Friedrich von Gagern
Der tote Mann
Friedrich von Gagern

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie jedes Menschenkind war er von einer Squoh unter Schmerzen geboren, wie jeder Pappuhs hatte er an brauner Mutterbrust eine glückliche Heimat gehabt. Aber eines Tages in seinem zweiten Herbst, als er schon wußte, daß es auf der Welt nicht nur dies eine Dorf am Bibersee Opashkewa gebe, sondern dahinter auch die sieben Ratsfeuer der N'dakotah, Büffel, Wölfe, Feinde und Not, als die Krieger zur Jagd ausgeritten waren und die Frauen in den Feldern die Kolben brachen, kamen vom Wasser Minni-Wakan her die Assiniboin, brannten, raubten, erschlugen und skalpierten und sprengten im Schmuck der rauchenden Kopfhäute wieder davon.

Er allein von allen blieb am Leben, denn auf sogleich verstandenen Zuruf und Wink des uralten We-ye-ki-va, der, von Narben und Wintern gekrümmt, still in der letzten Sonnenwärme des Indianersommers kauerte und den vielversprechenden Kampfspielen der Kinder zugesehen, und aus eigenem klugen Angsttrieb hatte er sich unter einem Haufen gärender Birkenrinde verkrochen, die zum Gerben der erhofften Wilddecken in einer Grube hinter den Wigwams bereitlag. We-ye-ki-va aber zog mit stolzem Sterbelied, das seine Siege über die Hunde von Assiniboin besang, Wut und Aufmerksamkeit der Mordbrenner auf sich und bot das eisgraue Haupt ruhig dem Todesstreich. 4

Als es dann still geworden und der gelbgehäubte Specht wieder aus den Tiefen der Seewälder rief, lagen unter schwarzem Schwelrauch all die kleinen Gefährten früher Übungen mit zerschmetterten und geschundenen Schädeln zwischen den furchtgesträubt schnuppernden Kötern, und auch die Mutter, wie alle Weiber und selbst Mädchen, erkaltete draußen im zerstampften, blutbesprühten Mais. Denn die Frauen der Assiniboin sind die schönsten im ganzen großen Jagdgrund zwischen dem Wasser Minni-Wakan und dem Mi-su-ri, und ihre Krieger verschmähen lebendige Beute aus anderem Stamm.

Zwei Tage, furchtbar lange Tage saß und irrte er hilflos zwischen verkohlenden Zelten, Asche, geronnenen Blutlachen und Leichen umher, nagte im blinden Trieb an verbranntem Leder und Rindenstücken und war dem Verhungern nah. Aber am zweiten Abende kehrten die beladenen Männer zurück, und nachdem sie unter hohlen Trauergesängen ihre Toten zum Kreise zusammengetragen und in sitzender Stellung aufgerichtet, hieben sie den Tomihok in den rotgestreiften, entbasteten Ratsbaum, einer nach dem anderen, bis ein zersplitterter Stumpf nur, Gleichnis der Feinde, noch dastand. Von da war unauslöschliche Vergeltung und Gegenvergeltung zwischen den Odjibewe und den Assiniboin und ihren Verbündeten, den A-ri-ka-ra, Mi-ni-ta-ri und Eiankton, Warpeton und M'dewakanton von den sieben Ratsfeuern der N'dakotah.

Die Odjibewe am Opashkewa bauten ihr Dorf wieder auf und bevölkerten es mit Squohs, die sie jenseits des roten Mitternachtsflusses und gegen Mittag aus den Dörfern am Mi-ni A-ki-pan, der großen Wasserscheide, raubten, und den Pappuhsen, die die Beuteweiber ihnen gebären mußten. So wären fremdfeindliche 5 Wappenzeichen in den Stamm gekommen, allein der Rat der Sagamoren erklärte die Totems der Geraubten für erloschen und nichtig und ersetzte sie durch die der Erschlagenen, eine Beleidigung, die abermals nur mit Blut gesühnt werden konnte. Denn in den Totems wohnten die Geister der Ahnen, und mit ihren getilgten Zeichen mußten diese im Gefild der ewigen Jagdgründe noch einmal schimpflich sterben. Auch war es unerhört, daß ein Totem der großen sieben Ratsfeuer bei den verachteten, in hundertsiebzigjährigem Kriege überwundenen Odjibewe nicht gelten sollte. Die Beuteweiber aber dienten ihren Herren mit Leib, Leben und Arbeit, gleichwie sie früher ihren Herren unter den A-ri-ka-ra und Eiankton mit Leib, Leben und Arbeit gedient.

Sie mußten zusehen, wie die Krieger vor Aufbruch nach dem Rotfluß im Skalptanz um den gestreiften Pfahl sprangen, und sie mußten es anhören, wenn ihre eigenen Pappuhsen, mit roßhaarbewimpelten Truthahn- und Krähenfedern geschmückt, auch schon ihre kleinen Holzbeile in das Blut geschlachteter Hunde oder gefangener Biber tauchten, stolz mit alten Büffeldecken sich behängten und in nachgeahmtem Rachesang der Skalpe sich rühmten, die ihre Schenkel wärmen, in ihrem Wigwam auf Reifen dörren und den Siegespfosten vor ihrem Zelte zieren würden.

Unbestrittner Anführer in all diesen Übungen des Hasses war er, der einzige Zeuge des Mordbrandes, er, den der greise We-ye-ki-va zur Rache errettet, der Sohn Ka-gi-Waguans, des Krähenflügel, des Sagamore. Was bei den Jüngeren noch Spiel, war bei ihm schon düsterglühender Ernst. Er sprach wenig, und wenn er es tat, so hielt er finster feierliche, gleichnisvolle Reden, eines 6 Alten würdig. Von nichts anderem zeugte er mit Wort oder Tat, als von Jammer und Schande, die er dereinst den Assiniboin und ihren Verbündeten zufügen würde. Zeitig überließ er die Freuden gernegroßer Prahlerei den nachgeborenen Knaben, die ihn wie einen berühmten Krieger fast aus der Ferne mit Scheu betrachteten. Er wählte die Schule der Einsamkeit, bereitete sich auf Wildes Spur zum Kriegspfad, schärfte seine Sinne und Klingen und harrte in heißer Geduld der Mannesweihe, die all seinem Trachten den Beginn der Erfüllung bringen sollte.

Er würde dereinst ein weitgefürchteter Sagamore werden, darin waren die Alten im Stammesrat einig, und auch die besuchenden Häuptlinge der benachbarten Bruderstämme ließen sich den Sohn Ka-gi-waguans zeigen, den die räudigen Hunde von Assiniboin sich zur eigenen Geißel verschont. –

Er hatte noch keinen Namen, kein Wam-pum, hatte die Mannesweihe noch nicht empfangen und den heiligen Weg nach den roten Pfeifensteinbrüchen noch nicht beschritten, als er mit unverhoffter früher Tat sich selbst zum Krieger weihte, sich eine Medizin ohnegleichen erwarb und einen starken Namen verschaffte.

Er war um den See nach den Biberfallen gegangen, allein mit seinem kleinen Tomihok, seinem Messer und seinem Knabenbogen aus zähfederndem Holz und Büffelsehne.

Es war nicht wie gewöhnlich. Der See lag still im gespiegelten Grün der dunklen Schierlingstannen. Kein plumper Bibersprung wie sonst vor seinem leisen Nahen klatschte ins Schweigen der düsteren Flut; kein verziehender Wellenkreis zitterte durchs finsterklare 7 Widerbild des waldstarren Ufers. Die Biber mußten demnach kurz vorher, vor der Zeit, da ein Wellenkreis sich vollkommen verläuft und glättet, gestört worden sein, und zwar von einem unvorsichtigen oder achtlosen Feinde. Es konnte wohl auch ein Moosehirsch den See durchronnen haben; aber dann war irgendwo am Ufer noch Trübung von aufgewühltem Grundschlamm zu erspähen, und das traf nicht ein; außerdem pflegt der Moosehirsch in solcher Nähe des Dorfes, da der Rauch noch zu wittern und das Hundegekläff zu vernehmen, seinen Wechsel zu verlassen, wofern ihm Frist genug zur Überlegung bleibt. Es mochte auch ein fischlüsterner Schwarzbär oder die gefürchtete Wolverene sich am Ufer gezeigt haben; allein der Bär wäre dann wahrscheinlich noch zu sehen, und seine, noch mehr aber der Wolverene Nähe würde gewißlich durch Warngeschrei der Krähen und Häher verraten werden. Nein, was die Biber gescheucht, war nicht der Moosehirsch noch Bär oder Wolverene, sondern ein Mensch oder Menschen: und zwar unvorsichtige, der Sprache und des Schweigens der Tiere nicht achtende Menschen. Vom Heimatdorfe aber war binnen dieser Zeit niemand den See hinaufgegangen; Bleichgesichter, Langmesser, hätten jedenfalls das Dorf aufgesucht, da sie mit den Odjibewe die Feindschaft gegen alle Stämme der N'dakotah teilten; es waren also Feinde, N'dakotah vom Stamme der Eiankton oder Warpeton oder gar Assiniboin, und es waren Kundschafter, denn zu diesem Dienste erbieten sich und werden ausersehen die jungen, noch ganz unerfahrenen Leute, die sich die erste Feder in den Skalpschopf verdienen wollen.

Dies alles wußte der junge Jäger, und er hielt Messer, Bogen und Tomihok insgeheim bereit, als er sich nun 8 vorsichtig, jede Pore Aug und Ohr, den Biberfallen näherte, um den Spähern durch Stutzen und Lauschen nicht seine eigenen Gedanken zu verraten.

Wie er es erwartet, waren die Fallen ausgenommen worden; die Hunde von N'dakotah sollten lieber mit ihren Weibern den Mais stampfen als den Pfad des Krieges beschreiten, und ihre jungen Männer sollten mit den Pappuhsen und Dorfhunden spielen und mit den Squohs Körbe flechten, wenn sie statt des Skalpes gestohlene Biberbälge heimbrachten! . . . Daß hier fremde Hände gestümpert hatten, erkannte der erste Blick. Die Fallen waren wieder fängisch gestellt worden, aber nicht nach Art der Odjibewe sondern in der Weise der Eiankton, die das Sperrholz von oben nach außen statt von oben nach innen spreizen. Die Späher der Eiankton sollten mit den Squohs Häute gerben und die Töpferscheibe drehen! . . . Blutspuren an den Fallen, wo der Tomihok die Schädel der gefangenen Tiere zerschmettert, waren noch feucht, fast noch warm; die Diebe waren also vor ganz kurzer Zeit hier gewesen und lagen jetzt jedenfalls im gebüschigen Waldsaum des Ufers, wahrscheinlich des jenseitigen, da sie von dort aus das Dorf besser übersehen konnten. Der junge Jäger maß die Entfernung mit unauffälligem Blick; ein noch so straffer Pfeilschuß reichte nicht herüber, und junge Späher waren niemals mit Büchsen bewaffnet.

Der Sohn des Sagamore, Schüler eines großen Kriegers, machte sich noch eine Weile an den Fallen zu schaffen, als hätte er von der diebischen Stümperei nicht das Geringste bemerkt und als wollte er selbst dies und jenes an der kleinen Anlage verbessern. Dann trat er vorsichtig und ruhig den Heimweg an; die Hunde von 9 Eiankton sollten noch heute ihre Skalpe verlieren und in der Nacht von den Wölfen gefressen werden. Wurde diese Seebucht nach verstohlener Umgehung eingekreist, so konnten die Kundschafter ihrem Schicksale nicht entfliehen. Nach welcher Richtung immer sie durchbrachen, sie liefen in die Pfeile und Beile der Odjibewe. Noch an diesem Abende würden ihre unbefiederten Schopfhäute auf den Spannreifen trocknen. Dürfte nur er selbst sie erbeuten!

Während der junge Jäger wachsam, all seine Waffen in geheimer Bereitschaft, am Seeufer hinunterging, wurde er plötzlich durch den Jagdschrei eines Fischhabichts aus seinen Plänen geweckt. Der gewaltige graublaue Vogel kam auf schweren Schwingen von den oberen Buchten des Sees heruntergewuchtet und kreiste jetzt mehrmals niedrig über der düsteren Flut, um endlich steilsausend niederzuschießen. Als er mit weitgellendem Siegesschrei, sprühend aus den Wellenbogen aufstieg, wand sich ein starker Salm in seinen blauen Fängen.

Beuteschwer, auf hastigen, gierigen Fittichen strebte er dem nächsten Ufer zu, um sein glattes kräftiges Opfer durch Schnabelhieb zu töten und sich den Flug damit zu erleichtern oder auch gleich zu kröpfen. Es brach dort ein vorspringender Felsblock aus dem Walddickicht ins spiegelnde Wasser, den Jägern des Dorfes wohlbekannt, weil sie dort etwa zerrissene Netze sogleich zu flicken pflegten und beim Feuerfischen einen weithinleuchtenden Pechbrand unterhielten. Diesen Sitz hatte sich auch der Adler zum Tische ausersehen und eben wollte er auffußen – da stob er, mit noch schlagenden Flügeln, fast rücklings ab, schwenkte, stieg höher an und strich mit seinem Fraße eiliger wuchtend den See hinauf. 10

Es war also gewiß, daß wenigstens einer der Späher hinter jenem Felsblock im Walde lag, denn ein anderes lebendes Wesen konnte den Vogel nicht verscheucht haben.

Der Platz war gut gewählt; der Felsen bildete die letzte Spitze einer kleinen Halbinsel zwischen zwei flachen Buchten, und von dort aus konnte man gerade das Dorf und mehrere seiner Felder vollkommen überblicken.

Aber der Kundschafter im Versteck hatte noch nicht einmal den Verstand des Truthahns, der sich vor dem bellenden Hunde so dicht als möglich an den Stamm drückt und den nackten Kopf anzieht. Ein Fischhabicht, der eben einen schweren Salm erbeutet und dessen ganze Aufmerksamkeit auf den zuckenden, schnellenden Fraß gerichtet, durfte den verborgenen Späher nicht einmal auf Speereslänge eräugen, mußte ahnungslos auf dessen Schädel fußen . . . Die Eiankton sind alte Weiber.

Der junge Jäger ging unbeirrt, als habe er das kurze Zwischenspiel gar nicht beobachtet, seinen Weg nach dem Dorfe, bog dann aber, an einer Stelle, da er vom Felsen aus nicht gesehen werden konnte, in den Wald zurück und schlich nun mit äußerster Behutsamkeit, glitt lautlos wie der Mondschatten schwebender Eule binnen dem Rande von Stamm zu Stamm, als wolle er den kollernden Truthahn anspringen, wieder den See hinauf, bis an eine Stelle, die gleichfalls gegen den Späherfelsen gedeckt war. Dort nahm er das Messer quer zwischen die Zähne, steckte den kleinen Tomihok im Gürtel fest und kroch ins Wasser hinab. Kundschafter würden hier jenseits nicht liegen, denn von den Ufern des inneren, oberen Seebeckens aus bot sich kein Blick auf das Dorf. 11

Es war ein kühnes Unternehmen; aber er war der Sohn eines großen Kriegers, eines Sagamore, und er hatte den Eiankton und Sissiton und allen N'dakotah und Assiniboin den Untergang geschworen.

Er tauchte und schwamm unter der Oberfläche, solange das Herz es aushielt, mit ganz leisen, stoßweis fördernden Flossenschlägen, mit einem Fuße steuernd, mit dem anderen von Ruck zu Ruck kleine Saugwirbel treibend, die ihn rasch vorwärts schnellten. Die Flut allzustark und unausgesetzt zu erregen, hütete er sich wohl. Nicht Sprung, Wurf oder Fall, sondern ununterbrochenes Rudern jagt die Wellenkreise am weitesten; denn die des Aufschlags verklingen schließlich in der Ferne, während die steter Bewegung von den folgenden immer wieder geschoben und getragen werden. Und vom Wellenschub eines Lachssprungs oder Adlerstoßes mußte den des Schwimmers selbst eine blinde Großmutter der N'dakotah an den sich fortlaufend schneidenden Bogen unterscheiden können.

Wenn sein Herz den Hammerschlag beschleunigte, tauchte er still herauf, holte durch Nase und übers quergefaßte Messer ausgiebig Luft ein, stieß sie wieder aus und versank in der grünen Dämmerung bei den starr schwebenden, rotflossigen Salmen und den Glasperlenschnüren ihres Atems, daran manche zu hangen schienen.

Das Gefährlichste war die Landung. Erst hob er ganz behutsam den glatten Kopf, sicherte, wartete eine Weile und kroch dann wie Ondatra, die Bisamratte, ans niederfelsige Ufer, weislich aber nicht auf eine der schmalen Kies- und Sandbänke, die sich in kleinen Buchtungen des Bordes am Strande hinzogen, sondern unter den schrägen Steg einer vom Sturm gegen den See 12 gefällten Tanne, die hier mit mitgerissenem, weitergrünendem Gesträuch einen dichtschirmenden Überfang bot.

Die Knöchel noch im Wasser, horchte er einen tiefen Herzschlag, ein Eratmen lang. See und Wald waren still; ein Lachssprung, aus dem düsteren Grün silberaufblitzend, von den oberen Buchten her der jauchzende Siegesschrei des Fischadlers, vom Dorfe herauf Hundegebell und das dumpfe Stampfen der Maismörser – aber auf dem Landrücken gegen den Mitcha- oder den Pemidji-See, wo alle Wasser der Welt entspringen, lagen mit Büchsen und Tomihok die Eiankton, gierig nach Skalpen der Pappuhse und Squohs, da sie solche der Männer doch nicht erbeuten konnten.

Der junge Jäger lockerte das Beil im Gürtel; das Messer behielt er quer zwischen den Kiefern, den Bogen, dessen Hirschsehne er noch einmal geprüft, in der Linken. So drang er in den tiefdämmerigen Wald ein; zollweise, auf dem ersten Kriegspfad.

Es war keine ganz leichte Arbeit. Späher sind niemals allein; stets werden sie paarweise ausgeschickt, oft auch zu dreien. Einer lag hinter der kleinen Felsenklippe, von deren Platte der gescheuchte Adler wieder abgeschwenkt. Aber wo der andere, die anderen? Hinter jedem Busch, hinter jedem Stamm, überall.

Fuß für Fuß, Ferse für Ferse schob sich der junge Jäger durch tausendstimmige, dunkelflimmernde Stille; nach Mokassinlängen nur, nach Messerrückenbreiten mitunter. Eichhörnchen pfiffen und kläfften; der Häher warnte, Blaudohlen spotteten. Dann hielt er an und lauschte, Pfeil auf der Sehne, Hand am Tomihok. Und schob sich wieder weiter, Mokassin vor Mokassin, 13 leiser als ziehender Nebel oder der Rotmoder in den Klüftungen sterbender Bäume.

Nichts geschah. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Dort, wo Sonnenstrahl mit blauem Dunst in die Dämmerung hereinspielte, sprang die Felskanzel in den See vor. Der Schleicher ließ sich auf die Handflächen nieder und kroch vorfingernd über Moos und tiefe anmoorige Nadelstreu, unhörbarer als die Ameise.

Plötzlich blendete scharfe Spiegelung seinen Blick. Und nun erkannte er, was den Fischadler so jählings verscheucht. Dort, wo der Felsen aus säumendem Gesträuch gegen den See hinaustrat, lag der Späher. Sein Haar glänzte unterm einfallenden Lichtstrom, und ihm zur Seite blitzte breit das Messer.

Der junge Jäger überlegte. Ein wirksamer, sicherer Pfeilschuß war gegen dies Ziel nicht zu wagen. Der dort durfte nicht rufen; Entdeckung und Tod, stummer Tod mußten eins sein. Der junge Krieger legte den überflüssigen, jetzt hinderlichen Bogen ab und kroch noch dichter an sein Opfer heran; leis wie der Käfer, aber nun schneller, um keine Zeit zu verlieren und die Entfernung möglichst rasch zu vermindern. Wo jener aufmerksam wurde, konnte der Kampf ungleich sein; er hatte vielleicht doch eine Büchse, der andere Späher kauerte vielleicht in ganz nahem Versteck. Nun betrug der Abstand nicht mehr als Speereslänge. Der Schleicher richtete sich auf, tat noch einen Schritt und sprang dem Kundschafter rittlings auf den Rücken.

Der Überfallene unter der plötzlichen Last sträubte erschrocken empor. Da ward ihm über die Schulter weg von unten eine Klinge durch die Gurgel gezogen, daß sein Schrei in heißem Blutstrom erstickte. Er sank wieder 14 aufs verlöschende Antlitz; der Lebensstrom quoll aus verröchelnden Stößen über Moosnarbe und Fels.

Der Sohn des Sagamore aber wand sich den straffen, spiegelndschwarzen Skalpsträhn um den linken Arm, umkreiste ihn mit geübtem Schnitt und riß die schnalzende Schwarte mit einem Ruck vom verpulsenden Geäder.

Nun hatte er seine Medizin.

Aber noch war es nicht an der Zeit, zitternden Kriegsruf über See und Wald schallen zu lassen. Alte Weiber, die da schreien, bevor die Arbeit getan; ein Cayou, der da heult, bevor er den Fraß erbeutet! . . . Er aber war der Sohn eines großen Sagamore! . . .

Er nahm den Bogen wieder auf, legte den Pfeil auf die Sehne, setzte sich zum Toten und wartete.

Hörnchen pfiffen und kläfften, fern in Tiefe der Dämmerung spotteten Blaudohlen der entdeckten Eule. Der junge Krieger sah den grünen Fliegen zu, wie sie das blutdurchschwemmte Moos beschwärmten, auf dem von sich schwärzenden Adern übersponnenen Schädel hin- und widerliefen, sich sammelten und vollsogen. Wie Büffelherden an einer Salzlecke.

Vom Obersee her gellte der Adler; vom Dorfe herüber dröhnten dumpf die Maismörser der Squohs, und die Hunde bellten. Dann sprang ein klatschender Lachs, dann plumpste ein schwerer Biber.

Aber jetzt rief laut und nah die Katzendrossel. Darauf hatte er gerechnet. Er ließ sie den Mißschrei wiederholen und horchte gespannt. Es klang gut aber nicht recht natürlich. Deshalb erwiderte er den Ruf und erhielt alsbald Antwort. Dreimal noch miaute die Drossel, immer näher, suchend im flimmernden Zwielicht. Und jetzt ward 15 der zweite Späher sichtbar; er trug die beiden gestohlenen Biber, im Gürtel das Beil, den Bogen unbepfeilt.

Der Lauerer ließ ihn gelassen herankommen, spitz angestrafft die Sehne. Nun fiel helles Licht auf das Ziel. Der Bogen surrte, der Pfeil fauchte ab, traf hörbar und verschwirrte in der Kehle. Der Kundschafter griff nach dem Geschoß wie nach plötzlichem Giftstich; er rang mit dem Atem, aber nur dünnes, heiseres Pfeifen kam hervor. Die Augen traten ihm stier und weit aus dem Gesicht, die Nüstern blähten sich, er schwankte, trat einen Schritt rückwärts und brach in einer Wendung zusammen.

Eh er noch ausgezuckt, umschrieb die Klinge seinen straff aufgezerrten Schopf. Die Schwarte schnalzte ab, rohes Fleisch, gesprengtes Geäder rauchte . . . Und nun ließ der Sohn des großen Sagamore den schrilltrommelnden Siegesruf über den schalltragenden See hin ertönen, zum erstenmal in seinem Leben . . . Alte Weiber waren die Eiankton und alle N'dakotah, Memmen, Kröten, räudige Hunde, heulende Wölfe, Fraß der Füchse und Raben, Aas! . . . Sie alle würde er den Fischen und Krähen und Coyoten zur Speise vorwerfen, aus gegerbten N'dakotahskalpen würde er sich sein Wigwam aufrichten, das ganze, weite Seenland und die ferne Prärie bis an das Wasser Mi-su-ri würde bedeckt sein mit mondgebleichtem Gebein der Sissiton und Warpeton und M'dewakanton und Titonwan und A-ri-ka-ra, als hätte Seuche sie mit einem Schlag bis auf den letzten Greis und Pappuhs ausgetilgt . . . All die Schmach, die das feige Gezücht der sieben Ratsfeuer durch sechs Geschlechter den Odjibewe zugefügt, würde er zehn- und hundertfach rächen, und grausige Wahrzeichen seines Ruhmes würden dereinst zu finden sein bis in die Berge, 16 wo kochend Wasser aus den Felsen bricht, bis an das himmelgroße Wasser Kitschi Gummi, bis tief gen Mittag, wo der N'dakotahskalp im Zelt des tapferen Poni und Omahau trocknet . . . Vernichten, auslöschen, austreten würde er die sieben Ratsfeuer, in roten Bildern auf Birkenrinde oder weißgegerbter Büffelhaut würden sie seine Taten aufzeichnen, wie von Ti-kom-sih, dem sprunggeduckten Puma, dem Großen, dem Unvergessenen, würde Kunde von ihm auf Kindeskinder und Enkelsenkel kommen: der Adler der Odjibewe vom Opashkewa, der das Geflügel der N'dakotah ausgerottet hat . . . Der junge Krieger sprang unter wirbelndem Beil einen wilden Bluttanz um die beiden geschundenen Kadaver. Dann schmückte er sich mit den erkaltenden, fliegenbeschwärmten Skalpen, nahm Waffen und Biber auf und ging gelassen nach dem Dorfe. – –

Über das starre Antlitz Ka-gi-waguan's, des Sagamore, ging ein düsteres Aufleuchten, als er von der Tat seines Sohnes vernahm. Er sagte nichts, weder Lob noch Tadel, aber er entsandte Läufer nach den Nachbardörfern und entbot alle Sagamores und namhaften Krieger auf ein großes Fest.

Viele Hunde mußten ihr Leben lassen, viele Hirsche ihre Ziemer und Bären ihre Keulen und Tatzen. Weit hinauf über den See Opashkewa zog der fette Rauch vieltägiger Feiermahlzeit; Blutsuppen dampften und Kessel voll Maisbrei, Sohle des Muskwa schmorte und der Racoon und die erlesene Biberkelle, Trommeln des Zauberers gellten dazu und seine Rasseln schnarrten; den Söhnen der Odjibewe, den Lieblingen Manitus, verhieß er Sieg und Rache und Macht und alles Jagdland zwischen dem Kitschi Gummi und dem Mi-su-ri, 17 den N'dakotah hingegen und ihren Verbündeten, Assiniboin und A-ri-ka-ra, weissagte er des großen Geistes Zorn und Untergang durch einen künftigen großen Sagamore. – Und weil der Sohn Ka-gi-waguan's, des Krähenflügel, seine Medizin schon erbeutet, wurde ihm zu höchster Auszeichnung die Prüfung dreitägigen einsamen Fastens erlassen, und er erhielt bei der Männerweihe den Namen Ne-i-ki-mi.

Er trug seine Ehren und seinen jungen Ruhm mit finsterglühendem Schweigen wie die stolzen Schmerzen des Marterpfahls. »Die N'dakotah sind Weiber, die Eiankton sind Hunde, ein Odjibewe lacht ihrer!« Das war alles, was er sprach, und die rauchenden Sagamores in ihren Decken nahmen die bündige Rede mit würdevollem Beifall auf. – – – – –


Es kam die Zeit, da er den heiligen Weg nach den Brüchen des roten Pfeifensteins zu beschreiten hatte: wie jeder Krieger, dessen Kalumet einst über Krieg und Frieden entscheiden, wichtige Verträge schließen und Gastrecht verbürgen soll.

Er brach auf und wanderte einsam durch die finstere Wildnis unermeßlichen Waldlandes, wo aus siebenhundert Biberseen die Wasser nach Mittag und Mitternacht sich scheiden: – die flache Schwelle hinan zu den geheimnisvoll umdämmerten neun Quellbecken des Mississippi, von Pe-mi-dy hinauf den A-sa-we und hinüber zum Itascah-See, auf den Wasserscheiden hin zum See der Toten und dem Otterschwanz-See, durch die Jagdgründe der Sissiton zum Tipsinah hinunter und zum Mini-Inyan, dem sprechenden See, und zum Re-Wakan, dem Geisterberge, weiter hinauf dann durchs Gebiet der 18 Warpeton und über den Pejuda an den Moingonan und Inyan Reakah und in die ewigen Wälder am Tschankasndata, wo der heilige Rotstein aus der Erde wächst.

Er trug nur das Messer bei den Blasen mit eingeschmolzenen Büffelmark und Pemikan im Gürtel, den Bogen mit den leichten Jagdpfeilen, zum Zeichen des Friedens unbefiedert den Schopf und unbemalt das Antlitz. Denn auf diesem Wege war sein Leben gefeit, war er jedem roten Manne, N'dakotah oder A-ri-ka-ra, Bruder und unverletzlicher Gast.

Er legte die lange Reise durchs waldfinstre Seenland in raschen, unermüdlich gleichmäßigen Gängen zurück. Der Morgen zur Linken, der Abend zur Rechten wies ihm die Richtung, und er wußte, daß er sich mittagwärts um die Länge der armweit quergestreckten Lanze gegen Abend, heimkehrend um dieselbe Breite nach Morgen zu halten habe. Ein altes sprechendes Leder aus dünngeschabter Büffelkalbhaut, darin in roten Zeichen die Seen, die Wasserläufe, die führenden Sternbilder des Hasen, der Schildkröte, des Bibers, des Bison eingetragen waren, bestätigte ihm von Zeit zu Zeit Gegend und Pfad.

Nach Furten suchte er nicht. Wie der rinnende Hirsch durchschwamm er die Flüsse, wie der Lachs die Stromschnellen, und größere Seen überquerte er auf leicht zusammengeschlungenem Schilffloß, auf flüchtig verbundenen jungen Stämmen, auf zufällig gefundenem Kanu. Trotz heiligen Wallfahrerrechts mied er die rauchenden Dörfer der Warpeton und Sissiton, die mit den M'dewakanton, Warpekutey, Winebago, Eiankton und Titonwan zu den sieben Ratsfeuern, den Erbfeinden der Odjibewe gehörten. Die Nächte verbrachte er bei kleinem trockenem Feuer tief im schauernden Tann, umraunt von 19 den Geisterstimmen der Wildnis, allein mit dem Sturm der Wipfel, dem breitsohligen Schleichtritt des Bären, dem Sprung der Wolverene, dem Klagen geschlagenen Elchkalbes, den riesigen Schatten, die rings um den engen Flackerkreis der Flamme in düster durchdämmerter Finsternis umgingen.

In solchen Stunden, wenn er nicht schlief, dachte Ne-i-ki-mi bisweilen darüber nach, was er von den Bleichgesichtern und ihrem Gotte wußte.

Die Bleichgesichter waren mächtig und weise; ihnen gehörte alles Land im Morgen der Seen; sie besaßen große Dinge. Es wurde von den Alten erzählt, wie die weißen Männer vorzeiten die Stämme am Kitschi Gummi, dem Wasser ohne Land, am Wasser Mi-tschi-gan und am O-hei-o, dem schönen Flusse, in langen gewaltigen Kriegen besiegt und gegen Abend fortgedrängt. Sie hatten dann auch den weitberühmten Sagamore Ti-kom-sih, da er Friede und Freundschaft unter allen roten Völkern, auch den Odjibewe und den N'dakotah, stiften und die Bleichgesichter vernichten wollte, geschlagen und getötet. Immer näher rückten sie an den großen Wald der siebenhundert Seen heran; schon sollten sie am Wasser Mini-sotah in ausgedehnten Dörfern wohnen, und ein Krieger der Sac, die einst zwischen dem Kitschi Gummi und dem Mi-tschi-gan gejagt, hatte berichtet, wie sie nun auch ihre neueren Sitze aufgeben und mit den Winebago und Meno-mini weit nach Abend ziehen müßten. Immer häufiger zeigten sich nun auch die willkommenen Händler bei den Odjibewe; sie brachten Büchsen, Pulver, Messer, Decken, Hemden, Schmuck, Salz, Tabak und Feuerwasser und nahmen dafür die Felle der Biber, des Mink, des Racoon, des Musk-wa, der 20 Ondatra. Sie bauten sich sogar feste Häuser am Wi-ni-bi-go-shish-See und weiter hinab den Strom, wo sie ihre kostbaren Waren und die eingetauschten Pelze aufbewahrten; dieser Häuser wurden immer mehr, und den Händlern gesellten sich weiße Jäger, die mit ihren Büchsen und Fallen weithin durch den unermeßlichen Wald der Seen und Wasserscheiden bis in die Gründe der N'dakotah, ja bis über den fernen Mi-su-ri streiften. Händler und Jäger nahmen sich rote Frauen, manche aber brachten auch schon weiße Weiber aus ihrer Heimat mit, Kinder, Getier und Gerät. Der Wald um diese Siedelungen wurde gefällt und gerodet, die Lichtungen wurden mit Mais bepflanzt; nicht wie einst die fahrenden Händler konnten die Squohs und Pappuhsen vom Wilde allein leben. Die Sagamores der verwandten Dörfer und Stämme vom Messerfluß und Sieben-Biber-See, vom Wa-sa-wa und Na-me-ka-gon sprachen nicht ohne düstere Sorge davon, wie Roderauch und Äxteschall sie immer enger umkreisten und Bär und Moosehirsch immer seltener würden und scheuer und die Blaßgesichter schon das Maß ihrer Ketten dem Lande anlegten. Allein jene hatten Pulver und Kugeln, gute Büchsen und Decken, Schmuck und das köstliche Feuerwasser; und als die gefürchtetsten und stärksten Feinde der N'dakotah waren sie die natürlichen Freunde und Verbündeten der Odjibewe, die Rächer ihrer Schmach, die Vergelter ihres Leides. Zu schwere Wunden hatten die sieben Ratsfeuer in jenem unverlöschlichen Kriege den Odjibewe eingebrannt, als daß der Schmerz des Hasses in den Narben je verglimmen konnte. Nun waren die mächtigen Bleichgesichter da, denen ihr Gott solche Klugheit und Waffen verliehen; ihnen gehörte das Herz, das nach dem Skalp der Eiankton und 21 Sissiton dürstete, die Hand, die so oft den roten Tomihok in den gestreiften Kriegspfahl geschlagen.

Wie schon früher so waren auch in letzter Zeit wieder die weisen Zauberer der Weißen am Opashkewa erschienen. Sie verstanden Krankheiten zu besprechen, sie erteilten manchen bald bewährten Rat und erzählten von dem Gotte, der ihnen ihre unheimliche Macht gegeben und den sie unter einem seltsamen Zeichen verehrten. Aber nicht wie andere ehemals begnügten sich diese mit Wort und Bericht von Dingen, die vor vielen, vielen Wintern in fernem Lande weit überm Salzwasser sich zugetragen haben sollten: – sie dienten sogar ihrem Manitu vor versammeltem Stamme, errichteten aus Pfählen und Steinplatten ein Gerüst, setzten brennende Lichter darauf, ihr heiliges Zeichen in deren Mitte, legten ein prunkendes Gewand aus Sonne und bunten Flammen an und tranken unter Gemurmel ihrer Zauberweisen Feuerwasser aus goldenen Gefäßen. Dergleichen hatten frühere Boten der Blaßgesichter und ihres Gottes nicht gezeigt. Dem großen Geiste, dem solche Opfer gebracht wurden – Feuerwasser, nächst Ruhm und Skalp der Güter köstlichstes in diesen Jagdgründen – dem mächtigen großen Geiste aus Morgen gebührten aber auch diese Ehren der Pracht und des Schmuckes. Das bewiesen allein schon die Heilwunder, die von den schwarzen Männern mit den ausgeschorenen Skalplocken am Volke der Odjibewe ergingen; das bewiesen deutlicher noch die Dinge, die der weiße Manitu seinen Söhnen geschenkt, die Künste, die er sie gelehrt, mit deren Hilfe er den roten Mann besiegen und verdrängen, der rote Mann selbst, der Odjibewe den N'dakotah schädigen, kränken und vernichten konnte. Wenn der weiße Manitu dem 22 Odjibewe Gewalt über seine Feinde, Eiankton und Assiniboin gibt, so ist er besser als der rote Manitu, zu dem jene ihre Rasseln klappern und Kinikinik-Wolken aufwirbeln lassen; der rote Manitu ist nicht gerecht, er hat die Stirnen der Odjibewe mit der schwarzen Farbe des Todes gezeichnet und sich abgewandt von ihnen, da sie durch sechs Geschlechter mit den N'dakotah um das wildreiche Seenland Krieg führten, und er hat ihnen das Totem mit dem Bilde des Tomihok, dem Zeichen des Todesurteils, übersendet. Wenn der weiße Manitu den Odjibewe Sieg und Rache verleiht, so werden die Söhne Mo-na-ba-zo's abfallen vom großen Geiste, der ihnen nur den Bogen, den Pfeil, die Lanze, den Tomihok, den Pfeifenstein, den Kinikinik, den Mais, den Schneeschuh und den Bison geschenkt, und dem größeren Geiste, der ihnen die weisen Väter, das Feuerrohr, die Ma-ki-no-Decken und das Brandwasser geschickt, sich zuwenden und dienen.

Das waren die geheimen, langsam sich einschürfenden Gedanken Ne-i-ki-mi's unterwegs und am tiefverhohlenen Nachtwaldfeuer, da er nach den heiligen Kalumetbrüchen am roten Pfeifensteinflusse wanderte. Denn er war ein Sohn Mo-na-ba-zo's, des Sintflutüberlebenden, er war ein Odjibewe, und er hatte den N'dakotah und ihren Verbündeten blutigen Untergang geschworen.

Eigentlich, nach altem frommem Brauch, hätte er des Nachts keine Flamme entfachen und hegen dürfen, es sei, daß niederfahrender Brandstrahl Manitus selbst sie ihm entzündet und er von der göttlichen Lohe die Glut einfing: denn der unbemalt und unbefiedert auf dem Friedenspfade nach den Brüchen des heiligen Kalumetsteins pilgert, soll sich enthalten des Zeltes und Herdes, 23 des blutwarmen Wildprets und der Jagd, des Gesprächs und aller irdischen Freuden, auf daß seine Gedanken gesammelt seien und all seine Sinne erhoben zum Geist.

Allein Ne-i-ki-mi hegte keine gläubige Liebe mehr zum Manitu seiner Väter, der es damals zugelassen, daß die Hunde von Assiniboin in das Dorf am Opashkewa einbrachen, Squohs und Pappuhse erschlugen und skalpierten, Wintervorräte stahlen und die Hütten ansteckten. Die Bleichgesichter und ihre weisen Väter hatten den besseren Manitu, denn sie hatten die besseren Dinge. Wäre der weiße Manitu mit seinen Geschenken damals am Opashkewa gewesen, die Wölfe der Assiniboin hätten mit eingeklemmten Schwänzen, schmachbedeckt fliehen müssen.

Trotzdem, als er das heilige Ziel seiner Wanderung erreicht, bereitete sich Ne-i-ki-mi durch dreitägiges Fasten und Wachen auf die erhabene Handlung vor. Er lag verhüllten Hauptes auf seinem Antlitz und lauschte den Stimmen der Wildnis, und die Reiher und Gänse der Seen zogen mit klirrendem Schrei hoch über ihn dahin.

Mit der vierten roten Sonne, als die Wände des Bruches gleich Eisen im Morgen glühten und Pfeilente und Kranich im Leuchtblau des Herbsthimmels mittagwärts nach dem Tschankasndata strichen, erhob er sich von seinem Angesicht, schnitt ehrfürchtig einen Würfel des weichen Steines aus dem uralten Schurf, versorgte die kostbare Ausbeute in neuem geweihtem Beutel aus weißgegerbtem Hirschleder und brach dann sogleich auf, um die geweihte Stätte nicht durch Feuer oder vergossenes Wildblut zu schänden. Denn nun durfte er jagen und seinen Hunger mit frischem Fleische stillen.

Den Schatz im Busen des Elenhemdes wanderte er wieder gen Mitternacht, um armweit weggestreckte 24 Lanzenlänge nach Morgen abweichend. Geknickte Sträucher da und dort, Steinhaufen und Schalmungen wiesen ihm die eigene Spur.

Er überschwamm den Benton-See an seinem schmalen Halse, den Nordarm des Tshan-sha-ya-pi, des Rotwaldflusses, die beiden Läufe des Pejuda, den Int-pah unterhalb seiner Gabel, den Mini-sotah überm sprechenden See, und zog dann am Tipsinah gegen die Otterschwanzseen hinauf. Die rauchenden Dörfer der Sissiton und Warpeton mied er auch jetzt, obgleich es dem Heimkehrenden gestattet war, vom Gastrechte und der Unverletzlichkeit des unbemalten Wallfahrers Gebrauch zu machen. Allein sein Bluthaß war stärker als sein Bedürfnis nach Zeltwärme; wie früh Dämmerung schon fiel und wie kalt und immer kälter es vom waldfinsteren Seenrande herabwehte und die Bänder der Vogelvölker ihm entgegen, über ihn hinweg gen Mittag trieb – er zog es vor, bei einsamem Brand in Tannentiefe der Herbstnacht seine karge Mahlzeit zu verzehren, den inwendigen Tomihok zu schleifen, Skalpiermesser zu schmieden und von künftigen Ruhmestaten, von Sieg und Herrschaft der Odjibewe zu träumen.

Aber eines Abends war der Himmel schneegrau geworden, und als Ne-i-ki-mi anderer Frühe erwachte, lag der weiße Winter hoch auf seiner Ma-ki-no-Decke und den Tannenzweigen, damit er sich überschichtet.

Er brach auf und eilte weiter gegen den schneidenden, wirbelnden Sturm. Allein das Gestöber nahm mit der Tageshelle noch zu, und bald wurde es so dicht und scharf, daß Ne-i-ki-mi kaum mehr die frische Fährte hinter sich zu erkennen vermochte.

Nur mit heißer Anstrengung kam er vorwärts. Er 25 trug gewöhnliche Mokassins, die der weite Weg durch die Wildnis stark abgenutzt hatte; friedlicher Witterung konnten sie gleichwohl noch eine Weile, noch bis an den heimatlichen Opashkewa standhalten. Im dünnen, beißenden Schnee hingegen waren sie fast mehr Beschwernis als wirksamer Schutz; denn die schmale Sohle sank bei jedem Tritte tief ein, und das schmelzwassergetränkte morsche Leder erstarrte zum Eispanzer. Ne-i-ki-mi dachte schon daran, aus gebogenen Zweigen Rahmenschuhe herzustellen, die ihn besser und höher auf der weißen steigenden Flut trugen; aber es fehlte ihm an den Garnen zum Netz, das einst, in eines kleinen Singvogels Gestalt, die Ahnfrau dem Ahnherrn des Menschengeschlechts und der Odjibewe geflochten, und wenn er auch einen Teil der Decke opferte und zu Streifen zerschnitt, so hielten diese doch die Spannung des Rahmens schwerlich aus. Ne-i-ki-mi war in großer Not; fegende Eisstachel blendeten seinen Blick, in seinen nassen Haarsträhnen körnte knirschendes Eis, mit frostglühendem Antlitz stirnte er gegen den stummen Totensturm an, düstere Waldweiten rings und graue dampfende Seen verdämmerten, vernebelten in stillflimmernden Wirbelwehen.

Trotzdem kämpfte Ne-i-ki-mi zäh und treu wider das blinddichte, über Lichtungen der Seen und Windwürfe fast stirngrad anströmende Gestöber. Er rang, er watete bald Tritt für Tritt, hielt den Strich auf Mitternacht so gut er ihn erkannte und fand noch hier und da Zeichen seiner Spur, Schalm und Knickung. Dennoch wußte er wohl, daß er den heiligen Pfeifenstein nimmer nach dem Wigwam am Opashkewa bringen und dort im wärmenden Flackerschein der Kesselflamme zum Kopfe verschnitzen: – daß dieser Weg durch graue Abgründe von 26 Sturmschnee nach dem Geisterpfad und der Seelenbrücke führen würde, wenn nicht der Manitus einer zu Hilfe kam, den Wettern Stillstand, der Sonne Durchbruch gebot oder seinen Sohn auf Flügeln des wilden Schwanes nach dem Heimatsee entrückte.

Bis in den früh dämmernden Abend drang Ne-i-ki-mi unentmutigt durch Wind und Wehe vor. Was aber nun werden sollte, stand in des großen Geistes Rat. Ne-i-ki-mi hatte gehofft, vielleicht einer berittenen Jägerschar der Odjibewe von den Otterschwanz- oder Weißerde-Seen zu begegnen. In solchem Schneesturm jagte sich's gut auf verspätete, vom blendenden Flockenfall völlig betäubte Bisons, und eben hier, auf der Höhe der Wasserscheiden, berührten einander die umstrittenen Wildgründe der Odjibewe und Eiankton. Indes die Hoffnung hatte getrogen, schon war der Tag im Verlöschen, und Ne-i-ki-mi tief im totenstillen Schnee der Wildnis bereitete sich zur Nacht.

Zur großen Nacht voll der Schlangen und Wölfe, Abgründe und reißenden Ströme; zur großen Nacht, an deren schaurig dunkler Flut Gestade des Gerechten Seele nur das Kanu findet, das ihn hinüber nach der Bucht der ewigen Jagdgründe trägt.

Da geriet Ne-i-ki-mi in Gefahr, und die Gefahr selbst errettete ihn vom Todesschlaf.

Er war von seinem Wege an der Kette der Seen hin – wie er ihn mehr fühlte und erriet als sah – seitab gewichen, um am Saum einer kleinen Windlichtung, unterm Schild des Wurfbodens einer starken Schierlingstanne, vielleicht noch einmal ein geschütztes Lager zu finden. 27

Wenn er sich da auf einer Schicht von Zweigen einbettete und eng unter seiner Decke zusammenkroch, konnte er möglicherweise den anderen Tag, sein Wetter und seine Gunst noch erwarten.

Seine müden schneeheißen Augen hatten die kaum mehr erkennbaren, flach eingewehten Spurmulden nicht wahrgenommen, die unterm düsterfahlen Zwielicht starrverhangner Tannen nach eben jenem Windbruch führten. Er trat an den Wurfboden heran, dessen Schild und Wurzelstränge ihm ein natürliches, leicht zu bedachendes Zelt zu bieten schienen: – da ward es in der Höhlung lebendig, und unter seinen Mokassins fast erhob sich schwarzgepelzt und mißmutig ein starker Bär, der sich wohl vor wenigen Stunden erst hier eingelagert, noch lange nicht in steifen Winterschlaf versunken war und sehr wenig Geneigtheit zeigte, seinen gutgewählten Wigwam kampflos einem anderen zu überlassen.

Es war freilich nicht der sagenhafte Krummrücken, der Silberschwanz oder das Schmutzgesicht, dessen Erlegung unter Kriegern als der Männertaten rühmlichste gefeiert wird und dessen Fänge mehr noch gelten als der Skalp; es war nur Musk-wa, der minder gefürchtete Schwarze mit den fahlgelben Lippen und langbepelzten Branten: – immerhin aber ein achtenswerter Gegner für einen, der keine Waffe mit sich führt außer dem Messer und dem Bogen mit leichtem Jagdpfeil.

Musk-wa, sonst stets zu demütiger Flucht erbötig, ließ ein tiefes Winselgeknurr vernehmen und ging zum Angriff vor. Ne-i-ki-mi, das Messer in der Faust, Aasatem des Bären im Gesicht, gab sich verloren; verloren auch für den Fall, daß der Feind ihm nur eine tiefe Schmarre schlug. Mit einer Wunde am Leibe, von Blutverlust 28 geschwächt, konnte er die Mühsale eines zweiten Tages knietiefer Schneewanderung nicht überstehen.

Mit diesem Herzschlag überkam ihn plötzliche Erinnerung an das Meisterstück berühmter Jäger, von denen man sich an den Feuern beim Rauche des Kinikinik immer wieder erzählte. Er riß die Ma-ki-no-Decke herab, hatte sie um den linken Arm gewunden und warf sie dem Gegner vor den wutweiß bleckenden Rachen, um die erhobenen Branten, ins Gesicht, über den Kopf; sprang zurück, zur Seite, holte aus und stieß das harte Messer herzseits hefttief zwischen die Rippen, zweimal, dreimal. Dann rannte er davon, so schnell es im zähen Schnee und Waldbruch ging; blieb stehen und sah sich vorsichtig nach dem Feinde um.

Musk-wa, in wildem Kampf mit der verdunkelnden Decke, war auf die empfangene Wunde sofort in die Vordertatzen niedergefallen und blieb etliche Atemzüge lang verhüllten Schädels starr stehen. Jetzt aber setzte er sich in schweren Sprunglauf; sein Kopf schleifte die überhangende Decke hinderlich mit, bis er sie herabtrat; aufgesträubt hastete er weiter in die graue Schneedämmerung, pflügte mit laut röchelnder Nase die hohe Flaumdecke, stieß blindlings gegen einen querliegenden Stamm, überschlug sich und blieb verzuckend liegen.

Ne-i-ki-mi wartete noch eine Weile, dann nahte er mit aller Vorsicht. Der Bär rührte sich nicht mehr; seine Branten hatten den Schnee zerkrallt, weit um den Schädel her war das kalte Totenbett von heißem Blut dunkel durchschmolzen; er war verendet.

Ne-i-ki-mi schoß noch einen Pfeil gegen den stillen schwarzen Körper ab; er verschwirrte ohne zu erwecken. Da ließ sich Ne-i-ki-mi zur Seite des Gefällten auf die 29 Fersen nieder, streichelte zärtlich das Fell, darauf leis die Flockensterne niederschwebten, und sang ihm in tiefen dumpfen Kehltönen, einsam im stummen Abendgestöber, das Lied der Versöhnung, der Abbitte, der Verbrüderung in Manitu. Noch ruhte der Würfel heiligen Pfeifensteins ungeschnitten im Lederbeutel; sonst hätte der siegreiche Jäger seinem Opfer den Rauch des Friedens in die blutnachsickernde Nase geblasen und ein Kalumet voll Kinikinik vor dem Haupte des armen Musk-wa ausbrennen lassen.

In verlöschendem Schneezwielicht dann streifte Ne-i-ki-mi dem ausgesöhnten Gegner die Decke ab, schlug sie noch blutheiß um den eigenen Leib, kroch in das wohnlich vorgewärmte Lager, verzehrte roh das herausgeschnittene Herz und ein herausgeschältes Stück vom Schinken und versank aufschmelzend in dichten Winterschlaf.

Allein seine geschärften Sinne blieben halbwach. Es war ihm einmal, als vernähme er hohles Knurren und Reißen vom enthäuteten Aase her. Als er sich rührte, floh Etwas in die Finsternis. Bald darauf heulte es tief im Walde: Wölfe, die ihn selbst, durch den Geruch der Decke getäuscht, für den Bären hielten und fürchteten.

Es schneite immer noch aus grauer, schweigender Morgendämmerung, doch nicht mehr in solch fegenden Sturmströmen wie Tags vorher. Da Ne-i-ki-mi aus dem warmgeschlafenen Lager vorspähte, ward er dreier Wölfe gewahr – Wölfe der großen griesgrimmen Art aus dem Nordwalde – wie sie am geschundenen Körper drüben zerrten und schlangen. Er zog den Bogen auf, zielte sehr sorgfältig und schoß dem nächsten der Würger einen Pfeil in die Flämen. Der Getroffene heulte und jaulte auf, wirbelte wütend herum, die anderen flüchteten 30 mit eingeklemmten Ruten, er folgte ihnen lahm, immer wieder geifrig nach der Wunde schnappend. So war es gut; wenn sie erst den Bären blankgefressen, würden sie über den Kranken herfallen, er aber sich ihrer erwehren und sie von der Verfolgung des Jägers eine Weile zurückhalten. Ne-i-ki-mi brach auf und ging an sein schweres Tagewerk, obendrein belastet mit dem gewichtigen Bärenfell, das er, als rühmliche Beute, nicht zurücklassen mochte.

Der Schnee war in der Stille erschreckend gewachsen; Ne-i-ki-mi sank bei jedem Tritt ein bis ans Knie und kam nur sehr langsam vorwärts. Trotzdem fand er Zeichen seiner Spur, und als er bis gegen Mittag mühsam fortgewandert, erkannte er an kreuzenden Fährten von Hufen und Schneeschuhen, daß er nicht allein in dieser Waldödnis und daß ein Winterdorf der Eiankton oder Sissiton nicht allzuferne rauchen müsse. Gleichzeitig aber, da er sich umsah, ward er inne, wie die beiden Wölfe, des Bären und des aufgefressenen Genossen noch immer nicht gesättigt, ihm aus feiger Ferne wachsam folgten. Wenn er stehen blieb, setzten sie sich auf die Keulen und warteten; ging er mit erhobenem Bogen auf sie zu, so wichen sie zurück; schritt er weiter, so nahmen sie die lauernde Begleitung wieder auf. Es fruchtete wenig, daß er sich plump auf nachgeahmte Vordertatzen niederfallen ließ und mit Gebrumm und Bewegung den vortäuschte, dessen Pelz er trug; die dort hatten ihn längst durchschaut, und um ihre blutbefleckten Lefzen spielte es wie ein boshaftes, gelassenes Grinsen. Ne-i-ki-mi gab das Spiel auf und schleppte sich weiter im Fell; aber die Gefahr, die ihm leise und grau, mit blutheiß hechelnder Zunge glühäugig aus der Ferne folgte, war schlimmer als die 31 ihm gestern mit brennenden Eispfeilen entgegengestürmt und seinen Pfad verhüllt.

Noch waren es ihrer nur zwei, satt und eingeschüchtert durch den Fall ihres Gefährten. Hatten sie sich aber erst wieder Hunger angelaufen, gesellten sich ihnen andere zum Rudel, fiel der graue Abend und die frühe Nacht, dann war die Stunde gekommen, den Totengesang anzustimmen und sich zu bereiten auf den Weg durch Finsternisse der Riesen und Schlangen zum abgrunddunkel rauschenden Strom.

Zweierlei Rettung nur gab es: Jäger und Winterdorf der N'dakotah, ob Sissiton nun oder Eiankton, und gastliche Freistatt in tödlich verfeindetem Wigwam – – oder Wasser, das die Verfolger zu überschwimmen nicht wagten. Dessen war Ne-i-ki-mi in seinem Innersten klar. Gefürchteter als der große Fahlbär, als das Blaßgesicht mit seinen Künsten, als der rote Feind mit seinem Skalpiermesser und Marterpfahl war bei allen Stämmen von den großen Seen bis weit hinüber zu den hohen Bergen der Op-sa-ro-ki der graue Wolf, der riesige Geisterwolf aus dem Nordwald ewigen Winters.


 << zurück weiter >>