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IX. Die Musik

Zwar haben auch die Römer, wie jedes höher organisierte Volk, seit den ältesten Zeiten Musik und Gesang gehabt; aber die bescheidenen Instrumente, die ohne Zweifel einfachen Weisen verstummten in den Tempeln wie auf den Bühnen vor den reicheren und kunstvollen Klängen griechischer Musik. Gegenüber der aus der Fremde eingeführten, hoch entwickelten Kunst konnte die einheimische sich nicht behaupten. Eine römische Musik, insofern damit eine Kunst im höheren Sinne des Worts gemeint ist, hat es nie gegeben, sondern nur eine auf römischen Boden verpflanzte griechische.

Die Kunst, welche die Römer von den Griechen überkamen, war von der modernen Musik wesentlich verschieden und hatte keineswegs deren Bedeutung, schon wegen ihrer viel geringeren Selbständigkeit, ihrer entschiedenen Unterordnung unter die Dichtkunst, mit der ihr Zusammenhang ungleich inniger und umfassender war als gegenwärtig. Der musikalische Vortrag war für die meisten Gattungen der Poesie ein notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der Kunstform, auch für solche, die nach heutigen Begriffen von der musikalischen Komposition ganz ausgeschlossen sind. Juvenal nennt den Dichter den, welcher tönende Wortkunst mit melodischen Weisen verknüpft.

Es ist bekannt, daß die antike Tragödie und Komödie weit mehr Ähnlichkeit mit Oper und Singspiel hatte als mit unserm rezitierenden Schauspiel. Das römische Drama enthielt außer bloß gesprochenen Szenen musikalische unter Begleitung der tibia vorgetragene ( cantica), und zwar sowohl rezitativische als eigentliche Gesangsszenen; auch wurde es wohl in der Regel von einer Ouvertüre eingeleitet. Die ganze lyrische Poesie war für musikalischen Vortrag in Begleitung von Saiteninstrumenten bestimmt: es waren eben »Gesänge zur Lyra«. Dies gilt nicht bloß von den Oden der griechischen Lyriker, wie Anakreon, Sappho, Alcäus, die in der Kaiserzeit allem Anschein nach häufig gesungen wurden, sondern auch von denen des Horaz: er selbst nennt sie »Worte, die sich den Saiten gesellen sollen«; und da ihre Bestimmung für Gesang mit Instrumentalbegleitung unzweifelhaft ist, dürfen wir auch ohne ausdrückliche Zeugnisse annehmen, daß sie gesungen wurden. Aristides erhielt von Äskulap im Traume die Anweisung, sich auf Lieder und Gesänge zu legen, zu musizieren und dazu Knaben zu halten: er dichtete auch im Auftrage des Gottes (sowie der Athene) Päane und Hymnen auf verschiedene Götter, welche dann von seinen Knaben gesungen wurden. Und wenn die Hendekasyllaben des jüngeren Plinius unter Begleitung der Lyra und Kithara gesungen wurden, so wird man von den Hendekasyllaben des Catull dasselbe glauben dürfen. Zur anakreontischen Poesie gehören die Verse des Dichterkomponisten Seikilos, die auf seinem in Aidin (bei Tralles im westlichen Kleinasien) gefundenen Grabdenkmal mit darüber gesetzten Noten und rhythmischen Zeichen eingemeißelt sind. Der musikalische Vortrag elegischer Gesänge unter Begleitung des Aulos ist für die ältere Zeit mehrfach ausdrücklich bezeugt: auch die paränetischen Elegien des Theognis wurden so vorgetragen, er selbst sagt, daß junge Männer den Namen des Kyrnos zum Ton der kurzen Auloi singen würden; ebenso sind die Elegien des Mimnermus, Phoklydes, Tyrtäus gesungen worden. Ovid spricht die Hoffnung aus, daß seine Heroiden in Zukunft mit kunstvoller Stimme gesungen werden würden. Gellius beschreibt ein Gastmahl, das ein reicher, junger, aus Kleinasien gebürtiger Musikfreund auf dem Lande bei Rom gab. Er besaß vortreffliche Chöre von Knaben und Mädchen, die nach der Tafel »in lieblicher Weise« viele Gedichte von Anakreon und Sappho und anmutige Liebeselegien neuerer Dichter sangen und auf der Kithara begleiteten. Wenn also elegische Distichen auch damals gesungen wurden, so ist der bei demselben Gastmahl stattfindende Vortrag von Distichen der alten römischen Dichter Valerius Aedituus, Porcius Licinus und Q. Catulus durch den Rhetor Julianus ebenfalls als wirklicher Gesang zu denken: nur daß eben der antike, wesentlich rezitativische Gesang sich der Deklamation mehr oder weniger näherte, daher auch die Ausdrücke »singen« und »sagen« abwechselnd von demselben Vortrag gebraucht werden konnten. Die ausdrückliche Nachricht, daß Vergils Eclogen auf dem Theater von Sängern vorgetragen wurden, kann nach all diesem nicht anders als buchstäblich verstanden werden. Solche Vorträge wurden oft von rhythmischen Gesten begleitet, so daß die Darstellung eine halb musikalische, halb ballettartige war. Ovid wurde im Exil durch die Nachricht erfreut, daß seine Gedichte oft auf dem Theater mit Beifall »getanzt« würden. Obwohl wir über diese Darstellungsweise nichts Bestimmtes wissen, ist es doch nach der Analogie der Pantomimen sehr denkbar, daß der Text z. B. der Heroiden etwa von einem Chor gesungen wurde, während ein Tänzer den Inhalt pantomimisch ausführte. Und auch wenn vom »Gesange« der Epen Vergils und Homers die Rede ist, wird man an wirklichen Gesang zu denken haben, der sich freilich der Rezitation hier noch mehr genähert haben mag als bei den übrigen Gattungen.

Auch im Mittelalter blieb die Poesie lange mit der Musik aufs engste verknüpft. Die französischen Jongleurs des 12. und 13. Jahrhunderts sangen ihre Romanzen zur Begleitung der Viole oder Rotta (ein der Kithara ähnliches Saiteninstrument). Wie in Frankreich trat auch in Deutschland erst allmählich eine Scheidung zwischen Singen und Sagen, zwischen dem musikalischen und dem bloß rezitierenden Vortrage der Gedichte ein. Gesang und Instrumentalmusik waren gewöhnlich verbunden, und noch der Dichter der höfischen Zeit hatte nicht bloß die Worte, sondern auch die Weise zu erfinden, die er auf der Harfe, der Rotte oder der Fidel begleitete. Noch zu Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Epen des Ariost (wie des Tasso) überall in Italien gesungen und, wie es scheint, mit der Laute begleitet. Der Gesang der Serben ist »mehr ein Sagen als ein Singen: der eintönige Klang des begleitenden Instruments, der Gusle, das nur eine Saite hat, fällt erst zu Ende des Verses ein«.

Die Ausdehnung des musikalischen Vortrags auf fast alle Formen der Poesie im Altertum setzt ein Verhältnis zwischen Musik und Text voraus, das von dem gegenwärtig bestehenden ganz verschieden war. Während in der heutigen Gesangskomposition zu Zeiten wenigstens die Musik den Vorrang vor dem Texte behauptet, war es in der antiken gerade umgekehrt. Gegenüber dem poetischen Text hatte die Melodie nur eine sekundäre Bedeutung, wie Rhythmus und Versmaß: wie diese war sie nur ein formelles Element der Komposition, wobei allerdings zu bedenken ist, daß die Form in der alten Kunst einen ganz andern Wert hatte als in der modernen. Also auch in der Vokalmusik, die allein im Altertum eine reiche und kräftige Entwicklung gehabt hat, hatte die Melodie kein selbständiges Leben, ihr Wert lag in der Treue, mit der sie dem Text angepaßt war, in der Wahrheit und Angemessenheit der Deklamation, sie muß eben, wie gesagt, wesentlich rezitativisch gewesen sein. »Dies zeigen besonders die neu entdeckten delphischen Hymnen, wo die Linienführung der Melodie durchaus durch den Sprachakzent in ihrem Steigen und Fallen bestimmt ist. Dieser rezitativische Stil scheint der vorherrschende gewesen zu sein. Es gab aber auch schon sehr früh einen Melodienstil, der sich von dieser Bevormundung durch die Sprache frei machte, wie er sich in einem der ältesten und dem jüngsten Beispiele der uns erhaltenen Gesangskompositionen (einem Fragment aus dem Orest des Euripides und dem Liede des Seikilos) zeigt. Soweit wir über diese Fragen ein geschichtlich begründetes Urteil haben, verdankt die Musik diese Emanzipation dem jüngeren Dithyrambos, dem sich Euripides angeschlossen hat. Beide Stilarten scheinen dann bis tief in die römische Kaiserzeit nebeneinander weiter geblüht zu haben« (Crusius).

Das griechische Tonsystem hatte einen sehr viel geringeren Umfang als das unsere, dessen höchste und tiefste Tonlagen ihm fehlten. Für die Singstimme ward als Äußerstes der Umfang zweier Oktaven angenommen, doch bewegte sie sich am liebsten und besten innerhalb einer einzigen.

Außer dem Gesange der Einzelstimmen kannte das Altertum nur den Chorgesang. Aber dieser war von jenem nur dadurch verschieden, daß der Vortrag der Melodie durch eine größere Stimmenzahl verstärkt wurde; denn er war unison und Mehrstimmigkeit des Gesangs dem Altertum überhaupt unbekannt (wie es die Harmonie den Griechen und Orientalen noch heute ist); erst das christliche Mittelalter ist dazu gelangt. Es gab im antiken Chor nur eine Verschiedenheit in Oktaven, wenn Männer und Knaben oder Männer und Frauen zusammen sangen. Der Chor wurde von einem in der Mitte stehenden Dirigenten geleitet, der gewiß immer zugleich Vorsänger war und dem es natürlich hauptsächlich oblag, die Singenden in Takt und Einklang zu erhalten. Während aber über den Mangel dessen, was wir Harmonie nennen, im Gesange kein Zweifel sein kann, scheint nicht bestritten werden zu können, daß die Instrumentalbegleitung sich schon in der klassischen Zeit auch heterophon, also abweichend von der Melodie des Gesangs, bewegen konnte. Nur darf man diese Begleitung (welche höher lag als der Gesang) nicht für eine mehrstimmige halten. Es handelte sich vielmehr lediglich um eine vom Spieler vorgenommene Auszierung der Melodie des Sängers, nicht um eine selbständige Kontrapunktierung.

In der Instrumentalmusik lag der Schwerpunkt nicht im Zusammenspiel mehrerer Instrumente, sondern im Solospiel, also in der Wirkung des einzelnen Instruments, der Virtuosität des einzelnen Künstlers: schon dies beweist hinlänglich, daß die ganze Gattung in der klassischen Zeit nur kümmerlich entwickelt war. Ebenso macht die Einfachheit oder vielmehr Dürftigkeit der instrumentalen Mittel es vollkommen begreiflich, wie sehr diese Musik dem Gesänge untergeordnet war und bleiben mußte. Denn sie war im wesentlichen auf zwei Instrumente beschränkt, die Kithara und den Aulos, alle übrigen standen außerhalb der eigentlichen Kunst, wie Hörner und Tuba, die besonders zur Schlachtmusik, Zimbeln, Pauken und andere Lärminstrumente, die besonders zu bacchischen Festlichkeiten verwandt wurden. Der Wasserorgel, einem spät erfundenen Luxusinstrument, scheint in der römischen Kaiserzeit ein Platz unter den künstlerischen Instrumenten eingeräumt worden zu sein, wie sie denn auch (allerdings wohl eben nur in Rom) zur Preisbewerbung in musikalischen Wertkämpfen zugelassen wurde. Daß ihre Ausdrucksfähigkeit als nicht unbedeutend galt, bezeugt Quintilian, der ihren Tönen die Macht zuspricht, das Gemüt des Hörers anders zu stimmen, aufzuregen und zu beruhigen.

Unter den Blasinstrumenten war der Aulos ( tibia) das eigentliche Instrument der Künstler und Virtuosen, namentlich der alexandrinischen. Es war bekanntlich keine Flöte, sondern ein Rohrblattinstrument, und zwar mit doppelter Zunge, unseren Schalmeien und Oboen entsprechend. Sein Ton war nicht sanft und milde, zum Ausdruck der Trauer und Zärtlichkeit geschaffen, sondern wird als keck und leidenschaftlich, wild und aufregend geschildert: doch darf man bei diesen Schilderungen nicht vergessen, daß sie mit Rücksicht auf den farblosen Klang der antiken Saiteninstrumente gemacht sind.

Die Saiteninstrumente, Lyren und Kitharen (nahe verwandte, daher auch identifizierte Formen derselben Gattung), waren Instrumente ohne Griffbrett, mit Darmsaiten oder Tiersehnen (Metallsaiten waren dem Altertum unbekannt), deren Zahl sehr allmählich auf elf, dann gelegentlich auf achtzehn stieg. Daneben fand eine Menge von orientalischen Harfen in Griechenland Eingang, die alle mehr oder minder dem assyrisch-hebräischen Psalter ähnlich gewesen zu sein scheinen. Keine derselben erlangte die Bedeutung der Lyren; diese, die man in sehr verschiedenen Größen hatte, »waren in der griechischen Musik, was die Geigeninstrumente in der unsern sind, die auch in allen Größenabstufungen die Töne von den tiefsten Tiefen des Basses an bis zur höchsten Höhe des Diskants beherrschen«. Gespielt wurden die Lyren teils mit den Händen, teils mit einem kleinen Schlaginstrument (Plectrum), das, wie es scheint, nur bei der Begleitung des Gesangs angewandt wurde, nicht bei der instrumentalen Kitharistik, da sich Läufe und schnelle Passagen mit den Fingern besser ausführen ließen. Die Kunst, Saiten mit dem Bogen zu streichen (eine Erfindung der Araber), ist dem Altertum völlig unbekannt geblieben.

Lyra und Kithara nun, deren Tonwirkung und Ausdrucksfähigkeit wir uns nur als eine nach jetzigen Begriffen höchst geringe vorstellen können, nahmen in der griechischen Instrumentalmusik unbestritten den ersten Rang ein. Auch deshalb hatte die Kithara ein höheres Ansehen als der Aulos, weil sie schwerer zu spielen war. Ihr wandten sich die Virtuosen hauptsächlich zu, die Technik war trotz der beschränkten Kunstmittel (wie auch beim Gesange) eine schwierige, um so mehr Bewunderung fand eine vollendete Ausführung. Ausgezeichneten Kitharaspielern wurde nachgerühmt, daß sie die Saiten mit beredtem Finger durchliefen und sie gleichsam wie mit menschlicher Stimme ertönen ließen.

Kithara und Aulos wurden auch verbunden, sowohl zu selbständigem Zusammenspiel als zur Begleitung des Gesangs. Bei den Römern begleitete der Aulos allein mehr den dramatischen, die Kithara den nichtdramatischen Gesang, namentlich lyrische Chöre. Überhaupt war anerkannt, daß dieselbe Gattung des Gesangs nicht für Kithara und Aulos passe. Auch die Verbindung von Instrumenten derselben Gattung zu selbständigem Spiel kannte bereits die ältere griechische Musik; es gab u. a. eine Hochzeitsmusik für zwei in Oktaven gestimmte Auloi, einen größeren und einen kleineren, die durch ihr Zusammenspiel die Harmonie der Ehe und zugleich den Vorrang des Manns ausdrücken sollten.

Wie groß der Abstand aber auch vom Zusammenspiel des Aulos und der Kithara zu unserm Orchester, von antiker Instrumentalmusik zur modernen Symphonie ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Zunächst tritt auch hier jene Eigentümlichkeit der antiken Kunst hervor, die durch ihren strengen Idealismus bedingt ist und durch welche sie sich nicht am wenigsten von der modernen unterscheidet: die ungemeine Sparsamkeit in den Mitteln, mit denen sie ihre Wirkungen erstrebt. Aber auch in ihren Zwecken sind moderne und antike Instrumentalmusik grundverschieden. Gewisse Stimmungen und Empfindungen ausdrücken und hervorrufen, das allerdings wollte und vermochte auch jene; und auch zu einer gewissen Mannigfaltigkeit des Ausdrucks befähigten sie (namentlich in der späteren Zeit) ihre Mittel. Aristides Quintilianus teilt die Instrumente in männliche und weibliche. Unter den Blasinstrumenten gehört zu den ersteren die Trompete (Tuba), zu den letzteren der phrygische Aulos, zwischen beiden stehen der (tiefere) pythische, der mehr Männliches, und der (höhere) Choraulos, der mehr Weibliches hat. Unter den Saiteninstrumenten ist die Lyra männlich, die Sambyke (mit kurzen Saiten und hohen Diskanttönen) weiblich, das Polyphthongon nähert sich der letzteren, die Kithara der ersteren. Zwischen diesen die Hauptcharaktere repräsentierenden Instrumenten stehen dann wieder noch andere. Im allgemeinen galt als Wirkung der Saiteninstrumente eine Erhebung des Geistes in eine Sphäre friedlicher Ruhe und ungetrübter Klarheit, als Wirkung der Blasinstrumente eine Steigerung der Affekte. Der Aulet Canus, der in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts als unerreicht galt, und von dem die Äußerung berichtet wird: wenn seine Zuhörer wüßten, wie viel mehr Genuß sein Spiel ihm selbst als ihnen bereite, würden sie ihn dafür nicht bezahlen, sondern sich bezahlen lassen, rühmt bei Philostrat von seinem Instrument (dem pythischen Aulos), daß es vermöge, die Trauer zu lindern, die Freude zu steigern, den Liebenden noch mehr zu entflammen, den Andächtigen zu erheben.

Aber niemals hat die antike Musik sich die Aufgaben auch nur gestellt, welche die moderne Symphonie mit ihren freilich unendlich reicheren Mitteln löst: sie, die den Hörer auf alle Höhen, in alle Tiefen des Gemütslebens trägt, durch den Ausdruck des Unaussprechlichen erschüttert und rührt, die finstern Geister und die Lichtgestalten beschwört, die um die Herrschaft in der Menschenseele ringen. Schon J.M. Gesner erklärte, daß sein Kollege an der Thomasschule Johann Sebastian Bach allein mit der Orgel Wirkungen hervorzubringen vermöchte, die viele Zitherspieler und sechshundert Flötenbläser nicht zustande bringen würden; und obwohl »ein besonderer Verehrer des Altertums«, meinte er, daß ein Bach, und wer ihm etwa gleiche, viele Orpheus und zwanzig Arions in sich vereinige. Vollends von einer Beethovenschen Symphonie mit der elementaren, hinreißenden und schmelzenden Gewalt ihrer Tonfluten zu den einfachen Klängen der Kitharen und Auloi kann der Abstand nicht geringer gedacht werden, als von einem der großen Gemälde von Raffael oder Michelangelo mit ihrer Gestaltenfülle, ihren großen Licht- und Schattenmassen, ihrem gewaltigen Inhalt und hinreißenden Ausdruck zu den einfachen und anspruchslosen, wenn auch oft edlen und anmutigen Figuren griechischer Vasenbilder.

Doch unternahm allerdings schon die griechische Instrumentalmusik auch ohne Gesangbegleitung Handlungen darzustellen, wie in der für den Aulos ohne Gesang gesetzten sogenannten »pythischen Weise«, die den Kampf Apolls mit dem Drachen zum Gegenstand hatte und aus fünf Sätzen bestand. Im ersten Satz erkor sich der Gott den Kampfplatz, im zweiten forderte er den Drachen heraus, der Gegenstand des dritten war der Kampf selbst: hier ahmte der Aulos die Trompetenstöße der Schlachtmusik und das Zähneknirschen des von Apollos Pfeilschüssen getroffenen Ungeheuers nach. Der vierte Satz enthielt den Sieg, im fünften tanzte der Gott den Siegesreigen. Der als Kitharöde berühmte Milesier Timotheus hatte in seinem Dithyrambus »Nauplios« einen Seesturm musikalisch darzustellen versucht; freilich spottete der Aulet Dorion: er habe schon in siedenden Kochtöpfen größere Stürme gehört.

73. MITHRAS-OPFER.
Marmorrelief aus der Sammlung Borghese. Paris, Louvre

Insofern überhaupt von einer Weiterentwicklung der griechischen Musik bei den Römern die Rede sein kann, ist diese auf keinen Fall ein Fortschritt in künstlerischem Sinne gewesen. Sie bestand, wie bei allen übrigen Künsten, die von griechischem auf römischen Boden verpflanzt worden sind, in einer Verstärkung oder vielmehr Vergröberung der Mittel und in einer Vermischung heterogener Elemente zu zwar stärkeren, aber auch unreineren Wirkungen, wie sie dem roheren Geschmack der Römer zusagten. Schon in Augustus' Zeit war der Aulos durch Verlängerung des Rohrs, Vermehrung der Löcher und Messingbeschlag ein Instrument geworden, das mit der Tuba wetteifern konnte, und unterschied sich wohl vom alten Aulos nicht weniger als ein jetziger Konzertflügel von den kleinen Spinetten unserer Urgroßeltern. Und diese Verstärkung der Klangwirkung beim Aulos dürfte entsprechende Veränderungen im Bau andrer Instrumente sehr bald zur Folge gehabt haben; wenn auch freilich erst Ammianus Marcellinus von Lyren »so groß wie Karossen« spricht.

74. SILBERPLAKETTEN, DEM MITHRAS GEWIDMET.
Gefunden in Ballar Hissar in Galatia. London, British Museum

Außer den Verstärkungen der einzelnen Instrumente war es ebensowohl die massenhafte Vereinigung von Instrumenten derselben Gattung wie das Zusammenspiel von zahlreichen verschiedenen, wodurch starke Wirkungen erzielt wurden. Jenes war mindestens schon in der Diadochenzeit, namentlich am Hofe von Alexandria vorgekommen, wo Ptolemäus Philadelphus bei einer riesenhaften, überprächtigen Prozession unter anderm einen Chor von 600 Männern aufführte, unter denen 300 Kitharisten zusammenspielten, die durchaus vergoldete Kitharen und goldne Kränze trugen. Wahrscheinlich war auch das Zusammenspiel verschiedenartiger Instrumente bereits in Alexandria nicht ungewöhnlich, da es ja der ägyptischen Musik seit urältester Zeit eigentümlich war. Schon in den Monumenten des Alten Reichs sieht man Saiten-, Blas- und Schlaginstrumente zusammenwirken, zuweilen auch gleichartige, z. B. zwei Harfen, acht Flöten usw. Noch glänzender und prächtiger als im Alten ist das ägyptische Musiktreiben nach den Darstellungen auf den Monumenten im Neuen Reiche. »Die Orchester dieser Epoche sind zahlreicher besetzt, Harfen mischen ihre Töne mit Lyren, mit Flöten, mit Doppelpfeifen, mit Gitarren und Handpauken«; wobei übrigens vorwiegend Frauenzimmer als Spielerinnen und Sängerinnen erscheinen. Schwerlich unterließ der prachtliebende Hof von Alexandria, seinen zauberhaften Festen und Aufzügen durch die deren Charakter so angemessene einheimische Instrumentalmusik noch höheren Glanz zu geben.

75. SACRIFICIUM DOMESTICUM.
(Opferhandlung am häuslichen Herd.) Rom, Palatin, Haus der Livia

In Rom hatte ungriechische Musik schon früh Eingang gefunden. Schon seit den Feldzügen in Kleinasien spielten Weiber (in deren Händen die Musik im Orient von jeher in erster Linie war) bei Gastmählern und Gelagen die Sambyke, und später strömten syrische Musikantinnen ( ambubaiae, vom syrischen abbub Pfeife), die sich auf öffentlichen Plätzen mit ihren heimischen Instrumenten (Pfeifen, Saitenspiel und Pauken) hören ließen, immer zahlreicher nach Rom. Die babylonische Sackpfeife wird in Rom erst in der Kaiserzeit erwähnt (Nero wollte sich darauf hören lassen), mag aber ebenfalls dort schon lange bekannt gewesen sein. Am meisten dürfte jedoch seit dem Anfang der Kaiserzeit der Einfluß der ägyptisch-alexandrinischen Musik zur Neugestaltung der römischen, besonders der Instrumentalmusik, beigetragen haben. Alexandria blieb auch unter den römischen Kaisern der Sitz eines reichen und mannigfaltigen musikalischen Lebens. In Rom standen alexandrinische Sänger und Spieler schon seit Augustus' Zeit in hohem Ansehen und errangen die größten Erfolge. Ein von dort stammender Virtuose auf dem Trigonon, einem harfenartigen Instrument, der sich etwa zu Ende des 2. oder Anfang des 3. Jahrhunderts in Rom öffentlich hören ließ, erregte eine allgemeine Begeisterung, sehr viele wußten die von ihm vorgetragenen Melodien auswendig. Aber schon 30 Jahre nach der Eroberung Ägyptens sangen in Rom die Frauen alexandrinische Melodien ebenso allgemein wie Theaterarien, und zu Ende des 1. Jahrhunderts wurden die ersteren von römischen Stutzern neben denen der gaditanischen Ballette geträllert.

76. PARADE RÖMISCHER RITTER, ZWEIGE UND FASCES TRAGEND, MUSIK VORAN.
Opferung eines Schafes am Jahrestag der Schlacht am See Regilus. Marmorrelief. London, British Museum

In der letzten Zeit der Republik werden allerdings »Symphonien« und die sie ausführenden Musikchöre ( symphoniaci) häufig erwähnt, namentlich bei schwelgerischen Gelagen und üppigen Festen. Doch dürften diese Chöre damals ausschließlich aus Kitharisten und Auleten bestanden haben. Zur Einführung einer eigentlichen Orchestermusik in das römische Theater hat vielleicht die Erfindung des Pantomimus (22 v. Chr.) den Anlaß gegeben. Hier wurden die von den Tänzern dargestellten Texte von Gesangschören vorgetragen, und diese Chöre verlangten, zumal in sehr großen, unbedeckten Theatern, dem ganzen Charakter des vorzugsweise auf sinnliche Wirkung berechneten Schauspiels gemäß, eine sehr starke Begleitung. Sein Begründer, Pylades, war auch der Begründer des neuen römischen Theaterorchesters. In diesem wird der Aulos das führende Instrument geblieben sein, wie die Violine in dem unserigen, doch wirkten in rauschenden Tutti Syringen und Zimbeln, Kitharen und Lyren – also wie in den ägyptischen Orchestern – mit ihm zusammen. Der Takt wurde bei der Begleitung der Pantomimen wie auch zu andern Tänzen durch das an den Fußsohlen der Choristen befestigte, laut schallende scabillum angegeben: ein Orchester, das durch ein solches, im Chor ausgeführtes Takttreten nicht völlig verschlungen wurde, konnte unmöglich schwach, freilich auch diese Musik kaum etwas andres als eine geräuschvolle Darstellung des Rhythmus sein. Übrigens hat sich die Unempfindlichkeit gegen das Geräusch des lauten Taktierens auch im heutigen Italien bis zu einem für Nordländer erstaunlichen Grade erhalten.

Allem Anschein nach war also die Veränderung, welche die griechische Musik in Rom erfahren mußte, um den dort an sie gestellten Ansprüchen genügen zu können, wenigstens teilweise eine Orientalisierung. Jedenfalls blieb in der römischen Musik das Zusammenspiel verschiedener Instrumente so gewöhnlich, wie es in der griechischen (abgesehen von der Verbindung von Kithara und Aulos) ungewöhnlich oder unerhört gewesen zu sein scheint, und zwar sowohl bei der reinen Instrumentalmusik als bei der Begleitung des Gesangs. In der Zeit des Horaz hörte man in Tempeln der Venus Gesänge mit Begleitung der Lyra, der Pfeife und des berecyntischen Aulos, und in der Zeit des Athenäus an den Parilien, die seit Hadrian als Fest der Göttin Roma gefeiert wurden (21. April), in der ganzen Stadt Gesänge zum Schall der Auloi, Zimbeln und Pauken. Maximus von Tyrus vergleicht die Homerische Poesie wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Eigenschaften und Wirkungen mit einem panharmonischen Instrument, oder besser mit einem Orchester, in dem Aulos, Lyra, Tuba, Syrinx und noch manche andere Instrumente zusammenwirkend einen Gesangschor begleiten.

Auch Aufführungen von Vokalmusik fanden im kaiserlichen Rom mit kolossalen Mitteln statt. Seneca sagt, daß in seiner Zeit bei solchen Aufführungen mehr Sänger im Theater versammelt seien als ehemals Zuschauer, daß Sänger und Musiker nicht bloß die Bühne, sondern alle von den Zuschauern nicht besetzten Räume füllten, daß die Begleitung aus einer Menge metallener Blasinstrumente bestand, die im Zuschauerraum, und aus Auloi und Orgeln aller Art, die auf der Bühne aufgestellt waren. Erinnert man sich, daß die Theater Roms 7000-12.000 Zuschauer faßten, so darf man glauben, daß diese Aufführungen selbst englische Monstrekonzerte an Dimension noch sehr übertrafen. Der Geschmack für musikalische Massenwirkungen scheint auch in der späteren Zeit nicht abgenommen zu haben. Ammian, der die Aristokratie Roms in seiner Zeit als höchst musikliebend, aber aller übrigen geistigen Interessen bar schildert, sagt, daß in den großen Palästen Wasserorgeln und Auloi aller Art und (jene schon erwähnten) Lyren »so groß wie Karossen« gebaut wurden.

Mit der Verstärkung der Mittel stand es in Wechselwirkung oder doch im Zusammenhange, daß die Musik in Rom je länger je mehr ihre sittliche Würde einbüßte und zu grobsinnlichen Effekten, zu gemeinem Ohrenkitzel mißbraucht wurde. Den Charakter der altrömischen Theatermusik in der Zeit des Livius Andronicus und Nävius bezeichnet Cicero als den einer »lieblichen Strenge«. Sie mag sich zur Musik der Kaiserzeit verhalten haben wie eine vormozartische Oper zu einer Oper von Meyerbeer oder Wagner. An die Stelle der alten Gebundenheit und Dürftigkeit trat bald eine größere Freiheit der Rhythmen und Weisen, Abwechslung und Mannigfaltigkeit der Modulationen, Reichtum und Bewegung der Melodien. Doch diese Emanzipation von der altmodischen Einfachheit der Kunst führte, wie es scheint, schnell zum Verfall; wozu hauptsächlich die Herrschaft des Pantomimus auf der Bühne beitrug, dessen Musik als weichlich, würdelos, lasziv und voll von Geschmetter und Getriller geschildert wird. Ernstere Kunstfreunde in den ersten Jahrhunderten wiederholten – und ohne Zweifel mit viel größerem Recht – die Klagen, die schon in der Zeit des Aristophanes und seitdem stets von neuem laut geworden waren: die Alten hätten die Würde der Kunst zu bewahren gewußt, die jetzigen Komponisten wollten von ihrem Ernste nichts wissen, durch sie sei statt jener mannhaften und göttlichen Musik eine entnervte und plaudernde ins Theater eingeführt worden. Dort, sagt Plutarch, herrsche die Tanzkunst, die sich fast die ganze Musik untertan gemacht habe; und Quintilian meint, daß die weibische und unzüchtige Theatermusik nicht am wenigsten dazu beigetragen habe, den Rest von männlicher Kraft zu vernichten, den das damalige Geschlecht noch besaß. Dagegen heißt es an einer andern Stelle, die Verweichlichung und Verzärtelung des Gehörs, das in schmählicher Weise gestreichelt und gekitzelt sein wolle, sei als eine Krankheit anzusehen, und sie habe die Musik verdorben.

Kurz, die Klagen über den damaligen Verfall der Musik lauten denen sehr ähnlich, die im 19. Jahrhundert von den Vertretern einer ernsteren musikalischen Richtung vielfach geäußert worden sind und noch geäußert werden. In der Tat waren die Erscheinungen hier und dort verwandter Natur. Schon vor 100 Jahren sprach es Thibaut in seiner »Reinheit der Tonkunst« aus, daß in der Musik »unvermerkt mit vollen Zügen genossen werde, was durch den Pinsel oder durch Worte dargestellt schon ehrenhalber zurückgestoßen werden müßte«. »Wüßten viele unserer tugendhaften Mädchen, was sie oft hören, oder selbst oft spielen oder singen müssen, so würden sie in Scham und Unmut vergehen.« Schon damals eiferte er gegen das »Nervenschwache, Wilde, Ungereimte und Gemeinverliebte« in der Musik, gegen das »krampfhafte, verzerrte, übertriebene, betrübende, rasende Unwesen, welches in den Menschen alles Schlechte hervorwühlt«; fragte, ob uns die Musik, deren Hälfte Unnatur und eine Mischung ungesunder Elemente ist, nicht mehr schade als nütze; sie könne sich am wenigsten rühmen, daß sie an der jetzigen Verbindung keinen Teil gehabt habe. Not tue es, durch Rückkehr zur Einfalt und Natürlichkeit den erschlafften musikalischen Nerven gehörige Spannkraft zurückzugeben, und neu zu beleben, was am Aussterben sei: »den reinen Sinn für Musik als Musik und den veredelten Sinn, der durch die Musik geläutert und gehoben, aber nicht in Gemeinheit und Unnatur hineingeführt und befestigt sein will«. Sehr denkbar ist übrigens, daß im Altertum der Sitz jener weichlichen Musik, deren Überhandnehmen damals so sehr beklagt wurde, Alexandria war.

Wenn aber die Römer die Kunst zum Werkzeuge des Sinnenkitzels herabwürdigten, so muß man ihnen wenigstens den Ruhm lassen, daß sie ihre Ausbeutung zu diesem Zwecke vortrefflich verstanden haben. Wie alle übrigen Künste, haben sie auch die Musik in viel weiterem Umfange zur Erhöhung des Lebensgenusses, zur Verschönerung der Existenz verwandt, als dies gegenwärtig geschieht und geschehen kann. Denn nur durch das Institut der Sklaverei war jene massenhafte Verwendung der Kunst im Dienste des Luxus möglich; nur dadurch, daß die Künste, die wir als ein köstliches Produkt selten vereinter Faktoren, als die höchste Blüte unsres Geisteslebens zu betrachten gewohnt sind, damals von Sklaven auf Befehl der Herren und nach der Anweisung der Aufseher in Masse erlernt und geübt wurden. Unter den Sklavenheeren römischer Großen, die wenigstens zum Teil aus hochkultivierten Ländern stammten, konnten Begabte und Bildungsfähige niemals selten sein: und in der antiken Kunst konnte weit mehr durch Unterricht mitgeteilt und durch Erlernen angeeignet werden als in der modernen. So war es denn auch nicht schwer, aus den Hunderten oder Tausenden von Sklaven eines vornehmen Hauses, wie früher in Rußland aus noch zahlreicheren Leibeigenen, Kapellen von Sängern und Spielern aller Art zu bilden und durch Ankauf neuer Künstler zu ergänzen, die übrigens auch durch Verschenkung und Vererbung aus einer Hand in die andre gingen, was ebenfalls in Rußland geschah, wie zum Beispiel Potemkin dem Grafen Rasumowski ein Musikkorps von 50 Mann für 40.000 Rubel abkaufte. Chrysogonus, der reiche Freigelassene Sullas, hatte unter seinen Sklaven so viele Musiker, daß die ganze Umgegend seines Hauses Tag und Nacht von dem Schall der Gesänge, des Saitenspieles und des Aulos erfüllt war. Bei kleinen Ausflügen zu nahe gelegenen Orten begleiteten Sänger- und Musikchöre die Herrschaft; die Villen, die von der vornehmen Welt besuchten Badeorte hallten vom Morgen bis zum Abend von Gesang und Spiel wider. Mäcenas ließ sich durch sanft aus der Entfernung herübertönende Klänge von Symphonien in Schlummer wiegen, Caligula unter dem Schall von Chören und Instrumenten auf Prachtgaleeren von den sanften Wellen des Golfs von Neapel schaukeln.

Vor allem bei Tafel, wo man mit allen Sinnen zugleich genießen wollte, durfte Musik nicht fehlen; sie blieb hier bis in die letzte Zeit des Altertums gewöhnlich und gereichte nicht selten den Gästen zur Qual. Ihr fragt, sagt Martial, wie ein Gastmahl am besten einzurichten sei? Indem man den Chorgesang mit seiner Begleitung wegläßt. Wenn bei üppigen Festen große Chöre zu den Kastagnettentänzen schöner Andalusierinnen ( Gaditanae) sangen, bei den heitern Mahlzeiten eines gelehrten Kreises griechische Sänger und Sängerinnen Lieder von Sappho und Anakreon zur Kithara vortrugen, so läßt doch auch der jüngere Plinius dem einzigen Gaste, den er zu einem einfachen Mahle ladet, die Wahl zwischen einer Vorlesung, einer Lustspielszene und Saitenspiel; und Martial, der im dritten Stock zur Miete wohnte, verspricht einem Freunde, die äußerst frugale Kost, die er ihm vorsetzen werde, wenigstens durch das Spiel des kurzen Aulos zu würzen. In welchem Übermaße musikalische Genüsse vollends bei den Festen ungebildeter Emporkömmlinge geboten wurden, zeigt die (schwerlich sehr karikierte) Schilderung des Gastmahls des Trimalchio bei Petron, die freilich aus einer Periode herrührt, in der wirkliche und affektierte Liebe zur Musik besonders verbreitet war. Hier erfolgt die ganze Bedienung der Tafel und der Gäste unter Gesang und Musik, selbst das Auftragen und Herumbieten der Speisen, das Abfegen und Abwischen der Tische usw.: »Man mußte glauben, nicht in einem Privathause, sondern im Theater zu sein.«

Musik fand in Rom von jeher bei allen Kultushandlungen und Schauspielen statt. In der Kaiserzeit scheint es bei den Tempeln griechischer und orientalischer Gottheiten (wie z. B. der Großen Mutter und des Attis) eigene Hymnensänger ( hymnologi) gegeben zu haben; namentlich im Kult der Isis spielte die Musik eine große Rolle. Doch einen Unterschied zwischen heiliger und profaner Musik hat das Altertum nicht gekannt und konnte ihn nicht kennen, da die Schauspiele einen Teil des Gottesdienstes ausmachten und dieser durchaus einen heiter festlichen Charakter hatte. Vielleicht ist es Mendelssohn in dem Chor des Paulus »Seid uns gnädig, hohe Götter« gelungen, den Eindruck antiker gottesdienstlicher Musik so weit annähernd wiederzugeben, wie es überhaupt mit modernen Kunstmitteln möglich ist. Beruhte doch auch der katholische Gottesdienst bis zu der auf Veranlassung des Tridentiner Konzils von Palestrina unternommenen Reform der Kirchenmusik großen Teils auf volksmäßigen, weltlichen Grundmelodien, daher auch die vor Madonnenbildern gesungenen Lauden gelegentlich nach der Weise von Karnevalsliedern gesungen wurden und man bemerkt findet, daß die Weise dieselbe ist wie bei Tänzen oder Strambotti, volkstümlichen Liederchen, die unsern Gassenhauern am nächsten stehen. Auch im heutigen Italien ist ja ein wesentlicher Unterschied zwischen religiöser und weltlicher Musik bei dem alltäglichen Gottesdienst selbst in Rom kaum noch vorhanden, in Neapel gar nicht mehr.

Bei der unbeschränkten Öffentlichkeit der Schauspiele im Altertum müssen die Theatermelodien eine sehr viel schnellere und weitere Verbreitung gefunden haben, als es gegenwärtig möglich ist: auf Straßen und Plätzen hörte man das Volk die Weisen singen, die es im Theater gelernt hatte. Es gab bereits in Ciceros Zeit auch Kenner genug, die beim ersten Ton eines Flötenritornells zu sagen wußten, ob das Stück aus der Antiope oder der Andromache sei, worüber Cicero selbst staunte; und schon damals übte das größere Publikum eine scharfe Kritik gegen die Sänger und ließ Fehler nicht ungerügt.

Am deutlichsten aber ergibt sich die Verbreitung musikalischen Interesses in jener Zeit daraus, daß schon konzertartige Aufführungen ohne Unterstützung einer dramatischen Handlung stattfinden konnten, während noch im Jahre 167 v. Chr. das Publikum Roms so völlig roh gewesen war, daß die bedeutendsten griechischen Auleten mit ihren Chören sein Interesse nicht anders erregen konnten, als indem sie eine Art Balgerei aufführten. Doch ein Jahrhundert später war es schon etwas ganz Gewöhnliches, daß musikalische Virtuosen, die ihren Gesang auf der Kithara selbst begleiteten (Kitharöden), im Rom Beifall fanden. Sie traten in der prachtvollen pythischen Festtracht auf: in langem, goldgesticktem Talar und purpurnem, buntverziertem Mantel, einen goldenen, mit großen blitzenden Edelsteinen geschmückten Kranz auf dem Kopf, die kunstvoll gearbeitete, mit Gold und Elfenbein ausgelegte Kithara in der Hand. Neben den Kitharöden ließen sich in der Kaiserzeit Künstler mit Vorträgen auf verschiedenen Instrumenten ohne Gesang hören, namentlich der Kithara und deren verschiedenen Abarten, dem Aulos, der Orgel und andern; und außer dramatischen Sängern (Tragöden), deren oft in Maske und Kostüm vorgetragene Arien und Gesangsszenen schon auf der Grenze der dramatischen Aufführung standen, auch lyrische, die namentlich Hymnen auf die Götter gesungen haben werden, wie Nero bei den isthmischen Spielen einen Hymnus auf Poseidon und Amphitrite und ein kurzes Lied auf Melikertes und Leukothea vorgetragen haben soll. Virtuosinnen und Sängerinnen, die in Alexandria das Publikum entzückten, werden auch in Rom öffentlich aufgetreten sein. Ein herculanisches Wandgemälde zeigt eine Konzertszene: in der Mitte sitzt in gesticktem Talar ein Aulet, der den Doppelaulos bläst und mit dem Scabillum den Takt tritt, rechts steht eine Kitharistin, die mit der Linken in die Saiten greift, in der Rechten das Plectrum hält, links sitzt eine Sängerin mit einem Textblatt in der Hand, die auf den Augenblick wartet, wo sie einfallen soll; allerdings scheint hier eine öffentliche Aufführung dargestellt zu sein, doch ergibt sich aus dem Bilde nichts Gewisses über Zeit und Ort. Chöre teils allein, teils in Verbindung mit Einzelsängern sangen sehr häufig mit verschiedner, zum Teil (wie bemerkt) sehr reicher Instrumentalbegleitung. Daß Orchestervorträge ohne Gesang bei öffentlichen Aufführungen stattfanden, etwa als Einleitungen zu Instrumentalsoli, ist zwar sehr glaublich, aber nicht bezeugt. Alle diese Darbietungen gehören (ebenso wie die Vorträge der Dichter und Redner) zu den im Gegensatze zu den dramatischen Aufführungen als thymelisch bezeichneten, weil bei ihnen die Darsteller ursprünglich nicht auf der Bühne, sondern in der (unter dem Namen Thymele verstandenen) Orchestra auftraten.

Regelmäßig gefeierte »griechische Wettkämpfe« musischer Künstler führte in Rom zuerst Nero ein, der selbst nicht bloß als Dichter, sondern auch als Sänger und Kitharöde zu glänzen wünschte. Bei dem von ihm im Jahre 60 gestifteten periodischen »heiligen« Feste bildeten die musischen Wettkämpfe den Mittelpunkt. Auch sie fanden in konservativ römischen Kreisen Mißbilligung, obgleich sie nicht so viel Anstoß gaben wie die Athletenkämpfe: die Gerechtigkeit, hieß es, würde nicht dadurch gewinnen und die Ritter ihr Richteramt nicht besser versehen, wenn sie weichlichen Gesang und schmelzende Töne mit Kennerschaft angehört hätten.

Viel höher aber stand der von Domitian begründete kapitolinische Wettkampf. In dem für die musikalischen Vorträge neu erbauten geräumigen Odeum auf dem Marsfelde bewarben sich bei dem in jedem vierten Sommer wiederkehrenden Feste neben Dichtern auch Sänger und Musiker um den Kranz von Eichenlaub, den der Kaiser nach dem Ausspruche der Richter eigenhändig erteilte. Diese Ehre sowie die Seltenheit und Feierlichkeit des Festes und die aus den Großen Roms bestehende Zuhörerschaft gab diesen Wettkämpfen der Sänger und Virtuosen in der damaligen musikalischen Welt einen Wert und eine Wichtigkeit ohnegleichen. Hier den Preis erringen hieß in der Tat als der Erste in seiner Kunst anerkannt werden, nicht bloß in Rom, sondern in der ganzen Welt. Aus weiter Ferne, aus Asien und Ägypten, kamen Künstler, um sich an diesem Wettkampfe zu beteiligen, und noch jetzt sind mehrere Denkmäler vorhanden, deren Inschriften melden, daß dieser oder jener »ruhmreiche« Musiker auch den kapitolinischen Kranz erworben habe. Namentlich erwähnt werden die Wettkämpfe im Gesänge, der Kitharodik, dem pythischen (Solo-) Aulos und dem Choraulos, sowie in dramatischen Vorträgen; die von Domitian eingeführten Bewerbungen um den Preis für das Spiel auf der Kithara ohne Gesang und auf der Chorkithara gingen bald wieder ein.

Die ausübenden Musiker werden natürlich hauptsächlich die Kompositionen der anerkanntesten Meister vorgetragen haben, wie z. B. der Gesandte der Teier an die kretischen Städte Menekles in Knossos öfters Kompositionen des Timotheus und des (etwa gleichzeitigen) Polydus sowie der alten kretischen Dichter (z. B. Thaletas) »trefflich und wie es einem technisch gebildeten Manne geziemte« zur Kithara vorgetragen hatte. Übrigens waren die ausübenden Musiker im Altertum nicht bloß viel häufiger als jetzt, vermutlich in der Regel, zugleich Komponisten, sondern sie waren auch nicht selten Dichter, wie es die so viel engere Verbindung von Poesie und Musik mit sich brachte. Die berühmtesten Virtuosen, wie der Sänger Tigellius, der am Hofe des Augustus, die Kitharöden Menecrates und Mesomedes, die an denen Neros und Hadrians lebten, glänzten durch den Vortrag selbstverfaßter oder doch selbstgesetzter Gesangsstücke: von den Gedichten des Mesomedes hat sich noch einiges, zu drei Hymnen auch die Musik erhalten.

Im übrigen hat das musikalische Virtuosentum der römischen Kaiserzeit große Ähnlichkeit mit dem heutigen. Auf die Ausbildung durch einen bewährten Gesanglehrer (φωνασχός) wurde selbstverständlich der größte Wert gelegt, und daher auch zuweilen von Sängern in ihren Inschriften der Name desjenigen, dessen Unterricht sie genossen hatten, ausdrücklich erwähnt; ein M. Aurelius Musäus war »der erste und einzige Gesanglehrer«, dem für seine Leistungen im Unterricht in Elis und Delphi Statuen errichtet worden waren. Zu den langen und mühseligen Vorbereitungen, durch die man zur Meisterschaft gelangte, gehörte namentlich das Solfeggieren von den tiefsten zu den höchsten Tönen. Außerdem mußten Gesangskünstler eine streng geregelte, höchst zwangvolle Lebensweise führen, die zur Ausbildung und Stärkung der Stimme als notwendig galt. Sie schonten ihre Kehle so viel wie möglich, setzten nach jeder Anstrengung den Gebrauch der Stimme eine Zeitlang aus und hielten, wenn sie laut sprechen mußten, ein Tuch vor den Mund. Sie beobachteten eine große Enthaltsamkeit, auch im Genüsse von Speisen und Getränken, brauchten Purganzen und Einreibungen, hielten auf dem Rücken liegend Bleiplatten auf der Brust, füllten bestimmte Stunden mit Umhergehen aus, nahmen sich vor Sonne und Wind, vor Nebel und trockener Luft in acht u. dgl. m. In der Tat mußte für Gesangsleistungen in sehr großen, zum Teil unbedeckten Räumen eine sehr viel größere Stärke und Dauerhaftigkeit der Stimme erworben werden, als heutige Sänger sie bedürfen. Und doch strengten Kitharöden und Tragöden beim öffentlichen Auftreten die Stimme zuweilen so stark an, daß sie Gefäße sprengten.

Von der Zeit ab, wo sie ihre künstlerische Ausbildung vollendet hatten, befanden sich die Virtuosen fast immer auf Reisen, da eine dauernde Beschäftigung dieser Künstler an ein und demselben Orte im Altertum, in welchem man nicht einmal stehende Theater kannte und alle Aufführungen nur bei besonderen Festen stattfanden, überhaupt nicht möglich war. Die berühmteren griechischen Virtuosen machten offenbar regelmäßig Rundreisen, wenigstens durch Kleinasien, Griechenland und Italien, und wurden oft in den Städten, wo sie enthusiastische Bewunderung gefunden hatten, mit Statuen, dem Bürgerrecht und andern Auszeichnungen geehrt. Die Honorare und Einnahmen bedeutender Künstler waren – auch durch die bei Festspielen zu gewinnenden Preise – sehr glänzend. Der sonst so karge Vespasian ließ bei den Spielen, die er zur Einweihung des von ihm wiederhergestellten Marcellustheaters gab, mehrere seit lange bewährte Musiker auftreten; von diesen belohnte er einen Tragöden mit 400.000, die Kitharöden Terpnus und Diodorus mit 200.000, einige mit 100.000 (also 87.000 bis 21.750 Mark, keinen unter 40.000 Sesterzen (87.900 Mark), überdies wurde noch eine große Anzahl von goldenen Kränzen verteilt. Auch der Musikunterricht in vornehmen Häusern war in Rom sehr einträglich und die Honorare der berühmten Sänger und Kitharöden ein Gegenstand des Ärgers und Neids für die Männer der Wissenschaft und Literatur. Martial, der, seiner mühseligen und fruchtlosen Klientendienste müde, sich aus der Hauptstadt für einige Zeit nach Imola (Forum Cornelii) begab, meldete seinen Freunden von dort, er werde nicht eher wiederkehren, als bis er Kitharöde geworden sei. Derselbe rät voll Bitterkeit einem Vater, seinem Sohne doch ja keine wissenschaftliche Bildung zu geben, ihn ja nicht Bücher von Cicero und Vergil in die Hände nehmen zu lassen; wolle er vollends Verse machen, so möge der Vater ihn enterben: solle er aber eine Kunst lernen, die Brot gebe, so möge er sich auf die Kithara oder auf den Aulos legen.

Natürlich hatten die Virtuosen enthusiastische Verehrer und Verehrerinnen in Menge. Namentlich die Begeisterung der Frauen für Sänger und musikalische Virtuosen hat der Skandalsucht sowie der Satire und dem Spottgedicht viel Stoff gegeben. Reiche und vornehme Frauen besaßen Stäbchen, mit denen berühmte Kitharisten die Saiten geschlagen, drückten Küsse auf diese kostbaren Andenken, brachten Opfer für den Erfolg der von ihnen bewunderten Künstler bei einer bevorstehenden Preisbewerbung und man behauptete sogar, daß sie die Gunst derselben oft teuer erkauften. Auch in hohen Kreisen, selbst an mehreren Höfen, waren Virtuosen geehrte und reich belohnte Gäste. Dem sehr berühmten Kitharöden Anaxenor, den seine Vaterstadt Magnesia am Mäander durch ein Priestertum und öffentlich aufgestellte Denkmäler ausgezeichnet hatte, übertrug der Triumvir Marc Anton die Steuererhebung von vier Städten und gab ihm eine Truppenabteilung bei. Der Sänger und Flötenspieler Tigellius aus Sardinien, der schon zu Cäsars engerem geselligen Kreise gehört hatte, war auch an den Höfen der Cleopatra und des Augustus gern gesehen. Der dramatische Sänger (Tragöde) Apelles aus Askalon, ein vielvermögender Günstling Caligulas, fiel in Ungnade, weil er auf die Frage des Kaisers, ob er oder Juppiter ihm größer scheine, mit der Antwort zögerte. Caligula ließ ihn peitschen und lobte die Stimme des Schreienden, die noch im Schmerzgeheul höchst angenehm klinge. Den Kitharöden Menecrates beschenkte Nero mit einem Palast und einem großen Besitztume. Der oben erwähnte Komponist und Dichter Mesomedes aus Kreta, ein Freigelassener und Liebling Hadrians, auf dessen schönen Antinous er ein Lobgedicht verfaßte, erhielt ein Gehalt, das Hadrians Nachfolger zu vermindern für gut fand.

So vielfache, lebhafte und schmeichelhafte Gunst und Teilnahme konnte nicht anders als Künstlerlaunen, Künstlereitelkeit und Künstlerhochmut nähren und großziehen. Mit großem Behagen erzählt der Fabeldichter Phädrus, wie einer dieser aufgeblasenen Virtuosen sich kürzlich durch seine lächerliche Eitelkeit zum allgemeinen Gespött gemacht habe. Der Flötenspieler Princeps (d. i. Fürst), der den berühmten Pantomimentänzer Bathyllus (Freigelassenen des Mäcenas und Erfinder der komischen Gattung des Pantomimus) zu begleiten pflegte, erlitt bei einem Szenenwechsel (durch Unvorsichtigkeit oder Einsturz einer Kulisse) einen Beinbruch. Sein Krankenlager dauerte mehrere Monate, und das kunstsinnige Publikum vermißte sein Spiel. Als er notdürftig wieder gehen konnte, bewog ihn ein vornehmer Mann, der ein Schauspiel veranstaltete, darin aufzutreten. Der Vorhang fiel, der Donner rollte ab, die Götter sprachen (es scheint ein allegorisches Festspiel gewesen zu sein) nach üblicher Weise; hierauf stimmte der Chor ein dem Virtuosen noch unbekanntes Lied an, dessen Text war: »Laut juble Rom, denn wohlbehalten ist dein Fürst!« Das Publikum erhob sich und klatschte; Princeps, der diesen Beifall auf sich bezog, warf Kußhände, die Ritter bemerkten seine törichte Einbildung und verlangten mit lautem Gelächter das Stück da capo. Es wird wiederholt, Princeps verbeugt sich auf der Bühne bis zur Erde, die Ritter klatschen, um ihn zu verhöhnen. Das übrige Publikum glaubt anfangs, er bewerbe sich um den Kranz. Als man über seine wirkliche Meinung im Theater ins klare kam, wurde der freche Mensch, der die Ehre des göttlichen (d. i. kaiserlichen) Hauses auf sich bezogen hatte, »samt den schönen weißen Binden, mit denen sein Bein verbunden war, den weißen Tuniken und weißen Schuhen«, unter allgemeiner Entrüstung hinausgeworfen.

Die Launenhaftigkeit sah schon Horaz als eine nie fehlende Eigenschaft der Virtuosen an. Alle Sänger, sagt er, haben den Fehler, unter Freunden sich durch keine Bitten zum Singen bewegen zu lassen, dagegen, wenn sie nicht aufgefordert sind, gar nicht aufzuhören. Er hat namentlich jenen Tigellius aus Sardinien (der durch seine anspruchsvolle Empfindlichkeit im Jahre 45 Ciceros Verdruß erregt hatte) als einen Typus der Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit geschildert. Selbst Augustus, der befehlen konnte, bat ihn öfters vergebens, zu singen, und scheint die Ungezogenheit des schon von Cäsar verwöhnten Künstlers mit Nachsicht ertragen zu haben. Fiel es diesem dagegen ein, sich hören zu lassen, so sang er sein »Io Baccheus« vom ersten bis zum letzten Gange der Mahlzeit in allen Tönen. In nichts blieb er sich gleich. Bald lief er wie auf der Flucht, bald schritt er wie in einer Prozession einher. Bald hatte er zweihundert Sklaven, bald nur zehn. Bald redete er im höchsten Grade großsprecherisch, bald wünschte er weiter nichts als einen dreifüßigen Tisch, ein Salzfaß und eine grobe Toga, um sich warm zu halten. Erhielt er dann eine Million zum Geschenk, so war in fünf Tagen nichts mehr in seiner Kasse. Mit vollen Händen streute er den leicht erworbenen Reichtum aus und versammelte durch seine Freigebigkeit um sich einen Hofstaat von Quacksalbern, Bettlern, Tänzerinnen, Gassenmusikantinnen und Spaßmachern. Die Nächte wachte er bis zum frühen Morgen und verschlief den Tag.

Der Neid und die Eifersucht der Künstler gegeneinander wurde ganz besonders durch die musikalischen Wettkämpfe, in denen sie um den Preis rangen, rege gehalten. Nebenbuhler beobachteten sich hier gegenseitig und bemühten sich einander zu gewinnen, während sie sich insgeheim verlästerten, auch kam es zu öffentlichen Schmähungen. Gefährliche Mitbewerber suchte man durch Bestechung zu beseitigen oder unschädlich zu machen. Den Preisrichtern und dem Publikum gegenüber wurde die größte Ehrerbietung zur Schau getragen. Nero, der die für das öffentliche Auftreten der Kitharöden üblichen Vorschriften mit ängstlicher Genauigkeit beobachtete (so daß er z. B. ermüdet sich nicht niedersetzte, nicht ausspuckte, den Schweiß der Stirn nur mit der Hand oder dem Gewande abtrocknete), redete das Volk mit den Worten an: »Meine Herren, schenkt mir geneigtes Gehör!« Am Schlusse des Vortrags empfahl er sich aufs neue, mit Knie und Hand der Versammlung huldigend, der Gunst der Zuhörer und erwartete mit erheuchelter oder wirklicher Bangigkeit den Urteilsspruch.

Auch die berühmtesten Virtuosen betraten nicht leicht die Bühne, ohne vorher für einen bezahlten Beifall gesorgt zu haben. Wenn irgendwo, so war dies (auch abgesehen von der Rücksicht auf die Preisbewegung) bei Künstlern zu entschuldigen, die vor Tausenden von Zuhörern aus den untersten Klassen sich hören lassen mußten, welche mit Äußerungen ihres Mißfallens keineswegs sparsam waren; wie denn Kitharöden oft genug das Schicksal hatten, im Pompejustheater ausgezischt zu werden, und daher nicht ohne Grund beim Auftreten zitterten. Offenbar war die Zahl derer in Rom, die kein andres Gewerbe hatten, als »einem Canus, einem Glaphyrus Beifall zu klatschen«, nicht klein, und das Gewerbe galt für einträglich.

Eine so lebhafte Empfänglichkeit, wie sie in Rom für Musik verbreitet war, mußte notwendigerweise auch zum ausübenden Dilettantismus führen. Allerdings hatte sich das römische Vorurteil lange dagegen gesträubt, dem für den Freigeborenen, vollends für den Mann von Stande nicht bloß die gewerbsmäßige Fertigkeit in Gesang und Spiel als unanständig galt, sondern auch die spielende Beschäftigung mit solchen Künsten. Doch hatte schon längst infolge des steigenden Einflusses griechischer Kultur und griechischer Sitten die alte Strenge auch in diesem Punkte einer immer weiter ausgedehnten Toleranz Platz gemacht. Schon in der Zeit der Gracchen gab es zu Rom Tanz- und Singschulen, die von Knaben und Mädchen aus guten, selbst adligen Familien besucht wurden, freilich zum tiefsten Unmut des jüngeren Scipio. Doch bald beurteilte man wenigstens die Erwerbung und Übung der Fertigkeit im Gesange milder. Cicero läßt in einem ins Jahr 91 verlegten Gespräch einen der ersten Männer des damaligen Rom, den Redner L. Licinius Crassus (Konsul 95, Zensor 92), ohne alle Mißbilligung erwähnen, daß sein Freund, der Ritter Numerius Furius, ein Familienvater, gelegentlich noch als Dilettant die Kunst des Gesanges übe, die er als Knabe erlernt habe. Wenn freilich ein Mann von Sullas Stellung nicht bloß Schauspieler in seinen Umgang zog, sondern auch das Lob nicht verschmähte, selbst ein sehr guter Sänger zu sein, so gab dies sicherlich großen Anstoß, da noch Cornelius Nepos unter den Verschiedenheiten griechischer und römischer Sitten und Anschauungen hervorhebt, daß nach römischer Ansicht Ausübung der Musik einem Manne von hervorragender Stellung nicht zieme. Die stutzerhafte verdorbene Jugend, die zu Catilinas Anhang gehörte, verstand sich nach Cicero auf Liebeshändel, auf Gesang, Saitenspiel und Tanz. Und so wurde Dilettantismus in der Musik ohne Zweifel damals von vielen unter allen Umständen mißbilligt; eine theoretische Beschäftigung mit dieser Kunst kann aber in dieser Zeit schon nicht mehr selten gewesen sein, da bereits Varro sie in den Kreis der Wissenschaften aufnahm, auf denen die allseitige Bildung beruhte; sein Buch ist die Hauptquelle für die Darstellung der Musik in den späteren enzyklopädischen Sammelwerken, namentlich des Martianus Capella und des Augustinus, gewesen. Seit dem Anfange der Monarchie dürfte die Theorie der Musik nicht bloß ganz allgemein zu den Gegenständen des höheren Unterrichts gerechnet worden, sondern auch die Ausbildung der Knaben in Gesang und Saitenspiel sehr gewöhnlich gewesen sein: Columella nennt Schulen der Musiker neben denen der Rhetoren und Mathematiker. Titus, der, am Hofe des Claudius gemeinsam mit dessen Sohne Britannicus erzogen, »in denselben Wissenschaften und von denselben Lehrern unterrichtet wurde«, machte in allen Fächern schnelle Fortschritte, nicht bloß in der Beredsamkeit und Poesie beider Sprachen, »auch der Musik war er nicht unkundig, er sang und spielte auf der Kithara angenehm und geschickt«. Britannicus (geb. den 12. Februar 41), der Neros Eifersucht durch seine bessere Stimme erregt hatte, war ebenfalls musikalisch gebildet. An dem Saturnalienfest im Dezember 54 war Nero in der Gesellschaft der Altersgenossen durchs Los zum Könige gewählt worden; er gab dem noch nicht 14jährigen Prinzen auf, vorzutreten und einen Gesang vorzutragen, in der Hoffnung, er werde sich lächerlich machen. Aber Britannicus sang ohne Befangenheit ein Gedicht, das deutliche Anspielungen auf den an seinem Thronrechte verübten Raub enthielt. Die allgemeine Rührung, die der Gesang erregte, schärfte Neros Haß und gab den unmittelbaren und nächsten Anlaß zu der scheußlichen Ermordung des hoffnungsvollen Knaben im nächsten Jahre. Daß Nero schon als Knabe wie in den übrigen Fächern so auch in der Musik Unterricht erhalten hatte, sagt Sueton ausdrücklich, und Seneca rühmte schon im Jahre 54, daß er dem Apoll an Gesang und Stimme nicht nachstehe. Unter den Lehrern Marc Aurels wird Andron als derjenige genannt, der ihn in der Musik und zugleich in der Geometrie unterrichtete. Von Commodus sagt sein Biograph, daß ihm der Unterricht der besten wissenschaftlichen Lehrer nichts nützte, daß er dagegen von Kindheit auf Fertigkeit in Dingen bewies, die zur kaiserlichen Würde nicht passen, wie z. B. im Formen von Bechern, Tanzen, Singen und Pfeifen.

Bei den Mädchen wurde natürlich von jeher noch mehr Wert auf die Ausbildung in der Musik gelegt als bei den Knaben. Berühmte Musiker wie Demetrius und Tigellius Hermogenes (vielleicht ein Freigelassener des früher erwähnten Tigellius) brachten schon in der Zeit des Horaz einen großen Teil ihrer Tage neben den Lehnsesseln ihrer Schülerinnen zu. Auch diese lernten nicht bloß singen, sondern auch die Kithara und andre Saiteninstrumente spielen und scheinen sehr häufig die Fertigkeit erworben zu haben, Texte von Dichtern nach selbst gesetzten Melodien vorzutragen und zu begleiten. Chöre von Knaben und Mädchen, auch von Frauen, aus guten Familien dürften bei religiösen Festlichkeiten nicht selten gesungen haben. Es gab aber auch Veranlassungen, bei denen es für Männer von Stande unbedenklich, ja geboten war, öffentlich zu singen. Ein so ernster und strenger Mann wie Thrasea Pätus hatte bei einem uralten, feierlichen, nur in Zwischenräumen von dreißig Jahren wiederkehrenden Schauspiel in seiner Vaterstadt Patavium eine Tragödienszene, und zwar im Kostüm gesungen.

Auch der Dilettantismus der Frauen und Mädchen in der Musik war in der älteren Zeit von Strengeren wenigstens nur bis zu einem gewissen Grade gebilligt worden; noch Sallust stellt sich auf diesen Standpunkt, wo er von der mit Catilina vertrauten Sempronia sagt, sie habe mit mehr Kunst gesungen, als für eine rechtschaffene Frau erforderlich sei. Doch später verstummte nicht bloß allem Anschein nach jeder derartige Tadel ganz, sondern Fertigkeit in der Musik wurde auch allgemein zu den wesentlichen Erfordernissen weiblicher Bildung gerechnet. Statius zählt unter die Vorzüge, durch welche seine Stieftochter verdiente, einen Mann zu finden, daß sie die Lyra zu schlagen und seine Gedichte nach eigenen Melodien zu singen verstand; der jüngere Plinius rühmt dasselbe von seiner dritten Frau. Lucian preist in überschwenglicher Weise den Gesang und das Saitenspiel der Geliebten des L. Verus, der schönen Smyrnäerin Panthea. Er vergleicht sie mit den Musen und den Sirenen; dieser Stimme gegenüber muß die Nachtigall verstummen, es ist ein Gesang, wie man ihn eben aus einem so schönen Munde zu hören erwarten kann. Am vollendetsten ist ihr Gesang zur Kithara: die streng richtige Durchführung der Melodie (ἁρμονία), so daß der Text durchaus festgehalten wird, und der Gesang im wohlgemessenen Wechsel von Hebung und Senkung fortgeht; daß die Kithara dazu stimmt, das Plectrum mit der Kehle gleiches Zeitmaß hält, die Beweglichkeit der Finger, der Wohllaut der Modulation – alles dieses vermöchten selbst Orpheus und Amphion nicht zu erreichen.

Aber auch gegen den musikalischen Dilettantismus der Männer scheint sich schon in Augustus' Zeiten nur noch vereinzelter Widerspruch erhoben zu haben. In der Tat ist der einzige Schriftsteller, der sich nach dem Untergange der Republik mißbilligend dagegen äußert, der ältere Seneca, ein starrer Anhänger der alten Einfachheit und Sittenstrenge. Er klagt, daß die edlen Studien darniederliegen, und Interessen, die noch schlimmer sind als der Müßiggang, sich der Geister bemächtigt haben, daß die unanständigen Beschäftigungen mit Gesang und Tanz die weibisch gewordene Jugend in Anspruch nehmen. Der Tadel des jüngeren Seneca ist nur gegen die Übertreibung dieses Dilettantismus gerichtet. Die leidenschaftlichen Musikliebhaber verbrachten nach seiner Schilderung den ganzen Tag mit Hören, Singen und Komponieren von Arien, quälten ihre Stimme durch künstliche Modulationen zu einem andern als ihrem natürlichen Klange; ihre Finger schlugen fortwährend den Takt zu einem Stücke, das sie im Kopfe hatten, und auch bei ernsten, ja traurigen Veranlassungen konnten sie sich nicht enthalten, eine Melodie zu summen. Ähnlich schildert bereits Manilius den Musikfreund, der beim Gelage den Genuß des Weins durch süßen Gesang erhöht, auch unter Arbeit und Geschäften mit verstohlenem Gemurmel Lieder singt und, wenn er allein ist, sich stets durch Gesang unterhält.

Die große Verbreitung des musikalischen Dilettantismus der Männer in Rom seit dem Anfange der Kaiserzeit bestätigen auch zahlreiche andre Äußerungen und Angaben. Durch eine schöne Stimme konnte man hoffen, den Frauen zu gefallen, als fertiger Sänger Zutritt in gute Gesellschaft zu erhalten: überhaupt wurde musikalisches Talent, wie es scheint, besonders wegen seines Werts für die Geselligkeit geschätzt. Der Trimalchio Petrons fordert einen seiner Gäste, der sonst für einen guten Sänger gegolten hatte, auf, etwas zum besten zu geben; dieser bedauert, nicht mehr singen zu können, in seiner Jugend freilich habe er sich »fast die Schwindsucht an den Hals gesungen«. Trimalchio selbst »mißhandelt« die Arien des in Neros Zeit berühmten Kitharöden und Komponisten Menecrates. Der allseitige Dilettant bei Martial, der alles hübsch, aber nichts gut macht, singt auch hübsch und spielt hübsch die Lyra.

Auch in hohen Kreisen scheint dieser Dilettantismus sehr verbreitet gewesen zu sein. C. Calpurnius Piso, das Haupt der Verschwörung gegen Nero im Jahre 65, spielte nach der Versicherung eines zu seinem Preise verfaßten Gedichts die Lyra so trefflich, daß man glauben konnte, Apollo selbst habe ihn unterrichtet: und er hatte sich in einer Zeit des Friedens der Beschäftigung mit dieser Kunst nicht zu schämen, hatte doch auch Achill die Saiten mit derselben Hand gerührt, mit der er die schreckliche Lanze gegen die Feinde schleuderte. Die Zahl der Kaiser, von denen berichtet wird, daß sie ausübende Dilettanten der Vokal- oder Instrumentalmusik waren, ist verhältnismäßig auffallend groß. Hadrian tat sich auf seine Fertigkeit im Gesang und Kitharaspiel etwas zugute. Fronto, der seine Ermahnung an Marc Aurel, die Muße des Aufenthalts in Alsium zu genießen, mit den Beispielen früherer Kaiser unterstützt, sagt von Hadrian, auch er habe neben seinen Regierungssorgen zu andern Dingen Zeit gehabt; er sei ein Freund trefflicher Mahlzeiten und der Beschäftigung »mit Kompositionen und Auleten« ergeben gewesen. Caracalla übte gleichfalls die Kitharodik und errichtete dem berühmten Kitharöden Mesomedes, der an den Höfen des Hadrian und Antoninus Pius geglänzt hatte, ein Denkmal. Elagabal sang, auch mit Aulosbegleitung (d. h. dramatische Szenen), blies die Tuba und spielte die Pandura (ein Saiteninstrument) und die Orgel. Alexander Severus liebte gleichfalls Musik und spielte Lyra, Aulos und Orgel, »auch die Tuba, auf der er sich jedoch als Kaiser nicht hören ließ«. Man sieht, daß die Kithara, wenn auch ohne Zweifel das gewöhnliche, doch keineswegs das einzige Instrument der Dilettanten war. Nero hatte gelobt, wenn es ihm gelingen würde, der gegen ihn ausgebrochenen Empörung Herr zu werden, bei den Spielen zur Feier des Siegs sich auf der Wasserorgel, der Sackpfeife und dem Choraulos hören zu lassen; die in der Zeit der dringendsten Gefahr berufenen Großen führte er nach einer eilig abgemachten Beratung den ganzen übrigen Tag unter neu erfundenen Wasserorgeln umher, die er ihnen erklärte, wobei er die Schwierigkeiten der einzelnen Instrumente auseinandersetzte. L. Norbanus Flaccus war ein eifriger Tubabläser und übte sich fleißig auf seinem Instrument, selbst am Morgen des Tags, an dem er das Konsulat antrat (1. Jänner 19 n. Chr.): von der vor seinem Palast zur Aufwartung versammelten Menge ward es als ein böses Omen aufgefaßt, daß man den Konsul ein Kriegssignal blasen hörte. Daß das Beispiel der Kaiser dazu beitrug, diesen Dilettantismus namentlich in hohen Kreisen zu verbreiten, ist selbstverständlich.

Nach der Art, wie alle diese Fälle mitgeteilt werden, ist unzweifelhaft, daß in Neros musikalischem Treiben es weder die Liebhaberei für diese Kunst, noch deren dilettantische Ausübung sein konnte, was in den Augen der Mitwelt als unwürdig und schmachvoll erschien: sondern gerade, daß er kein Dilettant, daß er ein Künstler von Fach sein wollte, daß und wie er seine Leistungen dem öffentlichen Urteile preisgab. Die Überzeugung, er sei zum Künstler geboren, beherrschte ihn mit der Stärke einer fixen Idee sein ganzes Leben hindurch; und mit den immer wiederholten Worten: welch ein Künstler geht in mir verloren! ist er ja auch gestorben. Durch welches Übermaß von Äußerungen enthusiastischer Bewunderung er in dieser Überzeugung bestärkt wurde, kann man sich vorstellen. Selbst sein Lehrer Seneca nennt ihn in einem bei seiner Thronbesteigung verfaßten Gedicht (wie erwähnt) dem Apollo »gleich in der Kunst des Gesangs und in der Stimme Gewalt«. Ein andrer Dichter vergleicht ihn als Kitharöden nicht bloß mit dem seinen Sieg über den Drachen besingenden Apollo, sondern auch mit der das Heptachord der Weltzonen spannenden Gottheit: »Gibt es Himmelsgötter, so reden sie mit einer solchen Stimme.« Als die Empörung gegen ihn ausbrach, soll ihn nichts so sehr in Aufregung versetzt haben, als daß er in einer Proklamation des Vindex ein schlechter Kitharöde genannt worden war. Die Falschheit dieses Vorwurfs, durch den ihm die Kenntnis einer mit vollendeter Meisterschaft geübten Kunst abgesprochen werde, betrachtete er als den besten Beweis für die Falschheit der übrigen Anklagen und fragte fortwährend seine Höflinge, ob sie einen bessern kennten. Ihm war schon früh von Astrologen geweissagt worden, er werde abgesetzt werden, worauf er die (in Rom allgemein verbreitete) Antwort gab: die liebe Kunst wird mir dann durchhelfen. Kaum war er Kaiser geworden, so berief er den damals berühmtesten Kitharöden Terpnus, ließ sich Tag für Tag nach der Tafel bis tief in die Nacht vorsingen und vorspielen und suchte durch unablässige Übungen und Studien und die strengste Beobachtung aller diätetischen Vorschriften seine dumpfe und schwache Stimme auszubilden. Zuerst trat er im Jahre 59 (dem fünften seiner Regierung, dem zweiundzwanzigsten seines Alters) in seinem Garten und Palast am rechten Tiberufer, dann im Jahre 64 in der »griechischen Stadt« Neapel, und erst im Jahre 65 in Rom ganz öffentlich bei dem von ihm gestifteten Wettkampf als Kitharöde im Pompejustheater auf; gegen das Ende des Jahrs 66 unternahm er seine Kunstreise durch Griechenland, von welcher er erst zu Anfang des Jahrs 68 zurückkehrte. Neben den kitharödischen waren es vorzugsweise die halbdramatischen Vorträge von Soloszenen aus Tragödien, in denen er sich zeigte, und zwar in diesen letzteren in Kostüm und Maske. Wahrscheinlich war er, wie die Kitharöden wohl gewöhnlich, auch selbst Komponist. Für den Beifall bei seinem Auftreten war stets durch ein ganzes Heer wohlgeschulter und -organisierter Beifallrufer und -klatscher gesorgt. Wie so oft in der Geschichte dieser Zeit mischte sich auch hier in das Lächerliche das Gräßliche. Spione lauerten überall, und wehe dem, der nicht genug geklatscht oder vor Beendigung des kaiserlichen Gesangs sich fortgeschlichen hatte oder eingeschlafen war und sich so als Feind der »himmlischen« (d. i. kaiserlichen) Stimme gezeigt hatte.

Von den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts bis gegen Ende des 4. sind die Nachrichten über die Kulturzustände äußerst spärlich. Aus den letzten Zeiten des Altertums erfahren wir über die Musik wenigstens, daß Liebe für sie in der heidnischen wie in der christlichen Gesellschaft sehr verbreitet war. Der Astronom Firmicus Maternus erwähnt »öffentliche Musiker, die vom Volke geehrt werden«, »Chormusiker«, spricht wiederholt von Komponisten und außerdem von Erfindern von Melodien für die Bühne. Ammianus Marcellinus sagt, daß die Paläste Roms, die einst durch die Pflege der Wissenschaften berühmt waren, nun von der Kurzweil schlaffen Müßiggangs erfüllt seien, von Gesang und Saitenspiel widerhallen. Statt des Philosophen gehe der Sänger, statt der Lehrer der Beredsamkeit derjenige der Musik ein und aus, und man sehe musikalische Instrumente aller Art, während die Bibliotheken gleich Grüften geschlossen seien. Und in Constantinopel richtete Johannes Chrysostomus von der Kanzel an seine Gemeinde die Frage: Wer von euch könnte einen Psalm oder ein andres Stück aus der heiligen Schrift hersagen, wenn er dazu aufgefordert würde? Wenn man aber nach diabolischen Arien, nach buhlerischen, unzüchtigen Gesängen fragen wollte, dann würde man gar viele finden, die alles aufs genaueste wissen und mit großer Lust vortragen würden. Daß nicht bloß vom christlichen Standpunkt aus diese Verdammung der Musik gerechtfertigt war, daß sie in der Tat nur noch frivolen Sinnengenuß und namentlich die Theatermusik bei der unumschränkten Herrschaft des Pantomimus auf der Bühne nichts als gemeinen Ohrenkitzel bezweckte, läßt der allgemeine Verfall der antiken Kultur in jenen Zeiten voraussetzen.

Je mehr die Musik ihren Ernst und ihre Würde eingebüßt hatte, desto bedenklicher mußte ihre Anwendung für den christlichen Gottesdienst erscheinen, in dem der Kirchengesang doch von Anfang an ein wesentliches Element gewesen war; mindestens wurde die Gefahr seiner Verweltlichung mit Grund befürchtet. Hieronymus warnt die Sänger, deren Amt es ist, in der Kirche zu singen: man müsse Gott nicht mit der Stimme, sondern mit dem Herzen singen, nicht nach Art der Tragöden Hals und Kehle mit Süßigkeiten schmeidigen, damit in der Kirche theatralische Melodien und Arien gehört würden. Aus demselben Grunde nahmen manche an dem Gesange der Frauen in der Kirche Anstoß. Für die meisten, sagt Isidorus von Pelusium, wird auch dies ein Anlaß zur Sünde, da sie, statt sich durch die göttlichen Psalmen zerknirscht zu fühlen, in der Süßigkeit der Melodie einen Anreiz zur Leidenschaft finden und sie nicht höher achten als die Theatergesänge. Wolle man gottgefällig handeln, so müsse man den Weibern, welche die göttliche Gabe so mißbrauchen, das Singen in der Kirche und den Aufenthalt in der Stadt verbieten. Cyrillus, Bischof von Jerusalem († 386), hatte den Gesang der Frauen überhaupt nicht dulden wollen, weil ihnen der Apostel Paulus in der Gemeinde Schweigen auferlege. Den Asketen erschien das Wohlgefallen an der Musik geradezu als unerlaubte fleischliche Lust. Auch Augustinus, der für musikalische Eindrücke sehr empfänglich war und oft bei den Hymnen des Ambrosius Tränen vergoß, fand es gerade darum bedenklich, sich diesen Empfindungen hinzugeben, und fürchtete, der Inhalt der Lieder möchte nur wegen der schmeichelnden Töne bei ihm Eingang finden: in solchen Augenblicken wünschte er allen anmutigen Gesang aus der Kirche fort und wollte die Psalmen, wie Athanasius es in Alexandria eingeführt hatte, mehr hersagen als singen lassen.

Der eifrigste Förderer des Kirchengesangs in der abendländischen Kirche (wie Basilius in der morgenländischen) war Ambrosius. Freilich sollten Christen nicht »die todbringenden Gesänge theatralischer Koloraturen ( chromata) ergötzen, die das Herz für die sinnliche Liebe empfänglich machen«; desto höher schätzte er den Wert des wahrhaft erbauenden Kirchengesangs. »Was ist lieblicher«, sagt er »als ein Psalm! Es ist das Lob Gottes und ein wohllautendes Bekenntnis des Glaubens. Der Apostel befiehlt zwar, daß die Weiber in der Kirche schweigen sollen, aber die Psalmen singen sie sehr gut. Zum Psalmensingen ist jedes Alter, jedes Geschlecht geschickt. Die Greise legen beim Singen desselben die Strenge des Alters ab, die jüngeren Männer singen ihn ohne den Vorwurf der Üppigkeit, die Jünglinge ohne Gefahr für ihr empfängliches Alter und ohne Versuchung zur Wollust, die zarten Mädchen ohne Einbuße an frauenhafter Schamhaftigkeit, die Jungfrauen und Frauen lassen ohne Ausgleiten der Sittsamkeit in ernster Würde das Loblied Gottes mit der Lieblichkeit ihrer tonreichen Stimmen melodisch erschallen. Und was hat man für Mühe, das Volk in der Kirche zum Schweigen zu bringen, wenn bloß vorgelesen wird. Sobald aber der Psalm ertönt, wird gleich alles still«.

»Allerdings war in die christliche Musik bereits ein fremdes Element eingedrungen: der hebräische Tempelgesang. Er scheint mit seiner Psalmodie die erste Entwicklung des christlichen Kirchengesanges vorwiegend beherrscht zu haben, bis sich dann, je mehr sich das Christentum auch die gebildete Welt eroberte, mehr und mehr antike Einflüsse hervorwagten. Indes sind die Musikverhältnisse der ersten christlichen Jahrhunderte noch stark umstritten und werden wohl keine sichere Aufklärung finden, solange nicht (was kaum zu hoffen ist) wirkliche Tondenkmäler aus dieser Zeit gefunden werden.«

(H. Abert.)


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