Friedrich von Gagern
Der tote Mann
Friedrich von Gagern

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Es wurde Tag. Der große Morgenstern in taublasser Frühe stand eisklar ob tannenfinstrer Seebucht. Ein Hirsch rann in den Wellenkreisen seines verzitternden Spiegelscheins; Enten quarrten breit, Biber plumpten. Noch rief die große Fischeule am düsteren Ufer; schon strich der Adler mit hungrigem Morgenschrei über die Flut. Ne-i-ki-mi erwachte. Wie lange war er tot gewesen? . . . Die ewigen Jagdgründe? . . . Dort schimmerte der alte Opashkewa, von dumpfen Gluten durchschmolzen, unter schwelendem Dämmerrot; dort dunkelten still die Zelthütten, dort dehnte sich bleich die Prärie . . . Ein übler Geruch lagerte in der Luft; eine süßüble, gärige Witterung . . . Ne-i-ki-mi richtete sich auf; in seinem Kopfe hämmerten zehnmal zehn Akah Was-wa-gons an ebensovielen hartfunkengellenden Feuersteinen. Er zitterte vor Frost, vor Elend, vor Durst . . . Durst nach – nach – uogh, Feuerwasser! . . . Feuerwasser! . . . Er stierte vor sich hin, lange; dann rang er sich schaudernd hoch auf die tauben Sohlen. Die Welt im fahlroten Morgen schwankte und kreiste; der See entglitt, die Tannenwände stürzten vornüber ein, die Zelthütten wanderten und versanken . . . Ne-i-ki-mi hatte Mühe, sich aufrecht zu erhalten; er taumelte an den Ratspfahl, fing ihn auf und klammerte sich im Sturme fest. Das Feld war bedeckt von Erschlagenen; überall, zuhauf hingekrümmt und geschichtet, lagen sie auf ihren Antlitzen, gefällt vom Tomihok, dem Tomihok Manitus . . . Dort der alte Ne-e-na, das Gesicht unter sich begraben; hier Pu-wai-gon mit weitklaffendem Munde . . . Kein Feuer 124 brannte, kein Rauch stieg auf zum frostigen Morgenhimmel. . . Feuerwasser! . . Feuerwasser! . . Ne-i-ki-mi lechzte nach neuem Trunk. Kein Schmerz mehr, vergessen, versinken, schlafen! . . . Er trennte sich vom Ratspfahl und tappte und strauchelte elend zwischen den schnarchenden Leichen dahin. Feuerwasser! . . . Feuerwasser! . . . Wo war noch Feuerwasser? . . . Er trat fehl, diesem und jenem in den geblähten Bauch, stolperte, ward vom Schwindel niedergedreht und schlug schwer über einen Gefallenen hin . . . Aber diese Toten weckte kein Donner Manitus aus ihrer abgrundtiefen Nacht . . . Feuerwasser, uogh, Feuerwasser! . . . Da hörte Ne-i-ki-mi aus unermeßlicher Wolkenferne sich angerufen, und dort im Nebel, riesengroß, jetzt in Weite zusammengeschrumpft, stand Flint, der alte Akah Was-wa-gon. Er war eben aus dem Wigwam getreten, die lange Büchse mit dem schwerbeschlagenen Kolben in der Hand; sein kurzer, weißer Struppbart schimmerte, die blauen Augen unter den wirr überbuschenden Brauen sahen in kaltem Zorn. Ne-i-ki-mi wankte auf ihn zu.

»Feuerwasser!« lallte er mit dicker Zunge; »Feuerwasser!«

Der Alte lachte böse auf.

»Ja, freilich! . . . Den Weg nach dem Potomac noch einmal! . . . Schweine seid ihr; nicht zu belehren! . . . Fressen und Saufen ohne Maß und Einteilung! . . . Schweine!«

»Feuerwasser!« bettelte der Sagamore; »Feuerwasser!«

»Schweine! . . . Ausgesoffen habt ihrs; das Ganze. Euch geschieht recht. Der Weiße ist ein Hund; ihr seid Schweine; darum frißt er euch auf. Ganz recht.«

»Feuerwasser!« 125

»Schweine! . . . Holt es euch selbst!«

Der Häuptling stierte aus irren, schmalen Augen verzweifelt um sich.

»Wo ist das Feuerwasser?«

»Wo? . . . Da, in euren Schweinebäuchen! Das Ganze habt ihr ausgesoffen in einem einzigen Nachmittag! Der große Vater am Potomac wird lachen über seine tapferen Odjibewe, die ausziehen wollten gegen die N'dakotah und überfallen und erschlagen wurden vom Feuerwasser.«

Ne-i-ki-mi hockte sich ratlos hin und glotzte verglast über das grunzende Leichenfeld. Kälterot in atmender Stumpfglut ging die Sonne im Seewinkel des Schwarztanns auf; lange, blasse Winterschatten des Dorfes dehnten sich gegen die düsterfahl erstrahlende Prärie; die hingestreuten Toten, von den winselnden Hunden beschnuppert, lagen in riesigem Brandschein, wie nach Einbruch und Schlachtfest feindlichen Nachbarstammes – wie damals – –

Ne-i-ki-mi, die Arme um die Knie geschlungen, starrte in blödem Elend, verständnislos. Feuerwasser, Feuerwasser! . . . Die Welt schwankte und schwebte, ein kleines, leichtes Kanu auf dem uferlosen, sturmaufgewühlten Kitschi Gummi . . . Feuerwasser! . . . Feuerwasser! . . . Er hatte keinen Gedanken; er wußte nichts; er lechzte; in ihm war verkohlte Prärie. Da berührte ihn eine Hand. Die Stimme des alten Jägers kam vom Himmel herab.

»Der große Vater am Potomac wird lachen; und lachen werden die N'dakotah, daß man es hört bis zu den Kanadas hinauf und hinunter bis an den Niobrarah! . . . Zehnmal zehn Winter werden sie lachen an ihren 126 sieben Feuern, wenn diese längst schon in den letzten Tälern der hohen Berge die Kessel rußen und aufflackern vom Tropffett des letzten Bison! . . . Die welken Greise werden es den Pappuhsen erzählen, und noch die Enkel und Urenkel dieser Pappuhse werden ein Spiel üben: wie die tapferen Odjibewe zum Kriege sich rüsteten und auszogen wider die N'dakotah.«

Ne-i-ki-mi stierte dumpf; aber ihm dämmerte.

»Ne-i-ki-mi ist sehr krank,« klagte er hohl; »Ne-i-ki-mi sieht nicht mehr, er ist blind, er hört nicht mehr, er wird taub, er versteht nichts mehr, er wird schwachsinnig. Ne-i-ki-mi, armer Ne-i-ki-mi sehr krank.«

»Ne-i-ki-mi wird sterben,« versetzte der Alte bitter; »der rote Mann am Feuerwasser ist ein toter Mann.«

Der Häuptling neigte den Kopf mit der naßzerzausten, geknickten Adlerfeder.

»Feuerwasser – toter Mann,« wiederholte er in blöder Trauer; »armer Adam Ne-i-ki-mi toter Mann.« Und er hielt sich den Schädel, als müsse er den Skalp vor dem Messer, das blutige Hirn vor dem Herausfallen schützen. Dann gewahrte er erst, daß Akah Was-wa-gon mit Büchse, Pulverhorn und Jagdtasche zum Aufbruch gerüstet vor ihm stand. »Wohin geht mein alter weißer Bruder?«

»Irgendwohin. Fort. Zu den Otowa hinunter oder nach den Kanadas hinauf. An den Regensee oder an den Te-mis-ka-ming. Fort.«

»Warum will mein alter weißer Bruder fort?« fragte Ne-i-ki-mi mühsam und weh. »Gefällt es ihm nicht mehr am Opashkewa?«

»Nein.«

»Warum will mein alter weißer Bruder den armen 127 Adam Ne-i-ki-mi verlassen in der Not? Armer Adam Ne-i-ki-mi ist sehr krank.«

»Weil Akah Was-wa-gon nicht auch an einem Stück Eisen erkranken und an einem Loch im Schädel sterben will,« erklärte der Jäger rauh; »Ne-i-ki-mi mag verrecken – ich aber habe keine Lust, unter den besoffenen Schweinen von Odjibewe von den N'dakotah skalpiert zu werden.«

Der Sagamore senkte die schmerzende Stirn.

»Die armen Odjibewe bedürfen des Rats meines alten weißen Bruders. Er wird sitzen an ihrem Feuer und rauchen aus ihrer Pfeife, und sein kluges Wort wird gehört werden am Opashkewa.«

Flint lachte grimmig.

»Jawohl, bis zum nächsten Feuerwasser! . . . Nein. Ich habe keine Lust, für eure alten Squohs Hasen und Biber zu fangen und Büffel zu schießen, wenn die Eiankton oder Warpeton euch alle miteinander erschlagen oder am Marterpfahl geröstet haben, hehe. Sucht euch einen anderen zu eurem verdammten Ratsgeschwätz.«

Ne-i-ki-mi wiegte sich traurig in den Hüften, als stimme er den Totengesang an.

»Wird mein alter weißer Bruder den Otowa und Otoe, wird er es an anderen Feuern erzählen, was er bei den armen Odjibewe gesehen?«

Flint nickte grausam.

»Das werd' ich, bei allen roten und weißen Manitus! . . . Und die Otoe werden es den Omahau erzählen, und diese den Pa-o-ni, und diese den Titon der N'dakotah. Und es wird ein großes Lachen sein in der ganzen Prärie vom Ei-o-we bis hinüber nach dem Nebraska; hehe.«

»Waren die Odjibewe am Opashkewa nicht immer die 128 Freunde Akah Was-wa-gons? Hat er nicht viele Winter bei ihnen zugebracht und viele Biber bei ihnen gefangen? Haben die Squohs der Odjibewe ihm nicht die Mokassins genäht und das Leder gegerbt zum Jagdrock? Hat er nicht seine Pfeife gestopft aus dem Beutel und die Hirschkeule gebraten an der Flamme Ne-i-ki-mis?«

Der alte Feuerstein stieß mit dem Fuße einen irdenen Topf weg, der leer auf der Walstatt gelegen; das Gefäß rollte gegen den Ratspfahl und zerschellte.

»Ne-i-ki-mi erinnere sich, wenn sein Verstand wieder klar geworden; ich liebe den roten Mann, ich hasse und verachte den Weißen. Aber der rote Mann, der sich besäuft wie ein Schwein und grunzend in seinem Kot liegt, ist kein roter Mann mehr. Er ist ein toter Mann, ein halbes Bleichgesicht, ein halber In-schen, kein Wolf mehr und noch kein Hund, sondern ein verwilderter Köter, den man niederschießt.«

Der arme Häuptling wiegte den wirren Kopf.

»Roter Mann – toter Mann; roter Adam – toter Ne-i-ki-mi. Warum dann hat Akah Was-wa-gon das Feuerwasser an den Opashkewa gebracht?«

»Weil ich Ne-i-ki-mi für einen Sagamoren hielt, für einen weisen Krieger, für eine große Medizin. Seit wann brennt man das Pulver ab, das man in die Hörner füllen und Schuß für Schuß laden soll? Wird Ne-i-ki-mi auch die Pulverfässer auslaufen lassen und den Pulverbach anstecken? Ne-i-ki-mi ist keine große Medizin.«

»Roter Mann – toter Mann; roter Adam – toter Ne-i-ki-mi,« wiederholte der Sagamore in eintöniger Sterbeklage; »wird auch der große Vater am Potomac erfahren, daß das Feuerwasser ausgetreten ist aus seinen 129 Ufern und sich ergossen hat über das Volk am Opashkewa?«

»Das wird er. Denn die Bleichgesichter vom Fort sind schon früh wieder aufgebrochen und werden den Weißen Kunde bringen vom Kriege der Odjibewe gegen die N'dakotah.«

»Und was wird der große Vater beschließen?«

»Das weiß ich nicht.« Der alte Jäger rückte Pulverhorn und Weidtasche an ihren Riemen zurecht. »Er wird vielleicht das sprechende Leder ansehen und nach dem Feuer suchen, das die Söhne Mo-na-ba-zos verbrennt. Er wird vielleicht ein Jahr lang lachen; er wird vielleicht ein Jahr lang darauf warten, daß die Odjibewe erwachen und sich besinnen. Er wird vielleicht glauben, daß die Odjibewe in ihrem Rausche sogleich alle N'dakotah erschlagen haben; wird vielleicht meinen, daß die Odjibewe den gefallenen Eiankton und Warpeton zu Ehren sich besaufen, und wird nun wissen, daß er für Feuerwasser die Odjibewe jederzeit schicken und treiben kann, wohin er will.«

Ne-i-ki-mi dachte nach; dann blitzte es in seinen schmalen Augen, Glut unter grauer Asche.

»Ne-i-ki-mi ist ein großer Krieger; die Odjibewe sind weise.«

Flint lachte noch einmal auf; er schulterte die schwere lange Büchse. »Mag sein; aber ich habe kein Verlangen, für den großen Sagamore dieses weisen Volkes mich von einem Sissiton oder Assiniboin skalpieren zu lassen. Die kluge Eule lebt nicht zusammen mit dem schlafenden Winterbären, sondern sie lebt mit dem wachsamen Präriehund und der listigen Schlange. Es ist genug; heute hat Akah Was-wa-gon gesprochen. Und wenn Ne-i-ki-mi 130 später seiner sich erinnert, möge er seiner letzten Worte gedenken: Roter Mann und Feuerwasser – ein toter Mann.«

Der Alte wandte sich und schritt langsam in der Herbstmorgensonne durchs gerötete Leichenfeld davon, den wipfelerglühenden Wäldern zu; Ne-i-ki-mi blieb zurück in Groll, Elend und hilflos rachsüchtiger Scham.


Die Odjibewe hatten sich erholt. Es war noch einmal sommerwarm geworden. Draußen über die Prärie trieben stillglitzernde Spinnfäden; die letzten versprengten Büffel weideten und wanderten im Sonnendunst nach dem Rotfluß hinab.

Streifende Jagdspäher der Eiankton, die an den Wäldern lagen, beobachteten eines blauen Mittags eine Herde, die dunkelschimmernd in schwerzottiger Flucht vom Mitcha-See her gegen eine uralte Wildfurt des Manomin jagte. Die großen Nordwölfe hetzten zu dieser Zeit noch nicht an so starker Beute, auch zeigten sie sich nicht leicht vor dem ersten Schnee in vielköpfigen Rudeln. Der Bär, wo er sich überhaupt daran wagt, schlägt ein schwächeres Stück und verteidigt es mit Biß und Brante gegen die Rächer – aber er verfolgt niemals die Herde, von der er sich den Tribut geholt, noch jagt er wehrhaften Bullen solchen Schrecken ein, daß sie blindlings fliehen. Von Grasbrand war weder Glast noch Rauch zu erspähen; auch wären vor dem Präriefeuer Springböcke, Weißwedelhirsche und Coyoten mit den Bisons geflüchtet. Es blieb also nur ein Feind übrig, den die Büffel verraten konnten: der Mensch, Bleichgesicht oder In-schen, Rothaut. Und was vom Mitcha-See her kam, waren 131 gewöhnlich Odjibewe, und kamen Odjibewe, so hatten sie schwerlich friedliche Absicht.

Die Eiankton eilten nach ihrem großen Dorfe und brachten Kunde vom drohenden Einfall; in Frist eines Kalumetbrandes war alles in Feder, Farbe und Waffen. Die Odjibewe waren Kröten, Frösche, Coyoten, Memmen, alte Weiber! Fledermäuse, die sich vor der Sonne fürchten! . . . Die hellgeflammten Schwingenfächer brausten und klirrten, die roßhaarbewimpelten Fahnen wehten im herbstlichen Sonnenwind . . . Sie sollten nur kommen, die Hunde von Odjibewe, die Bisamratten von den Seen, die Stinktiere! . . . Sie hatten das Angebot der großen N'dakotah abgewiesen; sie würden auf erhobene Tomihoks und geschliffene Messer treffen, sie würden in gespannte Bogen und Büchsen hineinrennen, ihre Squohs würden Totenlieder singen und ihre Feuerstätten erkalten! . . .

Odjibewe kamen; aber es waren ihrer nur wenige, und sie kamen unbemalt und leichtgewaffnet, Boten des Friedens und der Versöhnung. Die doppelzüngigen Bleichgesichter hätten sie betrogen; Ne-i-ki-mi, ihr Sagamore, der Pahah Warpe der N'dakotah, aufgereizt damals durch große Versprechungen und Geschenke, habe seinen Irrtum eingesehen und bitte die großen N'dakotah, die Pfeife an ihren sieben Ratsfeuern rauchen zu dürfen. Die Weißen wollten sich nun im Gebiete der Odjibewe mit Dörfern und Städten festsetzen, Forts bauen und von hier aus gegen die sieben Stämme einen Vernichtungskrieg führen wie einst gegen die Mi-a-mi und im Mittag gegen die Kriehk; die N'dakotah seien gewarnt.

Shiehah, der Häuptling der Eiankton, antwortete 132 ausweichend, und während er die demütigen Boten der Odjibewe durch lange Reden und schleppende Beratungen hinhielt, sandte er insgeheim erfahrene Späher in die Hügel und die kahlen Wälder; die Odjibewe waren verschlagen, in den Künsten der Verstellung, der Zeichenschrift, der Schürzung von Wampumknoten und allerlei Schlingen die gefährlichen Meister unter den Söhnen des großen Geistes. Er fand denn auch bald seinen Verdacht bestätigt. Wachen waren ausgestellt worden, helle Feuer brannten die ganze lange Herbstnacht hindurch; aber als Shiehah seinen leisen Schlaf unterbrach und das Zelt inmitten des Dorfes, das er den Abgesandten zugewiesen, beschlich, entdeckte er, wie einer derselben kühn und gewandt durch weitumleuchtenden Flammenrotschein, lungernde Hunde und Posten sich davongestohlen. Shiehah wußte damit, was er sogleich vermutet: die Abgesandten waren Kundschafter, die Odjibewe, rechtsbrüchig wie oft besiegte und gezüchtigte Völker immer, hatten die Unverletzlichkeit des Friedensboten feige mißbraucht.

Shiehah, obwohl Herr des Dorfes und Häuptling eines großen Stammes, ließ keine der gewohnten Vorsichten des Krieges ungeübt. Er kroch schlangenstill in das Zelt ein und lag eine Weile mitten unter den leise murmelnden Odjibewe. Er betastete sogar jeden einzelnen, um sich von ihrer Anzahl zu überzeugen; fünf waren gekommen, einer fehlte. Vom unterdrückten Gespräch der Ahnungslosen konnte er allerdings fast kein Wort verstehen, denn das Algonquin war ihm nicht geläufig. Aber er erkannte mehrmals den Namen Ne-i-ki-mi, und auch Ne-e-na und Pu-wai-gon wurden wiederholt erwähnt. Shiehah schob sich lautlos unter der Zeltwand hinweg zurück; er wußte alles. Die Odjibewe, unvorsichtig in 133 ihrer Verschlagenheit, waren wehrlos in seiner Hand; er hätte sie sofort greifen und an den Pfahl fesseln lassen können. Allein solch scharfer Zuschlag war gegen seine Gewohnheit. – –

Etliche Tage nach ihrer furchtbaren Niederlage durch das Feuerwasser waren die Krieger der Odjibewe vom Opashkewa aufgebrochen; Ne-i-ki-mi brannte die Seele, ihn brannte die Furcht, es könnten die Feinde oder andere Stämme oder es könnte der große Vater am Potomac von der Schmach jenes Überfalles etwas erfahren. Dann war sein großer Plan zunichte, dann war alles verloren, Heimat und Ruhm. Die Hunde von N'dakotah sollten büßen für jedes der bitteren Worte, die der alte Akah Was-wa-gon gesprochen; Skalpe der Eiankton sollten röten die Schenkel der Odjibewe, Ne-i-ki-mis Taten sollten erzählt werden an allen Feuern zwischen Mi-su-ri und Mi-tschi-gan. Und Ne-i-ki-mi erwog dabei, daß sein Ansehen bei den eigenen Kriegern an jenem Tage neuerlich geschwächt worden; man verlangte Feuerwasser von ihm, und er hatte keines zu geben; man sprach von dem gefährlichen Vertrage mit dem großen Vater, und noch war keinem N'dakotah auch nur eine Feder geknickt worden. Macht und Ruf eines Sagamore aber beruhen auf reicher Beute, auf Glück und Gewinn. Das wußte Ne-i-ki-mi, und er fand, daß es nun schon hohe Zeit sei, die gärende Unzufriedenheit durch eine lohnende Unternehmung zu stillen. Die Odjibewe brauchten einen Feind; sie hatten ihn, es war sein eigener, dem er lebenslange Rache und ewigen Haß geschworen. Ungeduld durchglühte ihn wie Feuerwasser: noch vor dem Winter, jetzt gleich, sofort! Er berief den Häuptlingsrat zur großen Pfeife. 134

Er traf auf den gewohnten Widerstand. Lange Reden wurden gehalten, Reden voll versteckter Stachel, Vorwürfe, Aufsässigkeit. Im Frühling säe der Kluge, im Winter der Tor; ein Tor, der unter Drohzeichen des Schneesturmes ausziehe ohne Büffeldecke und Rahmenschuhe; ein Schwachsinniger, der mit ungeladener Büchse den Bären aufsuche in seinem Winterlager, mit stumpfem Knabenpfeil schieße nach eisgepanzertem Wilde . . . Der weiße Manitu hat seinen Söhnen das Feuerwasser geschenkt, weil sie ihm gehorchen, sagte Ne-e-na; laßt uns zu den O-to-wa gehen und dem großen Vater gehorchen, so wird er uns vielleicht auch wieder Feuerwasser geben. . . . Der weiße Manitu hat seinen Kindern das Feuerwasser verliehen, sprach Pu-wai-gon, der alte rote Manitu aber den Seinen Skalpiermesser und Tomihok, Klugheit der Schlange und Ausdauer des Wolfes; laßt uns Friede und Freundschaft des Bündnisses schließen mit anderen Schlangen und Wölfen, mit den mächtigen N'dakotah, daß unserer viele sind, und herfallen über die Bleichgesichter und ihnen das Feuerwasser und all ihre großen Dinge wegnehmen! . . . Ne-i-ki-mi sah sich überwiegender Unlust, Trägheit, Verdrossenheit gegengestellt; die Greise redeten in schwermütigen Gleichnissen von der späten Jahreszeit, Herbst und Winter ihres Stammes, der bleichen Sonne ihrer eigenen Tage und der langen Nacht; die Jüngeren erklärten sich für Pu-wai-gon, für eine Verständigung mit den N'dakotah und eine gemeinsame Erhebung gegen die unersättlichen Weißen. Die Erfahrensten erhoben in bedächtigen, zeitraubenden Bildern, während Ne-i-ki-mi vor zorniger Ungeduld heimlich lohte, Bedenken gegen einen Aufbruch in Eis, Sturm und Wölfe hinein; die Besonnensten widerrieten einem vereinzelten 135 Schlag gegen die starken und zahlreichen N'dakotah, die gerade um diese Zeit sich zu den letzten Büffeljagden vereinigt haben konnten und die ernstlich zu schädigen die Kriegerschaft vom Opashkewa allein viel zu schwach sei. . . . »Mi-si-sag-wa war einst ein großer Sagamore,« sagte ein uralter erloschener Häuptling, der seinerzeit nach der großen Seuche vom Huronsee her nach dem Opashkewa gekommen und den Namen seiner früheren Heimat als eigenen behalten; »Mi-si-sag-wa war einst ein großer Sagamore, und die Skalpe im Rauch seines Wigwams hingen dicht wie die Fledermäuse im hohlen Schlafbaum. Aber Mi-si-sag-wa erhebt nicht mehr den Tomihok, er schleift nicht mehr das Messer, sein Blick ist trübe und sein Haupt ist bleich wie die Sonne im Winternebel. Mi-si-sag-wa ist alt, die Odjibewe sind alt; Mi-si-sag-wa springt nicht mehr im Büffeltanz, die Odjibewe rennen nicht mehr mit dem Springbock der Prärie um die Wette. Mi-si-sag-wa ist müde, Mi-si-sag-wa friert, er hüllt sich in seinen Mantel und träumt von den ewigen Jagdgründen; die Odjibewe sind schwach wie der Bison, wenn seine Hörner stumpf und zerfasert und seine Haut kahl und grindig geworden wie niedergebrannter Wald in der grauen Asche. Meine Brüder mögen Mi-si-sag-wa den Ehrenschlag ins Genick geben mit seinem eigenen Hammerbeil, sie mögen ihm die Pfeife und den Tomihok, die Medizin und die Skalpe ins Grab legen und die Bleichgesichter bitten, daß sie ihnen Ma-ki-no-Decken schenken und Dolar und ein Land zuweisen des Friedens und des Sommers. Mi-si-sag-wa ist erfahren, aber er ist kraftlos wie der Tag im Monat, da der Bär sich in Schlaf schneien läßt; die Odjibewe sind weise, aber sie sind matt wie der Rennhirsch, der sich in langem Lauf durch 136 Krustenschnee die Hufe wundgetreten und sein schweres Geweih nur mühsam mehr durch die kalten Wälder trägt. Ein Volk ist wie ein Mensch; es wird geboren, wächst, lebt, kämpft, altert und stirbt. Mi-si-sag-wa hat gesprochen; Manitu weiß es besser.«

Ne-i-ki-mi zuckte die Faust wirklich nach der Waffe im Gürtel. Ein Volk und ein Sagamore! . . . Noch wehte sanfter, blauer Herbstwind aus Mittag über die braune Prärie, noch war es schmelzwarm wie im Frühling, wenn Schwan und Kranich hoch über Wälder und Seen heim gen Mitternacht ziehen. Aber wie lange, und alles verlosch unter blinddicht wirbelndem Gestöber! . . . Wenn die N'dakotah es vernahmen, wie er das Kriegsbeil ausgegraben! . . . Wenn der große Vater am Potomac es erfuhr! . . . Mit Anstrengung nur erhielt Ne-i-ki-mi die starre Maske des Häuptlings auf dem Antlitz; er kochte, er flackerte, er bebte vor Zorn und wütender Ungeduld; in seinem fiebernden Grimm griff er nach den Pfeilen, die Akah Was-wa-gon ihm selbst ins Herz gejagt, er riß sie blutig heraus, legte sie auf die Spannung seiner Rede und schoß sie nacheinander auf die Gegner ab, in sein Ziel.

»Hier steht Ne-i-ki-mi, der Sagamore der Odjibewe vom Opashkewa. Wissen meine Brüder noch, warum er seinen Namen erhalten? Weil er, ein unbefiederter Knabe, auszog nach den Biberfallen und heimkehrte mit zwei feindlichen Skalpen am Gürtel. Wissen meine Brüder noch, wessen diese Skalpe gewesen? Es waren Skalpe der Eiankton. Wissen meine Brüder noch, wessen Volkes die Eiankton sind? Sie sind ein Stamm der N'dakotah. Wissen meine Brüder noch, wer die N'dakotah sind? Sie sind das Volk, das in einem großen Kriege von mehr als sechs Geschlechtern die Odjibewe besiegt, 137 gedemütigt und geschmälert hat. Wissen meine Brüder noch, wo die Skalpe ihrer Väter und Großväter und Ahnen dörren? Im Zeltrauche der N'dakotah, in den Gräbern ihrer Vorfahren. Wissen meine Brüder noch, wer damals das Dorf am Opashkewa überfallen, Squohs und Pappuhse, Greise und Greisinnen erschlagen und geschändet? Die Assiniboin, die Verbündeten der N'dakotah. Wissen meine Brüder noch, weshalb die N'dakotah berühmt und gefürchtet sind im ganzen Lande zwischen den großen Seen und den hohen Bergen? Weil sie die Odjibewe überwunden, geschwächt und zurückgedrängt. Wissen meine Brüder noch, wovon man am häufigsten erzählt an den sieben Ratsfeuern? Von der Schmach und Niederlage der Odjibewe . . . Wissen meine Brüder auch, wovon man nächstens an den sieben Ratsfeuern erzählen wird? Von den Odjibewe, die im Feuerwasser ertranken, von den Söhnen Monabazos, deren auch nicht einer gleich ihm sich rettete aus der Flut . . . Wissen meine Brüder, wie man die Odjibewe von nun an nennen wird? Schweine wird man sie nennen, und Schweine nannte sie der weiße Jäger, der ihr Dorf verließ, um nicht von den N'dakotah erschlagen und skalpiert zu werden unter Schweinen. Wissen meine Brüder, was der große Vater tun wird, wenn er erfährt von der Schande am Opashkewa? Keine Büchsen und keine Decken, keine Dolar und kein Feuerwasser mehr wird er geben, sondern vertreiben wird er die Odjibewe und sie verweisen in ein unwirtliches Land, wo die Sonne die Quellen austrinkt und der Mais auf dem Felde verbrennt . . . Wissen meine Brüder, was die N'dakotah beginnen werden, wenn man ihnen berichtet von der Farbe, damit die Odjibewe sich wider sie bemalt? Lachen werden sie, lachen werden ihre 138 ernstesten Krieger, daß man es hört bis zu den Kanadas und bis an den O-hei-o! . . . Wissen meine Brüder, welcher Name den Delawaren für alle Zeiten anhaften blieb, als die Irokesen sie unterworfen und pflichtig gemacht? Der Name der Weiber, der Name der Krieger, die in Weiberröcken sich bergen vor dem Feinde! . . . Wissen meine Brüder, welcher Name den Odjibewe wird gegeben werden und ihnen verbleiben auf Ewigkeit? Der Name der Tiere, die grunzen und sich in ihrem eigenen Unrat wälzen! . . . Wissen meine Brüder auch, wie man an den Feuern vom siegreichen Kriege der tapferen Odjibewe gegen die Hunde von N'dakotah erzählen wird? Die Schweine wollten ausziehen gegen die Bären und Wölfe, gegen die Adler und Pumas, wird man sagen, und die Schweine blieben stecken in ihrem Unflat und versanken darin . . . Und wissen meine Brüder endlich, was man sprechen und auf Leder zeichnen wird von ihnen selbst? Ne-i-ki-mi, der Sagamore, wollte die Schande tilgen, wird man berichten, er wollte seinen Vertrag mit dem großen Vater erfüllen und die Eiankton und Warpeton heimsuchen mit Messer und Feuer und ihr Lachen verwandeln in Totenklage; aber seine Krieger und Häuptlinge im Rat, Ne-e-na und Pu-wai-gon waren zu feige, sie haben sich gefürchtet vor dem Winter wie die Squohs der Bleichgesichter und haben sich in Weiberröcke verkleidet wie die Delawaren und haben sich in ihre Wigwams unter die warmen Kessel verkrochen wie die Hunde vor dem Schneewind! . . . Und der große Vater wird trauern über solche Kinder und sein Feuerwasser aufbewahren für andere Völker, und Ne-i-ki-mi wird verlassen sein Dorf, das er solange bewacht, und seinen Stamm, den er so oft zu Beute und Ruhm geführt, 139 und zu den Pa-o-ni gehen, zu den Op-sa-ro-ki oder den She-jen, um unter Tapferen zu sterben.«

Die Rede, langsam erglühend, von einer Antwort zur anderen schwellend, entfachte die Odjibewe zu Brand und Sturm. Jeder Pfeil hatte getroffen, alte Narben erglommen und frische Wunden bluteten; der Sieg war noch einmal in einem einzigen heißen Angriff errungen. Ne-e-na selbst und Pu-wai-gon wagten kein Wort mehr der Einsprache; schon brachten die jungen Männer Farbe, den Ratspfahl zu röten, schon entblößten sie sich bis zum Gürtel, mit dem Skalptanz die Feier des Beschlusses zu eröffnen. Ne-i-ki-mi leuchtete in finsterer Freude. Auch die Widerstrebenden durften nicht zurückstehen; es wäre ein auf immer entehrender Beweis von Feigheit gewesen. Büchsen wurden geprüft, Messer geschliffen, Bogen mit Büffeltalg geschmeidigt; Hunde bellten, Pferde stampften, Federn wimpelten im Wind, Stirnen drohten in schwarzer Bemalung – weh den N'dakotah, Skalp um Skalp, Todeslieder statt Spott, Rache! . . . Das ganze Dorf tummelte durcheinander. Nein, das Feuerwasser für N'dakotahköpfe sollte der große Vater keinem anderen geben! Feuerwasser, Feuerwasser – die N'dakotah waren Frösche, Kröten, Stinkratten! . . . So träge die Flut vor wenigen Stunden noch gelegen, so hoch bäumte sie sich nun aus dunkel aufgerissenen Tiefen empor; Felsen, die in starrer Ruhe unbeweglich gestanden, den Winden und Zeiten getrotzt, losgelöst und unterwaschen donnerten sie unaufhaltsam zu Tal . . . Ne-i-ki-mi lächelte düster, als er sich selbst die Stirne mit Fettruß schminkte und sein Werk in erblindender Spiegelscherbe, die ihm ein Händler einst für drei Biberfelle abgelassen, mit grimmem Wohlgefallen betrachtete. Er 140 kannte sein Volk, er kannte seine Kunst und seine Pfeile! . . . Er war ein großer Sagamore! Von ihm würden sie erzählen, solange Feuer brannten in diesen Wäldern und Prärien: Ne-i-ki-mi, der die N'dakotah erwürgt und vernichtet . . . Pontiac der Otowa war ein großer Häuptling; Tikomsih der Scho-nie der größere; Ne-i-ki-mi der Odjibewe der allergrößte! –

Mitten in den Aufbruch hinein, als die jungen Krieger grellbemalt, mit federbewimpelten Lanzen, schon auf ihren bockenden Pferden saßen, nach der Prärie ausschwärmten und dem mannbaren Squohvolk ihre heulenden Reiterkünste und Speerwürfe zeigten – mitten in die tummelnde Erregung und Ungeduld hinein kamen unerwartete, eben jetzt sehr ungelegene Gäste: die wiedergekehrten schwarzen Väter, die Boten des weißen Manitu.

Sie sahen die Rüstung und verstanden. Vorwurfsvoll trat ihr Ältester an Ne-i-ki-mi heran.

»Wohin führt A-dam seine Brüder und Kinder? Weiß Adam nicht mehr, daß Dschi-ses Kreist am Marterpfahle zum großen Geiste gebetet hat für seine Feinde?«

Der Sagamore hielt höflich an sich.

»Meine weisen Väter mögen einkehren in den Hütten der Odjibewe und sich wärmen an ihren Feuern und sich sättigen aus ihren Kesseln. Ne-i-ki-mi mit den Seinen wird zurückkehren und dann gerne vernehmen die Worte der guten weisen Väter.«

Das Antlitz des anderen aber war ernst und traurig.

»Hat A-dam den Namen vergessen, den er im Zeichen des Wassers erhalten? Wohin führt A-dam seine Männer und Jünglinge?«

»Meine weisen Väter mögen sich ausruhen in den Wigwams der Odjibewe und ihre Sohlen kühlen mit 141 Hirschtalg und sich pflegen lassen von den Squohs; Ne-i-ki-mi zieht aus zur Jagd; er wird bald zurück sein.«

»Weiß A-dam nicht mehr, daß der große Geist geboten hat: du sollst nicht lügen? . . . Seit wann bemalen sich die Odjibewe, wenn sie ausreiten zur Jagd auf den Büffel oder den Springbock? Seit wann färben sie den Ratspfahl mit Blut, wenn sie aufbrechen zum Kampf um Fleisch und Felle?«

In den schmalen, weißen Augenschlitzen unter der rußschwarzen Stirne blitzte es auf.

»Der große Geist der Bleichgesichter gebot seinen Kindern: ihr sollet nicht lügen! . . . Er gebot ihnen: ihr sollet nicht stehlen! . . . Er gebot ihnen: ihr sollet nicht trachten nach fremdem Gut! . . . Jener Sohn des weißen Manitu, Dschi-ses Kreist, der große Sagamore, der am Marterpfahle gestorben, sagte: ihr sollet lieben einander und lieben eure Feinde! . . . Ne-i-ki-mi vernimmt, daß gesprochen wird: ihr sollet nicht lügen und sollet lieben einander und eure Feinde; und er sieht, wie die Frentsch und die Yengis, und die Yengis und die Merikan einander hassen und überfallen und morden und schlachten. Welches ist dann die Lüge, das Wort oder die Tat? . . . Ne-i-ki-mi hört, wie geboten wird: du sollst nicht stehlen und nicht trachten nach fremdem Gut; und er sieht, wie die Frentsch und die Yengis und die Merikan dennoch stehlen des roten Mannes Länder und Büffel und trachten nach seiner Heimat und seinem Wild. Welches ist dann die Lüge und welches die Wahrheit, das Gebot oder die Tat? . . . Ne-i-ki-mi hat dem Manitu der Bleichgesichter geopfert und angenommen einen weißen Namen; er will darum auch handeln wie die Bleichgesichter, die das verbieten was sie tun und das gebieten was sie 142 unterlassen. Ne-i-ki-mi ist ein armer In-schen; er kann nicht weiser und besser sein als die klugen, guten Bleichgesichter; die Yengis hassen die Merikan, die Odjibewe hassen die N'dakotah . . . Meine Väter mögen indes in den Hütten sich erquicken und am gedörrten Büffelfleisch sich stärken und einen Platz auswählen, wo sie den Totempfosten ihres Manitu aufstellen und ihre Wigwams erbauen wollen. Ne-i-ki-mi wird im Siegesschmuck der Skalpe heimkehren und dann im langen Winter gerne lauschen den Erzählungen vom Sohne des großen Geistes, der tapfer am Marterpfahle starb.« – –

Dann waren die Odjibewe aufgebrochen mit Geheul und Speergewirbel, in den späten verglühenden Leuchtherbst, in grauen Wolfwinters Vorabend hinein.

Pu-wai-gon aber und Ne-e-na blickten finster. Zum Ausritt die schwarzen geschorenen Zauberer, ihre Spur quer über den Kriegspfad, ihr böser Blick auf den Waffen: das bedeutete Unglück! . . . Und wie sie dachten viele von den Unzufriedenen; Schnee hatte den jähen Brand verschüttet, den Glauben im Aufflackern verloscht. Es war ein kalter, zweifelnder Kriegszug. Die jungen Männer nur, die Ruhm- und Skalplosen frohlockten in gierigem Ungestüm, und Ne-i-ki-mi selbst, der Sagamore, loderte in unruhigem, heimlichem Feuer.


Sein Plan war fertig. Er lagerte in den Waldhügeln und schickte Späher aus, die unterm Schein der Bündnisbotschaft Stärke und Stimmung des Feindes erkunden und ihn mit süßen Worten der Demut einschläfern sollten. Die Abgesandten wuschen sich sorgfältig die Farben aus den Gesichtern und brachen auf; in der zweiten Mitternacht traf No-ta-wa-sa-ga, der kühnste und gewandteste 143 unter ihnen, wieder ein und erstattete mißfälligen Bericht über argwöhnische Aufnahme, hinhältiges Zögern und bedenkliche Waffenbereitschaft des Gegners. Ne-i-ki-mi hörte ihn finster an und erteilte ihm Weisung, an folgendem Mittag die Verhandlungen unterm Schein unterwürfigen Bedauerns abzubrechen. Noch vor Morgengrauen lag No-ta-wa-sa-ga wieder mitten unter den N'dakotah bei seinen vier Gefährten im Gesandtenzelt.

Der Rat der Häuptlinge wurde berufen; Shiehah begrüßte die Boten der Odjibewe mit starrer Höflichkeit. Dann erhob er sich, ein dunkles Lächeln um die schmalen Lippen.

»Die Odjibewe an den Seen genießen den Ruf hoher Weisheit. Es sind große Zauberer unter ihnen; sie vermögen sich unsichtbar zu machen, sie verschwinden und kommen wie die Geister. Die N'dakotah sind arme unwissende Krieger; sie jagen den Büffel, sie schleudern den Tomihok, aber sie sind unerfahren in solchen Künsten.« Der schmale Blick Shiehahs traf No-ta-wa-sa-ga. »Kann ein Odjibewe den Eiankton belehren, wie man es macht, der Eule gleich lautlos durch die Lüfte zu fliegen?«

No-ta-wa-sa-ga schwieg ahnungsvoll. Shiehahs Blick blitzte klingendünn.

»Die Odjibewe an den Seen sind sehr klug. Sie kennen alle Arznei der Wälder, alle Medizin, alle Pflanzen und Tiere. Kann ein Odjibewe mir sagen, von welchem Baume die Nadel stammt, die in den Riemen seines Mokassin haftet?«

No-ta-wa-sa-ga, unvermutlich getroffen, starrte nach dem verräterischen Laubstachel. Er hatte sich zwar sorgfältig gereinigt, die rostfarbene Nadel aber war seiner 144 Aufmerksamkeit entgangen. Nun suchten und fanden sie alle Augen; Shiehah lächelte gefährlich.

»Der Odjibewe schweigt; so will der arme unwissende N'dakotah für ihn reden. Der arme schwachsinnige N'dakotah kennt nicht wie jener alle Tiere und Pflanzen der Wälder; doch aber kennt er den Baum, von dem diese Nadel gefallen. Es ist Hacmatac, die Tanne, deren Zweige im Herbste sich röten, im Winter kahl sind und im Frühling mit neuem Grün sich kleiden.« Der Häuptling wurde mit einemmale schwülfreundlich. »Und kann ein luchsäugiger Odjibewe mir sagen, ob er hier, in Umgebung des Dorfes, einen Hacmatacbaum erspäht? Der arme N'dakotah ist blind; er vermag keine Hacmatactanne zu entdecken.«

No-ta-wa-sa-ga gab das Spiel verloren.

»Die Odjibewe sind hier, um mit den N'dakotah über Bündnis und Friede zu beraten und nicht nach Hacmatacbäumen zu suchen,« trotzte er; »wer zählt die Hacmatactannen, die stehen mögen auf dem langen Wege vom Opashkewa bis an den Manomin?«

Da aber schleuderte Shiehah mit einem Wurf den Büffelmantel ab wie eine Tanzmaske; aus seinem Antlitz schoß der Wetterstrahl; er atmete Flammen.

»Lüge! . . . Zuviel Lüge!« Er schmetterte den Kundschafter an, daß der wie vor blendendem Blitzschlag zurückwich. »Keine Nadel war gestern an diesem Mokassin! . . . Wo war der Odjibewe in dieser Nacht? . . . Ist er im Schlafe nach den Hügeln gegangen, wo Hacmatactannen stehen? . . . Shiehah war im Zelte und hat die Köpfe seiner Gäste gezählt; wo war der fünfte Kopf? . . . Die Odjibewe sind klug; sie sind allzu klug; mit geheuchelter Freundschaft wollen sie billigen Sieg 145 erkaufen! . . . Shiehah weiß alles! . . . Pahah Warpe lagert mit seinen Kriegern in den Hügeln; Shiehah wird ihn zu finden wissen, und die Odjibewe werden heulen wie sie oft geheult haben unter den Skalpiermessern der N'dakotah.«

No-ta-wa-sa-ga stand in gesenktem Schweigen. Er sah sein Schicksal; er roch schon den beißenden Rauch des Grünfeuers um den Marterpfahl. Ein Entkommen war unmöglich; rings der Kreis finsterstummer Häuptlinge; das Dorf starrte von Lanzen. Allein Shiehah nahm den fortgeschleuderten Büffelmantel wieder auf; mit furchtbarer Geringschätzung sah er an den Spähern herunter; seine schmalen Lippen zuckten bissig, seine Nüstern blähten sich.

»Der Odjibewe muß nicht auf Rettung und auf Flucht sinnen; er ist frei, er kann gehen, wohin ihm beliebt. Er hat dem Befehle Pahah Warpes gehorcht; er mag zu Pahah Warpe zurückkehren. Der Marterpfahl der N'dakotah ist zu gut für die feigen Hunde vom Opashkewa, die da wedeln um beißen zu können. Der N'dakotah erschlägt einen Odjibewe wo er ihn findet, wie die Schlange, wie den blinden Jungwolf; er zertritt ihn und läßt ihn den Raben zum Aase . . . Genug; fort! Sonst könnte Shiehah seine großmütige Verachtung gereuen. Die Odjibewe sind unbemalt als Friedensboten gekommen; so mögen sie als Kriegsboten wieder ziehen. Ein N'dakotah schärft seinen Tomihok nur für tapfere Krieger; einem Odjibewe schlägt man den Knüttel über die Nase. Fort!« –

Die Abgesandten, geschlagen, gedemütigt bis ins Mark, schritten durch die schweigenden Lanzen und Federn zum Kreise hinaus, sprangen hastig auf ihre nackten, zottigen 146 Pferde und stoben in wilder Eile durch bellende Wigwamgassen, Felder und Waldgürtel in die Prärie, über deren fahler Weite die tiefe Sonne bleich in grauen, spinnenden Dünsten schwamm.


Ne-i-ki-mi spähte den verdüsterten Himmel ab. Die kleinen Wolkenwölfe jagten in Rudeln ohne Zahl vor blaß versinkendem Sonnengrund den finsteren Winterberg hinan, der aus Mitternacht schräg über die erkaltende Welt wuchs. Leiser Eishauch sträubte die Adlerfedern im Schopfe, blies spaltdünn über ihre Kämme hin; hohl klagte es in dunklen Höhen des Tanns. Ne-i-ki-mi kannte die Vorzeichen; Schnee, Schnee in fegendem Sturmstrom, Schnee in blendendem, uferlosem Gestöber. Schnee, der alle Pfade verlöscht, alle Wegmarken verschleiert – Schnee, in dem die Welt verdämmert, versinkt und eingeht zum großen Schlaf.

Aber Ne-i-ki-mi sprach kein Wort. Die anderen kannten ebensogut wie er selbst die Boten der Gefahr; sie blickten finster. Der Sagamore wußte, daß nur Furcht, Gewohnheit und Todesangst der Herde sie zusammenhielt: Büffel im Schnee, die sich vor den Wölfen enge aneinanderdrängen. Er tat, als bekümmerte er sich nicht um ihre Mienen. Sie sprachen kaum; aber jedes Wort, das ins Schweigen hinein fiel, war schwer wie ein Schlag mit dem Tomihok. »Die Squohs am Opashkewa werden klagen; die Pappuhse am Opashkewa werden verhungern.« . . . »Im Monate, da der Bär aus dem Lager steigt, geht man nicht mehr übers morsche Eis.« . . . »Im Monate, da der Hirsch sein Geweih abschlägt, erntet man nicht, sondern sitzt am Feuer.« . . . »Aus verfaulten Weidenzweigen flicht man keine Körbe.« . . . . »Die 147 Eiankton im warmen Rauch werden lachen; die Odjibewe im kalten Schnee werden verstummen.« . . . Die Verzögerung, der Mißbericht des Kundschafters, ermürbendes trübes Hinwarten hatte alles wieder verdorben; die letzten Flämmchen begeisterten Zornmuts verflackerten im Winde, der traurig durch die Stämme strich und den schwermütig stampfenden Pferden das zottige Winterhaar steilauf vom Rücken sträubte. Die Tannen wiegten sich in feierlichem Gram wie Häuptlinge beim Totengesang; verspätete Wandergänse strichen vor dem Hochsturm schräg über den stillen Wald; Ne-i-ki-mi, heimlich durchzittert von grimmiger Unruhe, starrte in wütender Gefaßtheit vor sich hin ins kleine, vorsichtig gehegte Trockenfeuer. Sein Ruhm, seine Ehre hing am Marterpfahl: wo blieben die Späher?

Dumpfgetrab durch die dämmernden Stämme, sie kamen in geschlossener Reihe, einer in der Fährte des anderen, wie die Fuchsspur schnürt. Sie saßen ab; Ne-i-ki-mi hielt mühsam an sich. Schweigen lagerte um das Feuer; der Sagamore saß in Stein und Stille; nach geziemender Frist erst hob er die Hand: mein Bruder rede!

Und No-ta-wa-sa-ga erzählte in dumpfem Gleichmut; die Tannen knarrten. Ne-i-ki-mi lauschte gesenkten Hauptes; in den Zeilen seiner Adlerfedern schnurrte und sauste der Wind. Keine Falte in seinem bemalten Kriegsgesicht zuckte; nur die Nasenflügel blähten sich im Sturm. No-ta-wa-sa-ga berichtete alles; auch die unsühnbaren Schmähungen, die der N'dakotah gegen die Odjibewe und ihren Führer geschleudert wie einen Knüppel unter belfernde Hunde. Bis hierher hatte Ne-i-ki-mi in eiserner Gelassenheit zugehört; nun hob er den Kopf, Wetterschein 148 in den schmalen Augen. Er sprang auf, jäh überflammt; plötzlich blinkte der Tomihok, mit dem er all die Zeit unmerklich gespielt. Blitz und scharfer Hieb: No-ta-wa-sa-ga brach zusammen wie ein Baum, mit pfeilgrad gespaltner Stirn.

Ne-i-ki-mi wälzte den Leichnam verächtlich mit dem Fuße fort. »Wer sich davonjagen läßt wie ein diebischer Köter, der soll erschlagen werden wie ein Hund.«

Das Letzte und Eigentliche aber verschwieg er mit geübter Zurückhaltung: der Schimpf des N'dakotah war ein tiefklüftender Hammerschwung auf den Keil, der ihn von seinem Stamme trennte; No-ta-wa-sa-ga hätte das verhehlen müssen, er durfte nicht weiter sprechen.

Die anderen brüteten dunkel; keine Hand hatte gezuckt, keine Falte in den starren Schminkmasken sich gekräuselt. Ehern hockten sie in ihren Decken; der Totenwind heulte hoch im wühlenden Geäst; Eisdunen schwebten in die aufgerissene Dämmerung herab. Es graute zum frühen Abend; an Aufbruch in den Rachen des Sturmes hinein war nicht mehr zu denken; es wurde eine lange Nacht. Manitus wilde Jagd, Wolkenreiter hinter Schneebüffeln, dröhnte und schleifte durch die Wipfel; Stämme brachen mit gellendem Todesschrei; mit dem Wurzelboden ausgehobene Tannen schlugen im Hinwuchten Schluchten durch den brausenden Wald, darein die riesigen Windgeister sich herabstürzten, sich verfingen und die sie in tobender Wirbelwut weit auseinanderrissen. Wenn die Eiankton wirklich einen Angriff unternahmen, waren die Odjibewe verloren; nicht Luchses Ohr vermochte in diesem Tosen, Wogen der Lüfte und Prasseln des Holzes schleichenden Mokassin zu erlauschen. Aber die N'dakotah würden sich hüten; Schneesturm ist aller Krieger Feind. 149 Die Odjibewe tasteten mit ihren klirrendbekrusteten Pferden unter Gefahr und Beschwer nach einem kleinen Rinnsal hinab, wo unterm Schutze der felsigen Böschung wenigstens Feuer gehegt werden konnten. Die Häuptlinge saßen stumm, mit naßzerschlissenen Federn, im verschneiten Faltenwurf ihrer stillen Decken; Brandschein spielte und schattete über ihre finsterbemalten Gesichter.

Der Sturm fiel mit auflichtendem Morgen ab; es schneite lautlos und langsam in großen, schaligen Flaumen. Ne-i-ki-mi setzte kurz seinen hartnäckigen Plan auseinander. Noch weideten verspätete Büffel auf ihrer Wanderung von Mitternacht her in den kleineren Prärien, und dieses Wetter war das günstigste zu ergiebiger Jagd auf das geblendete, dumpf betäubte Wild. Die Eiankton würden die Gelegenheit wahrnehmen; auch sie hatten Squohs, Greise und hungrige Pappuhse; dann war das Dorf von waffenfähigen Männern entblößt . . . Der Vorschlag fiel in leeres Schweigen hinab; keiner der Unterhäuptlinge regte Hand oder Miene. Ne-i-ki-mi schielte vor geheimer, ohnmächtiger Wut.

»Sollen die N'dakotah lachen an ihren Feuern? . . . Sollen sie sagen dürfen: die Odjibewe fürchten sich nicht vor dem Feuerwasser, aber sie fürchten sich vor dem Schnee wie die Präriehunde? . . . Sollen sie sagen: die Odjibewe verstehen nur im Sommer Skalpe zu erbeuten, im Winter aber verkriechen sie sich in ihre schmutzigen Höhlen? . . . Sollen sie sagen: die Odjibewe lassen sich beschimpfen und davonjagen wie die Coyoten – wenn der Bär sich erhebt aus seinem Winterlager, laufen sie mit eingezogenen Schwänzen davon? . . . Soll der große Vater am Potomac sagen: meine Söhne, die Odjibewe verstehen das Wasser des Mutes zu trinken, aber Mut 150 zu bewahren verstehen sie nicht; eher werden die N'dakotah am Potomac sein als die Odjibewe in den Wohnsitzen der tapferen N'dakotah . . .?«

Die Berufung blieb ohne Erfolg. Die Häuptlinge hockten regungslos, wie die Toten in ihren Steingräbern. Endlich hob Ne-e-na den Kopf.

»Die Wälder sind kalt; der Opashkewa ist fern.«

Nach ihm Pu-wai-gon:

»Es schneit; fallender Schnee verlöscht, liegender erhält die Fährte.«

Und dann die anderen vom Rat:

»Am Opashkewa wohnen Squohs und Pappuhsen; N'dakotahskalpe können sie nicht sättigen.« – »Die Eiankton sind erwacht, sie werden aufbrechen; Squohs und Pappuhsen und die schwarzen Zauberer können sie nicht abwehren.« – »Skalpe findet das Messer auch am Opashkewa; sie sind geschoren und sitzen auf bösen Köpfen.« – »Wer nicht Rahmenschuhe unter den Sohlen hat, soll in tiefem Schnee nicht den Büffel reizen und den Bären verwunden.« – »Gegen den Wind steckt man die Prärie nicht in Brand; man kommt selbst in den Flammen um.« –

Ne-i-ki-mi war geschlagen; zum ersten Male vollständig geschlagen, seitdem die Federn des Sagamore auf dem Giebel seines Wigwam spielten. Er hätte ihnen allen die Schädel spalten mögen; allein das Wetter, der Fehlschlag, Vorzeichen und Mißerfolge, Stimmen und Zeichen Manitus gaben ihnen Recht. Er verschloß seinen Groll in bitterem Herzen wie man Glimmkohle unter Asche lebendig erhält; auch der große Geist der Weißen war wider die Söhne Monabazos, des Erzvaters; der Wahkondah der N'dakotah siegte. Alles was Ne-i-ki-mi 151 erreichen konnte war Zusage zu schnellem Handstreich gegen einen kleinen Weiler der Eiankton, der wenig seitab vom Heimwege auf der Landbrücke zwischen zwei Seen lag: – auf daß sie nicht ganz beuteleer heimkehrten und der große Vater von ihren versprochenen Taten vernahm und im Frühling vielleicht wieder Feuerwasser spendete . . . Sie brachen auf und wendeten die Nüstern ihrer eiszottigen Pferde nach Morgen; stumm in geschlossenem Strich, die Köpfe mit den schrägabgezausten Federn tief eingezogen, ritten sie durchs stillerstickte Schneien lautlos davon. –

Sie ritten von Früh bis Abend im flimmernden Blendgewirbel, dem blassen, verstöberten Tagesschein halbspitz entgegen zuerst, dann von ihm weg in den Abgrund der Flockendämmerung. Die Nacht verlagerten sie in einem spät erreichten Gehölz. Feuer von Birkenbruch leuchteten flackerschattig der mageren Mahlzeit von Pe-mi-kan. Die müden Pferde stampften und scharrten in düster durchstrahlter Schneefinsternis; Häuptlinge und Krieger träumten kauernd in ihren Deckenzelten. Manchmal horchte Ne-i-ki-mi auf; draußen heulten die Coyoten; aber ihm war, als antwortete ihnen aus Winterferne eine andere Stimme, eine, vor der sie scheu verschwiegen, die Stimme aus Mitternacht. –

Sie brachen mit erstem Tagschein wieder auf und ritten weiter in Strich und stumpfausdauerndem Hundetrab; kein Wort fiel, in schweigender Gewohnheit wurde der Spitzenreiter von Strecke zu Strecke abgelöst. Um die Zeit, da die Sonne ihnen zur Rechten auf ihres flachen Bogens Höhe stand, hellte sich der Himmel hinter dünnerem Gestöber blaßleuchtend auf. Eine Furche von weißem Schnitt und bläulichen Schollenschatten trat auf 152 Pfeilschußweite vor ihnen aus der bleich überglänzten Schneefläche. Es waren die fast frischen Fährten einiger flüchtiger Bisons; die waffenfähigen Männer des kleinen Seeweilers waren also auf Jagd. Die Gelegenheit schien günstig. Im Mittag lag, eine dunkelgraue Bank, der Wald, dahinter das rauchende Dörfchen der Eiankton sich barg. Ne-i-ki-mi hatte daran gedacht, seinen Haufen zu teilen; zwei Handvoll Krieger genügten ihm zu solch fliegender Unternehmung. Aber er wollte nicht wieder Groll und Eifersucht unter die ohnehin Gereizten werfen. So schlug er seinem Gaul die Fersen hinter die Rippen und jagte, ohne sich umzusehen, in der breiten Spurbahn der Büffel auf den ferndämmernden Wald zu. Als er sich dann im Sitz hängend wandte, fand er sich von einem Drittel seiner Mannschaft, Kriegern und Häuptlingen, Ne-e-na und Pu-wai-gon darunter, gefolgt; die anderen ritten mit steilen Lanzen unterm blaßverschwimmenden Sonnenhof im dünnen Schneedampf davon. –

Ne-i-ki-mi, mit den Seinen auf alle Fälle in der Übermacht und überdies in Gewißheit fast unverteidigter Beute, versäumte nicht Zeit mit umständlicher Beratung und feierlicher Bilderrede, da hinter weitschweifigen Gründen und Gegengründen doch nur Mißgunst und Auflehnung sich birgt. Entgegen aller Gepflogenheit und entgegen aller Kriegsübung seines Volkes, welche die schlaftrunkenen Stunden des letzten Nachtviertels zu Überfällen bevorzugt, ging er sogleich auf den nahen Zweck los. Denn schon umwoben graue, treibende Wolkensträhne die nebelblasse Schneesonne aufs Neu mit düsterem Sturmgespinst, und gegen Mittag und Abend lag unter schwarzem, schrägem Vorhang ein schmaler, dumpfglühroter Saum – durchglimmender Feuerglast 153 aus Manitus dunklem Winterzelt, Zeichen weit wilderen Wetters als bisher getobt. Das leise Nachstöbern hatte angehalten; die Kälte schien sich zu lösen; Baum, Reiter, Krähe und Spur auf dem weißen Felde waren auf einmal nah und nackt in finsterer Klarheit.

Auf Pfeilschuß vor dem Gehölze hielten die Reiter. Dunst warmen Seewassers und Wigwamrauch flossen dahinter ineinander. Ne-i-ki-mi sah noch einmal nach dem Himmel, nach dem bedrohlichen glutigen Brandstreif, der halb um das Rund der Landschaft Birkenstämme wie Morgen durchrötend, Schneewelt und Winterhöhen trennte. Es war hohe Zeit; aber Beute mußte gemacht werden. Die Rotte schwärmte nach beiden Seiten aus. Ein schweigendes Zeichen hochgehaltener Lanze durchlief vom rechten Flügel her den Halbkreis. Die Spitze wies nach außen: Spuren von Jägern, von Kriegern nach der Prärie; keine hinein nach dem Dorfe. Der Sagamore hob die Hand mit eingedrehtem Daumen und paarweis gespaltenen Fingern: je zwei Reiter rückten zusammen, einer sprang ab, der andere sicherte das ledige Pferd. Dann liefen die Angreifer schnell, in geduckten Luchssprüngen, gegen die Deckung vor; Messer quer zwischen den Zähnen, Tomihok in der Linken, die neuen Büchsen oder Pistolen in der Rechten.

Das kleine Dorf lag qualmend in Winterruhe. An Gerüsten und Zweigen hingen frische Felle, einzelne Frauen schabten und walkten an gespannten Häuten, ein alter Krieger saß unter Hunden und Pappuhsen auf niedrigem Stamm und besserte das kieselbeschwerte Schleppnetz. Da schlug ein Köter an, die anderen fielen ein, der Alte sah auf, und plötzlich, wie der Puma 154 unter den Hirschen, waren die schwarzgestirnten Odjibewe zwischen den Hütten.

Die Arbeit war bald und fast lautlos getan, wie erstickt von der Stille des neuen Schnees. Greise und Pappuhse lagen mit blutenden, geschundenen Schädeln; was an Weibern welk und ausgemürbt von Arbeit, ward niedergemacht; was jung und erfreulich mannbar, gebunden weggeschleppt. Ne-i-ki-mi, in seinem Haß auf Skalpe mehr bedacht als auf lebendigen Raub, hatte zur Bereicherung seines Wigwam nur frische Kopfhäute erbeutet; aber Pu-wai-gon unter den anderen riß sich eine schöne, hochgewachsene Eianktonbraut mit fort, und noch vier weitere Jungsquohs schnellten in Armen glücklicher Entführer. Wer keine Magd sich errafft, begnügte sich mit Fellen, Waffen, Trophäen; auch einige Pferde, von dem begehrten, ausdauernden Schlage, wie er auf den Prärien der N'dakotah grast, fielen den Siegern in die Hände. Der Einbruch war geglückt, Ruhm und Unternehmung gerettet; aber schon ward es düster über See und blutzerstampfter Dorflichtung, und hoch im Wolkenmantel Manitus begann es frostig zu sausen, zu winseln, zu heulen, wie wimmerndes Eis, wie ferne Nordwölfe.

Die Odjibewe brachen eilig auf; da fielen draußen Schüsse. Getümmel, Verwirrung, Kriegsgeschrei . . . Im Rücken der See, dort der Feind, sie mußten sich durchschlagen. Schon sitzt Ne-i-ki-mi einem der wild bockenden N'dakotah-Pferde auf dem zottigen Rücken und trommelt ihm die Mokassinfersen in die Weichen. Die anderen folgen, zu Fuß, zu Roß, wie es eben fällt; die ringenden Weiber werden an Haaren und Riemen mitgeschleift. Ne-i-ki-mi sieht durch die Stämme; die Eiankton waren von links her, in ihrer eigenen Fährte zurückgekehrt, 155 der Halbkreis der Außenhut wird nach rechts weichend aufgerollt. Es entzündet sich ein kurzes, wütendes Fluchtgefecht. Ne-i-ki-mi legt sich seinem Gaul an die Flanke, daß er nur mit der Innenkante des Mokassin an der Kruppe, mit der Linken am Mähnengrate hangt; mit der Rechten, darum er das Lenkseil gewunden, feuert er unterm Halse des Tieres hinweg Büchse und Pistolen gegen die N'dakotah ab. Die Jagd fliegt in die unheimlich überfinsterte Prärie hinaus; die Eiankton bleiben unter Verlusten zurück; aber auch von den Odjibewe sind zwei oder drei gefallen, und ihrer mehrere wanken blutend im Sitz. Was gilt dies? . . . Ein Krieger kann nicht mehr als sterben; den Tapferen erwarten Manitus ewige Büffelwiesen, die genommenen Skalpe aber, die geraubten Töchter und Pferde bekamen die Hunde von N'dakotah, die Stinktiere, die Coyoten nie wieder zurück. –

Die Rotte sammelt sich endlich zu geordneterem Ritt und Verteilung der lebendigen Beute. Drei Odjibewe werden vermißt, vier Pferde sind im Getümmel ausgebrochen oder verwundet oder getötet worden. Dagegen steht ein Zuwachs von fünf Reiterinnen und sechs frischen Pferden. Die Eianktonweiber werden mit leichtgefesselten Füßen auf erledigte Gäuler der Odjibewe gesetzt; die stärkeren N'dakotah-Pferde bekommen die Last von Männern zu tragen. Mit den Verwundeten verliert man keine Zeit; – aushalten, auf schwimmendem Pferderücken sterben – oder zurückbleiben und in winterfinstrer Todesnacht die blutspurtrabenden Wölfe erwarten, oder im roten Frostmorgen die Skalpiermesser nachsetzender Eiankton . . .

Unter den Schwerverletzten befand sich auch der alte 156 Ne-e-na. Er war durch den Unterleib geschossen, seine Haut zwischen der Bemalung lehmfahl, durch die Schminke von Ruß, Fett und Ocker sickerte der Todesschweiß. Aber keinen Laut ließ er, kein noch so leises Stöhnen vernehmen; starr mit verbissenen Kiefern duldete er, daß seine eigenen Söhne, beide aus leichteren Wunden blutend, ihn aufs Pferd riemten und das Leitseil um seine kalte Hand wanden. Sein grauer Skalp sollte nicht schrumpfen im Rauch eines Eiankton . . .

Dann ging der Eilritt weiter, in den hohlen, unheildunklen Abend hinaus: die Kranken und die Gefangenen, die Sterbenden und die Mütter künftiger Krieger in der Mitte. Die gewohnte Ordnung der Schnur konnte in schärferer Gangart nicht beibehalten werden; auch hatte es nun keinen Sinn mehr, den Feind über ihre Anzahl täuschen zu wollen.

Ne-i-ki-mi drängte. Riesige eisgraue Wolkenschwäne zogen sturmeilig über den fahlnachtenden Himmelsgrund schräg herauf; Manitus weltbedeckendes Büffelvließ sträubte sich zottig im Wind. Halbrund um die finsterdämmernde Schneeweite, kleine Prärien, zackige Seewälder, gespenstig aus Mooren ragende einsame Felsgestalten, lag noch immer der rote Glutstreif, da und dort dumpf aufgespiegelt von einer der ungezählten namenlosen Wasserflächen dieser Gegend. Ne-i-ki-mi trieb; Pferde und Wunde wurden nicht geschont. Stundenfern noch in den flachen durchfelsten Vorhügeln der Schwelle des eigentlichen Quellseenlandes gab es eine kurze, von schäumendem Bachgefäll durchrauschte Schlucht mit niedrigen aber senkrechten, höhlentief unterspülten Steinhängen, von den N'dakotah in ihrer Sprache Mato-Ti, Bärenlager genannt, seit jeher ein beliebter 157 Wetterschlupfwinkel streifender Jäger und Krieger. Diese Fluchtstatt hoffte Ne-i-ki-mi noch vor Bruch des trächtigen Schneegewölks zu erreichen; trotz schwindenden Lichtes glaubte er sich auf dem rechten Wege. Eigentlich hätten ja die Odjibewe solche häufig besuchte Örtlichkeit meiden müssen; allein die nahe Gefahr ließ ihnen keine Wahl, so wenig wie der Wolverene, die in der Not auch beim bleckenden Musk-wa einfährt, oder dem Weißwedelhirsch, der mit den Wölfen zusammen vor der Feuerflut des Präriebrandes flüchtet.

Die Sonne mußte längst hinabgesunken sein; aber immer noch lag jene schaurige, stille, unterirdisch durchglühte Dämmerung auf der Buschprärie mit ihren düsterblinkenden Seeaugen, nackten Birkenhainen und traurig vorbeiziehenden Felswächtern der Moore. Die Pferde schnauften, manchmal klapperten ermüdete Hufe mit trockenem Hornton gegeneinander. Den Dumpfdreischlag der Sprünge erstickte der dunige Schnee. Einmal flohen stumme, ungeheure Schattenkörper im letzten Zwieschein vorüber: verspätete Büffel. Die Luft hing still; nur an den Schneiden der Adlerfedern schnurrte und blies ihr Widerstand; die Kälte war schwül. Jetzt verlosch der brandige Himmelssaum; der Zeltspalt war zugezogen worden, es ward mit einem Schlage viel dunkler, Nacht. Ne-i-ki-mi wandte sich zu den anderen herum, sie zu noch größerer Eile zu ermuntern; aber was er wahrnahm, drängte ihm den rauhen Ruf in die Kehle zurück.

Über jeder Feder der auf- und niederwogenden Reiter. über jedem Ohrpinsel der umdampften Pferde schwebte ein kleiner blaubleicher Flammenbüschel, und als Ne-i-ki-mi, wohlvertraut mit dieser unheilkündenden Erscheinung, wieder nach vorne, in die schneegründige Finsternis 158 spähte, sah er schon überall, den Gehören seines eigenen Gaules, Wipfeln und Zweigtrieben einsamer Moortannen, den Gratwirbeln eingesunkener Felstrümmer, Feuerluft entströmen. Die Nacht war voll Gezisch und schuppigem Rauschen, als ritten sie durch eines der vieltausendzüngligen Schlangendörfer des Bösen Landes am Mi-su-ri; ein widerlicher Stickgeruch wie von Schlangenbisam, Schwefelbrand und geschlagenem Flintstein fiel auf den Atem. Und Ne-i-ki-mi wußte: in der Zeit, die der Mond gebraucht, um die Hälfte armlang weggestreckter Spanne am Himmel weiterzurücken, in dieser Zeit war der Sturm da.

Weiter, weiter! . . . Sie ritten stät, sie ritten stumm, wie die Schatten der Skalpierten, die ohne Schopf und Medizin nicht heimfinden zu den ewigen Büffelwiesen des großen Geistes: – und ihnen zur Seite auf Baum und Strauch, ihnen zu Häupten auf Feder und Speer schwebten die zischenden Flammen.

Kaum noch zeichneten sich ihre Gestalten vom mattdämmernden Schneegrund; alles Land war in kalte Finsternis versunken, nur die bleichen Feuerbüschel verrieten Wipfel nah vorüberziehender Tannen. Ne-i-ki-mi, von seinen Sinnen geführt, hielt die Richtung aufs Geratewohl; aber ebensogut konnte er mit den Seinen in überschneites Grünmoor irren, das plötzlich den Tritt des Pferdes einsaugt und die erschrocken ringenden Hufe von Sprung zu Sprung fester umschließt . . . Und schon verloschen die blassen Wetterflämmchen auf Federn und Ohrbüscheln, schon war es überm Dumpfprusten und Stampfen des Rittes, als sei die tödliche Stille unhörbar erfüllt vom Niederheulen der Lüfte – da blieb der Sagamore zurück, riß von den geraubten 159 Eianktonweibern eines querüber zu sich und setzte ihm das Messer auf die warme Brust: Mato-Ti? . . . Den Weg dahin, oder dein Leben! . . .

Und die Tochter der Eiankton verstand und gehorchte. Die Jagd ums Leben ging weiter durch Schnee und Nacht. Es war finster wie im Reiche der Toten; aber das N'dakotahpferd zwischen Ne-i-ki-mis Schenkeln und die junge N'dakotahsquoh quer vor ihm unter seinem Messer schienen gleichwohl zu sehen, zu fühlen, was kein Odjibewe-Sinn mehr ahnte. Bald berührte sie seinen rechten, bald seinen linken Arm, und der Sagamore gab die Steuerung weiter an das kluge Tier, das mitunter selbst mit warnendem Schnauben ausbog und so sicher lief, als wüßte es längst um das Ziel und jede Hufbreite Weges dahin. Nun war es vor den Reitern wie ein Nahen dunkler höherer Massen, als käme ihnen etwas wie Widerhall, Atem von Berg und Schlucht entgegen. Aber schon auch wurde das Heulen der Höhen zum zweiten Male vernehmlich, und kein Pferdehals mehr war in der blinden Finsternis zu erkennen. Da fiel der fleißige N'dakotah-Pony in Schritt, und gleichzeitig erwachte Gurgeln und Sprudeln lebendiger Felswasser irgendwo im Dunkel. Mato-Ti, das Bärenlager, Rettung: – Ne-i-ki-mi setzte die Klinge von der Brust der Führerin ab.

Schluchtboden wuchs fühlbar unter den bedächtig tastenden Hufen der Pferde. Jetzt griff die junge Eiankton-Squoh ins Lenkseil und hielt das Tier an; mit der anderen Hand suchte sie behutsam das Messer, dessen Spitze ihr solange auf dem Herzen geruht, und führte es mit sanfter Gewalt, in unmißverständlicher Absicht, nach den Riemen hinab, die ihre Füße fesselten. 160 Ne-i-ki-mi vollführte ohne Sorge den verlangten Schnitt; die N'dakotah glitt ab, erfaßte den Pony am Halfter und zog ihn hinter sich her, steil bergan. Die anderen folgten. Noch hielt der Himmel an sich; doch über der Schlucht im Abgrund der Nacht rauschte es vom Fluge riesiger eisengefittigter Vögel. Nun blieb das Pferd im Hange abschüssig stehen; Ne-i-ki-mi hörte Murmeln und ahnte dunkle Bewegung; es knackte vor ihm, über ihm, Büchsenhähne, Verrat? . . . Es währte lange. Gäule stampften, Schwänze schlugen, Lüfte dröhnten, Stimmen raunten, Ne-i-ki-mi in heimlicher Wut der Ungeduld ballte die frostglühende Faust um den Stiel des Tomihok. Da aber, mit einem Male, ward und wuchs Licht über ihm, blitzgrelles, schmelzheißes Blendlicht. »Wakyan oje! . . . Wakyan oje! . . .« riefen Stimmen in Sprache der N'dakotah . . . Und er sah, mit einem Blick, jach aufgerissen, sah er alles.

Eine Sonne aus weißem Eisenschmelz stieg im Bogen hinter fahl überstrahlten Hügeln, steilen Tannenkrönungen auf, brannte eine Bahn durch hangende Wolkenfahnen und blieb, von Blitzen umzuckt, stockende Atemzüge, eine Herzstarre lang in durchlodertem Wolkenschlunde stehen. Darunter Felsschlucht, Steingewänd, Baches Gischtgefäll durch verschneites Gestrüpp, steil anböschende Halde, darauf die Reiter in schattenloser Schwefelhelle, und darüber von Baumwuchs und Busch bewurzelte, tief unterhöhlte Klippen, ein weithinstreichender Grottengang. Dort standen die N'dakotah-Weiber, Lasten von Bruchholz in den Armen; eilig und umsichtig in letzter Frist hatten sie Feuerung zusammengerafft. Nun starrten sie zum überflammten Himmel auf: »Wakyan oje! . . . wakyan oje! . . .« 161

Alles in einem Blick und Gedanken, in einer Ewigkeit. Die eherne Schmelzsonne war zögernd weitergerückt; sie wuchs, sie sank, sie würde in die Schlucht fallen, mitten unter die Reiter auf der Halde herab. Da barst sie in Strahlen, Scherben, Feuerrauch; betäubender Donner, Funkenkreise, feurige Finsternis, Berge stürzten zusammen, Brandgeruch, Nacht.

Ne-i-ki-mi kannte Wakyan oje, den Boten. Der große Sturm war da.

Aber trotz flimmernder Dunkelheit wußte man nun Richtung und Rettung. Bald prasselten rote Brände in dem von manchem Lagerrauch geschwärzten Höhlengang; selbst die Pferde fanden gedrängten Schutz. In den Lüften hoch ob der Schlucht, draußen in Prärie und Moor heulte es schaurig, schwellend und fallend ohne Unterbrechung, wilder Gram des großen uralten Weltwolfes, des Winters. Als ein paar junge Krieger noch einmal hinausgingen, zur Nachfeuerung den nächstbesten Baum zu fällen und zu bergen, waren sie von Schneemehl überschüttet. Die Flocken fielen nicht mehr in einzelnen Sternen oder Segeln und Federn; der ganze Raum war eine Wolke von Schnee, war der Schnee selbst.

Die dienenden Weiber zerkleinerten demütig die hereingeschleifte Birke; Ne-i-ki-mi starrte stumm in die singenden bunten Flammen. Der alte Ne-e-na, von Schein und Schatten überflackert, lehnte hohl, mit geschlossenen Augen, an der sickerglitzernden Wand, und die vereisten Schweißtropfen auf seiner geschminkten Maske schwemmten im Auftauen Mißfarbstriemen über sein verfallendes Gesicht. 162


Noch vor Mitte der Nacht ließ der schwere Sturm nach. Es schneite weiter, erst in verschnaubenden Wirbelstößen, dann leiser, immer ruhiger, totenstill. Es schneite und schneite, und schneite Himmel zur Erde herab; es schneite und schneite, die Welt versank in Winterschlaf, die Brände verloschen, die Pferde scharrten hungrig im Höhlengrus.



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