der Gasse ließ jemand ein Pianola spielen, und wenn sie schwiegen, stahlen sich die Töne ganz leise herein – sie schwollen an und verhallten, festlich und trauervoll, führten ein geheimnisvolles Eigenleben, wie die zarten Lilien zwischen den Kerzen, wie die flackernden Flammen des Kaminfeuers, vor dem sie beide eng umschlungen lagen. Er lauschte der Musik, strich mit den Fingern über die zarten Adern auf ihrer Brust; so lag er da, wie beim Erwachen nach einem Liebesrausch. Niemals scheiden, nie! Aber schlafen, wie das Feuer schlief, wenn die Flammen erloschen, wie die Musik schlief auf den verstummten Saiten!

Und bang sah ihm das Mädchen zu.

Es war kaum zehn, als er sie zu Bett gehn hieß. Gehorsam ging sie ins Schlafzimmer, er holte Tinte und Papier und brachte beides an seinen Platz vor dem Kamin. Ihn selbst nahm es wunder, daß er nicht schwankend wurde, er, das Rohr im Winde, der haltlose Taugenichts. Doch er versagte nicht, blieb fest in der Stunde der Entscheidung. Ein grimmiger Wille trieb ihn weiter. Wenn er am Leben blieb und seine Tat gestand, würde man ihn einsperren, ihm das Einzige rauben, was er liebte, ihn von ihr trennen, seinen Lebensbaum an der Wurzel treffen. Fluch ihnen! Und er schrieb, mit gekreuzten Beinen, beim Licht des Kaminfeuers, das seinen milden Schein über die weißen Blätter warf. Das Mädchen aber stand, der Kälte nicht achtend, im Nachtgewand an dem dunklen Vorhang und sah ihm bange zu.

Im Augenblick des Ertrinkens erinnert sich der Mensch seiner Vergangenheit. So erging es auch Larry. Wie ein Blatt hatte er sich zeitlebens vom Winde treiben lassen. Nun aber galt es, festzubleiben, nicht zu schwanken. Daß er es konnte, ist gar nicht so verwunderlich. Ein Mann mag viele Wochen schwanken, bewußt, unterbewußt, sogar in seinen Träumen; dann aber kommt ein Augenblick, der seinem Schwanken ein Ende setzt. Das Todesurteil, das schwarze Barett des Richters, der kleine, gehetzte graue Mann, der fast staunend zum Richter emporblickt – nein, da gab es kein Schwanken mehr!

Er hatte zu schreiben aufgehört und starrte ins Feuer.

›O stille, stille, tot ist der Mond,
Und tot ist alles, was auf ihm wohnt,
Die Elfen bereiten ein Bett uns aus Mohn,
Wir eilen zur Ruhe, wir kommen schon.‹

Warum fielen ihm plötzlich diese Verse ein? Wilder Mohn – Wanda! War nicht auch sie solch eine wilde Blume, ein Unkraut? Und jetzt liebte er sie so sehr, konnte sich nicht von ihr trennen! Feuer, Kerzen, Feuer – nun erloschen die Flammen, vorüber das Flackern!

An dem dunklen Vorhang stand das Mädchen und sah ihm bange zu.


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