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In das heute so verhängnisvoll sich entvölkernde Alpenland schickten — gleichsam als Frühlingsopfer 1 — übervölkerte Stämme vor Jahrtausenden ihre wanderfähige Jugend: ganget, suehet u̦ wch es nụ̈ws Heim! Wohl ihnen, wenn sie ’s funde hei in einer von der Mutter Natur so glückhaft ausgestatteten Landschaft wie an der obern Saane, und wenn entbehrungsfreudiger Arbeitsmut ihnen eine Entfaltung zu kräftigem Volkstum gewährte, bevor es aus neuem robụ̈stem Aapu̦tsch heraus rief: fu̦rt daa, jetz chäme wịe̥r!
So wurden die armen Ligurer 2 e̥wäg’buxiert in die damalige Wildnis an dem von ihnen benannten Tu̦r-pach ( S. 36). Ihre Verdränger waren die ebenfalls zu keiner bleibenden Staatskraft 3 gelangten Kelten des Festlandes: die Gallier. 4 Diese hinterließen uns z. B. geographische Namen wie Saane, Wi̦spile, Tschärzis ( S. 17), Afläntsche, Arnen u. a. Zu den Galliern gehörten, wie die Helvetier, so u. a. die Volcae. 5 Ihr Name wurde uns geläufig durch die ahd. Wiedergabe von Walha als Wahla, Wala, d. i. der Fremde ( S. 368). «Fremd» aber war den Germanen der benachbarte Walah als der Kelte überhaupt — etwa so, wie einem Deutschschweizer alle Reichsdeutschen als Schwabe «schwääbele», und wie sie dem Sprachgenossen des Französischen als Alemannen: Allemands gelten. So nennen die Bewohner des Haufendorfes Rougemont d’s läng Dorf gegen den Vanel hin (la rue) aux Alamans. Das der Baslere benachbarte Schwaberied am Chauflisbach aber kann an den Vorstoß der Alemannen aus dem Simmental über die Saanenmöser nach Saanen erinnern. Wie also Walah, Walch (vgl. die «Wälchli» und Wächli im Oberaargau) 6 der benachbarte 422 Genosse eines fremden Sprachstammes ist, so war dem Deutschschweizer walh-isch, welsch, wältsch zur Zeit der mailändischen Feldzüge und Söldnerdienste svw. italienisch; seither ist es svw. französisch oder überhaupt unverständlich. D’s Wältschland ist die französischsprechende Westschweiz, und i d’s Wältscha begibt sich, wer wältsch z’lẹe̥hre begehrt. 6a Das ist mer wältsch! kann es aber auch von irgendeiner unverstandenen Sprache heißen. Sogar ein Schriftdeutsch Sprechender veranlaßte eine niemals aus ihrem Dorfbann Herauskommende zum Hilferuf an einen fu̦rt «G’wäste»: Dụ mangtist daa e n-m Bi̦tz cho z’wältsche! Wie erst, wenn vor Zeiten ein lombardischer Hausierer mit grober Hanfware zum Ausruf reizte: Das ist mir Chụderwältsch. 7 Nur angedeutet sei die Baumnuß als importierte wältschi Nuß (Walnuß; vgl. den Wal [-fisch]). Wältsch ist nun aber Schriftfranzösisch. Und sein Einfluß auf das Saanerische zeigt sich mehrfach. So in der sekundären Vokalkürzung, z. B. ụ̆s und ịn (aus und ein), sị̆ (sein) und g’sị̆ selbst am Satzschluß. Sodann fällt auf, wie der Saaner diese Fremdsprache sogar bei geringer oder mangelnder Schulung vielfach derart spricht, daß mụ ’nḁ chönnti fü̦r ’ne Wältscha näh.
Selbst wer heute noch les Sciernes Picats als d’Schä́rnipịgge̥ und Rossinière ( S. 53) als Ru̦sse̥neiri nachspricht, verschmäht es, gemäß alter Übersetzung Rothenberg und Öösch statt Rougemont und Château-d’Oex zu sagen.
1
Das
ver sacrum: Livius 22, 10, 2f.
2
Hoops 3, 157-160.
3
Im wahren Sinn Demokratie:
Prellw. 113. 242.
4
Pedersen 1, 13 ff.
5
Hoops 4, 423-425.
6
Aw. Nachw. 368. 673.
6a
Vgl.
Tw. 634.
7
Seiler 4, 487.
Wenn der Lauener fährst, fährt zu fehrst und fehrt und sogar weiter zu fẹe̥hrst und fẹe̥hrt verengt, so wandelt er Altfränkisches in Altburgundisches: das einstige Nordostgermanisch dieser Zöglinge eines bittern, aber schließlich doch zum Besten ausschlagenden Völkergeschicks. Wieso? Die Burgundionen, 1 Burgunder besetzten auch das Waadtländer Oberland. Ein Vorstoß drang über La Tine und Vanel ins Saanenland und ins Obersimmental. Im deutschen wie im welschen Sprachgebiet hinterließ dies Wandervolk u. a. eine Spracheigentümlichkeit, welche nur ihm zugeschrieben werden kann: die Brechung der Stammovokale e und o zu ẹe̥ und zu ọo̥, im Deutschen nach germanischer Weise vor-, im Welchen nachbetont. Dem it.-fz. miele, miel (l. mel: Honig) z. B. entspricht Chẹe̥s (= Chees, Käse), dem fz. q uoá (quoi, it. che, l. quid, was?) entspricht «Broo̥t». Dies über Boltigen: Boo̥ltige bis Jaun und nach Abläntschen vorgedrungene oo̥ hat im Saanenland nicht Fuß gefaßt, 423 wie dagegen daß ẹe̥. Nur in dem längst dem Ganzjahr-Verkehr erschlossenen Vorderland Saanen wird ẹe̥ nicht mehr gesprochen. Um so bekannter ist es im Gsteig 2 und Grund, Lauenen und Turbach, wie bei alten Schönriedern. Da tönt dies (von J̣e̥ps = Gips u. dgl. scharf zu unterscheidende) ẹe̥ in Sätzen wie:
D’s Pẹe̥ti Wẹe̥hren ist e̥s gẹe̥bs un es aaṇg’sẹe̥hnds Manndschi g’sị. Es hät scho früej g’lẹe̥hrt mẹe̥ije un ist albe̥ mit der Sääse zu n de n Sẹe̥wlene hinderhi, wẹ nns no ch so starch g’wẹe̥ht hät. Dụ emál a neme Mẹe̥ntig schlẹe̥t e̥s si ch ’mụ ganz gẹe̥j u rẹe̥z uf d’Lụngge; aber von aaṇgẹe̥nds bis ụsgẹe̥nds der Wu̦chche hät er’s̆ e nt’habe; nu̦mḁn ẹe̥ßigs hät er nüt mẹe̥h möge. Und du hät er g’sẹe̥h, daß’s um ĭhn g’schẹe̥hnds ist: daß’s ẹe̥b der Toktor chönni choo (är ist ẹe̥rst am ẹe̥h’re Tag vor Vrẹe̥natag umhi heim g’sị), e̥s äppis mit ’mụ gäbi. Eh nu, hät er g’seit, das mẹe̥chi ja ni̦t vi̦i̦l, mi lästi Stund schlẹe̥t sowiso es Mals, un i hoffe nu̦mḁ no sẹe̥hnsüchtig uf d’s ẹe̥wig sẹe̥lig Läbe.
424 Der gut altsaanerische Chẹe̥s bietet aber einen weitern siedelungsgeschichtlichen Hinweis. Das tut er mit seiner eigenartig weichen, durch den mittlern Zungenrücken und den mittleren Gaumen erzeugten Aussprache des ch, die wir gelegentlich notdürftig mit χ bezeichnen. In Tälern wie Grindelwald erloschen, fristet er ungestört sein Dasein im Gsteig und in der Lauenen — dort bei vorkommender Häufung eine ganze Satzfolge eigenartig durchsetzend, hier für sich charakteristisch isoliert. Solches χ erinnert von ferne an den ich-Laut der Bühnensprache.
Ein anderes ist es mit dem im hintern Turpach (vgl. z. B. S. 124 ff.) zu hörenden ch statt h z. B. in g’chaa statt g’haa, in g’chabe statt g’habe, wie statt g’häbe in Abläntschen, im übrigen Oberland, in Guggisberg.
Bis ins Saanenland und Obesimmental drangen also von Westen her ursprünglich germanische, dann verwelschte Volks- und Sprachelemente. Meister wurden über sie in verschiedenen Vorstößen, deren letzter ins achte christliche Jahrhundert versetzt wird, die Hochalemannen. 3 Und gut alemannisch sind nun unsere weitern Sprachproben. Von diesen hebt sich aber eine eigentümlich altsaanerische Betonung von Wörtern ab, wie Pratti̦k, Arnika. Die Pratti̦k unterscheidet sich als die «dicki Bráttig» — mit den alten Angaben von allerlei medizinischen pratiques — vom Kaländer als der «dünne Bráttig».
Das Saanerische teilt mit dem Obersimmentalischen auch die einzigartige Reflexivform von Vollverben nach Hilfsverben: D’s Höuw mues s sich raatsame; das Wägli soll sich jätte; söttigi Arbeit mag sich wärhe; däär Chuehe tarf sich bịße (ist sehr mürbe und überhaupt äußerst wohlschmeckend). Das spricht sich no ch vi̦i̦l (häufig) u̦s. All dies erinnert an das italienische si puo fumare, si possono aprire le finestre usw. und damit an die einstigen Besiedler der Lombardei, mit denen auch unsere alten Westoberländer namentlich zur Zeit der oberitalienischen Feldzüge und Söldnerdienste (s. o.) in so nahe Berührung kamen. Jahrtausende zuvor aber berührten auch nordgermanische Langobarden 4 unser Gelände, bevor sie den Weg über das Wallis nach Italien fanden. Hier empfing ein lombardischer Name: Amalrich, seine Umprägung zu Amérigo, und nach dem Genuesen Amerigo Vespucci benannte man Amérika: das Amrị́ka (gleichsam «am Rica») der noch geographielosen alten Schulzeit.
1
Hoops 1, 357-361.
2
Das in den
AR 1829 (Gleichnis vom verlorenen Sohn) aufgezeichnete Gsteigerisch wurde dem aus Lenk eingewanderten Vorfahr des
Gürbe-Steiner (
S. 284) abgelauscht. (Arnold Seewer.)
3
Hoops 1, 57-59; Schweiz 341-349 mit Sprachenkarte S. 344.
4
Hoops 3, 123-125.
Der knappsten Auswahl von umgedeutschten Ortsnamen, der wir das zu Broc umfranzösisierte «Brügg» u. dgl. anschließen könnten, folge eine gleich 425 knappe Auslese von Fremdwörtern des Alltagslebens. Wir sị g’loschiert in däm und däm Hŏ́täll u hei intstánte (sofort) aṇg’fange parle̥ mit dem g’fixtiste von allne däne Gäste, wa so a mä̆süre (amĕ́süri, s. u.) glandet 1 sị. Er ist ganz simpel dḁrhar choo, aber ddäzidierta, potz Sapperlimänt! U gẹng mit allmụ gontant (gu̦ntang); es ist es Pläsier g’sị, mit däm kompläsante Maa z’tịschkụriere, e Ti̦schbidátz z’haa, daß apü̦̆pri ( à peu près) im Tụụr um e jeda hät Rächt uberchoo. Ohni Mắlisse un enöuwis Rănggụ̈ne, ohni eina prụ̈tál wälle z’ame̥rtiere und ohni d’rụf ụsa z’pụssiere, Rächt z’haa, hät er eina uber n es apartigs Faktum g’awertiert, geṇg, wo sich eṇ gueti Oggasion b’botte hät, ḁ lsó z’Momäntewịs, schier pár hḁsaar d.
Phot. Nägeli, Gstaad
Als solches Mischmasch würde die in Wahrheit auffällig fremdwörterarme saanerische Grenzsprache sich anhören, wenn nicht die Lehnwörter sich in homöopathischer Verdünnung auf Tausende täglicher Gespräche verteilten. Wie aber besonders ohrenfälliges Lehngut von offenem, nur nicht grammatisch geschultem Sprachsinn eigenartig verwärchet wird, sollen alphabetisch ku̦nterbu̦nt aneinander gereihte Proben zeigen.
426 L’apprêt 2 wurde das Amprett (á) als die Art sich zu geben, die körperliche Haltung. Da al limal ga z’amprịttiere (dieses lästige oder beschwerliche Werk zu wiederholen), das ist en Arti̦kel! Gi b-m mer d’Asche (s̆s̆, la hache, Axt)! Z’mịl le-m Brịgge zerfahren (in tausend Stücke). D’Báßgụ̈le: Ofenklappe ( S. 347). Es Chosimósi: Scharivari. Botz mịl le fịtz (l. vices > fz. fois). 3 Die l. cauda, it. la coda ist die Ggawe̥ ( la queue), Jaun: d’Ggaawe: der Schwanz, d’s Ggäwli das Schwänzchen z. B. der jungen Katze, des Schweins. 4 Der letzte einen Zopf tragende Statthalter von Jaun 5 hieß der Gäwler. La consigne: i ch ha mụ Ku̦ndsịne (Weisung) g’gää, är sölli...
Die Mállisse (s. o.) ist auch svw. Simulation ( der glịhe tue); sich marggiere: sich merken. Matääri (ä́) ist Stoff. La mort: ụf Mord u Brand (bis zum Aufgerieben werden); vgl. z’Mor d g’schlage.
Porteri: siche S. 355. Pratike übt, wer wärweiset (überlegt). Däär hät me̥r da f rị n e Thäärme verzällt.
An diese Dingwörter schließen sich: absụ́rd svw. ungäbig; áffäng, es ist iez (nun einmal) ḁ lsó. Zu einem Kälbchen, das beim Tränken tumm tuet, kann es heißen: du tuescht aber (wieder) so affetụ̈rig! ( S. 170), so uṇgattlich. Äxbrä́ß verübt einer wie absichtlich, so auch mutwillig einen Streich. Sich erhabliziere: sich rehabilitieren. Ferm: fest, tüchtig, gut. Es ist ferwänt 6 es gäbigs Meitli. Frụtte, fäge, pu̦tze: frotter. G’mödelet: in Ordnung gebracht. Da tuet mi ch niemḁ nd pressiere! I ch bi n nit so grụ̈selich pressanta r! Ri̦teriere ( se retirer): sich verteidigen, si ch wä̆hre. Spändiere = spenden. Ver-derangschiert ist ein im Seelenleben Gestörter. Ver-malestiere: einen schlechter machen als er ist.
Von jüdischem Lehngut anderer Idiome spielt nur kooscher, kauscher 7 seine Rolle mit den Deutungen: Es ist me̥r nit kauscher: Ich bin nicht aufgelegt, ich bin unwohl. Da isch’s nit kauscher: da isch’s uṇg’hụ̈rig.
Wie wenig man aber aus solch magerem Lehngut etwa auf mangelnde Bibelkunde schließen dürfe, zeigt u. a. der Zuruf an einen Burschen, den man sonst als em bösa Kärli, einen Chnụ̈ß oder dergleichen anredet: bu bist mer f rị n e Holofférni! 8
1
a
d-r-riv-és.
2
Vgl.
Aw. 536.
3
M-L. 9307.
4
Schwz. Id. 2, 38; 3, 580.
5
73.
6
Urverwandt mit «brennen» (
Walde 286) ist
fervēre: wallend sieden,
fervens: energisch hervortretend sich betätigen;
ferwänt: überaus, sehr (gut, schön usw.).
7
Spätjüdisch
kōschēr: recht, tauglich, rituell rein.
8
Holofernes, Feldherr der Assyrer unter Nebukadnezar, verwüstete ganze Länderstriche bis an die Marken des jüdischen Landes und bedrohte dieses, bis er von der Heldin Judith, der Trösterin des Volks, als hilflos Besoffener auf seinem Lager enthauptet wurde.
Für mịn du̦u̦he ist nun Zeit, zu einigen Eigentümlichkeiten der Lautbildung überzugehen. Dies du̦u̦he, nach weichem Laut: tü̦̆he, alt dunkan als Ablaut zu denken: täähe und danken: taahe gehört einer großen Wortgruppe an, deren n ursprünglich die Gegenwartsform charakterisieren half (vgl. denke: ich dachte, habe gedacht: i ha ’täächt), aber auf dem Umweg über die (auch dem Saanerischen keineswegs fremde) Nasalierung ganz verschwand. So in häähe, schäähe, in trĭ̦he, träähe, Traach usw. Um so zäher hält sich n als Übergangsvermittler vor Schlaglauten, und zwar so, daß es vor g, k zum ṇ, vor b, p zu m sich wandelt, wie jede Seite unseres Buches weist. Ja, im Wortinnern verstärkt zugehöriges n sich mit d: Inndergsteig, Donnderstĭ̦g, tonndere, Hüendli, Kamị́ndli, Männdli, Steindli, entsprechend dem Chrum-p, dem Raṇ-k. Dagegen wird nn zu einfachem n, so daß der Saaner i ch b’chän ne nḁ usw. spricht. Ganz wie er der Chrom me sagt, wie er al leinig spricht und rr nur als r gelten läßt: ver rüehre, Spar re, Dü̦r ri usw. Desto umständlicher spricht auch der Saaner das r, wie das l der Stammsilbe derart, daß die dazu genommene Zeit unwillkürlich den Vorvokal, zumal das a und ä längt: d’Wääld (die Wälder), der Bäärg.
Mögen die ungezählten Einzelausdrücke einer Mundart dieses oder jenes Ursprungs sein: sie sind zumeist kaum übersetzbar. Sie liegen zu tief im Leben einer enggeschlossenen Sprachgemeinschaft verankert, als daß sie anders als mit andeutendem z’märke gää dem Fremden zur Not nahe gebracht werden können. Das eine und selbe Wort kann an ganz verschiedene Sinnesvermögen appellieren: rääß, reez, rẹe̥z an Geschmack und Gehör und Gesicht, räble an Gesicht und Gehör. Dem Bergler räblet ein Weidetier über Steingeröll und Mauertrümmer; dem Unterberner beleidigt das «räble», das «G’räbel» das Ohr, als polternd durcheinander geworfenes Gerätewirrwarr auch das Auge. An sein Ohr wendet sich auch das ch-räble, als dessen Wortgenosse der Chrä̆wel dreierlei bedeutet: 1. den äußerst steilen Aufstieg nach dem Bissenstalden, 2. die Kralle, 3. das mit drei Eiszinken bewaffnete Gerät zum Auflockern der Gartenerde. 1 Der schrijend Graabe S. 24 ist sowohl der wa brüelet, als der in mächtigen Bogen über die Felswand hinaus sich stürzende Bach.
428 Der verstärkende Vorschlag all solcher ch- entspricht dem viel weiter verbreiteten sch- und s-t in sch-läcke, sch-räcke, strecke usw.
1
Der ahd.
crowel (tridens) neben dem
crouwel (
Gäbeli) und dem
crouwil (Dreizack):
Graff 4, 585.
Das Reich der Wortbiegung betretend, merken wir uns vorab die Mehrzahlformen -i weiblicher Dingwörter wie Frau, Fraui oder genauer: Fru̦w, Fru̦wwi, Tächter, Tächteri usw. Männliche und fachliche Mehrzahlen auf a z. B. Maa, Manna. Dabei wird -el zu -la: Nagel Nägla, Rĭ̦gel Rĭ̦gla, Stri̦gel Stri̦gla usw., der Bi̦rlig: d’Bi̦rliga, der Öhrlig, d’Öhrliga, der Mänslig, d’Mänsliga, der Donnderstig, d’Donnderstiga, der Sambßtig, d’Sambßtiga. Solches -iga übertrug sich analogisch auf Wörter wie der Mu̦ni, d’Mu̦niga, und sogar auf die Mehrzahl von Geschlechtsnamen. Alle Älle n zusammen heißen d’Ällna oder aber d’Ällniga, wie d’Möschiga (s̆s̆), d’Öhrliga, u.a.
Die Eigenschaftswörter lauten in attributiver Stellung gemäß dem Schema der guet Maa: di guete Man na, di gueti Frau: di guete Fraui, das guet Chind: di guete Chind; in prädikativer Stellung: di Manna sịṇ guet, di Fraui sịṇ guetụ, di Chind sịṇ gueti.
So im Werfall. Der nächstverwandte Wenfall kennzeichnet sich altsaanerisch durch seine Beibehaltung im männlichen Artikel de n: (de̥r bzw.) de̥ n, d’ (= b oder g’), d’s: de̥r Maa bzw. de n Maa; d’Tanta (b’Frau, g’Chatz), d’s Büßi. Die ursprüngliche Funktion von «der, die, das» als zeigendes Fürwort ist eine doppelte je nach der Betonungsart: dää r Báum daa, dịe̥ Fläsche n daa, dás Glás daa; dä́r Baum da hät hụ̈r traage! dịe̥ Chi̦rsche n da ist eṇ gueti! dás Höuwli da hät schön d’dor ret! In die Funktionen teilen sich di̦sa, dĭ̦si, di̦tz (dieser hier usw.) und d’r ander, di andri, d’s andra (jener, jene, jenes).
Wemfall: I chume va’m Bärg. I ha’s dem Maa, dem Chind, de̥r Frau g’gää; wäl chem Maa? wäl chem Chind? wälmụ? dĭ̦se̥mụ; welcher Frau? dĭ̦sera.
Mụ (man) hät ’mụ’s allze g’gää, was mụ g’habe hät. Dieses «man» führt uns über zu «ich, du, er» usw. in ihren verschiedenen Betonungsgraden: I ch gi̦be ’mụ’s. Wer? ịe̥ch! Dụ̆ gi̦ bst ’mụ, was dụ gääre n wo lltist. Wär? Eh, dụe̥! Nimmt e̥r’s̆ ächt? Eh, er würd wohl! So n en Eigeliha ist äär de nn no ch nit! Was wei we̥r wätte, wi̦r sịn de nn no ch di Aaṇg’füehrte? Ja, wịe̥r! Wär: ịe̥hr? I hr sị̆t g’schịder wan däwääg! — G’sehst das Chind? Gụgg, wi ’s lächlet! wị ’s e̥s 429 G’frääseli macht! Ja, ääs, das Chrottli! Wär ist sị n Mueter? Sị̆ ist g’storbe, ja wäger i̦sch schị̆.
Wenfall: mị̆ ch, mịch, mịe̥ch. Was will dị ch tŭ̦he (dünken)? Miech für miech hätti’s nụ̈t b’langet, bis... Ja, dịe̥ch! Ihn, ’nḁ (ahd.: ina); sie: sị, sịḁ; ihns, i̦i̦s; ü̦ns; ụ wch. Wemfall: me̥r, mir, mịe̥r; de̥r, dịe̥r; ’mụ (alt: imu), ihmụ; ’rụ, ihru. I ha ’mụ g’rüeft.
Weßfall, als nunmehriges Possessiv: mi n Vatter, eh mịn! Es hät mi ch des Possis ’tụret, und wenn ihrer mehrere sind: däre Possene n. Jez gi̦ bts ’rụ (deren) vi̦i̦l.
Phot. Marti, Bern
Ja, der echte Saaner geht weiter und gießt echt genitivisches «mein, dein, sein» in eigene Formen um: Är hät si ch mịsse n aagnoo; mịssetwä̆ge; es hät mi ch dịsse ’tụụret. Wịe̥r b’sinnen u̦ ns sịsse n; daneben: sịne r. Du häst di ch sịsse n oder sịne rn erbaarmet; so geht es weiter: ü̦nße r, ü̦wße, ihrụ. Diese Genitive heben sich also scharf ab von: mị n, dị n, sị n, ihra, ü̦nsi (ü̦nsa), öuwi (öuwa), ihrụ Mueter, Brueder. «Wäm ist das?» frägt der Unterberner; der Oberländer: wässe? Antwort: das ist mị́s, dị́s, sịs, ihra, ü̦nts, öuws, ĭhrụ. Däär Öpfel ist mịna, dịe̥ Chi̦rsche mịni, daas Äärti mịs usw. Ihra Hụs = ihrụ Hụs.
Zahlwörter: E Maa, e Frau, es Chind; nụmḁn éi n Maa, éi Frau, éis Chind; es Maa’s Wị̆bli, ere Frau Tächterli; ei ns Gu̦rts, ei’r Gattig. Zwöö, zwoo, zwẹe̥, zweu, z’zweune (zu zweien); drei: drụ̈i, drụ̈ịụ. Wi mängere bist e̥bchoo? Drụ̈ịne. Wi mänga Maa? vier, fü̦ü̦f, fụ̈f (La.: fööf), säx, zähe, eindlef, zwänz’g, hunde̥rgg (vor Zungenlauten: hundert), tụisig, fü̦fu nd-zwänzg; wie mengi Frau? vieru, wi mängs Chind? vieri usw.
Kein, -e, -es: ke Maa, ke Frau, kes Chind. Wirklich? Ja ja, keina, keini, keis, gar e̥keina, e̥keini, e̥keis. 1 Kei rächta Maa rädt soo. Doppelte Verneinung als deren Verstärkung: zwöö Bursche (s̆s̆), u kena nụ̈t nu̦tz! Mụ cha n keimụ nụ̈t trụ̈we. Vgl. ụn ü̦nser ei’s soll nie nụ̈t haa,
All Manna, ja, all! All Fraui, allụ! Alli Chind, alli. Mụ mueß dem Tod alli (= wir alle) erwarte. Alles: allz, alze; alls z’säme.
1
Aus n-ich-ein (mit irgendein):
Weig. 1, 1019 f.
Bis vor einem Menschenalter lebte auch in Saanen (wie in Guggisberg) als Rest der Mitvergangenheit des Verbums «sein» das alte wăs (= war), 1 welchem Romang die Mehrzahl «wasen» anglich. In sehr wirksamer Andeutung vertritt dagegen auch hier die Möglichkeitsform der Mit- und Vorvergangenheit vielgebrauchter Zeitwörter die Wirklichkeitsform auch der Gegenwart: So, da wẹe̥r ich, da wẹe̥re we̥r. So, daas wẹe̥ri (wẹe̥) g’machts (es ist endlich, nach großem Einsatz von Mühsal, da)! I hätti, i bräächti, schickti daa ne Rächnig, «wenn» i ch törfti (sie zur Bezahlung vorlegen). Handelt es sich dagegen um bloße Möglichkeit, so tritt die Gegenwart oder einfache Vergangenheit ins Spiel: Mụ seit, mụ wollt haa, mụ vertrị̆bt, es sịgi, es heiji (heigi), es chä̆mi, mụ heigi g’seit, es sịgi g’seit worde. G’seit sịgi: es ist bässer, är schwị̆gi usw. Heij’ (heigi) e̥r g’seit, was er wälli, e̥s ist me̥r glịch.
Die Zukunft wird mit der Gegenwartsform ausgedrückt: i ch chu̦men dẹ nn moore n «na ch de n fü̦ü̦fe». «Er würde kommen, wenn» heißt dann eben wieder: er χẹe̥mi, käme.
Scharf geschnitten lautet die Befehlsform: chŭ̦m! gang! mach, daß geist! fu̦rt! abb! hopp! ále! wost oder wolltist ächt?
An gangan, gân, gaa 2 lehnt sich standan, stân, staa in der Redensart: wi̦ n i gaa n u staa, wi̦ n due geist u steist, wi̦ n 431 e̥r geit u steit, wi̦ we̥r gaa n u staa, wi̦ sị gaa n u staa; unterbernisch: gang u stan͜d.
Haa, alt hân ist altes habên: i ch ha, du hest, er het, älter: du häst, er hät, wir hei, ihr heit, si hei; i heiji (heigi), du heijist usw., nunmehr wie unterbernisch: «i heigi», «wir heige» usw. Weiter: i ch hätti, ich hätte aus altalemannischen habêtî neben «ich hatte» aus habêta. Da die Form mit a sich altdeutsch auch in der Gegenwart als habêm, hab-ês-t habêt durchsetzt, muß hest, het, hei (und noch kürzeres he: wir he g’mẹe̥ijt) auf ein mit «haben» sinnverwandtes «heben, hob, gehoben» zurückgeführt werden. So ist ja «haben» in der Bedeutung auch mit «halten» verbunden: hab (halte)! hab ụf (steh auf)! hab fest! verhab (verhalte); i ch ha g’gässes g’habe, g’haa, g’chaa. Si cha’s ethaa, eb’haa (halten, festhalten); sie hei vi̦i̦l uf ’ne; sie hei das Zugrind g’habe (gepflegt); en guet g’habni Frau (wohlgehaltene); sich dra haa; är hät sich uber nḁ g’haa (gebeugt); hinn-d-erhabe (zurückgehalten); hab dana, hab fu̦rt (halte weg)!
Bụwe biegt «stark» in i ha b’bụwe (als Bauherr, «Bụwmeister» bauen lassen), «schwach» in i ha b’bụwet (als Bauarbeiter).
Ein paar Eigentümlichkeiten der Zeitwortbiegung: Er hät g’waxe. Es hät Sturm g’lụ̈tet (neben g’lụ̈te n). I han daas g’wü̦sse, aber: i ha ’mụ g’rüeft. I han daas ’funde (ge-funden). — Sie hein das Tier ’töötet (statt «’tööt’t»),
Stark geht also i ha g’wü̦sse (gewußt, daß...). Es erinnert damit an müeße usw. als: i ha müeße, sölle, wälle, chönne, törffe, möge.
Unter den sechs Hilfszeitwörtern spiegelt wollen = wälle seinen Bedeutungsursprung in Wahl, d’Wäli (d’Wĕli), dagegen müeße in Mues (Zugeteiltes, Gebührendes); 3 sölle in Schuld (vgl. «Soll und Haben»); 4 chön ne in Kunst und Chunst; dürfen = törffe in «dürf-tig» und Not-durf-t, sowie in «Be-darf». Und so stellt sich zu möge (alt: mugen und mogen, mügen und mögen): i mag, du magst, er mag, wịe̥r möge usw., ich mochte, i möchti, i ha möge (gemocht), einerseits die «Mach-t» über etwas und «Vollmacht» zu etwas, anderseits die mügelicheit und das ver-mügen: die Möglichkeit und das Vermögen, einen neuen Zustand zu bewirken. Also: Ịe̥tz mag i ch ’nḁ n de nnm bald: ringe ihn zu Boden. I ch mag ’nḁ scho n ịe̥z in dieser oder jener Leistung. Wenigstens mag i ch ’mụ zuehi: komme an Intelligenz ihm nahe. Jenes zu vollbringen, gelänge mir dagegen nicht: i möchti ni̦t dḁrzue! Vorübergehende 432 Hindernisse einer Tätigkeit, eines Tuns: Ich sollte oder i möchti gäären das und das tun, aber ich bin unpäßlich: u̦ nmu̦gelich, u̦mögelich. Schlimmer noch, wenn es mir an Lust dazu fehlt: aba, i mag ní̦t! I mág eifach ni̦t, was weit e̥r! was wi̦ll mụ! Und zu diesem Menschen fühle ich nicht nur keine Neigung, sondern direkte Abneigung: I mág ’nḁ nit! Auch dieses Essen und dies Getränk widersteht mir: I mag’s nit! Jene dagegen mag ich, un i möchti no mẹe̥h dḁrvaa n. Zu dieser Leistung fehlen nicht Lust und Wille, aber Kraft: das mag i ni̦t al leinzig g’wärhe, g’fergge, g’meistere. Oder es fehlen mir die ökonomischen Mittel: i vermag’s nit. So wi só mag i ní̦t g’choo: wie selbst meine größte Eile mich nicht rechtzeitig zum erstrebten Ziele bringt, so langt mein Vermögen nicht zu diesem Erwerb.
I ch chịe̥fi (chüe̥ffi, würde kaufen) neben i ha g’chauft; ferner: i mịe̥chi, du mịe̥chist usw. (ich würde machen) neben i ha g’macht.
1
«So dir geschenkt ein Knösplein was...»
2
Seine noch streitige Wortgeschichte:
Weig. 1, 654 gegen
Kluge 164.
3
Walde 471;
Kluge 323;
mhd. Wb. 2, 2, 269 ff.;
Aw. 353.
4
Kluge 429.
I ch bi n ’mụ ga zueluege mälhe. Ịe̥hr g’sẹe̥ht nit mẹe̥h guet lääse.
Was bist am fụge? (Was schaffst du da?) Was bist du am chloostere (liederlich kochen)? Sị ist grad sich am aaläge. — Die auf Mäuse lauernde Katze ist u̦f der Zälg g’sị z’passe. Gerüchte Nachplappernde hei nahi g’rädt, ohni g’meint (z’haa) z’fẹe̥hle. So z’säge ns di ganzt Zịt.
Wegfallende Mittelwörter der Vergangenheit: Er ist i’ n Stall (g’gange). I ch bin ụf(g’stande) usw. gegenüber wirklichen Partizip, das sowohl an verbaler wie dingwörtlicher Biegung teilnimmt: No ch stẹe̥nds u scho n lĭ̦ge- nds Ee̥md.
Wenn is dä n zerschŏßne Wälbilade ha müeße g’sẹe̥h... Si hät an der Schággétte e n Chnopf abg’schri̦ßna. En aaṇg’gụn ni (e ntg’gu̦n ni) Fläsche ( S. 206). Wir hei g’nueg g’gässe ns u ’trụhe ns g’habe, un d i han abtrange ns (abgrụmts) un d abg’wäsche ns (s̆s̆). Mit voll g’gäßnem Bụch. — E ’trŏgna Blätz (Ackerstück, das größer ist und mehr Arbeit verursacht, als man meinte). Er ist ung’gäßna fu̦rt (ohne gegessen zu haben).
E n mager ’taandi Chue. Heu, das wir glücklich vor dem Gewitter ịtands g’habe hei.
Gerüstet heißt g’rụst: das Mittel ist g’rụsts, der zum Ausgang Bereite ist g’ru̦sta, wie sie g’rụsti ist; vgl. auch ung’fraut = ung’freut zu «froh». Er hät nit e g’frauti Aabeweid (keis g’frauts Alter).
Zu den der Mundart im höchsten Maße eigenen Schöpfungen von Tätigkeitswörtern, die genau verschriftdeutscht höchst befremdend klingen würden, leistet auch das Saanerische seinen Anteil. So z. B. in: es wĭ̦derwärtet me̥r (ist mir widerwärtig); es heigi ’mụ da öpper der Wäärchzụ̈g vernü̦steret 1 (nicht nur vernu̦u̦schet, sondern durch wühlendes herumstöbern unauffindbar gemacht). Zu hange stellt sich hängen als wirklich faktitives häähe und g’häächt neben beiwörtlich gedachten g’haacht (vgl. S. 393). Beiwort statt Tätigkeitswort: I ch bin u nmögeliha zur Arbeit (i ch ma g nit mẹe̥h); er ist e tuenliha Maa, der sich auf einen verantwortungsreichen Posten laat tue; und eṇ gä̆biga Maa, der zu ehrenhaften Dienstleistungen sich gern und willig her gĭ̦ bt.
Wie lebensvoll in der Mundart die schriftdeutsch oft verblichenen Vor- und Nachsilben die verbale Bedeutung erhalten helfen, zeigt z. B. neben ver- das ihm oft gleichsinnige er-. Es ist mer afa verleidet oder erleidet, da gẹng nu̦mḁ...! Wie aber er- im Grund svw. vollbetontes aus = ụs ist, zeigt z. B. es ergĭ̦ bt, es ist ergĭ̦blich: es gĭ̦ bt wóhl ụs, gĭ̦ bt guet ụs. Die Mehrdeutigkeit des ụs- zeigt sich in ụsstaa als «ausstehen»: 1. aus der Mitte der Fahrbahn hinaus, um einem Gefährt ụsz’wịhe n; 2. als Arbeiter, als Diener seinen Platz verlassen und den Meister im Stiche lassen; 3. ein unfreundliches Geschick bis an dessen Ende hin-aus: us ni n ertragen. Letzteres ụsstaa (= uṣg’staa) ist auch ein ụshaa = ụshalte, während ụsstaa im erstern Sinn das ụshaa des G’fehrt zur Rechten oder Linken entspricht. Es het rächts, um einem begegnenden Gefährt auszuweichen, hät linggs, um ihm voorz’fahre.
Reihen wir gleich hier dieses voor und das ihm wortgeschichtlich gleiche fü̦ü̦r an, um den Einfluß der Betonungsart auf die Wortgestalt zu zeigen. Jener Landwirt hatte Überflüssiges fü̦ü̦r oder fü̦rig und hat für Absatz keine Gelegenheit la fü̦ü̦r gaa. Ich sprach ihn an, als er bei mir voor dü̦ü̦r ch (seitwärts vornen durch) ging. I ha me̥r fü̦ü̦rg’noo, ihn fü̦̆rschig (plötzlich, bald) zu fragen, wás fĕr Auswahl er zu bieten habe, fü̦r dáß ich die gute Gelegenheit nicht versäume. Denn diese war zu kostbar, fü̦r dáß (als daß) sie sich mir vo̥r ụ̆si (künftig) nochmals geboten hätte. Fe̥r wás auch hätte ich sie sölle la vo̥rbi gaa?
Volltoniges, darum unverkürztes Vorwort: Hi̦nḁ cht häst ụmhi äppis ván der ’taa (indem du im Traum heftig um dich schlugst). Wart, i 434 chụme mi̦t de̥r! I lauffe nä̆ben de̥r! Wa du haar chu̦nnst, weis s i ch nit.
Gegenteilige Enttonung schuf die adverbial gestutzten Dingwörter wie obiges hi̦nḁ cht 2 ( hiu nachtu: in dieser Nacht), entsprechend dem hiu tagu, welches zu «hü̦̆t» und hụ̈̆t geworden ist. Vgl. auch ẹmḁl aus ein Mal und diese ganze Reihe mundartlicher Zusammensetzungen.
Wie in solcher der betonte und der enttonte Teil sich zu einem gemeinsamen neuen End- und Anfangslaut einigen können, zeigen in interessanter Weise «etwa, etwas, etwer» in eppḁ FÖ., oppa Gst., appa La., Bss.; eppĭ̦s Kh., äppịs Gd., eppe̥r FÖ., sonst zumeist öppe̥r.
Unberührt bleiben dagegen t und w in dem sehr angelegentlich ausgesprochenen «entweder oder»: eitwäders̆ — ol d. Wie das im Saanerischen aussterbende ol d, oberhaslisch old (l. aut) ein drittes ausschließt, so verdrängte «entweder» das einfache «weder» 3 (wäder), wederi, wäders̆ in dieser Bedeutung eina, eini, ei’s va zwööne, zwoone, zwöine (va-m bẹe̥dne). Eine Hausfrau fragt demgemäß z. B.: Wädera Hahne (dieser Brut) wei wer b’haa? Wäderi Hähne leit schöönderi Eier? Wäders̆ Ei ist d’s gröösera? I ha mi b’sinnt, u̦f wädera Bärg i ch mis Chuehli sölli gä z’sü̦mmere. Er ist gẹng fụla, wäder we nn’s z’frässeṇ gi bt. — Auch «weder — noch» klingt gut saanerisch z. B. in: wäder Wịßes no ch Schwarzes han i ch g’sẹe̥h (gar nichts).
1
Schwz. Id. 4, 846.
2
heint:
Weig. 1, 838.
3
Kluge 485.
Bestätigungen nüchterner Aussagen: Jaa’s g’wu̦ß... Jaa gwü̦ß! Jaa n ị̆s gwü̦ß! Su̦ g’wü̦ß a ls i ch läbe! G’w̦üß, gwü̦ß. Ja wóhlḁ n. 1 Jaa, nu̦ jjaa! Jaa nu̦ su̦ de nn! B’hüet ĭ̦s (Gottes) Trost! B’hüet is jaa! Wohl, miṇ Ggótt wohl! Ohó! jaa sso! Jaa’s Gótt oder jaa’s Gótt lịch! (Aus lîch als Leib. 2 )
Für «ja» gilt gelegentlich mhm! (Das «Summerwort, für das s eimụ̆ d’Bräme nit i d’s Mụl fleuge n».) Ebenso für «nein»: eä̆ eä̆! ( eĕ eĕ)!
Ausrufe der Bewunderung: Das ist mịneidisch guet! 3 — Dies wählerische, verwöhnte Tier ist verfluecht schnäderfrẹe̥ßigs! Es het e verfluechta Flatz g’schnị̆t. I bi verfluecht oder verflüecht müeda. Verhüllungen: Mi Seel = mi Sex! Mi Tụ̈ri! Mi Sex Tụ̈ri! Bi Gott = bi Góst! Bi̦’m Tụ̈ifel = bi’m Tü̦tschel, 435 bi’m Tụ̈gger! Eh d’s Tụ̈ggermä́nt! Ja, bi̦’m Tụ̈ggerlimä́nt! Oh jaa, Tụ̈ggermä́nt ja! Das Sakrament als Heiligtum entstellt zunächst zu Sackermä́nt und dies zu versackermä́ntisch. Potz Sacker! Oh d’s Sackerlót, ja schier (s̆s̆)! O Herr Jesus = o Herr J̣e̥se̥s! o Herr Jent!
Nachdrucksvolle (emphatische) Verstärkungen: Das grụ̈selich schröckelich chịhe des grụ̈selich schröckelich chrächcheliche und tschi̦tterbäre Wị̆blis. Das von einem schụ̆derhafte U̦ṇg’hụ̈r veranstaltete grụ̈selich schröckelich Gebräschel dieses Steinbruchs.
Gegensätzliche Abschwächungen: ferm ( S. 71) und toll. 4 Die Alten erfreute e̥s fästs u ferms u tolls z’Nacht, zu welchem diesmal es tolls g’ahigs Brot ( S. 253) nicht fehlt. Warum auch nicht? Die Kühe schäähe toll ịị n, g’sẹe̥h toll ụs, sie sind toll wohl, sie sind tollụ, sie wären jetzt auf dem Markt toll tụ̈rụ, zumal die Preise toll g’hööijet hei. So war’s noch vor einem Jahre nicht. Da hatten infolge einer Seuche die Tiere Graswuchs auf Wiesen gefunden, die wegen schattiger Lage lang in den Sommer hinaus no ch toll lätzụ sị ( S. 6). Da hei sị toll g’schlächtet.
Der Begriffsumfang dieses toll kann an böös 5 erinnern.
Breite Ausführlichkeit: Der Tag i mịnem Lä̆be (während der Frist meiner Lebtage, mị Läbetag) han i nụ̈t soo g’sẹe̥h. Under der Zịt (unterdessen); aber: d’s ganz Zịt ( S. 140). O min Zịt u Stund! Das sigi Ụs un Ame g’sị. (Es sei unmöglich gewesen.) Er wẹe̥ri guet 436 u rächt, aber... Er sölli so wohl u nd-gguet sị u zum G’vi̦chtli (luege), sü̦st...! Sälber un einzig d’Sach mache. Vi̦l ud di̦ck (oft). Z’vi̦l u z’fäst (fest). Er hät stịff u fäst b’härtet, es sịgi só. Dieses fest als altes Beiwort fest-i gleichgestellt dem Adverb fast-o: nụ̆mḁ z’fást. Über «eher» 6 geht das alsdann halbtonige fast in die Bedeutung «beinahe» über: fast gár. So berührt es sich mit schier: schier z’wü̦st Tü̦ü̦r un Ange n; neei, schiér nit! 7
Zu schier stellt sich das mit Gla-nz, und Gla-st wortgenössige gla-tt iSv. ganz, dann (wie «fast»): sozusagen, beinahe: glatt übel isch’s̆ ’mụ g’gange. Bis zueha: bis jetzt. Fụ̈r-schi̦g ist svw. bald, plötzlich.
Ausdrucksfülle: mit sant (samt), z. B. «Härdäpfla mit sant de̥r Schi̦nte n ässe» leitet über zu Verdoppelungen wie ganz, ganz nụ̈t. Diese Negation wird bekanntlich durch Verdoppelung verstärkt: nie nụ̈t, niena nụ̈t. Bi̦ Fụe̥ge ni̦t (absolut nicht).
Begriffsverstärkungen: flätsch-foodnáß oder flätschg’foodnáß, flätschdräcknáß; brandchohlschwárz, oder chohlschwarza r, brandschwarza r Hunger; glüeije ndchräbsrot; zü̦ntirot; tụbewịß; botz Heitiblaau (ei, ei)! Es blu̦ttvolls Chü̦̆bli Milch (so voll, daß sein Schaum die Milch zu decken, zu «bekleiden» Platz findet).
Übertreibung (Hyperbel): D’s Saanedorff ist ḁ lsó chalts, daß bị n ere Fụ̈rs̆bru̦nst am ẹe̥rsten Augsten e Chatz uf e̥me Sinzen (Gesims, S. 345) erfroren ist. Dem Glückspilz chalberet no der Schịtstock ( S. 197) oder der Zü̦ü̦gstuehl. Ich werde kommen, u we nn’s Chatzi hagleti u Bu̦ndhäägge schnị̆ti. Das ist übrigens «keineswegs unmöglich». Denn ịe̥z hät’s afa allz Wätter g’macht; nŭ̦mḁn un den ue̥ha (vom Boden aufwärts) g’haglet hät’s no ch niemale n.
Spott und Stichelei: Är hät allz g’stŏhle, was er b’stri̦chche u b’soge hät; nụmḁ wen n er glüeijig Nägla hät i d’Fingra uberchoo, hät er schi fu̦rt’trĭ̦ben u g’seit: (sị sị) ni̦t mịner! — G’schị̆t sị ist e schöni Sach; aber g’schị̆der wa n g’schị̆t ist verfluecht dumm. — Wär fụ̆länzet, där choorbet. — Wer nụ̈t tuet, lĭ̦smet.
437 Humor: Der Lu̦ft hät ụsg’holffe (das Ritzhöuw, S. 117) z’sämetue. Der Huesten ist ’ra g’stande, aber der Aatem oo ch. — Sị hei mi ch drụ̈i Jahr wäl le fụxe, aber i ha’s g’rắd (sofort) g’märkt. Nit um hu̦nde̥rgg Würst gẹe̥b ich z. B. meinen Schlaf. — Tru̦mpẹe̥teṇgold; e Tru̦mpẹe̥terschluck. — Der Laliburger (Lappi) vertu̦mmet allz.
Phot. Marti, Bern
Breite Ausführlichkeit: D’Fingra schläcke n-m bis zu n den Ällboge. Ga Bb’reihi chauffe fü̦r ’ne Fü̦ü̦fer soll der Holzspalter. — Pụri bari bloßi Milch, Wahrheit usw. Es pụrs̆ bars̆ Gift. Mit Liecht u Lantärneṇ ga suehe. Mit Bi̦tt u Bbätt aahaa. Z’Bịtzen u z’Brosme zerschlaa. — Es ist Stein u Pickel g’froore. G’sund u nd g-grächt. Pru̦nt u hässig.
438 Verkleinerungen: So, iez bist lang gnueg g’si̦tzelet u g’läuffelet; schlääffele jetz rooti Bäckeleni («erschlafe» sie). Da ist afa dịs z’Nachteli; de nn gi bt’s no ch es Guetse̥li un als es äxtra Güetseli (Güetsi) no ch n es Hämpfi Münzetẹe̥fe̥le̥ni für dịs Hüesteli; das ist mẹe̥h wärt weder d’s Nü̦̆ggi. So, und dḁrmit p’häcklen i di ch ịe̥z, i d’s Hu̦schi mi̦t de̥r! Da drẹe̥ijelen dich zu mene Chru̦geli oder sogar Chrü̦̆gi (Kügelchen) u lĭ̦gele n es Tu̦li. Neei! g’strackti müeße d’Beindleni u d’Füeße̥le̥ni sị, u d’s Chöpfi soll sich mit dene si̦dige Häärelene i’ n Sprụ̈wersack ịmbö̆hrele. So, un iez träumele u lächchele eme̥nen Ängeli e̥s Grüeßeli e ntgäge. Daas gü̦ggelet di ch deṇ n ganz lustig aan u gi̦ bt de̥r uf d’s Mụ̈li es Mü̦ndscheli u strịchlet de̥r d’Bäcke̥ni noch u seit: Gäll, moore fölgelist de nn schön!
Es Gü̦tti Milch ( petite goutte) als es Schlü̦cki; es Chö̆r neli oder es Grụ̈̆si Brot ( S. 300). Der Atlantische Ozean hieß gerade zur Zeit der sechswöchigen Beschiffung «die Pfütze»: d’Gü̦l le oder d’Bütze («der groß Glunte», Gb.).
1
Raafl. 25.
2
Kluge 284.
3
Altdeutsch der und das
mein (Falschheit, Verbrechen, Frevel). Wissentlich falscher Eid.
Weig. 2, 161.
4
Vom normalen Stand abweichend: von Sinnen und Besinnung, nicht sachgemäß erwogen und gewogen, die gewohnte sachgemäße Schätzung überschreitend. Vgl. l.
fallere bei
Walde 268, Deutung 2;
Kluge 460.
5
Weig. 1, 271; vgl.
Schwz. Id. 4, 1705-1721.
6
Schwz. Id. 1, 1112.
7
Aus der Wurzel
skî:
schị-ne geht mhd.
schîr hervor:
schịnig, glänzend, lauter, rein, hell (
Wb. 2, 2, 159); vgl. Eier auf ihre Befruchtung hin durchleuchten:
schiere; den Fußboden rein machen: scheiern, scheuern (
Graff 6, 536 f. unter
scior). Ohne das bewegliche
s̆:
heiter, heiß, -heit: (glänzender) Stand (
Walde 107 unter
caelum, ciel). Ein Mittelbegriff aber wie: hell und klar im Geiste, «scharfsinnig» und «eifrig im Aufspüren» (
Kluge 397) führt über zur Bedeutung von
sciari, scēri als schnell,
g’lähig. Das entsprechende Adverb
skêro, sciaro,
schier ist svw. schnell (
schwz. Id. 8, 1183-1193). Wer aber «schnell» eilt, kommt «bald» ans Ziel, erreicht es wenigstens «beinahe»,
fast oder
schier.
Ausdrucksfülle und bloße Andeutung: I ch b’chän ne ’nḁ (unterscheide ihn) va n sim (zum Verwechseln ähnlichen) Bruder. Er ist e̥keinist (lange Zeit nicht) choo. Er ist läng Stü̦cka (lang) nụ̈̆t z’brụhe g’si. Sövel (so viel) eṇ gueti Chueh.
I däähe, i wälli nu̦ n den n einist vaṇ gaa säge (mich zum Abschied anschicken).
Mị Tokter, nit li̦ngga (sondern sehr geschickt), wußte sofort Rat. Nit roota (sondern vor Schrecken bleich) verließ ich die Unfallsstätte. I bi nụ̈t der grööser. I chan daas nit ḁ lsó schön, a ls äär. So, bist du nit (g’lustig) d’rŭber? I mues vór (den Richter). I weis nit, waa (das ist).
Häärter (nahezu, sozusagen, eher): Er ist häärter en Äsel! No ch grad blöößelich (bloß soeben). Zịtlich (bei Zeiten).