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Siebentes Kapitel.
Die Diplomaten.

Von allen diplomatischen Größen in Frankfurt war es eine, die Felix ganz besonders anzog. Dieser Gesandte repräsentirte eine deutsche Großmacht auf [105] eine Weise, die dem damaligen Beherrscher derselben besonders zusagte. Herr von Stolzenfels, obgleich er früher Officier gewesen und jetzt den Rang eines Generals bekleidete, war dennoch nichts weniger als Soldat. Er schätzte und pflegte die Künste des Friedens und sein feiner Geist fand auch Gelegenheit, sich in ihnen auszuzeichnen. Die Frauen der Gesellschaft schwärmten für ihn, die Männer aber hatten ihm beinahe alle Etwas vorzuwerfen, meistens war es Mangel an Offenheit und Freimüthigkeit, wessen sie ihn beschuldigten, – als ob jemals ein Träger dieser Eigenschaften zum Diplomaten getaugt hätte! Oder die Männer eiferten über seine Eitelkeit, als ob nicht jeder von diesen Eifernden eben so eitel gewesen wäre, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß sie weniger Ursache dazu hatten! Die Erfolge des Generals bei den Frauen waren durchaus harmloser Art, denn er war ein guter Ehemann und seine Frau war glücklich.

Der General war Schriftsteller, Kunstkenner, Mathematiker, die ganze Literatur war ihm auf eine fabelhafte Weise geläufig, denn sein unbegreifliches [106] Gedächtniß hielt Alles fest. Felix hatte ihm, wie die Frauen, stundenlang zugehört, wenn er durch seine passenden Citate, seine geistreichen Zusammenstellungen in den Gesellschaften den Mittelpunkt der Unterhaltung bildete. Auch Herr von Stolzenfels hatte offenbar eine gewisse Freundschaft, wie sie in der großen Welt üblich ist, für den jungen Mann gefaßt.

Auf den General hoffte und baute Felix für seine Pläne nun ganz besonders. Ihm wollte er sie zuerst mittheilen, er sollte seinen Fürsten, der ihn durch seine besondere Freundschaft auszeichnete, dafür gewinnen. Stolzenfels war der Einzige von allen Diplomaten, von dem Felix nicht geradezu ausgelacht zu werden fürchtete, denn in der Seele des Generals klang nicht nur die Saite einer gewissen mystischen Romantik, sondern Felix wußte auch bestimmt, daß die Seele des Herrn von Stolzenfels tief genug war, die Idee des Christenthums als etwas Lebendiges in sich aufzufassen, ja, daß er sogar einer gewissen religiösen Schwärmerei nicht fremd war.

Felix, als er nun seine Pläne reif wähnte, und die Zeit herangekommen, bei Andern und durch [107] Andere für sie zu wirken, verfügte sich zuerst zu Herrn von Stolzenfels, der ihn sehr freundlich empfing, wie überhaupt große Höflichkeit und Gefälligkeit des Benehmens zu den vielen ausgezeichneten Eigenschaften des Generals gehörten.

»Ich wünsche, Sie allein und ungestört eine Stunde sprechen zu dürfen, Herr General; haben Sie jetzt Zeit für mich übrig?« frug etwas befangen Felix.

»Ich bin ganz zu Ihren Diensten, lieber Baron und werde Befehl geben, daß Niemand uns störe. – So, – nun sagen Sie mir, was Sie wünschen!«

»Ich muß weit ausholen, Herr General! Vor allen Dingen aber gebe ich Ihnen die Erklärung, daß dasjenige, was ich zu sagen habe, ebensowohl dem Freunde Ihres Fürsten als dem Repräsentanten eines großen und intelligenten Theils des deutschen Volkes gilt. Ich wollte, ich hätte die Gabe Ihres Fürsten, von dem Sie einst äußerten, daß Sie ihn für den größten Redner seiner Zeit hielten, – wäre es auch nur, damit Sie, fortgerissen vom Strome meiner Beredsamkeit, mich nicht gleich im [108] Anfange mit der nüchternen Bemerkung niederschmetterten, daß Sie keinen Schwärmer in mir vermuthet hätten, – sagen Sie mir nur das nicht, Herr General!«

»Wie sollte ich dazu kommen,« lächelte Stolzenfels; »das ist das Letzte, was ich in Ihnen vermuthe! Reden Sie nur unbesorgt, in wessen Namen es auch sei! Und sein Sie meiner Aufmerksamkeit und meines Interesse für ihre Clientschaft versichert.«

»Ich komme zu Ihnen im Namen der ganzen Menschheit! Ich komme zu Ihnen, um Sie zu bewegen, eine Initiative zu ergreifen und zuerst eine Fahne zu entfalten, um welche sich dann alle anderen Regierungen schaaren müssen

In dem reiherartigen Auge des Generals sprach sich lebhafte Theilnahme aus, und er zog seinen Sessel noch näher zu dem des jungen Kurländers hin.

»Wie oft habe ich Sie selbst die Haltlosigkeit und Trostlosigkeit der jetzigen Zustände unseres gemeinschaftlichen Vaterlandes, und die Hülflosigkeit und Rathlosigkeit der Regierungen diesen Zuständen [109] gegenüber beklagen hören, ohne daß selbst Ihr reicher und tiefer und ernster Geist ein durchgreifendes Mittel zur Hebung dieser Verhältnisse zu ergründen vermocht hätte. Ich bin kein großer Politiker, denn dazu bin ich zu jung, aber ich bin ein großer Menschenfreund, ein begeisterter Deutscher und ein wirklicher Christ. Durch diese letztere Eigenschaft glaube ich mich bei einem Manne wie Ihnen legitimirt, um vor Sie zu treten und Ihre Hülfe für ein leidendes, im Uebermaße leidendes Volk anzurufen.«

»Gehören Sie zu irgend einer Missionsgesellschaft?«

»Sie irren, Herr General! Ich bin ebensowenig Missionär wie Communist. Ich bin weiter nichts als ein Aristokrat, der aber zuerst ein Mensch ist, und die Rettung seiner Brüder eben durch jene Institutionen zu bewerkstelligen wünscht, in deren Sturz die übrigen Heilkünstler der Zeit die einzige Rettung der leidenden Menschheit sehen. Der christliche Staat soll die christliche Nation erretten, so lange beide noch kräftig genug dazu sind!«

»Erklären Sie sich deutlicher, Herr Baron!«

[110] »Die Regierungen sind bedroht von zwei Bewegungen, erstens von der politischen, das heißt, dem Drange des Volkes zur Theilnahme an der Regierungsgewalt, – das ist die stärkste und auch die gefürchtetste Feindin, denn ihre Consequenz ist die Vernichtung der fürstlichen Autorität, die Errichtung der Republik!«

»Die zweite und schwächere Feindin, wie heißt die, Herr Baron?«

»Ich kann sie nur mit einem nicht ganz passenden Namen nennen, denn sie ist nicht in neuerer Zeit so verkörpert in's Leben getreten wie die andere. Nennen wir sie einstweilen Socialismus, obgleich sie weiter nichts ist als der Drang des Volkes nach materiellem Wohlsein. Wie wenig nun freilich diesem Drange von Oben aus genügt wird, – welche Erndte der Hunger, das Elend, die Armuth bei dem fleißigsten und genügsamsten Volke der Welt halten, werden Sie zu ignoriren nicht stolz und abgeschlossen genug sein.«

»Beruhigen Sie sich, mein junger Freund! – diese Saite kann nie berührt werden, ohne daß mir das Herz blutet; aber reden Sie weiter!«

[111] »Die Consequenz des Dranges zum Wohlsein, nach meiner Ansicht, und selbst Fourier theilt hierin meine Meinung, ist nun durchaus nicht der Umsturz der jetzigen Regierungsformen, im Gegentheile, jener Drang, wenn er befriedigt würde, könnte dazu dienen, den andern, den politischen zu ersticken, eben so gut wie man im Jahre 1848 durch Befriedigung des Einheitsdranges das gefährliche demokratische Element hätte besiegen und ersticken können.«

»Aber das Wie, mein junger Freund?«

»Kann ich, darf ich Ihnen Das genau formuliren, Herr General? Lassen Sie nur ein einziges Mal die Regierung deutlich den Willen aussprechen, eine wahrhaft väterliche zu sein, – lassen Sie nur ein Mal die weisesten Männer jedes Staates sich versammeln, um zu berathen, wie man gegen Elend und Hunger kämpft, – nur mit demselben Interesse, wie sie es jetzt thun, um die Mittel zu berathen, eine widerspänstige Kammer zu entkräften, so wird die Hülfe nicht ausbleiben. Ein Volk, dem alle großen Erfindungen der Erde zu Theil wurden, dem wird es nicht schwer werden, voranzugehen mit einer [112] Erfindung, die überdem nicht neu ist. Denn ich verlange nur, daß der Absolutismus der Mächte zum alten Patriarchenthum werde! Eine solche Staatsform, indem sie mit den Interessen des Volkes identisch wird und die Initiative materiell verbessernder Reformen in den Verhältnissen der untern Volksklassen ergreift, wird plötzlich so felsenfest gegründet sein, wie die Macht Abrahams über seine Kameeltreiber und Hirten!«

»Aber das Wie, mein bester Herr von Walram!«

»Glauben Sie an Radikalmittel, Herr General? – Ich mißtraue ihnen nimmer! So wie jeder menschliche Körper eines besondern Arztes und eines besondern Heilreceptes bedarf, so auch jedes einzelne Volk! Ueberall entspringt sein Leiden aus besondern Ursachen und die Hülfsquellen sind auch andere. Interessirt es Sie aber, die Theorien eines jungen Mannes, wie ich bin, auch im Detail kennen zu lernen, nachdem Sie im Ganzen meinem Anliegen so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, so will ich Ihnen einige Hefte meiner ›Hülfsmittel‹ überschicken. Aber von vorne herein muß ich er [113]klären, daß ich für deren Unfehlbarkeit nicht einstehe. Die Ideen, die ich in meinen Denkschriften über die verschiedenen Fragen, von welchen die Heilung der Gesellschaft abhängt, niedergelegt, sind die Ergebnisse eines heiligen Ernstes, der bereit ist, sich, sein Leben, sein Alles dem Wohle der Menschheit zu opfern. Ich glaube an diese Ideen, diese Eingebungen so mancher durchwachten Nacht. Aber auch wenn sie keine Gläubigen finden, – wenn nur Alle meinen Willen, zu helfen, theilen, glauben Sie mir, Herr General, dann kommt die Einsicht, wie diese Hülfe geleistet werden soll, schon von selbst.«

»Aber wie Alle zwingen?«

»Zwingen Sie sie jetzt nicht schon, Alles zu thun, was der Staat verlangt? Darf Etwas bestehen, was einmal unter die Rubrik ›ungesetzlich‹ eingeschrieben wurde? Lassen Sie: Krankheit, unverschuldetes Elend, Alter und Körpergebrechen hülflos zu lassen, darunter rubriciren und der Menschheit ist geholfen. O, Herr General! auf Ihre Teilnahme habe ich so sehr gehofft, – wenn Sie mich ohne Hoffnung gehen lassen, bleibt mir nichts Anderes übrig, als –«

[114] »Ein Egoist zu werden, wie es Alle sind,« sagte, ihm herzlich die Hand reichend, der General und fuhr dann fort: »Wahrlich, Sie beschämen mich, lieber Baron, wie nüchtern, wie kalt, wie herzlos, wie alt komme ich mir vor im Vergleich mit Ihrer warmen Jugend und Ihrem schönen Eifer! Ich möchte Sie mit Posa vergleichen, fiele mir dann nicht unabweisbar die fürchterliche Rolle Philipps zu und das verdiene ich doch nicht! Wäre ich König –«

»Ihr Fürst ist aber Ihr Freund, –«

»Ach, lieber Baron! solch' eine Freundschaft giebt unser Einem keine Rechte, – aber ich werde meinem Herrn gewiß mittheilen, was so sehr verdient, von jedes Fürsten Ohr vernommen zu werden, – aber selbst das nur als eine Merkwürdigkeit, – im Ernste könnte ich nicht wagen, davon zu reden. Sie sehen, ich bin ehrlich, obgleich mir die Welt das nicht zugiebt!«

»Also habe ich nichts weiter bei Ihnen erlangt, nichts weiter, als daß ich jetzt ein Mensch bin, dessen Autograph Sie vielleicht zu Ihrer Sammlung [115] legen, weil – es eine Merkwürdigkeit ist,« sagte Felix sehr bitter.

»Sie thun mir unrecht, mein junger Freund!« versetzte mit dem Ton tiefen Gefühls der General; »wenn Sie wüßten, mit welch' warmem Interesse ich Ihrem Ideenschwunge gefolgt bin!«

»Also auf ein ander Mal!« sagte Felix kalt, stand auf und empfahl sich.

Er hatte sich vorgenommen, heute noch zu dem Gesandten der andern Großmacht zu gehen, und wollte sich nun selbst das Wort halten, so schwer ihm das auch wurde.

Dieser Gesandte, Graf Bodendorf, Geheimerath und Großkreuz aller möglichen Orden, war von dem General von Stolzenfels ganz verschieden. Wenn sein Staat das historische Recht repräsentirte und an den Grundprincipien desselben nicht rütteln ließ, so war auch der Gesandte ein entschiedener Feind alles dessen, was Concession genannt werden konnte.

Er war nicht geistreich, nicht kunstsinnig, nicht romantisch, weder im Amt, noch in seinen freien Stunden, aber er war immer klug, scharf, entschieden [116] und klar. Er liebte Nichts und sympathisirte mit Nichts, aber er haßte auch Nichts und verfolgte Nichts, wenn dieser Haß und diese Verfolgung nicht einen ihm nothwendig scheinenden Zweck hatten. Er schätzte Verstand in Andern, aber noch unendlich viel mehr Geld, und noch unendlich viel mehr als Geld eine hohe Geburt.

Die Geburt ist das Fundament und der Anfang, pflegte er zu sagen, und auf ein gutes Fundament und einen guten Anfang kommt bei einem Gebäude und bei einem Menschen Alles an, – das Uebrige, da kann man nachhelfen, aufbauen und wenn das Alles Nichts hilft, – decoriren!

Diesem Manne, der übrigens Walrams Großvater hätte sein können, sollte nun Felix seine Gedanken, seine Pläne unterbreiten. Er that es mit wahrem Heroismus, unterstützt von dem aufmunternden Lächeln des alten Seigneurs, – aber natürlich mit andern Worten und andern Motiven als bei dem berühmten General.

Der Graf hörte ihn ruhig zu Ende und dann sagte er: »Sie sind ein seltener junger Mann! [117] Denn Sie wollen reformiren und verlangen doch keine Preßfreiheit und keine Redefreiheit. –«

»Nein, Excellenz, nur Freiheit zum Leben, weiter Nichts!«

»Ich antworte Ihnen nicht, wie jener berühmte Egoist: Je n'en vois pas la nécessité, sondern im Gegentheil, ich sage Ihnen meinen verbindlichsten Dank für das mir geschenkte Zutrauen und bitte Sie nur, Ihre so schön ausgesprochenen Ansichten in ein möglichst gedrängtes Memoire zu fassen, damit ich es meinem Hof übersende und zur Beurtheilung unterbreiten kann.«

»Ach, Herr Graf! Ihr Secretair, Graf Nazy, hat mir erzählt, Sie hätten in Ihrer Kanzlei daheim ein ganzes Zimmer voll aufgezeichneter, ungelesener Memoiren, das sei bei Ihnen Manier, die Leute abzufertigen.«

»Nazy ist ein mauvais plaisant! Stören Sie sich nicht an ihn und erfüllen Sie meine Bitte, in einigen Wochen werde ich mir die Ehre geben, lieber Baron, Ihnen das Resultat mitzutheilen.«

[118] Felix empfahl sich weniger verstimmt und doch eben so hoffnungslos wie bei dem ersten Versuche.

Ihm blieb nur noch ein Gang. Er mußte ihn thun, weil sicher dieser dritte Gesandte von seinem Schritt bei den beiden andern erfahren und ihm nicht verzeihen würde, wenn er ihn übergangen.

Der Freiherr von Ebernstein war ein sehr liebenswürdiger und fein gebildeter Mann, aber weder ein Genie noch ein Aristokrat, sondern einfach ein sehr pünktlicher Beamte. Der Fürst, den er repräsentirte, war ein Original, aber ein Mann von Ideen, ein begeisterter Patriot. In fünfzig Jahren werden die Menschen mit großer Verwunderung vor diesem Charakter stehn, in hundert Jahren mit Bewunderung, – seine Schwächen wird man vergessen haben und sich nur noch erinnern, was er wirklich geleistet, wenn er auch mehr dem Ideal als der Wirklichkeit, mehr der Nachwelt als der Mitwelt geopfert und gelebt hat.

Ein Hauptvorzug des Fürsten war, daß er wirklich den Gedanken, daß er ein deutscher Fürst sei, [119] eben so hoch hielt, als den Gedanken an seine hohe Stellung überhaupt, und obgleich er zu einem Hause gehörte, das sich wiederholt an Deutschland versündigt – er war nur der ächte Enkel großer Vorfahren, die ihr Leben für den Ruhm und die Macht des Vaterlandes eingesetzt.

Dem Freiherrn, seinem Gesandten, theilte Felix nur mit, was er den beiden Andern gesagt und behielt sich vor, dem genialen Fürsten selbst seine Pläne an's Herz zu legen, ohne weiter Herrn von Ebernstein zu beauftragen, seine Bitten und Vorstellungen seinem Hofe zu hinterbringen. »Ich hätte nicht ein Mal ein Recht dazu, gehört zu werden,« sagte er, »denn ich bin ja russischer Unterthan; aber ich weiß, daß ich immer als Deutscher, für den mich zu halten mein höchster Stolz ist, bei dem deutschesten Fürsten wohl ein gnädiges Gehör finden würde, – denn ich bin ein Deutscher, wenn auch einer leider verlornen Provinz angehörend.«

Herr von Ebernstein schüttelte ihm die Hand, sagte einige freundliche, anerkennende Worte und Felix war fertig!

[120] Er ging nach Hause. Nie, seitdem er lebte, erinnerte er sich, in so trüber, hoffnungsloser Stimmung gewesen zu sein. – Der Gedanke, der sein Schiboleth gewesen, schien ihm jetzt selber unklar, ja schien ihm verloren.

Wie hatte er gehofft, gebaut auf seinen warmen Eifer, sein redlich Wort! – ach, er fühlte, daß trotz aller Versicherungen Nichts eingeschlagen, Nichts angeklungen, – das, wofür er lebte, sollte ihm nicht gelingen!

Sein treuer Kammerdiener empfing den niedergeschlagenen Gebieter ganz bestürzt; er glaubte, ihm sei irgend ein Unglück zugestoßen, und dennoch wagte er nicht zu fragen.

»Es ist ein Billet für Sie gekommen, gnädiger Herr!«

»Ich mag eben Nichts lesen, laß es liegen, Stanislaus.«

»Aber, – es scheint von einer Dame zu sein.«

»Einerlei, – mir ist jetzt ganz einerlei, was man mir schreibt und wer mir schreibt.«

 

[121] Nach einer Viertelstunde kam Huber, und nach den ersten gleichgültigen Worten fiel er in sein altes Thema, seine Klagen über Lori's Flucht.

»Ich habe heute keine Teilnahme für Ihr Unglück, lieber Freund,« sagte Felix, »verzeihen Sie mir, ich bin zu sehr mit meinen eignen unangenehmen Gedanken beschäftigt!«

»Hat vielleicht eine Dame –«

»Lieber Huber, werden Sie nie begreifen,« versetzte nun mit der Gereiztheit der Verstimmung der junge Kurländer, »daß die Damen für mich nicht sind, was Sie die Leute glauben machen wollen, daß sie Ihnen sind, – denn eigentlich sind sie Ihnen auch ganz gleichgültig, – Sie sind doch ganz blasirt!«

»Ich! Blasirt! Wie kommen Sie nur darauf? Sie sehen ja doch die Verzweiflung, in die mich Lori's –«

»Ach ja, Lori! Das ist ja auch nur Ihre gestörte Gewohnheit und Bequemlichkeit! Seit drei Jahren sind Sie gewohnt, um zwölf Uhr die Chocolade und um sechs Uhr den Kaffee bei Lori zu trinken!«

[122] »Baron, das ist abscheulich, daß Sie meine treue Liebe zu dem Mädchen so auslegen!«

»Vielleicht thue ich Ihnen auch Unrecht,« sagte Felix, nur um ihn loszuwerden, denn heute konnte er mit diesem Menschen nicht umgehen.

Huber merkte nun, daß Felix nicht in seiner sonst so gleichen heiteren Laune war, und da er ohnedem immer eine gewisse Scheu vor ihm empfand, so empfahl er sich.

Kaum war er draußen, so wurde neuer Besuch gemeldet: der Legationsrath von Lavallon. »Was mag der wollen?« frug sich verwundert Felix.

Herr von Lavallon war ein starker Mann mit hellblauen, großen, sehr blöden Augen, man sagte ihm oft, er gleiche Ludwig dem Sechszehnten, und er war schwach genug, sich Etwas darauf einzubilden, obgleich er für das Verdienst eines Märtyrers, das einzige des armen Ludwig, durchaus keine Neigung verrieth.

Er war eitel und in sich selbst verliebt, schien aber bei der ersten Bekanntschaft schüchtern und bescheiden zu sein, weil er sehr leise sprach und sich sehr behutsam bewegte.

[123] »Ich hatte heute Morgen die Ehre, mit Ihnen in dem Vorzimmer einer Dame zusammenzutreffen.« –

»Ich erinnere mich,« sagte Felix mit einer Verbeugung.

»Nun wohl, das Zusammentreffen ist die Veranlassung meines Besuches.«

»Wollen Sie die Güte haben, mir zu erklären?«

»Sogleich. Als ich bei der Dame, die Sie soeben verlassen, eintrat –«

»Sie reden doch von der Frau Gräfin von Waterford?«

»Es ist nicht nöthig, Namen zu nennen, Herr Baron!«

»Entschuldigen Sie, aber Sie werden mir immer unverständlicher! Warum soll ich nicht den Namen nennen?«

»Weil,« versetzte Lavallon mit sehr starker Accentuirung, »weil das nicht nöthig ist. Also ich traf die Dame, die Sie unmittelbar verlassen, in Thränen und so verstört und außer sich, daß sie mir nicht Rede stehen konnte und vor mir entfloh.«

»Ich bedaure unendlich!«

[124] »Ich bin nun hier, um Sie zu fragen, ob Sie vielleicht jene Dame beleidigt haben? Ich habe die Ehre, ihr Freund zu sein und bin entschlossen, für sie in die Schranken zu treten –«

»Aber, mein Herr Legationsrath, sind Sie nicht vermählt mit einer höchst liebenswürdigen Dame und Vater von fünf Kindern –«

»Das gehört nicht hierher! Erst antworten Sie mir! –«

Nun war Felix' sehr lange ausdauernde Geduld erschöpft, die Zornader auf seiner Stirn schwoll an und mit vor Bewegung zitternder Stimme sagte er:

»Wenn es mir gefällig ist, sonst nicht!«

Der Legationsrath wurde aber noch heftiger, und ganz und gar aus seiner gewöhnlichen süßen Manier fallend und die sonst immer halb geschlossenen Augen weit öffnend, rief er mit starker Stimme:

»Ich werde Sie zu zwingen wissen, junger Fant!«

In demselben Augenblicke trat Huber ein, der, über den Gang gehend, wo auch seine Zimmer lagen, und das heftige Sprechen vernehmend, seinen Freund [125] in Gefahr glaubte. Zu ihm wandte sich Felix mit den Worten:

»Fordern Sie den Herrn in meinem Namen und dann schaffen Sie ihn weg!« – und zugleich verließ er das Zimmer.



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