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Eilftes Kapitel.
In der heiligen Stadt.

Felix hatte noch denselben Tag, als ihm Paul im Auftrage Lori's Alles mitgetheilt, was sie ihm sagen ließ, in Königswinter, wo er seine Effecten zurückgelassen, das Dampfschiff bestiegen, um am Abend die heilige Stadt Cöln zu erreichen. In tiefe Gedanken versunken, saß er auf dem Verdeck des Schiffes. Er dachte an Lori. Zweimal war er ohne sein Wissen und Willen in das Schicksal dieses Mädchens durch seine Erscheinung störend eingetreten, und je mehr er ihr Benehmen überdachte, desto unbegreiflicher wurde es ihm; denn es ist schon bemerkt worden, daß Felix des Schlüssels von Allem entbehrte, er ahnte ja nicht, daß Lori [179] ihn liebte. Es lag so ganz außerhalb seines Ideenkreises, an eine Einwirkung auf dieses Mädchen zu denken; ihre sinnliche, launische und leidenschaftliche Natur, deren einziger Reiz ihre Kraft und Frische war, hatte für einen schwärmerischen Denker, wie Felix Walram, wenig Anziehendes. Seiner ernsten Natur waren die Frauen bisher nur Werkzeuge für seine menschenfreundlichen Zwecke, weil ihre theilnehmende, feinorganisirte Natur mehr zur Aufopferung und weniger zum Selbstgenuß sich neigt, wie die der Männer. Dina hatte freilich einen starken Eindruck auf sein Herz gemacht, aber selbst dieser Eindruck war nicht fähig, ihn auch nur auf kurze Zeit in seinem Streben zu lähmen. Er bedauerte weniger, dem Zuge seines Herzens nicht haben folgen zu können, als es ihn freute, das Bewußtsein in sich zu tragen, seinem heiligen Zweck einen Wunsch, ein Verlangen geopfert zu haben, – auch die Tugend hat ihren Egoismus!

Jetzt wollte er nach Paris. Ein Freund und Landsmann von ihm, Leo von Adlersvill, der sich dort aufhielt, sollte auf Felix's Gütern einige Ein [180]richtungen besorgen, wozu er ihn aber durchaus selbst sprechen mußte. Leo wollte von Paris aus heimkehren; dorthin eilte jetzt Felix, und von dort wollte er sich nach Rom begeben, um einen letzten Versuch zu wagen in der Aufgabe, die er selbst sich auferlegt hatte.

Da er erst mit dem nächsten Abendzuge Cöln verlassen konnte, so blieb ihm ein ganzer Tag zum Besuche der heiligen Stadt übrig. Sein erster Gang galt dem deutschen Meisterwerke, dem Dom.

Dies unvollendete Prachtwerk muß für jeden Deutschen ein Gegenstand tiefer Trauer sein, – unvollendet steht es da! – wo sind die frommen deutschen Hände, die, in vaterländischer Liebe vereint, das vollendende Kreuz auf seine Thürme pflanzen werden? Wie viele hundertmal ist dieser Dom schon das verkörperte Deutschland genannt worden, und immer von Neuem drängt sich der alte Gedanke unabweisbar auf. Mit einem Nothdache versehen, im Innern die freie Durchsicht durch eine Wand verbaut, ohne Spitze, ohne Thurm, und doch das erste, schönste, stärkste Gebäude der Welt, angestaunt und bewun [181]dert, trotz aller seiner ihm grausam vorenthaltenen Rechte, – wer dächte, wer spräche, wer schriebe dabei nicht von Deutschland?

Der deutscheste Fürst der Neuzeit, König Ludwig von Baiern, der einzige Fürst, der zum Dom aus eigenen Mitteln wahrhaft königlich gesteuert, indem er eine Reihe der prachtvollsten Fenster, Hunderttausende an Werth, dort einfügen ließ, hat sich auch hier ein ewiges Denkmal gestiftet!

Felix stand, im Anschauen versunken, vor dem Fenster, wo, in Farbe und Zeichnung unvergleichlich schön, die Huldigung der drei Könige zu sehen ist.

»Wie kann man der Mutter Gottes so gleichen, und doch so treulos sein?« sagte leise eine bekannte Stimme neben ihm. Rasch wandte sich Felix, um den Sprecher zu sehen. In tiefe Gedanken versunken, stand neben ihm ein blasser Mann in vernachlässigter Kleidung. Unordentlich hingen die langen, blonden Haare um den Kopf; – war es möglich, war das der eitle, elegante, blühende Joseph Huber? – denn Huber's Züge trug diese melancholische Erscheinung.

[182] »Huber!« rief Felix leise, um sich zu überzeugen. Der Angerufene zuckte zusammen, und wie aus einem Traum erwachend, blickte er Felix an. Dann plötzlich schrie er auf: »Ein Mensch, endlich ein Mensch!« und fiel, laut weinend, in Walram's Arme.

Leute, die diesen Ausruf gehört, umstanden die Beiden; Felix, dem jedes Aufsehen verhaßt war, suchte die Arme des ihn umklammernden Mannes loszulösen; als ihm das endlich gelungen, führte er ihn rasch vor die Thüre der Kirche und bestieg mit ihm einen dort haltenden Fiaker.

»Huber, um Gotteswillen, was ist mit Ihnen vorgegangen? Was hat Sie so verändert?«

»O Nichts!« sagte Joseph und strich sich mit der Hand über die Stirn, »o Nichts! – denn ich bin ja nicht bankerott, mein Onkel ist es ja nur!«

»Bankerott? So bleibt Ihnen Nichts?«

»O doch, mir bleibt Viel! Gerade so Viel für's ganze Jahr, als ich in Wien im Hause meines Oheims in einem Monat brauchte. In Frankfurt aber habe ich nie damit auskommen können. Mir [183] bleiben jährlich tausend Gulden Münze, die Zinsen meines mütterlichen Vermögens, ist das nicht Viel? Ha, ha, ha!«

Felix wandte sich entrüstet ab. »Wie ist es möglich, daß ein Mensch so seinen ganzen moralischen Halt im Gelde finden und mit ihm verlieren kann?« frug er sich innerlich. Wie hoch stand Lori, an die er eben dachte, doch über ihrem ehemaligen Geliebten!

Als ahnte Joseph seine Gedanken, sagte er: »Ja, wenn ich sie noch hätte, dann wäre Alles gut! Sie stand über dem Gelde und wußte doch auch mit Wenigem Unglaubliches zu leisten. Sie würden nie begreifen, mit wie wenig das Mädchen auskam, ehe ich sie unterstützte, – und doch soll sie damals immer fröhlich gewesen sein, – fröhlicher vielleicht, als bei mir! Ja, wäre sie da, sie würde mich trösten, ja, sie würde mit dem Wenigen, mir gebliebenen, Etwas anfangen, – aber ich, – was sind mir zwanzig tausend Gulden? Ein Kapital, das ich in einem halben Jahr aufbrauchen werde, sobald ich es in Händen habe, – und dann schieße ich mich [184] todt, – so ist's am Besten! Aber sie wollen mir's nicht geben, meine Mutter hat das so angelegt. –«

»Fassen Sie sich, Huber, – dies Unglück ist nicht der Rede werth für einen jungen und gesunden Mann!«

»Ich bin nicht gesund! Ich leide an so fürchterlichen Kopfschmerzen, daß ich bald davon wahnsinnig sein werde! Sehen Sie hier,« er wies auf seine Stirne, »da klopft Nacht und Tag ein schwerer Hammer, bald hat er die dünne Hirnschale durchgeschlagen; dann ade!«

Felix frug den Unglücklichen, wo sein Gasthof sei.

»O, ich gehe mit Ihnen, Baron, Sie lasse ich nicht mehr! Wenn ich Sie aus den Augen verliere, bin ich des Todes! Sie glauben nicht, unter welchen Leuten ich seither gewesen! Sie sind seit meinem Unglück der erste Mensch, der mir begegnet!«

»Wie kommen Sie nach Cöln?«

»In Frankfurt sagten sie mir, eine Rheinreise würde mir gut thun und brachten mich in Mainz [185] auf ein Dampfschiff. Das Dampfschiff brachte mich nach Cöln, und so bin ich hierhergekommen!«

»Seit wie lange sind Sie hier?«

»Das weiß ich nicht. Am ersten Tage führte mich Jemand in den Dom, da bin ich denn jeden Tag wieder hingegangen, weil ich fand, daß Lori der Mutter Gottes im ersten Fenster glich!«

»Haben Sie nichts von ihr gehört?«

»Nichts! O jetzt wird sie gewiß auch nichts mehr von mir wissen wollen! Wie ich aussehe!«

Der Unglückliche warf einen unbeschreiblich bittern Blick auf seine verwahrloste Kleidung, knöpfte die Weste über dem unreinlichen Hemde zu und kreuzte die Enden seines beschmutzten Rockes über den Knieen.

Felix erinnerte sich, niemals im Leben eine Empfindung gehabt zu haben, die ihm solche Pein verursacht. Dies Gemisch von Verachtung und Mitleid kannte er bisher nicht, denn nie hatte Jemand, der ihm früher so nahe gestanden, wie Huber, sich ihm in solch jammervoller Gestalt gezeigt.

Er nahm ihn mit in seinen Gasthof. Er beauftragte Stanislaus, andere Kleider für ihn zu [186] besorgen, während er selbst wieder ausging, um dem Anblicke des Halbverrückten zu entgehen. Als Huber sich in Walram's eleganten Zimmern sah, wurde er offenbar ruhiger und zufriedener. Mit einer gewissen Behaglichkeit streckte er sich auf dem weichgepolsterten Ruhebette aus – Gott weiß, wo der arme Schelm bisher gehaus't! – und ruhig ließ er Felix zur Thüre hinausgehen und erwiederte freundlich auf dessen Abschiedswort: »Ich komme bald wieder!« – »Schon gut, Baron, ich erwarte Sie!«

Felix schrieb nun sogleich nach Frankfurt an das Banquierhaus, bei welchem er accreditirt gewesen, und bat um Auskunft wegen des jungen, unglücklichen Wieners. Umgehend erhielt er die Bestätigung dessen, was Joseph gesagt, sowie die Zusicherung des Chefs, daß er sich bemühen werde, für Joseph den Betrag des kleinen Restes seines Vermögens zu erfahren und ihm durch seine Vermittlung die Zinsen aus Wien zu übermachen.

Felix's Gegenwart hatte offenbar den wohlthätigsten Einfluß auf den Unglücklichen. In den drei Tagen, die er bei ihm zugebracht, hatte sich das [187] Irre und Krampfhafte seines Wesens schon sehr gemildert. Das unbegrenzte Zutrauen, welches ihm des Kurländers ruhige und ernste Persönlichkeit einflößte, wirkte wie Balsam auf sein zerstörtes Gemüth.

»Wären Sie in Frankfurt gewesen, hätte ich nur einen Menschen gehabt, so wäre es nie so weit mit mir gekommen! So aber schrie mir Jeder nur in die Ohren, wie viel ich ihm schuldig sei, und meine ganze Umgebung, mein Kammerdiener an der Spitze, hatte gar keinen andern Gedanken, als sich möglichst bald bezahlt zu machen, – dann ließen sie mich im Stich!«

»Und Ihr Geschäftsfreund?«

»Der verliert große Summen durch den Bankerott meines Oheims, und ich wagte gar nicht hinzugehen, denn der von meinem Onkel für mich ausgestellte Creditbrief ist auch kein kleiner Beitrag zu diesen Summen!«

»Haben Sie nicht die Gräfin Waterford, nicht Frau von Lavallon mehr gesehen?«

»Niemand, Niemand, als meine Gläubiger! Es waren keine großen Schulden, die ich hatte, nur [188] kleine Summen, wie jeder Mann, der im Besitze eines großen Einkommens sich wähnt, Ausstände hat. Aber die Dinge, die ich habe von diesen Leuten anhören müssen! Meine Verschwendung, die sie früher nur großartige Lebensweise nannten und priesen, indem sie auf die Frankfurter jungen Herren schimpften, die nicht so viel Geld ausgäben, als ich, – diese Verschwendung konnten sie nun nicht genug schmähen, und ich mußte Alles mit anhören, durfte nicht einmal Einen die Treppe hinabwerfen. Ich glaube, davon allein bin ich halb verrückt geworden!«

Felix wußte nicht, was er mit Joseph anfangen sollte. Er wollte jetzt, nachdem er ihm schon einige Tage geopfert, nach Paris abreisen. Als er mit Joseph von ihrer bevorstehenden Trennung sprach, ward dieser vollständig tiefsinnig. Er sprach kein Wort, er wies Speise und Trank von sich und richtete nur zuweilen seine blauen, wirklich ehrlichen Augen mit unaussprechlicher Trauer auf den ihm einzig übrig gebliebenen Freund.

Diesen stummen Klagen vermochte der gutmüthige Felix nicht zu widerstehen, – er entschloß [189] sich, den Unglücklichen mit nach Paris zu nehmen, hoffend, daß sich der gebeugte Mann dort eher erholen und im fremden Lande eher seine Selbständigkeit wiederfinden werde, da ihn Niemand in Paris kannte und seine verletzte Eitelkeit, die eigentliche Ursache seiner Trauer, dort weniger Nahrung fand.

Huber's Dankbarkeit kannte keine Grenzen, als Felix ihm seinen Entschluß mittheilte, und so reis'ten denn wirklich die beiden jungen Leute, begleitet von dem getreuen Stanislaus, zusammen nach Paris ab.



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