Friedrich von Gagern
Der tote Mann
Friedrich von Gagern

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Es schneite stillstetig fort. Ohne sich umzusehen, fühlte Ne-i-ki-mi, wie die wilden Würghunde ihn aus lungernder Ferne begleiteten. Aber von Zeit zu Zeit spähte er doch über die Schulter zurück, jedesmal in der Hoffnung, gierigen Vorwitz mit einem Pfeil wirksam bestrafen zu können. Allein er fand sich immer wieder getäuscht; unersättliche Schlinger, unermüdliche Jäger, erwiesen die Wölfe sich nun als Meister geduldiger Vorsicht. Bisweilen war ihrer keiner zu erblicken; dann zeigte sich dieser weitab zur Rechten nachtrollend zwischen den Stämmen, der andere, dem Schusse unerreichbar fern, 32 zur Linken, mit dem Opfer selbst stehenbleibend, mitunter in gemächlichem Hundesitz auf den Keulen. Sie waren ausgeschwärmt, und mit niedergrauender Dämmerung würde der eine das Wild hetzen, der andere es erwarten und stellen . . .

Einmal auf birkenlichtem, von wenigen zerstreuten Tannen durchdunkeltem Frostmoor wurden Moosehirsche rege. Mit ihren hellen Laufschäften fast unsichtbar, waren sie still zwischen den niedrigen Sumpfbäumen gestanden; nun lösten sie sich aus der verschneiten Masse los und schaufelten weitgreifend und stäubend durch das stumme Gestöber dahin. Ein Stier mit eisstarrem, klirrendem Bart und mannsklafterbreiten, vielbuchtigen Geweihschalen war darunter; wie das Rudel nach kurzem, stumpferstauntem Äugen und steifem Wenden an Ne-i-ki-mi vorübertrollte, schoß er einen seiner leichten Pfeile fast blindlings nach dem erstbesten Stücke ab, nicht in der Absicht zu erbeuten, sondern mit dem Wunsche, seiner unheimlichen Verfolger sich zu entledigen.

Er traf, und traf gerade den alten Haupthirsch in die fleischig überhangende Muffel. Der Leichtverwundete prallte im Laufe zurück, blieb stehen und schüttelte den krummen bärtigen Schädel. Dabei eräugte er den Schützen; sofort warf er sich herum und stürmte mit gesträubtem Kamm und funkelnden Lichtern auf den Feind los. Ne-i-ki-mi hatte eben noch Zeit, die nächste Tanne zu erspringen und an ihr sich hinaufzuziehen; hinter ihm bäumte der erboste Bulle hinan. Nachdem er eine Weile den geretteten Gegner belagert und gehässig beobachtet, trollte er ab, den Pfeilstachel ragend in der Muffel. Aber die beiden Wölfe, die aus kluger Entfernung zugesehen, zeigten nicht die geringste Lust, die 33 Fährte des starken Wildes aufzunehmen. Der Mensch war ihnen sicher, der bewehrte, zähmutige Elch eine ungewisse und gefährliche Beute.

Ne-i-ki-mi kletterte wieder zu Boden und wanderte einsam weiter: einsam mit den Beiden, die ihm bald auf der Spur, bald seitwärts geleitend folgten.

Der Tag mußte längst über die Mitte hinweggerückt sein, schon ward es sachte grau im endlos niederwirbelnden Schneefall, nicht ferne mehr war die Nacht, die Finsternis, das Ende – da stieß Ne-i-ki-mi auf das noch frische, unverwehte Geläuf eines Rahmenschuhs, und er watete ihm unbedenklich, mit Sammlung der letzten Kräfte, nach. Ihm kam zu Gedächtnis, daß der große Wald sich hier irgendwo auflichten und von den Schwellen der Wasserscheide in offenes Buschland, Prärie niederführen müsse. Das Gleis der Rahmenschuhe wies nach dieser Richtung, und bald fand Ne-i-ki-mi seine Erinnerung bestätigt. Durch das blickermüdende Gestöber, das hier, im freien Sturmland, wieder wirbliger wehte, erkannte er an lagerndem Dunst die willkommene Nähe von Gewässer; vermutlich rauchte hier irgendwo am Seenlauf das Winterdorf der Eiankton oder Sissiton; und als Ne-i-ki-mi sich der leitenden Schneeschuhfährte nachschleppte, sah er plötzlich zwischen Weidengebüsch die graue krause Flut und am Ufer den Verfolgten, wie er die Flechtrahmen von den Mokassins abriemte, bereit, ins angelegte Kanu zu steigen.

Ne-i-ki-mi blieb stehen. Jener war ein Eiankton. Die zerzausten Eulenfedern verrieten den Stamm. Ne-i-ki-mi überlegte. Er selbst war unverletzlich, jedem roten Krieger ein heiliger Gast. Aber zwischen N'dakotah und Odjibewe gab es keinen Frieden des großen Geistes. 34 Von einem Eiankton wollte er die Gabe des Schutzes nicht annehmen. Es war ein uraltes Gesetz des roten Manitu, daß der Bote auf dem Wege des Kalumets gefeit und unantastbar sei, selbst aber Waffen und Farben des Krieges nicht führen dürfe, Feindschaft nicht üben solle. Allein, hatte der rote Manitu den Söhnen Mo-na-ba-zo's, den Odjibewe, in jener unaufhörlichen langen Fehde gegen die N'dakotah beigestanden? . . . Das Kanu, die Schneeschuhe, ein frischer Leichnam konnten ihn retten . . . Da ward der Eiankton des Beobachters gewahr und sprang auf, kampfgerüstet.

Einen Pfeilflug lang starrten sie einander dunkel ins Gesicht. Dann aber war es der N'dakotah, der die Hand vom Tomihok ließ; an Schopf und Pelzverbrämung des Lederhemdes hatte er den Odjibewe, am Fehlen der Federn und Farben den Pilger erkannt. Ein Läufer der Feinde hätte sich ihm so offen nicht genähert; die Odjibewe von den Seen kamen als Krieger oder als Wallfahrer.

Ne-i-ki-mi las die Gedanken des anderen. Er trat heran, lüftete Bärenfell und Hemdwams, daß der Beutel mit dem Pfeifenstein sichtbar ward, und zeichnete mit der Spitze des Bogenschaftes einen Umriß des heiligen Kalumet in den Schnee.

Der Eiankton verstand und neigte ernst das Haupt. Dann zog er den Ladestock aus den Bügeln seiner einfachen Büchse und zeichnete das Dreieck eines Wigwam und darein die fünf Zacken einer Flamme.

Ne-i-ki-mi bekundete sein Verständnis, deutete hinter sich in den schwärmenden Schneefall und ritzte zuerst achtundzwanzig Kreise, darüber die vier Viertel des Mondes, dann drei einzelne Kreise, schließlich neunzehn Kreise in 35 die weiße Schriftfläche: achtundzwanzig Sonnen, einen vollen Mondwechsel lang sei er nach den heiligen Brüchen gewandert, drei Tage habe er gefastet und gewacht, nun sei er wieder neunzehn Sonnen lang unterwegs.

Der N'dakotah las, wies links hinab den See, zeigte aufs Kanu, machte die Gebärde des Ruderns, legte zum Zeichen des Gottesfriedens Büchse und Tomihok in den Schnee und wiederholte einladend den Umriß des Wigwam und das Sinnbild der wärmenden Flamme, dem er mit freundlichem Auflächeln auch noch die Gestalt des hochgebuckelten Bison beifügte.

Nun wußte Ne-i-ki-mi genug. Er neigte die Stirne und trat ans Ufer heran, während der Eiankton, ihm den Rücken zuwendend, das Kanu zur Fahrt losmachte. Diese Gelegenheit nutzte Ne-i-ki-mi. Wie damals dem Kundschafter sprang er dem ahnungslosen Gastfreund auf den Rücken, und ehe dieser einen Laut ausstoßen konnte, hatte er ihm das breite Messer durch die Kehle gezogen, – nach der Weise, von der die N'dakotah den Schreckensnamen Nadowessioux erhalten. Das rote, heiße Leben des Geschächteten vergurgelte schmelzend im Schnee; seine weißen Augen verglasten in Starre, ihr Spiegel brach.

Ne-i-ki-mi wand sich den Schopfsträhn des Erlegten um den linken Arm, spannte die Kopfhaut und löste sie mit hurtigem Kreisschnitt. Dann schnalzte es in der dumpfen wintergrauen Stille, Skalp dampfte und nachpulsendes Geäder.

Wenn die Wölfe der Spur ihres Wildes bis ans Ufer folgten, fanden sie warmen Fraß. Nicht den langen Abend durch mußten sie traben und trollen, die Wölfe.

Eiankton und Sissiton, Warpeton und Titonwan, 36 Hunde waren sie, alle N'dakotah, alte Weiber, Memmen, Kröten, Stinktiere! . . . Ein Odjibewe wirft sie den Raben und Wölfen zum Aas vor! So hatte Ne-i-ki-mi sich's geschworen.

Er bewaffnete sich mit Büchse und Tomihok des Getöteten, warf die nützlichen Schneeschuhe ins Kanu und stieß ab, ins dämmrige Stöbern hinein.

Es sollte nicht heißen, daß ein Odjibewe von den Seen Gastfreundschaft und Schutz eines N'dakotah genossen.

Feindschaft und Tod war gesetzt zwischen die Söhne Mo-na-ba-zo's und die sieben Ratsfeuer; Feindschaft und Tod auf Ewigkeit, bis eines der beiden Völker ausgerottet war bis zum letzten Skalp und Tomihok.

Und war der alte rote Manitu nicht gerecht gewesen gegen die Kinder der Fische, Hasen und Biber, so achteten sie fürder seiner Gesetze nicht und wandten sich dem weißen Manitu zu, der den Bleichgesichtern so große und gute Dinge verliehen, damit sie die N'dakotah überwänden und vertilgten. –

Ne-i-ki-mi ruderte nach der Rechten, gen Mitternacht den See hinauf. Er landete an einer günstigen Stelle, wo Moosehirsche eben erst einen frischen Wechsel ausgetreten, darin er nicht allein schneller vorwärts kam sondern auch die eigene Spur wirksam verbarg. Trotz seiner Müdigkeit belud er sich noch mit dem leichten Birkenkanu und schleppte es weiter in der ausgestampften Bahn, die ihn nach kurzer Wanderung an einen zweiten See führte. Eben zeigte sich der fahle Mond hinter dünnerem Schneefall und jagendem Geistergewölk. Im düsteren Dämmerglanz querte Ne-i-ki-mi auch dies Gewässer hinauf, zog dann das Kanu an Land und 37 legte sich im dichten Schutze eines Tannenhorstes zur Ruhe.

Er hatte Glück. Über Nacht stiebte es leise fort und verlöschte all seine Fährten. Am Morgen aber blaute der Himmel auf, und Ne-i-ki-mi konnte, das Kanu über die schmalen Landbrücken von See zu See schleppend, bis zum Abend eine große Strecke Weges zwischen sich und die Eiankton und Wölfe bringen. Am dritten Tage vollends begann der frühe Schnee noch einmal fortzutauen, und die Not war zu Ende. Der Abfall vom roten Manitu und seinen uralten Gesetzen blieb ohne Strafe, brachte Heil.

Da Ne-i-ki-mi den erbeuteten Skalp nicht zugleich mit dem heiligen Stein der Friedenspfeife mit nach der Heimat am Opashkewa bringen durfte und es geschehen konnte, daß er jetzt schon streifenden Jägern der Odjibewe vom eigenen oder benachbarten Dorfstamm begegnete, spannte er ihn über einen Reif von Weidenzweigen und hängte die Trommel im Schutze einer hohen Schierlingstanne, deren Standort am Rande des Sumpfwaldes er sich sorgfältig einprägte, zur Trocknung durch Frost und Hitze auf, desgleichen – wenn auch sehr ungern – die Büchse, den Tomihok und die Schneeschuhe des erlegten N'dakotah. Vier Sonnen später hörte er die Fischadler seines Bibersees pfeifen, sah er den grauen Wasserdunst überm Waldgrunde, vernahm er das Gebell der hungrigen Hunde.

Allein kein Rauch von Maisbrei und Bisonhöcker lagerte überm Dorfe, kalt, still und einsam standen die Wigwams unter bleicher Herbstsonne, niemand kam, keiner trat vors Zelt, seine Heimkehr zu begrüßen. Denn in den zwei Monden seiner Wanderung hatte sich der 38 Tod am Opashkewa niedergelassen, und die von der Seuche übriggeblieben, lagen in der Qual schwerer Genesung oder noch im Sterben. Der Dorfstamm am Opashkewa hatte aufgehört zu bestehen.

Auch Ka-gi-waguan der Krähenflügel, der alte Sagamore, war nach den ewigen Jagdgründen aufgebrochen, fast alle seine Krieger und jungen Leute mit ihm, Squohs und Pappuhse waren beinahe gänzlich ausgerottet, und was die Pest verschont, hatte sie nur dem Hunger, der nahen Wintersnot aufgespart. Keine Hand vermochte den Mais zu ernten, ungebrochen saßen die Kolben an den fahlgefrorenen Schäften, kein Jäger hatte die Wigwams mit Fleisch und Fellen versorgt. Viele Leichen faulten noch unbestattet in den Zelten, und die fahlen Hunde liefen scheu und hohl, winselnd, mit gesträubtem Kamm und gekniffener Rute, zwischen den erloschenen Feuerstellen umher.

Ne-i-ki-mi fand schwere Pflichten. Nachdem er erfahren und sich dessen überzeugt, daß Ka-gi-waguan, der Sagamore, seinen Würden und Taten gemäß mit Waffen, Skalpen und Wam-pum im vollen Kriegsschmucke beigesetzt worden, brach er wieder auf und ritt gen Mitternacht an den Rotsee, um von verbrüdertem Dorfstamm Hilfe, Nahrung, Jäger zu erbitten.

Allein auch am Rotsee war die Seuche in die Wigwams eingebrochen, auch hier herrschten Mangel und Trauer, und Ne-i-ki-mi mußte sein Pferd gen Morgen wenden und weit durch schauernde Wälder und nackte kalte Prärie bis an den Regensee treiben, wo Manki Pi-ji-ki, weißer Büffel, damals das befiederte Zelt des Sagamore bewohnte. Hier endlich fand er gute Aufnahme und Geleit, und hier erfuhr er, daß auch am 39 Schwanensee, am Winbigoshish, in all den Seedörfern fast zwischen dem Rotfluß und dem Kitschi Gummi die grausige Pest eingekehrt, gewürgt und entvölkert, so daß die Stämme des Hasen, des Kranich, des Fisches und Bibers in diesen zwei Monden der Krieger mehr verloren als in der langen Fehde wider die N'dakotah und deren Verbündete.

Im Monde, da das Maiskorn hart wird und sich gilbt, kurz nach seinem Aufbruch, waren anstatt der guten weisen Väter mit der ausgeschorenen Skalplocke Händler mit Ma-ki-no-Decken, Mehl, Schmuck, Feuerwasser, Büchsen und Pulver gekommen, und wo sie sich gezeigt, da brach wenige Tage später das Sterben aus – eine ganze Kette von Geschwüren, die gleich Käferfraß, Brand oder Sturmbruch einer bestimmten Straße folgten, der Straße vom Minsi-Sagaikoning und Rotzedernsee herauf, die jene Händler gezogen.

Es hieß aber auch, sie hätten das Feuer der Pest selbst angelegt, um den guten weisen Vätern das bebaute Feld zu verderben. Sie hätten Freundschaft mit den Assiniboin, bei denen andere weiße Zauberer, den Wohltätern der Odjibewe feindlich, sich niedergelassen und wider diese Reden des Hasses und Krieges führten – sie hätten nicht den rechten Manitu, ihre Zungen seien gespalten, Lug und Trug ihre Lehren, unter den Stämmen der Weißen schon hätten sie Zwietracht gestiftet und viele große Krieger am Marterpfahle verbrannt . . . So erzählte Manki Pi-ji-ki, weißer Büffel, der kluge alte Sagamore, zum bedächtigen Rauche des Kinikinik, und Ne-i-ki-mi vernahm mit ernstem Staunen, daß es also nicht nur einen weißen Manitu gebe sondern deren zwei und vielleicht noch mehrere, und daß die Bleichgesichter 40 ihren Manitu und die großen Dinge, die er ihnen geschenkt, nicht allein zu den Odjibewe brächten, sondern einen anderen Manitu und dieselben großen Dinge zu den Assiniboin, einen dritten und dieselben Büchsen und dasselbe Feuerwasser zu den N'dakotah, einen vierten vielleicht und dieselben Decken und Pulverfässer zu den Mi-ni-ta-ri . . . Was aber war dann die Wahrheit und welcher unter diesen weißen Manitus der beste und stärkste?

»Ne-i-ki-mi, der Sohn Ka-gi-waguans, meines Bruders und Freundes, ist noch sehr jung,« begann dann Manki Pi-ji-ki nach tiefem Ratsschweigen, währenddessen nur der Kinikinik im roten Pfeifenkopf knisterte und draußen ums befiederte Sagamorenzelt Winterwind klagte; »Ne-i-ki-mi, der Sohn Ka-gi-waguans, wird dereinst ein großer Sagamore werden unter den Söhnen Mo-na-ba-zo's, denn frühe schon hat er seinen Gürtel mit dem Skalp des Eiankton geschmückt, und sein Name wurde genannt mit Ruhm, Stolz, Neid, Wut und Furcht an allen Feuern zwischen dem Kitschi Gummi im Aufgang und dem Rotfluß im Niedergang; ein Warpeton erbebt vor dem Schatten seiner Lanze, ein Sissiton heult vor dem Knittern seiner Feder im Winde. Ne-i-ki-mi wird dereinst ein großer Sagamore werden unter den Odjibewe an den Seen; sein Totem wird geachtet sein und gefürchtet bei allen Stämmen zwischen den Wassern Mi-tschi-gan und Mi-su-ri; er wird wohnen im Duft der geräucherten Skalpe, seine Taten werden aufgezeichnet werden auf sprechendes Leder, und die N'dakotah, so weit der Büffel weidet, werden knirschen, wenn sie seiner gedenken.« Manki Pi-ji-ki neigte ernsthaft das steilbefiederte Haupt, stieß auf, und versank in nachdenkliche Wolken von Kinikinik. 41

»Aber Ne-i-ki-mi ist noch sehr jung,« begann er dann, nach längerem Stillschweigen der Weisheit und Sammlung, die der Jüngere mit keiner unmündigen Frage zu unterbrechen gewagt; »Ne-i-ki-mi ist trotz großer Taten noch sehr jung, und ein Leben voller Beute und Kriegspfade harret noch seiner. Er hat den Assiniboin morden und sengen gesehen; er hat frühe schon die Kopfhaut des N'dakotah auf den Reifen gespannt; er fand jetzt sein Volk in Trauer und Tod. Er kennt die Fährte des Moosehirsches und des Karibu; er weiß den Tritt Musk-wa's von dem des Fahlbären und den Mokassin des Eiankton von dem des A-ri-ka-ra zu unterscheiden; aber er hat noch nicht alle Spuren dieser Jagdgründe gelesen.« Wieder neigte weißer Büffel das Haupt und trank in tiefen Zügen den Rauch des wilden Hanfes.

»Manki Pi-ji-ki dagegen ist alt,« fing er von Neuem an, den Kopf auf dem sehnenmageren Halse wiegend; »Manki Pi-ji-ki ist alt, viele Sonnen der Prärie haben sein Haar gebleicht und der Schnee vieler Winter ist auf seinen Scheitel gefallen. Seine Tage sind gezählt gleich jenen des Moosehirsches, wenn die grauen Wölfe ihn im Krustenschnee jagen und schon nach seinen Sprungsehnen schnappen; mein junger Bruder höre mich. Manki Pi-ji-ki ist sehr alt; er hat noch Ti-kom-sih gesehen, den geduckten Puma der Schonie, da er aus seiner Stadt Tschi-li-ko-te zu den Odjibewe an die Seen kam, um sie zum Kriege gegen die Bleichgesichter zu gewinnen und deshalb Frieden zu stiften zwischen ihnen und den sieben Ratsfeuern. Kleiner Rabe war damals der angesehenste Sagamore unter den Stämmen des Kranichs, des Hasen, des Fisches und des Bibers, und Kleiner Rabe widersprach Ti-kom-sih, denn er liebte sein Volk mehr als 42 den Puma der Schonie; allein er wurde überstimmt im Rate, denn Ti-kom-sih, der Puma der Schonie, sprach mit sieben Zungen der Flamme, mit den Zungen des Ruhmes, des Hasses, der Beute, der Not, des Wunders, des Mutes und der Gewalt. Das vernahmen auch die jungen Leute der Odjibewe von den Seen, erhoben sich und die Sagamoren mußten ihnen folgen. Allein Ti-kom-sih mußte dennoch mit den roten Röcken der Yengis sich verbinden, um gegen die blauen Röcke des großen Vaters in der fernen Stadt am Wasser Po-to-mac den Tomihok erheben zu können; er fiel und sein Stamm ging zugrunde, und Weatherford, der große Sagamore der Chrihk weit drunten im Mittag, mußte sich ergeben und sein Volk wurde vernichtet und der Rest in alle Winde zerstreut, und die Wei-an-dot, deren Sagamore Lederlippe Ti-kom-sih hatte hinrichten lassen, wurden vertilgt, und die Sac und die Füchse, die Potowatomi und Miami, die Peoria und Kahokia wurden blutend aus ihren Wohnsitzen an den Wassern Mi-tschi-gan und Kitschi Gummi vertrieben. Ti-kom-sih war ein großer Sagamore, aber ein Odjibewe flucht seinem Angedenken.«

Weißer Büffel trank einen tiefen Zug aus der Pfeife und starrte vor sich hin ins glimmende Zeltfeuer; dann seufzte er wie aus Träumen auf und fuhr fort.

»Manki Pi-ji-ki war damals noch jung, ein Läufer erst, der das Messer nur im Gürtel und die einfache Feder im Knoten trägt. Aber das Unglück, das er damals geschaut, ist ihm in Erinnerung geblieben, auch als er ein Sagamore wurde und den Assiniboin jagte und den Winebago aus seinen Jagdgründen vertrieb. Mein junger Bruder Ne-i-ki-mi sehe mich an! Manki Pi-ji-ki ist ganz und gar ein Odjibewe; er hat das Herz eines 43 Odjibewe von den Seen, er spricht die Sprache, er schreibt die Zeichen der Odjibewe, der Kinder Mo-na-ba-zo's, der von der großen Flut übriggeblieben.

»Ne-i-ki-mi, mein junger Bruder, sehe mich an! Dennoch wird Manki Pi-ji-ki, der Odjibewe, dennoch wird er lieber mit dem Eiankton oder Warpeton von den sieben Ratsfeuern, wird er eher mit dem Assiniboin oder A-ri-ka-ra die Pfeife des Friedens rauchen, als er Freundschaft schließt mit den Bleichgesichtern oder in offener Feindschaft wider sie den Tomihok in den gestreiften Ratsbaum schlägt oder den Kriegspfad beschreitet.

»Mein junger Bruder höre mich! . . . Die Bleichgesichter, ob Yengis oder Langmesser, haben keine Freundschaft für den roten Mann – nicht für den N'dakotah, nicht für den Assiniboin, nicht für den Odjibewe. Mein junger Bruder glaube mir und sehe! . . . Dann nur hat das Bleichgesicht Freundschaft für den roten Bruder, wenn es seiner sich bedienen kann. Es hält Freundschaft mit dem Odjibewe gegen den N'dakotah und hält Freundschaft mit dem N'dakotah gegen den Odjibewe; es hält Freundschaft mit dem Mi-ni-ta-ri gegen den Mandan und hält Freundschaft mit dem Mandan gegen den Mi-ni-ta-ri. Es hält Freundschaft mit dem Omahau gegen den Pa-o-ni, wenn dieser aus seinen Jagdgründen vertrieben werden soll; es wird dem Pa-o-ni Büchsen und Messer liefern gegen den Omahau, wenn es diesen weiter gegen Untergang der Sonne nach den großen Bergen drängen will, weil sein Land ihm gefällt. Ein Bleichgesicht wird dem Ponka zur Rache beistehen gegen den O-to-e, wenn es sich auf dessen Gebiet niederlassen möchte; ein Bleichgesicht wird mit dem O-to-e die große 44 Pfeife des Bündnisses rauchen und dessen Büchsen mit neuen Feuersteinen versehen, wenn es in der Erde des Ponka Gold oder Silber zu Geld oder Blei zu Kugeln oder das rote Metall gefunden hat. Ein Bleichgesicht ist allen Freund gegen alle, die ihm im Wege sind, selbst gegen seine eigenen weißen Brüder; ein Bleichgesicht ist allen Feind, denn seine Freundschaft ist nichts anderes als eine Feindschaft mit süßer Zunge, geschliffenem Skalpiermesser unterm Hemde und einer weiten leeren Tasche ohne Boden. Mein junger Bruder höre auf mich.«

Ne-i-ki-mi neigte ehrerbietig die Stirn; der alte Sagamore umwölkte sich mit Hanfqualm und sprach nach einer Weile des Besinnens langsam weiter.

»Ne-i-ki-mi, mein junger Bruder, höre auf mich! . . . Ne-i-ki-mi, der schon früh die Wärme des Skalp an seinem Schenkel gefühlt, wird dereinst ein großer Sagamore geworden sein, die Krieger der Odjibewe von den Seen, die Stämme des Hasen, des Kranichs, des Bibers, des Fisches werden vernehmen sein Wort, und das Schicksal seines Volkes wird hangen an den Schnüren seiner Ratspfeife. Ne-i-ki-mi, der jetzt noch jung ist, gedenke dann Manki Pi-ji-ki's, der längst in den ewigen Jagdgründen den Bison und den Moosehirsch jagen wird, und seiner Worte.

»Es werden auch zu Ne-i-ki-mi die Bleichgesichter kommen, etliche mit Reden wie Honig glatt und süß, andere mit Büchsen und Ma-ki-no-Decken und Feuerwasser, noch andere mit Gewalt und Botschaften des großen Vaters am Flusse Po-to-mac. Ne-i-ki-mi denke dann an mich: er lasse sich nicht verführen. Nicht zur Freundschaft lasse er sich verleiten mit süßen Worten und Geschenken, nicht zu offener Feindschaft hinreißen 45 durch Befehle, Trug und Ungerechtigkeit. Denn eines Bleichgesichtes Freundschaft ist nichts anderes als die Falle, darein der Biber seine Pfote setzt, oder der Honigbaum, vor dessen Ausfluß unsere jungen Jäger den schweren Block hängen, daß der leckerige Bär ihn zur Seite schlägt und von ihm zerschmettert wird. Das ist eines Bleichgesichtes Freundschaft; Honigseim trieft daraus, aber der Block hangt davor, und in diesem Blocke verborgen sitzt die Feindschaft des weißen Mannes, der Tod. Denn in der Feindschaft ist der weiße Mann so furchtbar und unbesieglich wie listig und gefährlich in der Freundschaft; sein Manitu hat ihm Dinge verliehen, gegen die der arme rote Mann wehrlos ist wie der Pappuhs unterm geschwungenen Tomihok des Kriegers. Ne-i-ki-mi, mein junger Bruder, hüte sich vor der Hoffnung, die Bleichgesichter jemals besiegen und vertreiben zu können! Er mag eine Siedelung des Nachts überfallen und viele Skalpe nehmen; aber ehe der Mond einmal sich erneut hat, wird er dreimal soviel Krieger vermissen, und die Squohs seines Dorfes werden um ihre Ernährer weinen und ihr Hunger wird ihn anklagen.«

Manki Pi-ji-ki wiegte sich leis wie beim Totengesang in den Hüften und rauchte gramvoll vor sich hin; dann hob er noch einmal an.

»Der Manitu der Weißen hat seinen Söhnen Dinge geschenkt, die stärker und größer sind als die Gaben unseres großen Geistes; ihre Büchse ist stärker als unser Pfeil, ihre langen Messer sind stärker als unsere Lanzen, ihre Beile sind stärker als unser Tomihok, und ihr Geld und Feuerwasser sind stärker als alles. Der Manitu der Weißen gab seinen Kindern furchtbare Klugheit, und 46 in Haß und Krieg widereinander sind sie listig geworden wie die Schlangen, stark wie die Pumas, unersättlich und unermüdlich wie die grauen Wölfe, die den Moosehirsch einen Tag weit durch hohen Schnee jagen. Ne-i-ki-mi, mein junger Bruder, hoffe nicht wie einst Ti-kom-sih, der Puma der Schonie, die Bleichgesichter jemals verdrängen zu können; und wenn alle roten Völker, N'dakotah und Odjibewe, Omahau und Pa-o-ni, Ponka und Mandan von den großen Seen bis zu den hohen Bergen im Untergang sich vereinen, so werden sie die Weißen nicht mehr vertilgen oder auch nur verringern. Eher wird ein vereinzelter Jäger mit leichten Pfeilen eine Herde des Bison, drei Tagesritte lang und tief, aufreiben oder die Wölfe des Waldlandes ausrotten. denn die Bleichgesichter sind wie Tropfen im großen Wasser Kitschi Gummi, ohne Zahl. Ein N'dakotah ist ein Narr und erhebt seinen Tomihok gegen einen Wald; ein Odjibewe ist weise.

»Es werden aber auch Boten der Weißen zu Ne-i-ki-mi kommen und ihm Bündnisse mit ihrem Manitu, dem Vater ihrer großen Dinge, anbieten; er höre nicht auf sie. Denn dieser Manitu hat diese Dinge für seine weißen Söhne geschaffen und nicht für die Kinder des großen Geistes, und sein Wort kann nie gelten im Wigwam eines Sagamore beim Rauch des Kinikinik. Mein junger Bruder Ne-i-ki-mi gehe dann lieber den Weißen aus dem Wege, und müßte er aufbrechen und mit seinen Zelten und Squohs wandern bis fern gen Untergang an das Wasser Mi-su-ri.

»Mein junger Bruder höre auf das Wort eines alten Sagamore; er sei auf seiner und seines Volkes Hut.«

Manki Pi-ji-ki zog einen Pfeil aus nebenhangendem 47 Köcher und ritzte zwei gleichlaufende Striche vor sich hin in die Narbe der Büffelhaut, darauf er kauerte.

»Dies ist der Brand des frühlingstrocknen Grases; dies ist der Sumpf, der den Jäger hinabzieht, und der See mit taubrüchigem Eis; in der Mitte zwischen beiden ist Ne-i-ki-mi auf seinem Pferde. Was wird Ne-i-ki-mi tun? Wird er sein Roß ins brausende Feuer treiben? Wird er sein Tier in den Sumpf oder aufs morsche Eis lenken? . . . Ne-i-ki-mi wird sein Pferd wenden und ihm die Fersen in die Weichen setzen und es hinjagen zwischen Flammen und Eissumpf, bis er Schutz des Waldes erreicht.

»Der verzehrende tödliche Brand, das ist die Feindschaft der Bleichgesichter; der Sumpf und das mürbe Eis, das ist ihre Freundschaft. Ne-i-ki-mi weiß, was er zu tun hat; ein Odjibewe ist weise. Manki Pi-ji-ki hat gesprochen; er hat gesagt, was er sieht, hört und erkennt. Ne-i-ki-mi gedenke seiner Worte; es ist genug.«

Der alte Sagamore stand auf und warf sich den zottigen weißen Büffelmantel, von dem er den Namen trug, über die Schultern . . . »Ne-i-ki-mi folge mir, daß ich mit ihm die jungen Leute wähle, deren er bedarf.«


Wieder ergrünte die frostbraune Prärie; aus Mittag her der Schwan strich hoch über Wälder und Seen, die pfeilgeschwänzte Ente brütete im Rohr, die Bibermutter führte ihre Brut das erstemal zu Wasser, und am Opashkewa war nach Winters Graus und Not wieder Frühling geworden.

Aber von den Wigwams standen die meisten verwitwet leer und kalt, viele Feuerstätten waren verloschen, und 48 von den erbeuteten Häuten verrotteten die meisten ungegerbt in den Gruben.

Es war ein trauriger Anfang, und wären jetzt Eiankton oder Assiniboin eingefallen, sie hätten an Vollendung des Werkes, das die Seuche getan, wenig Arbeit gehabt.

Allein mitten im klirrendstarren Winter hatte die Pest sich auch bei ihnen eingeschlichen, von den Mandan sollten kaum zehn junge Leute zur nächsten Männerweihe, von den Mi-ni-ta-ri kaum sechsmal zehn Krieger übriggeblieben sein.

Der Tomihok tief in der Erde ward vom Rost zerfressen, und der gestreifte Ratspfahl, darein sonst mit jedem neuen Lenz die Sagamores diesseits und jenseits des Rotflusses ihre Streitäxte geschlagen, bleichte und moderte in der erwärmenden Frühlingssonne.

Allein in Ne-i-ki-mi's tiefsten Gedanken rostete nicht der Tomihok und bleichte und morschte nicht der gestreifte Ratspfahl, und wenn er zur Jagd auszog aus dem Dorfe, wo die Überlebenden in ihren Büffelmänteln still und matt in der Sonne kauerten, sann er nicht allein auf Fährte und Fleisch wintergeschwächten Wildes, sondern mehr noch in geheimen Plänen auf Vertilgung und Skalpe der N'dakotah und ihrer Verbündeten, auf sein Gelöbnis, auf Ruhm und Rache. – –  –


Mond um Mond ward verschlungen vom Hunde der Finsternis und erstand und wuchs aufs Neue; Sonne um Sonne kam über den Wald herauf, durchleuchtete den See mit seinen stillschwebenden Fischen und verglomm hinter schwarzem zackigem Tann; Jahr um Jahr schloß sich von einer Maisernte, von einer Herbstbüffeljagd zur anderen, erdämmerte aus stillglitzerndem Sternenfrost, 49 da der Wolf weit durch Waldes Schneestarre und in blauen schweigenden Spuren der Prärie trollt, und ging ein zur Ruhe in rotem Winterrauch.

Zuzug und Vereinigung aus anderen schwergezehnteten Dorfstämmen am Wi-ni-be-go-shisch, Schwanen- und Rotzedersee hatte die Wigwams des Opashkewa wieder bevölkert; Maisbrei dampfte in den Kesseln und die fette Biberkelle, das Netz hinter stillgleitendem Kanu schleppte in der düsterdurchsichtigen Flut, Büffelfell wurde geschabt und Birkenrinde gesammelt, Kinikinik aus heiligem Rotsteinkopf wölkte zum großen Geiste empor, und windbrausende Schwungfedern des weißköpfigen Adlers schmückten das Zelt Ne-i-ki-mi's, des großen Sagamore.

Es war gekommen, wie der weise Manki Pi-ji-ki es vorausgesagt. Ne-i-ki-mi, der Sohn Ka-gi-waguans, des Krähenflügel, war ein großer Sagamore geworden, die Geschicke seines Stammes hingen an den Schnüren seiner Ratspfeife, sein Totem war geachtet und gefürchtet vom Wasser Kitschi Gummi bis zu den Titonwan und Ponka am Mi-su-ri, der Warpeton bebte vor dem Schatten seines Pfeiles, der Eiankton heulte vor dem Knattern seiner Feder, und an den Stangen seines Wigwams räucherten sonder Zahl die Skalpe der N'dakotah und Assiniboin.

Und es war noch weiterhin gekommen, wie Manki Pi-ji-ki es vorhergesehen: Boten der Bleichgesichter waren wiederum, immer häufiger, unter den Odjibewe an den Seen erschienen – Boten des großen weißen Vaters am Wasser Po-to-mac, Boten des großen weißen Manitu, die guten weisen Zauberer mit den ausgeschorenen Skalplocken und glatten Gesichtern, andere mit Bärten wie die Pelzjäger sie tragen, und schwarzen Bündeln voll 50 sprechender Leder, daraus sie eifrig in die Sprache der Odjibewe übersetzten . . . Und Ne-i-ki-mi, der Sagamore, hatte schwere Wahl unter all diesen Botschaften, und manche Nacht, wenn Mondgebell der Hunde ihn aus wachsamem Schlummer weckte, setzte er sich auf und sann darüber nach, wie zwischen Grasbrand, Sumpf und brüchigem Eis den Weg zu besseren Jagdgründen zu finden.

Denn in den Wäldern des unermeßlichen Seenlandes vom Kitschi Gummi und Mi-tschi-gan bis hinüber nach dem Mi-su-ri, in den Jagdgründen, um deren Grenzen und Besitz Odjibewe, N'dakotah, Assiniboin, A-ri-ka-ra und Mandan seit unausdenklichen Geschlechtern gekämpft, geblutet und skalpiert, drangen nun Äxteschall und Rauchsäulen der Bleichgesichter immer weiter gen Untergang vor; seltener wurde der Büffel auf seinen uralten Wanderpfaden, die er seit Trocknung der großen Flut, seit der Ankunft Mo-na-ba-zo's tief in die Steppen zwischen Mi-su-ri und Rotfluß getreten; fast schon verschwunden war der scheue Moosehirsch, und die Dörfer selbst des heiligen Bibers, vor dreimal zehn Wintern noch bevölkert gleich walddunkler Flut vom Fisch, starben aus wie jene des roten Mannes nach der Pest – denn unersättlich waren die Weißen in ihrem Hunger nach seinen Fellen, und sie gaben dafür, dessen der rote Mann notwendig, immer notwendiger bedurfte, je spärlicher und furchtsamer das Wild: Büchsen, Pulver und Blei, Decken und Mehl, Schmuck und das köstliche Feuerwasser.

Und wo die Axt erklungen, Stämme hingedröhnt und der Rauch lärmender weißer Lagerfeuer zum Himmel emporgewölkt, da erstanden jene umzäunten Häuser, welche die Bleichgesichter in ihrer Sprache Forts nennen; 51 andere Wigwams siedelten sich ihnen an, und von diesen Nestern aus wanderten die Weißen, furchterregend fruchtbare, unergründlich gefräßige Adlerbrut, abermals weiter der Sonne nach, zerstreuten sich von See zu See, von Fluß zu Fluß und gründeten immer neue Forts, immer neue Dörfer, unaufhaltsam wie Waldbrand oder Käferfraß oder Schneesturm, ohne Zahl.

Ne-i-ki-mi auf seinem Ruhmeswege vom jungen Krieger zum Sagamore hatte diese Einwanderung und Bevölkerung längst mit unruhigem Mißmut beobachtet. In den Tagen, da er die erste Feder trug und die ersten Skalpe erbeutet, wohnten die Weißen in wenigen großen Dörfern unterhalb der Fälle des Mi-si-si-pi und in spärlich vereinzelten Forts, wo sie ihre Tauschwaren, Büchsen, Pulver, Feuerwasser und Felle, aufstapelten. Jährlich kamen von dort die Händler; dann und wann die guten weisen Boten des weißen Manitu; und etliche wenige Bleichgesichter, Feinde mehr als Freunde ihrer eigenen Stammesbrüder, lebten unter den Odjibewe und Winebago als tapfere und kluge Krieger, oder sie streiften als Jäger und Fallensteller unstet von Dorf zu Dorf, von Stamm zu Stamm, ohne dem Wilde und Walde mehr Abbruch zu tun als die Söhne Mo-na-ba-zo's selbst.

Nun aber waren die Weißen mit Häusern und Äxten bis an den fernen Mi-su-ri vorgedrungen, in Mitternacht und Mittag, in Aufgang und Niedergang stiegen ihre Rauchsäulen empor – was sollte geschehen?

Ne-i-ki-mi hatte das Wort Manki Pi-ji-ki's, des weisen alten Sagamore, wohl bewahrt in seinem Herzen.

Er brauchte die Dinge, die der mächtige weiße Manitu seinen Kindern verliehen, Büchsen, Pulver, Decken und 52 das köstliche Feuerwasser, denn sie dienten ihm gegen den Todfeind, die Hunde von Eiankton und Assiniboin. Er gab Felle dafür und gewährte Händlern und Jägern stets Rauch und Feuer des Gastes; aber Freundschaft hatte er mit den Bleichgesichtern deswegen nicht geschlossen, denn längst erkannte er, wie sie trotz kostbarer Ware und süßer Worte in Wahrheit seine Feinde waren, seine grimmigsten und unbesieglichsten Feinde, unabwendbar wie Brand oder Sturm, Feinde wie der Biber dem Baum, dem er den Schaft unternagt.

Und doch durfte er wider sie, die nun in hellen Scharen, volkreich wie einst die Büffel, über das Seenland hereinbrachen, den Tomihok nicht erheben, die Farben des Krieges nicht anlegen. Denn zahllos waren sie wie Tropfen im Kitschi Gummi, wie Eisflocken im Winterwind, listig wie die Schlangen, beherzt wie der große Fahlbär der Berge: die Völker des Hasen, des Kranichs, des Bibers und des Fisches wären von ihnen vernichtet worden und ihre Überlebenden aus den alten Wohnsitzen, von den Gräbern ihrer Vorfahren verjagt, wie einst vom Mi-tschi-gan und Wa-bash die Potowatomi und Miami, die nun fremden Stämmen benachbart drunten gen Mittag am Flusse Ei-o-we um ihre verlorene Heimat und ihren verloschenen Ruhm trauerten.


Und doch kam es eines Tages nicht anders, als wenn er gegen die Bleichgesichter das Wurfbeil ausgegraben, Bündel der Kriegspfeile von Stamm zu Stamm geschickt und das Skalpiermesser gezückt hätte, wie es die N'dakotah so oft, trotz schwerer Niederlagen immer wieder getan. – –

Als er jenes Abends in Schmuck der Federn, Farben 53 und frischen Skalpe von siegreichem Einfall in das Gebiet der Eiankton heimkehrte, fand er Boten des großen weißen Vaters am Flusse Po-to-mac seiner wartend, und die Botschaft, die sie ihm gebracht, war keine gute.

Die Odjibewe sollten gegen dreißigmal zehn Büchsen, dreißigmal zehnmal zehn Ma-ki-no-Decken, fünfmal zehn Säcke Schießpulver, fünfzigmal zehn Säcke Mehl und eine weitere jährliche Zahlung von zehnmal zehnmal zwanzig Silberstücken, die das Blaßgesicht Dolar nennt, ihr Seenland verlassen und weit gen Untergang nach dem Wasser Mi-su-ri zu den Otowa und Otoe wandern, wo ihrer gute, ungestörte Jagdgründe warteten.

Dem großen weißen Vater sei kund, daß seine geliebten Kinder, die Odjibewe, nicht mehr in ihrer Heimat des Friedens genössen, den er ihnen wünsche, und nicht möglich sei es ihm, seine weißen Söhne zurückzuhalten, da sie sich von Hunderten zu Tausenden und hundertmal Tausenden vermehrt, des Bauholzes, des Wildes und Brotes bedürften und längst schon unruhig seien vor Mangel und Enge.

Er aber, der große Vater, wolle nicht, daß es deshalb zu Gewalttaten und Erbitterung komme, darunter sie, die Odjibewe, schwer leiden müßten; deshalb stelle er ihnen jenes Angebot und empfehle ihnen mit seinem Gruß um ihrer eignen Wohlfahrt willen es anzunehmen und das Land zu verlassen, wo sie von Jahr zu Jahr mehr der Gefahr bitterer Feindseligkeiten und Einschränkungen ausgesetzt seien.

Ne-i-ki-mi, da er diese Botschaft angehört, war das Haupt tief über die Brust gesunken; nun würden sie nicht mehr ablassen von der einmal angefallenen Spur, er wußte es. Es war nicht anders, als wenn sie ihm ein 54 Stück Birkenrinde oder Leder mit dem eingeritzten Zeichen des Tomihok, des Todesurteils, überreicht hätten.

Lange kauerte er in düsterem Schweigen und Sinnen, während die schwatzhaften Bleichgesichter unaufhörlich wie die alten Squohs auf ihn einredeten, da doch ein Wort genügte. Endlich hob er das finster bemalte Antlitz.

»Was würde der große Vater am Po-to-mac antworten, wenn Ne-i-ki-mi, der Sagamore der Odjibewe, ihm Boten schickte mit dem Bescheid: die Bleichgesichter, seine Söhne, mögen die Striche am Kitschi Gummi und Mi-tschi-gan räumen und ihre Wigwams weiter gen Aufgang am Sus-ke-ha-na oder O-hei-o aufschlagen, denn Ne-i-ki-mi ist nicht länger imstande, seine jungen Leute zurückzuhalten, sein Volk bedürfe der großen Dörfer und Forts, die die Weißen errichtet, der Straßen, die sie angelegt, der Brücken, die sie gebaut, der Felder, die sie bestellt? . . . Wenn Ne-i-ki-mi dem großen Vater das Angebot stellen wollte, ihm zu jedem Frühling, wenn der Büffel wandert, fünfzigmal zehn Büffelfelle zu liefern und dafür die Bleichgesichter aus den alten Jagdgründen der Wei-an-dot und O-to-wa an den großen Seen vertreiben zu dürfen – was würde der große Vater seinen geliebten Kindern, den Odjibewe, dann antworten? . . . Wenn Ne-i-ki-mi dem großen Vater die Botschaft schickte, er könne seine tapferen Krieger nicht daran hindern, daß sie ihre Tomihoks und Skalpiermesser anstatt nach Abend gegen die grimmigsten Feinde der Weißen, die N'dakotah, nach Morgen gegen die erbittertsten Feinde der sieben Ratsfeuer, die Bleichgesichter, wenden und ihrem Stamme reiches Land und Schätze erbeuten – was wird des großen Vaters Antwort sein? . . . Wer war eher im Lande und hat älteren Besitz 55 an Wald und Wild, der Weiße oder der rote Mann? . . . Wer ist der Gast: der das Dorf aufgeschlagen und es bewohnt, oder der Wanderer, der sich an seinen Feuern wärmt? . . . Wie kommt es, daß der Weißen immer mehr werden und kein Land ihnen genügt und sie nirgends Ruhe finden und immer neuer Gebiete bedürfen – des roten Mannes aber wird immer weniger, und stets weniger soll er brauchen und stets neue Sitze suchen und verlassen die Gebeine seiner Väter?« . . . Ne-i-ki-mi, der nicht, wie es sonst die Sitte, aufgestanden, erhob sich jetzt von seinem Büffelfell, tief grollte seine Kehlstimme, die weißen Augen im starr bemalten Antlitz blickten schmal und scheel . . . »Warum sollte der rote Mann allein ruhlos sein und ohne Recht in seiner eigenen Heimat? . . . Warum soll es keine Grenze geben für die Bleichgesichter? . . .« . . . Ne-i-ki-mi griff eine flügelgeschmückte Lanze von den Zeltstangen des Wigwam wie einst Manki Pi-ji-ki den zeichnenden Pfeil und ritzte einen Strich in die grobe Narbe der Büffelhaut. »Dieses ist das Wasser Mi-si-si-pi, das aus den Seen der Wälder kommt und zuerst gegen Morgen, dann gegen Mittag strömt. Der große Vater am Po-to-mac ist der Sagamore der Weißen; Ne-i-ki-mi ist der Sagamore der Odjibewe. Es sei Friede zwischen dem Sagamore der Bleichgesichter und den Sagamores der roten Völker; aber der Strich, von den Fällen des Mi-si-si-pi gerade nach Mitternacht und Mittag, möge die Grenze sein. Ne-i-ki-mi hat gesprochen.«

Er lehnte die Lanze fort und kauerte sich wieder schwermütig auf das Büffelfell; was nun kommen würde, er wußte es im Voraus. So wenig Wölfe ablassen vom einmal gestellten Büffelstier oder Moosehirsch, so wenig 56 lassen Bleichgesichter die Beute fahren, davon sie einmal Falte oder nur Haar gefaßt. Die Boten des großen Vaters berieten untereinander in der Sprache der Yengis; dann stand einer auf, der früher schon als Händler und Tauscher am Opashkewa gewesen und nun jeweils zwischen den Boten des großen Vaters und den Völkern des Hasen und Kranichs vermittelte. Die Bleichgesichter nannten ihn in ihrer Zunge »In-schjen E-schent«, die roten Stämme aber »Mi-ni A-ki-pan ka-du-za«, das nach zwei Seiten rinnende Wasser.

Mi-ni A-ki-pan ka-du-za hatte vorzeiten oft die Gastfreundschaft Ne-i-ki-mis genossen, mit seinen Leuten im Lande der Waldseen gejagt, mit seinen Kriegern die Eiankton und Warpeton blutig befeindet; nun aber sprach er für den großen Vater, und seine Rede war süß wie der Honig, der aus der Bärenfalle trieft.

Kinder des großen Geistes seien alle Völker der Erde, begann er in Zunge und Bildern der Odjibewe; für alle seine Kinder, rot oder weiß, habe der gute große Geist den Büffel erschaffen und den Moosehirsch, den Biber und den Bären. Allein ungleiche Gaben habe er seinen Söhnen verliehen: den Roten die Kraft und die Weisheit, die Ausdauer und den Mut – den Weißen die Klugheit und Erfindung, die Genügsamkeit und bescheidene Arbeit. Denn ungerecht seien die Gedanken Ne-i-ki-mi's, des großen Sagamore, über den Vater am fernen Po-to-mac und die Bleichgesichter. Nicht seien sie unersättlich und ruhelos, habgierig und immerdar hungrig nach dem Lande ihrer Nachbarn; das Gegenteil gerade treffe zu . . . Mi-ni A-ki-pan ka-du-za zog die Tabaksblase aus dem Gürtel, schüttelte daraus eine hohe Prise auf den Handrücken und verstrich den 57 Krumenhügel, daß die Blätter die Haut dicht bedeckten. »So wohnen die Weißen in ihren Gebieten, in ihren Städten, Dörfern, Forts und Pflanzungen – Kopf an Kopf, einer an den anderen gedrückt, einer im Atem des anderen, daß für keinen Büffel mehr Gras wächst zwischen ihren Wigwams.« Er blies behutsam über die Tabaksspreu hin, bis nur mehr einige wenige vereinzelte Fasern des Krautes liegen blieben.

»Mein Bruder Ne-i-ki-mi sehe her: und so wollen die Roten, wollen die Odjibewe, wollen die N'dakotah und O-ma-ha-o in ihren Jagdgründen leben, so leben sie in ihrem Lande, und der große Vater will ihre Gewohnheit und ihre Bedürfnisse schützen und sichern, und die Bleichgesichter, ihre Nachbarn, sehen es und neiden es ihnen nicht, wie der Odjibewe dem Assiniboin, und der Mandan dem Pon-ka den Büffel neidet! . . . Wer ist da der Genügsame, wer der Friedfertige und Großmütige? . . . Mein Bruder Ne-i-ki-mi sinne darüber nach: wer hat mehr erbeutet, der Jäger, der für sich allein zehn Büffel erlegt, oder das Dorf, dessen Männer für zehnmal zehn Wigwams zehnmal zehn Tiere getötet? . . . Jener ist der rote Mann; diese sind die Weißen. Wenn aber der große Geist allen seinen Kindern gleiches Recht gegeben wie er ihnen den gleichen Magen und den gleichen Hunger gab, ist dann das Bleichgesicht habgierig zu nennen, da es doch dem roten Bruder neunundneunzig Büffel läßt und selbst nur einen beansprucht? Ist das Bleichgesicht habgierig und ungenügsam, da es für sich nicht mehr Landes begehrt als eines Odjibewe Pfeil überfliegt, dem Odjibewe aber mehr Gebietes vergönnt als der Wolf in einem Winter zu durchtrollen vermag? . . . Und obwohl der große Geist den Bleichgesichtern 58 denselben Magen und denselben Hunger gegeben wie den Odjibewe, will doch der große Vater diese in Frieden und Überfluß erhalten, weil sein Herz und Kopf ihnen gehören, und damit sie seinen guten Willen sehen. Der Odjibewe sind nicht mehr als der Fische in einem Netzzug; der Bleichgesichter sind so viele wie der Tropfen im Kitschi Gummi. Der Odjibewe sind nicht mehr als Bären in den Wäldern vom Opashkewa bis an den Rotzedersee; der Bleichgesichter aber sind mehr als der Büffel sind in allen Prärien von den Jagdgründen der Assiniboin bis weit nach Mittag an den Rotfluß von Te-has. Der Odjibewe sind nicht mehr als Maiskolben auf einem Felde; der Bleichgesichter aber sind mehr als Maiskörner auf allen Feldern von hier bis an den Po-to-mac. Der Odjibewe sind nicht mehr als hundertmal hundert mal drei; der Bleichgesichter aber sind so viele, daß die Häute einer großen Büffelherde nicht ausreichen würden, wollte man jedes Einzelnen Totem auch nur mit einem Striche zeichnen. Kann Ne-i-ki-mi die Adler zählen, die an einem Tage über sein Wigwam hinstreichen? Die Adler, das sind die Odjibewe. Kann Ne-i-ki-mi die Tauben zählen, deren Flüge, unendlich wie Wolken, die Sonne verdunkeln? Die Tauben, das sind die Bleichgesichter. Kann Ne-i-ki-mi die Pfeile zählen, die ein Eiankton im Köcher trägt? Die Pfeile, das sind die roten Männer. Kann Ne-i-ki-mi die Schneeflocken zählen, die der Sturm über die weite Prärie jagt? Die Schneeflocken, das sind die Weißen.« . . . Mi-ni A-ki-pan ka-du-za hielt einige Atemzüge lang ein, wie um seinem Zuhörer Zeit sorgfältiger Überlegung zu lassen. »Und dennoch,« schloß er dann – »dennoch soll ein Netz voll Fischen in einen See gesetzt werden, dessen Raum und 59 Tiefe allen Fischen des Kitschi Gummi genügte; dennoch sollen die Bären von Opashkewa Jagdgründe erhalten, darauf für unermeßliche Herden Nahrung wächst; dennoch sollen die wenigen Tausende der Odjibewe ein Land finden, darauf tausendmal Tausende von Bleichgesichtern Platz und Brot hätten; dennoch wird jedem Einzelnen der Völker des Hasen und des Kranichs, des Bibers und des Fisches mehr Wald und Weide gesichert sein, als viele Tausende von Bleichgesichtern in einem Jahre umpflügen oder roden können. Die Wenigen sollen empfangen, was den Vielen zukäme nach Recht und Gerechtigkeit; die Vielen werden sich auf das zu beschränken haben, was den Wenigen oft schon zu eng und zu gering schien. Wenigen Odjibewe wird eine neue, reiche, schöne Heimat geschenkt, in der sie sich glücklich fühlen und zu neuem Ruhm entfalten sollen; ungezählte Bleichgesichter werden sich mit dem bescheiden, was die Odjibewe ihnen übrig gelassen haben. Die Odjibewe werden ihre Wigwams aufschlagen in einem Striche, wo noch unabsehbare Herden des Büffels weiden, weit wie die Wolken des Himmels; die Bleichgesichter werden eine Gegend besiedeln, die steter Krieg und Unruhe des Wildes entvölkert haben. Die Odjibewe empfangen hundertmal hundert Dolar, Decken dazu, Pulver, Büchsen und Feuerwasser; die Bleichgesichter empfangen nichts als Arbeit, ein rauhes karges Land und die gefährliche Nachbarschaft der N'dakotah. Dieses ist Vorschlag, Wunsch und Wille des großen Vaters am Po-to-mac; darf Ne-i-ki-mi sich da über Ungerechtigkeit und Habgier beschweren? Ne-i-ki-mi denke wohl nach! Die Odjibewe sind vom O-hei-o bis zu den großen Bergen berühmt ob ihrer Weisheit; ein Odjibewe ist kein N'dakotah, in dem der 60 Zorn des Pappuhsen stärker ist als die Klugheit des Greises. Ne-i-ki-mi ist ein Odjibewe; Ne-i-ki-mi ist ein großer Sagamore unter den Völkern des Hasen, des Kranichs, des Bibers und des Fisches. Ne-i-ki-mi sinne reiflich nach, nicht mit dem grimmigen Herzen eines Eiankton, sondern mit dem Kopfe eines Odjibewe; Ne-i-ki-mi wird die rechte Antwort und das Glück seines Volkes finden.«

Mi-ni A-ki-pan ka-du-za hatte lang und eindringlich gesprochen; er kauerte nieder und ließ den Sagamore in seinen düsteren Gedanken.

Es währte lange; Ne-i-ki-mi stopfte den roten Kopf der heiligen Pfeife und rauchte in tiefen Zügen, ohne den Gästen den Trunk des Hanfes anzubieten, ein böses Zeichen. Endlich hob er den Blick aus finsterer Niederschau.

»Mi-ni A-ki-pan ka-du-za hat wohl geredet,« sagte er drohend; »er hat geredet, wie das Geld des großen Vaters am Po-to-mac es ihn gelehrt; vorzeiten, da er noch mit den Kriegern der Odjibewe in diesen Wäldern gejagt und ihre Felle eingetauscht, hätte er anders gesprochen.« Er besann sich eine kleine Weile; dann sah er den Unterhändler und die Abgesandten aus schmalen Augenschlitzen scharf an. »Ne-i-ki-mi hat vernommen, daß einer der großen Väter am Flusse Po-to-mac allen Bleichgesichtern diesseits und jenseits des Salzwassers, das noch breiter ist als der Kitschi Gummi, die Botschaft zugeschickt hat: alles Land, von den Weißen Am-ri-ka geheißen, gehöre den Männern der Am-ri-ka. Ist das nicht wahr? Und wenn es wahr ist, wie kommt es, daß der große Vater auf einmal Boten zu den Odjibewe sendet, sie mögen ihre Heimat verkaufen und verlassen? 61 Gehören die Odjibewe nicht ebenso gut zu den Männern der Am-ri-ka wie die Bleichgesichter? Schickt der große Vater zu den Weißen am O-hei-o: zieht dorthin! . . . und zu den Kindern am Wa-bash: wandert dahin!? . . . Und wie, wenn Ne-i-ki-mi eines Tages dem großen Vater im Morgen und allen roten Völkern im Abend und Mittag die Botschaft sendete: alles Land der Odjibewe gehört den Odjibewe – und alles Land der roten Völker gehört den roten Völkern? . . . Geht! Mi-ni A-ki-pan ka-du-za ist ein Wasser, das nach zwei Seiten fließt! . . . Geht! Die Bleichgesichter haben zwei Zungen, eine für sich selbst und eine für den In-schen, den roten Mann! Geht!«

Der Unterhändler überlegte. »Soll ich diese Antwort des Zornes übersetzen?« fragte er dann in der Sprache der Odjibewe; »es ist nicht gut, die Boten des mächtigen großen Vaters zu reizen. Ne-i-ki-mi ist nicht weise.«

»Ein Sagamore hat nur ein Herz, einen Kopf und eine Zunge,« versetzte Ne-i-ki-mi in finsterem Stolz; »Ne-i-ki-mi wird nicht vom großen Vater bezahlt; er braucht nicht zu lügen.«

»Ne-i-ki-mi ist nicht weise,« wiederholte der andere besorgt; »er sieht nicht das Glück seines Volkes und die offene Hand des großen Vaters am Po-to-mac.«

»Ne-i-ki-mi sieht dafür die gespaltene Zunge der Schlange,« beharrte der Sagamore düster; »er sieht zwei Fäuste, in der einen Geschenke, in der anderen den erhobenen Tomihok.«

Der Unterhändler zuckte die Achseln und wandte sich ab. Lange sprach er auf die Begleiter ein. Dann erhob er sich, und die anderen folgten seinem Vorgang, während 62 Ne-i-ki-mi in dunklem Groll starr auf seiner Büffelhaut kauern blieb.

»Ne-i-ki-mi, der Sagamore der Odjibewe vom Opashkewa vernehme wohl, was ich ihm im Auftrage der Boten des großen Vaters am Po-to-mac zu sagen habe,« eröffnete Mi-ni A-ki-pan ka-du-za, das gegabelte Wasser; »er vernehme es wohl und überlege es in seinem Herzen, in seinem Kopfe und im Rauche der großen Pfeife mit den alten weisen Kriegern seines Volkes, binnen der Frist, die ihm dazu gesetzt ist. – Es ist wahr, daß vorzeiten einer der großen Väter am Po-to-mac allen Völkern und Menschen der Welt die Botschaft verkündet hat, Amerika gehöre seinen Männern, Amerika gehöre den Amerikanern. Aber es hat ein anderer großer Vater am Po-to-mac eine zweite Botschaft kundgetan, diese ist wichtiger noch und strenger wie die erste, und sie lautet: die Beute gehört dem Sieger! . . . Ne-i-ki-mi, der auf ruhmvollem Kriegspfade mehr als einen Skalp der N'dakotah und Assiniboin, mehr als ein Pferd und mehr als eine Squoh erbeutet hat, wird verstehen, daß es gerecht ist, wenn der große Vater am Po-to-mac nicht anders denkt als Ne-i-ki-mi selbst. Dem Sieger gehört die Beute! Ne-i-ki-mi sinne darüber nach; er hat Zeit; die Boten des großen Vaters wollen ihn nicht zu Beschlüssen der Angst oder des Zornes drängen. Ne-i-ki-mi ritze vierzig Zeichen des vollen Mondes oder drei Zeichen des Maiskolbens in seine Büffelhaut; wenn der Mais von heute an zum dritten Male reift, werden wir wieder am Opashkewa im Wigwam Ne-i-ki-mi's sein, seine Entscheidung einzuholen und ihm einen Teil der angebotenen Geschenke auszuliefern. Möge in dieser Entscheidung die Einsicht gesprochen haben! Das ist mein und ist des 63 großen Vaters und seiner Boten wohlwollender Rat. Wir sind am Ende; es ist genug; Ne-i-ki-mi beginne zu erwägen.«

Die Weißen verließen das Zelt, um an abseits entfachtem Wachtfeuer, unverpflichtet durch Gastfreundschaft, die Nacht zu verbringen, bevor sie Ritt und Reise durch das waldige Seenland fortsetzten; Ne-i-ki-mi blieb in finsterem Schweigen zurück.

Was sollte er beschließen? Seine Faust krampfte sich heiß um den Stiel des Tomihok, um das Knochenheft des Skalpiermessers; sein Blick streifte hin über die Zeltstangen und Pfosten, daran die gedörrten Kopfhäute der Eiankton und Assiniboin hingen. Am besten wäre es gewesen, über die Bleichgesichter herzufallen und ihnen die blutigen Schwarten von den Köpfen zu schinden wie voreinst der große Pontiac und andere kühne Sagamores es getan, oder ihnen die Doppelzungen aus dem Munde zu schneiden und sie so, als stumme Boten, zurückzusenden an den großen Vater am Po-to-mac.

Aber dann kamen sie, die Langmesser und Blauröcke, wie sie über Ti-kom-sih, den Puma der Schonie, und wie sie über Weatherford, den großen Sagamore der Muskok, gekommen und ihn mit seinem Volke erbarmungslos vernichtet.

Hier loderte die heranwogende Flammenflut winterhungrigen Altgrases; dort lauerte der saugende Sumpf, das mürbe Eis; wohin sollte er den Kopf des Pferdes wenden, das ihn trug, das zwischen seinen Schenkeln schnaubte, das er am Leitseil hielt? . . . Zwischen heulendem Brand und Eismoor hindurch zu den O-to-wa, fern im Mittag, fort von den Gräbern der Ahnen, fort von 64 den Jagdgründen der Heimat, fort von den Sitzen der Eiankton und Assiniboin, denen er Rache und Untergang geschworen – fort von den alten Kriegsgründen, wo bald jede Mokassinbreite Bodens mit Blut des Ruhmes getränkt?

Mehrmals in dieser schlaflosen Nacht stand Ne-i-ki-mi von seinem Büffelfell auf, über schwarz umhockte Flackerstätten und Hundegebell des Zeltdorfes hinweg nach den Sternen zu blicken, den Bildern des Hasen, der Schildkröte, des Bison, der Moosekuh mit ihrem Kalbe . . . Drüben brannte hell und groß das Feuer der Bleichgesichter, man vernahm ihren lauten rauhen Schwatz; hinter gezacktem Tann versank still der wachsende Mond, die fahlen Fischeulen riefen hin und her über den See, Biber klatschten und nagten hörbar, ein Hirsch rann leise durch die düsterzitternde Flut, weit draußen in offener Prärie heulten die kleinen Wölfe, auf dem Scheitel des Zeltes knatterten und flüsterten träumend die Häuptlingsfedern . . . Wieder griff Ne-i-ki-mis herzheiße Hand nach Tomihok und Messer. Wenn er mit seinen ältesten und verschwiegensten Kriegern herfiel über die weißen Feinde – oder morgen, scheinbar geänderten Sinnes, ihnen freundlich Geleit gab und sie unterwegs den Wölfen und Raben zum Aase ließ: wer sagte, daß gerade er, daß gerade die Odjibewe die Skalpe von diesen klugen Köpfen genommen, und nicht die Hunde von Eiankton oder Warpeton, die unversöhnlichsten und unbeugsamsten Gegner der Bleichgesichter? . . .

Aber dann ließ die erkaltende Faust wieder ab von der Waffe. Der Weißen waren so viele als wandernde Tauben unterm Himmel, so viele als treibende Flocken im Wintersturm. Wenn er an diesen hier seine Rache 65 übte, würden an ihrer Stelle Hunderte kommen, noch verschlagenere, noch habgierigere, und die Hand des großen Vaters am Po-to-mac würde sich verschließen gegen die Söhne Mo-na-ba-zos . . . Viele Büchsen, viele Säcke Pulvers, viele Decken und Fässer voll köstlichem Feuerwasser lagen in dieser mächtigen Hand; wenn es gelang, gegen Felle und Versprechungen einen Teil wenigstens des angebotenen Preises sogleich zu erlangen? . . . Ne-i-ki-mi sah plötzlich in sich das Erglimmen eines Planes; er wägte einen wachsenden Gedanken und beschloß, durch Läufer alle Sagamoren der Odjibewe zwischen Rotfluß und Kitschi Gummi zu großem Rate zu entbieten.

Der junge Mond war in den Wäldern versunken; noch stand sein verblassender Schein hinter den schwarzstarren Wipfelmassen der Tannen. Die Hunde kläfften gegen die fernen Heulwölfe; der Fisch sprang, Eulen riefen; leis blätterten und flüsterten die Adlerfedern auf dem Scheitel des Sagamorenzeltes . . . Ne-i-ki-mi horchte noch eine Weile auf die Stimmen der Nacht; dann legte er die frisch erbeuteten N'dakotah-Skalpe ab, um sie anderen Tags über die Trockenreifen zu spannen, und legte sich zu unruhigem Schlaf.


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