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Achtzehntes Kapitel.
Die Egoisten.

Nach mehreren Monaten erhielt eines Tages Elise, die treue Frankfurter Freundin, an welche Dina während ihrer langen Reise wenigstens jede Woche einmal schrieb, einen Brief aus Cagliari. Dina schrieb:

»Was sagst Du dazu, meine Getreue, daß ich, anstatt nach Genua zu fahren und zu Euch zurückzukehren, hier auf der Insel Sardinien landete? Das kommt daher: ich habe mich verliebt!

Ich sehe Dich erschrocken die Hände falten und fragen: ›Wer mag das sein?‹ Sei ruhig, Elise, mein Geliebter wird Dir keine Sorgen machen, obgleich er uns vielleicht auf ewig trennt! Er hat nicht die Dir verhaßteste Eigenschaft der Herren unseres Kreises, die Oberflächlichkeit, – denn er [279] ist unergründlich tief, auch nicht zu jung ist er und doch ewig jung, ewig schön, ewig wechselnd und ewig derselbe, – es ist das ewige Meer! Ich trenne mich nie mehr davon, ich habe mir das fest gelobt!

Dein Mann sagte einmal, als wir bei ihm die Männer so ganz unbarmherzig verketzert hatten: ›Aber Eines müssen mir doch die beiden Damen gestehen, bei allen unsern Fehlern behalten wir doch immer mehr von der höchsten menschlichen Prärogative, von der Vernunft, als die Frauen! Auch die tugendhaftesten übertreffen uns an Thorheit. Die Thorheit einer Frau erreicht nie ein Mann, und schon in der Bibel ist das anerkannt, wo wohl von sieben thörichten Jungfrauen, doch nicht von einem einzigen thörichten Jüngling die Rede ist.‹ Sage ihm, er hätte Recht, und die Thorheit, sich in's Meer zu verlieben, könne auch nur eine Frau begehen, und diese Frau sei ich, Dina Hammerstein, aus Frankfurt, der nüchternsten, altklügsten Stadt Süddeutschlands; … freilich zu der ganz gleichen, wenn nicht noch größeren Thorheit, sich mit dem Meere zu ver [280]mählen, hat es schon vor Jahren ein Mann gebracht, – der Doge von Venedig!

Meine Liebe ist auch schon durch einen gerichtlichen Act sanctionirt. Ich habe mir nämlich eine kleine Insel gekauft, – Ihr in Frankfurt, die Ihr auf Eurem Main die kleinen Tellerchen nur kennt, Ihr würdet sie unermeßlich groß finden! Hier in meinem azurblauen, geliebten Meere ist sie nur ein kleiner, grüner Fleck, – aber ein himmlisch schöner!

Ich will deutsche Ansiedler hierher kommen lassen, und zwar nur deutsche, – und mit deutschem Fleiß und deutscher Treue ein kleines Paradies hier gründen, wie es ganz Deutschland sein könnte, – wenn sein Fleiß besser beschützt wäre!

Du sollst mir aber das Beste dazu schicken, nämlich einen tüchtigen Landwirth. Nicht zu jung, verheirathet und gebildet, – wir haben ja in Deutschland Muster in dieser Art, Leute, die das Vaterland nicht brauchen konnte. – Frage unsern Freund Georg, den vortrefflichen Oeconomen, nach einem solchen, und schicke mir ihn gleich, seine Familie kann ja nachkommen. Dein Mann soll [281] ihm das Reisegeld geben und mir überhaupt Alles von meinem Vermögen und meiner Rente schicken, was er mir schicken kann. Ich brauche viel Geld und bin unaussprechlich froh, es endlich einmal zu brauchen!

Ich gehe jetzt schon auf meine Insel, die ich umtaufen und Germania nennen werde, damit es doch irgendwo eines unter Einem Scepter gebe!«

Ein ausführlicher Brief über geschäftliche Angelegenheiten an Herrn von Lavallon lag noch bei.

 

Es mochten ungefähr sechs Wochen vergangen sein, seitdem Dina diesen Brief geschrieben. Sie hatte ein kleines Landhaus bei Cagliari, am Strande des Meeres, gemiethet. Es enthielt nur ein paar Zimmer und war eingerichtet, wie es Orientalen auf der Reise zu thun pflegen. Die nackten Wände waren mit Teppichen behängt, die sie aus Genua hatte kommen lassen, den Fußboden deckten Tigerfelle, und aufeinandergethürmte Kissen bildeten Divans an den Wänden. Dina hatte alle ihre europäischen Culturspitzfindigkeiten aufgegeben. Ein runder Strohhut deckte ihr dunkles Haar, wenn sie ausging, – [282] ein weites, feines Wollengewand umschloß in vielen Falten ihren schlanken Leib, und wenn sie in der Abendkühle fröstelte, warf sie den weißen Burnus um, den sie in Marseille einem aus Oran zurückkehrenden Franzosen abgekauft hatte. Niemand hätte in ihr die elegante und verwöhnte Gräfin wiedererkannt.

Die Fenster ihres niedern Zimmers standen offen, sie lag in angenehmer Müdigkeit auf den Kissen des Divans und horchte mit wahrem Entzücken auf das mystische Gemurmel der ewigen See. Ihre Gedanken kehrten zurück in die Kindheit, in Frankfurts enge Gassen, in das beschränkte Haus ihrer Mutter, – welch' ein Contrast, sie kam sich vor, wie eine Königin, – nein, wie ein seliger Geist, befreit von jeder Erdenlast.

Die Dämmerung, die im Süden so schnell zur Dunkelheit wird, war eingetreten. Philipp war nach der Stadt, um einige Einkäufe zu besorgen, die Frau, welche ihr einfaches Mahl bereitete, in das nächste Dorf gegangen, um nach Mann und Kindern zu sehen. Dina war ganz allein, – im [283] Umkreise von einer Meile vielleicht kein menschliches Wesen.

Da hörte sie auf dem Sande des Meeres einen Schritt, der sich ihrem Häuschen näherte. Es war nicht Philipp, – wer konnte das sein? Doch keine Furcht beschlich die Seele der reinen, unerschrockenen Frau, – nur ein Gefühl des Unmuths, in diesem Augenblicke der süßesten Einsamkeit gestört zu werden.

Vor dem Fenster vorbei schritt die Gestalt eines Mannes im Calabreser Hut und Mantel. Die Gräfin sprang auf von ihrem Sitze; da stand er schon an der Thüre, doch Dina konnte Nichts von seinen Zügen sehen, denn das schwache Tageslicht stand ihm im Rücken.

»Wer ist da?« frug sie auf Italienisch. » Un straniero! ein Fremder!« antwortete eine Stimme, vor deren Klang ihr Athem stockte.

Der Fremde schwieg und blieb in der Thüre stehen; da nahm sich Dina zusammen und frug: »Wer ist der Fremde?«

»Der Landwirth aus Deutschland! – Mich sendet Elise!«

[284] »Elise Lavallon?« Weiter konnte Dina Nichts sagen, denn der Fremde trat ins Gemach, nahm den Hut vom Haupte und sagte weich: »Soll ich wieder gehen? Billigt meine gnädige Gebieterin nicht die Wahl ihrer Freundin?«

Dina zitterte wie Espenlaub. Wie schwach ist solch ein armes Frauenherz, trotz aller Träume von Heroismus. Noch vor einer Minute hatte sie gewähnt, Nichts als die Natur und die Freiheit zu lieben, und jetzt, nachdem der Klang dieser Stimme nur in ein Paar Tönen an ihr Herz geklungen, fühlte sie, daß dies Herz nichts Anderem schlug, als ihm, – ihm allein.

Aber war es denn möglich?!

»Walram?« frug sie leise.

Seine Hand erfaßte die ihre und führte sie an die heißen Lippen.

»Nicht Walram! – Felix! und Du, Du sollst mich so nennen, damit ich endlich mit Recht diesen Namen führe!«

Er hatte wohl am zitternden Tone, womit sie fragend seinen Namen ausgesprochen, erkannt, daß [285] Elise wahr gesprochen, als sie gesagt: »Gehen Sie nur hin, – Dina liebt Sie noch immer, – dies spröde Herz liebt nur einmal und dann ewig!«

Philipp, der Felix auf dessen Wunsch vorausgehen lassen, kam jetzt mit schwerem Schritt.

Dina trat an's Fenster und rief ihm zu, Licht zu bringen. Felix stand hinter ihr, demüthig auf eine Antwort wartend, die er nicht erhielt.

Der Diener brachte Licht, – Dina hatte ihre volle Geistesgegenwart wieder erlangt. Freundlich zeigte sie Felix einen Sitz.

»So sagen Sie mir doch, was Sie hierherführt?«

»Ich habe es Ihnen gesagt! Ich bin der Landwirth, den Ihnen Ihre Freundin schicken soll. Sie sagt, ich erfülle zwar eine Bedingung nicht, ich sei nicht verheirathet, aber –«

»Im Ernst?« fiel ihm Dina in die Rede, »wollen Sie hier bleiben?«

»So lange Sie hier bleiben!« sagte Felix und seine dunklen Augen bohrten sich fragend in die ihrigen; aber sie schlug sie nieder.

[286] »Sie haben es aber nie versucht, Sie wissen nicht, was das heißt, – vollständige Einsamkeit!«

»Das will ich auch nicht wissen!« sagte etwas übermüthig Felix, »ich sage Ihnen ja, mein Vertrag dauert nur so lange, wie Sie hier bleiben!«

Er sah in diesem Augenblicke so glücklich aus, wie sie ihn nie gesehen, – aber Dina's gereizte Empfindung verletzte dies strahlende Auge, und der unglückselige Gedanke, daß er innerlich ihrer spotte, und triumphire, sie immer noch liebend zu finden, obgleich er vor einem Jahre ihr Herz zurückgewiesen, rief plötzlich ihren Stolz, ihr Selbstgefühl wach. Sie sagte mit traurigem Ernst:

»Wir verstehen uns nicht, Baron Walram! Sie begreifen nicht, daß ich nicht mehr dieselbe bin, wie in Frankfurt und auf dem Lombardo. Wir haben die Rollen getauscht. Früher waren Sie ein einsamer Schwärmer, ich ein Weltkind; jetzt bin ich die einsame Schwärmerin und Sie –«

»Ich bin ein unglücklicher Mensch!« sagte Felix bitter und erhob sich. »Ich sehe wohl, es war [287] Wahnsinn, zu glauben, daß eine Frau, wie Sie, einem Manne angehören könne, bei dessen Werbung sie, nach Allem, was zwischen uns vorgegangen, denken muß: ›Es ist ein Schiffbrüchiger, dessen ich mich erbarmen soll!‹ Nein, Sie haben Recht, Frau Gräfin, – wir verstehen uns nicht! Frau von Lavallon liebt Sie und mich, – sie wollte uns Beide glücklich sehen, – Sie hat sich geirrt! Sie hat vergessen, daß wir Beide zu stolz sind, uns mit dem – Mitleide des Andern zu begnügen, – denn so glauben Sie, so ich!«

»Haben wir denn Unrecht?« frug Dina und eilte ihm nach an die Thüre und nahm seine Hand und sagte weich: »Gehen Sie so nicht von mir, Walram, nach so langer Trennung! Bleiben Sie bei mir, rathen Sie mir, helfen Sie mir, sein Sie mein Freund, wenn Sie mein –«

Sie stockte, sie erröthete, sie ließ seine Hand los und ging zurück zu ihrem Sitze. Er folgte ihr und setzte sich neben sie.

»Soll ich bleiben, Gräfin, darf ich bleiben?«

Sie nickte.

[288] »O, wenn Sie wüßten, welch' Entzücken mich erfaßte, als ich nach Frankfurt kam und Frau von Lavallon mir den Plan ausmalte, den sie für mich entworfen. ›Da haben Sie nun Alles, was Sie wünschen,‹ sagte sie eifrig, ›ein Stück Erde, eine edle Bestimmung und – eine schöne Frau!‹«

Dina entzog ihm die Hand, die er ergriffen.

»Hatte sie Unrecht?« frug er und bog sich vor, um in ihre Augen zu sehen, – aber sie brach in Thränen aus und sprang auf und wollte forteilen. Doch er ließ sie nicht, seine starke Hand hielt sie fest.

»Ich habe Dich ja immer geliebt,« sagte er weich, »nur glaubte ich, ich dürfe dieser Liebe nicht nachgeben; verzeih' mir diesen Irrthum, wenn es einer war, – ich gebe Dir ja die glänzende Genugthuung, nun, da alle meine Pläne in einer Welt des Egoismus und der Unbarmherzigkeit gescheitert, – die Deinigen auszuführen; mein ganzes Leben will ich ja Nichts thun, als Dir und Deinen Plänen leben, – kann ein Mann mehr?«

[289] »O, Du Heuchler!« sagte Dina nach einer Weile, ihr thränengebadetes Antlitz von seiner Schulter erhebend, »Du weißt recht gut, daß, wenn ich Dich nicht getroffen, ich noch in Frankfurt die Moden angäbe und die jungen Leute verspottete, die mir die Cour machten. Meine Pläne kommen von Dir, – mein Gedanke, hier zu leben und zu sterben, kommt von Dir, – ich habe nur die Aufgabe des Weibes erfüllt, im Kleinen auszuführen, was sich vollenden läßt im beschränkten Kreise der Möglichkeit!«

»So weigere Dich denn auch nicht und sei glücklich mit mir, – Du siehst, trotz allem meinen Sehnen und Streben, meinem Ringen und Schaffen habe ich es doch zu weiter Nichts gebracht, als – ein glücklicher Mensch zu werden! –«

»Ja, ja,« rief Dina mit dem Humor des Glückes, »in der jetzigen Weltordnung heißt das erste Gesetz: Du sollst ein Egoist sein; lerne das begreifen, mein Geliebter, und ich bin Dein!«

[290]


Gedruckt im Landes-Industrie-Comptoir zu Weimar.


 


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