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Lebenswerk — Lebenswert. Wer das verkennt, hilft mit am Purzelbaum, mit dem die alte Welt dem Abgrund entgegenkollert. Sie rädt si ch z’Tod, weil rä̆dnere die liechtisti Heldentat der Welt ist und weil d’s Mü̦̆hleli immer noch ein Weilchen klappert, wenn der Redende längste nụ̈t mẹe̥h z’säge weiß. Ihm gegenüber gilt der sarkastische Spruch des wenig Worte machenden Tatmenschen: Es mues eina sịbe Jahr ’zimmeret haa, für z’wü̦sse, das s er no nüt cha. Die Fähigkeiten, die ihm ein wertvolles Leben zu gestalten ermöglichen, erwirbt er nur durch Flịß, der gemäß seiner Wortbedeutung ein Streit 1 gegen angeborene Trägheit und Lässigkeit ist.
Fleiß ist aanhaltigi Ausdauer (so daß flịßig zuletzt auch nur «häufig», «wiederholt» bedeuten kann) und ist Ernst: Äärist. (Darum «i ha’s nit mit Flịß g’macht»: nicht in ernster Absicht, sondern in zerstreuter Geistesverfassung.)
Solch immer neues Dabeisein, am Werk sein ist üebe, 2 ist die Übung, welche den Meister macht.
Wer eines Werkes Meister ist, es meisteret, däär cha nns, und er hat Vergnügen daran: es cha nn ’mụ’s. Er ist in jeder Beziehung mit ihm vertraut: es ist ihm chü̦nds, und die beständige Beschäftigung damit ist ihm ke Chunst mẹe̥h — wie dagegen der im Dienst des Schönen stehende Künstler die Kunst ins Reich des Idealen entrückt sieht.
Ist so das chönne ein Innehaben, ein Besitzen und Bemeistern aller Bedingungen zu einem gedeihlichen Tun, so ist es auch ein Wissen des geistig Angeeigneten, wie z. B. eines Gedächtnisstoffes. Was ich auswendig gelernt habe, chan n ich uswändig, i chaa nn’s und ich weiß 588 es ( je le «sais»). Andere etwas wissen lassen ( ’ne z’wü̦sse tue) hieß aber in alter Sprache kan̄jan. 3 Das ist unser «kennen», chenne, mundartlich aber wie älter deutsch zumeist mit Vorsilbe: erchenne, b’chän ne, g’chän ne. Noch ist das richterliche «erkennen» die Kundgebung eines Urteils auf Grund eines «bekennen», sich bekennen zu dem und dem Sachverhalt. Wer sich selbst über eine Sache oder eine Person unterrichtet hat, der b’chännt sie und g’chännt sie: «ge-kennt» sie um und um.
Wie nun chönne gleich den übrigen fünf Hilfszeitwörtern der Aussageweise als mundartliches Mittelwort der Vergangenheit gleich der Nennform lautet (i ha müeße, sölle, wälle, chönne, törffe, möge z. B. gaa): so stellt sich saanerisch auch wü̦sse wenigstens mit g- in diese Reihe: i ha’s so g’wüssen aaz’gattige und: i ha g’wü̦sse, daß das sich so und so verhält. Ung’wü̦ssehafti Lüt haben teils aus Unwissenheit, teils aber doch auch aus Mangel an Gewissenhaftigkeit sich etwas zuschulden kommen lassen; ĭ̦hrụ G’wü̦̆sse bedürfte der Schärfung.
Was ist nun aber wissen, wü̦sse im Urgrund seiner Bedeutung? «I ch weiß» heißt in ältestem Germanisch: ich habe gesehen. 4 I weiß das und das, nachdem und weil i ch ’s ha g’sẹe̥h; und g’sẹe̥h han i ch ’s, wil i ch ha g’gu̦gget, g’luegt, g’schauet. Jaa, i ch brụhe n d’rum mini Auge: i g’sẹe̥h, win i g’hööre (höre), wil i ch d’Ohren brụche für z’lŏse u d’Nase für z’schmäcke (riechen) u d’Zunge (samt dem Gaumen) für z’wịse u d’Fingra (d. i. Fingerspitzen) zum g’spü̦re (spüren und fühlen und tasten).
Diese Wahrnehmungsvermögen sind die «fünf» Sinne, zu denen beim normalen Menschen no n es paar dḁrzue chäme. Diese Sinne sind im Ursinn Läuf u nd g Gäng der Sinnesorgane erst zu den wahrnehmbaren, und dann erst noch hinter ihnen zu suchenden Quellen der 589 Empfindung. Gehört doch «Sinn» in éine Wortsippe z. B. mit Ge-sin-de als Weggeleit, mit sand-jan senden, 5 und namentlich sịn ne im Sinn des schriftdeutschen «denken, nachdenken, überdenken». I ch sinne, i ch sinne nahi, welcher Weg zu dem und dem Ziel führe oder schon geführt habe, um dies nicht «unbesonnen» oder «versonnen» zu verfehlen. I ch b’sinne mi ch, ob ich das und das tun soll ( jaa, b’sinn di ch, Pürstli!) und i ch b’sine mi ch an diese und jene Erfahrung. Und so han ich im Sinn g’habe z’… Jez chunnt mer z’Sinn (fällt mir ein = kommt mir die Erinnerung), daß... Chunnt’s de̥r nit z’Sinn (was du zu tun hast)? Was chunnt dier i’ n Si̦i̦n n (was fällt dir ein)!
Demgegenüber erwahrt sich denken, dänke, alt: täähe, i ha d’täächt als ursprüngliches Faktitiv 6 zu «dünken»: sich dünken lassen. Es du̦cht mi ch, es hät mi ch d’du̦cht, es sei so; insbesondere hat dies Gesehene und Gehörte mi ch schön’s d’du̦cht, und dieses wohlschmeckende Gericht du̦cht mi ch guet’s.
1
Flịß ist urverwandt mit ags.
flît = Ärgernis, Streit:
Walde 436;
Weig. 1, 550; 2, 988.
2
Verwandt mit l.
opus (Werk), wozu
operiere usw.:
Walde 545.
3
Kluge 238.
4
Weig. 2, 1276;
Walde 834.
5
Walde 699;
Kluge 427;
Stucke S. 223 f.;
Wass. 140. Vgl. «sehen» als (mit den Augen einem Vorgang) «folgen» (
sequi:
Kluge 422 gegen
Walde 419), an «Sinn» erinnernd in
ubersụ̈nig und das
G’sụ̈n (saanerisch als saure Mienen:
was machst dụ für n es G’sün!) Und it.
sentire auch hören (
senta! horch, höret!), wie fr.
sentir fühlen und riechen, schmecken.
6
Kluge 90.
Fest und treu: zuverlässig, so daß mụ ei’m cha trụ̈we und in guete Trụ̈we sị, daß anvertraute hochwichtige Angelegenheiten wirklich als solche heilig gehalten werden: so ist der Kitt beschaffen, der allen gesellschaftlichen Verbänden Erfolge sichert, die dem Einzelnen unmöglich sind. Wie aber so manches hochedle Wort, hat auch «trauen» sich bis zum Erwarten oder «Vermuten» alltäglichster Sachverhalte verflacht: I trụ̈we, i trụ̈we richtig, es rägni moor ge. I hätti ’mụ ’s e̥s 1 ni̦t ’trụ̈wet, daß...
590 In hochgestimmter Sprache verschwistern sich Treu und Glaube, um aber auch glaube 2 zu gewöhnlichem «vermuten» herabzusetzen. Das damit wortgenössige laub und lieb hat sein Synonym in uraltem frijôn als Stammwort zu Freund, Frü̦nd und zu Friede, Frĭ̦de 3 — vgl. den Frịthof 4 — und das Nachgeben va Fri̦d u Ruew’s t’wäge. Alles gehört zu uraltem frî, frei. 5 Die hierin steckenden hohen Begriffe «liebend» und «unabhängig» vereinigen sich 6 im Begriff der Stammverwandtschaft als Freundschaft im ältesten Sinn (s. u.). Unter sịnes glịche darf man vertraulich, ung’schiniert, ungebunden, offenherzig heraussagen, wi̦’s eimụ sịgi und was ei’m ddu̦hi, wie man diesen Sachverhalt aaluegi und beurteile. Die eigene Meinung: Meinig (vgl. auch dies meine als «auf dem Herzen tragen,» im Herzen haben, 7 wird frị, f rị herausgesagt, im Unterland mit dem ursprünglich pathetisch mitteldeutschen frei, f rei. Umgekehrt ist «ein Klein» 8 saanerisch e chlei, unterbernisch «e chlịị»; und so kommt es zu der Versicherung: f rị n e chlei = «f rei e chlịị.» So wandert man fị n e̥s Sch trackli, 9 f rị n e n-m Bitz. Es geit mụ f rị nach Wu̦ntsch.
1
Der so häufige Genitiv.
2
Lf. 638.
3
Kluge 150.
4
Gw. 624;
Gb. 264.
5
Weig. 1, 579;
Kluge 148 f.
6
Nach Otto Schrader bei
Kluge 149.
7
Freiheit, die ich meine; «sich herzlich meinen». Vgl.
Weig. 2, 188.
8
Dieses mit engl.
clean (sauber) wortgenössige «klein» ist eben als ahd.
kleini svw. sauber, glänzend, zierlich, fein und daher sorglich abgemessen, chlịn, darum immer noch mit dem mundartlichen Gefühlswert des Erheblichen, Hochschätzbaren;
f
rị n e chlei, f
rei e chlị: in ganz bedeutendem Maße.
9
Vgl. recke > sch-recke > sch-t-recke die Strecke.
Das Spüren hinwieder ist das Aufsuchen der Spur: der Füße eines Wildes, der Räder eines Fahrzeugs. Diese Spur, alt: die spur, das spur oder spor ist das G’spoor, beim Wagen auch: das G’leus, Chareg’leus, G’leis, Geleise, alt: die leis, leisa, verwandt mit Leis-t. 1 «Ich bin auf der Spur gewesen» hieß gotisch: lais, und lais-jan bedeutete eimụ uf d’s G’spoor hälffe, ihn zurecht-weisen, wie der Jäger dem Neuling auf die Sprünge (des Hasen) hilft. Dies laisjan wurde altdeutsch lēran, lēren, mitteldeutsch auch larn, und die lār ist Lehre, Lehr. Noch ist d’Lehr als Baugerüst des Brückenbauers die Weisung, wa’s dürha sölli: da dü̦rhi geit’s! I will di ch lehre, wa’s dürhi gangi! Gu̦gg, a lsó! sagt der Lehrmeister zum Lehrbueb, sagt die Lehrgotta als Meisternäherin zum Lehrmeitli, als Mädchenarbeitslehrerin zu den das Nähen und Stricken Lernenden, als frühere 591 Primarlehrerin zu den kleinen Schülern beim Lesen und Schreiben. Wer mit dem gehörigen G’merk ausgestattet: wär märkiga ist, begreift auch rasch: er erlickt, u̦f was es aachunnt und ist in solch gutem Sinn e Li̦stiga. In Listen und Ränken kennt dagegen einer in schlimmem Sinn Schlimmer sich aus, während der in mundartlichem Sinn Schli̦mme als Weitschauender, der u̦ber mänga Hu̦bel ụs g’sẹe̥ht, all die schiefen und krummen Wege 2 überblickt, ohne sie zu gehen. Er gehört nicht zu den weltfremden «Gelahrten», kann aber sehr wohl es g’lahrts Hụs, eṇ glahrta Maa sị, der über Menschen und Dinge von Fall zu Fall urteilt und sich vor seelenblinder Absprecherei in acht nimmt. Ihm bringt Erfahrig Lẹe̥hr, und er übt beständig das lẹe̥hre im mundartlichen Doppelsinn des Wortes: als Lehren und Lernen 3 gemäß der satirischen Weisung: So, iez heit er g’rädt; iez gaat i d’Schuel u lẹe̥hret öppes! 4
Wenn nicht im Verb, erscheint lernen doch mundartlich in g’li̦rnig, gelehrig, so daß mụ liecht naahi chunnt (leicht und rasch versteht), ’mụ (dem Sachverhalt) d’rụf chunnt und bald d’ruf ist.
1
Und l.
lîra (Furche). Aus ihr heraus (wie
us em Hụ̈si) gerät einer im
delir-ium, wie
ụs em G’leus der Entgleiste.
2
Weig. 2, 733.
3
Wie z. B. got.
full-jan (füllen) und
fall-nan (voll werden);
Braune, got. Gr. § 195.
4
AvS. 1885, 13.
Den «Nachwuchs» ( la recrue) der Mannschaft in Militär bereitet schon die Kinderstube vor in leiblicher Gewandtheit und Bereitschaft: spri̦ngiga soll schon der Knirps werden, und die dahinfallende Bevorzugung des schöne Händi soll beide Leibesseiten gleich beweglich erhalten. Das längst geforderte weibliche Dienstjahr aber wird der Haushaltungskunst zu einem Kredit verhelfen, der nicht mehr das verschätzte Vorrecht der Dienste ( S. 358) zu sein braucht.
Insbesondere die Handfertigkeit wird sorgfältiger als je zu pflegen und in den Dienst persönlicher Ertüchtigung zu stellen sein. 1 Das schnäppere veredle sich zum genauen ụs̆schnịde, das tanggle zum mode lliere, das chleipe zum Sammeln und Studieren schöner Bilder, deren Hauptlinien zunächst etwa zum Durchzeichnen auf Fließpapier über der Glasscheibe: zum abfänstere einladen. Es folgt das färbe mit fein abgestuften Farbetä̆fe̥le̥ne und Bänsel. 2 Solche g’mahlni (gemalte) 3 Bilder führen über zur scharfen Linienführung im Zeichne.
592 Vom naahimache zum sälber mache führt ein Schritt, der einst als großzügige Kulturerrungenschaft von Sachzeichen zum Lautzeichen geführt hat.
Mit dem Aufkommen der eigenen Zeichen auch für Selbstlauter kam es zur Laut- statt Silbenschrift. Das Lautzeichen heißt seit alters der Buechstaab. Derselbe heißt romanisch die littera, la lettre; daher die gegossenen Lettern, dankt welchen ganz Lätte̥reti va där u där Sach i der Zịtung staa. 4
Da stehen sie gedruckt: d’drü̦ckt — im Tagesblatt, das neben kostbaren Wahrheiten auch etwa deren leicht hingeworfenes Gegenteil bieten kann: g’loge wi̦ d’drü̦ckt — Die Zịtungi aber haben ihre Vorläufer im Buech mit seinen heute so leicht umlegbaren Blättern. Das läßt sich mit bekannter Leichtigkeit dü̦ü̦rblettere; und wo etwas besser ungelesen bleibt, tuet mụ es Blatt ŭ̦́berli̦tze, wie man bildlich von etwas zu Verschweigendem sagt.
Interessant ist die Kunde von einer Druckerei, welche bereits 1481 im Kloster Rougemont in Betrieb stand, und aus welcher u. a. der Fasciculus temporum und der Abdruck einer Vulgata hervorging. 5 1784 wird ein Saaner Buchbinder Haldi erwähnt.
Bu̦chstabiere war die Kunst der vormaligen Buechstabierer. 6 Da nahm, um dem Lehrer überfüllter Klassen alter Zeit zuvor oder zu Hilfe zu kommen, der Vater das Namembüechli 7 hervor und den fünf- oder sechsjährigen Sprößling an die Seite, um ihn den «Anfang aller Dinge» zu lehren: Gu̦gg, das ist der groß Aa. Säg: Aa. «Aaa». Und das ist der groß Bee. Säg: Bee. «Beee!» Oder als richtiger alter Saaner: der Bịe̥. Der Zịe̥. Der Tịe̥ usw. Das ist der chlịn aa; daas der äß, u daas der Schlus säß (s). Daas der Ipsi̦loon 8 oder Ịpsịloon-ịị, der Ipsilooni. Das der Zätt u daas der Thézätt (tz). (Vgl. S. 274.)
Gemälde von U. W. Züricher
593 Von vornherein also lernte man die große und die chline-m Buechsteeb erst der Druck-, dann der Schreibschrift, und zwar der tụ̈tsche «Fraktur», erst nachmals der wältsche Schrift. Wie man auch mit eimu Fraktur 9 rädt, um ihm uf guet Dütsch sị Meinig z’säge.
Die Eigentümlichkeit des Deutschen, die Dingwörter groß z’schrị̆be, mißachtete 1820 ein Schüler, indem er «vater» schrieb. Seine Kameraden verspotteten ihn: Er hät drum gar ke Vatter, drum tuet ’mụ’ e chlịna v saaft. 10
So, un iez wei mer buechstabiere: Är ü e = Rüe-, be e äl = bel-, Rüebel-; de o är äff = Dorf, Rüebeldorf.
Mit solchem Umweg trat im Saanenland vor siebzig Jahren der grad Wääg als das Lautieren in Konkurrenz: Rüebeldorf. Dieses Lautieren brach sich allmählich Bahn, nicht ohne die Bekämpfung gerade schulfreundlicher Eltern. Diese konnte bis vor sächz’g Jahren andauern, wie Rudolf Wehren ( S. 519 f.) launig erzählte. Der Vater eines ABC-Schü̦tz im Grund suchte, für all Fäll mit eme Zụnstäcke bewaffnet, den mutwilligen Neuerer auf und interpellierte ihn mit all der Vehemenz eines Mannes, der für ’ne-ṇ gueti Sach ịsteit. Voll Ruhe empfing ihn der Anfänger im Amt. Nach zehn Minuten entglitt unmerklich der Zunstäcke der glimpfiger gewordenen Rechten. Die schlug nach einer Halbstunde in die Hand des Schulmeisters. Der Saaner hatte den Saaner verstanden, und man lautierte fortan unangefochten: Grund.
Wi macht das? fragen wir beim Enträtseln eines undeutlichen 594 Buchstabens, Wortes, Satzes. Wir raten, raatige, raatibu̦rgere wie bei einem Rätsel, wie die Alten angesichts der geheimnisvollen Buchstaben. Die wurden gesammelt: g’läse, wie man im «Läset» Trauben, wie man Beeren usw. liest: aab- und ụflĭ̦st, z’sämelĭ̦st und sondiert: erlĭ̦st, das für den und den Zweck Brauchbare ụsali̦st. Das ist allerdings leichter als das «Sammeln der Buchstaben» zu bedeutungsvollen Mitteilungen, wie sie zumal im Lääsibuech stehen. Aus ihm und einem Buch überhaupt vórläse ist diese leider so wenig geübte und verstandene Kunst. Das hier Gebotene erinnert zumeist an das ehemalige verläse einer obrigkeitlichen Bekanntmachung, deren Verläser sich das Kompliment erwerben konnte: Er hät drịßg Jahr verläse u nie nụ̈t chön ne. Vielleicht fehlte es an einem Belesenen: B’lääsne, dem er aufrichtig gedankt hätte: Du häst me̥r iez aber gueti Lätzge 11 ( lectiones, leçons) g’gää!
Wer hinwieder einen armen Sünder «abkanzelt», lịst ’mụ d’Lävite. 12
Zugleich mit der Lautiermethode bürgerte sich das Schreiblesen der deutschen Schreibschrift ein. Es ist das schrị̆be als Kehrseite des Lesens, wie Jahre lang zuvor sein Vorgänger das kindliche slịbe als richtigeres chrĭ̦ble, 13 es G’chrĭ̦bel aaställe. Das geschieht als ein (durch entlehntes 14 scrïbere, schreiben verdrängtes) reißen, 15 rịße (sch-rịße) und verstärktes ri̦tze als ch-ritze, Chritza mache (vgl. engl. w-rite). Solch kindliches G’haagg, Häägge mache kann bei mangelnder Zucht zu lebenslanger schlechter Handschrift führen, welche zu so viel Beschwerden Anlaß gibt. Der seelenkundlich so belangreichen Charakterschrift steht ebenso das Buechstabe ggäggele im Wege wie das ohrenbetäubende maschinele. 16
Ein anderes Wort für «ritzen» heißt kerben; manch eine Kerbe, Chärbe trägt das noch sprichwörtlich genannte Chärbholz. Kerben aber ist gr. graphein, 17 wozu das grámma als der Buchstabe und die Gram matik, das graphium und le greffier als der Schreiber, sowie der später zu «Griff» gestellte (im Gri̦ffeldruckli verwahrte) Gri̦ffel. 18 Dieser ritzt in die Schiefer- Tăfele, tabula, 19 als Gegenstück zu der mit Chrị̆de überschreibbaren Wandtafele.
595 Bald aber tritt an ihre Stelle das (z. B. 1818 bei einem Papyrer erhältliche) Bapịịr. Als seinen ältern Vertreter kennt der Urkundenbeflissene die zuerst in Pergamon bereitete Tierhaut: Das Pergament als das Parmä́nt, auf dem sich Parmä nt-mm-briefa schreiben lassen. An seine Di̦cki gemahnt der gr. chártēs (s. u.): der Charte, gemahnen die Chärte. Das Papier wird in der Regel mittelst Haften gebunden: als das Schrĭb-, das Rächnigs- usw. Häft, Notierhäftli. Das Schreiben in grade Zil le wird erleichtert durch aufgedruckte Linien (Linge); im Notfall wird der Li̦nịe̥r: der «Linger» oder der Linial zu Hilfe genommen. Zum Schreiben dient das «Bleiweiß»: d’s Blị̆wịs, das neuere Ṛis sblị oder Wị̆s splị, der Bleistift, d’s Blịstift, wenn nicht die Feder. Das ist die ursprünglich zum fleuge (gr. pet-omai) mitbehülfliche Fä̆dere, speziell die noch vor siebzig Jahren zum Schreiben b’schnittni und g’spaltni Gensefä̆dere (der Gänsekiel), seither durch die Stahlfä̆dere ersetzt. Die «Federkraft» (das elastische fädere) wurde auf die Spiral- Fädere der Uhr übertragen.
Die Feder nätzt mụ in der Ti̦nte, gelegentlich auch zum korrigiere in der roote Ti̦nte, die geradezu als Schalewärchtinte 20 verbrüeleti ist.
Die Tinte verwahrt man a mĕ́sụ̈̆ri ( S. 317) im Tintefaß oder im Tintehafe, Tintehüsi. Der Tintezapfe hält von diesem alle Verunreinigung ab. Darf die Feder ausruhen, wird sie mit dem Tintehụ̈di oder -hu̦del abg’wü̦scht, um nicht zu rosten.
Mit solchem Material schaffet der Schrift-«steller», dessen Arbeiten gut oder schlecht g’ställtụ sị.
Der musikalischen Komposition entspricht ungefähr der Ụfsatz als etwas Gesetztes, Aufgesetztes.
Ein «Aufsatz» aber, der «sitzt» wie ein wohlgeratenes Kunstwerk und wie auch schon eine «wohlgesetzte» Rede, muß vorab der Sprache sicher sein: ohni Halblịn: ohne unbewußte Mischung des Schriftdeutschen mit Mundart und ohne unüberlegte Einmischung von Fremdwörtern.
Drum in der Sprachübung: jetzt sauberes Schriftdeutsch! Jetzt saubere Mundart! Jetzt sauberes Französisch! Kein «Schschụ̈li ett állĕ metter song schscholĭ s̆apoo!» Während der gesamten Lernzeit kein Dur chenandere 596 von Tụ̈tsch u Wältsch! Stramme Beibehaltung der für letzteres erforderlichen Mundstellung! 21 So auch für das Englische und jede weitere moderne Fremdsprache!
1
Seminarlehrer Dr. Kilchenmann vor der Saaner Synode am 16. April 1921.
2
penicillus, Pinsel.
3
Mahlen und malen auch schriftdeutsch ungetrennt.
Weig. 2, 108. Vgl.
Kluge 299. 301.
4
Rb.
5
Berlepsch (1876) 534;
Rhv. 1906, 304.
6
Gb.
7
Fluri, Buchdruckerkunst im Dienste der Schule 29 f.
8
Das gr.
ü (unser
i) als
v: ü psilón: das «kahle»
ü im Wortinnern z. B. in
psychē (Seele) gegenüber dem stark gehauchten
hy- wie etwa in
hypér = über; z. B. die
hyperbolē: der «Wurf über» den der Sache angemessenen Ausdruck hinüber; die Hyperbel als Übertreibung. Ähnlich unterscheidet sich da
e psilón z. B. in
ennéa = neun von
hepta = sieben.
9
Die l.
fractur (Bruch) angewandt auf die aus der lat. Schrift umgemodelte eckige Schrift.
10
Chorg. 6. Febr.
11
Erleichternde Lautumstellung.
12
Den
leviticus = das dritte Buch Moses als die Priestergesetzsammlung, alle sieben Jahre vorzulesen. 3. Mos. 31, 9-11.
13
Als «kratzen» zu chrablen, chräble:
schwz. Id. 3, 781.
14
Walde 689.
15
Weig. 2, 563; vgl. Um-, Auf-, Grundriß, sowie
S. 251.
16
Wie keine charakteristischen Handschriften, gibt es vielleicht auch keine charakteristischen Gesichter und keine persönliche Bewegungsart mehr.
17
Prellw. 99.
18
M-L. 3847;
Weig. 1, 767.
19
Walde 759, 766 f.
20
Schalewärch (Schellenwerk): Arbeitsplatz, dann Haus (Korrektionshaus) ehemaliger Sträflinge, deren Entweichen durch die um den Hals gelegte Schelle verhindert wurde. Den Namen trägt sarkastisch ein besonders schwierig zu bebauendes Heimwesen zu Bannwil bei Aarwangen. Sein achtbarer Eigner ist im Schalewärch.
21
Nach der durch Prof. Morf begründeten «direkten Methode».
An das Wort und Wörteli (vgl. es Wörteli mit eimụ räde, d’s Wort haa) schließt sich die Verschönerung und seelische Vertiefung solchen «Geräusches»: die Tonkunst.
Das ist zunächst die Kunst des Tones als der dem Hörer wohlgefälligen, seine Neigung und sein Interesse gewinnendes «Dehnen» 1 und Spannen der Redeteile, auf deren Wirkung es aach̦unnt. Wie es in und aus einer Rede, Anrede, Unterredung tönt, ist von bekanntem Belang. Drum beim Vorlesen sowohl wie beim ụswändig ụfsäge die Wichtigkeit des sachgemäßen betoone, das von mechanischem aha lịre und drẹe̥iöörgele wie von grụ̈selichem der glịhe tue sich gleich ferne hält. Das gilt wie von der Prosa, so vom Gedicht mit seinen Väärse und Väärs̆lene (Strophen) 2 oder G’setze, G’satze, G’satzlene, die in gleichmäßig wiederholtem Strophenbau g’setzti, g’sätzti, g’satzti sị.
Die Freude begabter Kinder, däwääg ụs sich sälber ụsiz’choo und ihres Bäste dörffe z’gää, offenbart sich in gelegentlichen Schülervorstellungen: im theáterle auf noch so primitiv improvisierter «Bühne». Ganz von sich aus, in Gewändern wi̦ si si g’rad hei aaṇ g’habe, spielten am Examenabend ( van de sĭ̦bne bis um nụ̈ni) des 7. April 1920 Schüler von Gsteig im dortigen «Bären» nach durchaus eigener Wahl und Einübung «E strụụbe Morge» und «Im Tram» von Otto von Greyerz. 3
Welch ein Intermezzo zwischen die obligatorischen Ụfsägete etwa der vormaligen Fraagembüechler! Konnten die doch erst admittiert werden, nachdem sie die 129 Fraagi des Heidelberger Katechismus bewältigt hatten! Einem Saaner gefiel das weniger. Er erklärte, d’Schwaarti (den dicken Ledereinband des Buches) habe er lieber wa n d’s I nwändiga.
Botz Liederbuech! konnte es nachmals heißen, als die «Psalmen, Lieder und Festlieder» des bernischen Kirchengesangbuches sị z’lẹe̥hre g’sị; so gut ein Extrem, wie die Verurteilung allen noch nicht voll verstandenen 597 und angeeigneten Memorierstoffs. Wie viele vorläufig dem Gedächtnis anvertraute Poesien bester Dichter reifen nach Jahrzehnten in unserm Gemüte nach! Der Funke schlummerte unter der Decke der Alltagswelt, um under einist als heilsam leuchtende Flamme aufzulodern.
Wie «singen und sagen» ( S. 511) beweist, gibt es bereits ohni Nooti ein Singen in dessen Ursinn. Nach Noote wird, wie im heutigen Sinn g’sunge, auch jegliches Unternehmen durchgeführt, an welchem nụ̈t darf fẹe̥hle.
1
Weig. 2, 1051.
2
Der l.
versus wie die gr.
strophē svw. «Wendung» und darauf folgende Wiederholung des im antiken Theater singenden Chores.
3
Wie 1788 ein «Schul-Mercurius» trefflich den Hans Wurst spielte.
Chr. 113.
Tägliches Sichaufraffen bringt die Macht über sich und über das Stück Umwelt, die im höchsten Wortsinn «Sieg» heißt. Und dies Wort ist eins mit dem «Behalten» des Sieges, mit dem oben ụf blịbe u sich Meister mache. Das ist Schuel im Ursinn. 1
In der Schule ältester Art: anhaltend ernster Setbstbildung ist auch im Saanenlande manch ein Mann, manch eine Frau eigener Kraft nicht über den angeborenen Stand, wohl aber über dessen Schranken hinausgewachsen und zeigt, was zumal aus dem hellen Kopf eines Bärglers werden kann. Wer dächte nicht an einen Gander und einen Mösching als Schreiber der Saaner Chronik! Wer nicht an den kostbaren Brief des Gsteigers Üelliger aus der Basler Grenzbesetzung von 1792! 2
Von ungenannter Hand sehr schön geschrieben, liegen vor uns zwei kleine Sedezbändchen, welche Kopien aus geschichtlichen und naturkundlichen Werken enthalten. Sie, wie die ganze Jahrhunderte umfassenden Wetterberichte (u. a.) zeigen, wie es je und je Saaner gab, die die Aaben da der langen Winter an dem zum Schreibtisch ab’pu̦tzte Familientisch statt mit dem nicht immer à la Rịịhembach ( S. 529 f.) ausfallenden aabesitzle zubrachten. Wie hätten ohne solchen Bildungshunger alte Saaner die wichtigen alte G’schrifti und Chroniken ihrer Landschaft so gründlich g’studiert, daß deren Inhalt ihnen oft zur Beweisführung, Verteidigung und Erhaltung der teuer erkauften 598 alten Rechte und Freiheiten dienten! Wie hätte einer als Tschachtlan (Kastellan), als Vänner, als Landschrịber, Notar, Grichtsäas, Seckelmeister lange vor Einführung der bernischen Schulordnung (s. u.) sein verantwortungsvolles Amt versehen können, wenn er nicht seinen von vornherein lụtra Saaneṇgrint auch sälber g’hörig ’pu̦tzt u b’schuelet hätti, nachdem sein Vater oder sü̦st en gueti Sẹe̥l ihn i d’Schuel g’noo, ihn b’schüeleret g’ha hätti.
Selbsterworbene Befähigung zumal im ụfsetze kam den Saanern speziell in einer Berufsrichtung zu gut: Auch in der 1555 an Bern gekommenen Landschaft war es nicht die Obrigkeit, welche die Notara g’examiniert und ’patäntiert hät. Dies Recht stand vielmehr den vom Landvogt geleiteten Chorg’richt der Landschaft zu. So sehen wir in den Jahren 1672 bis 1705 neun Saaner, worunter vier Schulmeister «das Examen Notarium ausstehen», indem sie «in der Schreibery sich zimlich verantwortet und durch das (als Probe) aufgesetzte Instrument (z. B. ein Testament) zimlicher Wüssenschaft an Tag geben. Sie sind derowegen hiesigen Orts admittiert und umb vollkommene confirmation vor ein gantz ehrsam Landtg’richt und ehrende Landsgmeind gewiesen.» 3
In erregte Seelenstimmung spannt sich also, wer sich selber schuelet, b’schuelet, auf ein Gebiet wichtiger, belangreicher Arbeit. Und so gilt das schuele, b’schuele zunächst der anhaltige Aufmerksamkeit auf den vorgenommenen Gegenstand. Solche Konzentration fordert zunächst das chopfe oder doch chöpfle des Mitgeteilten, dann sein «ubergaa i n Fleisch und Bluet»: in den Seelengrund des Unterbewußten, wo es haften bleibt wie etwa der fest vorgenommene Zeitpunkt des Erwachens vom Schlafe.
Nichts darf solches dḁrbị sị ablenken: i̦r re, und stören: schiniere.
1
Für «be-siegen», bemeistern (
S. 587) und damit sich aneignen, tragen, halten, heben, haben (
haa) gibt es ein grichisches Verb, aus dessen verkürzter Stammform
s’cho die
scho-lē und schließlich
schola, Schule,
Schuel geworden ist. Näheres:
Prellw. 166. 464.
2
Neben Ganders Bericht hierüber veröffentlicht von Robert
Marti-Wehren in den Grunaublättern 1926.
3
Marti-Wehren in Grun. Dez. 1922, nach Chorg. 10.
Meyen 1672; 8.
Mertzen 1677; 6.
Jenner 1680; 24.
Hornung 1681; 8. Aug. 1689; 26. Febr. 1691; 7. Mai 1705. Dazu Äbersold, Stud.
Das tut schon die gewöhnliche Unoornig im Bereich einer Kinderschar. Ist die so zahlreich wie z. B. im Tu̦rpach, so hilft sich der Lehrer durch die von ältern Schülern gehandhabte Oornig. Die mit solchem Ehrenamt periodisch Vetrauten tadeln wirksam den vermeidbaren Lärme ums Haus, das ụsi und inhi rochle u trogle, das Tü̦reni schletze. Sie inspizieren unversehens Tische und Bänke: da ist e Tintepflartsch! Da fẹe̥hlt e Tintezapfe.
Im Unterrichte stört natürlich das g’wundrig gaffe, das schaar re (s̆s̆) mit de Schuehne, das chü̦̆schele und rụne, wenn nicht das Göschi in leisem Schlafe pfụset oder pfụ̈selet. Oder die kleine Majestät ist ungnädig gestimmt: sie chụppet u tŭ̦blet (schmollt), träumt vielleicht gar von einem hochmodernen Schülerstreik.
Was Wunder, wenn nach vergeblich versandtem Warnerblick, ja mahnendem Zuruf: Was machist du da? endlich, die Hand sich regt, um dem kleinen Missetäter fühlbar d’s Mösch z’pu̦tze!
Die alte Schule war um daherige Methoden nicht verlegen. Ein tschụppne der Kopfhaare oder en Öhrlig, ein Chlapf vollzog sich ohne Medium, wie dagegen das Lineal uf d’Schụ̈̆dele ’töppelet hät, oder g’chnö̆dlet oder Tötzeni versetzt auf die zusammengeklaubten Fingerspitzen, oder zu sonstigem jäte ( S. 125). Ganz obligate «Erziehungszweige» 1 aber lieferten Bi̦rke und Haselstude. In ernstern Fällen mußte der Vater eines Schülers die Rute schwingen. So 1783 vor der ganze Schuel für den Diebstahl eines Paares Schuhschnallen. Im Verweigerungsfall war dem Vater d’Chefi angedroht. 2 Konnte er seinen Zorn nicht g’ställe, entfuhr ihm wohl es holzigs Unser Vatter. 3
«Entwaffnet» dagegen war im Augenblick jener Lehrer, dem ein zum Nachsitzen mit Strafaufgaben «verknurrter» Zwölfjähriger nach einer 600 halben Stunde bittend nahte: Säget, Schu lmeister, wälltet e̥r me̥r ni̦t für di zwo Ụfgaabi, wa n i ch no ch z’mache haa, zwö Chläpf gaä? I mangti d’rum heim ga hälfe z’hirte. Daß des Lehrers Rechte statt zum Kopf- zum Handschlag ausholte: «Jaa ssoo! gang ga hirte, du Brava!» versteht sich.
1
AvS. 1882, 12.
2
Chorg. 22. Aug.
3
Ein Fluch (
Bürki 15) statt des Unser Vaters Gebetes.
Eine traurige Entschuldigung für das schwänze des Schulbesuchs war der Mangel an Kleidern (z. B. 1778) und an Spyß (1673). Auf einen bis zweistündigen Winterschulweg mußten die Kinder, für welche keine Mittagsverköstigung zu bezahlen möglich war, der vielleicht im Schuelofe z’warme g’ställt Proviant im Schuelsack oder in der Schueltäsche mittragen. Mit wie mancher Schwechi, mit wie manchem verheimlichten Chopfweh wurde da von tapfern Kindern gekämpft! Da kam die Schuelmilch wie bis zur Stunde im Chalberhöni, kam die Schuelsuppe wie anderwärts auch im Saanenland, kamen die Suppenanstalti, welche gratis ( vergäbe) oder um geringes Entgelt (e Zächner für ’ne Tälle̥rete) auch den Mittagstisch Vermögensloser ersetzen. So die von Saanen, welche bereits im Winter 1889/1890 allwerktäglich gegen 140 Liter ausmaß. Die freudigen Danksagungen im «Anzeiger» reden vom Opfersinn der Gönner, wa’s hei u nd’s gääreṇ gää.
Z’frieren aber brauchten in der Schule Saanerkinder niemals! Schon in alter Zeit nicht, als noch keine Schuelöfe eine halbe Schuelstube in Beschlag nahmen. Sie mußten allerdings für das wärme der d’dingete oder kommunalen Schulräume (s. u.) selber aufkommen durch das bekannte Liefern der Schuelschịter. Das führte jedoch zu kindlichen Streifzügen, welche 1812 das Chorgericht für immer abg’ställt hät. Um dem Holzfrevel und dem zerschrịße von Zäunen ein Ende zu machen, mußten fortan die Eltern für jedes Schulkind auf Winters Anfang ⅛ Chlafter (zirfa ⅜ Ster) geschnittenes Holz zur Schule liefern, oder als Ersatz vier Bätze entrichten.
Ob die Gratisverabfolgung individueller Lehrmittel als eigen statt höchstens als anvertraut nicht zur Wiederholung jener «Höhenfeuer» anreizen, die etwa als lenzliche Schulschlußfeiern ihre Räuchleni ins Blaue hinaus senden? Offenere Hand der Bäuerten mußte gefordert werden für Schrị̆btischa und eine Schuelbibel (1815), Rächnigstafeli (1812), bässer’s̆ Bapịịr (1824) usw., leicht beschaffbar aus Spezialfonds wie den Schuelweidene am Hoore und Stalde, der Cottier-Stift ( S. 386) und andern Vermächtnissen. 1
Zur äußern Oornig, welche der Schule als seelische Anspannung für Aneignung höchster Geistesgüter bilden hilft, gehört auch das Festsetzen und Innehalten einer Schulzeit.
Wi lang soll mụ z’Schuel? Ee, bis mụ äppis chaa. 1867 hatten wir eine zwanzigjährige Schülerin, welche wegen Gedächtnisschwäche d’Fraagi des Heidelberger Katechismus nie chönne hät und vom Pfarrer immer wieder z’ru̦ggg’ställt worden ist. 1677 aber wurde eine bestandene Saanerin samt ihrer verwitweten Mutter wegen Schulversäumnis «in Kefie erkennt». Ebenso warb 1674 einer zwei Stund «in Kefie gelegt, der vast nüt gelehrt» noch «zur Schul gangen». Mahnungen zu fleißigem Besuch von Schuel u Chindelehr erfolgte immer wieder. 1675 (11. Februar) aber klagte Heinrich Müllener vff Bellmund «von seinem Weib, sy welle die Kind nit in die Schul schicken».
1856 wurde im Kanton Bern die Schulzeit auf zehn, 1874: auf neun Jahre festgelegt, für säx- bis füfzähejerig Gewordene und vam Dokter als schuelfähig Erfundene. Lauenen petitionierte 1881 um Aufhebung des ersten Schuljahres 1 mit dem Erfolg, daß für die Kleinen allzu schlechter und weiter Schulweg larscheri Entschuldigung fand als für die, wam bald us der Schuel choo sị.
Da die Alpzeit von ịṇgänds Braahe bis ụsgänds Herbstmonḁt d’Summerschuel verunmöglicht, muß diese mittelst Anfang im Wịmonat und Abschluß im Meie direkt a d’Winterschuel angeschlossen werden.
Früher, z. B. 1720 und wieder 1829, suchte man wenigstens e Tag in der Wuche «vor der Bergfahrt und nach der Heimkehr» für die Schule zu sichern. Die Lehrer sollten sie (1829) gegen Entschädigung abwechselnd im Dorf und am Gstaad leiten.
Die Alpzeit gebietet also viermonatliche «Vakanz» (Jaun), welche tapfere «Bauernkinder» u̦f Ferie 2 im Älplerdienst verbringen. Der Winter gestattet dafür bloß einige freie Tage am Jahresschluß.
Und er gebietet ein Zusammendrängen der Schulstunden um die Höhe des Tages. Das ist nun mittelst der herrlichen Einrichtung der 602 allgemeinen Schülerspeisung (s. o.) zumal in den neueren Schuelchu̦che̥ne unschwer zu erreichen. Das daartue der klingenden Chachte̥le̥ne, der schätternden Teller, der klirrenden Löffel, das zerhaue der Brot (-laibe), das ịschäähe der Milch oder ụsaschöpfe der Suppe, das abrụme und abpu̦tze der Tische gestaltet obendrein die Mittágsstund zu einem kleinen Servierkurs.
Ohne Mittagspause mußte z. B. 1812 die Schule von 10 bis 2 Uhr dauern; eine der vier Stunden war die Ụserlaubungsstund mit den kurzen Pausen: D’Meitleni chönne hurtig usi! Un iez d’Buebe! Da konnte also kein heutiges z’Mittag altsaanerisch d’s z’Aabe und altgrindelwaldnerisch «d’s z’Morge» heißen; z’morgnet wurde nach und z’aabnet vor em hirte ( S. 213). Heute lụ̈tets im Winter zur Schuel, wenn’s halbi nụ̈ni ụ̆hret; an de längere Tagen um achti.
So nach der Schueloornig. Von der gedruckten bernischen ist bereits 1675 die Rede. Einem Schulmeister wurde die «Coppey» derselben ụs der Hand g’schlage: die werde, will’s Gott, nit lang währen. 3
1
AvS. 1881, 16.
2
Vgl. «auf» Besuch.
3
Chorg. 17. Nov. 1675.
Die mit der Durchführung solcher Ordnung betrauten Behörden sollen und wollen nun auch bei bestimmten Anlässen sich vergewissern, wie und in welchem Maß die Bemühungen ihre Früchte tragen. 1 Solche Anlässe sind die alljährlichen Prüfungen. Die benannte man vormals nach dem Fach, auf welches das Hauptgewicht gelegt war. In Grindelwald feierte man den «Ụụfsä̆get», in Saanen den Läset. Und da dem Lesen das Schönschreiben (oder doch Buechstabe ggäggele) als zweitwichtigstes Fach zur Seite trat, gingen die Schriftproben als Läsetzäd del von Hand zu Hand. Für die drei schönsten zahlte man im Tschariet Prämien aus eigenem Legat ( S. 387). Ein ebensolches für Honégg ermöglichte dort ein Läsetgält von 3½ Franken. Das sind nun die Examebätze, die Examezed del usw. Die Exame (als «Abwägungen» des Wissens und Könnens, nach deren Ergebnissen auch die Zụ̈gni̦ß ausgestellt werden) zerfielen früher in schriftlichi und mündlichi. Jenen unterzogen sich die Schüler des 5.-9. Schuljahres. Sie mußten vor dem Vertreter der Schulkommission es Ụfsätzeli und vier Rächnigi fertig bringen. Ergänzende mündliche Prüfungen entschieden vormals über Schulentlassung oder weitere Schulpflicht.
603 Das eigentliche Examen war allerdings das mündliche, das, ebenfalls je einen Halbtag dauernd, in den obern Klassen u. a. auch den Fraage (s. o.) und den Lobwasserschen Psalmen Davids gelten sollte.
Das Urteil über die an den Tag gelegten Leistungen hat von jeher der Vorsitzende der Schulbehörde oder überhaupt deren Sprecher eröffnet. Der verfügt über so viel Sprechkunst, daß er kein Aaron manglet, 2 und er hat immer als Sprachkundiger g’rälatiert. 3
Saaner älterer Zeit, welchen «unsere Schulprüfungen» 4 noch neu waren, und die sie daher in bequemst erreichbarer Nähe sich abspielen sehen wollten, setzten 1812 durch: Die Examen sollen probeweise während fü̦ü̦f Tage gehalten werden im große Lanthụs für Oberdorf und Äbne̥t, Unterdorf, Tschariet und Chalberhöni, Grueben und Honégg; im Gstaad-Lanthụs für Gstaad und Grund, Bissen und Tü̦rpach. Dabei durfte nur mit allermöglichster Stille, Ordnung und Sittlichkeit (Sittsamkeit) g’feetlet werden, Im Landhaus soll die Estrichtü̦r verschlossen bleiben. Auf dem Estrich sind keine Brothändler zu dulden; die sollen under dem Tächli blịbe. Am Gstaad soll niemand vor den Fenstern geduldet werden.
In dem bekannten Notjahr 1816 durften die Examen probeweise in den Schulhäusern abgehalten werden; und Eltern und Schulfreunde durften dḁrbi sị, we nn si sich in der Oornig ụffüehre. Hauptgrund: Einschränkung des Essens und Trinkens im Wü̦rtshụs. 1817 und 1818 wie 1816; nur wurden die Chalberhöni-Chind in der Underdorfschuel erwartet. Ebenso 1819. 1820 ging’s wieder in d’Lanthụ̈ser, «aber mit Einschränkungen». Süeßa Wịn u. dgl. war 604 verboten. 1812 sammelten sich alli endle̥f Schueli der Gemeinde (natürlich wie immer außer Afländsche) im großen Landhaus. So auch 1829, wo aber die ruhestörenden Trödlerinnen vor dem Landhaus nicht geduldet wurden. Nun werden alle Schüler in ihren Schulstuben geprüft.
Seit 1816 aber werden alle Aufgaben erst am Prüfungstage verteilt. Im Rodel war 1816 anzuführen, was jedes Kind gelernt habe. Auch sollen die Kinder es ieders sunderig lesen, nicht mehr drụ̈i under einist. Bei solcher Bloßstellung konnte wohl etwa ein Schüler warnen: Papa, chumm nit a d’s Exame! Du blamierst dich, wen n i ch dü̦rhig’hịje.
Fortwährend üben die Schlußprüfungen — auch als «Schlußtage» u. dgl. — ihre wohltätige Wirkung auf das Verhältnis zwischen Schule und Elternhaus. Die Tage der Schaustellungen von ellenlangen Höuwstockrächnige mit d’rụsg’rächnetem Trääm sind längst vorüber; verklungen auch die Ụfsägeti zwölfstrophiger Psalme, daß’s g’heißwindet hät zum d’Wänd versprängge. — Gerade dem trotzig ehrlichen Examen darf die Festlichkeit nicht fehlen, die sich schon im eigens hierfür gefertigten Exameng’wändli abspiegelt; nicht zu reden vom Nachtmahlg’wand der Konfirmierten.
Um so schärfer bekämpft heute die Regierung 5 die Ausschreitung der Festlichkeiten im Wirtshaus. Um so dankdarer gestalten sich dann Aufführungen, wie z. B. die der Sekundarschule 1926 zur Äufnung der Reisekasse für eine dreitägige Studienfahrt.
1
Vgl. «Die Buchdruckerkunst im Dienste der Schule» von
Adolf Fluri, Karl J. Lüthi und Robert Marti-Wehren, 1926.
2
2. Mos. 4, 147.
3
sein Urteil abgegeben.
4
AvS. 1894, 13.
5
Erlaß vom 27. Febr. 1918.
Die Schülerzahl des Amtes Saanen betrug 1927: 1060; 1871: 969; 1799: 1 749. Saanen zählte 1799: 380 Knaben und 369 Mädchen, nämlich im Oberdorf 19 und 19, im Unterdorf 26 und 35 (1927: 105 und 94); am Gstaad 52 und 38 (1927: 96 und 101); in Lauenen 47 und 39 (1927: 57 und 67); im Gsteig 43 und 40 (1927: 44 und 46); in der Feutersöy 30 und 20 (1927: 42 und 27); im Tschariet 29 und 27 (1927: 22 und 21); im Äbnet 25 und 31 (1927: 40 und 34); im Grund 24 und 28 (1927: 35 und 29); in der Bi̦sse 22 und 21 (1927: 34 und 28); im Tü̦̆rpach 19 und 17 (1927: 18 und 605 20); im Afläntsche 8 und 10 (1927: 3 und 5); auf Saanenmöser 8 und 6 (1927: 7 und 11); im Chalberhöni 5 und 5 (1927: 7 und 6); in de n Gruebe 23 und 33 (1927: 33 und 28).
Die Schüler verteilten sich 1799 auf 15 Schueli der Kirchgemeinden Sa. und Abl., La. und Gst. Die Kilchhöri Sa. zählte 1695 und 1751: 9, 1793: 10 Schulen. Alle waren g’mischtu bis an die von Saanen. Hier bestanden schon 1764 zwo Schueli: eine für no ch nit zächejerigi und eine für die ältere. So noch 1857. Nun zählt das Dorf 5, wie auch Gstaad 5; ihrer zwei zählen Bisse, Äbnet, Grund, Gruebi; auf zwei künftige ist Tü̦̆rpach eingerichtet. Tschariet, Möser, Chalberhöni, Afläntsche zählen immer noch ei Schuel oder eis Schuelti; Lauene zählt seit 1920 drei Schulen, Gsteig und Feutersöy seit langem je zwei.
So sind denn für all die alä́rte n-m Buebe und Meitleni all der bildungsfreundlichen Saaner beträchtlich früeijer als anderwärts Schulen errichtet und unterhalten worden.
Zu verschiedenen Malen wurden die Schulmarchen festgesetzt; so z. B. 1816: Unterdorf: von Mosers Schmitten abwärts, was untenher des Bortgäßli liegt. Oberdorf: von da aufwärts bis zum Chauflisbach, bis zum Haltewald inklusive von Isaak Boo’s Haus zu David Mattis Haus, die äußern Häuser im Rüebeldorf, Bellmú̦nt und Gärstere «Schonried»: bis zum Saanewaldwäg, sunnigi Fäng, Bärgmatte mit Ausnahme des Eselsbüel bis Geismoosbächli, Weyermaadbrüggli, Saaliwinterwäg. Honégg: bis zur Simmentalgrenze. Gruben: Weyermaad bis Nüwret oberhalb des Mooses, Brüggmatte, Fußweg bis Gü̦tschihalte. Äbnet: Chauflisbach bis Stockbrunne, mitten durch die Chähle, Mettle und oberer Teil Rüebeldorf. Gstaad: bis Chrambrügg, Jome bis Bortwäldli, Stöcke, Matte-Rütti, Moosfang bis Abraham Brands Haus, Wi̦spi̦le bis Peter Sumis Haus. Bissen: bis Scheidbachbrügg, Trom, G’mündti.
1
Nach den Erhebungen Stapfers; vgl. Dr.
Schneiders Schulgeschichte.
Von obligatorischen Primarschulen war bisher die Rede. Die Schulfreundlichkeit des Saanenlandes hat ihrem wohl fundierten Bau drei 606 Flügel angefügt: die Kleinkinderschule, die Sekundarschule, die Haushaltungskurse.
Vertwellt («vertöörlet») werden natürlich die Kleinen zunächst daheim mittels des Vertwelli als Spielzeug: des Ti̦ttibääbi im Bääbiwäägeli, des Garterächcheli u. dgl. als Überleitung zur Handarbeit, Bilderbüechli zur Übung des Sehsinns. Wie froh aber sind vielbeschäftigte Mütter, Kleine während ihrer Arbeitszeit einer sichern Obhut anvertrauen zu dürfen, und wie gut tut vereinsamten Kindern die Gewöhnung an den Umgang mit ihresgleichen! Drum schon 1883 der Anfang einer Genggeli- oder G’vätterlischuel für solche «Ee̥rstgägel», deren Obhut gerne mit eme Fränki im Monḁt belohnt wurde. Nach modern pädagogischen Grundsätzen, wie das Kindergartenseminar der Fräulein Marie von Greyerz in der «Sonneck» zu Münsingen sie lehrt, leitet nun Frau Hutzli im Gstaad eine Kleinkinderschule.
Ihr Gegenstück ist die seit 1926 fünfklassige, seit 1922 vier-, vorher zweiklassige Sekundarschuel der Landschaft Saanen. Nach dem bereits zehnjährigen Muster Zweisimmens am 4. Juni 1867 errichtet, fand sie sofort an 27 Garanten ihre Sicherung von privater Seite neben der von Gemeinde und Staat. Die Schülerzahl schwankte während der ersten 25 Jahre zwischen 21 und 47, um nun trotz den strengen Aufnahmsprüfungen die Höhe von 123 zu erreichen. 1 Daß die Schule in vermehrtem Maß «helle Köpfe, brave Herzen, feste Charaktere» 2 für den Dienst des Vaterlandes zu bilden bestrebt ist, macht sie zum besonders wertvollen Kleinod dieses obersten Winkels im Bernerland.
Über die Sekundarschule hinausgehende Vorbildungsbedürfnisse, namentlich zumal für akademische Studien, befriedigen die vier Pfarrfamilien, sowie das collège, das Colleschi 3 als Lateinschule in Château-d’Oex, um 1610 gegründet, an welches das Saanenland und das Simmental ganz stiffi Biträg 4 leisteten.
Die vom Frauenverein unterhaltenen Hushaltigskü̦rs, die jeden Winter unter der Leitung einer Haushaltungslehrerin, gegenwärtig von Fräulein Olga Marti, stattfinden, ermöglichen den Mädchen der letzten Schulklasse einen Einblick in die Haushaltungsgeschäfte, vor allem der Küche. Wöchentlich einen Nachmittag besuchen die jungen Mädchen diesen Chochku̦rs, wo sie neben dem Kochen noch zu einer haushälterischen und praktischer Stoffverwertung angelernt werden. Die gesunde Ernährung wird im praktischen und theoretischen Sinn studiert, und die Gerichte werden je nach ihrem Nährwert zusammengestellt.
1
Festrede des Gerichtspräsidenten
Gabriel v. Grünigen am Jubiläum 7. April 1894.
2
Regierungsrat v. Steiger.
3
Jaun 42.
4
Marti.
Ein eigenes Sekundarschuelhụs gibt es seit 1922 in der Ru̦mplere des nämlichen Äbne̥t, in dessen Primarschulhaus sie vordem zu Gaste gewesen war. Es ist das durch einheimische Kräfte musterhaft umgebaute alte Gstaader Schuelhụs, das im Jahr zuvor ebenso durch Saaner Baumeister: Gebrüder von Grüenige uf der Farb, und Saaner Bauleute durch den stattlichen Neubau an der Gsteigstraße ersetzt worden ist. Was irgendwie in einem ländlichen Schulhaus gesucht werden darf, ist hier zu finden: Die Abwartwohnung oben i̦na, die fünf Schulzimmer mit Reserve für ein sechstes, der Underwịsigs- und Vortragssaal, der zugleich für allerlei Ausstellungen (z. B. für Gesundheits- und für Missionswesen) bereite Turnsaal, die musterhaft ausgestattete Schuelchu̦chi mit Lehrzimmer, zugleich für Schülerspeisung dienend, alle Räume tadellos beleuchtet und als Gruppen durch breite Gänge und Treppen abgeteilt. Die Aborte sind nach städtischem Muster gebaut.
Phot. Marti, Bern
Das neueste und zugleich echt ländliche Schulhaus besitzt seit 1924 Tu̦rpach als Ersatz des ältern, das nun zu Privatwohnungen dient. 608 Wie stattlich schaut es von seiner sonnigen Bergeshöhe auf den etwa 30 m tiefer gelegenen Talgrund hinunter! Neben der Reserve für zweite Schulklasse und zweite Lehrerwohnung bietet es ebenfalls guten Platz für Schulküche und Schülerspeisung. Die moderne Innenausstattung der Schulräume fällt gleich achtunggebietend auf.
Die ursprünglichen Schulräumlichkeiten waren Stuben in Privathäusern. Im Gsteig war ein Schuhmacher der Platzgeber und wohl zugleich erster Schuelmeister (1684). Der in Feutersöy d’dinget Raum langte nicht einmal für einen Schreibtisch, und wie anderwärts sị d’Chind u̦f enandere g’grụppet wi d’Chällerguege. Am «Gstadt» aber erklärte 1681 Adam Werdi: So wahr mir Gott helff, ich will das nit mehr dulden, daß man die Schuel dort mehr habe und mir Steinen ins Gut werffe. So wahr Gott lebt, ich will’s nit lyden und thun’s ( tue’s) nit und hülffe kein Obmann nit. Man möge ins Teufels Namen Schulhüser buwen, wo man wölle, er wölle die tusig Schul dort nit dulden! 1
Eine unter tausend ähnlichen Ụfbigährete seitens der Anwohner von Schulhäusern und Spielplätzen. Ähnliche gibt es freilich von Kritikern der Schulen, die gelegentlich ihre Bildungsstätte auf dem sommerlichen Reiseweg, auf dem winterlichen Sportplatze suchen. Möge das Verhalten der Schüler ihnen stets beweisen, daß sie auch und gerade recht da lẹe̥hre! da d’Augen und d’Ohren ụftüe! Schule ist: Anregung zur Selbstbildung, die nicht an Ort und Zeit gebunden ist.
An ihr organisiertes Schulwesen aber wendet die Gemeinde Saanen einen guten Drittel der Gemeindesteuern, die innert der Jahre 1915 und 1925 von Fr. 80,000 auf Fr. 230,000 angewachsen sind. Die Sekundarschule wurde 1915 von der Gemeinde übernommen, und die Besoldung ihrer Lehrer stieg von Fr. 5366 auf Fr. 11,200, die übrigen Ausgaben auf Fr. 2451. Die Gemeindeausgaben für die Primarschulen betrugen 1915: Fr. 33,209, 1925: fr. 91,671. Die Baukosten für die neuen Schulhäuser betrugen nahezu e halbi Mil lion. Das sind die Leistungen von rund 5000 Gemeindegenossen an ihre Bildungsstätten. 2
1
Chorg. 23. Juni 1681.
2
Gemeindeschreiber Haldi im
AvS. 1926, 30.
Meister der Schule, Schuelmeister: an sich ein zwiefach stolzes Wort! Welch vielseitigen Gefühlswert entfaltet schon der Meister, der 609 meisterhaft eine Kunst übt, ein den Meister lobendes Werk zustande bringt; dem darum der wirklich Lernende Ehrfurcht und Vertrauen entgegenbringt («Guter Meister, was muß ich tun...?»), und der aus beiden Gründen seine Autorität zur Geltung bringt: sich Meister macht, dem Unbotmäßigen der Meister zeigt. Solche Macht über andere drücken verwandte Sprachen auch in der Silbe mag, woraus mag-is-ter 1 ( maitre, Meister) geworden ist. Der war schon als solcher u. a. auch Lehrmeister, sowie Aufseher über die Jugend, und Pädagog, Vorsteher einer Schule: einer Anstalt, wo man (eigentlich «unter sich» gegenseitig mit Fragen und Antworten) unterrichtet. Das ist nun Sache des Schuelmeister. Der hebt sich damit z. B. vom Handwerks- Meister ab, welcher gegenüber dem Lebrbueb und dem G’sell meisteriert.
Von Anfang bis lang über Gotthelfs Zeiten hinaus mit Not und Sorge kämpfend und häufig genug durch ubersụ̈nigi Eltern von Schülern g’schuelmeisteret, ist aber das Schuelmeisterli alter Zeit erst allmählich zum hochgeachteten Lehrer der Gegenwart und zum Glied der Lehrerschaft, des Lehrerstandes geworden.
Dieser Entwicklungsgang ist im Saanenland ein ungewöhnlich langer. Er beginnt mit Johannes Lenz († 1541) aus Heilbronn im Entscheidungsjahr 1499 des Schwabenkrieges. Über diesen verfaßte der Schwab die den Städten Freiburg und Bern gewidmete Chronik in der Form eines Gesprächs mit einem Eremiten, 2 sowie die Darstellung der Dornacher Schlacht (22. Juli). In diesem Jahr 1499 amtete der von Freiburg Hergewanderte als «Schulmeister im finstern Tann zu Sana», wo er als Privatlehrer seine «Schuller» wahrscheinlich vorab Latein «tett leren». Als Wanderlehrer aber zog er bereits 1501 nach Brugg, 3 wo er als Schulmeister und Stadtschreiber amtete.
Ein gute Jahrhundert nach Lenz (1610) machte ein Saaner: Jakob Fleuti, als Schulmeister und Dichter von sich reden. «Drey» schöne «Neue Geistreiche Lieder,... Gestellt durch Jacobum Fluitarium in Saanen» 4 machten aufmerksam auf ihn als «der chirurgischen und chimischen Künsten Liebhaber». Die von ihm abgeschriebenen und verkauften «nicromantischen und Sägner-Büchlein» aber mußten die Empfänger « füren zeigen und offentlich verbrönnen». Dem «g’fenglich ynzüchen» aber kam Fleuti zuvor: er hät b’hau ptet z’e ntwütsche. 5
610 Einen ganz andern Erfolg verdankte seiner Gediegenheit das Rechenbuch des Saaners (« Sanensis») Johannes Hụswirt, dessen Name allerdings erst auf dem Schlußblatt des Büchlein erscheint. Es ist das « Enchiridion Algorismi». 1501 in Köln erschienen, erlebte das «Handbüchlein» mehrere Auflagen und wurde noch 1865 neu gedruckt, um wissenschaftlich untersucht zu werden. Der Verfasser kann nur der «Meister der sieben Künste» sein, der 1511 als Kaplan den Dienst am St. Niklaus- und Antonius-Altar in der Saaner Kirche versah, am Neujahr 1515 aber feierlich als Pfarrer von Saanen eingesetzt wurde. 6
Nach Hụswirt ist zu nennen der Abländschener J. S. Boschung, Lehrer zu Bätterkinden, mit seiner «Anweisung zum Rechnen und Messen», Bern 1818. 6a
Damit war der Grund für die saanerische Volksschule gelegt; und e Schutz ẹe̥b Bern seine erste gedruckte Schulordnung von 1628 erließ und damit den Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht aufstellte, gab es die ersten wirklichen Volksschulen zunächst in Saanen und Gstaad. Eine freiwillige Sammlung von mẹe̥h wa n tụsig Chrone kam um 1640 zustande; und eine allgemeine Randung (einmalige Abgabe) von 2½ ‰ des Vermögens ermöglichte 1672 die Schaffung eines Schuelguet, dessen Zinse sämtlichen Pụ̈rte die Anstellung eines Schulmeisters ermöglichten. Das Landg’richt und die Landsg’mein wählten die Lehrer — begreiflich nur aus den eigene Landlụ̈te. 7 Die bilden auch heute die überwiegende Zahl der Lehrkräfte.
Bis 1799 mußten die Männer «und die Knaben, so als Schulmeister sich widmen wollten», vor dem Pfarrer und dem vom Laudvogt geleiteten Chorg’richt sich ausweisen «in den Grundsätzen der Religion», im Lesen, Schreiben und Singen. Seit 1799 war solche Prüfung Sache des Distriktsgerichts, sowie des Pfarrers und Understatthalters. Das Chorgericht spendete z. B. am 4. November 1790 fünf jungen Examinierten «jedem für seine Mühe 1 Krone aus Cottiers Stift ( S. 386) und 10 Batzen für einen Trunk».
So sehen wir z. B. für teils auffallend kurze, teils für recht lange Dauer «confirmiert» die Schulmeister:
Im
Oberdorf Saanen: Jacob
Huswirt 1676;
Perreten 1769: Chr.
Würsten 1788; Joh.
Raaflaub 1789; Jak.
Schwenter 1790; Bend.
Bach 1804 und noch 1817; J.
Würsten 1829.
Im
Unterdorf Saanen:
Tüller 1769; Bend.
Schopfer 1782; Joh.
611 Pet. von
Siebenthal 1788 und 1798; Isaac
Haldi 1789; Joh.
Würsten 1790; Sam.
Würsten 1793; Emanuel
Fleuti 1806; Abraham
Gehret 1807; Joh. Peter
Schwenter 1817; Joh.
Walker 1829.
Im Chalberhöni: Abraham Haldi 1788; Isaac Haldi 1790; Pet. Linder jun. 1791; Hans Peter Gonset 1797 und 1798; Kohli 1804; Bend. Huswirt 1807; J. J. von Siebenthal 1817; Metzenen 1821; J. Grundisch 1829.
Am Gstaad: Moses Ruffi 1682; Jak. Gander 1713; Bend. Kreiß 1788; Isaac Reuteler 1798; Abraham Haldi 1804; Joh. Linder 1817.
Im Äbnet: Jak. Reichenbach 1788; Pet. Haldi 1790; Isaac Haldi 1791; Pet. Haldi; Bend. Kreiß 1798 und 1804; Pet. Bohren 1817.
Im Grund: Pet. Linder 1788, Abraham Haldi 1798; Hans Jak. Hauswirt 1804, 1817; Pet. Rieben 1829.
Im Tü̦̆rpach: Jak. Reuteler 1788 und 1804; Abraham Gehret 1798; Jak. Rieben 1817; Joh. Rieben 1821.
In der Bi̦sse: 1678 wer? Chr. Metzenen 1790 und 1798, 1804; Joh. Kohli 1817 und 1821.
In den Gruebe: Hans von Grüenigen 1616; Bend. Kreiß 1779; Samuel Würsten 1788; Heinrich zum Stein 1804 u. a.
Im Tschariet: Steffen 1780 usw.
An der Honégg: Moritz Haldi 1772 usw.
Im Gsteig: Sebastian Romang 1676.
In der Lauene: s. u.
Umgekehrt wirkte 1696 als Schuldiener zu Aälen der Gsteiger Caspar Brandt, wie um 1818 als Schul- und Normallehrer in Bätterkinden Johann Samuel Boschung ( S. 610). 8
1
Vgl.
mag-is (mais) mehr, und z. B.
ulter (outre):
Walde 848.
2
Veröffentlicht 1849, vgl. Freiburger Geschichtsblätter III (1896).
3
AvS. 1885, 52; BB. II, 421 ff.
4
Kolmar, 1693.
5
Marti-Wehren an Hand von Ratsmanual und Polizeibuch 4. Mai, 11. Juli, 3. Dez. 1610.
6
H. Türler, BfbG. 6, 76: R.
Marti-Wehren, die Mauritiuskirche. Alles nach
Fluri 32. Dazu auf Beilagen X und XI Titel und Textprobe in getreuen Nachbildungen des Erstdruckes.
6a
Fluri 33.
7
Marti.
8
Chorg. 2. Juli 1818.
Abgesehen von Fällen der Pflichtvernachlässigung (Verkürzung der Schultage, Nichtanhören des Auswendiggelernten), 1 der Prozidiersucht, 2 612 Okkultismus 3 u. dgl., erwarben sich die Saaner Lehrer uber de n Bank e̥wägg den Respekt der Bevölkerung. Feindliche Anwürfe wie 1647 im Gstaad, sowie üble Nachreden hinderrucks gehörten ja zu den Kundgebungen von Schalụsi. Diese galt vorab dem Zapfe, auf den der Schulmeister doch gẹng het chön ne zelle.
Das war im 18. Jahrhundert (z. B. 1788) ein Löhndli von 4 bis 6 Chroone, blu̦tt u nd bbloß, die aber im 19. Jahrhundert bis zu 32 Kronen anstiegen. Dazu kamen, wie im Gsteig vor dem Bestand des Schulhauses, Hausmieten bis 80 Bätze, das obligate Prüfungsgeld für einen Trunk; 1 Krone Haftgeld bei der Anstellung, sowie die obligaten Geschenke aus den Chämene, 4 die aber gelegentlich 5 beanstandet wurden. Ins Jahr 1580 zurück geht ein Geschenk an einen Schulmeister «umb Gottes Willen 5 β 4 δ».
Ohne Entschädigung mußten die Lehrer in der Kirche voorsinge und an heilige Tage während des ị nlụ̈te aus der Bibel voorläse. Dazu kam die sonntägliche Chinderlẹe̥hr — verpönterweise (1710) in der Schulstube statt in der Kirche. Aber kurz sollte sie ausfallen, «damit die Leute nicht erst bei später Nacht mit hirte fertig werden» (1814). In zwei Jahren (hieß es 1815) müsse der Heidelberger durchgearbeitet sein. Daneben sollen die Schulen sämtliche Festlieder üben, damit sie zur bald vollendeten Orgele gesungen werden können. 6
Als Honorar mochte der Kontrollsitz auf dem Schuelmeisterstuehl gelten, welcher 1820 mit augenfälliger Aufschrift beim Eingang in die Kirche duch die neue Pforte als der zweite Stuhl rechts errichtet wurde.
Kleine Entschädigungen, aber große Ehrungen konnten die Leichenreden im Trauerhaus bieten. Sie durften aber schon um der strengen Friedhofoornig willen nur kurz ausfallen. Das Herbringen der Leichen na ch de n nụ̈nen im Sommer, na ch de zächnen im Winter ward seit 1815 mit 10 Pfund b’büeßt. 7 Weitläufige und schließlich alle Leichenreden wurden in den Jahren 1769 bis 1820 wiederholt verboten und mit Bueß bedroht. Es durfte schließlich nur die Liturgie vorgelesen werden, und zwar bloß durch die Lehrer.
Zum Glück hatten die derart gehaltenen Schulmeister je und je ihr gutes Auskommen dank ihrer Nebenbeschäftigung. Die viermonatlichen Sommerferien begünstigten vor allem die als Feldarbeiter, Pụ̈rleni und Pụre, wohl sogar als Viehzuchtgenossenschaftspräsidenten ihre Freizeit Ausnützenden.
613 In die Zeit zurück, wo ausgediente Söldner statt des Gewehrlaufs das Schulszepter schwangen, versetzt uns der Turpach-Lehrer Abraham Gehret von Lauenen. Aus achtjährigen niederländischen Diensten heimgekehrt, nahm er als Lụ̈te̥nánt teil am Kampf zu Neuenegg (1798) und wurde ins rechte Bein geschossen. An zwei Krücken gehend und beim Unterricht zu sitzen gezwungen, verdiente der 39jährig Gewordene so sein Brot. Am Basler Grenzdienst von 1792 mußten auch die Schulmeister vom Unterdorf und von der Bissen teilnehmen. Zu ihrem Ersatz wurden die beiden Dorfschulen z’säme’taa, und der Turpach-Lehrer hät gẹng ịe̥der ander Tag i d’Bi̦sse müeße.
Chr. Romang in der Feutersöy diente zugleich als Gemeindsbeamter, Heinrich zum Stein war seit 1815 auch Chorrichter, und 1622 ward Chr. Ruffi als Ụfsäher im Gstand ins Gelübd genommen.
Wie als Schulmeister, amtierten zugleich als Notare: Chr. Kübli und Jac. Hauswirt seit 1677, Peter Hauswirt seit 1691, Hans Raussi (Rụssi) und Ulr. Perreten seit 1705, und der bereits 17jährig als Lehrer in den Gruben wirkende Johann Raaflaub.
Seine Ausbildung holte sich im Sommer 1816 der Chalberhöni-Lehrer Würsten im Lehrerinstitut zu Boltigen. Erst 1833 begann das Staatsseminar Münchenbuchsee. Der Lehrer Favrod in Château d’Oex sei als Botaniker auch hier erwähnt. Am Collège gleichen Orts wirkte Professor Schümperlin, der 1876 den Progrès gründete und unsern Rudolf Wehren ( S. 519 ff.) zur Gründung des Anzeiger veranlaßte.
An ebenfalls hingegangene Lehrer, wie Emil Würsten als Verfasser ansprechender schriftdeutscher Gedichte und des «Wächter am Ritmal» ( S. 60), wie den als Betreibungsbeamten so einsichtsvoll wirkenden Robert Haldi († 1924), diesen feinsinnigen Sprachkenner, schließen wir Namen wie der Oberlehrer Schwitzgebel 8 und Kopf in Lauenen und Gsteig, sowie des Grund-Oberlehrers, Amtsrichters, Kirchgemeindspräsidenten und dabei musterhaften Staldenkühers Alfred von Grünigen 9 († 1918). Wie schon sein Vater als Lehrer im Chalberhöni, im Gsteig und in den Gruben, wie nachmals als Gerichtspräsidert sich einen Namen gemacht hatte, so hinterließ Alfred dem Lehrerstand wieder drei tüchtige Söhne: Alfred, Roland, Nathan.
1
Chorg. 25. Jan. 1818.
2
Ebd. 1788; vgl.
Rhv. 1908, 159.
3
Fleuti s. o.
4
Rauchfänge.
5
z. B.
AvS. 1893, 48. 50; s. u.
6
Chorg. 5. Nov. 1815.
7
Ebd.
8
S. 601.
9
«
Berner Woche» 1918, 258.
In der regelmäßig zu wichtigen Verhandlungen zusammentretenden Synode, wobei nicht selten fremde Autoritäten des Lehramts das bestellte Wort führen, vereinigen sich jeweils die 5 Sekundarlehrer, 15 Primarlehrer 614 und 13 Primarlehrerinnen des Saanen-Amtes, also 33 Lehrkräfte am Platz der 18 vom Jahr 1907.
Die Lehrerinnen überließen von vornherein den Titel Schuelmeisteri der Lehrersfrau alter Zeiten, wie z. B. der Susanna Wirt des Jahres 1647. Auch d’Lehrgotta ist einzig noch die Handarbeitslehrerin, während des Lehrers Kollegin d’Lehrere oder d’Lehreri, Lẹe̥hreri ist. Kein Wunder: die öffentlich amtierende Primarlehrerin ist eine Erscheinung der Neuzeit — vollends als Schulmonarchin, wie in Afländsche und im Chalberhöni, wo das Dotze nd-m Buebe n u Meitleni grad äbe durch Frauenhand oppa wohl z’meisteren ist. Unter den hingegangenen Chalberhöni-Lehrerinnen sind zwei unbedingt hier ehrenvoll zu nennen. Zunächst die 1922 als nachmalige Lehrerin in Saanen ihren Leiden erlegene Luise Hutzli, 1 die sich ihrer sechs- und siebenjährigen Kleinen auch außerhalb der musterhaft gediegenen und erfolgreichen Unterrichts mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt annahm.
Aus Heften ungefähr zwölfjähriger Schüler und Schülerinnen der Verstorbenen:
Am ersten Schultag betrat ich die Schulstube mit Angst. Ich hatte Furcht vor der Lehrerin. Sie war aber lieb und freundlich mit uns allen. Bald hatten wir sie so lieb, wie ein herzig Mütterlein. — Ich ging immer gerne zu ihr in die Schule, trotzdem daß sie mir viele Haarrüpfe gegeben hat. — O da habe ich viele Sprüchlein gelernt und viele Lieder! — Wir lernten bei ihr nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch Anstand und Ordnung. — Sie hatte viel Religion mit uns, damit wir den Heiland kennen lernen und lieb haben. — Sie wollte immer alle Schüler geschickt, fleißig und sauber haben. — Wenn man es nicht gut sagen konnte, so sagte sie es uns vor. — Vor der Schule und nach der Schule mußten wir ihr die Hand geben. — Die Lehrerin Hutzli war eine liebe, mitleidige Frau. Wenn sie ein Kind wußte, das keine Kleider hatte, schaffte sie ihm Kleidungsstücke an. Manchmal sagte sie: Wenn ihr etwas nicht mehr tragen könnt, so bringt es einem armen Kinde. Beim Ofen hatte sie in strengen Winter Stubenschuhe gerüstet, damit die Kinder sie anlegen konnten, wenn sie kalte Füße hatten. — Sie hatte auch ein gutes Herz für die armen Kinder. — Es war Ihr nicht gleichgültig, ob die armen Kinder im Winter nasse Strümpfe hatten und frieren mußten. Sie sorgte für sie wie eine Mutter. — Sie lehrte uns für Leib und Seele. — Sie hat den armen Kindern viel angeschafft. — Einmal gab sie dem Hans 5 Fr. und ein anderes Mal ein Hemd. — Sie gab mir jedesmal einen Franken zum Examen. — Als ich Geburtstag hatte, schickte sie mir ein Paar Schuhe. — Sie hat viel Gutes getan. Mir gab sie ein Paar Unterhosen. — Zu Weihnachten gab sie den armen Kindern warme Kleider und sonst allerlei Sachen. Wenn einem Kind etwas fehlte, so holte sie schnell etwas Medizin und gab es ihm. — Sie hatte Freude an der Schule und an den fleißigen Kindern. — Nie vergesse ich die liebe Lehrerin. Alle Leute trauern um sie. — Sie mußte die Schule abgeben; denn sie wurde krank. Nun war sie ein Jahr krank; dann mußte sie sterben. Gestern wurde sie in die kühle Erde gelegt. — Sie ist nun in den Himmel gestiegen und kann herabschauen, ob ihre Schulkinder gute Menschen geben. 1a
615 Als ihre Nachfolgerin im Chalberhöni starb 1923 zu Rougemont Frau Gander.
Als «Rosa Bernheim» beschrieb sie im « Berner Heim» mit seltenem Scharfblick ins Berglerleben einen Saaner «Sụfsunntig» ( S. 491 f.). Und im gleichen Sonntagsblatt 2 zum «Berner Tagblatt» hinterließ sie den «Altjahrsabend im Saanenland». Er spielt im Chalberhöni; und in der Mundart dieser Talschaft bringen wir einen gedrängten Auszug aus der köstlich behaglichen Darstellung.
«Wi vi̦i̦l häst afa, Fränzel?» Es Meitli fragt in der P’hause vor em Schuelhụs. «‹Eh, afa sĭ̦be Fränkleni füfzg. Aber es mangti jez e chlei z’rücke mit dem z’sämetue. Wier sịn doch ünsere fü̦fzächni, un oppa zwölf, drịzähe Franke söllte we̥r z’sämmebringe!›» «Du, i säge’s moor ge dem Müeti, das het o ch noch es Fränki fü̦ü̦r.» «Un i bringen eis am Meentig. Der Att chunnt am Samßtig z’Nacht mit si’m Zahltag heim.»
«‹U jez›», fragt der Fränzel, «‹was wei wer dem Schuelmeister zum Altjahrs̆aabe chauffe?›»
«E Lampe!» «‹Neei, e Wecker!›» «E Nägelistock!» rüeft es Meitli. «‹Warum nit gar e...!›» «Neei, Bodetächcheleni», protestieren andri. «E Lampe het er ja, un e Wecker brụcht er nit sövel, er het ja nụ̈t z’hirte.»
E Halbwüchsiga brummlet: «Er cha nn sälber äppes chauffe, was ’nḁ freut. Wir bringe ’mụ d’s Gält, u färtig.» «‹Daas weeri afa! Was wurdi er o sinne, was das sị sölli?›»
«Es Bodetapi vor d’s Bätt!» rüeft es Meitli. «I bin i d’s Statthalters̆ Sunntigstube g’sị u ha g’seeh, wi̦-n daas eṇ Gattig macht!»
616 «Inhị!» rüeft der Schuelmeister lụt, un Erna’s Vorschlag gilt als Beschluß.
Es ist großa Frịtig: der läst Saane Frịtig ( S. 502) im alte Jahr. O ch für das zwoo Stund läng Chalberhöni. Dü̦r ch si Vorderteil geit’s phär Geißschlitte über Rüebeldorf na ch der Residänz dem Chalberhönibaach naa ch uf dem schmale Chüewääg, wa wị ’ne Schlange n ụf un ab im Bogeṇ geit. Da pfitzt mụ im Winter der dü̦r ab.
Nu̦, ü̦nsa Fränzel und als b’stellta Chäuffer der Frĭ̦del u si’s Schwästerli chämen a däm Frịtig na ch der Unterwisig i n d’s G’schäft va mene Zürcher Teppichhändler: «Hättet Jehr üns ächt ḁl só n es Bodetapi?»
«‹Mir wänd luege.›» Är aarvlet ḁ lsó n e nm Bịgi u spreitet si daar. Der Frĭ̦del brätschet i d’Händ: «Eh, gu̦gg mụ nu̦mḁ dä Hăhne! wi̦ n er da bolzgradụf steit mit dem fụ̈rzü̦ntroote Chamme und deṇ glitzerige Fädere! U dḁrnäbe si n Hän ne, wị si da im Sand grụppet» «Aber daas da mit dene schöne m Blueme, das g’fallt mer de nn no bässer!»
«Was chost daas? und daas?»
Der Händler seit d’Prisa, un si märte nụ̈t. D’s Gält räckt für zweu — bis a füfzg Santime. «Die chönntet Ihr u ns schäähe!» «‹Nụ̈t!›» Ee nu, der Fränzel räckt i’ n Sack u zahlt us sị’m Gält. Der Frĭ̦del wott ’mụ’s z’rugg gää. «B’hab diner Zwätschge!»
Dḁrfür zahlt Fridel no n e schöna Glückwunschcharte, So, itz wei we̥r dääch heim.
Aber halt! No ne Chlopfer für d’Bodetappeni! Aber dä näh we̥r jez nit bi däm Zürcher Jud.
Bin den Ältere va Frĭ̦del gi bt’s Aabesitz. Di g’chaufte Sache wärde visitiert u schön funde. Un alli underschriben dä n Glückwunschcharte — di Chlịnste mit dene Häägge, wa si afa chönne. No a n par Aaben de sị sị z’sämen ga Lieder ịnüebe, wa sị schier gar hei vergässe g’habe.
Der Altjahraben ist da. Am Vormittág ist no Schuel g’sị. Und da het Mịggel no hurtig usbracht, der Schuelmeister heigi de nn sịn Atte n u der älter Brueder b’ställt für am Aabe nd Musig z’mache. Bi’m fu̦rtgaa het der Schuelmeister alli uf en Aabe i d’s Schuelhụụs g’heiße choo.
Da sị d’Schueltischa ụsi g’rụmt und der Bode g’fägta g’sị. In der Chuchi het mụ g’chochchet u b’bachche: ganz Häfen u Chachtli volḷ Thẹe̥ mit Zimet u Nägelene, u g’ahigs Brot u Graswụ̈rm u Brätze̥le̥ni hụffeswịs.
617 Zwüscht de halbe si̦bne u sibne sị di Lụ̈t, groß u chlịn, aag’rückt. Der Lehrer chunnt — im Sunntig wi̦ n alli — u grüeßt: Guete n Aabe nd! Schön, daß e̥r choo sit! Der Frĭ̦del chunnt fürha (d’s Härz chlopfet ’mụ, mụ g’hört’s fast): I hätti da äppes fü̦r Üü̦ch! Der Schuelmeister fasset mit bẹe̥de Hände das groß P’hack, u gu̦gget u tuet’s ụf. Neei, eh aber neei! Ịe̥hr weit mi ch ja ganz verwenne! U jez dä Charte mit dene Sprüchlene und dene füfzähe Nääme! un jez no dä Chlopfer. Jaa, fụ̈r uf d’Fingra ol d uf de n Rü̦gg?
Neei, G’spaß a parti! I taahe, taahe, i cha nn nit g’nueg! Sị’s G’sicht uberflụ̈gt das Schäärli! Vierzächni! Wel ches feehlt? «D’s Kätheli! Was ist mit ’mụ?» «Ee,» het e Bueb g’seit, «sị’s Mueti het, wa wer ’mụ hei wälle rüeffe, zum Pfääster ụs B’scheid g’gää, es chämi nit, u sị ó ch nit.»
Wḁrum jez och? geit’s dür di Schaar, un es ist, wi wenn di Flachssaammeliechtleni an der Wälbi schier wellten ụsgaa. «I weis s vi̦li̦cht, wḁrum,» seit eini halblụt, «si ̣het e par Wuchi nụ̈t verdienet, u het iez kei Stụ̈r a d’s G’schääch chönneṇ gää.»
«Gaat, Frĭ̦del un Erika, reihet sa!» tönt’s us der Schaar; «u ganget ni̦t e̥wägg, bis 618 daß bẹe̥du aaṇg’leitu sị u mit u̦ wch chäme.» E Halbstund, un alli vieri näh sụ̈ferlich Platz.
Underwile töne zwo Handorgeli, e Schottisch! Allz lost u lost. Äntlech steit e Maa ụf, reckt der Frau d’Hand. Es zweuts, es fü̦ü̦fts schließt aa, un e Vater reicht sis Tächterli, wa d’s Jahr de nn va’r Schuel chunnt: «Chumm zeig, was d’chast!» Die Lụ̈t säge: Gu̦gget, wi̦ daas scho f rii toll walzet! Hätti’s nu̦mḁ nịt der Chopf ḁ lsó sịtlige! Aber der Mịggel, wa jetze d’s Kätheli füehrt, geit no n e nm Bi̦tz g’stăbiga. Und der Sämi: er wẹe̥ri im Thakt, aber er chrü̦mpt sich z’fäst!
D’Musig schwụ̈gt, un jez töne d g’Gleser. Der süeß Thẹe̥ geit um, u d’s g’ahig Brot ist no nie so chü̦ü̦stigs g’sị. Aber jez macht’s in der Schuelstube z’heiß. D’Chind gan ụsi in di großi Chuchi u faan afaa singe: Wi di Blümlein draußen zittern. Der Hämi i̦nna seit: Schön chönne sị’s de nn nadischt, das mues s mụ säge. U jez, wann es i̦nhi tönt: Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod, da heißt’s: Di alte sị doch gẹng no di schönste! De nn chäme Chüeijerlieder, eis um d’s ande̥ra — mụ merkt nit, daß Mittinacht rückt, bis blötzlich zweu Meitleni fürha staa, u wättigi! Eis het um d’Achslen e großi Schale ( châle) g’schlage, un under däm mächtige Chopflumpe fürha luegt eṇ ganza große Schü̦̆bel wịßgrauwi Schafwu̦lle. In der Hand het das Meitli e länga Stäcke, un an däm gnappet ’s gar grụ̈selich schröckelich müeijlig mit chịịhen u pịsten es par Schritt vorwärts. Ihmụ ggümperlet u zä̆berlet us der andere Tü̦ü̦r es jungs Meiteli e ntggäge, gar hübsch ụfg’mü̦tzerlet un ụfpü̦tzerlet, rotbäckigs, es Gsichtli wi̦ va luter Milch u nd b Bluet. Was iez di beiden enandere säge, das hei si gar nit z’sämen ụsg’macht g’habe, verschwị̆gen ig’studiert. Wi̦ va mụ sälber chunnt dem «alte Jahr» us däm waggelige Mụl ohni Zänd die langsam trocheni Ubergab vam Regimänt a d’s nụ̈wa, wa nụ deṇ n ganz Hụ̈ffe va Sache nm bässer sölli aṇgattige, a ls wi̦ d’s alta wälle hätti u nit chönne. «I will’s probiere,» schnäderet d’s nụ̈wa. «Verspräche chan i ch ni̦t vi̦i̦l; dḁrfü̦ü̦r wil l i ch de nn mẹe̥h probiere z’halte.»
Fụ̈fzg Händ brätsche, u die Bravo! ubertöne das chäßle u tschädere van deṇ Glesere, bis’s blötzlich scharpf dür ch d’Stube tönt: pßt!
Loset! zwo Chuegloggi tönen dur ch d’s offe Gwälppfääster ụs. Mụ g’höörti e̥s Mụ̈sli lauffe, so still lost allz. Aber wi sụfer u rein di großi Terz tönt! «Jaa, das sịn d’rum Schopfergloggi!» ( S. 154) rụnet eina, un däär näbe ’mụ chü̦schelet: «I b’chänne sị! Die, wa n der Schuelmeister so schön im Thakt schli̦ngget, ist Grundisch-Peters̆ 619 Zäächner ( S. 154), und die, wa Hans Brand lụ̈tet, ist Bach-Sämis Achter.»
A lsó wü̦rd dem Chalberhöni das prachtvoll fü̦ü̦fgloggig Mitternachtg’lụ̈t vam Saaner Chilchsturm ersetzt, wa nu̦me-m bi ganz sältenem Luft dụr das Tääli ị tönt.
Phot. Marti, Bern
U iez geit d’Schuelstubetü̦ü̦r hinder na ch ụf, und das strömt ụsa, wi̦ n us ere volle Chilche. Vo̥rụßna hei Buebe sich ụfg’ställt u nähn e Jodel, e richtiga Saanerjodel, wa ’s vam Äggli lụt z’rugg schleet.
Un ieze nm bricht der Mŏnd da obna grad dü̦̆r ch ’ne Wolchen dü̦ü̦r ch u züntet uberha a d’Gụmmflueh u zeigt dene Lụ̈ten der Wääg gäge heim zue.
620 Der von Frau Gander in zierlicher Einläßlichkeit geschilderte Chalberhöni-Altjahrabend wiederholte sich bis vor etwa zwei Jahrzehnten in sämtlichen Saanerschulen, und zwar in einem der Größe der Schülerzahlen entsprechenden Ausmaß. Das letztere erlaubte besonders eine von den Schülern mit größter Hingabe ausgeführte Einleitung der ganzen Festlichkeit, nämlich den Fackelzug nach dem Schulhaus, wenn nicht nach dem stattlichen Wohnhaus des zu feiernden Lehrers. War es ein Sekundarlehrer ältester Zeit, so konnte das Schülergeschenk die Höhe einer vollwertigen Golduhr erreichen, deren Kosten aber durch die der Bewirtung weit überwogen wurden. Just wägen dene Chöste wurde die Feier durch die Synode abgeschafft. Als wäre es nicht mit mi̦nderem ó ch g’gange, und hätte nicht eben die Bescheidenheit, wohl gar Kostenlosigkeit der Feier ihre Herzlichkeit erhöht! Drum wehrte sich für dies unersetzbare Band zwischen Schule und Elternhaus in einem so weltentlegenen, jahraus jahrein an so einförmige Alltäglichkeit gewiesenes Bergtälchen dessen Lehrerin, die Stadtbernertochter.
In großem Andenken steht bei der Saaner Bevölkerung Frau Mina Graa-Rüfenacht, geboren im Jahr 1865. Sie amtete zuerst im Jura und dann 36 Jahre an der Primarschule in der Feutersoey, die zuerst noch kein eigentliches Schulhaus besaß. In einer Wohnstube im zweiten Stock wurden die Unterschüler eingepfercht, bei spärlichem Raum und Licht und fast gänzlichem Mangel an allgemeinen Lehrmitteln. Im ersten Stock amtete damals noch Christian Romang, während in der anderen Stube des ersten Stockwerkes ein Kramladen eingerichtet war. Trotz diesen erschwerenden Umständen fing nun dort Lehrerin Graa hoffnungsfreudig und mutig ihre Arbeit an. Sie schied am 4. April 1925 nach einem Tagewerk reich an Arbeit, Glück und Leid aus dem Erdenleben. Sie war eine Lehrerin, die mitten in der Schwere und Enttäuschung des Berufes unverbittert und jung geblieben ist; die darum auch bis zu ihrem Lebensabend so viel Sonne um sich verbreiten konnte. 3
Etwas früher (1924) schied nach einem prüfungsreichen, aber in unverwüstlicher Seelenheiterkeit wertvoll gestalteten Leben aus der Welt die Lehrerswitwe und Lehrersmutter Cäcilie Imobersteg-Weißmüller, die Verfasserin inhaltsreicher Gedichte und verständnisvolle Förderin unseres Werkes.
1
Ihr Lebensbild verfaßte Amtsschreiber Würsten im
AvS.
1a
AvS. 1922, Nr. 46.
2
BH. 1904, S. 19-30.
3
L. u. S. im
AvS. 1925, Nr. 28. 29.
Über dem Schulmeister stand seit der Berner Herrschaft als nächste Aufsichtsbehörde das vom Landvogt geleitete Chorg’richt. Durch dieses 621 wurde z. B. am 11. Dezember 1640 «abgeraten, daß man vff Sontag sole verkhündten lassen, wer 1 etwan wöle Schul halten, möge er sych kündten ( chünte), sonst werde man nach einem anderen lugen ( luege).» Auf sein G’heiß wurden z. B. 1807 zwei Saaner «in ihren Proben als Schulmeistere angehört und durch Pfarrer und Schulkommissär Hürner examiniert». Den Schuelku̦missär ersetzt einerseits die Primar- Schuelku̦mission, anderseits (seit 1856) der Schuelinspäkto̥r. Unvergeßlich bleibt als solcher Johannes Zaugg, der drịßg Jahr lang (1881-1911: bis sechs Jahre vor seinem Tod) bei jedem Weg und Wetter, oft genug ohne es warms Stubeli u Bett zu finden, auch die entlegensten Schulen des Simmentals und Saanenlandes besuchte. Als unvergeßliche Förderer der Volksschule finden wir genannt die Pfarrer Simon Groß (1639-1669) und Heinrich Nüsperli (1669-1686) zu Saanen. Letzterem wurde 1671 vom Thuner Kapitel u. a. dafür urkundlich gedankt, daß er in seiner Chilchhöri die Zahl der Schulen von 622 drụ̈ine uf sịbnu gebracht habe. 2 Fernere Förderer: Rudolf Räzer (1796-1860) in Sa. 1820-1827; ebd. Gottlieb Cramer 1827-1830; August Real, seit 1812 in Sa., vorher in Gsteig, wo nach ihm Ulrich Rothegen und seit 1821 Rudolf Gerber wirkten. Gerber schrieb eine äußerst lehrreiche Schrift «Über das Schulwesen der Gemeinde Gsteig bey Saanen», verfaßt 1827 für den Pastoralverein Saanen-Simmental. 3 Seine eigenen Verdienste zurückstellend, erzählt er da von der angetroffenen Schulnot. Von dem alljährlichen dinge der Schulstube für die fähigen und lenksamen Schüler des ụssere Bezirks (Feutersöy); von der chlịnen u fịstere Gsteiger Oberschulstube, dem fịstere Stü̦̆beli für die Unterschule, auf breitem Hüenderstägli ersteigbar und kaum Platz bietend für die 35 Kinder der drei jüngsten Jahrgänge. Nun gi̦ bt’s es nüws Pfarhụs. Das alte bietet Platz für beide Schulen. Aus dem für ein neues Schulhaus ersparten Geld gi bt’s eis für Feutersöy. Der Lehrer nimmt Kind um Kind zu sich heran zum läse in der alten Folio- Bibli. Die andern «lẹe̥hre lụt ụswändig», wollt säge: sie chlapperen u tschädere, we nn sị nụ̈t no ch dümmers̆ mache. Die größern, vorab d’Burger, verfügen über verschiedene Chinderbibleni, Fragi- und Psalmembüecher und Gällerta. Schrịbzụ̈g hät Gerber dụ afa zuehi ’taa. Vom Lerneifer der 16jährigen Konfirmanden aber zeugten die jeweils zweiwöchentlichen Zuetaga freiwilliger Schulbesuche, von denen nicht wenige absenzenfrei blieben.
Um de n Martistag gab es Herbstexamen als Eröffnung der Winterschule. Zu dieser brachten weitweg wohnende Väter ihre Kinder auf Schlitten.
Ohne Vorbildung rückten fähige Schüler ohni wịṭers̆ zum Schuelmeister auf, um sofort die zwölf Chrooni des Unterlehrers, später die drịßg des Oberlehrers (ohne Wohnung, Holz und Land) sich vom Schuelvogt ausbezahlen zu lassen. Dazu kommt die kleine Besoldung des Orgelist.
Sehr zu vermissen war die Abteilung der Schulen in Klassi. Die Bevölkerung fürchtete davon eine Benachteiligung des uswändig lẹe̥hre als eines Hauptfachs.
Das städtisch gebaute Gsteiger Schulhaus mit guten Lehrerwohnungen ermöglicht nun eine auf der Höhe der Zeit stehende Schulführung auch in dieser entferntesten Talschaft des Bernerlandes.
1
Statt des alten
swer = so wer (= wenn jemand).
2
Marti nach Thuner Kapitelsversammlung, S.
Fluri; «Ev. Schulbl.» 1899, 677.
3
Mit Anmerkungen herausgegeben von Ad. Fluri. Bern, 1910, mit Gerbers Bild. Vgl. ferner: das Schulwesen des Saanenlandes von 1799, von Pfarrer Straßer.
Grun. 6, 183 ff. (Hasli:
Grun. 2, 13 ff.).
Es ist kein Fleck zu arm auf Erden,
Auf ihm ein Mann, ein Held zu werden
1
und eine Männin, eine Heldin auf dem Felde dreifach schwer gewordenen Daseinskampfes. Auf dieses Feld entlassen oder schicken Volksschule und Elternhaus das Jungvolk fünf Jahre vor seinen bürgerlichen Selbständigkeit.
Dies ihr «zweites Leben», 2 wie treten sie es an? Mit des Elternhauses Sorgen belastet die einen; andere mit dem Konfirmationsandenken in der Hand als dem Erlaubnißzäd del, z’tue u nd z’mache wie ihre längst beneidete Umwelt, damit aber auch die Klagen zu mehren über Dünkel, Ehrfurchtslosigkeit, starken Trieb zu oberflächlichem, verschwenderischem, sinnebetörendem Vergnügungsleben. 3
Dritte aber nehmen dies zweite Leben von selber ernst. Jez geit’s an e n Bbrueff: eine scharf umschriebene, in festen Grenzen sich haltende Laufbahn nach allmählich selbst in sich entdeckter Neigung unter Sammlung und Aufgebot der von Eltern geerbten, von Lehrern entdeckten, längst schon selbst geübten Anlagen.
Also d’ra hi̦i̦ n: a n d’s lẹe̥hre in der Lẹe̥hrzeit sofort na’m lẹe̥hre in der Schuelzịt! Versimpeltes Jahr, verlornes Jahr für Schneid und Entschlossenheit und Zuverlässigkeit im Charakter des Berufsmenschen. Wer jetzt wärweiset und hin und her plampet: soll i ch ächt daas oder soll i ch di̦tz? wird es gewohnheitsmäßig gẹng ḁ lsó mache.
Ehre drum den in wirtschaftlich so schwieriger Zeit welt- und menschenkundigen, scharfsichtigen und weitschauenden Berufsberatern! Ihr größtes Verdienst erwerben sie sich dort, wo’s heißen muß: Jez hät’s abg’läcket! 4 Aus dem Lehrvertrag wird nichts. Hier den Mut stählen und womöglich noch bessere neue Wege suchen ist alles.
Gelegentlich selbst gewählt führt solch neuer Weg als vielbetretener alter Weg i d’s Wältscha fü̦r ga d’Sprach z’lẹe̥hre, wenn nicht gar zur ziellosen Englandgängerei. Weh den Jungen, die unberaten dort ịnhi trappe mit Verlust kostbarer Zeit, Gesundheit und etwa einmal 624 des Lebens! Als gäbe es keine kirchliche Stellenvermittlung 5 — auch für das Oberland, wo Pfarrer Joß in Kandergrund den Knaben, und Frau Witwe Steffen-Rieben in Gstand, als Nachfolgerin von Pfarrer Egger in Äschi, den Mädchen Stellen verschafft. Dringend hat letzterer in einem Synodalvortrag zu Gstaad vor unbesonnener Welschlandgängerei gewarnt.
Ausbau des Schulunterrichts auch im Französischen bietet den Jünglingen dabei und in den Lehrstellen an Samßtig-Na chmittáge oder an Wochenabenden die Fortbildungsschule, wo auch die Turnübungen nicht fehlen. Es handelt sich ja nicht mehr um bloßes neues ị ntrü̦lle vergessenen Schulwissens, um an den Rekrutenprüfungen nit a’ n Schwanz z’choo, sondern um Heranbildung gediegener Verteidiger ihres Vaterlandes. Die Fortbildung geht Hand in Hand mit der Berufsbildung, welche auch saanerische Alpensöhne an der landwirtschaftlichen Schule in Brienz holen, wie Saaner Tächteri als künftige Hausfrauen an der dortigen hauswirtschaftlichen Schule.
Ein Mitbegründer dieser Schule: der bald achtzigjährige alt Sekundarlehrer Bichsel in Brienz macht dringend aufmerksam auf die Notwendigkeit strammer Berufserlernung überhaupt. 6
1
J. B. Widmann.
2
Zahnd.
3
AvS. 10. 10. 1923.
4
Wie auf der Zündpfanne des alten Feuersteingewehres, wo das hingestreute Schieß-
Bulver von den Stahlfunken gleichsam züngelnd verbrannt wird, statt durch das
Löchi in den Gewehrlauf zu bringen und die Vorderladung durch
aazünte an ihr Ziel zu treiben.
5
Tw. 596-604.
6
Volkswirtschaftliches aus dem Oberland. Brienz 1926.
Eine solche gedeiht aber auch im Saanenland selber, für schulentlassene Mädchen und für Frauen, wie für Konfirmandinnen (s. u.) und ihre Vertreterinnen im Jugendhilfsbund. Dieser lehrt die Sprößlinge besser gestellter Familien ebenso zurückhaltend wie leistungsfreudig in die Hütten der Armut Hilfe bringen, hilflosen alte Frauele̥ne d’Stube n ụsa wäsche und, empfindliches Ehrgefühl respektierend, z’Wiehnachte sorglich erarbeitete Geschenke darbringen.
So wachsen die an den alpwirtschaftlichen Familienberuf gebundenen Mädchen heran zu tüchtigen Gehilfinnen der Krankenschwester ( S. 415) in den verschiedenen Bäuerten und als künftige Mitglieder des saanerischen Fraueverein. Als vollnamig «gemeinnütziger Frauenverein», der immer etwa drụ̈hunde̥rgg im besten Wortsinn tätige Teilnehmerinnen zählt, ist er der Geisteserbe des gemeinnützigen Vereins, der um 1880 und 1881 durch geschichtliche und gelegenheitspolitische Vorträge in die langwinterlichen Aabe ndsịtza etwelche Abwechslung brachte.
Aquarell von W. Gorgé
Schon damit, daß die meisten Mitglieder mehr als die geforderten zweu Fränkleni Jahresbeitrag bezahlen. Dank ihnen und den freudig 625 gespendeten Sammelgaben konnten z. B. am Neujahr 1921 an 150 Familien und Einzelpersonen Gaben im Wert von etwa 1730 Franken und an Chindbätteri Wäschestücke im Wert von 424 Franken verabreicht werden. 1
G’meint ist dḁrmit der Wert des gekauften Rohstoffes. Der wurde, ohni e Santime Chöste z’mache, an vorwinterlichen Arbeitsaaben de planmäßig verschaffet.
Phot. Pfarrer Schwarz
Neben den dreigeteilten Haushaltungskursen z. B. der 51 Konfirmandinnen von 1920 unterhält der Frauenverein die Schule für die erwachsene Weiblichkeit. Da galt es zunächst die Anstellung der richtigen Lehreri. Welcher Art? Doch wohl einer Denklehrerin.
Der Frauenverein wählte erst die in Zürich gründlich geschulte Schulmeistertochter: Dora Huber aus Langenthal, nun in St. Immer, und als Nachfolgerin Olga Marti aus Oberburg, die Pfarrersschwester. In den zweinunmehrigen Schuelchu̦che̥ne: der ältern im untern 626 Schulhaus Saanen und der nach allen billigen Anforderungen errichteten, mit Lehrzimmer bereicherten im Schulhaus Gstaad, wird nun ein Unterricht erteilt, der für ein Alpenrevier wie Saanen von unberechenbarer Wohltat ist. Lange genug hat einseitige Ernährung bei reich und arm Stoffwechselkranheiten gebracht, die hie obna im Land des Saanerbodens und der Saanersonne, der Saanenmilch und des Saanenhonigs undenkbar sein sollten. Da kommt nun zur praktischen Schulung das bißchen Lebensmittelchemie und Ernährungstheorie, kommt das bißchen Warenkunde und einfache Buchhaltung, kommt die Gewöhnung, es jedes Bröösmeli u Stü̦mpeli und es jedes Minụ̈teli z’Ee̥hre z’zieh.
Phot. Pfarrer Schwarz
Diese Chochkü̦rs hatten ihre Vorgänger in den 1905 und 1906 von Pfarrer Bäschlin ins Leben gerufenen Kursen, zu denen 16 Tächteri, mit Chuchischurz, Häft und Blịwịs bewaffnet, in der ehemaligen Wirtschaft Wampfler sich einstellten. Die Neuheit der Sache mochte Töchter verschiedenster Aufklärungsgrade heranlocken.
Dienste (Dienstboten) beider Geschlechter, die wenigstens fü̦ü̦f Jahr der gleichen Meisterschaft dienten, erhalten durch den Frauenverein Diplome als Ehrung ihrer Treue.
Wiederholt sich solche höchst zeitgemäße Ehrung Land ụf Land aab, so stellen sich nun direkt unter eidgenössische Unterstützung, Leitung 627 und Aufsicht die Haushaltungskurse für Erwachsene wie im choche, so insbesondere auch im nẹe̥ijen u glette.
Und nŏ́tabeni nun ausschließlich im eläkdrisch glette: von Frauen- Underchleide̥re und Här rehäm dlene, ohni Rümpf z’glette, ohni sị z’verbrän ne und auch nur gälbi z’mache.
Für den Wißnẹe̥ikurs bringen die Schülerinnen 1 m Schurztuech, sowie 1 Spüeli wịßa und schwarza Maschinefadem mit. Für den Chleidernẹe̥ikurs ist u. a. mitzubringen: etwa 2 m Unterrockstoff, womöglich zugleich eine Nẹe̥imaschine. Als unumgängliche Nummer drei schließen sich die Flickkurse an: Kürs für d’s blätzen ol d d’s reise.
Phot. Nägeli, Gstaad
Wie nunmehr alle Gemeinden zu Stadt und Land, verfügt auch Saanen über eine ansehnliche Volksbibliothek. Eine Ablage derselben birgt das neue Schulhaus im Gstaad. Mit dem Bücherschatz von 300 Bänden zu Lauenen wetteifert der im Gsteig. Es ist also schon so echt gut gesorgt, daß die durch ihren Beruf an ihr eigen Heim Gebundenen oder an ein fremdes solches Gewiesenen mit gutem Lesestoff sich selber fortbilden und über langwinterliche Aabe ndsi̦tza sich hinüberhelfen können.
Lesestoff und Unterhaltung bietet in eigener Art auch die Läsistube näbe der Chrẹe̥merii Müllener mitts im Dorf. Wie kam 628 sie dahin und wer hat sie 1922 ins Leben gerufen? Ein Verein ohne Eintritts- und Unterhaltungsgeld, ja ohne Statụ́te und Protokoll, der aber aus freudig gespendeten Gaben der Bevölkerung die Kosten nicht bloß dieser Lesestube aufbringt, sondern für die Konfirmiertenvereinigungen (s. u.) das sehr gute Klavier in der Kirche und zur Verschönerung der Vorträge in der St. Anna-Kapelle (s. u.) das vollwertige Harmonium aag’schaffet hät. Dieser «Bund von Heimatfreunden» ist eine Vereinigung älterer und junger Männer, Frauen und Töchter.
Mit dem Wandschmuck der Lesestube stand die Wanderausstellung von Bildern namentlich religiöser Richtung in Verbindung.
In Arbeitsgruppen gegliedert, in Bäuertvorträgen seine Tätigkeit auf entlegene Landschaftsgebiete werfend, hat der Bund von Heimatfreunden seine Glieder zunächst für augenfällige Arbeitsgebiete gesammelt. Der in sorgsam vorstudierte Arbeit genommene Frịdhof macht en anderi Gattig. Auch unter der Ägide dieses Bundes stehend, leistet der Jugendhilfsbund als Auslese unter Konfirmandinnen diskrete Hilfe in Haushalten ohne hinreichende Arbeitäkräfte.
Dem Gedanken der Volkshochschule näher tretend und auch hierin von einem großen Teil der bernischen Lehrerschaft beider Geschlechter lebhaft unterstützt, haben Lehrer und Lehrerinnen Saanens in den Sommern 1924, 1925 und 1927 im Turbach eine Heimatwoche mit ausgiebigen Wanderungen gefeiert. Die Geschichte des Saanenlandes, seine Mundart, seine Kirchen, sein eigenartiger Hausbaustil u. a. fanden dabei einläßliche, mit großem Interesse angehörte Darstellungen. Einheimische und Fremde, Hochschul- und Volksschullehrer, Beamte und Bauern kamen hier zusammen und lauschten tiefgründigen Ausführungen über die verschiedensten Fragen und Probleme, die den einzelnen und die Gesamtheit interessieren. Und nach getaner Arbeit vereinigte man sich zu zwangslosen Aabesi̦tze, die der Pflege des Volksgesangs, der Musik, der Freundschaft, der edlen Geselligkeit und wahren Gemütlichkeit gewidmet waren. Da ist der Mälchröckler ( S. 240) näbet de̥r Stadtlẹe̥hreri g’sässe un d es ịsch t ganz gue t g’gange.
Wo in alter Zeit an menschenfernen und von Gefahr bedrohten Stellen Fernverkehrswege sich spalteten, pflanzte frommer Sinn Heiligenbilder auf zum Anruf um Schutz. Gegen Sturm und Unwetter schirmte 629 sie ein Gebäude. Nach der capa 1 oder capella (Mantel mit Kapuze) des heiligen Martin wurden kleine Bethäuser Kapellen genannt. Daher alle die Kappel und Chappele n, 2 das kleine Chappeli und Chäppeli. Ruinen eines Chappeli stehen noch gegenüber dem (wohl dem einstigen Kloster Rougemont gehörenden) Pfaffembärg im Turbach am Weg von Gstaad nach Lenk. Eine der alten Brückenkapellen 3 stand da, wo vom alten Saanen-Gstaad-Weg der naturgemäße Weg dem Chauflisbach nach über d’s Saali, Schönried, Möser nach Zweisimmen führte. Chappeli heißen seitdem die Häuser süd- und ostwärts der Brücke. In gediegener Einfachheit hergestellt und flịßig b’brụcht steht dagegen am Aufstieg von Saanen nach Unterbort, Grischbach und Afläntsche die St. Anna-Kapelle (s. u). Und an diese 630 schließt sich nun das 1926 mit dem freudigen Opfer von vierz’gtụsig Franken unter Leitung durch Münsterbaumeister Karl Indermühle mustergültig erneuerte und nun ausschließlich seinem alten Zweck wiedergegebenen Gstaader Chilchli.
Sein Anfang bestand seit 1402 aus dem g’murete Chöörli mit Triumphbogen, dem ein hölzernes Schirmdach oder Schiff vorgelagert war. Noch zeigt die hölzerne Schiffsdecke zierliche spätgotische Maßwerkrosetten und geschnitzte Querfriese, durchbrochen und mit Farbe unterlegt. Auf die 1653 erstellte Verlängerung des Schiffs wurde der zierliche Dachrịter aufgesetzt. Ein schon vorher erstellter Gloggegalge barg zwo Gloggi, deren eine, 1404 gegossen, noch heute zum Glottesdienste ruft. Noch schmückt den Dachriter es isigs Chrütz, angebracht 97 Jahre, nachdem im Saanenland die Reformation zwangsweise eingeführt war — eine obrigkeitliche Glaubensänderung, für welche sonst grade das Sinnbild des Kreuzes keinen Platz mehr haben sollte. — Ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammt der Taufstei. Das Gotteshaus wurde schließich zum Schullokal umgewandelt.
Nun ward es seinem wahren Zweck in mustergültiger Gestalt wiedergegeben, wobei nach Möglichkeit das verwendbare Alte zu neuen Ehren kam. Aus dem Chöörli wurde das Chor mit neu geöffnetem Triumphbogen und kleiner Sakristei. Bauernhäuser gaben alte Butzen her für die in alter Form und Größe erhaltenen Pfääster. Das Mittelfenster des Chors aber zeigt ein prächtiges Glasgemälde, das den Patron des Chilchli: den heiligen Niklaus darstellt. Die Fenster des Schiffs hinwieder zeigen die Wappenscheiben der Saaner Landschaft und der Saaner Familien. Bruchstücke alter Malereien wurden gesichert. Wälbi und Dachstuhl wurden nach altem Muster erneuert.
Phot. Marti, Bern
In denkwürdiger Verbindung des guten Neuen und Alten erstellte man die elektrische Heizung, deckte aber das Gebäude mit Schindle. Und durch die in ihrer seltsamen altertümlichen Größe erhaltenen Türe kommen nun am ersten und dritten Sonntag des Monats zum abendlichen Gottesdienst die reformierten Saaner, zum vormittägigen die Katholiken und die Anglikaner des Fremdenstroms. 4
Die Kapelle behält aber ihren Namen Chilchli gleicherweise wie das kapellenartig gebaute Kirchlein zu Afläntsche. Durch Jakob Zingre wurde dieses 1920 gründlich renoviert. Zu Gottesdienst und Vorträgen nun neu geeignet, grüßt es gleich dem Schnee des neunmonatlichen Winters von der sonnigen Höhe nach dem Jäundli hinunter, und hinüber nach der einstigen Mutter-Kirche des freiburgischen Jaun. Auch das Türmli grüßt mit dem silberhellen, in großer Terz gestimmten Klang seiner nunmehrigen zweu Glögglene, die einen alten Witz vergessen lassen: Albe hei si mit allne Glogge g’lụ̈tet, 631 wen n e nm Bueb ist z’tauffe g’si, für n es Meitli nu̦me mit ei’ra. Der faule Witz dagegen, d’Geiß heige d’Zahli abg’läcket, gilt der einstigen Kapelle ŏhni Chilhezị̆t.
Doppelt (weil repetierend) sagt dafür den Gsteigern jeder Stundenschlag auf der größten der drei Glocken, wi mängs daß ’s sịgi. Wie 1925 das Innere der Kirche restauriert wurde, so auch 1923 nach streng kunsthistorischer Leitung das Innere der Lauener Kirche, deren hochinteressanter spätgotischer Bau mit seinem Doppelgeläut so heimelig das Talgelände beherrscht. An der sorglich erhaltenen Flachdecke geben die die Dreieinigkeit repräsentierenden Hase dem Symboliker noch zu deutende Rätsel auf.
An dem «zeitlos» gebliebenen Türmchen des Gstaader Chilchli ( S. 629) trauert vereinsamt das Glöcklein mit den Bildern der Heiligen Nikolaus, Vincenz und des Walliser Bischofs Joder («Jodel», Theodor). Sein Gefährte diente nämlich 1811 zum Guß der große Glogge, welche seitdem vom «Festungsturm» der Kirche auf dem St. Mauritiushügel 5 über dem Saanendorf an Festtagen in eigenem Konzert von Obertönen in weiter Runde Berg und Tal beherrscht. Gerade weil ung’stimmt, vereinigen das Wasserglöggli, das Fụ̈rglöggli, die Väsperglogge und die Mittágglogge an gewöhnlichen Sonntagen ihre vier Stimmen unter sich zu einem allzeit hörenswerten Quartett.
Der Schutzheilige des Gstaader Chilchli: Nikolaus von Bari, ist auch in der Saaner Chilche vertreten mit einem Bild, welches an der Leibung des großen Triumphbogens am Chor die Reihe der zwölf Apostel abschließt. 5a Die ganze Südwand des Chors aber ist geschmückt mit Darstellungen aus dem Leben des Schutzheiligen der Saaner Kirche: Mauritius. 6
An der Ostwand sind Szenen aus dem Leben Jesu dargestellt. Die zum Teil alttestamentlichen Bilder an der Nordwand waren durch Feuchtigkeit und frühere, ungeschickte Restaurationsarbeiten ziemlich beschädigt worden, doch konnte das meiste noch gerettet werden. Interessant ist das an dieser Wand zum Vorschein gekommene Sakramentshäuschen mit seinem reichen Aufbau in gotischer Malerei. Die gegen das Schiff gekehrte linke Bogenseite feiert in huldvollem Bild über dem einstigen 632 Marienaltar die Krönung der Maria. Ein Bild neben der Kanzel zeigt den betenden Christus neben den schlafenden Jüngern.
Das Urteil der Fachleute bezeichnet die aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts stammenden Fresken als Kunststücke von weit mehr als lokaler Bedeutung. Welcher Künstler sie ausgeführt hat, ist heute noch nicht zu entscheiden.
Die schwierige Aufgabe, alle diese Zeugen hoher vorreformatorischer Bildkunst von ihrer Übertünchung zu befreien, gelang 1925 und 1927 dem Berner Kunstmaler Karl Lüthi, und es glückte ihm auch die farbenfrische Wiederbelebung eines solchen Kunstschmucks.
Einem längern Aufsatz «Die Wandgemälde in der Kirche von Saanen» 6a von Redaktor Dr. Hugo Marti in Bern entnehmen wir folgendes:
«Ein neues Glied in der Kette von Wiederherstellungsarbeiten, durch die unser Land seine künstlerischen und historischen Schätze hebt, ist soeben vollendet worden: die Wandgemälde im Chor der Saaner Kirche, drei Wände von Boden bis zur Decke und den Chorboden lückenlos schmückend, sind vom Kalk der prinzipienstarren Vergangenheit befreit worden und strahlen, ein wahres Kleinod spätmittelalterlicher Kunst großen Stils, dem fassungslosen und von soviel Schönheit ganz überwältigten Besucher der altehrwürdigen Kirche entgegen, wenn er den behaglichen Raum unter dem wehrhaft trotzigen Turmhelm betritt.
»Der erste Eindruck, wenn man die Kirche von der Nordseite her betritt und unter dem Orgellettner steht: das Chor, nunmehr von den Holzlauben befreit, scheint von oben bis unten mit erlesenen alten Gobelins behängt, deren warme, ein wenig altersblasse Farbe eine verklärende, fast mystische Leuchtkraft ausstrahlt. Die drei Wände des wohlproportionierten rechteckigen Raums sind in kräftige Bilderbänder aufgeteilt, die jeder Wand ihr besonderes, einheitliches Gepräge geben.
Wer war der Maler, dessen Handschrift heute, über Jahrhunderte hinweg, so eindrücklich zu uns redet? Für seinen Namen muß auf der Ehrenseite der schweizerischen Kunstgeschichte Raum geschaffen werden. Und bleibt der Künstler namenlos, so zeugt doch sein Werk für ihn: die endlich wieder gewonnenen Wandmalereien in der Kirche von Saanen.
Mit Hilfe neubeschaffter Mittel wird dann die Restaurationskommission 7 wieder ( S. 629) unter der Leitung von Münsterbaumeister Indermühle dem Saaner Gotteshaus eine auf der Höhe der Zeit stehende baukünstlerische Vollendung erteilen.
1
Walde 128;
Weig. 1, 985. 987.
2
Tw. 136.
3
v. Rodt.
4
Nach Marti-Wehren im
AvS. 1926. Ebenfalls im
AvS. stehen die bei der Einweihung der erneuerten
Gstaader Chilche gehaltenen Reden von Kirchgemeindepräsident
Emil Haldi, von Baumeister Indermühle, Direktor Michel, Dr. Reber und Gemeindepräsident
von Grünigen, Pfr. O. Lauterburg. Siehe die Ansprachen im kirchlichen Gemeindeblatt Nr. 2, 1927.
5
Über die Kirche selbst siehe
Marti-Wehrens historisch einläßliche Schrift (bei Müller in Gstaad 1920 gedruckt.).
5a
Ihre Deutung im
AvS. 1927, Nr. 70.
6
Über diesen Führer der thebäischen Legion s. Marti im
AvS. 1927, Nr. 63. Die quellenmäßige Darstellung schließt mit dem tiefgründig durchgefühlten Hinweis auf den Wert dieser Märtyrergeschichte durch den Berner Kirchengeschichtsprofessor Gelpke.
6a
«
Bund» 1927, Nr. 446.
7
Dr. Reber, Amtschreiber Würsten, Großrat Robert von Grünigen, Pfr. O. Lauterburg und Gemeindeschreiber Emil Haldi.
Als Südwestzipfel des Bernerlandes in die Grenzflanken dreier welscher Kantone vorgeschoben, empfängt das Saanenland von diesen naturgemäß eine charakteristisch bleibende Abfärbung des Alltagslebens in Geselligkeit und Verkehr. Der durch die Naturausstattung herangelockte Fremdenstrom tut ein Übriges. Durch das urchig deutsche Simmental hinauf sendet das unterländische Bern seine Gegenströmungen in die seit bald vier Jahrhunderten politisch zugehörige Landschaft, ihr Schulwesen regierend, ihre selbsteigene Geisteskultur beeinflussend. Und zwar vollzieht sich letzteres seit einem Jahrzehnt immer entschiedener auf Bahnen, die anregend und wegweisend auf unendlich viel günstiger situierte Orte und Reviere wirken können.
Phot. Pfarrer Schwarz
Da sind vor allem die Veranstaltungen zu nennen, welche als geistiges Band die Neukonfirmierten in der alten Heimat und der neuen Fremde zusammenhalten und vor dem Verlorengehen im Strudel der 634 nun von ihnen «gemeinten Freiheit» bewahren. In ihr von Hand zu Hand wanderndes Korrespondenzheft tragen sie, nicht selten überraschend gehaltvoll, ihre Eindrücke von neu Gesehenem und Gehörtem ein. Den Hauptbeitrag zu letzterm leisten die Konfirmierten-Vereinigungen, an welchen mit Orgel, Klavier, Geige und Solostimme wirklich faßbare Meisterwerke ( S. 635) zur Würdigung gebracht werden.
Erwähnen wir ferner die als Erweiterung und Vertiefung der Schulbildung gedachten Vorträge, die Vorleseabende, die musikalischen Feierstunden, jetzt in einem der entlegensten Schulhäuser, jetzt in einer der Kapellen, jetzt in einer Kirche der Landschaft gehalten. Zumeist an einem winterlichen Wochenabend, ohne gedeihliche Heimarbeit zu stören, wenn nicht an Sonntagnachmittagen reden Reih um Reih in der Landschaft heimische Staatsbeamte, reden Pfarrer und Pfarrfrauen, Lehrerinnen und sowohl junge wie angejahrte Lehrer, redet gelegentlich ein zu Gaste Weilender vor einer Hörerschaft, die der Vortragende zuweilen mit mehr Befriedigung wẹe̥gt statt zellt, deren allfälliges Nicken er aber als Beifall deuten darf.
Unseres Buches durchwegs knapper Raum erlaubt keine Namhaftmachung all der Vortragenden und kein noch so interessantes Vollregister auch nur der Vortragstitel. Einzig die knappe Überschau der Themata de Winters 1926/27 vermittle eine Vorstellung von all dem schon Gebotenen und ẹe̥rst no ch rächt in Zukunft zu Erwartenden:
Ignatius von Loyola — Gegenreformation. Admiral Coligny — evangelischer Glaubensmut. Johann Kepler — Wandlungen im Weltbild. Gustav Adolf — der dreißigjährige Krieg. Paul Gerhard — Blütezeit des geistlichen Liedes. Jakob Spener — Ziele des ursprünglichen Pietismus. Rembrandt — protestantische Malerei. Oliver Cromwell — englische Freiheitsbewegungen. George Fox — die Botschaft der Quäker. William Penn — Gewaltpolitik oder Gewissenspolitik? —
Solcher «Volkshochschule» im gediegensten Sinn des hohen Wortes gingen in frühern Wintern Vorträge voraus wie über Sokrates, Franz von Assisi, über Kant und Schelling, über Pestalozzi, Gotthelf und Spitteler. Ins Naturbereich eines Alpenfrühlings führte ein feinhöriger Vogelkenner aus der Lehrerschaft, der morgethaft am drüi seine Begleiter die leisesten Zeichen des Erwachens erlauschen lehrt. Solche Einführung in die Naturkunde ist der Weg zu der unserer Zeit so bitter nötigen Menschenkunde und der Gewöhnung an eine Lebensführung, die einer «Krone der Schöpfung» sich würdig macht.
635 Ein Vortrag in der Gsteiger Kirche, wie zuvor in der Turpacher Heimatwoche ( S. 627) galt dem Elsäßer Albert Schweitzer. Der dreifache Ehrendoktor hat auf voller Lebenshöhe Kanzel und Katheder getauscht an das unscheinbare Tokderstüehli inmitten der der leiblichen and seelischen Verelendung preisgegebenen Schwarzen «zwischen Wasser und Urwald». 1 Für sein Werk warb der Mann auch in der Saaner Kirche: mit machtvollem Wort u̦f em Chanzel, mit einem Spiel u̦f der Orgele, das die Frage weckte: Hat denn das Iustrument auch solche Register?
Phot. Marti, Bern
Was die Königin der Saiteninstrumente für selbstgeschaffene Tonfolgen und Zwieklänge zu genießen gibt, bewiesen hier eine achtjährige 636 Saanerin, Margrit von Sibethal ( S. 511), dort ein in der Neuen Welt seine Triumphe feiernder Hürlimann.
Pfarrer Burri in Reutigen begleitete verständnisreich auf dem Klavier. Daneben versteht er meisterlich, anschauliche Lebensbilder der großen Tonschöpfer zu geben. Wie lernten wir durch ihn einen Schubert und einen Schumann, einen Hugo Wolf verstehen! Einen Mendelssohn aber führte uns Pfarrer Hiltbold in Grafenried vor. Wie lebte da in Duett und Orgelbegleit das Lied: Hebe deine Augen auf!
Zwei Vormittagsgottesdienste in Saanen gestalteten sich als hochernste musikalische Feierstunden. Im einen sang der «kleine Kirchenchor» aus Genf auf der Kanzel vorerst vorgelesene Lieder, und sein Direktor entlockte der Orgel wunderbar eigenartige Harmoniefolgen. Die andere Feier galt Beethoven, dem königlichen Vertoner Gellertscher Lieder, die von verständnisvollem Klavierspiel begleitet und durch feinsinniges Violinspiel bereichert wurden.
Solche Saat trägt edle Frucht.
1
Vgl. dazu im «
Bund» 1927, 422: Panafrikanismus.