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III. Die drei Stände

1. Unterschiede des Stands und der Geburt.

Die strenge Abschließung des altrömischen Bürgertums gegen Fremde und unfrei Geborene, die Schranken zwischen seinen Ständen und Klassen waren im Verlauf der staatlichen Entwicklung schon während der Republik überall durchbrochen und zerstört worden. Je mehr das römische Reich ein Weltreich wurde, desto mehr Elemente strömten der Hauptstadt erst aus dem übrigen Italien, dann aus den Provinzen zu, während die echte Nachkommenschaft der ursprünglichen Bürgerschaft schwand; desto mehr mischte sich fremdes und einheimisches Blut, desto mehr drangen die Fremden und ihre Abkömmlinge, bald auch die Nachkommen der von Geburt Unfreien, ja diese selbst in die höhern Stände ein und errangen Anteil an den höchsten Ehren und Würden. Diesen Zersetzungs- und Mischungsprozeß beförderte der nivellierende Einfluß der absoluten Monarchie, in welcher alle Untertanen bis auf einen gewissen Grad als gleich galten. Aber trotz alledem konnte das Bewußtsein besserer Berechtigung, das jede bevorzugtere Klasse vor den minder bevorzugten empfand, wie viel es auch von seiner Schärfe verlieren mochte, niemals völlig erlöschen; vielmehr mußte es sich, wenngleich vielfach in neuen Formen, immer wieder herstellen. Die Stände, die Klassen, die Nationalitäten waren freilich nicht mehr durch dieselben Grenzen geschieden wie ehemals, die Bedingungen des Übergangs aus dem einen Kreise in den andern waren steten Veränderungen unterworfen, die allerdings, im ganzen betrachtet, immer zunehmende Erleichterungen waren; doch liegt es in der Natur der Sache, daß in der Regel alle, die in eine neue, höher gestellte Gemeinschaft eintraten, bald die Überlegung ihrer nunmehrigen Genossen und deren Bewußtsein, besser als die eben verlassenen zu sein, teilten. So blieben trotz aller Umwälzungen der alten Institutionen die alten Unterschiede zum Teil bestehen, ja sie vermehrten sich infolge der Einrichtungen der Monarchie noch durch neue. Dahin gehört namentlich die neue Regelung des Namenswesens in der Kaiserzeit. Höchstwahrscheinlich sind unter Augustus darüber bestimmte Vorschriften erlassen »und das Namenwesen so geordnet worden, daß Freigeborne und Freigelassene sich darin bestimmt unterschieden«. Fortan führte der gewöhnliche Sklave einen, der Sklave des Staats und des Kaisers in der Regel zwei, der Freigelassene drei Namen; aber die Tribus, welche die letztern bis dahin gehabt hatten, wurde ihnen (allem Anschein nach zugleich mit dem Stimmrecht) nun entzogen und nur von den Freigebornen geführt: diesen allein sind vier und mehr Namen eigen.

Auch die Söhne der Freigelassenen standen den Freigebornen nicht gleich; erst ihre Enkel sind von jeher zu diesen gezählt worden. Dagegen galt die Zulassung der erstern zum Senat und den Magistraturen stets als Mißbrauch. Selbst des Ritterstands wurden Söhne von Freigelassenen durch eine unter Tiberius im Jahre 23 erlassene Verfügung für unfähig erklärt: doch schon Augustus hatte hier mehrfache Ausnahmen gemacht (einer seiner Freunde, der Ritter Vedius Pollio, war Sohn freigelassener Eltern), und mit der Zeit wurden die Ausnahmen so zahlreich, daß durch sie die Regel aufgehoben ward. Aber die Zulassung der Söhne von Freigelassenen zu Staatsämtern blieb eine Ausnahme. Vorgekommen war sie schon in der letzten Zeit der Republik und unter Augustus. Im Jahre 25 war ein dieser Klasse angehöriger C. Toranius Tribun, und es machte einen guten Eindruck, daß er seinen Vater im Theater neben sich auf dem tribunizischen Ehrenplatze sitzen ließ. Im Laufe des ersten Jahrhunderts gelangten einzelne Söhne von Freigelassenen auch zu den höhern kurulischen Ämtern. So hatte z. B. Larcius Macedo, der seine Sklaven grausam und hochmütig behandelte, weil er sich, wie Plinius sagt, zu wenig oder vielmehr zu sehr daran erinnerte, daß sein Vater ein Sklave gewesen war, die Prätur (vor dem Jahre 101) bekleidet. Aber noch gegen Ende des 2. Jahrhunderts, als Pertinax, der Sohn eines Freigelassenen, sich durch militärisches Verdienst zum Konsulat aufschwang (175), fehlte es nicht an wegwerfenden Äußerungen über seine geringe Herkunft: »dergleichen«, hieß es, »bringt der unglücksel'ge Krieg hervor«.

In der Tat, wie sehr auch der Stand der Freigelassenen je länger, je mehr dadurch an Ansehen gewann, daß nicht wenige seiner Mitglieder durch Macht, noch mehr durch Reichtum hervorragten: dahin, daß sie dem Freigebornen auch nur gesellschaftlich ganz gleich standen, kam es doch nie. Wie dieser sich noch so tief vor ihnen bückte, ihnen noch so kriechend schmeichelte, so vergaß er doch niemals, daß er ein beßrer Mann war. An deinem Geburtstage, so redet Martial zu einem reichen Freigelassenen, speist freilich der Senat und eine große Anzahl der Ritter bei dir; aber niemand, Diodorus, betrachtet dich auch nur als vorhanden. Selbst bei der Wahl eines Liebchens wollte Martial der Freigebornen vor der Freigelassenen sowie dieser vor der Sklavin den Vorzug geben, wenn die letztere nicht etwa die erstern an Schönheit übertraf. Doch hatte sich damals ohne Zweifel die gesellschaftliche Stellung der Freigelassenen im Verhältnis zur Zeit des Augustus sehr gebessert: in dieser schloß die Hofetikette sie noch von der kaiserlichen Tafel aus, und Horaz hörte sich von Mißgünstigen immer wieder als den »Sohn des freigelaßnen Vaters« bezeichnen, wenn auch Mäcen selbst groß genug dachte, um es für gleichgültig zu erklären, von welchem Vater einer entsprossen sei, »wenn er nur frei geboren war«.

Nächst den Leuten von unfreier Abstammung achtete der römische Nationalstolz die Bewohner der eroberten Provinzen am geringsten. Der Provinziale, der, nach Rom in die Sklaverei verkauft, dort die Freiheit erlangt hatte, dünkte sich nun mehr als seine freigebliebenen Landsleute; in der Tat war er ein römischer Bürger, sie »Tributpflichtige«: d. h. sie zahlten nicht bloß Grund-, sondern auch Personensteuer, und die letztere galt im Altertum als ein Zeichen der Unfreiheit. Wie wenig die Provinzen mit Italien gleichberechtigt erschienen, zeigt z. B. die Äußerung des Tacitus, daß der Präfekt der Flotte zu Ravenna, Clodius Quirinalis, durch Härte und Schwelgerei Italien gedrückt habe »wie das allerniedrigste Volk«. Das politische Testament des Augustus enthielt unter andern Ratschlägen für seine Nachfolger auch den, mit dem Bürgerrechte sparsam zu sein, um den Abstand zwischen den Bürgern und den Provinzialen nicht zu vermindern. Zu den Richterdekurien (Geschwornen) Roms (davon dreitausend Ritter, zweitausend Leute, die mindestens die Hälfte des Ritterzensus besaßen) wurden Provinzialen anfangs gar nicht zugelassen (doch geschah es bereits unter Claudius), später wenigstens keine »neuen Bürger« (d. h. solche, die das Bürgerrecht nicht durch Geburt, nur durch Verleihung besaßen), und die Listen vorzugsweise aus Italikern gebildet; nächst diesen aus Bewohnern der Provinzen römischer Zunge. »Geschworne können nicht Ägyptersöhne sein«, steht an einer Wand in Pompeji angeschrieben. Im Sinne des römischen Hochmuts spottet der Spanier Seneca in seinem Pasquill auf Claudius über dessen Verschwendung des Bürgerrechts: er habe alle Griechen, Gallier, Spanier, Britannier in der Toga sehen wollen. Die Parze endet sein Leben, damit noch einige Peregrinen zur Fortpflanzung übrig bleiben. Die Verleihungen an ganze Klassen und Korporationen machten in der Tat damals Verleihungen an einzelne zu Auszeichnungen; doch scheinen diese letztern auch unter andern Regierungen selten vorgekommen und daher für besonders ehrenvoll gehalten worden zu sein.

Allerdings galten unter den Provinzialen die Okzidentalen höher als die Orientalen, gegen die man überdies zum Teil den auf der Verschiedenheit der Rasse beruhenden Widerwillen empfand. Aber auch den Bewohnern der westlichen Provinzen gestand man nur spät und mit großem Widerstreben die Rechte zu, welche die Italiker längst besaßen: freilich erfolgte die Romanisierung der Gallier, Spanier, Afrikaner, dieser »wilden und barbarischen Völker«, langsam genug. Mit der wegwerfendsten Geringschätzung bestreitet Cicero die Glaubwürdigkeit der aus dem narbonensischen Gallien gegen den Prätor Fontejus gesandten Zeugen, deren vornehmster der Häuptling der Allobroger Indutiomarus war. Es seien Barbaren, die der Gedanke an die Heiligkeit des Eids und die Scheu vor den Göttern nicht von falschen Zeugnissen abzuschrecken vermöge; sollten die Richter solchen Menschen, die Rom haßten, mehr glauben als den in der Provinz angesessenen Römern? Daß Cäsar einige eben mit dem Bürgerrechte beschenkte »halbbarbarische« Gallier in den Senat brachte, war der öffentlichen Meinung, der schon das bloße Einströmen von Elementen aus »transalpinischen und behosten« Bevölkerungen in Rom Anstoß gab, ein Schlag ins Gesicht. In einem öffentlichen Anschlage wurde aufgefordert, den neuen Senatoren nicht den Weg in die Kurie zu zeigen, und auf den Straßen sang das Volk:

Die er im Triumph aufführte, führt er in die Kurie ein,
Trugen eben noch die Hosen, jetzt den breiten Purpurstreif.

Diese gallischen Senatoren stieß wahrscheinlich Augustus wieder aus; doch schon im Jahre 40 v. Chr. war zum ersten Mal ein Ausländer sogar zum Konsulat gelangt, wenn auch nur als Ersatzmann: der Spanier L. Cornelius Balbus aus Gades, der während der Bürgerkriege durch kluge Benutzung der Umstände und großen Reichtum emporgekommen war; der also, wie der ältere Plinius sagt, als der erste der Auswärtigen und sogar am Ozean Gebornen die Ehre erhielt, die unsre Vorfahren selbst den Bewohnern von Latium versagten; wenn er auch freilich nach wie vor verächtlich »der Gaditaner, der Tartessier« genannt wurde und der Ehre, zum römischen Senat zu gehören, für unwürdig galt. Sein Neffe, der jüngere Balbus, wurde ebenfalls Konsul (32 v. Chr.), triumphierte nach seinem Siege über die Garamanten 19 v. Chr. und erbaute das dritte steinerne Theater zu Rom. Auch Männer aus dem narbonensischen Gallien, das fast mehr als ein Teil von Italien denn als Provinz betrachtet wurde, gelangten schon in der ersten Kaiserzeit zahlreich zu senatorischen Ämtern. Die »sehr ansehnliche und wackere Kolonie Vienna«, wie Kaiser Claudius sie in seiner Rede nennt, war die erste und vielleicht anfangs die einzige Stadt, welche die Ehre hatte, der Kurie Mitglieder zu liefern. Valerius Asiaticus aus Vienna, der so hoch stieg wie wenige Untertanen jener Zeit, war zweimal Konsul, doch legte er das Amt das zweite Mal (46) nieder, in der vergeblichen Hoffnung, durch diese Entsagung den Nachstellungen seiner zahlreichen Feinde und Neider zu entgehen. L. Pompejus Vopiscus aus Vienna erhielt das Konsulat durch Otho im Jahre 69. Nächst den Viennensern sind die ersten bekannten gallischen Senatoren Cn. Domitius Afer aus Nemausus, der erste Redner seiner Zeit, der schon 39 Konsul (suff.) war; Julius Gräcinus aus Forum Julii, der Vater des Agricola, Sohn eines Prokurators, der unter Caligula hingerichtet wurde; Pompejus Paulinus aus Arelate, der als Konsular unter Nero Legat von Niedergermanien war; Antonius Primus aus Tolosa, im Jahre 61 wegen Testamentsfälschung verurteilt, der sich später als Parteigänger Vespasians auszeichnete; endlich der von Vespasian zum prätorischen Range erhobene C. Fulvius Lupus Servilianus aus Nemausus. Bereits im Jahre 49 wurde den Senatoren gestattet, ihre im narbonensischen Gallien gelegenen Güter ohne Urlaub zu besuchen.

Als aber im Jahre 47 die Häupter der neuen, doch nun schon seit einem Jahrhundert römischen Teile Galliens sich um das Anrecht zu senatorischen Ämtern bewarben, das bisher nur die Kolonie Lugudunum (Lyon) besaß, stießen sie auf heftigen Widerstand. Noch sei Italien nicht so erschöpft, hieß es, daß es seiner Hauptstadt nicht einen Senat liefern könne. Ob es nicht genug sei, daß Veneter und Insubrer in die Kurie eingedrungen? Welches Vorrecht bliebe dann den noch vorhandenen Überbleibseln des Adels oder den armen, aus Latium gebürtigen Senatoren? Jene Reichen, deren Vorfahren von unsern Heeren besiegt worden, würden bald alle Plätze füllen. Das Bürgerrecht gönne man ihnen, die Auszeichnungen der Senatoren, die Würden der Magistrate solle man nicht gemein machen. Diesen Widerstand brachte der entschieden ausgesprochene Wille des Kaisers Claudius zum Schweigen. Noch existiert in seiner Geburtsstadt Lyon in Erz gegraben ein Bruchstück der gelehrten Rede, die er bei der Gelegenheit hielt. Daß Senatoren aus Italien den Provinzialen vorzuziehen seien, bestritt er nicht, aber auch diese dürfe man nicht zurückweisen, wenn sie der Kurie zur Zierde gereichen könnten. Zuerst erhielten die Äduer (zwischen Saône und Loire) der Senatsfähigkeit. Vielleicht wurden auch gleichzeitig einzelne aus den übrigen Landschaften Galliens in den ersten Stand erhoben. Der Vater des C. Julius Vindex, ein Aquitanier »aus königlichem Geschlecht«, war römischer Senator.

Andre Provinzialen können damals nur sehr vereinzelt im Senat gewesen sein und wurden sicherlich als Eindringlinge mit Mißgunst angesehen. Tacitus läßt den Cordubenser Seneca im Jahre 62 an Nero schreiben, um seine Ankläger durch ein Selbstbekenntnis seiner Unwürdigkeit zu entwaffnen, oft habe er sich die Frage vorgelegt: werde ich, von ritterlicher Abkunft, aus der Provinz entsprossen, den Ersten des Staats beigezählt? habe ich, ein Neuling, unter einem Adel von altem Ruhm mich zu einer glänzenden Stellung aufgeschwungen? Einen stärkeren Zusatz aus den Provinzen erhielt der durch die Bürgerkriege aufs neue erschöpfte Senat durch Vespasian, unter dem u. a. zum ersten Male ein Afrikaner Konsul wurde; seitdem empfing er mehr und mehr aus ihnen seine beste Kraft; und seit ein Spanier, Trajan, den Kaiserthron bestiegen hatte, mußte wohl wenigstens die laute Opposition des ausschließlichen Römertums gegen die westlichen Länder verstummen. Unter ihm bekleidete ein gätulischer Scheich, der nicht einmal aus dem römischen Afrika gebürtig war, sondern aus einem obskuren und abgelegenen Grenzdistrikt, sich aber an der Spitze seiner Reiterei im dacischen und parthischen Kriege ausgezeichnet hatte, Q. Lusius Quietus, das Konsulat. Cäcilius Classicus, der vor dem Jahre 101 das Prokonsulat von Bätica verwaltete, war ein Afrikaner. Der berühmte Rechtsgelehrte Salvius Julianus, der im Jahre 148 Konsul war, stammte aus Hadrumetum. Fronto (der das Konsulat im Jahre 143 bekleidete) sah viele seiner Landsleute aus Cirta neben sich im Senat. Auch der mit Aristides befreundete Senator Maximus war von afrikanischer Abkunft; Servilius Silanus, Konsul 189, war aus Hippo, Plautianus, der Günstling des (bekanntlich aus Leptis stammenden) Kaisers Severus, ebenfalls dessen Landsmann.

Auch Griechen und Kleinasiaten konnten schon längst nicht mehr ausgeschlossen werden, obgleich gegen die letztern die Antipathie noch stärker war als gegen die erstern, da ihnen die Achtung nicht zugute kam, welche die Römer dem eigentlichen Griechenland als dem Mutterlande ihrer Kultur stets bewahrten. Von den Phrygern sagt Cicero, nach dem Sprichwort würden sie durch Schläge besser; brauche man ein Subjekt zu einem gefährlichen Versuch, so sei ein Karer das geeignetste; »der letzte der Myser«, sagte man, um die äußerste Verachtung auszudrücken; die Hauptsklavenrolle im griechischen Lustspiel wurde in der Regel einem Lydier zugeteilt. Soll denn ein Mensch, so läßt Juvenal den gebornen Römer ausrufen, vor mir sein Siegel auf eine Urkunde drücken und einen geehrtern Platz an der Tafel einnehmen, der mit demselben Winde nach Rom kam, welcher die damascener Pflaumen und syrischen Feigen bringt? Ist es denn so gar nichts, daß unsere Kindheit die Luft des Aventin geatmet hat und mit sabinischer Frucht genährt ist? Und er, der Sohn oder Pflegesohn eines Freigelassenen aus Aquinum, sah mit tiefster Verachtung auf die Ritter »aus Asia, aus Bithynien und Cappadocien« herab, die schon die besondre Art ihrer Fußbekleidung kenntlich und zum Gespött machte; und Martial erblickte eine Ungerechtigkeit des Schicksals darin, daß ein edler Dichter darbte, der »nicht ein Bürger Syriens oder Parthiens, noch ein Ritter von den cappadocischen Ausstellungsgerüsten auf dem Sklavenmarkt, sondern ein Eingeborner von dem Volke des Remus und des Numa war«. Ja noch Alexander Severus schämte sich seiner syrischen Abkunft und dichtete sich eine römische an.

Doch schon seit Anfang der Kaiserzeit nahmen Männer von griechischer oder kleinasiatischer Abkunft in Rom im Ritterstande hervorragende Stellungen ein. In den Senat wurden die Angesehensten aus diesen Ländern, wenigstens in größerer Anzahl, vielleicht zuerst von Vespasian und Titus während ihrer Zensur (in den Jahren 73 und 74) aufgenommen. Plutarch weist als Beispiel unruhigen Ehrgeizes darauf hin, daß so mancher Chier oder Galater oder Bithynier, nicht damit zufrieden in seiner Heimatgemeinde zu Ansehen und Einfluß gekommen zu sein, darüber klage, daß ihm der Senatorenschuh nicht zukomme; habe er diesen erhalten, beschwere es ihn, daß er nicht Prätor sei, und habe er auch das erreicht, so klage er, daß er nicht Konsul werde. Ti. Julius Celsus Polemaeanus aus Ephesus und C. Antius A. Julius Quadratus aus Pergamum bekleideten unter Domitian und Trajan zahlreiche wichtige Ämter und waren Konsuln, der erstere 92, der andere sogar zweimal, 93 und 105; auch sein Sohn Apellas, der Provinzen verwaltete, und sein Enkel Fronto nahmen hervorragende Stellungen ein; seinen Urenkel Apellas feiert bei Gelegenheit seines vierzehnten Geburtstages eine unter dem Namen des Aristides überlieferte Rede. C. Julius Eurycles Herculanus, aus einer der vornehmsten Familien Spartas, die schon unter Augustus eine fürstliche Stellung einnahm, bekleidete senatorische Ämter unter Trajan. Der Athener Tiberius Claudius Atticus Herodes, der (unter Nerva) durch die Auffindung eines Schatzes unermeßlich reich geworden war, wurde zweimal Konsul; den Namen seines Sohns, des großen Sophisten Herodes Atticus, verzeichnen die Konsularfasten im Jahre 143, den seines Enkels Tiberius Claudius Appius Atilius Bradua Regillus Atticus im Jahre 185. Überhaupt war bei den Kaisern des zweiten Jahrhunderts eine sehr wirksame Empfehlung zu Beförderungen literarische Berühmtheit, durch die mehrere hervorragende griechische Sophisten und Schriftsteller zum Konsulat gelangten: so bereits unter Hadrian der Geschichtsschreiber und Philosoph Flavius Arrianus aus Nicomedia in Bithynien, dem wir die Aufzeichnung der Vorträge Epictets verdanken; ferner Claudius Aristocles aus Pergamum, ein Schüler des Herodes Atticus, und die drei Söhne des Damianus von Ephesus (unter Septimius Severus); dagegen Plutarch kann (unter Trajan) höchstens die konsularischen Insignien erlangt haben. Auch Abkömmlinge fürstlicher Familien wurden vermutlich oft durch das Konsulat ausgezeichnet; so unter Trajan der von den Dynasten von Commagene entsprossene C. Julius Antiochus Philopappus und um das Jahr 140 ein C. Julius Severus, Abkömmling einer galatischen Fürstenfamilie; um dieselbe Zeit war C. Julius Alexander Berenicianus, ein Nachkomme der jüdischen Könige, Prokonsul von Asien. Ein Theophilus Sedatus aus Nicäa, ein Bekannter des Aristides, hatte prätorischen Rang, der Rhetor L. Statius Quadratus wurde 142 Konsul, 154 oder 155 Prokonsul von Asia. Die Familie der Quintilier in Alexandria Troas erhob Nerva in den Senatorenstand; die Enkel des von ihm mit dem breiten Purpur geschmückten Sextus Quintilius Valerius Maximus waren die ordentlichen Konsuln des Jahrs 151, die beiden Brüder S. Quintilius, Condianus und S. Quintilius Valerius Maximus, die unter Marc Aurel Griechenland verwalteten und später beide zugleich von Commodus getötet wurden; ihre gleichnamigen Söhne waren Konsuln in den Jahren 172 und 180. Der Vater des Geschichtsschreibers Cassius Dio (geb. um 155), Cassius Apronianus aus Nicäa, war Statthalter von Cilicien und Dalmatien, Cassius Dio selbst stieg bis zum zweimaligen Konsulat. Auch ein Konsular M. Ulpius Eubiotus Leurus, der in der Inschrift eines Ehrensessels im Dionysostheater zu Athen Wohltäter und erster Archon der Stadt genannt wird, hat das Konsulat wahrscheinlich im 2. Jahrhundert bekleidet; und aus dem 2. und 3. Jahrhundert dürfte die große Mehrzahl der Inschriften stammen, in denen Griechen und Kleinasiaten von senatorischem oder konsularischem Range erwähnt werden.

Andre Orientalen durften vor dem 3. Jahrhundert im Senat nur vereinzelt gewesen sein (der Konsular Flavius Boethus, ein eifriger Aristoteliker und mit Galen befreundet, war aus Ptolemais in Phönicien gebürtig): doch seit Caracalla und noch mehr seit Elagabal und Alexander Severus wuchs die Zahl derselben. Zu ihnen gehörte Septimius Odaenathus, Fürst von Palmyra, Großvater des gleichnamigen Gemahls der Zenobia, der konsularischen Rang erhielt. Daß jemals ein aus Palästina stammender Jude (mindestens vor dem 4. Jahrhundert, wo Hieronymus von jüdischen Senatoren spricht) senatorischen Rang erhalten hat, ist nicht bekannt. Palästinensische Juden von Ritterrang erwähnt Josephus, der ihn offenbar selbst nicht besaß. Der senatorische Ritter Tiberius Julius Alexander, ein Neffe des Philosophen Philo, der unter Claudius die Statthalterschaft von Judäa führte, war ein alexandrinischer, vom väterlichen Glauben abgefallner Jude, »aus einer sehr reichen und vornehmen, selbst mit dem kaiserlichen Hause verschwägerten Familie; er hatte sich im Partherkriege als Generalstabschef Corbulos ausgezeichnet, welche Stellung er bald nachher in dem jüdischen Kriege des Titus abermals übernahm«, nachdem er inzwischen die Präfektur von Ägypten verwaltet hatte. Wahrscheinlich sein Sohn oder Enkel ist Ti. Julius Alexander Julianus, römischer Senator, Arvale und Führer einer Legion im parthischen Kriege Trajans.

Noch stärker als gegen die Juden war und blieb der Widerwille gegen die Ägypter. Das römische Bürgerrecht konnten sie nicht erlangen, ohne vorher das alexandrinische erworben zu haben, und selbst dieses letztere verliehen ihnen die Kaiser nur sparsam, und ihre Zulassung zu den ritterlichen Stellen war wenigstens erschwert; ehe aber der erste Alexandriner Koiranos (unter Caracalla) zum Senat zugelassen und dann auch zum Konsul ernannt wurde, vergingen seit der Einverleibung Ägyptens mehr als zweihundert Jahre. Die übrigen Ägypter außer den Alexandrinern entbehrten das Recht, senatorische Ämter zu bekleiden, noch im 5. Jahrhundert. Daß unter Domitian der Ägypter Crispinus als »Erster der Ritter« (vielleicht Präfekt des Prätoriums) eine hervorragende Stellung einnahm und ein Günstling des Kaisers war, erregte Juvenals Unwillen nicht am wenigsten wegen seiner Nationalität.

Daß auch in den spätern Jahrhunderten die Römer vor den Ausländern bei der Wahl zu den höhern Ämtern den Vorzug hatten, würde auch ohne das ausdrückliche Zeugnis des Cassius Dio selbstverständlich sein, der in seiner dem Mäcenas in den Mund gelegten Auseinandersetzung des kaiserlichen Regierungssystems als Grundsatz ausspricht, daß die kurulischen Ämter und namentlich das Konsulat mit Einheimischen besetzt werden sollten. Obgleich diese Regel, wie sich gezeigt hat, nicht streng befolgt werden konnte, hat es vermutlich an dem Streben, sie aufrechtzuerhalten, niemals gefehlt. Noch von einem der Gegenkaiser des Septimus Severus, Pescennius Niger, wird berichtet, daß er die Ansicht hatte, in Rom sollten nur geborne Römer amtlich fungieren dürfen. Die Abneigung und Eifersucht gegen die Fremden, die Geringschätzung »von allem, was außerhalb der Stadtmauer geboren war«, dauerte in Rom bis auf die letzten Zeiten, und noch damals machte der Pöbel im Schauspiel mit tobendem Geschrei seinem Fremdenhasse Luft.

Selbst der Italiker, selbst der Latiner galt dem ausschließlichen Römertume nicht für ebenbürtig, wenn auch höher als der Provinziale; als Senator blieb er ein Emporkömmling, dessen Abstammung noch seinen Kindern nicht leicht vergessen wurde. Antonius, der aus uraltem Geschlecht stammte, hatte dem Octavian vorgeworfen, daß seine Mutter eine Aricinerin sei. »Man sollte glauben«, sagt Cicero, »er rede von einer Frau aus Tralles oder Ephesus. Ihr seht, wie gering wir alle geschätzt werden, die aus Munizipien stammen, also eigentlich alle. Denn wie viele von uns stammen nicht daher?« Er hatte oft genug Anspielungen auf diese Herkunft von Männern des alten Adels anzuhören. Catilina nannte ihn einen »von auswärts zugezogenen römischen Bürger«. Allerdings nahmen schon Augustus und Tiberius, wie es in der Rede des Kaisers Claudius heißt, die Blüte der Munizipien und Kolonien Italiens, wackere und begüterte Männer, in den Senat auf. Wie tief aber trotzdem jene Überhebung in dem römischen Bewußtsein wurzelte, welch zähen Widerstand sie allen verändernden und zerstörenden Einflüssen entgegenzusetzen vermochte, mag man danach ermessen, daß noch ein Jahrhundert später ein Tacitus den Abstand zwischen Rom und den Städten Italiens kaum minder groß fand als die Zeitgenossen Ciceros, und dies nach den Regierungen des aus Reate stammenden Geschlechts der Flavier, des Narniensers Nerva und unter der Regierung des Spaniers Trajan. Seine Äußerungen sind um so merkwürdiger, als er höchstwahrscheinlich selbst von ritterlicher Abkunft war. Die Erzählung des Ehebruchs der Livia, Gemahlin des Drusus, mit Sejan, dem Ritter aus Volsinii, begleitet er mit der Bemerkung: »Und sie, die Augustus zum Oheim hatte, Tiberius zum Schwiegervater, Kinder von Drusus, schändete sich und ihre Vorfahren und Nachkommen durch Ehebruch mit einem Munizipalen!« Und daß Tiberius' Enkelin Julia in zweiter Ehe mit Rubellius Blandus vermählt wurde, galt ihm als eine solche Herabwürdigung der Fürstentochter, daß er es als Gegenstand der öffentlichen Betrübnis bezeichnete, da noch viele sich an den Großvater des Rubellius, einen römischen Ritter aus Tibur, erinnerten, obwohl Rubellius Blandus selbst Konsul gewesen war. Sueton erzählt, Caligula habe in einem Briefe an den Senat seiner Urgroßmutter Livia Augusta eine unedle Abstammung vorgeworfen, da ihr mütterlicher Großvater Ratsmann in Fundi gewesen sei; und er nimmt sie gegen diesen Vorwurf in Schutz: es sei gewiß, daß Aufidius Lurco zu Rom Ehrenämter bekleidet habe. Daß hundert Jahre später Marc Aurel seine Tochter Lucilla dem Sohne eines römischen Ritters von antiochenischer, nicht besonders edler Abkunft, Claudius Pompejanus, gab, das wird man nicht sowohl aus einer Veränderung der Ansichten erklären dürfen, als aus dem weltbürgerlichen Sinne des philosophischen Kaisers, der von den Einflüssen des spezifisch römischen Wesens frei war wie wenige: er wählte, so heißt es, zu seinen Schwiegersöhnen nicht die ersten des Senats und sah nicht auf alten Adel und großen Reichtum, sondern auf Trefflichkeit. Übrigens war weder Lucilla noch ihre Mutter Faustina mit dieser Vermählung zufrieden, und zwar, wie es scheint, nicht bloß deshalb, weil der Erkorne bereits bejahrt war.

Die angeführten Äußerungen dienen zugleich dazu, das Standesgefühl der Senatoren gegenüber dem Ritterstande zu bezeichnen; in der Tat fiel der Abstand zwischen beiden Ständen nicht zum geringsten Teil mit dem Abstande zwischen munizipaler und römischer Abkunft zusammen. Ritter werden auf Denkmälern von ihren Klienten gerühmt und rühmen sich selbst als »Vater eines Senators«, «Großvater eines Senators«. Bei einem Zank zwischen einem Ritter und einem Senator entschied Vespasian: man dürfe Senatoren nicht schmähen, ihre Schmähungen zu erwidern, sei gestattet und in der Ordnung: wodurch er, wie Sueton bemerkt, andeuten wollte, daß die beiden Stände nicht sowohl in bezug auf Berechtigung als auf Würde verschieden seien. Martial bezeichnet die beiden ersten Stände als »die Ritter und die Herren Senatoren«. Ausdrücke des senatorischen Standesgefühls anzuführen, wird später Gelegenheit sein.

Im Strafrecht waren die Mitglieder der beiden ersten Stände als Privilegierte (wie auch die Soldaten, Veteranen und Gemeinderäte der Reichsstädte) von den Plebejern so scharf geschieden, daß eine Standesperson sogar zum Plebejer degradiert werden konnte. Sie waren von der körperlichen Züchtigung, der Folter im Beweisverfahren, der Zwangsarbeit und Bergwerksstrafe sowie von der Kreuzigung und Preisgebung für Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen ausgeschlossen. Eine von einem Plebejer einem Senator oder Ritter zugefügte Beleidigung wurde besonders streng geahndet. Daß in gesellschaftlicher Beziehung der Abstand des Ritterstandes von den kleinen Leuten kein geringer und vollends der erste Stand vom dritten durch eine weite Kluft getrennt war, braucht nicht erst gesagt zu werden; nur eine darauf bezügliche charakteristische Äußerung mag hier Platz finden. Ein Senator von prätorischem Range, der, unter Domitian wegen eines zweifelhaften Vergehens angeklagt, die freiwillige Verbannung der sichern Verurteilung vorzog, sah sich genötigt, zu seinem Lebensunterhalte in Sizilien Unterricht in der Beredsamkeit zu erteilen. Einst, als er vor seinem Auditorium auftrat, sagte er in der Einleitung seiner Rede: »Welches Spiel treibst du mit uns, Fortuna! du machst aus Senatoren Professoren, aus Professoren Senatoren!« In diesem Satze, sagt der jüngere Plinius, ist so viel Galle, so viel Bitterkeit, daß ich glaube, er hat das Lehramt nur übernommen, um dies sagen zu können. Fast mit denselben Worten wie der Senator Plinius stellt Juvenal, der dem zweiten Stande angehörte, dieselben beiden Lebensstellungen als äußerste Gegensätze zusammen. »Will es Fortuna, so wirst du aus einem Rhetor ein Konsul; ebenso, wenn sie es will, aus einem Konsul ein Rhetor!«

2. Die Senatoren

Die Übernahme der kaiserlichen Gewalt konnte sowohl auf Aufforderung der Truppen als des Senats erfolgen; doch auch im ersten Falle trat die Rechtsgültigkeit erst mit der Anerkennung des Senats ein; und ebenso konnte derselbe dem regierenden Kaiser die höchste Gewalt aberkennen, was auch wiederholt geschehen ist. In ihrem Verhältnis zum Senat waren die Kaiser nur die Ersten unter Gleichen, die Mitglieder dieses Stands ihre Pairs: ein Verhältnis, das mit Ausnahme von Caligula, Nero, Domitian und Commodus die Kaiser der beiden ersten Jahrhunderte wenigstens äußerlich aufrechtzuerhalten mehr oder weniger bemüht gewesen sind. Herodian gibt ein fast demütiges Schreiben des zum Kaiser erwählten Opellius Macrinus an den Senat (217), worin er bittet, keinen Anstoß daran zu nehmen, daß er aus dem Ritterstande emporgekommen sei. Der Adel ohne Trefflichkeit sei nutzlos; auch die edle Abkunft des Commodus habe dem Senat nicht genützt, ebensowenig wie die Legitimität der Erbfolge Caracallas. Die Kaiser von hoher Abkunft, welche die Herrschaft als ihr Recht betrachteten, handelten übermütiger gegen die Untertanen als geringere. Diejenigen, welche sie vom Senat empfingen, betrachteten sich als dessen Schuldner und suchten seine Gunst durch Wohltaten zu vergelten.

Einen rechtlich geschloßnen Senatorenstand, eine erbliche Pairie, schuf erst Augustus, indem er das Recht der Bewerbung um kurulische Ämter und den nach wie vor mit denselben verbundenen Senatssitz auf den Kreis der Familien beschränkte, deren Vorfahren solche Ämter bekleidet hatten, vorausgesetzt, daß der einzelne Bewerber zum mindesten ein Vermögen von einer Million Sesterzen (217.500 Mark) besaß, um den an ihn herantretenden materiellen Anforderungen genügen zu können. Dieser neue Senatorenstand unterscheidet sich von der auch unter den Kaisern fortbestehenden Nobilität dadurch, daß er durch strenge rechtliche Abgrenzung und Festsetzung bestimmt ist, während die Nobilität nur auf sozialer Exklusivität eines festen Kreises beruht, dem seit der Übertragung der Beamtenwahlen auf den Senat (am Anfange der Regierung des Tiberius) nur diejenigen Personen zugerechnet werden, deren Vorfahren (von väterlicher oder mütterlicher Seite) vor diesem Zeitpunkte das Konsulat bekleidet hatten. Die Aufnahme der dem Senatorenstande nicht durch Geburt Angehörigen in diesen erfolgte teils durch Erteilung des senatorischen Standesrechtes an junge Leute, teils durch außerordentliche Aufnahmen von Nichtsenatoren in eine der drei untern Rangklassen des Senats ( adlectio): beide Arten der Pairskreierung wurden von den Kaisern ausgeübt, wenn auch die letztere formell erst seit dem Aufgehen der Zensur in die kaiserliche Kompetenz zu den kaiserlichen Rechten gehörte. Auch diese Erhebung erfolgte mit der Rechtswirkung der Erblichkeit. Der senatorische Stand erstreckte sich auch auf die Frauen der Mitglieder sowie auf die agnatische Nachkommenschaft bis zum dritten Grade.

15. DEKORATIVES WANDGEMÄLDE.
Pompeii, Haus der Vettier

Schon zu Anfang der Kaiserzeit kann die Zahl der Familien von altem Adel im Senat nicht groß gewesen sein. Mehrere waren bereits ausgestorben, wie die Atilier, Meteller, Curier, Fulvier, oder in den Schlachten der Bürgerkriege und durch die Acht gefallen – durch die Acht der zweiten Triumvirn fielen gegen 300 Senatoren und 2000 Ritter: andre erloschen in der ersten Kaiserzeit, wie die Ämilischen Syaurer, oder versanken in schmähliche Dürftigkeit, wie die Hortensier, und gingen so der Standesrechte verlustig und verloren sich unter den übrigen Ständen. Wie diese Lücken wieder gefüllt wurden, ist bereits erwähnt. Zunächst blieb der Ritterstand die »Pflanzschule des Senats«, und nicht bloß aus der Ritterschaft Roms, auch aus den Kolonien und Munizipien Italiens, bald auch aus den Provinzen wurden »neue Männer«, durch Geburt, Reichtum und Verdienst ausgezeichnet, immer zahlreicher in den Senat aufgenommen. Von C. Rutilius Gallicus, der sich durch militärische Verdienste zum Konsulat aufschwang und unter Domitian Stadtpräfekt war, sagt Statius, er habe den Seinen das Geschlecht ersetzt und auf seine Vorfahren den Adel rückwärts erstreckt: vermutlich stammte er aus einer ritterlichen Familie, wenn auch wohl bereits sein Vater in den Senatorenstand erhoben worden war. Feste Normen der Beförderung zum Senator gab es für die nichtsenatorischen Ritter nicht. Ein tatsächliches Anrecht auf diese Beförderung gab, späterhin wenigstens, das Gardekommando, dessen Inhaber beim Rücktritt von diesem höchsten Ritteramt in der Regel zu Senatoren erhoben, zum Teil durch diese Standeserhöhung auf ehrenvolle Weise in den Ruhestand versetzt wurden.

16. DEKORATIVES WANDGEMÄLDE.
Pompeii, Haus des Apollo

Nicht bloß aus dem zweiten, auch aus dem dritten Stande schwangen sich einzelne durch Glück, Verdienst oder Gunst schon im Anfange der Kaiserzeit zum ersten empor. Schon während des Bürgerkrieges war ein Mann von niedrigstem Stande, Salvidienus Rufus, von Octavian zum Konsulat erhoben worden, obwohl er nicht einmal Senator gewesen war. Curtius Rufus, von so niederer Herkunft, daß einige ihn den Sohn eines Gladiators nannten, gelangte durch Talent und Geldunterstützung von Freunden zur Quästur und stieg, ebenso untertänig gegen Höhere wie hochmütig gegen Geringere, zum Konsulat und zum Prokonsulat von Afrika auf. Tiberius, der ihn bei der Prätur vor adligen Mitbewerbern bevorzugte, sagte zur Entschuldigung des Fleckens seiner Geburt: »Curtius Rufus scheint mir von sich selbst abzustammen.« Noch manche andre unter diesen »Söhnen ihrer Taten« verdankten ihr Emporkommen ihrer Bereitwilligkeit, als Werkzeuge der kaiserlichen Absichten zu dienen, besonders als Delatoren in Majestätsprozessen. Junius Otho, ursprünglich Lehrer der Beredsamkeit, wurde durch Sejans Gunst Senator und stieg durch seinen von keiner Bedenklichkeit zurückgehaltenen Eifer bis zur Prätur, Eprius Marcellus und Vibius Crispus, beide von niedrigster Herkunft und in Armut aufgewachsen, durch gewissenlose Ausbeutung ungewöhnlicher Talente zu den höchsten Stellungen, ungeheurem Reichtum und großer Macht. Auch militärisches Verdienst konnte niedrig Gebornen den Weg zum Senat bahnen. Cassius Dio läßt Mäcen den Rat erteilen, die ausgezeichnetsten Offiziere auf diese Weise zu befördern, wenn sie als Centurionen eingetreten seien; nur wer als gemeiner Soldat gedient und Schanzkörbe und Holzbündel geschleppt habe, von dem zieme es sich nicht, daß er je Senator werde. Auch sind gewiß Laufbahnen wie die des Oclatinius Adventus äußerst selten gewesen: als gemeiner Soldat eingetreten, nach Cassius Dio als Subalterner zu Henkersdiensten verwendet, war er trotz seines gänzlichen Mangels an Bildung allmählich bis zur Präfektur des Prätoriums aufgerückt, dann unter Macrinus Stadtpräfekt und nach Niederlegung dieses Amts 218 Konsul geworden. Die ersten Männer vom Senatorenstande, von denen es bekannt ist, daß sie ihre Laufbahn als Centurionen begannen, sind der Kaiser Pertinax und der Gegenkaiser des Severus, Pescennius Niger.

Daß Freigelassene, denen in den Munizipien und Kolonien überall der Eintritt in den ersten Stand verschlossen war, vor Commodus in den Senat aufgenommen worden sind, ist nicht zu glauben; erst der Günstling des Commodus, Cleander, machte Freigelassene zu Senatoren und Patriziern. Unter Caracalla wurde ein ehemaliger Sklave, Marcius Agrippa, der einst Haarkräusler seiner Herrin gewesen war, bei seiner Entsetzung von einem hohen ritterlichen Amte zum Senator mit prätorischem Range gewissermaßen degradiert. Elagabal »machte Freigelassene zu Statthaltern, Legaten, Konsuln, Feldherrn«. Mit um so größerer Strenge kehrte Alexander Severus zu der alten Ausschließung derselben zurück, er machte sie nicht einmal zu Rittern. Wenn daher Epictet ausführt, »der Sklave wünsche sich die Freiheit, habe er diese erlangt, so sei er abermals unzufrieden und wünsche sich den Ritter- und Offiziersrang, und sei er endlich zum Ziel aller Wünsche, zum Senatorenstande gelangt, so sei er immer nur in einer glänzenden Knechtschaft«, so hat er entweder einen zu einer Zeit unmöglichen Fall als möglich angenommen, oder sich in völliger Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse befunden.

17. RÖMISCHES WANDGEMÄLDE.
1. Jahrhundert n. Chr. (»Frauen spielen mit einer Ziege.«) Paris, Louvre

Söhne von Freigelassenen wurden schon von den ersten Kaisern zugelassen, um so weniger Schwierigkeit fand der Eintritt ihrer fernern Abkömmlinge; schon in der Mitte des 1. Jahrhunderts gab es eine große Anzahl senatorischer Familien von solcher Abstammung. Die Vitellier stammten nach einigen von einem freigelassenen Flickschuster, dessen Sohn durch Güterparzellierungen und Staatsagenturen Geld erwarb und mit einer Bäckerstochter den ersten Mann in der Familie erzeugte, der es bis zum Ritterstande und einem kaiserlichen Finanzamt brachte; dessen vier Söhne waren Senatoren, einer bekleidete dreimal das Konsulat und die Zensur und wurde Vater des Kaisers Vitellius. Claudius, der auch in dieser Beziehung keine unbedingte Ausschließung wollte, erteilte doch dem Sohne eines Freigelassenen den breiten Purpurstreif nur unter der Bedingung, daß er sich von einem Ritter adoptieren ließ, und ähnliche Förmlichkeiten sind vielleicht öfter beobachtet worden. Nero nahm Söhne von Freigelassenen lange überhaupt nicht auf und versagte den von frühern Kaisern aufgenommenen die Ehrenämter. Später haben sie auch diese bekleidet, wenn sie gleich in der Regel hinter Mitbewerbern von adliger Abkunft zurückstehen mochten. Noch Valentinian, Valens und Gratian fanden sich veranlaßt, in einem Reskript ausdrücklich zu erklären, daß Söhne von Freigelassenen von der Erlangung des Clarissimats nicht ausgeschlossen sein sollten.

Je mehr nun von Geschlecht zu Geschlecht im Senat die Menge der Neulinge und Emporkömmlinge wuchs, die Zahl der Senatoren von edler und alter Abkunft abnahm – daß ihrer wenige waren, bemerkt um das Jahr 166 Apulejus, und schon fünfzig Jahre früher spricht Juvenal von dem Zusammenschmelzen des Adels –, desto größer wurde ohne Zweifel der Stolz der altadligen Familien auf ihre Stammbäume; aber auch die allgemeine Achtung vor Abkömmlingen altberühmter Geschlechter erlitt mindestens keine Verminderung. Das Recht, die Bildnisse der Vorfahren im Atrium aufzustellen, war das eigentliche Kennzeichen vornehmer Abkunft. Mit Ehrfurcht betrat man die Häuser, wo halbverlöschte Gemälde von Triumphatoren auf Viergespannen die Wände und rauchgeschwärzte Wachsmasken der Ahnen die Atrien erfüllten, unter denen die Inschriften Namen, Titel und Taten meldeten. »Ahnenbilder und Inschriften« fanden bei der Menge mindestens nicht geringere Bewunderung als in der Zeit des Horaz: wie im Mittelalter und in neuern Zeiten liebte auch im Altertum Rom seine großen Herren, wenn sie die schönen Namen mit Anstand trugen, und nahm gern teil an dem Glanze, den die Familien des heimischen Adels um sich verbreiteten. Die versifizierte Schulrede Juvenals über das Thema, daß nur eigne Tugend, nicht Ahnen Wert verleihen, beweist gerade, wenn es dessen bedurfte, daß ein entgegengesetztes Gefühl allgemein verbreitet war. Einen auffallenden Beweis für die hohe Geltung, in welcher der alte Adel beim Volke stand, gibt die Erzählung des Tacitus von dem Prozeß der Ämilia Lepida im Jahre 20, die von ihrem geschiedenen Gemahl P. Sulpicius Quirinus der Unterschiebung eines Kindes und andrer schwerer Verbrechen angeklagt war. Sie, »die neben dem Glanz des Hauses der Ämilier sich auch der Abstammung von Sulla und Pompejus rühmen konnte«, erregte trotz ihres üblen Rufs und ihrer Schuld allgemeines Mitleiden. Als sie, von edlen Frauen begleitet, im Pompejustheater ihre Ahnen um Schutz anflehte, brach das Volk in Tränen und Verwünschungen aus, daß eine Frau, die einst zur Gemahlin des L. Cäsar und Schwiegertochter des Augustus bestimmt gewesen war, einem durch sein kinderloses Alter einflußreichen Manne aus einer so niedrigen Familie geopfert werde. Seneca, der gelegentlich in ähnlicher Weise wie Juvenal moralisiert, gesteht nicht bloß ausdrücklich ein, daß bei der Bewerbung um Ämter der Adel manchen höchst schändlichen Menschen vor rührigen, aber »neuen« Männern den Vorzug verschafft habe, sondern er fügt auch hinzu, daß dies »nicht ohne Grund« geschehen sei. So haben dem Fabius Persicus (Konsul 34) trotz seines schimpflichen Lebenswandels seine Ahnen, Verrucosus, Allobrogicus und die 300 Fabier, die Wahl in die höchsten Priestertümer verschafft; dem ebenso berüchtigten Mamercus Scaurus († 32) die Abstammung von dem alten Scaurus (Konsul 115 v. Chr.), welcher der Erste des Senats war, das Konsulat. Tacitus rühmt von Tiberius, daß er in der ersten Zeit seiner Regierung bei Erteilung von Ehrenstellen auf Adel Rücksicht genommen, Plinius ebenso von Trajan, daß er die Sprößlinge alter Familien bei Erteilung von Ämtern besonders bevorzugt habe, was Domitian aus Furcht und Mißtrauen vermieden hatte. Wie in der amtlichen Laufbahn, so war in allen Verhältnissen der Adel eine mächtige Förderung und Empfehlung und blieb darum ein hohes Gut, wenn man auch dem Besitz, auf dem Stand und Rang basiert, einen höhern realen Wert zugestehen mochte.

In der Tat war Alter und Vergangenheit mancher noch in der Kaiserzeit blühenden Familien ehrwürdig. Zwar von denen, deren Ahnen bereits von Romulus oder Brutus in den Senat gewählt waren, die sich also eines achthundertjährigen Adels rühmen konnten, waren im 1. Jahrhundert nur wenige übrig. Doch muß es damals noch eine nicht ganz geringe Anzahl sogenannter troischer (von Äneas und seinen Begleitern sich herleitender) und albanischer (ebenfalls über die Gründung Roms hinaufreichender) Familien gegeben haben, da man von den erstern zu Ende der Republik noch etwa fünfzig zählte. In einer Sammlung griechischer, für den Unterricht verfaßter Gespräche kommt vor: ich will einen Senator besuchen, der sein Geschlecht von Romulus und den Äneaden ableitet. Einer solchen Abkunft rühmten sich vor allem die Julier, die das Bild des Äneas wie das des Romulus und der Albanerkönige bei ihren Leichenbegängnissen mit aufführten. Die Memmier leiteten sich von dem Trojaner Mnestheus ab. Die Antonier nannten, wie die Fabier, Herkules ihren Ahnherrn, die Aelii Lamiae den Lästrygonenkönig Lamus. Die Calpurnier, deren vornehmster Zweig die Pisonen waren, leiteten ihre Herkunft von König Numa ab: Gnäus Piso, das Haupt des Hauses unter Tiberius, räumte kaum dem Kaiser den Vorrang ein; auf dessen Söhne sah er als tief unter ihm stehend hinab. Überhaupt waren Stammbäume, die in die Fabelwelt hinaufreichten, nicht selten; sie wurden von griechischen Gelehrten bereitwillig ausgearbeitet. Eine dem Q. Vitellius, dem Oheim des Kaisers, gewidmete Schrift leitete die Familie, deren Ursprung nach andern ein sehr niedriger war, von Faunus, dem Könige der Aboriginer, und der an vielen Orten göttlich verehrten Vitellia ab. Obwohl man wußte, daß der Großvater des Kaisers Vespasian, ein Reatiner, im Bürgerkriege Centurio, sein Vater Zollpächter gewesen war, wurde der Versuch gemacht, das Geschlecht der Flavier auf einen Gefährten des Herkules zurückzuführen; doch Vespasian spottete selbst darüber. Der Kaiser Galba, aus dem alten und edlen Geschlechte der Sulpicier, stellte in seinem Atrium eine Ahnentafel aus, in welcher er seine väterliche Abkunft auf Juppiter, seine mütterliche auf Pasiphae, die Gattin des Minos, zurückführte. Auch diejenigen, die Ungläubigen gegenüber diese Stammbäume preisgaben oder selbst bewitzelten, fanden es zuweilen der Mühe wert, sie gegen die übrigen zu vertreten, und konnten es, ohne sich lächerlich zu machen; wie denn Julius Cäsar in der seiner Tante Julia gehaltenen Leichenrede ihre Abkunft von Ancus Marcius auf der einen, und von Venus, der Großmutter des Julus, auf der andern Seite rühmte. Auch M'. Acilius Glabrio (zum zweiten Male Konsul 186), den Pertinax zum Kaiser vorschlug, führte seinen Stammbaum auf Äneas, die Familie Marc Aurels den ihren auf Numa zurück, und Herodes Atticus rühmte von seiner Gemahlin Annia Regilla, Schwester des Appius Annius Bradua (Konsul 160), sie sei aus dem erlauchten Blute des Anchises und der idäischen Göttin gewesen, und führte auch seinen eignen Stammbaum bis zu den Äakiden hinauf, wie überhaupt die Herleitung der Abstammung aus der Heroenzeit auch in Griechenland in dieser Zeit nicht selten gewesen zu sein scheint. Die Akten der Arvalpriester geben besonders stattliche Verzeichnisse von Männern der höchsten Adelsfamilien, aus denen dieses Kollegium bestand. Bei dem Jahresopfer der Dea Dia im Mai 38 z. B. gehörten von den anwesenden Mitgliedern nur drei zu den erst unter Augustus emporgekommenen Familien, Taurus Statilius Corvinus, C. Cäcina Largus (Konsul 42) und Annius Vinicianus, die übrigen waren Paulus Fabius Persicus, C. Calpurnius Piso, M. Furius Camillus, »der letzte Sprosse des Siegers von Veji«, Appius Junius Silanus und Cn. Domitius Ahenobarbus, der Vater des Kaisers Nero; auch die Ahnen dieser beiden »hatten oft den Purpur der Republik getragen«. Die Domitii Ahenobarbi zählten in ihren Ahnentafeln während der Republik 6 Konsulate (außerdem 2 unter Augustus), 2 Zensuren und 2 Triumphe. An ruhmvollen Erinnerungen war vielleicht kein Geschlecht so reich wie die Claudier, deren Anfänge bis in die erste Zeit der Republik zurückreichten; sie zählten 22 Konsulate, 5 Diktaturen, 7 Zensuren, 7 große, 2 kleine Triumphe; viele hochberühmte Männer und Frauen, gewaltig im Guten und Bösen, hatten sie aufzuweisen, maßloser Stolz und unbeugsame Härte war von jeher das Erbteil ihres Stamms gewesen. Übrigens erhielten sich alte Stammbäume und deren hohe Schätzung bis in die letzten Zeiten des römischen Reichs.

Die Sitte, außer dem eignen Namen noch andre anzunehmen, namentlich neben dem durch Adoption erworbnen auch den ursprünglichen zu führen, zeigt sich unter der Julisch-Claudischen Dynastie nur vereinzelt, erst seit den Flavischen Kaisern, mit denen ja »überhaupt die neuen Leute und die neuen Ordnungen ans Ruder kamen«, häufig. Teils infolge von Adoptionen und Quasiadoptionen, teils durch die Hinzufügung der Namen der mütterlichen Verwandten zu dem eignen, überhaupt aus Eitelkeit auf die Familienbeziehungen und aus andern Gründen »schwollen die Namen des römischen Adels dermaßen an«, daß schon unter Trajan einzelne wie Q. Pempejus Falco mehr als zehn führten; dessen Sohn, Q. Pompejus Senecio, Konsul 169, sogar nicht weniger als achtunddreißig, die in einer Ehreninschrift folgendermaßen lauten: Q. Pompejus Senecio Roscius Murena Coelius Sex. Julius Frontinus Silius Decianus C. Julius Eurycles Herculaneus L. Vibullius Pius Augustanus Alpinus Bellicius Sollers Julius Aper Ducenius Proculus Rutilianus Rufinus Silius Valens Valerius Niger Claudius Fuscus Saxa Amyntianus Sosius Priscus.

Häufiger wohl als durch alten Adel glänzten die senatorischen Familien durch fürstlichen Reichtum. Ein großes Vermögen hieß in der Umgangssprache ein senatorisches. Das höchste aus dem Altertum überhaupt bekannte Vermögen von 400 Millionen Sesterzen (87 Millionen Mark) besaß unter Augustus der Augur Cn. Lentulus; es wurde später nur noch einmal, durch Narcissus, den unter Claudius allmächtigen Freigelassenen, erreicht. Schon die Hälfte galt als sehr großer Reichtum; »reicher als (Vibius) Crispus« sagt Martial für ungeheuer reich; Vibius Crispus soll 200 Millionen Sesterzen (43½ Millionen Mark) besessen haben. Aber auch ein Vermögen von 300 Millionen Sesterzen (65¼ Millionen Mark) dürfte im Senatorenstande nicht allzu selten gewesen sein; denn an Seneca, der soviel besaß, schreibt Nero bei Tacitus, daß sehr viele, die ihm an Verdienst keineswegs gleichgekommen seien, mehr besessen hätten, wie u. a. der im Jahre 56 im Alter von 93 Jahren als Stadtpräfekt verstorbene L. Volusius Saturninus, um von den Freigelassenen gar nicht zu reden. Auch Eprius Marcellus, der aus beschränkten Verhältnissen emporgekommen war, hatte ein Vermögen in diesem Betrage zusammengebracht. Das Jahreseinkommen von einem solchen Vermögen dürfte dem ziemlich nahe gekommen sein, was Olympiodor als das Einkommen der reichsten römischen Familien am Anfang des 5. Jahrhunderts angibt: im ganzen nach heutigem Gelde etwa 4,8 Millionen Mark. Denn die Kapitalien der Senatoren trugen, wie unten gezeigt werden wird, in der Regel hohe Zinsen, und selbst bei der Anlage in Grundbesitz darf man einen Ertrag von mehr als 6 Prozent annehmen. Ein Kapital von 300 Millionen Sesterzen (etwa 65¼ Millionen Mark) zu 7 Prozent verzinst gibt einen jährlichen Ertrag von rund 4,5 Millionen Mark.

Ohne Zweifel hatten die in Italien einheimischen Senatoren dort von jeher große Güter; erst die Zunahme der Provinzialen im Senat veranlaßte Trajan (etwa im Jahre 106/7) zu der gesetzlichen Bestimmung, daß Bewerber um kurulische Ämter den dritten Teil ihres Vermögens in Italien in Grundbesitz anlegen sollten, damit sie dieses Land wie ihre Heimat, nicht wie eine Herberge auf der Reise betrachteten. Marc Aurel setzte das in italischem Landbesitz anzulegende Kapital für die auswärtigen Senatoren auf den vierten Teil des Vermögens herab. Offenbar war es gewöhnlich, sich in verschiedenen Landschaften zugleich anzukaufen, so daß niemals alle Erträge derselben Ungunst der Witterung ausgesetzt waren, man Klima und Aufenthalt häufig wechseln und auch auf der Reise zu Hause sein konnte; schon in der Zeit des Horaz waren ohne Zweifel nicht selten sardinische Kornfluren, Bienenstöcke in Calabrien, Viehtriften dort und im cisalpinischen Gallien, »tausend Morgen falernischen Weinlandes« und Landsitze an dem Ufer des Liris in einem Besitz vereint: sowie ein Jahrhundert später parmensische Herden (welche jährlich 600.000 Sesterzen = über 130.000 Mark eintragen konnten), Güter in Etrurien, die von unzähligen, in Ketten arbeitenden Sklaven bebaut wurden, apulische Gefilde, setinische Weinberge und Besitzungen bei dem durch seine Bienenzucht berühmten Hybla in Sizilien. Der in Neros und Domitians Zeit so viel genannte M. Aquilius Regulus besaß Güter in Umbrien, Etrurien, bei Tusculum und an der Straße von Rom nach Tibur, die Schwiegermutter des jüngern Plinius, Pompeja Celerina, bei Ocriculum, Narnia, Carsulä und Perusia. Die Familie der Aurelii Symmachi besaß in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts (außer drei Palästen in Rom und einem in Capua) 15 Villen, teils in unmittelbarer Nähe der Stadt, teils an den beliebtesten Orten der Küste (Ostia, Lavinium) und des Gebirgs (Tibur, Präneste, Cora), teils am Golf von Neapel (bei Formiä, Cumä, Bauli, Bajä, Puteoli, Neapel und am Lucrinersee), und Güter in Samnium, Apulien, Sizilien und Mauretanien. Denn auch in den Provinzen, wo vermutlich amtliche Aufenthalte oft Gelegenheit zu Landankäufen gaben, waren die Senatoren nicht selten begütert. Nach jenem Erlasse Trajans verkauften die Bewerber um kurulische Ämter in den Provinzen, um in Italien kaufen zu können. Der erste Gordian »besaß in den Provinzen so viel Ländereien wie kein Untertan«; der Präfekt des Prätoriums Probus (368 n. Chr.) »war der ganzen römischen Welt bekannt, da seine Güter in allen ihren Teilen zerstreut lagen«. Ein Erlaß der Kaiser Arcadius und Honorius vom Jahre 395 bezieht sich auf Senatoren, die sich in Rom aufhalten, aber in fernen und verschiedenen Provinzen Besitzungen haben. Die Senatoren von provinzialer Abkunft waren natürlich in der Regel in ihrer Heimat begütert. Die aus dem narbonensischen Gallien stammenden erhielten deshalb (wie bemerkt) im Jahre 49 die Befugnis, ohne Urlaub dorthin zu reisen, was früher nur für Sizilien gegolten hatte. Rubellius Plautus hatte ererbte Besitzungen in der Provinz Asia, Flavius Ursus, ein Gönner des Statius, außer seinen italischen Gütern (bei Locri, Pollentia, in Lucanien, am rechten Tiberufer und an andern Orten), auch solche auf Creta und in Cyrene. In Neros Zeit gehörte die Hälfte des Bodens der Provinz Afrika sechs großen Besitzern, und unter Domitian waren in dieser (doch auch in andern Provinzen) die Güter von Privatpersonen nicht bloß ebenso groß, sondern viele weit größer als die Gebiete der Stadtgemeinden, sie enthielten eine nicht geringe Bauernbevölkerung und Ortschaften nach Art von Städten um das Herrenhaus: unter und neben diesen großen Grundherren werden auch solche von senatorischem Range nicht gefehlt haben. Es ist also keine bloße Phrase, wenn Seneca von weiten Landstrichen spricht, die von Sklaven in Ketten bebaut werden, von Viehtriften, die Königreichen und Provinzen an Ausdehnung gleichkommen; oder Columella von Völkergebieten, die ihre Herren nicht einmal zu umreiten imstande sind. Weit und breit gab es keinen See, in dem sich nicht die Schlösser der Großen spiegelten, keinen Golf, an dem sich nicht ihre Villen erhoben; von allen Meer und Land überschauenden Anhöhen schimmerten ihre Dächer. Ihre Paläste in Rom, mit königlichen Vorhöfen, hohen Atrien, reichen Bädern, Bibliotheken, Gemäldegalerien, weiten Peristylien, welche Lorbeer- und Platanenhaine, Springbrunnen, Fahr- und Wandelbahnen einschlossen, hatten die Ausdehnung von Landgütern, ja sie »glichen Städten«; in Palästen, die sich so weit erstreckten wie einst das Landgut des Cincinnatus (4 Morgen), meinte man enge zu wohnen. Den von seinem Gönner Sparsus bewohnten Petilianischen Palast nennt Martial ein Königreich; aus seinem Erdgeschoß sah man auf die höchsten Punkte Roms herab; man genoß dort den Landaufenthalt in der Stadt, und die Lese im Weingarten war größer als auf einem falernischen Hügel. Dort gab es hinreichenden Raum zu Spazierfahrt im leichten Wagen innerhalb der Hausschwelle, und kein Straßenlärm, keine zu früh eindringende Tageshelle störte den Schlaf.

Mit seinen Tausenden von Sklaven und Freigelassenen aus allen Nationen bildete ein großes Haus einen kleinen, bis zu einem gewissen Grade auf sich selbst ruhenden Staat, dessen Angehörige nicht bloß seine Hilfsquellen allseitig ausbeuteten und seinen Wohlstand erhielten und mehrten, sondern auch einen Teil der Bedürfnisse befriedigten, für welche in der neuern Welt Handwerk und Industrie arbeiten und schaffen, ja selbst zu der Veredlung und Verschönerung der Existenz durch die Kunst beizutragen und einen Teil der Vorteile zu gewähren vermochten, welche die Wissenschaft zu bieten hat. Außer diesen Angehörigen ernährte jedes große Haus eine nicht geringe Anzahl Abhängiger ganz oder zum Teil, andre verdankten der fürstlichen Freigebigkeit seines hohen Herrn Unterstützung und Förderung in ihrer Laufbahn, manche, die bessere Tage gesehen hatten, Erleichterung oder Herstellung ihrer frühern Verhältnisse. Mit der Freilassung von Sklaven wurde wahrscheinlich sehr häufig eine mehr oder minder reiche Beschenkung verbunden; Martial erwähnt eine solche, vermutlich bei dieser Gelegenheit erfolgte, von 10 Millionen. Auch auf die Familien ihrer Anhänger und Klienten erstreckten die Großen Roms ihre Freigebigkeit und ihren Schutz. So rühmt ein Freigelassener des Cotta Messalinus, eines Freunds des Kaisers Tiberius, in seiner an der Appischen Straße gefundenen Grabschrift: sein Patron habe ihm mehrmals Summen bis zur Höhe des ritterlichen Zensus (400.000 Sesterzen = 87.000 Mark) geschenkt, habe die Erziehung seiner Kinder übernommen, seine Söhne wie ein Vater ausgestattet, seinen Sohn Cottanus, der im Heere diente, zum Militärtribunat befördert, ihm selbst dieses Grabdenkmal errichten lassen.

Das größte Ansehen und den größten Anhang unter den Häusern des hohen und alten Adels hatte um die Mitte des 1. Jahrhunderts das des C. Calpurnius Piso, der im Jahre 65 an die Spitze einer Verschwörung gegen Nero trat, die ihm den Thron gewinnen sollte, in der Tat aber den Tod brachte. Aus der Verbannung, in die ihn Caligula gesandt hatte, war er von Claudius zurückberufen, in seine Besitztümer wieder eingesetzt und zum Konsul ernannt worden; sein großes Vermögen hatte sich durch die Erbschaft seiner Mutter noch vergrößert. Er besaß alle Eigenschaften, die beim Volke beliebt machen konnten. Er war von stattlicher Gestalt und schönen Zügen, ein leutseliger, selbst gegen Unbekannte gesprächiger Herr, stets bereit, seine Beredsamkeit zum Schutz von Bedrängten zu verwenden, nichts weniger als sittenstreng, sondern ein Freund heiteren Lebensgenusses bis zur Üppigkeit, prachtliebend und freigebig bis zur Verschwendung, dabei gewandt in der Poesie und der Kunst der Kithara sowie im Ball- und Brettspiel und im Fechten. Ritter und Senatoren, die ohne ihre Schuld verarmt waren, unterstützte er und beförderte jährlich eine Anzahl von Männern aus dem Volk zu ritterlichem Zensus und Stande. Noch länger als ein Menschenalter nach seinem Tode wurde seine großartige Freigebigkeit von Dichtern gerühmt.

Nach Nero änderte sich die Stellung der Aristokratie. An Stelle der alten, zum Teil zugrunde gerichteten oder ausgestorbenen Familien traten mehr und mehr neue Männer aus Italien und den Provinzen, die ihre frühern, aus engen Verhältnissen mitgebrachten Lebensgewohnheiten beibehielten, und Vespasian ging mit dem Beispiel haushälterischer Sparsamkeit voran. Unter Domitian mußten sich überdies die Großen hüten, durch Glanz, Freigebigkeit und ausgebreitete Klientelen Verdacht zu erregen: erst unter Trajan konnten sie wieder uneingeschränkt »schenken, kleine Vermögen vergrößern, von dem eignen Überschuss mitteilen«. So hatte denn Martial Grund, die Zeiten der Piso und Crispus, der Seneca und der Memmier zurückzuwünschen. Damals, sagt er, waren die Freunde noch häufig, die ihren Klienten goldene Ringe schenkten (d. h. ihnen durch ein Geschenk von 400.000 Sesterzen den Eintritt in den Ritterstand ermöglichten), jetzt sind sie selten; und doch ist der glücklich zu nennen, dem ein zu seinem Hause gehöriger Ritter zur Seite geht.

Aber auch in der spätern Zeit blieb das Leben der Senatoren glänzend, selbst großartig, ein Vermögen, das in diesem Stande nicht als Reichtum galt, immer noch sehr bedeutend. Am Anfange des 5. Jahrhunderts hatten die Häuser zweiten Rangs ein Einkommen von 1000 bis 1500 Pfund Gold (etwa 0,9-1,3 Millionen Mark). Der jüngere Plinius, der seine Würde eine kostspielige, seine Mittel nur mäßige nennt, gibt gelegentlich Andeutungen über seine Einnahmen und Ausgaben, die uns einige Vorstellungen von den Vermögensverhältnissen der weder hochadligen, noch für reich geltenden Senatoren in Trajans Zeit gewinnen lassen. Aus einer zum ritterlichen Munizipaladel (der Stadt Comum) gehörenden Familie stammend, bekleidete er mit 29 Jahren das erste senatorische Amt (die Quästur) und wurde nach einer im ganzen schnellen Durchmessung der amtlichen Laufbahn im Alter von 38 Jahren von Trajan zum Konsul ernannt (im Jahre 100). Sein für einen Munizipalen bedeutendes Vermögen vergrößerte er wahrscheinlich durch seine drei Heiraten, gewiß durch die Erbschaft seines Oheims und seine Tätigkeit als Sachwalter, die ihm ohne Zweifel große indirekte Einkünfte (wie testamentarische Zuwendungen) verschaffte, da er Belohnungen und Geschenke stets zurückwies. Bei den Ausgaben, die er als Prätor für Schauspiele zu machen hatte, wußte er Maß zu halten. Sein Vermögen war zum größten Teil in Grundbesitz angelegt, auf dem der sehr einträgliche Weinbau in großem Umfange betrieben wurde; doch verminderte Plinius seine Einkünfte durch die Rücksicht, die er auf den Vorteil seiner Pächter und die Käufer seiner Gutserträge nahm. Übrigens lieh er auch Kapitalien auf Zinsen aus. Er hatte Besitzungen in Etrurien unweit Tifernum Tiberinum, die für mehr als 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) verpachtet wurden, in der Lombardei bei Comum, wo er ein ihm durch Erbschaft zugefallenes Gut im Werte von 900.000 Sesterzen (195.750 Mark) für 700.000 (152.250 Mark) verkaufte, auch im Beneventanischen; ferner mehrere Villen am Comersee, eine in Etrurien und eine bei Laurentum, deren Einrichtungen nach seiner Beschreibung freundlich, bequem und zierlich, wenn auch nicht prächtig und ohne eigentlichen Luxus waren. Etwa im Jahre 101 ging er mit der Absicht um, ein Gut für drei Millionen Sesterzen (652.500 Mark) zu kaufen; dazu mußte er Geld aufnehmen; zunächst stand ihm die Kasse seiner Schwiegermutter zu Gebot. Eine sparsame Haushaltung machte es ihm möglich, gegen Klienten und unvermögende Freunde eine immerhin große Freigebigkeit zu beweisen, und er hat nicht wenige Briefe, die davon Zeugnis ablegen, in seine Sammlung aufgenommen. Seiner Amme schenkte er ein Gütchen im Wert von 100.000 Sesterzen (21.750 Mark); ebensoviel einer Verwandten zur Ausstattung, der er überdies nach dem Tode ihres Vaters dessen ganze, wie es scheint, nicht unbedeutende Schuld erließ. Ein Landsmann, dem Plinius eine Centurionenstelle ausgewirkt hatte, erhielt zur Ausrüstung 40.000 Sesterzen (8700 Mark); ein andrer, der zugleich sein Mitschüler gewesen war, 300.000 Sesterzen (65.250 Mark) zur Erlangung der Ritterwürde; die Tochter eines unbegüterten Freunds 50.000 Sesterzen (10.875 Mark) als Beitrag zur Mitgift; der Dichter Martial, der Plinius in einem Gedicht gepriesen hatte, ein Reisegeld bei seiner Heimkehr nach Spanien. In der Stadt Tifernum Tiberinum, deren Patron er war, ließ Plinius auf eigne Kosten einen Tempel erbauen, bei dessen Einweihung er ein Festmahl gab; als ein Cerestempel auf einem seiner Grundstücke baufällig geworden war, beschloß er, statt der Reparatur ein neues, schönes Gebäude nebst einer Säulenhalle aufführen zu lassen; er bestellte vier Marmorsäulen, Marmor zum Auslegen der Wände und des Bodens, eine Statue der Göttin. Er vollendete nicht nur nach dem Tode seines Vaters einen von diesem begonnenen Tempel der Ewigkeit (Aeternitas) der Stadt Rom und des Kaisers, sondern machte auch weiterhin seiner Vaterstadt große Zuwendungen, die von seiner »echt italienischen Anhänglichkeit an die Heimat« zeugen. Er schenkte der Stadt Comum eine Bibliothek im Werte, wie es scheint, von einer Million (217.500 Mark) und stiftete zugleich zur Unterhaltung und Vermehrung derselben ein Kapital von 100.000 Sesterzen (21.750 Mark); zur Besoldung eines anzustellenden Lehrers der Beredsamkeit erbot er sich den dritten Teil beizutragen. Eine zweite Gabe bestand in 500.000 Sesterzen (108.750 Mark) zur Alimentierung freigeborner Knaben und Mädchen, als deren Zinsen von einem an die Gemeinde übertragnen, dann als Erbpacht zurückerworbnen Grundstück jährlich 30.000 Sesterzen = 6525 Mark (also 6 Prozent) entrichtet werden sollten. In seinem Testament endlich vermachte er der Stadt eine unbekannte Summe zur Erbauung von Thermen, zur innern Einrichtung derselben mindestens 300.000 Sesterzen (65.250 Mark), zur Instandhaltung die Zinsen eines Kapitals von 200.000 Sesterzen (43.500 Mark); sodann ein Kapital von 1,866.666⅔ Sesterzen (rund 406.000 Mark), dessen Zinsen zunächst zur Versorgung von hundert Freigelassenen des Testators, späterhin, d. h. wohl nach dem Ableben derselben, zur Ausrichtung eines jährlichen Schmauses für die gesamte Bürgerschaft von Comum verwandt werden sollten.

Wenn ein nicht besonders reicher Senator über solche Mittel verfügte, so ist klar, daß der senatorische Zensus von einer Million Sesterzen (etwa 217.500 Mark) eben nur ein Minimalansatz gewesen sein kann, der vielleicht zum standesgemäßen Leben eines Einzelnen, aber nicht einer ganzen Familie ausreichte. Auch in den Mittelklassen Roms dürften größere Vermögen nicht selten gewesen sein; bei Martial rühmt sich ein Prahler, aus seinen Miethäusern und Grundstücken eine Jahreseinnahme von 3 Millionen (652.500 Mark), von seinen Parmensischen Herden 600.000 Sesterzen (130.500 Mark) zu beziehen, außerdem große Kapitalien auf Zinsen ausgeliehen zu haben. Selbst wohlhabende Munizipalen und Provinzialen besaßen offenbar (wie auch ihre Schenkungen und Vermächtnisse zeigen) sehr oft mehr als den senatorischen Zensus. Der Vater des Apulejus z. B. hinterließ nahezu zwei Millionen, der des Herennius Rufinus in Oea (nach Apulejus) drei, die Witwe Pudentilla, die Apulejus dort heiratete, besaß vier. In der Kolonie des Petronius erbt einer der Honoratioren von seinem Vater dreißig. Ebensoviel will Trimalchio hinterlassen; dieselbe Summe hat er angeblich durch einen Schiffbruch verloren, dagegen durch eine glückliche Fahrt 10 Millionen gewonnen, und ebensoviel hätte er erheiraten können. Die Jahrgelder, die Nero bedürftigen Senatoren, Vespasian bedürftigen Konsularen auswarf, betrugen 500.000 Sesterzen (108.750 Mark), die Hälfte des senatorischen Zensus.

Die Mitglieder des ersten Stands waren gleichsam »auf eine hohe Warte gestellt« und allen Blicken ausgesetzt, so daß sie unmöglich die großen und mannigfachen Ansprüche, die von allen Seiten an sie gemacht wurden, umgehen konnten, ohne gegen die öffentliche Meinung zu verstoßen, die einen standesgemäßen Aufwand von ihnen erwartete und forderte. Schon Horaz war froh, nicht von hoher Geburt zu sein, die ihm eine lästige Bürde auferlegt hätte. Er würde sich dann um Vermehrung seines Vermögens zu bemühen, mehr Besuche zu machen haben, keine Reise aufs Land oder über Land ohne Begleitung machen können, Pferde, Wagen, Stallknechte halten müssen. Ein Prätor, den man auf der Straße von Tibur von nur fünf Sklaven begleitet gesehen hatte, die mit Kochgeschirren bepackt waren, hatte sich im höchsten Grade lächerlich gemacht. Wieviel bequemer lebte der Dichter als der hochherrliche Senator! Auch in bezug auf die Tracht legt die Sitte den Senatoren Zwang auf. Noch unter Hadrian, als es schon allgemeine Sitte war, auf der Straße in weiten Mänteln ( lacernae) und Sandalen zu erscheinen, galt für Senatoren eigentlich nur die unbequeme Toga und der geschnürte hohe Schuh als anständig. Einem Senator, der kurz vor dem ersten Juli (dem Haupttermin des Wohnungswechsels) in ein Gartenhaus gezogen war, um später eine leergebliebene Wohnung billiger mieten zu können, nahm Tiberius, dem dies zu Ohren kam, den breiten Purpur. Wer jetzt für 6000 Sesterzen (1305 Mark) jährlich wohnt, schrieb damals Vellejus, wird kaum für einen Senator gehalten. In der Tat spricht es für die verhältnismäßige Einfachheit dieser Zeit, daß ein Senator in dem teuren Rom für eine so geringe Miete überhaupt wohnen konnte, wenn auch freilich damals schon über Paläste geklagt wurde, welche die Ausdehnung von Landgütern hatten. Aber erst nach Tiberius begann der Luxus ins Enorme zu wachsen, worin die Kaiser mit ihrem Beispiel vorangingen, bis Vespasian wieder Sparsamkeit einführte. Die senatorischen Familien, die in Verschwendung und Prachtliebe einander steigerten, in Palästen, Ausstattung, Gefolge einander zu überbieten strebten, erschöpften zum Teil selbst ungeheure Mittel, und nicht wenige sanken in Verschuldung und Armut.

Einen noch größern Aufwand als die Behauptung der standesgemäßen Stellung erforderte die Laufbahn der senatorischen Ehrenämter, die mit kolossalen Ausgaben verbunden war, hauptsächlich wegen der dabei zu veranstaltenden Spiele. Schon für diese allein war der senatorische Zensus kaum ausreichend. Die megalensischen Spiele kosteten dem Prätor am Ende des 1. Jahrhunderts 100.000 Sesterzen (21.750 Mark), und dann fielen sie noch sehr dürftig aus, ein andres Fest 20.000 (4350 Mark), so daß also das Jahr der Prätur vielleicht nicht selten die Hälfte des senatorischen Zensus und darüber kostete. Sprach ihn ein armer Freund um 100.000 Sesterzen an, die ihm noch fehlten, um den Ritterzensus voll zu machen, so erwiderte er, er brauche sie für die Wagenlenker Scorpus und Thallus und würde sehr zufrieden sein, wenn er nicht mehr geben müßte. Aber, fragt Martial, wäre jene Verwendung des Geldes nicht besser als für Gäule und für eine Besprengung der Bühne mit Safran? Eine Frau, die sich von ihrem Manne scheiden ließ, bevor er die Prätur antrat, machte, wie Martial sagt, ein gutes Geschäft; und nicht wenige Prätoren richteten sich durch die Zirkusspiele zugrunde und wurden so nach Juvenals Ausdruck »eine Beute der Pferde«.

Während die Senatoren so zu großen Ausgaben gezwungen waren, waren sie in der Erhöhung ihrer Einkünfte vielfach behindert und beschränkt. Schon die Verwaltung des Vermögens war durch amtliche Geschäfte und Reisen erschwert. Hochgestellte Männer, sagt Epictet, Senatoren, können wenig dem Haushalt obliegen, sondern müssen viel reisen, befehlend oder gehorchend, in höherem Auftrage, im Kriegsdienst oder behufs der Rechtspflege; und gewiß erreichten Senatoren selten die höchsten Ziele ihrer Laufbahn, ohne in den verschiedensten Ländern umhergeworfen worden zu sein. Als Beispiel mag die amtliche Laufbahn des Schwiegervaters des Tacitus, Julius Agricola, dienen. In Fréjus im Jahre 40 geboren und in Marseille aufgewachsen, tat er, neunzehn Jahre alt, seine ersten Kriegsdienste in Britannien und begab sich im Jahre 61 nach Rom, wo er sich vermählte. Die Quästur, die er am 5. Dezember 63 antrat, hatte er in der Provinz Asia zu verwalten. In den Jahren 66 und 68 bekleidete er zu Rom das Tribunat und die Prätur. Von Vespasian wurde er mit der Führung der in Britannien stehenden zwanzigsten Legion beauftragt und erhielt nach seiner Rückkehr im Jahre 74 die Statthalterschaft über die Provinz Aquitanien (das südwestliche Frankreich), die er drei Jahre lang verwaltete. Im Jahre 77 wurde er Konsul und ging im folgenden Jahre als Konsularlegat zum dritten Male nach Britannien, dessen Eroberung er in einem siebenjährigen Feldzuge vollendete; er unterwarf sogar den südlichen Teil von Schottland bis nach Glasgow und Edinburg hin. Seit seiner Abberufung lebte er zurückgezogen in Rom und lehnte, da der Argwohn Domitians jede hervorragende Stellung für ihn gefährlich machte, auch die Statthalterschaft der Provinzen Asia oder Afrika ab, von denen ihm eine nach der Entscheidung des Loses zugefallen sein würde. Da die Laufbahn des Agricola, auch bis zu seinem freiwilligen Rücktritt, keineswegs ausnahmsweise wechselvoll war, so ist leicht zu ermessen, in wie hohem Grade die Senatoren in der Verwaltung ihres Vermögens durch die amtlichen Stellungen behindert waren.

Sodann waren sie von jedem eigentlichen geschäftlichen Erwerb nicht bloß durch das Herkommen, sondern durch gesetzliche Verbote ausgeschlossen. Das alte, zur Zeit des zweiten punischen Krieges erlassene Claudische Gesetz, daß kein Senator oder Sohn eines Senators ein Seeschiff von mehr als 300 Amphoren (7,8 Tonnen) besitzen dürfe, war durch Julius Cäsar neu bestätigt worden. Auch Hadrians Erlaß, daß kein Senator unter eignem oder fremdem Namen Zölle pachten dürfe, war nur Erneuerung einer ebenfalls schon vor dem zweiten punischen Kriege erfolgten Bestimmung, welche den Stand von allen öffentlichen Pachtungen, und damit überhaupt von der Spekulation ausgeschlossen haben muß; daß ihnen ausnahmsweise erlaubt war, bei den Spielen des Mars Ultor sowie bei den Apollinar- und den kapitolinischen Spielen die Lieferung der Pferde für die Rennbahn zu übernehmen, geschah wohl nur, um das Ansehen dieser Spiele zu erhöhen.

Doch freilich konnten alle solche Gesetze durch Geschäfte unter fremdem Namen umgangen werden, teils indem Senatoren sich an Handelsgesellschaften beteiligten, teils indem sie durch Freigelassene und Sklaven Geschäfte aller Art machen ließen, namentlich Geldgeschäfte, die sie nicht in eignem Namen machen wollten. So griff Vespasian zu geschäftlichem Erwerb, nachdem er bereits die Provinz Africa als Prokonsul verwaltet hatte, um seinen Rang behaupten zu können, und Pertinax trieb ebenfalls als Konsular in Ligurien durch Vermittlung seiner Sklaven Handel. Das Ausleihen von Kapitalien zu gesetzlichen Zinsen stand den Senatoren natürlich frei. Als im Jahre 33 durch Verschärfung einer cäsarischen Verordnung, die das Verhältnis der zinsbar auszuleihenden Gelder zum italischen Grundbesitz regelte, eine Geldkrisis entstand, war die Zahl der Senatoren, die »ihr Vermögen durch Ausleihen von Geld vermehrten« und dabei gegen jene Verordnung verstießen, offenbar nicht gering. Wucher wurde wohl hauptsächlich in den Provinzen getrieben. So hatte Seneca den Britanniern ein Darlehen von 40 Mill. Sesterzen (8,7 Mill. Mark) zu hohen Zinsen aufgedrungen, seine plötzliche und gewaltsame Eintreibung war ein Grund zum Aufstande der Provinz im Jahre 60. Noch in seinen letzten Jahren machte er durch seine Agenten in Ägypten Geschäfte und erhielt mit der Kornflotte Briefe über den Stand seiner dortigen Angelegenheiten. Alexander Severus verbot anfangs den Senatoren, überhaupt Zinsen zu nehmen, gestattete ihnen später aber 6 Prozent. Daß der spätere Kaiser Antoninus Pius als Senator sein Geld zu dem sehr niedrigen Zins von 4 Prozent auslieh, geschah, um möglichst viele (wohl gewiß Standesgenossen) unterstützen zu können, und wird als Beweis seiner Uneigennützigkeit angeführt.

Doch die Mehrzahl der Senatoren legte ihr Kapital wohl wenigstens zum großen Teil in Grund- und Sklavenbesitz an. Die Ausbeutung der Sklavenarbeit konnte sehr lohnend sein, teils indem man nicht bloß Geschäfte, sondern auch Handwerke aller Art durch Sklaven betreiben ließ, teils indem man sie vermietete. Auch die Kapitalanlage in Grundbesitz führte zu industriellen und kaufmännischen Unternehmungen, wenn Sandsteingruben, Bergwerke, Ziegeleien, Töpfereien und andre Fabriken auf den Gütern eingerichtet werden konnten. Namentlich die Fabrikation grober Tonwaren war ein Geschäft der großen Grundbesitzer; die Kaiser selbst und Mitglieder der kaiserlichen Familie, auch die höchsten Damen zogen große Einnahmen aus dem Betriebe von Ziegeleien. Die Namen der beiden Brüder Cn. Domitius Tullus und Cn. Domitius Lucanus, die in Domitians Zeit zu den reichsten Senatoren gehörten, erscheinen oft auf Ziegelstempeln, und zwar verschiedner von verschiednen Werkmeistern geleiteten Fabriken. Die von dem kinderlosen Tullus adoptierte Tochter des Lucanus, Domitia Lucilla, erbte mit dem Vermögen beider auch die Fabriken, die sie ihrer gleichnamigen Tochter hinterließ; dann gingen sie an deren Sohn, den Kaiser Marc Aurel, über. Aber auch andre Fabrikationen der verschiedensten Art wurden auf großen Gütern betrieben. Der Kaiser Pertinax erweiterte als Konsular eine Filzfabrik in Ligurien, die er von seinem Vater geerbt hatte, sehr durch Ankauf großer Grundstücke und Aufführung einer Menge von neuen Gebäuden; er war selbst drei Jahre dort und betrieb den Handel mit den Waren der Fabrik durch seine Sklaven. Besitzer, deren Güter an große Landstraßen stießen, errichteten dort Gastwirtschaften und erwirkten zuweilen vom Senat die Erlaubnis, auf ihren Ländereien Messen und Märkte abhalten zu lassen.

Abgesehen von diesen Arten des Erwerbs hatten die Senatoren auch den Vorzug, daß ihnen besoldete, zum Teil sehr einträgliche Stellen im Heer, in der Verwaltung und in den Provinzen offen standen. Der junge Adlige, der den ganzen Reichtum seiner Ahnen seiner Leidenschaft für Pferde geopfert hatte, konnte noch auf das Kommando einer Kohorte hoffen; das Jahrgehalt eines Tribunen betrug schon 25.000 Sesterzen (über 5400 Mark). Die Legaten, die an der Spitze der kaiserlichen Provinzen standen (gewesene Konsuln und Prätoren) sowie die Prokonsuln (die Statthalter der senatorischen Provinzen) bezogen ebenfalls feste Jahresgehälter; das des Prokonsuls von Afrika betrug am Anfang des 3. Jahrhunderts eine Million.

Überdies bereicherten sich die Statthalter oft genug durch Erpressungen, wenn diese gleich nicht mit so schamloser Offenheit betrieben werden konnten wie während der Republik. Im Falle einer Anklage richtete der Senat über sie, der im allgemeinen nur zu sehr zur Nachsicht gegen Kollegen geneigt zu haben scheint. Der jüngere Plinius führte in den Jahren 100 und 101 die Sache der Provinzen Afrika und Bätika, die in einem und demselben Jahre von ihren Prokonsuln Marius Priscus und Cäcilius Classicus aufs äußerste bedrückt und geplündert worden waren. Der letztere, der vor der Verhandlung gestorben war, hatte ein Verzeichnis seiner Erpressungen hinterlassen und an eine Maitresse nach Rom geschrieben, er komme frei (von Schulden) zurück, da er aus dem »Verkauf eines Teils der Bätiker« bereits 4 Millionen Sesterzen gelöst habe. Der erstere wurde überwiesen, Hinrichtungen Unschuldiger für Geld vollstreckt zu haben. Ein Provinziale hatte unter anderm die Bestrafung eines römischen Ritters mit Stockschlägen, dann dessen Verurteilung zur Bergwerksarbeit, endlich seine Erdrosselung im Kerker für 700.000 Sesterzen (152.250 Mark) erkauft; der dieses Geschäft vermittelnde Legat, ein Stutzer, hatte für sich noch 10.000 Sesterzen (2175 Mark) »zu wohlriechenden Wassern und Pomaden« ausbedungen. Der Legat wurde nicht einmal aus dem Senat gestoßen, seine Strafe bestand nur darin, bei der Verlosung der Provinzen fortan übergangen zu werden. Marius Priscus wurde aus Italien verwiesen, blieb aber reich genug, um in einem schwelgerischen Leben »sich an dem Zorn der Götter zu laben«. So gelind war die Strafe für eine so scheußliche und offenkundige Mißhandlung einer Provinz selbst unter Trajan; und daß ein solches Mißregiment in den vielfach bereits durch eine zu große Steuerlast überbürdeten Provinzen nicht allzu selten war, dafür sprechen Tatsachen genug. Tiberius führte für seinen Grundsatz, die Statthalter lange auf demselben Posten zu lassen, die Rücksicht auf die Lage der Untertanen an. Denn jede Macht neige nun einmal zur Habgier; seien sie nun nur auf kurze Zeit eingesetzt, so beeilten sie sich um so mehr, zu plündern, blieben sie länger im Amte, so hätten sie Zeit, sich zu sättigen, und gingen dann gelinder zu Werke. Er verglich die Lage der Provinzialen mit der eines Verwundeten, auf dessen Wunden Fliegenschwärme saßen, der aber das Anerbieten eines Hinzukommenden, sie fortzuscheuchen, ablehnte. Denn von denen, die sich jetzt bereits an seinem Blut gesättigt hätten, werde er wenig mehr gequält, wenn ihn aber neue, hungrige Schwärme überfielen, so werde er es nicht überstehen können. Ob jedoch die längere Dauer der Statthalterschaften den Provinzen in der Tat eine große Erleichterung gewährt hat, ist sehr fraglich. Quintilius Varus ließ das reiche Syrien, das er arm betreten hatte, nach neunjähriger Verwaltung als ein verarmtes Land zurück, während er selbst reich geworden war. Seneca sagt mit bitterer Ironie: »Daß die Provinzen geplündert und die Urteilssprüche nach erfolgter Steigerung und Anhörung der beiderseitigen Gebote dem Meistbietenden zugeschlagen werden, ist nicht wunderbar, da man nach Völkerrecht verkaufen kann, was man gekauft hat«. Das Lob der »außerordentlichen Mäßigung und Enthaltsamkeit« oder »Unsträflichkeit«, die Vitellius und Otho in der Provinzialverwaltung bewiesen, und ähnliche Lobeserhebungen zeigen wohl, daß eher das Gegenteil die Regel war. Wandte sich eine Provinz an einen Anwalt in Rom, um ihre Sache zu führen, so war es stets eine geplünderte und mißhandelte. Juvenal ermahnt einen Abkömmling hoher Ahnen, wenn die lang erwartete Provinz ihm endlich zufalle, mit den hilflosen Bundesgenossen Mitleid zu haben, denen das Mark aus den Knochen schon ausgesogen ist. Ihnen nützt die Verurteilung ihrer Plünderer nichts. Die Prozesse verschlingen das Vermögen der Kläger, und Pansa entreißt ihnen, was Natta noch gelassen hat. Den besten Teil der einst unermeßlichen Reichtümer haben schon Verres und seine Zeitgenossen fortgeschleppt. Jetzt kann man ihnen nur noch wenige Joch Ochsen, eine kleine Herde Stuten, ein Gütchen und die Bilder der Hausgötter nehmen. Wenn das Gefolge des Statthalters unsträflich sei, kein schöngelockter Page die Entscheidungen seines Tribunals verhandle, keine Schuld an seiner Gemahlin hafte und sie nicht wie eine Harpyie mit scharfen Klauen, um Gold zu raffen, durch die Städte und Kreistage stürme, so sei dies alles ebensoviel wert wie der älteste Stammbaum. Pertinax hielt sich nach der Angabe seines Biographen bis zur Verwaltung von Syrien tadellos, nach dem Tode Marc Aurels wurde er geldgierig, nach der Verwaltung von vier konsularischen Provinzen trat er bereits als reicher Mann in den Senat ein.

Wenig begüterte Senatoren, die in den Kriegsdienst nicht eintreten wollten und die kostspielige amtliche Laufbahn einzuschlagen nicht imstande waren, konnten als Redner vor Gericht Vermögen erwerben; denn wenn gleich die Belohnungen gerichtlicher Verteidigungen durch wiederholte Erlässe auf 10.000 Sesterzen (2175 Mark) beschränkt waren, so waren doch auch diese Bestimmungen sehr leicht zu umgehen und die Einnahmen gesuchter Anwälte in der Tat sehr hohe. Viel höher freilich wurden die bezahlt, und ihrer waren im 1. Jahrhundert nur zu viele, die ihr Talent zu dem schändlichen Gewerbe von Anklägern in Majestätsprozessen mißbrauchten: wie schon, um nur diese zu nennen, die großen Reichtümer der Aquilius Regulus, Vibius Crispus, Epirus Marcellus beweisen. Der erstere wurde von Nero für seine Tätigkeit als Ankläger mit dem Konsulat, einem Priestertum und 7 Millionen Sesterzen (über 1½ Mill. Mark) belohnt; er setzte diese Tätigkeit unter Domitian fort und hoffte sein Vermögen auf 120 Millionen (26 Mill. Mark) zu bringen; Vibius Crispus, dessen Reichtum (wie bereits erwähnt) unter Domitian sprichwörtlich war, besaß 200 Millionen (43½ Mill. Mark), Epirus Marcellus 300 Millionen (über 65 Mill. Mark).

Daß die Rechtsgelehrsamkeit von Senatoren (zu deren Stande die größten Juristen der beiden ersten Jahrhunderte gehörten) zur unmittelbaren Quelle von Einnahmen gemacht worden sei, ist nicht zu glauben; dagegen verlieh sie Einfluß, Ehre und Ansehen und war zur Erlangung von Ämtern und Würden vom allergrößten Nutzen; namentlich kam sie gewiß nicht bloß bei der Wahl der wohl schon seit Hadrian fest angestellten und besoldeten kaiserlichen Räte, sondern auch bei der Besetzung der Stadtpräfektur vorzugsweise in Betracht, welches Amt die großen Juristen Pegasus (unter Vespasian und Domitian) und Salvius Julianus (unter Hadrian) bekleideten. Die Ehre des Konsulats wurde einer großen Anzahl der berühmtesten Rechtslehrer der beiden ersten Jahrhunderte zuteil. Antistius Labeo soll es wegen seiner unabhängigen Gesinnung nicht erhalten oder abgelehnt haben; das letztere tat auch A. Cascellius. Der gefügigere Rival des Labeo, Atejus Capito, bekleidete es im Jahre 5 n. Chr. M. Coccejus Nerva war Konsul vor dem Jahre 24, C. Cassius Longinus 30, Caninius Rebilus († 56) in einem unbekannten Jahre, Cälius Sabinus 69, Pegasus vielleicht unter Vespasian, Neratius Priscus etwa 83, P. Juventius Celsus wohl unter Trajan und abermals im Jahre 129, Pactumejus Clemens im Jahre 138 zusammen mit M. Vindius Verus, Salvius Julianus im Jahre 148.

Wenn die gesetzlichen und ehrenvollen Mittel zur Vermehrung der Einnahmen der Größe des Aufwands häufig nicht entsprachen, der von den Senatoren gefordert wurde, so kann es nicht befremden, daß senatorische Familien immer von neuem in die drückendste Lage, ja in die tiefste Dürftigkeit gerieten. Einzelne Mitglieder derselben verkauften sich aus Not zum Auftreten in den öffentlichen Schauspielen, namentlich unter Nero. Als der nachherige Kaiser Vitellius von Galba als Konsularlegat nach Deutschland geschickt wurde, mangelte es ihm so an Reisegeld, daß er eine Perle, die seine Mutter im Ohr trug, verpfänden, seinen Palast für die übrige Zeit des Jahrs vermieten und Frau und Kinder, die er in Rom zurückließ, in einer Mietwohnung unterbringen mußte; kaum gelang es ihm, durch Unverschämtheit die Haufen von Gläubigern loszuwerden, die ihn zurückhalten wollten. Othos Schulden beliefen sich nach Neros Tode auf 200 Mill. Sesterzen (43½ Mill. Mark). Viele Senatsfähige blieben Ritter, um sich den erdrückenden Ehren des ersten Stands zu entziehen, oder mußten zu deren Übernahme gewaltsam genötigt werden. Ein gewisser Surdinius Gallus, der im Jahre 47 nach Karthago zog, um nicht Senator zu werden, mußte auf Claudius' Befehl zurückkehren, um sich »in goldene Fesseln« schlagen zu lassen. Andre senatorische Ritter, die den Eintritt in den Senat verweigerten, stieß Claudius auch aus dem Ritterstande.

Sehr häufig waren die Gesuche von Senatoren um kaiserliche Unterstützung oder Entlassung aus ihrem Stande. Im allgemeinen gewährten die Kaiser, die ja selbst dem Stande angehörten, Unterstützungen bereitwillig und sorgten gern für die Erhaltung altberühmter Geschlechter; doch konnten sie natürlich nicht allen Bedürfnissen entsprechen; auch war ihr Verfahren sehr verschieden. Augustus, der auch hierin freigebig war, vermehrte unter anderm im Jahre 4 n. Chr. achtzig Senatoren ihr Vermögen bis auf 1,200.000 Sesterzen (260.000 Mark); einer dessen sämtliche Schulden er mit 4 Millionen (870.000 Mark) bezahlt hatte, schrieb darauf an ihn: und mir gibst du nichts? Tiberius behielt zwar nach dem gewiß unverdächtigen Zeugnis des Tacitus die Tugend der Freigebigkeit zu edlen Zwecken auch dann bei, als er die übrigen ablegte; doch weil er vermutlich zu viel Gesuche erhielt, wollte er nur den Senatoren Unterstützung bewilligen, welche dem Senat die Gründe ihrer Verarmung nachwiesen, und schreckte durch diese und andre Härten die meisten ab. Dem Propertius Celer, der bereits die Prätur bekleidet hatte, schenkte er im Jahre 15 eine Million Sesterzen, da es bekannt war, daß seine Mittellosigkeit von seinem Vater herstammte. Marius Nepos, ein Mann von demselben Range, der um Bezahlung seiner Schulden bat, mußte die Namen seiner Gläubiger nennen, worauf Tiberius ihm anzeigte, daß er die Zahlungen angewiesen habe, aber eine kränkende Ermahnung hinzufügte. Hortensius Hortalus, ein Enkel des Redners, war von Augustus durch das Geschenk einer Million veranlaßt worden, eine Familie zu begründen, damit das berühmte Geschlecht nicht ausstürbe. Als er im Jahre 16, begleitet von seinen vier Söhnen, im Senat um Unterstützung seiner offenkundigen Armut bat, wies Tiberius das Gesuch schroff zurück, bewilligte dann, da dies einen üblen Eindruck machte, jedem Sohne 200.000 Sesterzen (43.500 Mark), nahm sich aber weiter des Hauses nicht an, obwohl es in schmähliche Dürftigkeit versank. Solche, die durch Verschwendung verarmt waren, stieß Tiberius aus dem Senat oder gestattete ihnen, freiwillig auszutreten. Als ein berüchtigter Verschwender, Acilius Buta, der gewohnt war, Nacht in Tag zu verwandeln, sich nach Verprassung eines ungeheuren Besitztums als unvermögend meldete, sagte Tiberius: Du bist zu spät aufgewacht. Nero warf dem M. Valerius Messalla Corvinus, der 58 im Konsulat sein Kollege war, ein Jahresgehalt von einer halben Million Sesterzen aus, um dem verarmten Adligen ein standesgemäßes Auftreten zu ermöglichen; auch dem Aurelius Cotta und Haterius Antoninus bewilligte er Jahrgelder, obwohl sie ihr ererbtes Vermögen verschwendet hatten. Auch Vespasian erwies sich sehr freigebig, ergänzte Senatoren den Zensus und unterstützte dürftige Konsulare mit Jahrgeldern von einer halben Million (108.750 Mark). Hadrian gewährte denjenigen Senatoren, die ohne ihre Schuld Bankrott gemacht hatten, durch Unterstützungen, die nach der Zahl der Kinder bemessen und vielen lebenslänglich gezahlt wurden, die Mittel, standesgemäß zu leben. Zur Erfüllung der mit den kurulischen Ämtern verbundenen amtlichen Verpflichtungen (namentlich Schauspiele) machte er nicht nur Freunden, sondern auch einigen Männern vom übelsten Rufe große Geschenke und unterstützte auch einige (wohl gewiß senatorische) Frauen. Er selbst hatte als Prätor von Trajan 2 Millionen (435.000 Mark) zur Veranstaltung von Schauspielen erhalten. Auch Antoninus Pius unterstützte Senatoren und Magistrate bei der Erfüllung ihrer amtlichen Obliegenheiten. So lieh er dem Gavius Clarus, der, obwohl ihm nach Bezahlung der Schulden seines Vaters wenig übriggeblieben war, die Quästur, Ädilität und Prätur bekleidet hatte, Geld zur Bestreitung der Kosten der letztern aus der kaiserlichen Kasse; jener zahlte die ganze Summe zurück. Fronto, dem Clarus sehr nahe stand, schreibt an L. Verus, daß er selbst ihm auf jede Weise die Erfüllung der senatorischen Leistungen erleichtern würde, wenn er ein größeres Vermögen besäße. Es scheint gewöhnlich gewesen zu sein, daß reiche Senatoren ihre verarmten Standesgenossen um der Ehre des Standes willen unterstützten: wie z. B. der oben erwähnte C. Calpurnius Piso seine königliche Freigebigkeit auch in dieser Hinsicht bewährte.

Überhaupt scheint innerhalb des ersten Standes bis zu einem gewissen Grade die Verpflichtung zu gegenseitiger Unterstützung anerkannt worden zu sein; wie namentlich zu Schauspielen nicht bloß von Freunden, sondern auch von ferner stehenden Standesgenossen Beisteuern geliefert und in der Regel angenommen wurden. Daß der unter Caligula hingerichtete Julius Gräcinus (der Vater des Agricola) die ihm von den Konsularen Fabius Persicus und Caninius Rebilus zu diesem Zweck gesandten hohen Summen wegen des üblen Rufes beider ablehnte, während er sie von andern annahm, darin lag nach Senecas Auffassung die Ausübung einer Zensur. Brannte das Haus eines vornehmen Mannes ab, so sah man, wie Juvenal sagt, die Aristokratie in Trauer, der Prätor setzte die Verhandlungen aus, und die von allen Seiten zum Wiederaufbau einlaufenden Beiträge fielen so reichlich aus, daß der Abgebrannte wohl gar in Verdacht geriet, das Feuer selbst angelegt zu haben: während es niemandem einfiel, dem Armen, der durch den Brand seine ganze Habe verloren hatte, ein Obdach oder Unterstützung zu gewähren.

Die Sitte, einen weiten Kreis im Testament mit Vermächtnissen zu bedenken, hatte eine solche Ausdehnung angenommen, daß auch dies für die meisten Senatoren eine regelmäßige Quelle von Einnahmen gewesen zu sein scheint. Der jüngere Plinius freute sich, daß er so oft mit Tacitus zusammen genannt wurde; auch in Testamenten wurden sie in der Regel beide, und zwar mit gleichen Legaten bedacht, falls nicht der Erblasser einem von beiden ganz besonders nahe stand. So sind auch in dem noch erhaltenen (im Jahre 108 verfaßten) Testament des Dasumius höchstwahrscheinlich für beide Vermächtnisse ausgesetzt gewesen. Endlich waren die sonst verbotenen Schenkungen zwischen Mann und Frau behufs Erlangung oder Aufrechterhaltung von Stand und Würden gestattet; und daß Senatoren, besonders von hohem Adel, es nicht schwer fanden, ihre Verhältnisse durch eine reiche Heirat zu verbessern, würde schon die Erzählung Suetons zeigen, daß dem Vater des Kaisers Galba seine zweite, sehr schöne und reiche Frau wegen seiner sehr alten und vornehmen Abkunft sich förmlich angetragen, ja aufgedrungen habe, obwohl er klein und bucklig war. Aber überhaupt war »einen breiten Purpurstreif zu heiraten« das höchste Ziel des Ehrgeizes gewiß nicht weniger Frauen.

Was den Eintritt in den Senat trotz einer so drückenden Belastung und trotz mancher empfindlichen Beschränkung noch immer zu einem höchsten Ziele für den strebenden Ehrgeiz machte und die Senatoren selbst mit einem hohen Gefühl ihrer Würde erfüllte, ihnen das Bewußtsein gab, in der damaligen Welt die Ersten zu sein: das war vor allem die Erlangung der aus der Republik herübergenommenen Ämter, die ihnen allein zustand. Auch jetzt noch, wo sie fast nur äußern Glanz verliehen, ihrer alten Macht und Bedeutung aber so gut wie völlig entkleidet waren, galten sie selbst den Einsichtigsten und Besten als hohe und erstrebenswerte Ehren. Wenige Erscheinungen der spätern römischen Welt sind so merkwürdig wie diese, daß selbst das klägliche Schattenbild der alten Größe jahrhundertelang in so hohem Grade statt des längst entschwundenen Wesens gelten, die alte Ehrfurcht erwecken, den alten, unwiderstehlichen Zauber üben konnte. So tief und unzerstörbar war in den Gemütern der Menschen dieses Gefühl befestigt, daß bis zum Ausgange des Altertums, ja noch darüber hinaus das Konsulat als die höchste Würde gepriesen wurde, die ein Untertan erreichen konnte. Im Greisenalter der römischen Welt, da es längst zu einem kindischen Pomp herabgeschwunden war, nannte es der Kaiser Julian »eine Ehre, die jede Macht aufwiegt«; im 6. Jahrhundert, als es ein leerer, des Sinns barer Name war, wurde es noch als »das höchste Gut und die größte Ehre in der Welt« gerühmt. Als Grund dieser Schätzung führt Libanius an, daß der Name des Konsuls in der ganzen Welt bekannt werde und niemals untergehen könne. Um so weniger mag es befremden, daß in der aufsteigenden Periode der Kaiserzeit auch ein Tacitus das damals noch nicht aller seiner Funktionen beraubte und nun dadurch, daß die regierenden Kaiser es wiederholt zu bekleiden pflegten, mit neuem Glanz ausgestattete Konsulat für den Gipfelpunkt menschlichen Strebens ansehen konnte. In der Schlußbetrachtung über Agricolas Lebenslauf sagt er: »Da er die Ehren des Konsulates und des Triumphes erlangt hatte, was konnte ihm das Schicksal noch mehr verleihen?«

Bis zu welchem Grade vollends die Eitelkeit kleinerer Geister sich vorzuspiegeln vermochte, daß die Ämter ihre alte Bedeutung noch hatten, daß man das wirklich sei, was man nur vorstellte, zeigt am auffallendsten die Art, wie sich der jüngere Plinius über eines der geringsten und bedeutungslosesten unter allen, das Volkstribunat, äußert. Er fand es mit der Würde eines Tribunen unvereinbar, während seines Amtsjahres als Anwalt vor Gericht aufzutreten. »Es kommt freilich viel darauf an, wofür man das Tribunat hält, ob für einen leeren Schatten, für einen Namen ohne wirkliche Ehre, oder für eine unverletzliche Macht, die niemand in Schranken weisen sollte, nicht einmal ihre Eigner. Als ich selbst Volkstribun war, mag ich vielleicht im Irrtum gewesen sein, daß ich etwas zu sein glaubte; doch in diesem Glauben enthielt ich mich der Verteidigungen vor Gericht, erstlich, weil ich es für unschicklich hielt, daß, während alle sitzen, derjenige stehen solle, vor dem alle aufstehen, dem sie den Vortritt einräumen müssen; daß er, der jedem Stillschweigen auferlegen könne, durch die Wasseruhr im Reden unterbrochen werden, daß er, gegen den nicht einmal Einreden gestattet seien, Schimpfreden anhören solle, und daß er, wenn er sie ungerächt dulde, schwach, wenn er sie räche, anmaßend erscheinen müsse.«

Für das erste senatorische Amt, die Quästur, scheint seit Augustus der unter dem Namen Vigintivirat zusammengefaßte Ämterkomplex eine Vorstufe gewesen zu sein. Jedem Aspiranten auf die Kurie war außerdem die Pflicht auferlegt, Offiziersdienst zu leisten, für welchen als Minimalalter das laufende 18. Jahr galt; anfangs geschah dies bald vor, bald nach dem Vigintivirat, nachher wurde das letztere Regel. Auch hier konnte kaiserliche Dispensation eintreten. Mehr als einmaliger Offiziersdienst (von wohl meistens einjähriger Dauer) wurde von den Senatsaspiranten nicht verlangt. Seit Tiberius dienten sie nur als Legionstribunen. Bis auf Gordianus einschließlich ist im ganzen an dem Offiziersdienst der künftigen Senatoren festgehalten worden.

In die obligatorische Ämterstaffel der Republik, die aus den drei Stufen der Quästur, der Prätur und des Konsulats bestand, schob Augustus zwischen den beiden ersten eine vierte obligatorische Stufe ein, in welcher die beiden Ädilitäten mit 6 und das Volkstribunat mit 10 Stellen zusammengefaßt wurden, so daß fortan im Senat 4 Rangklassen bestanden: Konsulare, Prätorier, Tribunizier (unter denen Ädilizier mit einbegriffen sind), Quästorier. Die Erreichung der nächst vorhergehenden Stufe war die Bedingung zur Ersteigung der folgenden; doch ist den Patriziern, denen von 16 Stellen der dritten Stufe nur die beiden der kurulischen Ädilität zugänglich waren, diese ganze Stufe erlassen worden, so daß sie von der Quästur sogleich zur Prätur übergingen. Mit den 20 Vigintivirn wurden die 20 Quästoren nach Abzug der patrizischen die 16 tribunizisch-ädilizischen Stellen besetzt, mit den gewesenen Tribunen und Ädilen die Präturen, deren Zahl geschwankt, doch im ganzen auf 12 bis 18 gestanden hat; die letztere (vielleicht schon von Claudius als normal festgestellte) Gesamtzahl hat als solche noch unter Hadrian bestanden. Diese Zahlen zeigen die zwiefache Tendenz, einmal jeden in die senatorische Laufbahn Eingetretenen auch zur Prätur gelangen zu lassen; sodann für alle Stufen dem Senat nur ungefähr so viel Kandidaten zu präsentieren, als Stellen zu besetzen waren, also sein Wahlrecht nahezu illusorisch zu machen. Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse faktisch durch die kaiserliche Zulassung an sich nicht qualifizierter Kandidaten zu Vigintivirat und Quästur und die noch zu erwähnende kaiserliche Ernennung von Senatoren zu den Rangklassen der Tribunizier und Prätorier ohne Bekleidung der betreffenden Ämter. Wieviel Spielraum der Senat bei den Wahlen bis zur Prätur hatte, hing also in jedem einzelnen Fall vom Kaiser ab.

Die höchste Stufe, das Konsulat, wurde (wahrscheinlich seit Nero) durch kaiserliche Ernennung besetzt; die Zahl der Stellen ist allmählich durch Verkürzung der Amtszeit der einzelnen Konsularpaare erweitert worden. Mindestens seit dem Jahre 2 n. Chr., von wo ab das Konsulat in der Regel halbjährig und das ganzjährige eine besonders Verwandten des Kaiserhauses erteilte, allmählich immer seltener werdende Auszeichnung war (das letzte bekannte fällt ins Jahr 52), waren es unter Augustus gewöhnlich vier, und ebenso unter Nero; unter Caligula und Claudius herrschte Willkür. Im Jahre 69 stieg die Zahl der Konsuln infolge der von den drei Kaisern Galba, Otho, Vitellius geschehenen Ernennungen auf 15. Von da ab verschwindet das halbjährige Konsulat, und es beginnen dafür teils viermonatliche, teils zweimonatliche Fristen, die willkürlich miteinander wechseln, von denen aber im 3. Jahrhundert die letztern überwiegen; anders befristete, namentlich Monatskonsulate, waren Ausnahmen; unter Commodus ernannte Cleander (wie bereits erwähnt) einmal in einem Jahre 25 Konsuln. Übrigens hat die von Augustus eingeführte viergliedrige Ämterstaffel über zweihundert Jahre bestanden.

Zwischen je zweien dieser Ämter mußte eine Zwischenzeit liegen. Für den Antritt der Quästur war seit Augustus das begonnene 25., für die Prätur das begonnene 30. Lebensjahr erforderlich: als die für das Tribunat (oder Ädilität) und für das Konsulat geltenden Altersgrenzen dürfen mit Wahrscheinlichkeit das laufende 27. und das laufende 33. Jahr betrachtet werden. In diese Regeln griff außer andern Ausnahmen namentlich das von Augustus eingeführte Vorrecht der Väter insofern ein, als wahrscheinlich dem Bewerber für jedes lebende Kind eines der Intervalljahre erlassen wurde.

Bei den Zahlenverhältnissen der drei untern Ämterstufen waren (wie gesagt) die Inhaber der Quästur des Erfolgs ihrer Bewerbung um die beiden nächst höheren Ämter im ganzen genommen versichert, ja es war neben der Dispensation der Patrizier von der dritten Stufe ohne Zweifel nicht selten eine außerordentliche Aushilfe zur Stellung der erforderlichen Zahl von qualifizierten Kandidaten erforderlich. Diese erfolgte (wie ebenfalls bemerkt) durch kaiserliche Erhebung der Betreffenden zu den höhern Rangklassen, ohne daß sie die Ämter wirklich bekleideten, an welche die Rangklassen geknüpft waren. Kraft ihres zensorischen Rechtes reihten die Kaiser je länger, desto häufiger Senatoren unter die Tribunizier und Prätorier ein, ohne daß sie das Tribunat, die Ädilität, die Prätur bekleidet hatten. Die Zahl derselben scheint in späterer Zeit nicht unbedeutend gewesen zu sein. Mit dieser Versetzung ( adlectio) in eine höhere Rangklasse waren alle politischen und Eherechte verbunden, die aus der wirklich bekleideten Magistratur sich ableiteten, namentlich auch das Recht der Bewerbung um die höhern Ämter.

Außer dieser wirklichen Beförderung durch die Kaiser konnte aber auch eine bloße Verleihung der Ehrenrechte (der sogenannten Ornamente, d. h. Insignien) durch den Senat stattfinden. In der Erteilung der Ornamente liegt von Haus aus die Vorstellung, daß die Form ohne den Inhalt, der Schein ohne das Wesen gegeben wird. Sie gab weder Bewerbungsrecht noch Sitz im Senat, sondern nur denjenigen, die das senatorische Stimmrecht bereits anderweitig besaßen, das Recht, in der Rangklasse abzustimmen, deren Ornamente sie erhalten hatten, allen aber das Recht, bei öffentlichen Festlichkeiten mit denselben zu erscheinen. Das Verhältnis der Ornamente zu der durch kaiserliche Ernennung oder Bekleidung der Magistratur erhaltenen Rangklasse war also ungefähr dasselbe, wie gegenwärtig das der Titularwürden zu den wirklichen. Claudius, der Tiberius vergeblich um die Verleihung des Konsulats bat, erhielt von ihm nur die konsularischen Ornamente. Auf eine dringende Erneuerung der Bitte antwortete ihm Tiberius nur, er habe ihm 50 Goldstücke zu Einkäufen auf dem Saturnalienmarkt gesendet. Als Nero von seinen Freunden wegen Vernachlässigung der Octavia getadelt wurde, sagte er, sie müsse sich mit den Ornamenten einer Gemahlin begnügen.

Der erste Mann vom Ritterstande, an den eine solche Verleihung erfolgte, war Sejanus, der im Jahre 19 als Präfekt des Prätoriums prätorische Ornamente erhielt. Dieselben Präfekten wurden auch später durch dieselben Ornamente geehrt, seit Nero durch die konsularischen; aber auch Präfekten der Nachtwachen und andre einflußreiche oder besonders begünstigte Personen des Ritterstands, selbst kaiserliche Prokuratoren in den Provinzen, unter Claudius sogar kaiserliche Freigelassene. Auch abhängigen Fürsten wurden Ornamente bewilligt, so dem jüdischen König Agrippa unter Caligula die prätorischen, unter Claudius die konsularischen, dessen Bruder Herodes unter letzterm die prätorischen. Wie bei modernen Orden fand auch hier ein Vorrücken von den niedern zu den höhern Insignien statt.

Auch zur wirklichen Bekleidung der drei untern Ämter ernannten die Kaiser einen (herkömmlich relativ geringen) Teil der Kandidaten in der Form, daß sie sie dem Senat empfahlen, welche Empfehlung gesetzlich bindende Kraft hatte; die übrigen wählte der Senat. Die Konsuln ernannten die Kaiser (wie bemerkt, wahrscheinlich seit Nero) sämtlich. Die Abkürzung des Konsulats machte es ihnen möglich, Verdienst oder Dienstwilligkeit in umfassender Weise zu belohnen als bisher und sich der Ergebenheit einer größern Anzahl von Senatoren zu versichern; hierdurch entstand übrigens ein neuer Rangunterschied, da das »ordentliche« Konsulat der beiden ersten Monate, nach welchem das Jahr benannt wurde, ehrenvoller war als die übrigen. Die Vermehrung der Zahl der jährlich eintretenden Konsuln machte den zensorische Ernennung zur Konsularität ohne Bekleidung des Amts überflüssig, und in der Tat ist dieselbe erst im 3. Jahrhundert (durch Opellius Macrinus, in der diocletianisch-constantinischen Zeit öfters) vorgenommen worden. Der höchste Beweis kaiserlicher Gnade und die glänzendste Befriedigung des Ehrgeizes war eine abermalige und dritte Verleihung des Konsulats; die letztere erfolgte selten und nach Hadrian, der sie, so wie schon Trajan, vielen zuteil werden ließ, abgesehen von den Mitgliedern des Kaiserhauses, gar nicht mehr. Der letzte Untertan, der zum dritten Konsulat gelangte, war Hadrians Schwager Julius Ursus Servianus im Jahre 134. Von Verginius Rufus, der das Konsulat dreimal (die beiden ersten Male in den Jahren 63 und 69) bekleidet hatte, sagt Plinius, er habe die höchste für einen Untertan erreichbare Stufe erstiegen. Auch das zweite Konsulat, das natürlich (doch erst seit der Zeit der Flavier) viel häufiger bewilligt wurde und mit dem ebenfalls Hadrian, am meisten jedoch Caracalla und Alexander Severus freigebig waren, galt immer noch als hohe Auszeichnung.

Wenn nun die Magistraturen den größten Teil ihrer alten Bedeutung verloren und hauptsächlich die der Standeserhöhung angenommen hatten, so hatten sie allerdings auch einen neuen Wert und eine neue Anziehungskraft dadurch gewonnen, daß ihre Verleihung nun ein Beweis kaiserlicher Gnade und Zufriedenheit mit frühern Amtsführungen geworden war. Früher (d. h. unter Domitian), sagt der jüngere Plinius in seiner Dankrede für die Verleihung des Konsulats an Trajan, lähmte die Bestrebungen auch der Bessern die Gewißheit, daß der Kaiser ihre Leistungen (namentlich in den Provinzen) nicht kennen oder unbelohnt lassen würde; jetzt sei ihnen die Aussicht auf Beförderung ein Sporn, das Feld der Ehre und des Ruhms allen eröffnet, auf dem jeder sich sein Ziel wählen und die Erfüllung seiner Wünsche sich selbst verdanken könne. Es sei schön, daß einem Bewerber zur Erlangung eines Amts nichts mehr nütze als die Führung eines frühern. Die Verleihung eines erledigten Augurats erbat sich Plinius im Jahre 103 oder 104 von Trajan als Beweis seiner guten Meinung über ihn; dieser auch bei geringerer Veranlassung sich versichern zu können, schreibt er in der Antwort auf einen Glückwunschbrief nach erfolgter Verleihung, sei etwas Schönes. Vollends in den Augen des Servilismus stand durch den Beweis kaiserlicher Gunst, der in der Beförderung zu hohen Stellungen lag, das Urteil über den Wert des Betreffenden unwiderruflich fest. Ein Ritter, der nach dem Sturze Sejans wegen seiner freundschaftlichen Beziehungen zu dem Gefallenen angeklagt wurde, sagte in seiner Verteidigungsrede im Senat: »Uns gebührt nicht abzuwägen, wen du über andre erhebst und aus welchen Gründen: dir gaben die Götter das höchste Entscheidungsrecht, uns ist nur der Ruhm des Gehorsams gelassen. Wir sehen nur, was offen vorliegt, wer von dir Reichtum, Ehre, wer die meiste Gewalt zu schaden oder zu nützen erhält. Die geheimen Gedanken des Fürsten erforschen zu wollen, ist unerlaubt, gefährlich und überdies fruchtlos.« Der zu einer höhern Stufe Erhobene sah sich also über einen Teil seiner Standesgenossen gestellt und überdies dem Throne genähert. So hatten die republikanischen Ämter trotz der alten Namen in der Tat den Charakter von monarchistischen erhalten.

Es leuchtet ein, wie sehr dieses künstlich ausgebildete, abgestufte und durch äußere Abzeichen kennbar gemachte System der Titel, Würden und Dekorationen dem Zweck entsprach, den Untertanenehrgeiz in eine für die Monarchie ersprießliche Richtung zu leiten. Daß diese Absicht vollkommen erreicht wurde, zeigt die Wichtigkeit, mit der die sämtlichen Auszeichnungen von ihren Inhabern behandelt und auch die Titularwürden den wirklichen gegenüber geltend gemacht wurden. Die Insignien wurden übrigens wohl nur ausnahmsweise, wie bei öffentlichen Festlichkeiten und Hoffesten, angelegt. Der Gedanke des Alexander Severus, allen kaiserlichen und kurulischen Ämtern auszeichnende Trachten zu geben, blieb unausgeführt.

So waren und blieben die kurulischen Ämter Gegenstand unruhiger Wünsche, rastloser Bemühungen, und die Erlangung jeder neuen Würde spornte die Ehrgeizigen nur zu einem um so eifrigeren Streben nach dem nächst höhern Ziele. Der Ehrgeiz, sagt Seneca, läßt niemanden sich mit einem Grade von Ehren zufrieden geben, der einst für ihn Gegenstand maßloser Wünsche war. Niemand dankt für die Verleihung des Tribunats, der Tribun klagt vielmehr, daß er nicht schon bis zur Prätur befördert ist, diese genügt nicht, wenn das Konsulat noch fehlt, und dieses befriedigt nicht, wenn es nur eines ist. »Er hat mir die Prätur gegeben«, läßt derselbe an einer andern Stelle den Ehrgeizigen sprechen, »aber ich hatte auf das Konsulat gehofft; er hat mir zwölf Fasces gegeben, aber mich nicht zum ordentlichen Konsul gemacht; er läßt das Jahr nach meinem Namen zählen, aber mir fehlt noch ein Priestertum; ich bin in ein Priesterkollegium gewählt, aber warum nur in eines?« Die größten Anstrengungen waren auf Erlangung der konsularischen Würde gerichtet. Viele, sagt Seneca an einer andern Stelle, bringen all ihre Jahre damit hin, zu erreichen, daß ein Jahr nach ihnen gezählt werde. Um die Liste der Konsuln mit einem neuen Namen zu vermehren und später als Statthalter über die Völker Numidiens oder Cappadociens zu herrschen, sagt Martial, betritt ein Senator in jeder Frühe sechzig Schwellen. Wenn du Konsul werden willst, heißt es bei Epictet, mußt du von deinem Schlafe abbrechen, umherlaufen, Hände küssen, vor fremden Türen herumlungern, vieles sagen und tun, was eines freien Mannes unwürdig ist, vielen Geschenke senden, manche täglich beschenken.

Ähnliche Bemühungen erforderte jede Bewerbung um ein Amt. Besuche, sowohl des Kandidaten selbst als seiner Freunde und Gönner, und Empfehlungsschreiben wurden nicht gespart. Als der junge S. Erucius Clarus sich um das Tribunat bewarb, war der jüngere Plinius in großer Aufregung. Gewissermaßen stand sein eigner Ruf auf dem Spiel. Er hatte ihm die Erhebung in den Senatorenstand, die Quästur und das Recht der Bewerbung um das Tribunat beim Kaiser ausgewirkt; erhielt jener es nicht, so konnte es scheinen, daß er den Kaiser hintergangen habe. Er ging daher von Haus zu Haus, von einem Bureau zum andern, bat und beschwor die Freunde, versuchte, wieviel er durch Gunst oder durch Ansehen vermöchte, und veranlaßte andre, ihn in seinen Bemühungen zu unterstützen. Als Julius Naso als Bewerber auftrat, beschwor Plinius seinen Freund Minicius Fundanus (Konsul 107), schleunigst nach Rom zu kommen, um mit ihm gemeinschaftlich für dessen Wahl tätig zu sein. Wieder war ihm so zumute, als handle es sich um seine eigne Wahl; denn es war bekannt, daß er die Kandidatur übernommen habe. Eine Abweisung Nasos war eine Abweisung für ihn selbst. Auf ein Empfehlungsschreiben des außerhalb Roms weilenden Tacitus für den Kandidaten erwidert er, das sei ebensogut, als ihm ihn selbst empfehlen: Tacitus möge nur an andre schreiben. Alle gesetzlichen Mittel zur Sicherung ihrer Wahl erschöpft zu haben, gereichte den Kandidaten zum Lobe. Als der junge zur Ädilität ernannte Julius Avitus vor Antritt des Amts starb, rühmt Plinius unter anderm auch seine Unermüdlichkeit und Wachsamkeit bei der Bewerbung. Aber auch Intrigen wurden gesponnen, Demütigungen erduldet, Niederträchtigkeiten begangen, um sich zu Ämtern den Weg zu bahnen. Der dem Ritterstande angehörige Columella wollte (unter Nero) sich lieber mit dem bescheidnen Lose eines Landwirts begnügen, als die höchste Beamtengewalt und -ehre durch elenden Knechtsdienst und Schmach und überdies noch Verschwendung des Vermögens erkaufen. Wie oft waren Beförderungen der Lohn für den schändlichen Dienst der Ankläger im Majestätsprozeß und mit dem Blut Unschuldiger, dem Untergange ganzer Familien erkauft! Zum Verderben des Ritters Titius Sabinus wurde im Jahre 27 ein schändliches Komplott von drei gewesenen Prätoren geschmiedet, die nach dem Konsulat strebten, »zu welchem der Weg einzig durch Sejan offenstand, und Sejans Gunst war einzig durch Verbrechen zu gewinnen«. Bestechungen wurden ebensowohl bei Hofe als im Senate angewendet. Messalina und die Freigelassenen des Claudius trieben einen förmlichen Stellenhandel. Fabricius Vejento wurde im Jahre 62 angeklagt, seine Fürsprache bei Nero für Beförderungen oder andre Bewilligungen verkauft zu haben. Aber auch Vespasian nahm keinen Anstand, den Bewerbern Ämter und Würden geradezu zu verkaufen. Im Jahre 107 etwa erfolgte ein Senatsbeschluß, daß die Bewerber um Ämter keine Gastmähler geben, keine Geschenke umhersenden, keine Geldsummen (bei Wahlagenten) niederlegen sollten; auch dies letztere war notorisch, wenngleich im geheimen, vorgekommen, das übrige ganz offen und in der umfassendsten Weise; auf den Antrag des Senats schränkte nun Trajan durch das Gesetz über Amtserschleichung die unerlaubten Ausgaben der Kandidaten ein.

Die Wahl selbst, die bis zum Ende des 1. Jahrhunderts im Senat durch mündliche, in der ersten Zeit Trajans durch geheime Abstimmung erfolgte, galt noch immer als ein wichtiger, mit Ernst zu vollziehender Akt. Bei der letzten Wahl, schreibt der jüngere Plinius, seien auf einigen Stimmtäfelchen allerlei Späße und sogar Abscheulichkeiten gefunden worden, worüber der Senat in die größte Entrüstung ausbrach und den Schuldigen die Ungnade des Kaisers wünschte. Was solle man glauben, daß der zu Hause tue, der in einer so bedeutenden Sache, in so ernster Zeit so possenhaft scherze! Die Bevorzugten waren ebenso stolz, wie die Zurückgesetzten verstimmt und neidisch. Einen im Jahre 16 gemachten Vorschlag, die Magistrate auf fünf Jahre zu wählen, wies Tiberius zurück: schon bei der einjährigen Ernennung seien Anstöße kaum zu vermeiden, wo die Übergangenen sich mit einer nahen Hoffnung trösten konnten; schon diese mache die Menschen übermütig: wie würden sich beide Übelstände erst bei fünfjähriger Amtsdauer steigern! Von der Unmöglichkeit, alle Wünsche zu befriedigen, spricht Seneca wiederholt. »Niemandem«, sagt er, »ist es so erfreulich, viele hinter sich, als drückend, irgendeinen vor sich zu sehen. Der Ehrgeiz hat den Fehler, nie zurückzublicken.« Vollends für »neue Männer« bildete der Tag, an dem sie ein kurulisches Amt erhielten, einen Abschnitt im Leben. Der Erwählte ward von begegnenden Bekannten umarmt, seine Sklaven küßten ihm die Hände, heimkehrend fand er sein Haus erleuchtet, er stieg auf das Kapitol, um ein Dankopfer zu bringen, desgleichen wurde in seinem Hause geopfert. Vom Blut der Stiere, sagt Martial, raucht der Vorplatz des Palastes, wenn ein kaiserliches Handschreiben dem Herrn eine hohe Würde verleiht. Wer eine höhere Rangklasse erstieg, erhob seine ganze Familie mit, z. B. eine prätorische zu einer konsularischen usw., und hinterließ seinen Nachkommen die Aussicht und den Anspruch auf neue, größere Ehren. Von dem im Jahre 20 gestorbenen L. Volusius Saturninus heißt es z. B. bei Tacitus, er sei aus einer alten, doch nicht über die Prätur hinausgekommenen Familie gewesen; das Konsulat brachte er erst hinein. »Wenn dem Sohn eines Konsularen, der die Triumphalinsignien erhalten hat, ein dreimaliges Konsulat verliehen wird«, sagt der jüngere Plinius, »so ist dies für ihn keine Erhöhung, er hat durch den Glanz seiner Abkunft ein Anrecht darauf.« Vitellius wurde zur Ergreifung der Kaiserwürde von dem Legaten Fabius Valens mit Hinweisung auf die sehr hohe Stellung seines Vaters angetrieben, der dreimal das Konsulat, außerdem die Zensur bekleidet hatte und Amtsgenosse eines Kaisers gewesen war; diese Abkunft lege ihm schon längst die Imperatorenwürde auf, so wie sie ihm die Sicherheit des Untertanen raube.

Auch sonst ergibt sich aus mannigfachen Äußerungen, welcher Wert auf den durch die Ämter erworbenen Rang gelegt wurde. Plinius empfiehlt dem Minicius Fundanus, den jungen Asinius Bassus in seinem bevorstehenden Konsulat als Quästor zu wählen; er werde für ihn anständig sein, da er von einem prätorischen Vater stamme und konsularische Verwandte habe. Von der sehr übel berüchtigten Calvia Crispinilla sagt Tacitus, sie habe mit Hilfe einer konsularischen Heirat die Gunst der ganzen Stadt erworben. Quintilian hatte seinen ältern höchst hoffnungsvollen Sohn im zehnten Jahre verloren, der bereits durch eine konsularische Adoption den Aussichten auf die Ehrenämter nähergerückt, von seinem Mutterbruder, einem Prätor, zum Schwiegersohn ausersehen war. In der Bezeichnung des Rangs sind die dem Senatorenstande angehörigen Schriftsteller, wie der jüngere Plinius, Seneca, Tacitus, ebenso sorgfältig wie die nicht senatorischen. Auf den äußerst zahlreichen Denkmälern von Männern des senatorischen Standes sind mit peinlicher Genauigkeit ihre Ämter, Titel und Würden, die gegenwärtigen sowie die frühern, in strenger Reihenfolge aufgezählt, auch bei Veranlassungen, wo Rang und amtliche Stellung gar nicht in Betracht kommen. So sind z. B. nicht bloß in einer nach dem Tode des jüngern Plinius zu Comum gesetzten Inschrift, die dessen Zuwendungen und Vermächtnisse an seine Vaterstadt aufzählt, seine sämtlichen Ämter vom höchsten bis zum niedrigsten angegeben: auch das Postament einer Bronzestatuette, die er in den dortigen Juppitertempel stiftete, sollte die vollständige Titulatur enthalten, »falls der Freund, dem er die Anfertigung auftrug, dies für gut finde«. Auf griechischen Inschriften wird selbst die Verwandtschaft mit Senatoren und Konsularen ausdrücklich angegeben.

Außer den schon aus der Republik stammenden Auszeichnungen des breiten Purpurstreifens an der Tunika, des senatorischen Schuhs, der mit schwarzen Riemen bis zur Hälfte des Schienbeins aufgebunden wurde, und des ersten Platzes bei sämtlichen Schauspielen genossen die Senatoren während der Kaiserzeit noch manche andre, die teils durch Herkommen, teils durch gesetzliche Vorschriften in verschiednen Zeiten verschieden bestimmt wurden. Nur senatorische Beamte durften nach einem Erlaß des Octavian vom Jahre 36 vor Chr. als Veranstalter von Schauspielen das Ganzpurpurgewand anlegen. Der bedeckte Tragsessel, dessen, wie es scheint, sich zuerst Kaiser Claudius bediente, war im 3. Jahrhundert ein Vorrecht der Männer von konsularischem Range. Als in derselben Zeit der Gebrauch der Wagen in Rom aufkam, die dort früher verboten waren, erteilte Alexander Severus den Senatoren das Vorrecht, sich in der Stadt silberbeschlagener Karossen zu bedienen. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts wurde die bereits zu Ende des ersten für den Senator übliche Ehrenbezeichnung clarissimus für den ganzen Stand ein feststehendes Prädikat, so daß sie fortan von Männern ( vir clarissimus), Frauen ( clarissima femina), Jünglingen ( clarissimus iuvenis) und Kindern beiderlei Geschlechts ( clarissimus puer, clarissima puella) unmittelbar hinter dem Eigennamen in fester Abkürzung geführt wurde.

Die Ausstoßung aus dem Senat erfolgte durch den Kaiser kraft seiner zensorischen Gewalt. Außer Verurteilungen, üblem Rufe, Verkommenheit und Verarmung konnten noch andre Gründe sehr verschiedner Natur den Verlust der Standesehre herbeiführen. Tiberius strich im Jahre 25 den Senator Apidius Gallus Merula aus dem senatorischen Album, weil er nicht den vorgeschriebnen Eid auf die Verfügungen des Augustus geleistet hatte, den Senator Junius Gallio im Jahre 32 wegen des von ihm gestellten Antrags, daß die Garden (Prätorianer) nach der Dienstentlassung im Theater auf den Ritterplätzen sitzen sollten, in welchem aus Servilismus gemachten Vorschlage der Kaiser die Absicht argwöhnte, die Soldaten zu gewinnen. Im Jahre 53 setzten die Senatoren die Ausstoßung eines Mitglieds durch, das auf Betreiben der Kaiserin Agrippina durch eine falsche Anklage einen hochgestellten Mann zum Selbstmorde getrieben hatte. Öfters erfolgte die Entfernung aus dem Senat in der Form eines scheinbar freiwilligen Austritts. Im Jahre 52 hielt Kaiser Claudius eine Rede, in welcher er die wegen beschränkter Verhältnisse freiwillig Ausgeschiedenen lobte und diejenigen ausstieß, die durch Bleiben zur Armut Unverschämtheit gesellten.

In der Regel wurde die Ausstoßung ohne Zweifel als ein harter Schlag empfunden, und wohl wenige ertrugen sie so gelassen wie jener Umbonius Silo, den Claudius im Jahre 44 von der Statthalterschaft in Südspanien (Bätica) abrief und aus dem Senat stieß, angeblich, weil er das Heer in Mauretanien hatte Not leiden lassen, in der Tat auf den Antrieb einiger ihm feindlichen Freigelassenen. Umbonius ließ nun, als wolle er sich seiner gesamten Habe entäußern, seinen ganzen prachtvollen Hausrat wie zur Versteigerung zusammenbringen und ausstellen, verkaufte aber nichts als seine senatorische Kleidung, um so anzudeuten, daß er nur einen scheinbaren Verlust erlitten und im Besitz dessen geblieben sei, was wirklichen Wert habe. Übrigens konnten Ausgestoßne ihren Stand wiedererlangen, namentlich unter neuen Regierungen, wie das z. B. unter Galba mit dem unter Nero wegen Testamentsfälschung ausgestoßenen M. Antonius Primus und im Jahre 69 unter Otho mit drei unter Claudius und Nero wegen Erpressung ausgestoßnen Senatoren der Fall war.

3. Die Ritter

Der erste Stand gehörte allein der Hauptstadt des Reichs an; wer in den Senatorenstand eintrat, wurde dadurch vom Munizipalzwange, d. h. von allen persönlichen Leistungen an die Gemeinde befreit, der er nach dem Heimatrecht angehörte. Auch die fremden Senatoren sollten ja Rom und Italien wie eine Heimat, nicht »wie eine Herberge bei vorübergehendem Aufenthalt« betrachten; daher jene Verordnungen Trajans und Marc Aurels über Verwendung des dritten oder vierten Teils ihres Vermögens zu Landankäufen in Italien. Der zweite Stand, der der Ritter, war, wenn auch ein großer Teil von ihnen als Mitglieder des Geschwornengerichts dauernd nach Rom übersiedelte, je länger je mehr im ganzen Reiche verbreitet, mindestens seit Caligula, der, um seiner Abnahme entgegenzuwirken, die durch Geschlecht und Vermögen Hervorragendsten aus allen Provinzen in denselben aufgenommen hatte, welchem Beispiel Vespasian folgte. Dort wie in den Städten Italiens nahmen die Ritter stets die erste Stelle ein. Die Geltung des Stands ergibt sich aus manchen Inschriften, z. B. der Grabschrift einer Manlia Secundilla in einer Stadt Mauretaniens, »die römische Ritter zu Brüdern und Mutterbrüdern hatte«, von ihrem Gemahl Q. Herennius Rufus, ebenfalls einem römischen Ritter, gesetzt; in einer Stadt Numidiens wird eine Frau in ihrer Grabschrift »Mutter zweier römischer Ritter« genannt, und Väter eines oder mehrerer römischer Ritter begegnen öfters auf Inschriften. Natürlich waren Provinziale und Munizipale, deren Söhne in den Ritterstand erhoben worden waren, auf die Standeserhöhung derselben nicht minder stolz, als Ritter, die sich rühmen konnten, »Vater von Senatoren« zu sein. Ja Censorinus sagt in der Widmung seiner Schrift an Q. Carellius (238 n. Chr.), derselbe sei durch die Würde des Ritterstands über die Stufe der Provinzialen emporgestiegen.

Aus einer rein militärischen Institution ist die Ritterschaft allmählich in eine rein staatliche umgewandelt worden. Bereits in der spätern Zeit der Republik wurde der Rittername an die bloße Befähigung zum Dienst in der Reiterei geknüpft und als faktisch erblich behandelt. Der durch das Gesetz des Roscius (67 v. Chr.) für die Ritter festgesetzte Zensus von 400.000 Sesterzen, der wahrscheinlich von jeher in Übung gewesen war, blieb es auch unter den Kaisern. Der Verlust desselben, gleichviel ob verschuldet oder unverschuldet, zog den Verlust des Stands und der damit verbundnen Ehrenrechte (des goldnen Rings, des schmalen Purpurstreifens an der Tunika und des Ritterplatzes im Theater) nach sich. Der Vater des Herennius Rufinus in Oea (vielleicht der oben genannte oder doch ein Verwandter desselben) machte Bankrott: »er legt die goldnen Ringe und alle Abzeichen seiner Würde ab und akkordiert mit seinen Gläubigern«. Das Vermögen der Großeltern des Dichters Statius in Neapel war für den erforderten Aufwand zu knapp, und sein Vater daher als Kind genötigt, den Purpur und die goldne Kapsel abzulegen, welche die Kinder der Senatoren und Ritter am Halse trugen. Du hast, sagt Martial zu einem Macer, so lange Ringe an Mädchen geschenkt, bis du aufgehört hast, Ringe zu haben. Die Schlemmer, die ihren ganzen Besitz verpraßt haben, verläßt zuletzt auch der Ring, und sie müssen mit bloßen Fingern betteln.

Auch in der Kaiserzeit wurde der Ritterstand nicht durch Geburt erworben, sondern durch die ursprünglich den Zensoren zustehende, doch von Anfang an überwiegend, dann ausschließlich kaiserliche Verleihung des Ritterpferds (daher equites Romani equo publico), welche regelmäßig auf Ansuchen stattfand. Knaben wurden dabei nur ausnahmsweise bedacht, und erst seit dem 2. Jahrhundert lassen sich solche Fälle nachweisen. Die Zahl der Verleihungen, welche auf Lebenszeit erfolgten, war durch keine Schranke begrenzt. Schon unter Augustus zogen in dem jährlichen (bis ins 4. Jahrhundert beibehaltenen) Paraderitt der Ritterschaft am 15. Juli, an dem natürlich niemals sich sämtliche Berechtigte beteiligten, bis fünftausend auf, und die zunehmende Häufigkeit des Rittertitels auf Inschriften zeigt, daß die Zahl in beständigem Steigen blieb.

Obwohl das Ritterpferd in der Regel an die Söhne altbefestigter Häuser verliehen wurde, konnten es auch niedrig Geborne erhalten, und auch die noch unter Tiberius im Jahre 23 neu eingeschärfte Ausschließung der Söhne von Freigelassenen ist sehr bald aufgegeben worden. Um so weniger ist es zu verwundern, daß Söhne von Kupplern, Gladiatoren und Fechtmeistern, die ja freigeboren sein konnten, in Trajans Zeit auf den Ritterplätzen saßen. Aber selbst Freigelassenen haben die Kaiser von Anfang an durch die Verleihung des goldnen Rings das volle Ritterrecht und damit auch dessen Voraussetzung, die fiktive Ingenuität, verliehen. Die ersten Kaiser waren mit diesen Verleihungen sparsam; hauptsächlich bedachten sie damit, wie natürlich, die verdientesten oder bevorzugtesten unter ihren eignen Freigelassenen, von denen bereits die Rede gewesen ist. Augustus ehrte auf diese Weise einen T. Vinius Philopömen, der seinen geächteten Patron bei sich verborgen hatte, ferner den zu ihm übergegangenen Freigelassenen des Sextus Pompejus, Menas, und seinen Arzt Antonius Musa. Den Unwillen des Horaz erregte schon bald nach der Schlacht bei Philippi einer dieser Freigelassenen, der auf der heiligen Straße mit einer sechs Ellen langen Toga wandelte, auf der Via Appia mit Ponys spazieren fuhr, im Theater auf den Ritterplätzen saß und Legionstribun war. Häufiger wurden die Verleihungen der goldnen Ringe erst unter den Flaviern, so daß, wie Plinius unter Vespasian schreibt, nun aus der Knechtschaft befreite Menschen überall sprungweise zu dieser Dekoration gelangten, was früher nie geschehen war, und der Ritterstand durch das Abzeichen, das ihn vor den Freigebornen ausgezeichnet hatte, mit den Unfreien vermischt wurde. Späterhin, sicher schon vor dem Beginn des 3. Jahrhunderts, vielleicht seit Commodus, hatte die Verleihung der Goldringe nur die fiktive Ingenuität zur Folge, ohne mit dem Eintritt in den Ritterstand verbunden zu sein. Der an die Ehrenhaftigkeit der in den Ritterstand Aufzunehmenden gelegte Maßstab ist vermutlich nicht zu allen Zeiten derselbe gewesen. Auf das wiederholte Gesuch eines Bewerbers, der infolge einer angeblich verleumderischen Anklage bereits einmal übergangen worden war, antwortete Hadrian: wer das Ritterpferd verlange, müsse vorwurfsfrei sein.

Obwohl der Sitz im Senat und das Ritterpferd sich gegenseitig gesetzlich ausschlossen, wurde doch die senatorische Laufbahn regelmäßig mit den ritterlichen Diensten begonnen, sowohl von den Senatorensöhnen als von den in den ersten Stand aufgenommenen jungen Männern nichtsenatorischer Familien. Beide Klassen der künftigen Senatoren, in den Abzeichen (namentlich dem breiten Purpurstreif an der Tunika) dem senatorischen Stande gleichgestellt, bildeten innerhalb der Ritterschaft eine besonders ausgezeichnete, in der Regel aber ihr nur vorübergehend angehörige Kategorie.

Wenn auch die Ritterschaft längst aufgehört hatte, als Truppe Dienst zu leisten, so blieb doch die militärische Ordnung in Turmen: nach diesen geordnet zogen sie bei feierlichen Akten, z. B. öffentlichen Begräbnissen, besonders bei dem jährlichen Paraderitt am 15. Juli auf. Die an der Spitze dieser Turmen stehenden sechs Vorsteher der Ritterschaft ( seviri equitum Romanorum) wurden vom Kaiser ernannt, vorzugsweise aus den Rittern senatorischen Rangs; daneben erscheinen die Prinzen des kaiserlichen Hauses, die bereits die Männertoga tragen, aber noch nicht im Senat sitzen, als »Führer der Jugend« ( principes iuventutis) in der Stellung von Ehrenkommandanten der Ritterschaft. Doch wenn die Ritterschaft durch diese Organisation bis auf einen gewissen Grad den Charakter einer politischen Körperschaft annahm, so hat ihr doch immer das eigentliche Wesen einer solchen gefehlt, sie hat niemals wie der Senat als solche gehandelt und ist auch nicht so behandelt worden.

Schon durch C. Gracchus war die zu Ende der Republik wie unter den Kaisern den Zivil- und Kriminalprozeß gleichmäßig umfassende Geschwornentätigkeit den Rittern übertragen worden; aus den Ritterlisten mußten alle Behörden, die Geschworne zu bestellen hatten, sie wählen. Augustus, der die Senatoren von der ihnen durch das Aurelische Gesetz (70 v. Chr.) und Cäsar (46 v. Chr.) auferlegten Verpflichtung zur Geschwornentätigkeit befreite, besetzte die drei ersten Dekurien (von je 1000) der Geschwornen mit Rittern; daneben wurde aus geeigneten Männern, welche die Hälfte des Ritterzensus besaßen, für die geringeren Zivilsachen von Augustus eine vierte und von Caligula eine fünfte Dekurie gebildet. Abgesehen von der Forderung des 30., später des 25. Lebensjahres wurden (wie bereits bemerkt) unter Augustus zu den Dekurien nur Italiker zugelassen, später zwar auch Provinzialen, aber fast nur aus der lateinischen Reichshälfte (die Inschriften ergeben zahlreiche Belege für Afrika, Spanien und Gallien, wenige für die Donauländer, sehr wenige für die östliche Reichshälfte); ferner nur diejenigen, welche das Bürgerrecht durch Geburt und nicht erst durch Verleihung besaßen. In dieser Gestalt hat sich das Geschworneninstitut durch die beiden ersten Jahrhunderte behauptet.

Auch für den Offiziersdienst war die gesetzliche Vorbedingung der Nachweis der ritterlichen Qualifikation und die Aufnahme in die Ritterschaft durch den Kaiser. Bei dem Dienst der durchaus berittenen Offiziere ( militia equistris) gab es wenigstens drei ordentliche Stellen von fester Rangordnung: die Präfektur einer auxiliaren Reiterabteilung, das Tribunat in der Legion oder einer Kohorte (im Range gleichstehend) und, am niedrigsten in der Rangfolge, die Präfektur einer Kohorte. Dazu kam wahrscheinlich noch die Stelle des Platzkommandanten in Standquartieren ( praefectura castrorum), und es gab daneben vielleicht noch andre ordentliche und eine große Zahl von außerordentlichen Offiziersstellungen. Besondre Altersgrenzen bestanden für diese nicht, und auch sonst bewegte sich die Laufbahn der Offiziere in viel freiern Formen als die der Beamten. Außerdem wurde Soldaten, die bis zum obersten Centurionat der Legion aufgerückt waren, häufig das Ritterpferd verliehen, und der Eintritt solcher Veteranen in die Offizierslaufbahn schon in der frühern Kaiserzeit begünstigt; später, als die Regierung sich immer mehr auf die untern Klassen stützte, bildeten die großenteils aus den Veteranen hervorgegangenen Avantageure ( militiae petitores) eine besondre Klasse.

Der Offiziersdienst war für die Ritter schon unter Augustus obligatorisch. Vielleicht seit Claudius, sicher seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, waren sie verpflichtet, eine Anzahl ordentlicher Offiziersstellen (vor Sever drei, später vier) zu bekleiden. Die Dauer der einzelnen Stellen war unbestimmt; gewöhnlich blieben sie mehrere Jahre in jeder einzelnen. Daher war die Ernennung zum halbjährigen Dienst als Präfekt oder Tribun (der dann einem einjährigen gleich geachtet wurde) eine vielbegehrte Bevorzugung. Von den Rittern senatorischen Stands, die mit dem Eintritt in den Senat (d. h. in der Regel mit 25 Jahren) das Recht verloren, Offiziersstellen zu bekleiden, ist stets nur einmalige Dienstleistung verlangt worden. Die Augustische Offiziersordnung hat sich nachweislich etwa bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts behauptet.

Der Offiziersdienst war längere Zeit die unerläßliche Vorbedingung für den ritterlichen Zivildienst. Dem Ritterstande übertrug Augustus diejenigen Ämter, die in näherer Beziehung zu der Person des Monarchen standen, namentlich sämtliche Finanzämter und diejenigen Verwaltungs- und Kriegsämter, welche bei minderm Range als die senatorischen besondre Vertrauensposten waren; ferner die neuen Provinzen, die neuen Hilfstruppen, die neugeschaffnen Flotten. Als Finanz- und Verwaltungsbeamte (Prokuratoren) wurden die ritterlichen Beamten sowohl in Rom als in den Provinzen verwendet, und zwar in den Senatsprovinzen als Erheber sämtlicher fiskalischer Gefälle, in den kaiserlichen als Leiter der ganzen Finanzverwaltung, und in einigen derselben seit Claudius als selbständige oberste Verwaltungsbeamte oder Statthalter mit hoher Kriminalgerichtsbarkeit. Die übrigen Prokuratoren hatten nur in Sachen des Fiskus Gerichtsbarkeit, und auch dies erst seit Claudius. Aus diesen Stellungen treten die Ritter seit dem 2. Jahrhundert in die kaiserlichen Hausämter ein, die im ersten meist mit Freigelassenen besetzt worden waren, namentlich das Rechnungsamt, das Amt der Bittschriften und Beschwerden, das kaiserliche Sekretariat. Die höchsten Ziele dieser Laufbahn waren die hohen Präfekturen: die beiden sehr wichtigen Präfekturen des Getreidewesens und der Feuer- und Sicherheitspolizei in Rom, das Vizekönigtum von Ägypten, endlich das Kommando der Garden (Prätorianer), das während der beiden ersten Jahrhunderte größtenteils unter zwei Präfekten geteilt war; außerdem die Präfekturen der kaiserlichen Flotten zu Misenum und Ravenna und der Reichspost. Schon seit Tiberius waren die Gardepräfekten die ersten Personen nach dem Kaiser, zunächst als Befehlshaber der Truppenmacht, auf der dessen persönliche Sicherheit beruhte, und die oft genug Kaiser ein- und abgesetzt hat; aber noch mehr wurden sie es dadurch, daß die Stellvertretung der Kaiser in der Kriminal- wie Ziviljustiz allmählich auf sie überging. So ward gesetzlich diese Präfektur zum Vizekaisertum erhoben, und dementsprechend wird sie als die höchste irdische Gewalt nach dem Kaisertum von den Schriftstellern des 3. Jahrhunderts gefeiert.

Die höchsten Stellungen wurden selbstverständlich nur von wenigen erreicht; doch galt es schon als rühmlich, eine Prokuratur bekleidet zu haben, besonders eine der wichtigeren; schon wer es dazu brachte, hob seine Familie zum »ritterlichen Adel« empor. Zugleich war diese Laufbahn eine sehr vorteilhafte, namentlich wegen der hohen Besoldungen, nach denen sich hier die Rangklassen bestimmten. Fronto empfiehlt den damals in Rom als Sachwalter tätigen griechischen Geschichtsschreiber Appianus dem Kaiser Antoninus Pius zur Anstellung im Verwaltungsdienste: er wünscht eine solche, sagt er, nicht aus Ehrgeiz oder aus Begier nach dem Prokuratorengehalt zu erlangen, sondern um sein Alter mit einer höhern Würde auszustatten. Das Legionstribunat konnte schon im achtzehnten Jahre bekleidet werden, und vermutlich erhielten es auch junge Männer vom Ritterstande zuweilen in diesem oder einem wenig spätern Alter, und damit ein Gehalt von 25.000 Sesterzen (ungefähr 5400 Mark); zu den Neuerungen, durch welche Hadrian der verfallenden Kriegszucht aufzuhelfen suchte, gehörte auch, daß er keine Tribunen ohne Bart ernannte. Die Gehaltsklassen der Prokuratoren waren der Bedeutung und dem Range einer jeden entsprechend normiert. Die höchste von 300.000 Sesterzen (65.250 Mark) ist im 2. Jahrhundert wahrscheinlich nur dem Leiter des kaiserlichen Finanzamts eingeräumt worden, während das Sekretariat und Bittschriftenamt, wie es scheint, nur mit 200.000 Sesterzen (43.500 Mark) besoldet waren; das letztere Gehalt erhielt auch der Direktor der Verwaltung der dem Kaiser zufallenden Erbschaften. Ebenso hoch waren die Gehälter der angesehensten Provinzialprokuratoren, während die übrigen 100.000 Sesterzen (21.750 Mark), einige selbst nur 60.000 Sesterzen (13.050 Mark) bezogen. Zur Klasse der mit 100.000 Sesterzen Besoldeten gehörten auch die Verwalter der Schatulle, der Münze, der römischen Wasserleitungen, der großen Gladiatorenschule, der öffentlichen Bauten, der Alimentationsstiftungen, der Oberpostdirektor. Die Klasse der Empfänger eines Gehalts von 60.000 Sesterzen hat wesentlich aus Hilfsarbeitern und Unterbeamten der Prokuratoren und Präfekten bestanden; zu ihr gehörten die Hilfsarbeiter im Staatsrat, die zweiten Dirigenten des kaiserlichen Studienamts, die Postdirektoren in den Provinzen, der Prokurator der Getreideverwaltung in Ostia und im 2. Jahrhundert der wissenschaftliche Direktor der sämtlichen kaiserlichen Bibliotheken. In demselben Verhältnis wie die Gehälter der Prokuratoren müssen die der Präfekten abgestuft gewesen sein.

Die Laufbahn der ritterlichen Beamten war, wie sich schon aus dem Gesagten ergibt, nicht minder wechselvoll als die der senatorischen. Ein L. Valerius Proculus z. B. wurde nach einer ihm in Malaga (vielleicht seinem Geburtsort) gesetzten Ehreninschrift, nachdem er die Kohortenpräfektur und das Legionstribunat an nicht bezeichneten Standorten bekleidet hatte, Präfekt der zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung auf dem Nil und zum Schutz der an dessen sämtlichen Mündungen errichteten Zollstationen bestimmten Flottille, dann Prokurator (Statthalter) der Provinz der Seealpen (von Genua bis zum Var) und zugleich Dirigent der Aushebung der Ersatzmannschaften für die Legionen, hierauf nacheinander Prokurator der Provinzen Bätica (Südspanien), Cappadocien, Asia, der drei gallischen Provinzen; zuletzt, nachdem er wahrscheinlich zu Rom das Rechnungsamt und die Getreidepräfektur (unter Antoninus Pius) verwaltet hatte, Präfekt von Ägypten. Der Freund Senecas Lucilius Junior war zu der Zeit, wo Seneca an ihn seine Briefe richtete, Prokurator in Sizilien; vorher hatte er im kaiserlichen Dienst in den grajischen und poenischen Alpen, in Dalmatien und Nordafrika gestanden. Die amtliche Laufbahn des ältern Plinius ist nur unvollkommen bekannt, doch wissen wir, daß er, im Jahre 23 zu Comum geboren, seine militae equestres wahrscheinlich sämtlich in Germanien, in den Jahren 47 und 57 in Untergermanien, im Jahre 50 in Obergermanien, absolvierte, dazwischen aber sich im Jahre 52 in Italien befand, unter Vespasian, zu dessen Freunden er gehörte, verschiedene Prokuraturen (eine derselben im tarrakonensischen Spanien, eine andre vielleicht in Afrika), im jüdischen Kriege des Jahres 70 das Amt eines Untergeneralstabschefs bekleidete und im Jahre 79 als Befehlshaber der zu Misenum stationierten Flotte beim Ausbruch des Vesuv seinen Tod fand. Den Grund, weshalb er, trotz der Freundschaft der Kaiser, im Alter von 56 Jahren noch keine höhere Stellung erreicht hatte, muß man wohl hauptsächlich darin suchen, daß er längere Zeit als Anwalt tätig war und wohl durch seine literarischen Beschäftigungen stark abgezogen wurde. Welche Leidenschaft für ihren Beruf diese Beamten beseelen konnte, zeigt das Beispiel des C. Turranius, der, als er im Alter von 90 Jahren von Caligula den Abschied von seiner Prokuratur erhielt, sich wie eine Leiche auf seinem Bett zurechtlegen und von seiner Dienerschaft wie einen Toten beklagen ließ. In der Tat gab er sich nicht eher zufrieden, als bis ihm die Arbeitslast seines Amtes zurückgegeben war. Im geraden Gegensatz zu diesem unersättlichen Arbeitseifer steht das Ruhebedürfnis jenes Sulpicius Similis, der nach einer glänzenden Laufbahn unter Hadrian die Entlassung von der ungern übernommenen Präfektur des Prätoriums selbst erbat, die noch übrigen sieben Jahre seines Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit verbrachte und auf seine Grabschrift nach der üblichen Angabe, wieviel Jahre er alt geworden sei, hinzusetzen ließ: gelebt habe er sieben.

Wie bereits bemerkt, wurde auch den obersten Centurionen schon früh mit dem Ritterrang der Offiziersdienst und durch diesen die Beamtenlaufbahn eröffnet; von unmittelbarer Zulassung derselben zu der letztern scheint kein Beispiel vor Marc Aurel vorzukommen, und auch später ist dies nicht häufig geschehen.

»Während nun seit dem 2. Jahrhundert ein immer höheres Gewicht auf den Dienst im Heere gelegt wurde, so daß im dritten der Zivildienst als ein Nachspiel des langen Kriegsdienstes, die Verwaltungsämter als Versorgungsposten altgedienter Offiziere erscheinen, begann neben dieser militärischen Laufbahn der Ritter sich eine rein zivile zu bilden, in der man ebenfalls zu Prokuraturen und Präfekturen gelangen konnte.« Die umfassenden Reformen Hadrians führten zu einer großen Vermehrung der Beamten in den verschiedenen Zweigen der Verwaltung; infolge derselben sowie der prinzipiellen Ausschließung der Freigelassenen von allen nicht subalternen Ämtern mußten, um den Bedarf an Beamten zu decken, die an die Aspiranten der ritterlichen Laufbahn gestellten Ansprüche ermäßigt werden, da eine genügende Anzahl gedienter Offiziere schwerlich verfügbar gewesen sein würde. Hadrian schuf eine von der militärischen völlig unabhängige Laufbahn in der Verwaltung, und durch diese einen mit Sachkenntnis und Routine ausgestatteten Beamtenstand. Die Anfangsstellungen waren mancherlei Art: untere Ämter bei der Verwaltung der Alimentation, der Wege, der Erbschaftssteuer, der kaiserlichen Fechtschulen, der Rekrutenaushebung, der öffentlichen Bibliotheken in Rom, dem Studienamt. Namentlich aber erhielt juristische Bildung für die Beförderung zu den höhern Stellungen nun einen noch höhern Wert, als sie wegen der mit den Prokuraturen und Präfekturen verbundenen, zum Teil sehr ausgedehnten Gerichtsbarkeit von jeher gehabt haben muß. Mit dem von Hadrian vorzugsweise aus Juristen von Fach, besonders aus dem Ritterstande, für die Rechtspflege im weitesten Sinne gebildeten Rat ( consilium principis) und der dadurch veränderten Bedeutung der Präfektur des Prätoriums »trat die zünftige Jurisprudenz in den Vordergrund, und wie stets in Rom die praktische Ausübung der Rechtskunde das Gegenbild und die Ergänzung zum Heeresdienst gewesen war, so wurden jetzt juristische Studien und Betätigung im Staatsdienst geradezu als Äquivalent für den Dienst als Offizier hingenommen«. Schon vor dem 3. Jahrhundert, wo Rechtskunde das Haupterfordernis für die Erlangung der Präfektur des Prätoriums war und diese Stelle von den großen Juristen Paulus, Ulpian und Papinian, die Präfektur der Polizeiwache von Herennius Modestinus bekleidet wurde, finden wir berühmte Rechtsgelehrte in den höchsten ritterlichen Stellungen. Volusius Mäcianus, Rat des Antoninus Pius, Freund der Kaiser Marc Aurel und L. Verus, war wahrscheinlich Präfekt von Ägypten oder Rechtsverweser von Alexandria, Tarrutenius Paternus unter Commodus Präfekt des Prätoriums. Juristen vom Ritterstande begannen ihre amtliche Laufbahn als besoldete Assessoren von Provinzialstatthaltern, als Protokollführer der Gardepräfekten, Hilfsarbeiter im kaiserlichen Staatsrat, niedere Verwaltungsbeamte, oder mit dem von Hadrian geschaffenen Amt eines Kronanwalts ( advocatus fisci), wie solche den Prokuratoren zur Wahrnehmung der Interessen des Fiskus in streitigen Fällen beigegeben wurden. Septimius Severus, aus einer ritterlichen Familie zu Leptis in Africa stammend, der mit diesem ihm von Marc Aurel verliehenen Amte in den Staatsdienst trat, wurde bald zum Senatorenstande erhoben; sein Nachfolger in der Kronanwaltschaft, Papinian, war unter seiner Regierung Dirigent des Amts der Bittschriften und Beschwerden und schließlich selbst Präfekt des Prätoriums, in welcher Eigenschaft er Paulus und Ulpian zu Beisitzern wählte. Opellius Macrinus, der ebenfalls nach seiner Erhebung in den Ritterstand zuerst zum Kronanwalt ernannt wurde, scheint die ritterlichen Ämter wenigstens zum Teil in der gewöhnlichen Reihenfolge bis zur Präfektur des Prätoriums durchgemacht zu haben; unmittelbar vorher hatte er die (mit 300.000 Sesterzen besoldete) Prokuratur der kaiserlichen Schatulle bekleidet. Vermutlich wurden schon im 2. Jahrhundert unter den Juristen vom Ritterstande vorzugsweise diejenigen, die sich als Kronanwälte ausgezeichnet hatten, zu Mitgliedern des kaiserlichen Rats ernannt und aus dieser Stellung zu den höhern ritterlichen Ämtern befördert. Ein Jurist im 3. Jahrhundert war nach einer nur fragmentarisch erhaltenen Inschrift zuerst kaiserlicher Rat mit 60.000 Sesterzen, dann (nachdem er inzwischen noch ein Priestertum erhalten) mit 100.000 Sesterzen Gehalt, hierauf Direktor des Proviantwesens im Bezirk der Flaminischen Straße (von Rom nach Rimini), endlich Postdirektor mit einem Gehalt von 200.000 Sesterzen. Auch zum Eintritt in den Senat bahnte Rechtskunde Männern des Ritterstands, wie z. B. dem L. Fulvius Aburnius Valens, seit dem 2. Jahrhundert gewiß nicht selten den Weg.

Die von den Kaisern Marc Aurel und L. Verus erlassene Rangordnung schied die ritterlichen Beamten in drei Klassen: die erste, welche die Präfekten des Prätoriums allein enthielt, mit dem wohl schon von Hadrian geschaffenen Titel vir eminentissimus; die zweite, welche die übrigen Präfekten nebst den höchsten Prokuratoren und den Spitzen der Finanzverwaltung und des Sekretariats umfaßte, mit dem vielleicht erst von Marc Aurel eingeführten Titel vir perfectissimus; endlich die der übrigen Beamten von Ritterrang, namentlich die Mehrzahl der Prokuratoren, mit dem Titel vir egregius. Unter ihnen standen sodann die Ritter, welche nicht zu Staatsämtern gelangt waren, von denen die Höhergestellten durch die Prädikate splendidi und illustres ausgezeichnet worden zu sein scheinen. Den beiden ersten Beamtenklassen nebst ihrer Deszendenz bis zum dritten Grade räumte jene Rangordnung bei Kriminalanklagen Bevorzugung ein, sowohl für den Gerichtsstand wie für den Prozeß und das Strafmaß. Übrigens gingen die Titel nicht wie der Clarissimat auf Frauen und Kinder über oder doch nur ausnahmsweise.

Von den Subalternämtern bekleideten Ritter öfters das angesehenste, sehr einflußreiche und gut besoldete Amt eines Scriba (Buch- und Rechnungsführers) bei den Kurulädilen und Quästoren. Horaz, der Legionstribun gewesen war, hatte sich in eine der letztern Stellen eingekauft; desgleichen ein Sarmentus, der unter Augustus den Ritter spielte. Zuweilen wurden auch die nichtritterlichen Beamten dieser Klasse zu Rittern ernannt.

Von den seit Augustus' Neuordnung nur den beiden obern Ständen zugänglichen Priestertümern waren die der Curionen und Luperker beiden gemeinsam; den Rittern ausschließlich gehörten die kleinen Flaminate, der kleine Pontifikat und der Tubizinat; außerdem alle ehemals latinischen Staatspriestertümer. Von den letztern scheint das cäninensische das vornehmste gewesen zu sein; das geringste war das laurentische, welches Ritter niederster Ordnung häufig und seit Commodus sogar Personen ohne Ritterrang, ja Freigelassene erhielten. Abgesehen von dem Wert, den auch diese Priestertümer als von höchster Stelle verliehene Auszeichnungen hatten, gewährten sie mancherlei Immunitäten.

Auch diejenigen Ritter, welche Anspruch auf die senatorische Laufbahn hatten, zogen es zuweilen vor, im zweiten Stande zu bleiben, weil sie die Freiheit und Muße der Amtlosigkeit, das glänzende Einkommen eines geschäftlichen Erwerbs, besonders aber die wirkliche Macht eines kaiserlichen Amts oder einer Stellung am Hofe dem leeren Pomp und der drückenden Bürde der senatorischen Ämter vorzogen. So hatte schon der ältere Q. Sextius Niger den ihm von Julius Cäsar angebotenen breiten Purpur abgelehnt, um ganz der Philosophie leben zu können. Die Verschmähung des ersten Standes behufs Eintritts in den kaiserlichen Dienst wurde in den senatorischen Kreisen, wo man auf die Behauptung des Vorrangs vor dem Ritterstande großen Wert legte, mit Mißbilligung angesehen. So äußert sich Tacitus in einer für sein senatorisches Standesgefühl höchst charakteristischen Weise über L. Annäus Mela, den Bruder des Philosophen Seneca und Vater des Dichters Lucanus: er habe sich der Bewerbung um die kurulischen Würden aus verkehrtem Ehrgeiz enthalten, um als römischer Ritter Konsularen an Einfluß gleichzukommen, auch einen kürzern Weg zum Gelderwerb einzuschlagen geglaubt, wenn er als kaiserlicher Beamter die Angelegenheiten des Fürsten besorgte. Cornelius Fuscus hatte den Senatorenstand schon in der ersten Jugend in unruhigem Streben aufgegeben. Dagegen spricht sich der jüngere Plinius nicht bloß ohne Tadel, sondern mit Billigung über einige hervorragende Männer aus dem Ritterstande aus, die aus Liebe zur Ruhe oder Mangel an Ehrgeiz nicht höher steigen wollten. Minicius Macrinus, von Vespasian zum Senator mit prätorischem Range erhoben, hatte lieber einer der Ersten des Ritterstandes sein wollen, weil er die Geschäftslosigkeit desselben der zwangvollen senatorischen Würde vorzog. Ebenso dachten Maturius Arrianus und Terentius Junior. Von der Verleihung senatorischer Ehrenrechte an Ritter (zuerst im Jahre 19) ist bereits gesprochen worden.

Auch abgesehen von den bisher erwähnten Abstufungen gab es innerhalb des Ritterstands noch große Verschiedenheiten der Lebensstellung, besonders nach Vermögen und Herkunft. Auf alle, die sich durch Gunst oder militärisches Verdienst aus niedriger Stellung emporgearbeitet hatten, sah der Ritter geringschätzig herab, der sich einer langen Reihe ritterlicher Ahnen oder mindestens eines ritterlichen Vaters rühmen konnte. »Römischer Ritter und Sohn eines römischen Ritters« nennt sich ein L. Ämilius Pertinax Accejanus auf einer Inschrift in Misenum. Ovid war stolz darauf, den Stand als Erbe einer langen Ahnenreihe überkommen und nicht im Wirbel des Kriegs oder durch die Gunst des Glücks erlangt zu haben; und Persius mahnt, es zieme nicht, sich aufzublähen, weil man an dem Zensor in der Trabea (dem ritterlichen Staatskleide) vorüberparadiere und den tausendsten Zweig von einem etruskischen Stammbaum bilde.

Wie äußerst gedrückt, ja unwürdig die Lage der Ritter sein konnte, denen die Mittel zum standesgemäßen Leben fehlten und die zum anständigen Erwerb zu träge oder ungeschickt waren, zeigen die Gedichte Martials, der den Ritterrang einer Ernennung zum Tribunen verdankte. Er war durchaus auf die Unterstützung reicher oder vornehmer Gönner angewiesen und nahm keinen Anstand, diese sowie den Kaiser immer aufs neue anzubetteln; seine Wünsche waren bescheiden, er bat auch wohl um einen guten Mantel, und eine feine Toga, die er von dem kaiserlichen Oberkämmerer Parthenius zum Geschenk erhielt, hat er in zwei Gedichten besungen, als sie neu und als sie abgenutzt war. Jahrelang leistete er um das tägliche Brot die niedrigsten Klientendienste. Seine Muse stand jedem zu Diensten, der sie belohnte; einer seiner am häufigsten besungenen Freunde war der Centurio Pudens, der nicht einmal das Ziel seines Strebens, die Ritterwürde, erlangt zu haben scheint; für andre Centurionen hat Martial Grabschriften gedichtet. Die 400.000 Sesterzen reichten eben nur für eine bescheidne Existenz aus. Juvenal sagt, wer nur etwas mehr begehre, als die Abwehr von Hunger, Durst und Kälte erfordert, könne mit ihnen zufrieden sein; wem die doppelte und dreifache Summe nicht genüge, den würden auch die Schätze des Krösus oder Narcissus nicht befriedigen. Es gab aber auch römische Ritter, die in so bittrer Not lebten, daß sie mit Kleienbrot und verdorbenem Wein ihr Leben fristen mußten; und aus der großen Zahl derer, die sich unter den Julischen Kaisern durch öffentliches Auftreten auf der Bühne und in der Arena beschimpften, muß man schließen, daß die äußerste Verkommenheit in diesem Stande nichts weniger als selten war; unter der Menge von Rittern, die in Neros Schauspielen auftraten, befanden sich doch nur einige von gutem Ruf und in guten Umständen.

Auf der andern Seite war aber im Ritterstande auch viel Wohlhabenheit und großer Reichtum, sowohl in den Provinzen und Munizipien – der Dichter Persius z. B., von einer ritterlichen Familie in Volaterrä stammend, hinterließ 2 Millionen Sesterzen (435.000 Mark); der wahrscheinlich auch dem Ritterstande angehörige Gaditaner Columella hatte Besitzungen bei Cäre, Ardea, Carseoli und Alba – als auch namentlich in Rom selbst. Der bekannte, vielleicht aus Cäsarea in Bithynien stammende Vedius Pollio, der Freund des Augustus und Besitzer des prachtvollen Pausilypum (»Sorgenfrei«, jetzt Posilippo) bei Neapel, der seine Muränen mit Sklaven fütterte, war ein von Freigelassenen abstammender Ritter; seinen unermeßlichen Palast in Rom, der »mehr Raum bedeckte, als viele Städte mit ihren Mauern umschließen«, ließ nach seinem Tode Augustus dem Boden gleichmachen, um an seiner Stelle die Kolonnade der Livia aufzuführen. Überhaupt darf man glauben, daß die ritterlichen Freunde der Kaiser zum großen Teil in glänzenden Verhältnissen lebten. Sodann gehörten zu diesem Stande die Bankiers – Augustus erteilte einigen Rittern eine zensorische Rüge, weil sie Geld zu niedrigern Zinsen geborgt und zu höhern ausgeliehen hatten –; ferner Großhändler, die wohl hauptsächlich Seehandel und Reederei trieben, Fabrikanten, Zollpächter, Lieferanten, Direktoren und Mitglieder von Handelsgesellschaften und Vereinen zu kaufmännischen oder sonst gewinnbringenden Unternehmungen (z. B. Stellung von Viergespannen für den Zirkus). Seneca spricht von einem vornehmen ( splendidus) Ritter, Cornelius Senecio, der sich aus kleinen Verhältnissen durch ebenso große Geschicklichkeit im Erwerben wie im Erhalten emporgearbeitet hatte und mitten auf dem Wege zu noch größerm Reichtum durch einen plötzlichen Tod hingerafft wurde; sein Geld arbeitete zu Lande und zu Wasser, keine Art des Erwerbs ließ er unversucht, auch an den Pachtungen der Zölle hatte er sich beteiligt. Doch werden die Wohlhabenden auch in diesem Stande ihre Kapitalien hauptsächlich in Ländereien angelegt haben. Quintilian sagt, daß die Geschwornen zum größten Teil Gutsbesitzer waren; der Gerichtsredner dürfe nicht auf Kosten der Faßlichkeit nach Kürze streben, sonst würden sie nicht imstande sein zu folgen.

Daß Unberechtigte sich den Ritterrang anmaßten, scheint zu allen Zeiten häufig vorgekommen zu sein. Am Hofe des Augustus wußte sich der Etrusker Sarmentus, Freigelassener oder Sklave (nach Horaz einer Frau, nach andern des bei Philippi getöteten M. Favonius), besonders durch seinen Witz so viel Gunst zu verschaffen, daß er es wagen konnte, als Ritter aufzutreten. Als er sich aber bei einem Schauspiel auf dem Ritterplatz sehen ließ, wurde er vom Volk mit Spottversen verhöhnt. Ein Prozeß wegen widerrechtlicher Anmaßung des Ritterstands endete jedoch durch den Einfluß seiner Gönner mit Freisprechung. Im Jahre 23 n. Chr. führte C. Sulpicius Galba als Ädil im Senat darüber Klage, daß sogar Schenkwirte allgemein den Goldring trügen; durch einen Senatsbeschluß wurde dies allen Unbefugten verboten und das Verbot im nächsten Jahre durch das Visellische Gesetz nochmals eingeschärft. Wegen Übertretung desselben zog in der Zensur des Claudius (47) der Ritter T. Flavius Proculus nicht weniger als 400 Personen vor Gericht; Claudius bestrafte Freigelassene, die sich auf diese oder andre Weise den Ritterrang angemaßt hatten, mit Einziehung des Vermögens. Unter Nero wagten Freigelassene, wie es scheint, nicht leicht, den Goldring zu tragen: Petrons Trimalchio trägt an einem Finger einen großen, etwas vergoldeten, am andern einen goldnen, aber ganz mit eisernen Sternchen besetzten Ring. Martial erwähnt ein Einschreiten gegen das unbefugte Tragen des Goldrings nirgends; dagegen öfters Domitians im Jahre 89 oder kurz vorher erlassnes Theateredikt, durch das die bis dahin geduldete Benutzung von Ritterplätzen durch Unberechtigte streng verboten ward. Trotzdem drängten solche sich immer wieder dort ein, die durch reiche Kleidung und lautes Rühmen der kaiserlichen Anordnungen unverdächtig zu erscheinen suchten. Doch trotz ihrer hochmütigen Äußerungen: »endlich sitze man bequem und werde nicht vom Pöbel gedrängt und beschmutzt, endlich sei dem Ritterstande seine Würde wiedergegeben«, wurden sie von einem kaiserlichen Beamten erkannt und fortgewiesen. Auch ein bei Martial und Juvenal vorkommender Ausdruck für die unechten »Ritter« ( vernae equites) läßt glauben, daß diese zu den stehenden Figuren des damaligen Rom gehörten. Martial hat ein Epigramm auf einen Barbier, der, von seiner Herrin mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet, den Ritter spielte, bis er, wegen Anmaßung des ihm nicht gebührenden Rangs angeklagt, sich der Verurteilung durch die Flucht nach Sizilien entzog.

4. Der dritte Stand

a) Armut und Reichtum

In der ungeheuren Mehrzahl der Bevölkerung Roms, die man als den dritten Stand bezeichnen kann, überwog ohne Zweifel bei weitem das Proletariat, dessen Existenz sich um »Brot und Schauspiel« drehte, und das durch eine infolge dieser so reichlich gewährten Vorteile unaufhörlich zuströmende Einwanderung aus den Provinzen sich immer neu ergänzte. Doch freilich verschafften die öffentlichen Getreideausteilungen nur der großen Mehrzahl der männlichen, bürgerlichen Bevölkerung den notdürftigsten Lebensunterhalt, und so gab es in der großen, übermäßig teuren Stadt auch bittere Armut und Not genug. Für die Armen, meinte Martial, war es kein Verdienst, mit stoischem Sinne das Leben zu verachten. Ihre finstern Kammern, zu denen »zweihundert Stiegen« führten, waren so niedrig, daß man nicht eintreten konnte, ohne sich zu bücken. Ihr Herd war oft genug kalt, ein Krug mit abgebrochenem Henkel, eine Matte, eine Wanze, ein Haufen Stroh und ein leeres Bettgestell ihr ganzes Mobiliar, eine kurze Toga bei Tag und bei Nacht ihr einziger Schutz gegen die Kälte, essigsaurer Wein und schwarzes Brot ihre Nahrung. Außer Brot war die Hauptkost der untern Klassen Gemüse, namentlich Bohnen und Rüben (beide »Mittagessen der Handwerker«), Linsen, Zwiebeln, Knoblauch, Erbsen (an denen man sich für einen As satt essen konnte) und wohlfeile Fische; ein mit Lauch gesottener Schafskopf oder ein geräucherter Schweinskopf war ein Festessen. Am ersten Juli, dem Haupttermin des Wohnungswechsels, sah man wohl manche arme Familie, die der Hausverwalter austrieb, nachdem er den wertvollen Teil ihrer Habe für die seit zwei Jahren unbezahlte Miete abgepfändet hatte, mit dem Rest ihres Hausrats in der Weise über die Straße ziehen, wie es derselbe Dichter »als eine Schmach für den ersten Juli« beschreibt. Ein blasser, von Frost und Hunger ausgemergelter Mann, »ein Irus seiner Zeit«, und drei Frauen, die den Megären glichen, schleppten ein Bettgestell mit drei, einen Tisch mit zwei Beinen und dergleichen altes Gerümpel, wie eine Lampe und eine Laterne von Horn, zerbrochenes Geschirr, eine mit Grünspan überzogene Kohlenpfanne, einen nach schlechten Seefischen stinkenden Topf, einen alten Kranz von schwarzem Flohkraut (das man wegen angeblicher Heilkräfte in Schlafzimmern aufhängte), ein Stück Toulouser Käse, Schnüre, an denen einmal Lauch und Zwiebeln gehangen hatten, einen mit einem wohlfeilen Enthaarungsmittel halb gefüllten Topf. Der Dichter fragt, warum diese Leute sich nach einer Wohnung umsähen, da sie ja »auf der Brücke« umsonst wohnen könnten. Brücken, Stufen und Schwellen von Gebäuden und Hügelabhänge gehörten wie im heutigen Rom zu den Standorten der Bettler, die dort, wie überhaupt an belebten Orten, namentlich auf den Foren, durch ihren jammervollen Anblick, ihre Lumpen und ihre Nacktheit, ihre Gebrechen und Schäden – Blinde von einem Hunde geführt – das Mitleid zu erregen suchten und mit heiserer Stimme in singendem Ton einer um den andern unaufhörlich ihre Bitten um Almosen wiederholten. Ihre Zuflucht in den kalten Regennächten des Dezember war vielleicht ein offenes Gewölbe, ihr Hund der einzige Gefährte ihres Elends, ihre Nahrung »Hundebrot« (ein grobes Kleienbrot), ihr ganzer Besitz ein Stab und eine Decke oder Matte und ein Ranzen, ein Tod in einem einsamen Winkel ihre Erlösung.

Gegenüber solcher Armut gab es aber auch unter den niedrigen Leuten Wohlhabenheit und Reichtum, zum Teil infolge jener plötzlichen Glückswechsel, die namentlich Sklaven zuweilen in sehr glänzende Verhältnisse versetzten. Clesippus, ein buckliger und auch sonst häßlicher Sklave, der das Walkerhandwerk gelernt hatte, wurde, wie Plinius erzählt, bei einer Auktion von einer Gegania als Zugabe zu einem korinthischen Kandelaber gekauft; er wurde der Liebhaber seiner Herrin und von ihr zum Erben eingesetzt. Als Besitzer eines sehr großen Vermögens verehrte er statt der Götter jenen Kandelaber, dem er seine Erhebung und seinen Reichtum verdankte. Solche Laufbahnen werden in der Kaiserzeit gerade nicht selten gewesen sein. Der Reichtum eines ehemaligen Lustknaben des Licinius Sura (des mächtigen Freundes Trajans), namens Philostorgus, erregte den Unwillen eines Bekannten des Philosophen Epictet, der jenem vorhielt: er habe kein Recht, sich über das Schicksal zu beklagen, da er doch auch das glänzendste Los nicht um denselben Preis wie Philostorgus würde erkaufen wollen. Juvenal mußte es erleben, daß der Barbier, unter dessen Schermesser einst sein Bart gerauscht hatte, zahlreiche Landhäuser besaß und in Hinsicht auf Vermögen sich mit der ganzen Aristokratie messen konnte; Martial, daß ein freigelassener Schuster, der gewohnt gewesen war, alte Felle mit den Zähnen auseinanderzuziehen, auf dem Pränestinischen Landgute seines ehemaligen Patrons in Üppigkeit schwelgte. Menschen, die einst als Hornbläser bei Gladiatorenkämpfen von Stadt zu Stadt gezogen waren, brachten es zu solchem Reichtum, daß sie selbst Fechterspiele geben konnten; unter Domitian hatte ein ehemaliger Schuster ein solches zu Bologna, ein ehemaliger Walker zu Modena, wo dieses mit der Wollfabrikation zusammenhängende Gewerbe wahrscheinlich blühte, gegeben. Wenn solche Glückswechsel immerhin vereinzelt waren, so war es dagegen ganz gewöhnlich, daß Krämer, die mit schmutzigen Waren handelten, oder Auktionatoren mehr erwarben als Sachwalter. Ein jährliches Einkommen von 24.000 Sesterzen (5220 Mark) scheint zur bescheidnen Existenz eines einzelnen in Rom als hinlänglich gegolten zu haben. Juvenals Nävolus wünscht sich nur 20.000 Sesterzen (4350 Mark), doch außerdem etwas Silbergeschirr, zwar ohne künstliche Arbeit, aber nicht gar zu klein und einfach, zwei starke Sklaven aus Mösien, die ihm im Zirkus Platz schaffen können, und zwei geübte Kunstarbeiter, die durch ihre Arbeit etwas einbringen. Dies sei genug, wenn er denn nun einmal arm sein solle.

b) Erwerbsarten. Kleinhandel und Handwerk

Gelegenheit zum Erwerb war auch dem Ärmsten, wenn er keine Arbeit scheute, in Rom auf allen Seiten geboten. Exporthandel hatte Rom zwar so gut wie gar nicht und Fabrikation nur sehr wenig, namentlich Glas- und Papierfabriken. Dagegen war der Einfuhrhandel kolossal und der Geldmarkt Roms vielleicht der größte in der alten Welt. Der Warentransport, namentlich auf dem Tiber, den Plinius »den gefälligsten Händler mit allen Erzeugnissen der Welt« nennt, das Ausladen am Hafen, die Lagerung und Magazinierung, die Verwaltung und Beaufsichtigung der Magazine, die mannigfaltige Vermittlung zwischen Klein- und Großhandel beschäftigte Tausende als Schiffer und Taucher, als Messer, Schreiber, Lagerbeamte, Warenmakler, Kommissionäre, Lastträger, der Geldmarkt neben den großen Bankiers eine gewiß sehr beträchtliche Anzahl von kleinen Geldleihern, Geldmaklern und Wechslern. Namentlich für den Wucher bot Rom den denkbar günstigsten Boden. Ambrosius, dessen Schilderungen sicherlich auch auf frühere Jahrhunderte buchstäblich passen, beschreibt ausführlich, wie die Wucherer reiche junge Männer umgarnten und planmäßig zugrunde richteten. Brauchten diese kein Geld, so verleiteten sie sie durch gewissenlose Anpreisungen zu unvorteilhaften Käufen von Gütern und Palästen; sie ließen sich einen alten Familienbesitz, ein väterliches Grabdenkmal verpfänden; war ihr Schuldner bei Gelde, so ließen sie den Zahlungstermin ohne Mahnung verstreichen, andernfalls bestürmten sie ihn, und mindestens mußte dann ein neuer Schuldschein, natürlich unter erschwerten Bedingungen, ausgestellt werden.

Zum großen Teil waren die kaufmännischen Geschäfte freilich in den Händen von Sklaven und Freigelassenen, die sie nicht für eigne Rechnung, sondern zum Nutzen ihrer Herren betrieben oder diesen doch wenigstens einen Anteil am Gewinn abtreten mußten. Dasselbe gilt vom Kleinhandel und Handwerk, welches letztere überdies auch dadurch beeinträchtigt war, daß die Reichen ihren Bedarf zum Teil durch die Arbeit ihrer eignen Sklaven decken konnten. Eine in Yorkshire gefundene Taberneninschrift lautet: »Heil dem Genius dieses Ortes! Knechtlein ( servule), betreibe mit Glück die Goldschmiedearbeit in dieser Bude.« Immer aber wurde noch eine höchst umfangreiche Tätigkeit von freien und für eigne Rechnung arbeitenden Handwerkern und Gewerbetreibenden in Anspruch genommen, um sowohl die ungeheure Bevölkerung von Tag zu Tag mit dem Notwendigen zu versorgen, als die hier am höchsten gespannten und auf das Verschiedenartigste gerichteten Forderungen des Luxus der Reichen und Vornehmen zu befriedigen. Doch auch diese selbständigen Handwerker und Geschäftsleute werden in überwiegender Anzahl nicht Freigeborene, sondern Freigelassene gewesen sein; einmal, weil die fort und fort in Menge freigelassenen Sklaven ihren Lebensunterhalt natürlich in der Regel mit denselben Arbeiten und Geschäften gewannen, die sie als Sklaven erlernt und bisher für ihre Herren betrieben hatten, sodann, weil auch die armen Freien sich großenteils für diesen Erwerb zu gut dünkten.

Den Umfang und die Bedeutung des Handwerks und der gewerblichen Tätigkeit in Rom mag man versuchen sich nach einigen, wenn auch dürftigen und vereinzelten Angaben vorzustellen. Nach den Stadtbeschreibungen aus dem Anfange des 4. Jahrhunderts hatte Rom damals 254 Bäckereien (15-20 in jeder Region, in einer 24) und 2300 Stellen für den Ölverkauf. Andre Tausende beschäftigte die Beschaffung und der Vertrieb der sonstigen Nahrungsmittel, für deren wichtigste es eigne Märkte gab, wie den Vieh-, Ochsen-, Schweine-, Korn-, Wein-, Gemüse-, Fisch-, Delikatessenmarkt, und in demselben Umfange wurden die Gewerbe in Anspruch genommen, die für Kleidung, Wohnung, häusliche Einrichtung usw. sorgten.

Auch die infolge einer hohen Entwicklung der gewerblichen Industrie bereits sehr weit vorgeschrittene Berufsspezialisierung war eben nur möglich, wenn ein sehr bedeutender Teil der Bevölkerung sich dem Gewerbe und Handwerk zugewandt hatte. Auch mehrere solcher Handwerke und Geschäfte, die sich auf Verfertigung und Vertrieb bestimmter einzelner Waren beschränkten, bildeten zu Rom Innungen. Von der alten Innung der Schuhmacher, die zu den angeblich von Numa gestifteten gehörte, sonderte sich eine Innung der Stiefelmacher ( caligarii) ab, die Alexander Severus (wahrscheinlich nur neu) organisierte. Daneben gab es Sandalenmacher, von deren Laden eine Straße den Namen führte, ferner (ebenfalls vereinigte) Pantoffel- und Frauenschuhmacher und Arbeiter für mehrere andre Gattungen des Schuhwerks. Neben der großen Bäckerinnung, die Trajan neu organisierte, gab es mehrere Arten von Fein- und Kuchenbäckern, deren jede ein besonderes Backwerk lieferte. Das Gewerbe der Kupferschmiede teilte sich in Topfgießer, Kandelabermacher, Laternenmacher, Gewichtmacher, Helm- und Schildarbeiter; das der Eisenarbeiter in Schlosser, Messerschmiede, Verfertiger von Äxten und Hacken, Sichelmacher, Schwertfeger. Die Herstellung von Kunstarbeiten in edlen Metallen beschäftigte Modelleure, Gießer, Polierer, Vergolder, Bildhauer, Ziseleure, Künstler in getriebener Arbeit, das Juweliergeschäft Perlenarbeiter, Edelsteinschleifer und -schneider; neben den Innungen der Gold- und Silberarbeiter gab es noch besondre der Ringmacher und der Goldschläger und Vergolder. Bestimmte Geschäfte fertigten nur Grabdenkmäler an, ein solches betreibt z. B. in dem Roman des Petronius der Steinarbeiter Habinnas, bei dem Trimalchio sein Monument bestellt; in den Pandekten wird ein Kompaniegeschäft zur Herstellung von Grabdenkmälern erwähnt, wozu der eine Teilhaber das Kapital hergibt, während der andre die technische Leitung übernimmt. In ähnlicher Weise hatte auch die Ausdehnung des Handelsverkehrs die Beschränkung kaufmännischer Geschäfte auf gewisse Waren herbeigeführt; unter den Gemüsehändlern gibt es solche, die nur Hülsenfrüchte feilhalten, und die Wolfsbohnenhändler ( lupinarii) bilden eine eigne Innung; der Handel mit Drogen, Medikamenten, Farben, Salzen, Essenzen und Toilettegegenständen scheint viele Spezialitäten gehabt zu haben; im Kleiderhandel gab es besondre Geschäfte für verschiedne Arten von Mänteln und Überwürfen, für leichte Sommerkleider usf.

Hand in Hand damit geht eine in weitem Umfange durchgeführte Arbeitsteilung dergestalt, daß an der Herstellung derselben Gegenstände eine ganze Anzahl von Einzelarbeitern, jeder für einen bestimmten Teil der Ausführung, unter einheitlicher Leitung tätig war und somit eine Art fabrikmäßigen Betriebes entstand. Augustin bezeugt einen solchen Betrieb für die Metallindustrie, indem er die Untergötter, deren Macht nach dem römischen Glauben sich auf ein sehr eng begrenztes Gebiet beschränkte, mit den Handwerkern in der Straße der Silberschmiede vergleicht, wo jedes Gefäß bis zu seiner Vollendung durch viele Hände geht, während es doch von einem einzelnen ganz vollendet werden könnte; aber die Meisterschaft in der ganzen Kunst würde schwer und langsam zu gewinnen sein, einen Teil derselben kann jeder leicht und schnell erlernen. Ein ähnliches Zusammenarbeiten hat nicht nur selbstverständlich im Baugewerbe, sondern sicher auch in der Tonwarenindustrie und in vielen Zweigen des Kunsthandwerks stattgefunden: bei der aus Pompeji bekannten, in Rom und anderwärts gleich üblichen Bemalung der Wände von Zimmern und öffentlichen Räumen muß eine Verteilung der Arbeit an verschiedene Gruppen von Kunsthandwerkern, Anstreicher, Arabesken-, Blumen-, Tier-, Landschafts-, Figurenmaler stattgefunden haben.

In den zahlreichen Bildhauerwerkstätten wurden Statuen auch umgearbeitet; in den Pandekten wird bemerkt, daß eine durch Testament vermachte Statue von dem Legatar auch dann in Anspruch genommen werden könne, wenn ihr ein Arm von einer andern angesetzt sei. Es gab eigne Arbeiter, die nur den Statuen die Augen (aus einem farbigen Material) einsetzten.

Dieser so vielartige und ausgebreitete Verkehr erfüllte am meisten die belebtesten Plätze und Straßen, und gegen Ende des 1. Jahrhunderts hatten die an den Häuserfronten in die Straße hineingebauten Läden, Buden und Werkstätten dermaßen überhand genommen, daß die dadurch entstandenen Störungen des Verkehrs ihre Einschränkung nötig machten. Ein Teil der Straßen hatte seinen Namen von dem Geschäftsgetriebe der Einwohner, wie die Straßen der Kornhändler, Riemenschneider, Sandalenmacher, Holzhändler, Glaser, Salbenhändler, Sichelmacher. Daß Handwerker derselben Gattung »kolonienweise beisammen wohnten und ganze Straßen, ja Viertel einnahmen«, kam in Rom und in den Städten Italiens vermutlich im Altertum nicht seltner vor als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da dieses Zusammenwohnen der zu demselben Gewerke gehörigen Arbeiter zum Teil ohne Zweifel schon durch die Arbeitsteilung bedingt war, wie auch die angeführte Äußerung des Augustinus über die Silberschmiedestraße schließen läßt. Die heilige Straße, eine der Hauptverkehrsadern Roms, war namentlich voll von Läden für Luxusgegenstände; doch gab es auch andre Geschäfte dort: aus Inschriften ist außer Goldschmieden, Juwelieren, Perlen- und Edelsteinhändlern, Metallgießern und Ziseleuren auch ein Farbenhändler, ein Verfertiger von Flöten und ein Schreiblehrer von der heiligen Straße bekannt. Dort kaufte man unter anderm Elfenbeinwürfel, sogenannte Cajetanische (aus Gallien bezogene) Schnüre, Kristallkugeln, Fächer aus Pfauenwedeln und andre Geschenke für Frauen, Honig und Früchte für den Nachtisch eines Gastmahls und Kränze für die Teilnehmer des darauf folgenden Trinkgelags. Doch die glänzendsten Läden Roms waren zu Ende des 1. Jahrhunderts in den Kaufhallen, die den Platz der Säpta auf dem Marsfelde umgaben; dort fand man schöne Sklaven, große Tischplatten aus Citrusholz, Elfenbeinarbeiten, Speisesofas, mit Schildpatt ausgelegt, alte Bronzestatuen, Gefäße aus Kristall und Murrha: silberne Becher von altertümlich kunstreicher Arbeit, Halsbänder aus Smaragden in Gold gefaßt, große Ohrgehänge aus Perlen, daneben auch wohlfeile Waren. Andre Läden für Luxusgegenstände waren im Tuskerquartier, wahrscheinlich auch in den den großen Zirkus umgebenden Arkaden, während die enge und geräuschvolle Subura mehr eine kleinbürgerliche Geschäftsgegend darstellt.

Die in ihrer Breite auf die Straßen sich öffnenden Laden und Schenken waren durch Leinwandvorhänge geschlossen, welche mit Ankündigungen oder Malereien bedeckt waren; ausgehängte Schaustücke lockten die Käufer an; außerdem hatten sie Schilder. Noch sind einige Relieftafeln vorhanden, die entweder als solche gedient oder vielmehr auch die Grabmonumente der Gewerbetreibenden geschmückt haben, deren Laden sie darstellen. Auf dem Schilde eines Schinkenhändlers prangen fünf Schinken in einer Reihe nebeneinander. Zwei Reliefs zeigen zwei verschiedne Lokale einer Kleiderhandlung, in deren einem Frauen-, im andern Männerkleidung verkauft wurde, und dort eine Käuferin, hier einen Käufer, von andern Personen begleitet, welche die ihnen von dem Ladeninhaber und seinen Leuten vorgewiesene Ware prüfen. Zum Ladenschild war vermutlich auch die Darstellung einer feinen Wild- und Geflügelhandlung bestimmt, wo ein Hase, zwei Wildschweine, mehrere große Vögel an der Wand hängen, und ein junges Mädchen mit der Verkäuferin feilscht; beides Figuren, die in Kostüm, Anlage und Ausführung deutlich den adelnden Einfluß griechischer Vorbilder erkennen lassen: wie denn auch die untergeordneteren Darstellungen dieser Art, namentlich Grabdenkmäler von Handwerkern mit Szenen aus ihrem Leben, Zeugnis davon ablegen, »wie viel allgemeiner auch im spätern Altertum und in den untern Schichten der Bevölkerung das Bedürfnis war, durch die bildende Kunst nicht bloß das Leben in der Gegenwart zu schmücken, sondern auch Andenken und Erinnerung an dasselbe der Nachwelt zu überliefern, als dies gegenwärtig der Fall ist«. Ein Relief, das die bekannte Gruppe der drei Grazien und daneben eine ganz bekleidete, sitzende Matrone mit einem über den Kopf gezogenen Obergewande zeigt mit der Unterschrift »zu den vier Schwestern«, war allem Anschein nach das Schild eines Ladens oder Gasthauses (wenn nicht eines Bordells). In einer Sammlung von griechisch-lateinischen Gesprächen zur Einübung der gangbarsten Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens in beiden Sprachen kommt auch folgender Dialog vor: Ich gehe zum Kleiderhändler. Wieviel kostet dieses Paar? Hundert Denare. Wieviel der Regenmantel? Zweihundert Denare. Das ist zuviel, nimm hundert. Unmöglich, so hoch kommt es mir beim Einkauf von den Vorkäufern (Großhändlern) zu stehen. Was soll ich also geben? Soviel du meinst. (Zum Sklaven oder Begleiter:) Gib ihm 125 Denare. Gehen wir auch zum Leinwandhändler usw. Daß die Käufer gewohnt waren, die Forderungen der Kaufleute herabzusetzen, wie sich von selbst versteht, erwähnt auch Juvenal: der Schullehrer müsse sich einen Abzug von seinem Honorar gefallen lassen, wie der Händler mit Matten (zur Bedeckung von Fußböden) und schneeweißen Bettüchern von seinen Preisen.

Reliefs und inschriftliche Denkmäler sind es fast ausschließlich, die uns hie und da in die Existenz der Handwerker und Ladeninhaber (sehr viele waren natürlich beides zugleich) einen Blick tun lassen. Einige Inschriften erinnern uns daran, wie äußerst wenig wir von den damaligen sozialen Verhältnissen der Gewerbetreibenden wissen: so machen uns Inschriften aus Hierapolis in Großphrygien (aus dem 2. oder 3. Jahrhundert) mit einer dort existierenden, offenbar recht angesehenen Zunft der Purpurfärber bekannt, eine leider nur sehr fragmentisch erhaltene pergamenische Inschrift zeigt das Eingreifen des römischen Prokonsuls bei einem Arbeiterausstande, beim Bau des Theaters in Milet wird ein technischer Streit zwischen den den Bau ausführenden Unternehmern (ἐργοκάβοι) und ihren Auftraggebern (ἐργοδόται), der zur Niederlegung der Arbeit zu führen droht, durch ein Orakel des didymäischen Apollo beigelegt. Die römischen Lustspiele, die ihren Stoff mit Vorliebe diesen Lebenskreisen entlehnten (Mimen und Atellanen), sind leider verloren, und die unübertrefflichen Szenen aus dem kleinbürgerlichen Leben bei Petron haben eine ganz lokale süditalische Färbung. Die uns erhaltne Literatur stammt fast durchweg aus einer Bildungssphäre, in der man auf die kleinen Leute meist mit Geringschätzung und immer ohne Anteil herabsah, die tagaus tagein in entgürteter Tunika hinter dem Ladentisch standen oder in Schurz und Kappe auf ihrem Schemel in der Werkstatt, wo nichts Edles gedeihen konnte, für das Brot arbeiteten, oder billig eingekaufte Waren mit einem Gewinn von 50 Prozent verhandelten, gleichviel, ob es stinkende Felle oder wohlriechende Essenzen waren, da der Gewinn für sie immer einen guten Geruch hatte. So groß war die Abneigung gegen den kleinen Erwerb. Personen der höhern Stände wurden auch die unsaubersten Geschäfte, z. B. Vermieten von Häusern und Grundstücken zu Bordellen, ebensowenig verdacht wie später russischen Großen die Branntweinpacht, weil sie sich dabei der Vermittlung von Sklaven und Freigelassenen bedienten und so scheinbar von dem Schmutze des unanständigen Erwerbs unbefleckt blieben; den kleinen Geschäftsleuten machte man dagegen auch ein unschuldiges Wahrnehmen ihres Vorteils zum Vorwurf. So sagt Plinius, daß die Kleiderhändler auf den Untergang des Siebengestirns (am 11. November) achteten, weil man auf einen regnerischen Winter schloß, wenn er bei bewölktem, auf einen rauhen, wenn er bei heiterm Himmel erfolgte; im ersten Falle erhöhten sie den Preis der Mäntel, im zweiten den andrer Kleidungsstücke: und darin findet er einen Beweis für die heimtückische Gesinnung dieser Leute. Handwerker erwarteten und erhielten, wenn man mit ihrer Arbeit zufrieden war (ebenso wie Taglöhner), eine kleine Zugabe zu dem bedungnen Preis ( corollarium).

Handwerker und Krämer gehörten zu den konservativsten Elementen der Bevölkerung. Jede Erschütterung der bestehenden Ordnung, vollends Aufruhr und Bürgerkrieg bedrohten ihre Existenz unmittelbar. »Der bei weitem größte Teil der Taberneninhaber«, sagt Cicero (und dies gilt ganz ebenso für die spätere Zeit), »oder vielmehr diese ganze Klasse ist im höchsten Grade ruheliebend. All ihre Erwerbsmittel, ihre Arbeit und ihr Verdienst beruhen auf der Lebhaftigkeit des Verkehrs und werden durch die Ruhe erhalten; jede Schließung der Tabernen beeinträchtigt den Verdienst, und wie erst, wenn sie ein Raub der Flammen werden?« Dies war wohl in der Regel bei Straßenkämpfen der Fall, wie bei dem Kampf zwischen Volk und Prätorianern im Jahre 237/38, wo die letztern, von den Dächern mit Dachziegeln und Steinen beworfen, an die verschlossenen Türen der Tabernen und Häuser Feuer legten. Sehr allgemein, wie es scheint, sah man in den Tabernen, Läden, Werkstätten, Wechselkontoren Büsten und Bilder der regierenden Kaiser, freilich meist schlecht gemalt und plump bossiert und oft unähnlich genug. An den Geburtstagen der Kaiser und sonstigen Festtagen zu Ehren der Kaiser und des kaiserlichen Hauses waren die Tabernen, wie überhaupt bei festlichen Gelegenheiten, mit Lorbeerzweigen geschmückt und mit Lampen erleuchtet, an Trauertagen des Kaiserhauses geschlossen.

Wie die Innungen des Mittelalters ihre Heiligen, verehrten auch die römischen Handwerker- und Künstlerinnungen ihre Schutzgötter und begingen festlich deren heilige Tage. Der allgemeinste Feiertag für sie war der 19. März, Quinquatrus genannt, der Stiftungstag des Tempels der Minerva, der Schutzgöttin aller Handwerker und Künstler, auf dem Aventin; später wurde das Fest auf fünf Tage, bis zum 23. März, ausgedehnt. Ovid nennt als daran beteiligt Spinnerinnen, Weber, Walker, Färber, Schuster, aber auch Bildhauer, Maler, Ärzte und Schullehrer, welche letztere dann Ferien gaben. Den Tag der Vesta (9. Juni) feierten Müller und Bäcker, man hängte den Eseln Blumengewinde und auf Schnüre gezogene Brote um und bekränzte die Mühlen. Die Zunft der Musikanten (besonders Flötenbläser), die bei den öffentlichen Opfern und Kultushandlungen spielten, hielt ihr Festmahl im Juppitertempel auf dem Kapitol und durchzog am 13. Juni, den sogenannten kleinen Quinquatrus, maskiert (besonders in Frauenkleidern), berauscht und scherzhafte Lieder nach alten Weisen singend die Stadt. Vermutlich waren überhaupt bei Handwerksfesten Aufzüge nicht selten; einen Aufzug des Tischlergewerks scheint ein Bild in Pompeji darzustellen; wo allerlei auf das Gewerk bezügliche Figuren von jungen Männern auf Bahren getragen werden. Auch beteiligten sich in Rom wie in andern Städten die Innungen offenbar regelmäßig an großen Aufzügen (Triumphen, Einholungen der Kaiser u. dgl.), wobei wiederholt ihre Fahnen erwähnt werden; ohne Zweifel hatte jede ihren eignen Fahnenträger. Eine in Ostia gefundene Marmortafel enthält ein nach Monaten geordnetes Verzeichnis von Mitgliedern eines dortigen Vereins (darunter auch eine Frau), nebst Angabe der Summen, welche dieselben eingezahlt hatten, damit von den Zinsen (und zwar 12 Prozent) alljährlich die Kosten einer gemeinsamen Feier des Geburtstags eines jeden bestritten würden. Ein allgemeines Fest der kleinen Leute war der 15. März, der Tag der Anna Perenna, wahrscheinlich einer Göttin des Jahrs, der in einem Haine von Fruchtbäumen am ersten Meilenstein der Flaminischen Straße (wahrscheinlich nicht weit von Porta del Popolo) gefeiert wurde. Die Mädchen sangen sehr ausgelassene, aus alter Zeit stammende Scherz- und Spottlieder. Männer und Frauen lagerten sich auf dem grünen Grasboden des Tiberufers teils im Freien, teils in Laubhütten oder improvisierten Zelten aus Rohrstäben, über die sie ihre Togen ausbreiteten. Dort zechten sie und beteten um so viel Lebensjahre, wie sie Löffel aus dem Mischgefäß schöpften, sangen die Melodien, die sie aus dem Theater behalten hatten, und führten plumpe Tänze auf; endlich kehrten sie taumelnd und sich gegenseitig unterstützend zur Belustigung aller des Wegs Kommenden heim.

Die Innungen sorgten zum Teil für gemeinsames Begräbnis ihrer Mitglieder; doch die Mehrzahl der Ärmeren, welche die Kosten eines eignen Begräbnisses nicht zu erschwingen vermochten, beteiligte sich wohl bei Sterbekassenvereinen, die außer Freien und Freigelassenen auch Sklaven aufnahmen und ihren Mitgliedern gegen Entrichtung eines monatlichen Beitrags eine angemessene Bestattung sicherten, gewöhnlich in sogenannten Kolumbarien, d. h. großen Gewölben mit übereinander liegenden Reihen kleiner Nischen, die ihren Namen von der Ähnlichkeit mit den Taubenhäusern haben. Auch diese Vereine hatten ihre stehenden Feste; namentlich begingen auch sie den Geburtstag ihres Schutzgottes, d. h. den Einweihungstag seines Tempelbilds, mit einer Festmahlzeit. Unter den noch erhaltenen Statuten solcher Genossenschaften gewährt namentlich das der »Verehrer der Diana und des Antinous« zu Lanuvium (Citta Lavigna) vom Jahre 136 n. Chr. nicht bloß interessante Einblicke in das Wesen der Sterbekassenvereine, sondern gibt auch einige Vorstellung davon, wie es bei ihren Festen zuging. Vorausgeschickt ist die Warnung: »Du, der du neu in diesem Verein (so) eintreten willst, lies erst das Statut durch und tritt so ein, daß du dich nachher nicht beschwerst oder deinem Erben einen Rechtsstreit hinterlässest.« Die neu Aufgenommenen zahlten ein Eintrittsgeld von 100 Sesterzen (21,75 Mark) und eine Amphora guten Wein; der jährliche Beitrag von 15 Sesterzen (3,25 Mark) wurde in monatlichen Raten von 5 As (etwa 27 Pfennig) entrichtet. Dagegen zahlte die Kasse zur Bestattung jedes verstorbnen Mitglieds, das regelmäßig beigetragen hatte, 300 Sesterzen (65 Mark); nur Selbstmörder waren ausgeschlossen. Von der Bestattungssumme wurden für das Leichengeleit 50 Sesterzen (etwa 11 Mark) abgezogen und am Scheiterhaufen verteilt. Klagen und Beschwerden sollten in den Versammlungen vorgebracht werden, »damit wir an den Festtagen in ungestörter Heiterkeit schmausen können«. Die Schmäuse wurden, wie es scheint, von je vier jährlich wechselnden Mitgliedern veranstaltet, welche Decken oder Polster für die Speisesofas, heißes Wasser nebst Geschirr, außerdem vier Amphoren (etwa 105 Liter) guten Wein und für jedes Mitglied ein Brot zu zwei As und vier Sardinen zu besorgen hatten. Die Kosten der eigentlichen Mahlzeit wurden vermutlich von den Zinsen eines Kapitals bestritten, das ein Gönner des Vereins hierzu bestimmt hatte; an Wein konnte um so weniger Mangel sein, als außer den neu Eintretenden auch die dem Verein angehörenden Sklaven eine Amphora (26 Liter) geben mußten, wenn sie freigelassen wurden. Ordentliche Schmäuse fanden sechs im Laufe des Jahrs statt; bei den beiden hauptsächlichsten, an den »Geburtstagen« der Diana und des Antinous, mußte der jedes mal auf fünf Jahre gewählte Vorsteher, der bei allen Verteilungen doppelte Anteile erhielt, den Mitgliedern vor der Mahlzeit im öffentlichen Bade Öl verabreichen. Derselbe hatte an allen Festtagen seines Amts mit Wein und Weihrauch zu opfern und seine übrigen amtlichen Funktionen in weißer Kleidung zu vollziehen. Hatte er sein Amt rechtlich verwaltet, so erhielt er fortan bei allen Verteilungen das Anderthalbfache des gewöhnlichen Anteils. Wer bei den Festen eines Streits halber von seinem Platze an einen andern ging, zahlte vier Sesterzen Strafe; wer einen andern schimpfte oder Lärm erregte, zwölf; wer den Vorsteher während des Schmauses schmähte oder beleidigte, zwanzig. Als das Christentum sich in den Kreisen der kleinen Leute weiter und weiter ausbreitete, konnten gewiß viele Christen sich nicht sogleich entschließen, die Vorteile der Sterbekassenvereine, deren Mitglieder sie waren, aufzugeben. In den Briefen des Bischofs Cyprianus von Karthago wird einem Martialis unter anderm der Vorwurf gemacht, »die schändlichen und kotigen Mahlzeiten in einem Vereine lange besucht und seine Kinder nach heidnischer Sitte in demselben Vereine in unheiligen Gräbern bestattet zu haben«.

Auch sonst finden sich hie und da Andeutungen über die gesellige und geistige Bildung in den Kreisen dieser kleinen Leute. Daß im allgemeinen weder die eine noch die andre groß war, ist selbstverständlich, und namentlich die Mangelhaftigkeit der letzteren durch ihre nicht selten ungrammatischen, unorthographischen und unbehilflich abgefaßten Inschriften bezeugt. Bei Gellius nennt ein Grammatiker ein ihm unbekanntes Wort »plebejisch und der Sprache der Handwerker angehörig«. Doch Verse Vergils, dessen Popularität die Schillers in unsern Tagen vielleicht noch übertraf, wurden auch dort, wie es scheint, gern im Munde geführt und zuweilen überraschend angewendet. So trägt jenes Schild einer Wildprethändlerin die Inschrift aus der Äneide: »Weil schattige Berghöh'n Lauben dem Wild aufwölben und kreisende Sterne der Pol nährt, immer bleibt dir Namen und Ehr' und ewiger Nachruhm.« Auch in eignen Versen versuchte man sich. Eine Grabschrift beklagt in zierlichen Hexametern den Verlust eines im dreizehnten Jahre verstorbnen Sklaven, welcher der Liebling seines Herrn, allem Anscheine nach eines Goldschmieds, war: »Dieser verstand Halsketten mit kundiger Hand zu verfert'gen und in getriebnes Gold buntschimmernde Steine zu fassen.« Auch die Sitten waren ohne Zweifel nicht immer fein. Von den Hökern, die mit Salzfischen handelten, sagte man mit einer aus dem Griechischen entlehnten Redensart, daß sie sich mit dem Ellbogen schneuzten, und die Burschen der Salzverkäufer zeichneten sich durch die Gemeinheit ihrer Späße aus. Die Meister machten von dem Züchtigungsrecht, das ihnen gegen die Lehrlinge zustand, vermutlich nicht selten einen übermäßigen Gebrauch; wie denn gelegentlich erwähnt wird, daß ein Schuster einen freigebornen Lehrling, der sich ungeschickt erwies, durch einen Schlag mit dem Leisten auf einem Auge blind machte. In dem städtischen Leben Pompejis scheinen die Lehrlinge keine ganz unbedeutende Rolle gespielt zu haben. Unter den an den Häusern angeschriebenen Wahlempfehlungen zu den städtischen Ämtern befindet sich auch eine der Lehrlinge ( discentes), außerdem eine von einem Saturninus »mit seine Lehrlinge« (so). In treuherziger Weise rühmen einige Grabschriften die Eigenschaften der Verstorbenen. Einem freigelassenen Goldschmied, der »durch seine Kunst in der Verfertigung Clodianischer Gefäße alle übertraf«, wird von seinem ehemaligen Herrn bezeugt: »Er hat niemanden geschmäht, nie etwas gegen den Willen seines Patrons getan. Immer war eine schwere Menge Gold und Silber bei ihm, aber nie ließ er sich danach gelüsten.« Ein ebenfalls freigelassener Perlenhändler von der heiligen Straße bittet in seiner Grabschrift den Wanderer, sein Grab nicht zu beschädigen, in dem die Gebeine eines Manns ruhen, der »gut, barmherzig und ein Freund der Armen war«. Ein L. Nerusius Mithres war nach seiner hexametrischen Grabschrift (in welcher die Anfangsbuchstaben der Verszeilen seinen Namen bilden) in der »heiligen Stadt« durch einen mit seltener Rechtlichkeit betriebnen Handel mit Bockfellen bekannt gewesen, hatte außerdem als Unternehmer seine Zahlungen an den Fiskus stets ohne Sorgen geleistet und sich bei allen Kontrakten als billig denkend erwiesen. Es war ihm wohl ergangen, er hatte sich ein mit Marmor ausgestattetes Haus gebaut, viele Bedürftige unterstützt; zu noch größerm Ruhm rechnete er es sich, daß er durch Erbauung eines Erbbegräbnisses für die einstige Ruhe aller seiner Freigelassenen beiderlei Geschlechts und ihrer Nachkommen gesorgt hatte.

Handwerker suchten vielleicht öfters durch Zucht und Abrichtung von Vögeln sich einen Nebenverdienst zu schaffen, obwohl es natürlich auch Leute genug gab, die daraus allein ihr Gewerbe machten; Manilius erwähnt solche, die in Käfigen durch die ganze Stadt abgerichtete Vögel tragen, deren ganze Habe in einem kleinen Vogel besteht. Doch kommen in den bezüglichen, nicht zahlreichen Anekdoten dreimal Handwerker als Besitzer oder Lehrmeister kunstreicher Vögel vor. Einen Raben, den ein armer Schuster abgerichtet hatte, einen Glückwunsch an August zu sprechen, wollte dieser nicht kaufen, da er schon genug solche Gratulanten zu Hause habe; aber der Vogel sagte zur rechten Zeit die oft von seinem Herrn gehörten Worte: »Ich habe Mühe und Kosten verloren«, und wurde nun sehr hoch bezahlt. Ein Barbier am Forum hatte eine Elster, die musikalische Instrumente, Menschen- und Tierstimmen nachahmte; eines Tags machte ein großes, vorüberziehendes Leichengefolge vor dem Barbierladen Halt, und die im Zuge befindlichen Tubabläser bliesen ein langes Stück. Die Elster verstummte nun für einige Zeit, und man beargwöhnte schon einen neidischen Konkurrenten, sie verzaubert zu haben: da sang sie das ganze, so lange im stillen geübte Musikstück von Anfang bis zu Ende. Unter Tiberius flog aus einem Rabennest auf dem Castortempel ein junger Rabe in eine gegenüberliegende Schusterwerkstatt, deren Herr ihn sprechen lehrte. Der Rabe gewöhnte sich, an jedem Morgen auf die Rednerbühne zu fliegen, Tiberius, Germanicus und Drusus mit Namen anzureden, auch das vorübergehende Volk zu begrüßen, und erregte so jahrelang die Bewunderung von ganz Rom. Als der Inhaber eines benachbarten Ladens ihn umbrachte (angeblich aus Zorn, weil er ihm ein Paar neue Schuhe beschmutzt hatte), geriet das Volk in solche Aufregung, daß es den Mörder aus dem Bezirk vertrieb; später wurde er ermordet. Der Vogel wurde feierlich von zwei Mohren auf einer Bahre unter Musik zu einem an der Appischen Straße errichteten Scheiterhaufen getragen und von einem großen Gefolge mit vielen Kränzen begleitet. Dies geschah, wie Plinius, wahrscheinlich aus dem öffentlichen Stadtanzeiger, berichtet, am 28. März 35 n. Chr.

c) Sonstige Erwerbsarten, Künste und Wissenschaften

Wie Handwerk und Kleinhandel galten auch manche andre, zum Teil sehr einträgliche Erwerbsarten für mehr oder minder unanständig. Der arme, aber freigeborne, liberal erzogene Mann sprach mit Geringschätzung von den Leuten, die reich wurden, indem sie Leichenbesorgungen übernahmen, Bäckereien und Badehäuser pachteten, öffentliche Arbeiten aller Art an Flüssen und Häfen, die Austrocknung von Sümpfen, auch die Reinigung von Kloaken ausführten, als Auktionsausrufer bald unschätzbare Kostbarkeiten, bald altes Gerümpel versteigerten und andre derartige Geschäfte machten.

Von den hier genannten Gewerben galten zwei so sehr als unehrbar, daß den sie Betreibenden nach Cäsars Munizipalgesetz die Wählbarkeit zu städtischen Ehrenämtern abging: das der Leichenbesorger und das der öffentlichen Ausrufer ( praecones). Die letztern wurden zwar bei öffentlichen Bekanntmachungen aller Art (z. B. von verlornen Sachen, entlaufenen Sklaven) verwendet; doch ihr Hauptgeschäft war das Abhalten von Versteigerungen, und vielleicht die naheliegende Berührung dieser Tätigkeit mit der des öffentlichen Spaßmachers der Grund der Mißachtung, in der das ganze Gewerbe stand. Durch die Auktionen war es aber auch ein sehr einträgliches, denn die öffentliche Versteigerung hatte im römischen Geschäftsverkehr eine ganz andre Bedeutung als im heutigen; ihr gehörte teilweise der wichtige Platz, den gegenwärtig das Maklergewerbe, das Kommissionsgeschäft einnimmt. Wo immer man sich überflüssiger Gegenstände zu entäußern wünschte, namentlich im Falle der Erbschaft, oder auch wo man außerordentlicherweise Geld brauchte, ward zur Auktion geschritten. Statt des Geschäftsherrn trat ein gewerbsmäßiger Vermittler ein, der coactor argentarius oder exactionum, wie er von dem Einziehen der einzelnen Auktionsforderungen hieß: ein Gewerbe, das ebensowenig geachtet war wie das des Ausrufers. Die diesem Mittelsmann für seine Mühewaltung und für die Übernahme der Gefahr zu gewährende Entschädigung (bei der die Gebühr für den Ausrufer nicht einbegriffen war) wurde in Form eines von dem Käufer über den Kaufpreis hinaus zu entrichtenden Zuschlags von 1 Prozent erhoben. Die Niedrigkeit dieses Betrags erklärt sich durch den ungeheuren Umfang des römischen Auktionsgeschäfts; übrigens werden vermutlich bei besonders lästigen und gefährlichen Geschäften höhere Prozente bedungen worden sein. In der Zeit des Horaz, dessen Vater dieses Geschäft betrieb, waren die Einnahmen dieser Vermittler noch ebenso gering wie die der Ausrufer; aber schon in der ersten Kaiserzeit waren die der letztern (also auch die der erstern) hoch, was doch wohl kaum anders als durch eine große Steigerung der Schnelligkeit des Besitzwechsels in Rom erklärt werden kann; und allerdings bezeugt Strabo, daß zu seiner Zeit wenigstens die Häuser unaufhörlich aus einer Hand in die andre gingen. Arruntius Euarestus, ein Auktionator, der in der Verwirrung nach Caligulas Ermordung eine Rolle spielte, war nach Josephus so vermögend wie die reichsten Römer und hatte die Macht damals und später, seinen Willen in Rom durchzusetzen. Bei Martial bewerben sich um ein Mädchen zehn Dichter, sieben Anwälte, vier Tribunen und zwei Prätoren: der Vater gibt die Tochter ohne Besinnen einem Auktionsausrufer. Hat er etwa töricht gehandelt? fragt der Dichter. Derselbe rät, einen Knaben, der in der Welt fortkommen wolle, nur ja nicht studieren oder Verse machen zu lassen; vielmehr solle er sich auf die Kithara oder Flöte verlegen, habe er einen harten Kopf, Ausrufer oder Baumeister werden.

Die Baukunst, die Cicero als nützliche Kunst mit der Medizin zusammenstellt, galt den Römern unter allen Künsten als die anständigste und war zugleich die lohnendste; daher schon unter Augustus die Zahl der Baumeister in Rom so groß war, daß sie nach Vitruv sich selbst anbieten mußten, um Beschäftigung zu finden, und viele Pfuscher sich zudrängten. Doch später vermehrte sich sicherlich die Nachfrage nach Architekten sehr, teils durch die kolossalen öffentlichen, teils durch die infolge von Bränden, Einstürzen und Verkäufen fortwährend betriebenen Privatbauten, teils endlich infolge der vielfach in Bauwut ausartenden Baulust der Reichen. Angesichts der großartigen Überreste öffentlicher und privater Bautätigkeit im ganzen römischen Reiche kann man nicht an der buchstäblichen Wahrheit der Äußerung Trajans zweifeln, daß es in keiner Provinz an kundigen und erfinderischen Architekten fehle. Ein sehr großer Teil von ihnen stand im Staatsdienste, namentlich als Ingenieure und Bautechniker bei den Armeen, doch muß die Zahl der Privatbaumeister bei weitem größer gewesen sein.

Über den Erwerb der (mit Ausnahme einzelner berühmter und hochbezahlter Künstler) gering geachteten Bildhauer und Maler wissen wir wenig. Daß die Einnahmen der Musiker sehr bedeutend sein konnten, zeigen schon die Belohnungen von 200.000 Sesterzen (43.500 Mark), die der karge Vespasian den Kitharöden Terpnus und Diodorus für ihr Auftreten bei der Wiedereinweihung des Marcellustheaters gab. Auch der Musikunterricht war einträglich, und die Honorare, die berühmte Sänger und Kitharöden von reichen Schülern erhielten, erregten den Neid und Ingrimm der Gelehrten. Erkundige dich nur, sagt Juvenal zu dem Lehrer der Beredsamkeit, für welchen Preis Chrysogonus und Pollio die Kinder der Reichen (im Kitharaspiel) unterrichten, und du wirst das Lehrbuch des Theodorus in Stücke reißen. Wie die Musiker, so wurden im allgemeinen die Künstler, die dem Luxus oder dem Vergnügen des Publikums dienten, meist hoch bezahlt, namentlich Schauspieler und Tänzer; aber auch Fechtmeister und Zirkuskutscher erwarben große Reichtümer.

Auch gelehrte Berufsarten wurden wie die Künste und Kunstfertigkeiten, insofern sie nicht den Sklaven überlassen blieben, fast ausschließlich von Personen des dritten Stands erwählt. Galen nennt als die vorzugsweise bei der Wahl zu berücksichtigenden Fächer Medizin, Rhetorik, Musik, Geometrie, Arithmetik, Dialektik, Astronomie, Grammatik, Rechtskunde, wozu man noch allenfalls Bildhauerei und Malerei fügen könne. Diese letztern schafften wenigstens, wenn sie als Handwerk betrieben wurden, wie alle Handwerke am schnellsten Brot, aus welchem Grunde auch Lucian zu seinem Oheim, dem Bildhauer, in die Lehre gegeben wurde. Die wissenschaftlichen Berufsarten konnten freilich nur von solchen ergriffen werden, die jahrelange mühsame Vorbereitungen nicht scheuten und während dieser Zeit imstande waren, auf den Erwerb zu verzichten; und nicht leicht kamen die in die Höhe, deren Tüchtigkeit durch enge Verhältnisse beschränkt war. Von der Lebensstellung, die diese Berufsarten gewährten, sind wir einigermaßen unterrichtet.

SCHÜLER MIT SCHREIBTAFEL UND GRIFFEL.
Oberteil eines Bronzegriffels. Berlin, Antiquarium

Dem Lehrerstande fehlte in den ersten Jahrhunderten zum größten Teil die Sicherung der Existenz und die äußerliche Geltung, die ein öffentliches Amt gewährt. Der Unterricht wurde im Anfang der Kaiserzeit gar nicht, im 2. Jahrhundert nur in sehr beschränktem Umfange als Angelegenheit des Staats betrachtet und auch als Kommunalangelegenheit wohl erst in dieser Zeit allgemein anerkannt. Vorher war das Unterrichtswesen ganz der Privattätigkeit überlassen gewesen, welche jedoch überall dadurch gefördert wurde, daß Lehrer von städtischen Lasten frei waren. Diese Bestimmung enthält auch die im Jahre 1876 aufgefundene Gemeindeordnung eines Bergmannsdorfs im südlichen Portugal; auch dort war also eine Schule vorhanden oder wenigstens in Aussicht genommen. Also werden Elementarschulen auch an kleinen Orten selbst in den Provinzen nicht gefehlt haben, während nur die größern und größten Städte Schulen für den wissenschaftlichen Unterricht und dessen höchste Stufe, den Unterricht in der Beredsamkeit, besaßen. Aus kleinern Orten schickten daher die Eltern oft ihre Kinder, denen sie eine gute Bildung zu erteilen wünschten, nach einer größern Stadt oder nach Rom. Die Schule, die der ältere Statius in Neapel hielt, wurde von Knaben nicht nur aus ganz Campanien, sondern auch aus Lucanien und Apulien besucht; die Schule eines Flavius in Venusia, in welche die großen Jungen großmächtiger Centurionen mit ihren Tafeln und Pennalen am Arme gingen, genügte dem Vater des Horaz nicht; trotz seiner beschränkten Mittel schickte er seinen Sohn nach Rom und ließ ihm eine Bildung erteilen, wie sie Söhne von Rittern und Senatoren erhielten. Der auf einem Dorfe bei Mantua geborne Vergil hielt sich bis zur Anlegung der Toga virilis in Cremona auf, um dann nach Mailand und später nach Rom überzusiedeln, offenbar seiner Ausbildung wegen. In den ersten Jahren der Regierung Trajans gab es in Como überhaupt keine Lehrer der Beredsamkeit, und die jungen Leute, die sich darin ausbilden wollten, mußten in Mailand studieren. Der jüngere Plinius schlug vor, die Besoldung eines Lehrers durch Beiträge der beteiligten Familien aufzubringen, und erbot sich, den dritten Teil der Summe beizutragen. Sie der Stadt ganz zu schenken, hielt ihn die Furcht vor Wahlumtrieben ab, die auf die Besetzungen der Lehrämter an solchen Orten, wo sie von der Gemeinde vergeben und besoldet wurden, häufig einen üblen Einfluß übten. Wie in diesem Falle, wendete man sich wohl häufig nach Rom, um eine geeignete Kraft zu gewinnen, und die Bewerber um das zu vergebende Amt stellten sich, mit Empfehlungsschreiben dortiger Notabilitäten versehen, vor und legten auch öffentliche Proben von ihrem Wissen und ihrer Unterrichtsfähigkeit ab. Gellius wohnte in Brundisium einer solchen öffentlichen Probelektion eines von Rom verschriebenen Lehrers bei. Dieser rezitierte eine Stelle aus Vergil sehr ungeschickt und fehlerhaft und forderte dann die Zuhörer auf, Fragen über das Gehörte an ihn zu stellen. Bei der Beantwortung einer von Gellius an ihn gerichteten Frage verriet er vollends seine Unwissenheit.

10. IN DER SCHULE.
Relief aus Neumagen. Trier, Provinzialmuseum

Antoninus Pius, der für Rhetoren und Philosophen in allen Provinzen (von den Kommunen zu zahlende) Gehälter anwies, erlaubte in einem zwar zunächst an den Städteverband der Provinz Asia gerichteten, jedoch für das ganze Reich geltenden Erlaß, die Freiheit von munizipalen Leistungen zu gewähren: in den größten Städten 10 Ärzten, 5 Rhetoren, 5 Grammatikern, in den mittlern 7 Ärzten und je 4 Rhetoren und Grammatikern, in den kleinen 5 Ärzten und je 3 Rhetoren und Grammatikern. Daß durch die angegebenen Zahlen das Bedürfnis in Städten wie Ephesus und Smyrna, die zu den größten und volkreichsten des ganzen Reichs gehörten, auch nicht einmal annähernd befriedigt werden konnte, ist klar, und so muß es also schon für Rhetorik und Grammatik an allen größern Orten neben der kleinen Anzahl der öffentlich angestellten und besoldeten Lehrer eine bei weitem größere von Privatlehrern gegeben haben. Gellius spricht sehr häufig von Grammatikern, die in Rom als Lehrer Ansehen genossen, ohne jemals einen öffentlich angestellten zu erwähnen; und wenn es solche auch wahrscheinlich an dem von Hadrian begründeten Athenäum gab, so war ihre Zahl doch jedenfalls im Verhältnis zu der Gesamtzahl der in Rom lebenden Grammatiker eine verschwindend kleine. Auch die öffentlichen Anstellungen in den übrigen Städten galten in dem Lehrerstande gewiß als sehr begehrenswert. In der Grabschrift eines lateinischen Grammatikers in Tritium Magallum, einer Stadt im tarraconensischen Spanien, wird (offenbar als ein ungewöhnlicher Erfolg) erwähnt, daß der Verstorbne im Alter von 25 Jahren von der Stadt ein Gehalt bezogen habe. Außer dem Gehalt erhielten die Lehrer zuweilen auch Ehrenbezeigungen: so z. B. ein lateinischer Grammatiker in Verona, der dem zweiten Stande angehörte, die Auszeichnungen der Dekurionen.

11. RÖMISCHE SCHREIBFEDERN UND »STILI«.
London, British Museum

12. RÖMISCHE TINTENFÄSSER.
London, British Museum

Die Grammatiker, d. h. die Lehrer, die den an die Lesung und Erklärung der Dichter geknüpften wissenschaftlichen Unterricht in beiden Sprachen erteilten, unterrichteten teils einzelne, weshalb sie nicht selten auch auf längere Zeit ganz in vornehme Häuser eintraten, teils hielten sie Schulen, und dies zogen die bessern und gelehrtern Lehrer wohl in der Regel vor; sie hielten sich, wie Quintilian sagt, eines größern Schauplatzes für würdig, während nur die geringern sich im Bewußtsein ihrer Schwäche dazu verstanden, sich nach Art von Pädagogen (Knabenaufsehern) einzelnen ganz zu widmen. Doch natürlich werden auch die besten Lehrer gegen hohes Honorar Privatunterricht erteilt haben. Marc Aurel war seinem Urgroßvater dafür dankbar, daß er einen solchen genossen, keine öffentlichen Schulen besucht und erkannt habe, daß man für diesen Zweck keine Kosten sparen müsse. Wohl immer waren es Leute geringen Stands, die sich dem Lehramt widmeten, in Rom ganz besonders Freigelassene, Nichtbürger und Provinzialen, die bereits Julius Cäsar durch Verleihung des Bürgerrechts an Lehrer zahlreich dorthin zu ziehen suchte. Eine sehr große Anzahl darunter war aus den griechischen Provinzen und dem Orient, da der Unterricht in der griechischen Sprache und Literatur in Rom ganz besonders gesucht war.

Daß die Mehrzahl der Lehrer nicht aus innerm Beruf, sondern lediglich des Erwerbs halber unterrichtete, darf man schon daraus schließen, daß selbst unter den berühmtesten und durch wissenschaftliche Leistungen ausgezeichneten Grammatikern (Philologen) Roms im 1. Jahrhundert, von denen uns Sueton Nachricht gibt, mehrere entweder ganz zufällig zu diesen Studien gekommen sind, oder erst, nachdem es ihnen in andern Berufsarten nicht geglückt war. Einige legten den Grund zu ihren Kenntnissen als Sklaven und Freigelassene im Dienste von Gelehrten, oder indem sie den Sohn der Herrschaft in die Schule begleiteten. Der berühmte Orbilius war zuerst Amtsdiener bei einem Magistrat gewesen und hatte dann zu Fuß und zu Pferde im Heere gedient, ehe er sich ganz der Lehrtätigkeit widmen konnte; der noch berühmtere M. Valerius Probus aus Berytus legte sich erst auf sprachliche Studien, als er die Hoffnung aufgeben mußte, eine Subalternoffiziersstelle, um die er sich lange beworben hatte, zu erhalten. Ein dritter war ehemals Faustkämpfer gewesen, ein vierter hatte sich bei den Bühnen umhergetrieben und durch Mitarbeiten an Possen seinen Unterhalt erworben. Dagegen trat der spätere Kaiser Pertinax, der Sohn eines Freigelassenen, der Holzhandel trieb, vom Lehrerstande, in dem er seine Rechnung nicht fand, zum Kriegsdienste über.

Offenbar war die Ansicht sehr allgemein, daß es ein hartes Brot sei, »in der Schule zu sitzen und Kinder zu unterrichten«. Die Mühen und Beschwerden waren groß, die Vorteile gering, und die wenigsten Lehrer mochte das Bewußtsein trösten und erheben, daß es ein hoher, ja königlicher Beruf sei, »unschuldige Gemüter in guten Sitten und heiligen Wissenschaften zu unterweisen«. Der Unterricht begann mit oder vor Tagesanbruch; der Lehrer mußte früher aufstehen als der Schmied oder Weber und den Dunst der von den Knaben mitgebrachten Lampen atmen, der die Büsten des Horaz und Vergil in der Schulstube schwarz räucherte. Die Dauer des täglichen Unterrichts mag verschieden gewesen sein, doch wird er in der Regel sechs Stunden ausgefüllt haben, was Ausonius als das in seiner Zeit Gewöhnliche angibt. Galen erzählt, daß ein Grammatiker Diodorus, der an epileptischen Krämpfen litt, wenn er während der Lehrstunden längere Zeit nichts genossen hatte, sich ganz wohl befand, seit er auf seinen Rat um die dritte oder vierte Stunde etwas in Wein getauchtes Brot zu sich nahm: d. h. um die Mitte der Unterrichtszeit oder etwas später. Dagegen wird in griechisch-lateinischen Schulgesprächen erwähnt, daß die Schüler zum Frühmahl, d. h. um die Mittagszeit, nach Hause gehen, sich umkleiden und nach der Mahlzeit in die Schule zurückkehren. Das gewöhnliche Alter derselben läßt sich einigermaßen bestimmen. Nach Paulus von Ägina, von dessen Vorschriften die Praxis sich auch in frühern Jahrhunderten und im Okzident nicht allzuweit entfernt haben dürfte, soll der erste Unterricht der Knaben im Alter von 6 oder 7, der grammatische und geometrische (nebst gymnastischen Übungen) im Alter von 12 Jahren beginnen; vom 14. bis zum 20. Jahre soll das Studium der (höheren) Mathematik und Philosophie (verbunden mit schwierigern körperlichen Übungen) dauern. Am schwersten war es für den Lehrer, die »Hände und zwinkernden Augen« so vieler heranwachsenden Knaben, über deren Sittlichkeit er wie ein Vater wachen sollte, unausgesetzt im Auge zu behalten. Augustinus bereut in seinen Bekenntnissen auch die Vergehungen seiner Schülerzeit, in der seine Furcht, einen Sprachfehler zu machen, größer war als sein Bestreben, von Neid gegen diejenigen frei zu werden, die ihn vermieden. Er betrog mit unzähligen Lügen seinen Aufseher (Pädagogen), seine Lehrer und Eltern, aus Liebe zum Spiel mit Nüssen, Bällen und Vögeln, zum Schauen von Possen (Schauspielen) und aus kindischer Leidenschaft, das Geschaute nachzuahmen. Er stahl aus der Speisekammer und vom Tisch seiner Eltern teils aus Naschhaftigkeit, teils um für das Gestohlene andern Knaben ihr Spielzeug abzukaufen, und betrog beim Spiel. Kritzeleien von Schulknaben haben sich zahlreich an pompejanischen Wänden erhalten. Auch haben wir noch ein wohl jedenfalls von Schulknaben verfaßtes und »bei den lockenköpfigen Scharen« sehr beliebtes »Testament des Ferkels Hans Grunzer« (M. Grunnius Corocotta), worin dasselbe vor seinem Tode durch das Messer des Kochs seinem Vater »Eberhard Speckmann« (Verrinus Lardinus) 30 Maß Eicheln vermacht, von seinem Leibe dem Schuster die Borsten, den Tauben die Ohren, den Advokaten und Schwätzern die Zunge usw. und sich für sein Grabmal die Inschrift in goldnen Buchstaben bestellt: »Hans Grunzer hat 999½ Jahre gelebt, hätte er noch ein halbes Jahr gelebt, so hätte er 1000 voll gemacht.« Wie dieser Schulwitz dem heutigen ganz ähnlich sieht, so wird sich auch der kleine Krieg zwischen Lehrern und Schülern damals in denselben Szenen abgespielt und der Spott der letztern sich an die Schwächen der erstern ebenso geheftet haben wie heute. In einer griechischen Anekdotensammlung aus dem späten Altertum kommt folgende Schulgeschichte vor. Ein Elementarlehrer sagte während des Unterrichts: »Dionysios dort im Winkel treibt Unfug«, und als ihm erwidert wurde, daß dieser gar nicht da sei, antwortete er: »wenn er da sein wird«. Quintilian führt unter den Gründen, aus denen der Schulbesuch dem häuslichen Unterricht vorzuziehen sei, die in der Schule geschlossenen, bis in das Alter dauernden Freundschaften und die Erweckung eines nützlichen Ehrgeizes durch den Wetteifer mit Altersgenossen an. Andrerseits meinte man, daß in den Schulen die Sitten leicht verdorben würden, obwohl Knaben aus guter Familie von ihren Pädagogen auch dorthin begleitet wurden; und auch gegen die Sittlichkeit der Lehrer selbst erhob sich vielfach üble Nachrede. Zur Erhaltung der Ordnung machten diese von Rohrstock, Ruten und Peitsche offenbar sehr häufig Gebrauch; die humane Ansicht, daß die Schüler überhaupt nicht geschlagen werden dürften, scheint nur durch eine Minderheit (zu der auch Quintilian gehörte) vertreten gewesen zu sein. Zu den Mühseligkeiten und Beschwerden des Lehramts kamen die unbilligen Ansprüche der Eltern, über deren Verständnislosigkeit und Eitelkeit auf ihre Kinder schon Orbilius ein ganzes Buch voll Klagen schrieb. Von Schulstaub hatten die römischen Lehrer nicht zu leiden, da sie in halb oder ganz offenen Zwischengeschossen oder unmittelbar an der Straße und von dieser nur durch einen Vorhang getrennt unterrichteten. Auch dauerten (abgesehen von den vielen Feiertagen) die Sommerferien sehr lange, denn im Sommer, sagt Martial, lernten die Knaben schon genug, wenn sie nur gesund blieben. Die Hauslehrer, besonders die griechischen, klagten, und gewiß oft mit Recht, über unwürdige Behandlung und Demütigungen aller Art, und daß ihr ganzes Gehalt kaum hinreichte, den Arzt, Schuhmacher und Kleiderhändler zu bezahlen: während die Römer behaupteten, daß diese Ausländer in vornehmen Häusern ihnen vorgezogen würden und sich durch ihre Intrigen und Schändlichkeiten wohl gar zu den eigentlichen Herren derselben zu machen wüßten.

Im ganzen wurde der grammatische Unterricht in Rom schlecht bezahlt. Juvenal gibt fünf Goldstücke (500 Sesterzen = 108,75 Mark) als jährliches Honorar an, das z. B. bei einem Besuch von dreißig Schülern nur eine Einnahme von 15.000 Sesterzen (rund 3260 Mark) ergab, die doch noch durch die Kosten der Miete des Lokals usw. geschmälert wurde; allerdings erfuhr dieses Einkommen noch durch herkömmliche Geschenke der Schüler an bestimmten Tagen des Jahrs eine Steigerung. Gewiß wurden gute Lehrer besser bezahlt, und vielleicht hatten viele eine erheblich höhere Schülerzahl, aber wohl auch viele eine geringere: bei Martial bittet einer den Kaiser statt des Dreikinderrechts um das Dreischülerrecht, da er immer nur zwei gehabt hat. Im Tarif Diocletians erhält für den monatlichen Unterricht eines Schülers der Elementar- und der Schönschreiblehrer 50 Denar (90 Pf.), der Rechen- und der Schnellschriftlehrer 75 Denar (1,35 Mark), der Sprach- und der Geometrielehrer 200 Denar (3,60 Mark) und der Lehrer der Beredsamkeit 250 Denar (4,50 Mark). Ohne Zweifel war die Konkurrenz sehr groß; schon zu Ende der Republik soll es zuweilen zwanzig besuchte grammatische Schulen in Rom gegeben haben. Manche Schulen wurden überdies von zweien gehalten, die also die Einkünfte teilten, und ältere Lehrer werden ohne Zweifel nicht selten, wie der Freund des Augustinus, Verecundus (zu Mailand), Gehilfen gehalten und bezahlt haben. Waren nun aber auch die Schulmeister im allgemeinen, wie Ovid sagt, eine in bezug auf Vermögen zu kurz gekommene Klasse, so erwarben doch einzelne gesuchte Lehrer viel. M. Verrius Flaccus, den Augustus mit seiner ganzen Schule ins Palatium aufnahm, erhielt von ihm für den Unterricht seiner Enkel ein Jahrgehalt von 100.000 Sesterzen (etwa 21.750 Mark). Remmius Palämon bezog aus seiner Schule ein Einkommen von 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) und nicht viel weniger aus seinem Privatvermögen, zu dem er doch wohl auch den Grund durch seine Lehrtätigkeit gelegt hatte, und das er mit großer Betriebsamkeit durch einen Kleiderhandel und sorgfältige Bewirtschaftung seiner Landgüter zu vermehren bemüht war. Ein vernachlässigtes Weingut bei Nomentum, das er für 600.000 Sesterzen (130.500 Mark) gekauft hatte, brachte er mit Hilfe eines ausgezeichneten Sachverständigen so weit, daß er in weniger als acht Jahren die Lese am Stock für 400.000 Sesterzen (87.000 Mark), das ganze Gut innerhalb von zehn Jahren für das Vierfache des Einkaufspreises an den Philosophen Seneca verkaufte, der, wie er selbst sagt, den Weinbau mit Eifer betrieb und das Weingut bei Nomentum wiederholt erwähnt. Epaphroditus aus Chäronea, der in Rom unter Nero und in der folgenden Zeit bis Nerva unterrichtete und im Alter von fünfundsiebzig Jahren starb, besaß zwei Häuser in Rom und eine Bibliothek von 30.000 Bänden, und zwar wertvolle und seltene. Andre amtliche Anstellungen als an Unterrichtsanstalten erhielten die Grammatiker wohl nur bei den Bibliotheken zu Rom und Alexandria; bei dem Amt der Briefe wenigstens die höhern Stellen, wenn überhaupt, gewiß nur ganz ausnahmsweise.

Die Professoren der Redekunst litten zum Teil unter denselben Nachteilen und Widerwärtigkeiten wie die Schullehrer. Auch sie hatten die unbilligen Ansprüche und die törichte Eitelkeit der Eltern sowie die Ungezogenheit und Trägheit der Schüler zu erdulden, die oft noch mehr Lust hatten, mit Würfel oder Kreisel zu spielen, als die Rede des sterbenden Cato zu lernen, und sich die Augen mit Öl einrieben, um den Unterricht versäumen zu dürfen. Auch die Einrichtung, deren sich Quintilian mit Vergnügen erinnerte, daß die Lehrer die Rangordnung monatlich nach den Leistungen bestimmten, und der Wert, den die Schüler darauf legten, die Ersten in ihrer Klasse zu sein, läßt annehmen, daß sie großenteils noch »vor dem Ziel der Mannbarkeit« ständen, wie Ausonius sagt. Doch wenn vielleicht die Mehrzahl noch das Knabenkleid trug, durften doch nicht wenige, wie z. B. auch Gellius, bereits im Jünglingsalter gewesen sein. Martial nennt Quintilian als Inhaber der öffentlichen Professur der Beredsamkeit »den höchsten Lenker der unsteten Jugend«. Der Rhetor Verginius Flavus wurde infolge der Pisonischen Verschwörung verbannt, weil er auf die jungen Männer ( iuvenes) durch seinen Unterricht Einfluß übte. Juvenal erwähnt, daß der Rhetor Rufus und andre »jeder von seiner Jugend« Schläge erhalten habe. Augustinus, der die Rhetorik zu Karthago lehrte, wurde durch die abscheuliche Zuchtlosigkeit der dortigen studierenden Jugend veranlaßt, nach Rom überzusiedeln, wo die Zucht strenger war. Da die Konkurrenz in Rom sehr groß war, ließen sich gar manche der Lehrer zu Schmeichelei und unwürdiger Nachgiebigkeit herbei, um ihre Hörsäle zu füllen. Auch sie mußten die tödliche Langeweile von Übungsreden über ewig dieselben Themata – den immer wieder aufgewärmten Kohl nennt es Juvenal – ertragen; dabei war auch ihre Bezahlung oft gering oder wurde selbst verweigert, und auch der Lehrstuhl der Beredsamkeit erwies sich dann als eitel und unfruchtbar. Augustinus machte in dieser Beziehung in Rom so schlimme Erfahrungen, daß er sich deshalb um eine Stelle in Mailand bewarb. Libanius war daran gewöhnt, daß die Schüler nicht zahlten, teils weil sie zu arm waren, teils weil sie das von ihren Vätern zur Honorierung der Lehrer empfangene Geld in Gelagen, Würfelspiel und Ausschweifungen vergeudeten. Immerhin war das Honorar der Rhetoren ein höheres als das der Grammatiker – Juvenal nennt 2000 Sesterzen (435 Mark) als ein allerdings schon hohes Honorar eines Rhetors – und ihre Stellung überhaupt eine günstigere und angesehenere: schon deshalb, weil sie einen höhern Unterricht erteilten, an dem, wie gesagt, auch Erwachsene teilnahmen, und der in unmittelbarstem Zusammenhange mit dem Leben stand, da die Fähigkeit der gewählten und fließenden, selbst kunstmäßigen Rede nicht bloß als Haupterfordernis der allgemeinen Bildung galt, sondern auch für viele Lebensstellungen, namentlich für alle höhern Ämter, unentbehrlich war. Die Professuren der lateinischen und griechischen Beredsamkeit waren daher in Rom, vermutlich auch anderwärts, die ersten und lange Zeit die einzigen vom Staat und von den Kommunen besoldeten Stellen; das Gehalt betrug in Rom 100.000 Sesterzen (21.750 Mark), soviel wie das eines Prokurators dritten Rangs und das Vierfache von dem eines Volkstribunen. Der erste Inhaber des von Vespasian geschaffnen Lehrstuhls, der Spanier Quintilian, wurde nicht nur sehr reich, sondern erhielt auch als Prinzenlehrer die konsularischen Insignien. Seit Hadrian gab es in dem von ihm erbauten Athenäum in Rom eine eigene kaiserliche Lehr- und Vortragsanstalt und der besonders angesehene sogenannte »obere Lehrstuhl« an dieser Anstalt wurde von einer Reihe berühmter griechischer Sophisten, wie Hadrianus, Philagros, Pausanias, Aspasius, eingenommen.

Schon unter Nero und infolge des von ihm für die Beredsamkeit zur Schau getragnen Interesses hatten sich, wie erwähnt, viele Lehrer derselben aus tiefster Niedrigkeit zum Senatorenstand und zu den höchsten Ehren aufgeschwungen. Schon im ersten, noch mehr im zweiten Jahrhundert gelangten berühmte Rhetoren nicht selten zu der einflußreichen Stellung kaiserlicher Sekretäre, die zuweilen eine Vorstufe zu noch höhern Ämtern war. In einer Anekdote weissagt ein Astrolog aus der Nativität eines Knaben, er werde Rhetor, dann Präfekt, dann Statthalter werden. Hiernach ist es begreiflich, daß dieser Beruf auch von Männern des Ritterstands erwählt wurde, was zum erstenmal unter Augustus von einem Blandus geschehen war. Vor ihm hatten nur Freigelassene Unterricht in der Beredsamkeit erteilt, und es hatte für schimpflich gegolten, zu lehren, was anständig war zu lernen. Auch wurden Rhetoren von den Kaisern wohl öfters in diesen Stand erhoben; so Dionysius von Milet von Hadrian, der ihn überdies zum Prokurator in mehreren Provinzen machte und durch die Ehre der öffentlichen Speisung im Museum zu Alexandria auszeichnete. Auch von dem Sophisten Heliodor, dem Araber, erwähnt Philostrat, daß der Kaiser (Caracalla) ihm und seinen Söhnen das Staatsroß verlieh. Ähnliches wird von Grammatikern nie berichtet. Seit dem 2. Jahrhundert, wo auch außerhalb Roms in mittlern und selbst, wie es scheint, den meisten kleinern Städten Rhetoren öffentlich, d. h. von den Kommunen, angestellt wurden, mag der Zudrang der in Rom die Beredsamkeit Studierenden auch darum sehr zugenommen haben, weil die von den dortigen berühmten Lehrern und Rednern Empfohlenen wohl am leichtesten in Italien und den Provinzen Anstellungen erhielten. Plinius bittet Tacitus, sich unter der großen Anzahl von jungen Männern, die sich an ihn aus Bewunderung für seinen Geist anschlossen, solche auszusuchen, die er für das Lehramt der Beredsamkeit in seiner Vaterstadt Comum vorschlagen könne. Fronto verwendet sich bei seinem Schwiegersohn Aufidius Victorinus um eine Empfehlung für den Rhetor Antonius Aquila zu einer öffentlichen Anstellung in einer Stadt Galliens. Lehrer der griechischen Beredsamkeit waren in den dortigen Städten schon in Strabos Zeit öffentlich angestellt. Lucian rühmt sich, zu denjenigen gehört zu haben, die bei einer solchen Anstellung ein hohes Gehalt bezogen.

Noch vorteilhafter als im Hörsaal konnte die Kunst der Rede vor den Schranken der Gerichtshöfe verwertet werden. Nicht jeder freilich, den seine Kunst und sein Wissen zum Lehramt befähigte, taugte auch zum Gerichtsredner; aber viele vereinten, wie Quintilian, beide Berufsarten, oder gingen von der einen zur andern über; namentlich wählten Gerichtsredner im vorgerückten Alter das Lehramt als ruhigere Beschäftigung. Zur Führung von Verteidigungen und Anklagen war nämlich nicht, wie gegenwärtig, juristische Bildung, sondern vor allem Beredsamkeit erforderlich. Nach dieser strebten daher selbst solche Gerichtsredner, die sich möglichst allseitig für ihren Beruf ausbilden wollten, ganz hauptsächlich, und wenn sie das Studium des Rechts daneben nicht vernachlässigten, so galt dies auch ihnen nur als ein untergeordnetes Hilfsmittel. Vollends die große Mehrzahl der (schon damals so genannten) Advokaten, die ihr Geschäft ganz handwerksmäßig betrieben, besaß eben nichts als Redefertigkeit und war des Rechts ganz unkundig, weshalb sie bei Prozessen juristische Beistände (sogenannte Pragmatiker) zuzogen, von denen unten die Rede sein wird.

Die Advokatur war offenbar der gewöhnlichste Weg, den damals Leute des dritten Stands einschlugen, die Kopf und Ehrgeiz hatten: »in der Toga arbeitete das Volk sich empor«; die Toga, in der die Gerichtsredner auftraten, war damals für sie wie für die Klienten bereits eine auszeichnende Tracht, daher sie wie diese Togaträger ( togati) genannt wurden; Quintilian heißt bei Martial »der größte Stolz der römischen Toga«. Auch im übrigen Italien sowie in den Provinzen wurde dieser Beruf vorzugsweise von den Begabtesten und Ehrgeizigsten erwählt (wie von Lucian und Apulejus): der Freigelassene in der Kolonie Petrons, der seinen Sohn etwas lernen lassen will, beabsichtigt, ihn, wenn nicht Auktionator, so doch Rechtsanwalt werden zu lassen. Daß die Advokatur außer dem Rechtsstudium der ehrenvollste bürgerliche Beruf war, den Männer des dritten Stands wählen konnten, geht schon daraus hervor, daß diese beiden Beschäftigungen die einzigen ihnen zugänglichen waren, die auch für Ritter und Senatoren als anständig galten. Die Advokatur war auch der einzige bürgerliche Beruf, in dem Niedriggeborne sich durch Talent und Glück zum ersten Stande aufzuschwingen vermochten, wie denn Eprius Marcellus und Vibius Crispus durch sie bis zum Konsulat, der Freundschaft der Kaiser, zu höchstem Ansehen und großer Macht emporstiegen; ihr großes Vermögen stammte freilich weniger aus den Klientenhonoraren, als aus den Prämien, die sie als erfolgreiche Ankläger aus der konfiszierten Habe ihrer Opfer erhalten hatten. Von den Schriftstellern dieser Zeit haben sich aus dem Ritterstande Seneca, der ältere Plinius, Sueton als Sachwalter versucht; der jüngere Plinius, der schon im neunzehnten Jahre öffentlich auftrat, und Fronto blieben auch als Senatoren der Advokatur treu.

Berühmte Gerichtsredner lebten in großem äußern Glanz, ihre geräumigen und geschmückten Atrien waren täglich gefüllt, ihre Namen in aller Munde, Hochgestellte und Reiche bemühten sich um sie, Fremde, die schon in ihren Munizipien und Kolonien von ihnen gehört hatten, suchten sie kennenzulernen. In ihren Häusern und auf deren Vorplätzen sah man ihre (doch wohl meist von dankbaren Klienten errichteten) Statuen; manche waren sogar zu Pferde oder auf Viergespannen stehend dargestellt. Die zum Eingange führenden Stufen sowie dieser selbst waren mit Palmzweigen als Zeichen gewonnener Prozesse geschmückt. Nach einem solchen geleitete den siegreichen Verteidiger ein großes Gefolge nach Hause, während die freigesprochnen Angeklagten sich mit geschornem Haupt (zum Zeichen der glücklich überstandnen Gefahr) nach einem Tempel begaben, um den Göttern zu danken. Und wenn auch nicht Rang und Stand, so erwarben die Advokaten, deren Türen von Parteien belagert und von groben Türstehern verteidigt wurden, doch großes Vermögen, und es war dies eine sehr anständige Art, sich zu bereichern. Natürlich gab es aber neben diesen gesuchten und hochbezahlten Anwälten auch eine große Menge von Winkeladvokaten, die vielleicht für vier Reden ein Goldstück erhielten, wovon noch ein Abzug für die Pragmatiker gemacht wurde, und die nicht einmal ihre Wohnungsmiete verdienten. Ländliche Klienten scheinen sich in der Regel mit Geschenken von Lebensmitteln abgefunden zu haben. Die Reihen von (wohl mit Obst gefüllten) Töpfen in der Speisekammer eines Advokaten waren die Gabe eines dicken Umbrers, den er verteidigt hatte; Schinken und Tonnen mit eingesalznen Seefischen ein Andenken an einen marsischen Klienten; ein Picener schickt bei Martial seinem Verteidiger zu den Saturnalien ein kleines Kästchen mit Oliven, einen Satz von sieben ineinander passenden Bechern von grober saguntinischer Töpferarbeit und eine rotgestreifte Serviette; Juvenal nennt als Bezahlung einen trocknen Schinken, ein Fäßchen geräucherter Fische, alte Zwiebeln und fünf Flaschen Landwein. Dagegen fordert Martial die Klienten des ihm befreundeten Anwalts Restitutus auf, diesen an seinem Geburtstage mit solchen und ähnlichen Geschenken zu verschonen. Der aufgeblasne Händler, der seinen Laden in der Porticus des Agrippa hat, soll ihm Purpurmäntel, der wegen einer beim Trinkgelage entstandenen Prügelei Verklagte Tafelkleider senden; die junge Frau, die einen Ehebruchsprozeß gegen ihren Mann gewonnen hat, echte Edelsteine, aber selbst überbringen, der alte Kunstkenner eine gute Marmorarbeit schenken.

Offenbar war der Zudrang zur Advokatur sehr groß und die Anwendung marktschreierischer Mittel, um sich bekannt zu machen und Kunden zu erlangen, sehr allgemein. Die Gerichtsredner, welche die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken wünschten, erschienen nie ohne ein großes Bündel von Schriften und suchten auch wohl durch reiche Kleidung, den Anschein des Wohlstands, ein Gefolge von Sklaven und Klienten, die ihre Tragsessel umgaben, Kunden zu gewinnen; sie mieteten selbst kostbare Ringe, die sie bei der Verhandlung anlegten, um von ihren Klienten höhere Honorare zu erzielen. Sie verwiesen diejenigen, die ihnen ihre Prozesse anvertrauen wollten, zur Mitteilung des Sachverhalts teils an ihre Gehilfen, teils beschieden sie sie erst auf den Morgen des Gerichtstags oder den Tag vorher zu sich, sowohl um mit Geschäften überhäuft zu erscheinen, als um mit einem Scharfsinn zu prunken, der jede Schwierigkeit im Nu überwinde. Für ihre Reden forderten sie oft vom Gerichtshof ein sehr langes Zeitmaß (welches durch Wasseruhren bestimmt wurde), sprachen weitschweifig und mischten die fremdartigsten Dinge ein, deklamierten wohl gar in einem Prozeß wegen drei gestohlener Zicklein mit großem Pathos und theatralischer Gestikulation über Marius und Sulla, die mithridatischen und punischen Kriege und leerten während des Redens ganze Wasserflaschen. Auch buhlten sie mit unwürdigen Mitteln um den Beifall der Zuhörer, mieteten Leute zum Bravorufen und Klatschen und ließen sich von einem zahlreichen Gefolge vom Forum nach Hause begleiten. Doch vielen gelang es trotz aller Bemühungen nicht, ihren Zweck zu erreichen, sie mußten ihre Zahlungen einstellen oder ihr Fortkommen in Gallien oder Afrika suchen. Natürlich gab es Advokaten genug, die ihre Beredsamkeit an jeden Zahlenden verkauften und jede Sache, gleichviel ob gerecht oder ungerecht, übernahmen; häufig wurde (nach Piratenart, wie Quintilian sagt) die Bezahlung im voraus festgesetzt. Martial nennt 2000 Sesterzen (435 Mark) als ein voraus ausbedungenes Honorar, wovon der Klient nach Verlust des Prozesses nur die Hälfte bezahlen will. Doch Philostrat erwähnt, daß der berühmte Sophist Polemo die Führung eines Prozesses in Sardes, bei welchem das ganze Vermögen eines reichen Lyders auf dem Spiele stand, für ein Honorar von zwei Talenten (9430 Mark) übernommen hatte. Da nun manchmal außer den Anwälten auch noch die Richter die Hand aufhielten, und die Urteile erkauft werden konnten, ferner die Prozesse sich durch die Anhäufung der Klagen und Verzögerungen aller Art zuweilen sehr lange, selbst bis zu zwanzig Jahren hinschleppten, so daß die Parteien nicht immer die Verkündigung des Urteils erlebten und oft einen bedeutenden Teil ihres Vermögens aufwenden mußten, rät Martial einem verklagten Schuldner, lieber den Gläubiger zu bezahlen als zu prozessieren. Nicht selten nahmen die Advokaten auch Bestechungen von der Gegenpartei an, um die übernommene Sache nur zum Schein zu führen – was freilich im Falle der Entdeckung die Ausschließung von der Advokatur zur Folge haben konnte. Begreiflicherweise galten vielen die Gerichtsredner insgesamt als ein »käufliches Geschlecht«. Ihren Frauen wurde eine starke Eßlust nachgesagt, vermutlich glaubte man, daß die Gier der Männer sich ihnen mitteile und in dieser Form äußre. Zur Mißachtung des ganzen Stands trug auch bei, daß sie in den Verhandlungen nicht nur die Gegenparteien (dies oft auf ausdrückliches Verlangen ihrer Klienten), sondern auch einander mit Schimpfreden zu überhäufen pflegten. Lucian nennt Betrug, Lüge, Frechheit, Stoßen und Drängen und tausend andre widerliche Dinge von dem Geschäft der Advokaten unzertrennlich. Ein höchst abschreckendes Bild entwirft von ihnen sowie von allen, die von Prozessen leben, aus seiner eignen Zeit Ammiamus Marcellinus. Die Zahl der »Rabulisten und Kläffer« war überall so groß, daß die Gegner des Berufs die Beredsamkeit der Anwälte überhaupt eine »hündische« schelten konnten. Auch ihre leidenschaftlichen Gestikulationen mochten den Spott herausfordern: ein stummer Spaßmacher des Kaisers Tiberius rühmt sich in seiner Grabschrift, daß er zuerst erfunden habe, Advokaten nachzuahmen.

Die Rechtsgelehrten waren zwar gewiß nicht weniger angesehen als die Advokaten; Quintilian erwähnt als gewöhnliches Schulthema zu schriftlichen Ausarbeitungen: ob ein Rechtskundiger oder ein Militär höher zu stellen sei. Aber die Rechtskunde, die von Männern der beiden ersten Stände so eifrig erstrebt wurde, weil sie ihnen zu den höchsten Stellungen den Weg bahnte, eröffnete Geringern weniger glänzende Aussichten als die Anwaltschaft. Quintilian sagt, daß sich der Jurisprudenz hauptsächlich diejenigen zuwandten, welche die Aussicht aufgeben mußten, als Gerichtsredner Glück zu machen; ebenso urteilt Libanius, nach welchem das Studium der dicken, breiten, die Knie beschwerenden juristischen Pergamentbücher die Sache der langsamern Geister war. Doch wurde der Beruf schon wegen seiner Einträglichkeit von Männern des dritten Stands häufig gewählt. Einer der Kleinbürger bei Petron hat seinem Sohn eine Anzahl Bücher mit roten Titeln (Gesetzsammlungen) gekauft, da derselbe »zum Hausgebrauch etwas vom Recht kosten« solle; »denn diese Sache gibt Brot«. Juvenal sagt, daß man gerade in den untersten Klassen beredte Männer und solche finde, welche die Knoten des Rechts und die Rätsel der Gesetze entwirren; ein Vater, der in einer Satire desselben Dichters seinen Sohn zu lohnender Tätigkeit antreibt, läßt ihm die Wahl zwischen der Anwaltschaft, dem Rechtsstudium und der Bewerbung um das Centurionat.

Die Rechtskundigen erwarben ohne Zweifel auch durch Unterricht. Denn der Kreis der vornehmen und bevorzugten jungen Männer, die von hochgestellten Kennern des Rechts in die Wissenschaft eingeführt wurden und daher bezahlter Lehrer nicht bedurften, kann nur beschränkt gewesen sein. Die Zahl der das Recht Studierenden überhaupt aber war sehr groß, um so größer, als gerade um dieses Studiums willen junge Männer aus allen Provinzen, selbst den griechischen, zahlreich nach Rom kamen. Von einem großen Teil der klassischen Juristen ist es gewiß oder doch wahrscheinlich, daß sie von provinzieller Herkunft waren. Gajus stammte vermutlich aus Kleinasien, Papinian aus Syrien, Ulpian war ein Tyrier; Cervidius Scävola, Modestinus, Callistratus, Marcianus, Tryphoninus gehörten, wie es scheint, sämtlich dem griechischen Osten an; Salvius Julianus und vermutlich auch Tertullian waren Afrikaner. Daß Juristen von niederm Stande ihren Unterricht in der Regel nicht unentgeltlich erteilten, ist selbstverständlich. Der berühmte Masurius Sabinus (unter Tiberius), der arm war und erst im Alter von fünfzig Jahren die Ritterwürde erlangte, scheint zwar kein Honorar angenommen zu haben, ließ sich aber gefallen, daß seine Schüler für seinen Lebensunterhalt sorgten. Ulpian erwähnt die Bezahlung der Lehrer als etwas Regelmäßiges; sie erfolgte beim Beginn des Unterrichts, da eine nachträgliche Einklagung des Honorars unzulässig war. In Rom waren die juristischen Lehrer von der Vormundschaft und ähnlichen Lasten befreit, in den Provinzen nicht.

In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts (vielleicht schon früher) gab es in Rom allgemein zugängliche Lokale, sogenannte »Stationen«, wo von Juristen öffentlich Unterricht und Bescheid in Rechtsfragen erteilt wurde. Gellius erwähnt, daß zu der Zeit, wo er nach Beendigung des Schulunterrichts das Rechtsstudium begann (gegen Ende der Regierung des Antoninus Pius), in den meisten dieser Stationen die Frage erörtert worden sei, ob ein Quästor des römischen Volks von einem Prätor vor Gericht gefordert werden könne. Pompejus Auctus, der nach Martial »ganz vom am Tempel des Mars Ultor saß« (d. h. dort seine Station hatte), war »in die Kunde des Rechts tief eingeweiht und in dem verschiednen Gebrauch der Toga gewiegt« (d. h. wohl zugleich Sachwalter und Respondent) und gewöhnlich bis zur zehnten Tagesstunde beschäftigt. Das Recht, auf juristische Fragen Bescheide zu erteilen, hatte zwar jeder Jurist, aber seit Augustus wurden die anerkanntesten hierzu ausdrücklich durch kaiserliche Ernennung bestellt, und ihre Gutachten waren die Richter verpflichtet, bei den Entscheidungen zu berücksichtigen, wenn sie ihnen in einer bestimmten Form (schriftlich und versiegelt) überreicht wurden. Die Gutachten der übrigen Juristen, deren Zahl ohne Zweifel die bei weitem größre war, hatten für die Richter zwar nur eine rein wissenschaftliche und moralische Bedeutung. Aber auch ihnen konnte es natürlich, wenn sie sich einigen Ruf erworben hatten, an Klienten nicht fehlen, die schon um die Zeit des Hahnenschreis an ihre Türen klopften und natürlich den ihnen erteilten Rat bezahlten. Ammian, der von den Juristen seiner Zeit, wie bemerkt, eine sehr ungünstige Schilderung macht, sagt, daß sie sogar ihr Gähnen in Rechnung stellten, übrigens aber, wenn sie merkten, daß ihr Klient bei Gelde war, ihm selbst dann versicherten, daß gewisse unbekannte Gesetzesstellen für ihn sprächen, wenn er angab, seine Mutter mit Vorbedacht getötet zu haben. Ohne Mitwirkung eines Juristen konnte man sich einen Prozeß überhaupt nicht denken; dieser, nicht der Sachwalter, galt sogar dabei als die Hauptperson: das zeigen namentlich die Grabschriften, in denen der Wunsch, daß die auf das Grab bezüglichen testamentarischen Bestimmungen unangefochten bleiben möchten, mit der Formel ausgesprochen wird: Mögen von diesem Denkmal Schikanen und Juristen fernbleiben! Wenn Kaiser Claudius, der es sehr liebte, Recht zu sprechen, den Advokaten mehr Einfluß auf seine Urteile einräumte als den Juristen, so war dies eben ein Beweis seines Unverstands. Jene beweinten (nach dem Pasquill des Seneca) seinen Tod aufrichtig, ihre Saturnalienzeit war nun vorüber; diese kamen wieder zum Vorschein, blaß, abgemagert, kaum atmend, als wenn sie eben aus dem Grabe wiedererstanden wären.

Zuweilen traten Rechtsgelehrte auch (wie z. B. Paulus) selbst als Sachwalter auf; die Regel scheint es aber nicht gewesen zu sein, und gewöhnlich standen während der Verhandlung Juristen den rechtsunkundigen Rednern nur mit ihrem Rate zur Seite. Cicero und Quintilian, die freilich überhaupt bemüht sind, die Jurisprudenz gegen die Beredsamkeit herabzusetzen, sprechen von diesen sogenannten »Pragmatikern« als bloßen Handlangern der Advokaten, die gleichsam den Kämpfenden die Geschosse zureichten, mit Geringschätzung. Libanius sagt, daß, bevor die Kunde des römischen Rechts zu einem ungebührlichen Ansehen gelangte, die Juristen bei den Gerichtsverhandlungen, den Blick auf den Sachwalter gerichtet, dastehen und warten mußten, bis dieser ihnen zurief: »Du da, lies (die bezügliche Gesetzesnovelle) vor!« Offenbar befaßten sich mit diesem Geschäft nur untergeordnete Juristen, und die Bezahlung war gering; ländliche Klienten fanden sich auch bei ihnen mit Naturallieferungen, einem Sack Getreide, Hirse oder Bohnen ab.

Ferner erwarben die Rechtskundigen Einkommen durch Anfertigung von notariellen und sonstigen schriftlichen Arbeiten, als Klagen, Eingaben, rechtsgültigen Urkunden, Kontrakten, Kautionsformularen. Zur Strafe für Vergehungen konnten sie (in den Provinzen von den Statthaltern) vom Forum, d. h. von allen Rechtsgeschäften, ausgeschlossen werden, wobei ihnen dann namentlich verboten wurde, Urkunden abzufassen, Klageschriften aufzusetzen, Zeugenaussagen zu bescheinigen, ferner ihre Station bei den öffentlichen Archiven, in denen Urkunden aufbewahrt wurden, zu haben; endlich Testamente zu entwerfen, zu schreiben und zu untersiegeln. Vor allem war die Abfassung von Testamenten ein Hauptgeschäft der praktischen Juristen. Nero konfiszierte nicht nur die Güter derjenigen unter seinen Freigelassenen, die sich in ihren Testamenten »gegen den Kaiser undankbar erwiesen«, sondern zog auch die Rechtsbeflissenen zur Strafe, welche diese Testamente diktiert oder geschrieben hatten. Daß dieses Geschäft ein einträgliches war, darf man daraus schließen, daß auch Nichtjuristen sich damit befaßten. Ein Schreiber in Venafrum rühmt in seiner Grabschrift, daß er vierzehn Jahr lang ohne Beistand eines Juristen Testamente geschrieben, ein Schullehrer in Capua, daß er »Testamente schrieb mit Zuverlässigkeit«. Ein Testamentschreiber ( testamentarius) in Gades Q. Valerius Litera (Buchstabe) scheint seinen Beinamen von seinem Geschäft erhalten zu haben.

Endlich fanden die Juristen vorteilhafte Stellungen als Beisitzer der richterlichen Beamten, die in Rom wie in den Provinzen schon während der Republik durch das Herkommen verpflichtet waren, ihre Entscheidungen nur unter Zuziehung von rechtskundigen Personen zu treffen. Natürlich war der Einfluß der letztern oft ein maßgebender: Seneca sagt, daß die Prätoren Urteile verkündeten, welche von ihren Beisitzern abgefaßt waren. Diese Sitte nahm in der Kaiserzeit mit der allmählichen Ausbildung der Bureaukratie eine immer festere Gestalt an, so daß wahrscheinlich schon lange vor dem Anfange des 3. Jahrhunderts die Magistrate mit richterlicher Gewalt (in Rom namentlich die Präfekten der Stadt, des Prätoriums, der Polizei und Feuerwache, Konsuln und Prätoren, in den Provinzen die Statthalter) einen besoldeten juristischen Assessor haben mußten. Josephus sagt in der in den ersten Jahren des 1. Jahrhunderts verfaßten Schrift gegen Apio, daß die Inhaber der größten und wichtigsten Ämter ihre Unkunde der Gesetze dadurch eingestehen, daß sie als Leiter der Geschäftsverwaltung sich Gesetzeskundige zur Seite stellen. Den Anspruch der Assessoren auf Gratifikationen erkannte Antoninus Pius durch ein Reskript ausdrücklich an. Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts scheinen diese durch Vereinbarungen der Statthalter mit den Assessoren festgestellt, seit dem dritten direkt aus der Staatskasse gezahlt worden zu sein. Es gab in Rom sogar besondre Bureaus, welche den jungen Männern, die nach Absolvierung ihres Rechtskursus sich dem praktischen Leben zuwandten, Anstellungen bei den Magistraten vermittelten.

Der ärztliche Beruf wurde bis in die späteste Zeit vielfach, vielleicht vorzugsweise, von Freigelassenen und Sklaven ausgeübt; noch Justinian gestattete für Sklaven und Sklavinnen, die in dieser Kunst geübt waren, den höchsten Preis – bis 60 Goldstücke – zu fordern, während sogar Eunuchen nur bis auf 50 geschätzt werden sollten. Wiederholt ist bei den Juristen von den Diensten die Rede, welche Ärzte von ihren in der Heilkunde unterrichteten Sklaven nach der Freilassung zu verlangen berechtigt waren; z. B. mußten sie die Freunde ihrer Patrone unentgeltlich behandeln. Auch konnten Patrone ihre Freigelassenen, wenn deren Konkurrenz ihnen Nachteil brachte, nötigen, sie bei ihren Krankenbesuchen zu begleiten, und auf diese Weise in der Ausübung einer eignen Praxis wesentlich behindern.

Die freien Ärzte in Rom waren zum größten Teil Ausländer, denen Julius Cäsar wie den Lehrern, wenn sie sich dort ansiedelten, das Bürgerrecht verlieh, wozu Augustus nach seiner Herstellung durch Antonius Musa Befreiung von allen Lasten fügte. Römer, sagt Plinius, befaßten sich mit der ärztlichen Kunst nur ausnahmsweise. Die meisten dieser fremden Heilkünstler waren Griechen und Orientalen, besonders Ägypter, die auch, namentlich zur Heilung gewisser in ihrer Heimat endemischer Krankheiten, eigens nach Rom berufen wurden. Vor andern gehörten dazu Ausschlagskrankheiten (schon die Bibel erwähnt »die Geschwüre Ägyptens«); Galen bezeugt, daß die Elefantiasis dort häufig war. Als unter Claudius ein ansteckender Ausschlag aus Asia nach Rom eingeschleppt worden war, kamen ägyptische Ärzte dorthin, die nur dieses Übel behandelten und, wie Plinius sagt, mit großer Beute zurückkehrten. Nero berief einen ägyptischen Arzt, um einen seiner Freunde zu heilen, der an einem Flechtenleiden erkrankt war. Eine Erinnerung an solche Überlieferungen scheint sich in einer noch heute in Alexandrien erzählten arabischen Sage von einer wunderbaren, den Aussatz heilenden Quelle erhalten zu haben, die der König der Römer (Rumi) aufsuchte. Überhaupt hatten in Rom die Patienten zu Ausländern mehr Vertrauen; doch gab es auch namhafte und gesuchte römische Ärzte, namentlich unter den Hofärzten der ersten Kaiserzeit. Scribonius Largus, Arzt des Claudius, begleitete, wie er selbst sagt, »unsern Gott den Cäsar« im Jahre 43 nach Britannien. Vettius Valens, Arzt desselben Kaisers, gehörte sogar dem Ritterstande an, zu welchem andre Hofärzte vielleicht öfters erhoben wurden, wie z. B. der Freigelassene Antonius Musa, der Augustus durch eine kühne Kaltwasserkur gerettet hatte, nachdem er von den übrigen Ärzten schon aufgegeben worden war. Unter den Ärzten, die Galen als Erfinder von Medikamenten nennt, sind auch mehrere mit römischen Namen, wie Valerius Paulinus, Pompejus Sabinus, Flavius Clemens. Auf den Stempeln der Okulisten sind solche Namen zahlreich, und in den westlichen Provinzen wird die Mehrzahl der Ärzte nichtgriechischen Ursprungs gewesen sein.

Die Anstellung von Ärzten durch die Kommunen außerhalb Roms wird zuerst von Strabo für Massilia und andre gallische Städte erwähnt. Antoninus Pius bestimmte (zunächst für die Provinz Asia) in Einschränkung der von Hadrian den Ärzten ganz allgemein verliehenen Vorrechte die Zahl der von den Stadtbehörden zu ernennenden, von städtischen Leistungen befreiten Ärzte auf zehn für große, sieben für mittlere, fünf für kleine Städte. Die Freiheit von Leistungen bewog nach Galen manche zum ärztlichen Studium. Vermutlich hatten schon seit dem 2. Jahrhundert die meisten Städte eigne Ärzte; und Galen erwähnt bereits, daß denselben in vielen Städten geräumige Säle mit großen, reichliches Licht einlassenden Türöffnungen (sogenannte ίατρεĩα) zur Behandlung der Kranken zur Verfügung gestellt wurden. An größern Orten bildeten die Ärzte wohl nicht selten Kollegien, wie in Benevent, welche dann gewiß in der Regel, wie in Turin, einen gemeinsamen Kult des Äskulap und der Hygiea ausübten; auch durften Ärzte in griechischen Städten oft Priester dieser Gottheiten gewesen sein. In Ephesus gab es einen Ärzteverein (οἱ ἀπὸ Mουσείου ἰατροὶ), der einen zweitägigen Wettkampf veranstaltete, in welchem, wie es scheint, die besten Leistungen der Ärzte während des abgelaufenen Jahrs mit Preisen bedacht wurden, und zwar in der Chirurgie, in der Erfindung und Herstellung medizinischer Instrumente, in wissenschaftlichen Abhandlungen und vielleicht in der Lösung einer bestimmten, von der Kommission gestellten medizinischen Aufgabe.

Viele Ärzte fanden bei Gladiatorenschulen, einzelne als »Kassenärzte« bei Vereinen, eine sehr große Anzahl bei den Truppen aller Gattungen Anstellung. Nach Inschriften zweier Kohorten der Polzeiwachen ( vigiles) der Stadt Rom aus dem Jahre 210 hatten diese je vier Ärzte, die der Truppe als Brandambulanz beigegeben waren. Dagegen gehörten die Ärzte der Legionen und Kohorten wenigstens teilweise selber zum Soldatenstande. Darf man dasselbe Verhältnis bei den Legionen annehmen, so hatten diese etwa je 24, die alle den Titel Legionsarzt geführt zu haben scheinen. Bei der britannischen Flotte kommt sogar ein eigener Augenarzt vor. Ein M. Ulpius Sporus, der bei zwei Korps der Reiterei Arzt gewesen war, wurde dann besoldeter Arzt der Stadt Ferentis. Die Ärzte der Legionen sowie der städtischen und prätorischen Kohorten mußten römische Bürger sein, und Cäsar mag zur Verleihung des Bürgerrechts an sämtliche Ärzte auch durch die Rücksicht auf die Gesundheitspflege des Heeres veranlaßt worden sein. Auf der Trajanssäule sieht man zwei an der besonderen Art der Uniform kenntliche Ärzte mit dem Untersuchen und Verbinden von Wunden beschäftigt.

Der (wohl zuerst unter den Seleuciden für Hofärzte gebräuchliche) Titel ἀρχίατρος (Oberarzt), wovon das deutsche »Arzt« (ahd. arzât, mhd. arzât, arzet) stammt, wurde in den griechischen Ländern auch den von den Kommunen angestellten und besoldeten Stadtärzten gegeben. Am häufigsten kommt er in Kleinasien unter den Antoninen vor, seit Antoninus Pius durch den oben erwähnten Erlaß die Zahlen der von städtischen Leistungen zu befreienden Ärzte nach der Größe der Städte bestimmt hatte. Von dort verbreitete er sich über das ganze Reich; in Rom findet er sich zuerst in einem Schreiben Constantins vom Jahre 326. In Benevent war Archiater ein Mann von ritterlicher Abkunft, zugleich erster Kommunalbeamter, in Äclanum ein Grieche, in Venusia ein Jude. Ein Erlaß Kaiser Valentinians I. vom Jahre 368 an den Stadtpräfekten von Rom ordnet die Anstellung von 14 Archiatern für die 14 Regionen der Stadt außer den bereits angestellten der Athletengenossenschaft (Porticus Xysti) und der Vestalischen Jungfrauen an; sie sollen öffentliche Besoldungen erhalten (und deshalb auch Arme behandeln), doch auch Honorare annehmen dürfen. Im Falle einer Vakanz sollen die fungierenden Archiater dem Kaiser nach sorgfältiger Wahl einen Kandidaten vorschlagen, der »ihrer Gemeinschaft, der Archiatrie und des kaiserlichen Urteils würdig« sei. Nach einem Erlaß vom Jahre 370 soll die Wahl eines neuen Archiaters an Stelle eines verstorbenen nur mit Zustimmung mindestens der sieben Ersten des Stands ( ordo) erfolgen, und der Neugewählte die letzte Stelle erhalten, während die übrigen aufrücken.

Von der ärztlichen Praxis haben wir durch die medizinischen Schriften eine viel genauere Vorstellung als von den übrigen gelehrten Berufsarten, vor allem durch die höchst umfangreichen Werke des Galenus, eines der fruchtbarsten und redseligsten Schriftsteller aller Zeiten. Geboren im Jahre 129 zu Pergamum, hatte er dort, in Smyrna, Korinth und Alexandria Medizin studiert, war darauf (157-161) in seiner Vaterstadt als Gladiatorenarzt angestellt gewesen, lebte dann vier Jahre in Rom und kehrte im Jahre 166 beim Ausbruch der großen Epidemie nach Kleinasien zurück. Nicht lange darauf aber wurde er von den beiden Kaisern nach Aquileja berufen und blieb nach Ablehnung des Auftrags, Marc Aurel auf seinem Feldzuge in Deutschland zu begleiten, seit 169 als Leibarzt des jungen Commodus in Rom; um das Jahr 199 starb er. Von dem Umfang seiner ärztlichen Praxis gibt es eine Vorstellung, daß er in einem einzigen Sommer (wahrscheinlich in Rom) mehr als 400 akute Kranke gesehen hatte. Heim behandelte freilich in Berlin (das damals wohl noch nicht 200.000 Einwohner hatte) 975 Kranke im August 1802. Die Zahl der von ihm unentgeltlich behandelten, nicht bettlägerigen Kranken stieg jährlich auf 3000-4000.

Da es in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit keine Prüfungen und nur eine sehr beschränkte Verantwortlichkeit der Ärzte gab, drängten sich viele Unberufne, besonders aus den untern Ständen, zur Ausübung der Kunst, die im Fall des Gelingens sehr einträglich war. Schuster, Zimmerleute, Färber, Schmiede gaben ihr Handwerk auf und wurden Ärzte; wie denn auch wohl Ärzte, denen es nicht glückte, das Leichenträger- oder Gladiatorenhandwerk ergriffen; wenigstens witzelt Martial über solche, die nun in ihren neuen Gewerben dasselbe taten, was sie in ihrem alten getan hatten. Unter diesen Pfuschern nahmen die Bereiter von Salben und offizinellen Waren schon einen hohen Rang ein. Galen versichert, daß die meisten, die sich zu seiner Zeit dem ärztlichen Beruf widmeten, nicht einmal gut lesen konnten, und mahnt seine Kollegen, sich im Gespräch mit gebildeten Patienten vor Sprachfehlern zu hüten; solchen Ignoranten fehlte es natürlich auch an Kenntnis der Rhetorik, Dialektik und Philosophie überhaupt, von welchen Wissenschaften sehr viele nicht mehr verstanden, als der Esel vom Lautenspiel. Der Zudrang steigerte sich, seit Thessalus, der ursprünglich Lehrling seines Vaters, eines Webers, gewesen war, aber trotzdem als Arzt unter Nero den ungeheuersten Erfolg hatte, erklärte, daß ein halbes Jahr zur Erwerbung der nötigen medizinischen Kenntnisse hinreiche. Fortan folgte den Ärzten bei ihren Besuchen ein Schwarm von Schülern, oft zur Qual der Kranken. Martial sagt, bei einem Unwohlsein habe ihn der Arzt Symmachus mit hundert Schülern besucht, und durch die Berührung von hundert eiskalten Händen habe er das Fieber, das er noch nicht hatte, bekommen. Bei Philostrat wird der kranke Philiscus von Seleucus aus Cyzicus und Stratocles aus Sidon mit über dreißig Schülern besucht.

Vielleicht hat das handwerksmäßige Betreiben der Heilkunde zur Vermehrung der (freilich schon im alten Ägypten sehr zahlreichen) Spezialärzte beigetragen, deren wenigstens ziemlich viele beiläufig erwähnt werden, abgesehen von den ärztlichen Gehilfen, welche Wurzeln schnitten, Salben und Tränke kochten, Umschläge auflegten, Klistiere setzten, zur Ader ließen und schröpften. Niemand, sagt Philostrat, kann die ganze Medizin umfassen; sondern der eine versteht sich auf Verletzungen, der andere auf Fieber, ein dritter auf Augenleiden, ein vierter auf Schwindsucht. Am zahlreichsten dürften unter den Spezialisten die Augenärzte gewesen sein, von denen aus Stempeln allein weit über hundert bekannt sind und die auch auf Inschriften und bei Schriftstellern am häufigsten vorkommen; auch gab es besondre Augenoperateure. Der Freigelassene des Caligula C. Julius Callistus, dem Scribonius Largus sein Rezeptbuch widmete, hatte unter seinen Sklaven mehr als einen verständigen Augenarzt. Galen rühmt sich, Augenleiden durch allgemeine Behandlung der Kranken geheilt zu haben, die »die sich so nennenden Okulisten« nur örtlich behandelten. Sodann werden Ohrenärzte, Zahnärzte und solche erwähnt, die sich ganz besonders mit der Behandlung von Brüchen, Fisteln, Krankheiten des Zapfens beschäftigten. Martial nennt eine Anzahl der damals (unter Domitian) in Rom in Ruf stehenden Spezialärzte: Cascellius zieht kranke Zähne aus oder ergänzt sie, Hyginus brennt die den Augen schädlichen Wimperhaare ab, Fannius beseitigt das triefende Zäpfchen, ohne zu schneiden, Eros entfernt die Brandmarken der Sklaven aus der Haut, Hermes gilt als der beste Arzt für Bruchschäden.

Neben Frauenärzten gab es auch Ärztinnen; diese waren in der Regel zwar nichts weiter als Hebammen – eine Valeria Verecunda zu Rom heißt in ihrer Grabschrift »erste ärztliche Hebamme ihrer Region« –, doch behandelten sie auch Frauenkrankheiten. Nach Soranus sollte eine tüchtige Hebamme eine vollständige ärztliche Bildung haben. Sie sollte lesen können, damit sie imstande wäre, ihre Kunst auch theoretisch zu erlernen; nicht geldgierig sein, damit sie sich nicht zum Verkauf von Abortivmitteln bestimmen ließe; nicht abergläubisch, um nicht wegen eines Traums oder irgendwelcher Vorbedeutungen etwas Geeignetes zu unterlassen. Galen erwähnt, daß hysterische Frauen sich selbst als solche bezeichneten, wie sie es eben von ihren Ärztinnen gehört hatten. Bei Juvenal behandelt eine »dicke Lyde« unfruchtbare Frauen mit einem schmackhaften Medikament. Doch gibt Galen auch das Rezept eines erweichenden Pflasters für Milzkranke, Wassersüchtige und Gichtleidende, das von einer Antiochis herrührte.

Besonders scheinen Chirurgen sich auf ihr Gebiet beschränkt zu haben. Plutarch sagt, daß sie mit den Ärzten für innere Krankheiten zusammen wirkten, ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Nach Galen enthielten sich namentlich in Rom Nichtchirurgen in der Regel der Behandlung chirurgischer Fälle und der Operationen; und so auch er selbst während seines dortigen Aufenthalts. Doch sagt er, daß ihn die Ärzte nicht bloß in Rom, sondern auch in den ebenfalls volkreichen Orten Portus und Ostia bei allen interessanten Fällen zu Rate zogen, so daß er wohl sämtliche ungewöhnliche Schulterverrenkungen gesehen habe, die während jener Zeit dort vorgefallen seien. Auch in diesem Falle gab es ohne Zweifel zahlreiche Spezialitäten. Galen nennt die der Bruch- und Steinoperation, des Bauchstichs, des Zusammennähens der Augenlider. Der Chirurg Alcon, den Martial neben Symmachus und Dasius, die gesuchtesten Ärzte Roms, stellt, »schnitt unbarmherzig eingeklemmte Brüche und bearbeitete Knochen mit kunstfertiger Hand«. Seneca nennt zusammen mit Bränden, Einstürzen und Schiffbrüchen die Zerfleischungen der Ärzte, die Knochen herausnehmen und ihre ganzen Hände in die Eingeweide versenken. Instrumente zu Fisteloperationen sowie andre chirurgische haben sich zahlreich (namentlich in Pompeji) erhalten. Übrigens wurde schon damals bei Operationen ein Betäubungsmittel angewendet, der Saft des (auch als Schlafmittel dienenden) Mandragora und andre. Die zur Einschläferung durchschnittlich genügende Dosis war ein gewöhnlicher Schöpflöffel (= 0,455 l); bei manchen soll der bloße Geruch zur Betäubung hingereicht haben. Zur leichtern Ausführung des Starstichs wurde die Pupille durch ein Mittel (Anagallis) erweitert.

Daß unter den angedeuteten Verhältnissen zwischen Handwerk und Kunst auch in der Medizin keine feste Grenze sein konnte, ist selbstverständlich. Ebenso ist es begreiflich, daß im Gegensatz zu der rohen Empire sich eine einseitige Beschäftigung mit medizinischen Theorien ausbildete, deren Vertreter, sogenannte ärztliche Sophisten (λογιατροί, ἰατροσοφιοταί), »auf hohem Stuhle sitzend in vornehmem Tone ihre Zuhörer mit Erörterungen über wissenschaftliche Fragen überschütteten«, über den Verlauf einer Krankheit aber völlig unwissend waren. Daher die Leute Ärzte und Sophisten unterschieden, und wenn sie einen ein Buch lesen sahen und eine Theorie zur Erklärung der Wirkungen von Heilmitteln anwenden hörten, ihn zu den letztern rechneten. Die wissenschaftlichen Theorien waren es wohl, denen die Medizin den Namen einer Schwester der Philosophie oder einer zweiten Philosophie verdankte.

Die Honorare und Einnahmen gesuchter Ärzte, die ihre Praxis in der Aristokratie Roms hatten, waren sehr hoch. Wohlhabende hatten gewiß in der Regel ihre eigenen Hausärzte. Galen erzählt, daß ein reicher Mann, der ein Gut bei Rom hatte, ihn bat, einen seiner Verwalter zu behandeln; derselbe war in Gefahr zu erblinden, da der Hausarzt, ein Anhänger des Erasistratus, dessen Lehre gemäß sich zu keinem Aderlaß entschließen konnte. Die Hausärzte erhielten feste Gehälter. Q. Stertinius, Bruder des C. Stertinius Xenophon, wies, wie erwähnt, dem Claudius ein Einkommen von 600.000 Sesterzen (130.500 Mark) »durch Aufzählung der Häuser« nach, in denen er Arzt war. In den Pandekten wird ein Vermächtnis erwähnt, wonach das Jahresgehalt nach dem Tode der Patientin an den Arzt fortgezahlt werden soll. Die Zahlung scheint gewöhnlich am 1. Januar erfolgt zu sein. Daneben werden sehr hohe Honorare für einzelne Kuren angegeben, die zuweilen im voraus festgesetzt wurden. Der gewesene Prätor Manilius Cornutus, Legat von Aquitanien, gab sich bei einem Flechtenleiden für 200.000 Sesterzen (43.500 Mark) in Behandlung; für dieselbe Summe übernahm der Arzt Charmis aus Massilia die Behandlung eines reichen Provinzialen zum zweiten Male. Galen erhielt von dem Konsularen und spätern Statthalter von Judäa Flavius Boethus für die Herstellung seiner Gemahlin 400 Goldstücke (8700 Mark). Seine Einnahmen vermehrten sich auch dadurch, daß er, wie vermutlich die berühmten Ärzte Roms überhaupt, auch von auswärts konsultiert wurde. Aus Asien, Gallien, Spanien, Thracien wandten sich Augenleidende brieflich an ihn; er ließ sich gewisse auf die Krankheit bezügliche Fragen beantworten, sandte dann das Mittel und stellte die Patienten und durch sie andre in denselben Gegenden mit demselben Leiden Behaftete her, ohne einen gesehen zu haben. Wir besitzen noch seine Ratschläge für den epileptischen Sohn eines Cäcilianus, die er auf dessen Wunsch brieflich erteilte, ebenfalls ohne den Patienten gesehen zu haben, doch nachdem er sich mit dem Hausarzt Dionysius beraten hatte. Von den Gehältern der Hofärzte ist bereits die Rede gewesen. Crinas aus Massilia hinterließ 10 Millionen (2,175.000 Mark), nachdem er die Mauern seiner Vaterstadt und andre Mauern für eine kaum geringere Summe hatte erbauen lassen. Den Chirurgen Alcon verurteilte Claudius zur Zahlung von 10 Millionen, doch gewann er diese Summe während seines Exils in Gallien und nach seiner Zurückberufung innerhalb weniger Jahre aufs neue. Doch waren die Einnahmen der Ärzte im alten Rom nicht so groß wie in modernen Großstädten. Dr. Hunter erhielt in London um 1787 für eine Konsultation in seiner Wohnung 2, für einen Krankenbesuch 4 Guineen; Heim nahm in Berlin schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts in manchem Jahre über 12.000 Taler ein; die Einnahmen der gesuchtesten Ärzte Londons, Brodie und Bright, wurden 1851 auf je 10.000 Lstr. geschätzt. Billroth brachte die Privatpraxis in Wien bereits im ersten Jahre (1868) über 14.000 Gulden. Daß im Altertum auch an kleinen Orten die Praxis verhältnismäßig einträglich war, beweist die Grabschrift des freigelassenen klinischen Arztes, Chirurgen und Augenspezialisten P. Decimius Eros Merula in Assisi. Nach derselben hatte er für seine Freilassung 50.000 Sesterzen (10.875 Mark), für seine Ernennung zum Sevir an die Stadtkasse 2000 Sesterzen (435 Mark) gezahlt, zur Aufstellung von Statuen im Herkulestempel 30.000 Sesterzen (6525 Mark), zur Straßenpflasterung 37.000 Sesterzen (8050 Mark) geschenkt: und am Tage vor seinem Tode betrug sein Vermögen, wie es scheint, 5,3 Millionen Sesterzen (1,15 Millionen Mark). Ein Arzt Heraclitus in Rhodiapolis in Lycien, der dort seine Kunst unentgeltlich geübt, sein Vermögen also durch Praxis an andern Orten (namentlich wohl Alexandria, Rhodus und Athen) erworben hatte, erbaute in seiner Vaterstadt einen Tempel des Äskulap und der Hygiea, deren Bildsäulen er darin aufstellte, und schenkte ihr zu Verteilungen und Wettkämpfen am Äskulapfest 60.000 Sesterzen (13.050 Mark). Nicht das Anstandsgefühl der Ärzte, sagt Plinius, sondern allein die Konkurrenz ermäßige ihre Honorarforderungen, zu deren Bewilligung sie die Kranken überdies oft im Augenblick der Gefahr zu bestimmen wußten; »das raubsüchtige Feilschen unter dem Schweben der Todesverhängnisse« nennt es Plinius in seiner schwülstigen Sprache. Ulpian sagt: wenn ein Arzt einen Augenleidenden durch schädliche Mittel in die Gefahr des Erblindens gebracht und ihn durch diese Gefahr bewogen habe, ihm seine Güter unter ihrem Werte zu verkaufen, so solle der Statthalter der Provinz gegen diese böse Tat ( incivile factum) einschreiten und die Rückerstattung veranlassen. Im Jahre 370 n. Chr. erinnert ein kaiserliches Reskript die von den städtischen Kommunen besoldeten Oberärzte ( archiatri), »lieber in rechtschaffner Weise den Armen zu Hilfe zu kommen, als schmählich den Reichen zu dienen. Wir erlauben ihnen, anzunehmen, was ihnen die Gesunden für ihre Dienste anbieten, aber nicht, was ihnen die Kranken in der Gefahr für ihre Rettung versprechen«. Der Verfasser eines in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts aus der Naturgeschichte des Plinius zusammengestellten Heilmittelbuchs hatte auf seinen Reisen in Krankheitsfällen von Ärzten viel Übles erfahren. Sie übernahmen aus Habsucht Kuren, für welche ihre Kenntnisse nicht ausreichten, verkauften die wohlfeilsten Heilmittel zu enormen Preisen; sie zogen Krankheiten, die in wenigen Tagen oder Stunden hatten geheilt werden können, in die Länge, um von den Patienten größre Einnahmen zu erzielen. Um solchen nicht ferner als Gegenstand der Ausbeutung zu dienen, hatte er sich die bewährtesten Mittel für eine große Anzahl von Krankheiten zusammengestellt.

Über das ganze Verhalten der Ärzte dem Kranken gegenüber gibt Galen sehr ausführliche Vorschriften. Seine Besuche muß der Arzt je nach dem Wunsche des Kranken seltner oder häufiger machen; manchen sind häufige Besuche lästig. Einige Ärzte sind so unverständig, daß sie die Kranken durch lautes Reden oder das Geräusch ihrer Tritte aus dem Schlafe wecken und so gegen sich erzürnen: dies sowie alles Unzeitige oder Unpassende im Auftreten muß natürlich vermieden werden. Auch in den mit dem Kranken zu führenden Gesprächen muß der Arzt Takt beweisen und sich nicht etwa Äußerungen entschlüpfen lassen, wie der Herophileer Callianax, der einem Kranken auf die Klage, er werde sterben müssen, erwiderte: »auch Patroclus mußte sterben«. Auch gegenwärtig machen sich manche Ärzte durch rauhes Benehmen den Kranken verhaßt, während andre sich durch servile Untertänigkeit Verachtung zuziehen. Beide Extreme hat der Arzt zu vermeiden und mit Freundlichkeit und Mäßigung die Bewahrung seiner Würde zu verbinden. Als passenden Unterhaltungsgegenstand mit dem Patienten kann man z. B. den Satz des Hippokrates wählen, daß die Kunst auf dreien beruhe, dem Kranken, der Krankheit und dem Arzt: der Kranke müsse sich mit dem Arzt der Krankheit entgegenstellen, dann sei die beste Aussicht, daß die eine von den beiden werde überwunden werden. Doch gibt es auch Kranke, die man nicht mit ernsten, sondern mit muntern Gesprächen oder durch Erzählen von Geschichten unterhalten muß. Ferner muß der Arzt auf seine Haltung acht haben. Einige treten gespreizt und breitspurig auf, andre geziert, wieder andre gebückt und demütig. Am empfehlenswertesten ist auch hier die Mittelstraße, doch ist es erlaubt, bis auf einen gewissen Grad sich den Neigungen der Kranken anzupassen, ebenso in bezug auf die Kleidung und selbst die Haartracht: z. B. am Hofe des Marc Aurel trug man ganz kurz geschornes, an dem des L. Verus langes Haar. Manche Ärzte sind so nachlässig, daß sie bei ihren Krankenbesuchen nach Zwiebel oder Knoblauch riechen. Ein Landsmann des Galen, Quintus, roch stark nach Wein, als er einen im Fieber liegenden reichen Mann zu Rom besuchte. Der Kranke bat ihn, sich etwas von ihm zu entfernen, da ihn der Geruch belästige, worauf Quintus plump genug erwiderte, er selbst müsse ja den viel üblern Geruch des Krankenzimmers ertragen. Viele Ärzte fügten sich allen Wünschen der Kranken in sklavischer Weise und erlaubten ihnen kaltes Wasser, schneegekühlten Wein und Bäder, so oft sie es verlangten. Solchen standen dann freilich die Türen der meisten Häuser offen. Sie wurden schnell reich und vermochten viel, und viele übergaben ihnen ihre Leibpagen, wenn sie heranwuchsen, zur Ausbildung in der Medizin. Die ungehorsamsten und eigenwilligsten Kranken waren natürlich die Reichen und Mächtigen. Am besten wäre es, sagt Galen, sie gar nicht zu behandeln, aber freilich seien die Ärzte, der eine aus diesem, der andre aus jenem Grunde, mit oder gegen ihren Willen genötigt, ihre Weichlichkeit zu ertragen. Mißbilligt er auch eine schmähliche Nachgiebigkeit, so rät er doch dem Arzt, unter Umständen die Wünsche des Kranken auch gegen seine Überzeugung zu erfüllen, wenn dadurch nicht zu viel geschadet werde; denn wenn der Kranke den Arzt hasse, werde er ihm auch nicht gehorsam sein.

Um die Folgsamkeit des Kranken zu erzielen, hatte schon Hippokrates gesagt, müsse der Arzt es dahin bringen, daß er vom Kranken bewundert, womöglich wie ein höheres Wesen angesehen werde. Man sah ja in Pergamum die Kranken, die sich dem Gotte Äskulap zur Behandlung übergeben hatten, die härtesten Verordnungen befolgen, z. B. sich oft 15 Tage lang aller Getränke enthalten, was sie niemals auf die Verordnung eines Arztes hin getan haben würden. Auch darauf hatte schon Hippokrates hingewiesen, daß der Arzt die Bewunderung des Kranken am besten durch richtige Diagnosen und Voraussagungen erregen könne. Galen selbst pflegte womöglich die Krankheitsursache anzugeben, ohne den Kranken darauf bezügliche Fragen vorgelegt zu haben. Wiederholt hatte er, wie einst der Arzt Erasistratus, am Pulse des Kranken eine heftige Liebesleidenschaft als Krankheitsursache erkannt, wenn der oder die Geliebte ins Zimmer getreten war; und als ein reicher Patient heimlich gegen seine Vorschrift Medikamente (und zwar, um sich nicht durch die Farbe der Zunge zu verraten, in Pillen) genommen hatte und dies hartnäckig ableugnete, fragte ihn Galen, ob er schwören wolle, und faßte ihn gleichzeitig an den Puls, dessen Beschleunigung das böse Gewissen des Kranken offenbar machte. In der Selbstzufriedenheit, die solche Erzählungen verraten, geht Galen so weit, daß er geradezu erklärt, in seinen Prognosen und Diagnosen »sich mit Gottes Hilfe nie getäuscht zu haben«. Bei Erörterung des, wie er bemerkt, scheinbar trivialen Satzes des Hippokrates, daß der Arzt dem Kranken helfen oder doch nicht schaden solle, versichert er, daß er das letztere stets zu vermeiden gewußt habe. Während er nun aber auf seine Prognosen und Diagnosen den größten Wert legte, glaubten andre, sie seien keine Ärzte, wenn sie nicht sofort beim Eintritt in das Krankenzimmer sich gürteten und ein Pflaster auflegten, oder eine Übergießung machten, oder ein Klistier setzten, oder zur Ader ließen u. dgl. Für solche war wohl auch die Erinnerung an die Vorschrift des Hippokrates nicht überflüssig, das Gewand nicht über den Ellbogen zurückzustreifen, was für die Würde der Medizin um so weniger paßte, als sich sogar die Sachwalter scheuten, in dieser Weise gleich Faustkämpfern zu erscheinen.

Die ärztliche Scharlatanerie wurde in allen Formen geübt, vom bedenklichen Hinaufziehen der Augenbrauen bei den unbedeutendsten Fällen bis zur Ausführung von Operationen im Theater vor einer Menge von Zuschauern. Celsus sagt, es sei Schauspielerart, bei Kleinigkeiten wichtig zu tun, um sich den Schein zu geben, daß man mehr geleistet habe. Galen bemerkt, daß das Theriak in sehr vielen Fällen wunderbare Dienste leiste, daß aber diejenigen, die es auch als Mittel für Schwerhörigkeit und schwaches Gesicht anpreisen, es nicht auf ärztliche, sondern auf marktschreierische Weise empfehlen. Eine gewisse Öffentlichkeit bei Ausübung der ärztlichen Praxis war durch die Gewohnheiten des antiken Lebens bedingt. Die Ärzte erteilten ihren Rat, verkauften und verabreichten Mittel und machten selbst Operationen in Buden und Läden, die nach der Straße zu offen waren: dort trat einer mit einer ausgefallnen Schulter, der andre mit einem Geschwür, ein dritter über Kopfschmerz klagend ein. Die unwissendsten Ärzte waren am meisten darauf bedacht, ihre Lokale mit elfenbeinernen Büchsen, silbernen Schröpfköpfen und Messern mit vergoldeten Griffen auszustaffieren. Epictet sagt, in Rom sei es bereits so weit gekommen, daß die Ärzte die Patienten zum Eintreten bei sich einlüden.

Allem Anschein nach war es nicht selten, daß Ärzte in großen Hörsälen öffentliche Vorträge hielten und mit Demonstrationen begleiteten, wie Galen zu Rom im Tempel des Friedens und anderwärts; wobei denn auch Disputationen stattfanden. Als Galen kurz nach seiner ersten Ankunft in Rom über einen Fall, wo ihm ein Aderlaß unerläßlich schien, mit mehreren ältern Ärzten von der Schule des Erasistratus in Streit geraten war, las am folgenden Tage sein Landsmann und Mitschüler Teuthras die Bücher des Erasistratus »vor allen Philosophen« vor, wies nach, daß eine Anzahl von Todesfällen durch seine verkehrte Methode herbeigeführt war, und forderte die alten Ärzte zur Disputation auf. Diese lehnten sie ab, da sie es unter ihrer Würde hielten, mit einem jungen Manne zu streiten. Da aber Galen damals täglich öffentlich Vorträge über Fragen zu halten pflegte, welche die Zuhörer ihm stellten, wurde er auch veranlaßt, die Frage zu behandeln, ob Erasistratus des Aderlasses sich mit Recht enthalten habe. Dieser Vortrag, den Galen für Teuthras auf dessen Wunsch einem Sklaven diktierte, wurde ohne sein Wissen veröffentlicht und hatte, obwohl seiner Form nach nur für ein Auditorium bestimmt, die unerwartete Wirkung, die Erasistrateer sämtlich zum Aderlaß zu bekehren. Ein andres Mal erzählt Galen, daß ein Theoretiker (Sophist), dem der Chor seiner Anhänger lebhaft applaudierte, nach einem Vortrage, in dem er eine unhaltbare Ansicht entwickelt hatte, mit diesem Gefolge sich eiligst entfernte, weil er wußte, daß Galen ihn widerlegen würde. Am folgenden Tage überreichte Galen seinen Anhängern eine Schrift, welche die Widerlegung enthielt, und keiner wußte etwas darauf zu erwidern. Auch Marktschreier ließen sich öffentlich über die Organe des menschlichen Körpers und ihre Funktionen vernehmen und lockten durch den Schein der Gelehrsamkeit Patienten an.

Übrigens braucht kaum gesagt zu werden, daß es auch an wissenschaftlich gebildeten Ärzten zu keiner Zeit fehlte, von denen viele, namentlich Griechen, schriftstellerisch tätig waren. Hermogenes aus Smyrna hatte in 77 Lebensjahren 90 Bücher (darunter 72 medizinische) geschrieben. Ein kaiserlicher Leibarzt Ti. Claudius Menecrates schrieb 150 Bücher, in welchen er eine neue logische Heilkunde begründete. Der bereits genannte Heraclitus aus Rhodiapolis in Lycien, der in einer ihm dort gesetzten Ehreninschrift als der erste Arzt aller Zeiten gepriesen wird, war Verfasser ärztlicher und philosophischer Schriften in Vers und Prosa, die erstern hatten ihm den Namen eines Homer der Medizin eingetragen; seine sämtlichen Werke hatte er seiner Vaterstadt und den Städten Alexandria, Rhodus und Athen verehrt, in Rhodiapolis war ihm außer andern Ehrenbezeigungen auch eine »Statue für wissenschaftliche Bildung« (τῷ τῇς παιδείας ὰνὃριάντι) zuerkannt worden.

Die Kenntnis der Heilmittel hatte für die antiken Ärzte eine ganz andre Bedeutung als für die modernen, weil Apotheken, wo die Medikamente vorschriftsmäßig und unter Aufsicht hätten bereitet werden können, ebensowenig existierten wie (mit seltner Ausnahme) im Mittelalter diesseits der Alpen. An kleinen Orten fehlten sie in Deutschland noch zu Ende des 18. Jahrhundert: Hufeland mußte in Weimar (seit 1783) »nach der damaligen fast allgemein herrschenden Sitte« Dekokte, Pillen, Pulver selbst machen und dispensieren. Vielleicht wurden auch in Tempeln der Heilgötter Arzneien bereitet, wie in dem der Bona Dea in Rom, wo den Priesterinnen Kräuter aller Art zu deren Herstellung zu Gebote standen. Den Verkauf der Medizinalstoffe sowie der fertigen Medikamente besorgten im Altertum die Salben-, Drogen- und Spezereihändler; die letztern ( aromatarii) bildeten zu Rom eine Innung; daneben gab es, und gewiß sehr zahlreich, von Ort zu Ort reisende Händler, Scharlatane und Quacksalber. Aus den Läden der Händler kauften sehr häufig auch die Ärzte, wie schon der ältere Plinius klagt, anstatt die Heilmittel selbst zu bereiten, was früher als das eigentlichste Geschäft der Arzneikunde galt. Die Ingredienzien selbst kannten sie nur unvollkommen oder gar nicht, und wollten sie nach Anweisung von Lehrbüchern Medikamente bereiten, so wurden sie von den Kaufleuten mit schlechter und gefälschter Ware betrogen. Viele kauften sogar fertige Salben und Pflaster. Galen, der ebenfalls vielfach über den Betrug der »verwünschten Drogenhändler« klagt, sagt, daß sie auch ihrerseits von den Lieferanten und diese wieder von den Kräutersammlern betrogen wurden, welche die Säfte, Blüten, Früchte und Sprossen der Pflanzen nach den Städten brachten. Die Händler verstanden aber ihre Fälschungen den echten Mitteln so täuschend ähnlich zu machen, daß selbst die besten Kenner sie nicht von diesen unterscheiden konnten. Galen hatte selbst in seiner Jugend bei einem Manne Unterricht genommen, welcher Balsam, lemnische Siegelerde, weiße Zinkblumen und andre kostbare Medizinalstoffe aufs genaueste nachahmen lehrte und sich dafür ein hohes Honorar zahlen ließ. Er wollte aber die Rezepte zur Herstellung der unechten Medikamente nicht bekanntmachen, da gewissenlose Menschen daraus Gewinn gezogen haben würden. Vielmehr hoffte er durch seine Schriften wohldenkende junge Leute anzuspornen, daß sie sich selbst von der Natur aller heilkräftigen Stoffe durch Augenschein und wiederholte Prüfungen unterrichteten. Wer im Besitz aller Hilfsmittel sein wolle, der müsse sämtliche offizinellen Bestandteile der Pflanzen, Tiere, Metalle und übrigen Mineralien so genau kennen, daß er echte und unechte zu unterscheiden wisse, und möge sich dann nach seinem Buche »von der Wirkung der einfachen Heilmittel« in der Anwendung üben.

Da nun aber viele wichtige Heilmittel im Handel selten zu bekommen waren, so mußte man sie sich aus den Gegenden, wo sie in der vorzüglichsten Qualität zu finden waren, durch zuverlässige Freunde zu verschaffen suchen und womöglich einen so großen Vorrat davon erwerben, daß er für das ganze Leben ausreichte. Galen hatte zu diesem Zweck sowohl mehrere Reisen gemacht, als auch regelmäßige jährliche Sendungen aus den verschiedensten Provinzen, teils von dortigen Freunden, teils durch Vermittlung der kaiserlichen und senatorischen Statthalter empfangen, namentlich aus Syrien, Palästina, Ägypten, Cappadozien, Pontus, Mazedonien, Gallien, Spanien und Mauretanien. Er hatte eigens eine Reise nach Lemnos gemacht, um sich die dortige Siegelerde, und nach Kypros, um sich verschiedne metallische Substanzen aus den kyprischen Kupfergruben zu verschaffen. Er hatte auf der Insel einen vielvermögenden Freund, der mit dem kaiserlichen, den Betrieb des Bergwerks bei Soli leitenden Prokurator befreundet war, und so erhielt er Kupfervitriol, Kupfervitriolwasser, Galmei, Vitriolerz und weiße Zinkblumen in so großen Massen, daß er nicht nur selbst lebenslänglich daran genug hatte, sondern auch Freunden mitteilen konnte. Bleiglätte war in einem Bergwerk zwischen Pergamum und Cyzicus zu finden. Den Fluß Gagates in Lycien, in dem der Gagat vorkommen sollte, fand er nicht, obwohl er in einem kleinen Fahrzeuge längs der Küste von Lycien fuhr, um alle dortigen Sehenswürdigkeiten kennenzulernen. Vom Toten Meer holte er (außer Asphalt) gewisse poröse schwarze brennbare Steine; der Hauptzweck der Reise nach Palästina aber war die Erwerbung des Balsams, der zu Engeddi in Judäa auf einer kaiserlichen Domäne wuchs und auf Rechnung des Fiskus verkauft wurde, doch im Handel fast nie echt vorkam. Auf der Rückreise war er so glücklich, einem Zuge von Kamelen zu begegnen, welche indische Aloe und indisches Lycium nach Phönizien brachten, und das letztere Medikament in unzweifelhafter Echtheit erwerben zu können, da man dort die Substanz, aus der das unechte bereitet wurde, gar nicht kannte. Bei manchen Medikamenten kam es darauf an, daß sie ein gewisses Alter hatten, namentlich bei Öl. Die Händler verkauften aber den Ärzten statt des geforderten alten Öls, welches angeblich ganz besondre Eigenschaften hatte, meist Schweinefett mit gewöhnlichem Öl vermischt, eine Mischung, die jenem an Aussehen und Geruch sehr ähnlich war; auch das reine Öl, das man im Handel erhielt, pflegte nicht alt zu sein. Galen überkam von seinem Vater Öl, das dieser schon seit Jahren aufbewahrt hatte, und legte seit seiner Jugend von Zeit zu Zeit immer neue Vorräte an, um sich ihrer bedienen zu können, wenn die frühern verbraucht waren, und so glaubte er genug zu haben, auch wenn er hundert Jahre leben sollte.

Die offiziellen Pflanzen zogen Ärzte ohne Zweifel, soweit Klima und Boden es erlaubten, häufig in eignen Gärten (deren es im 16. Jahrhundert zuerst in Padua, Pisa und Bologna, bald auch in allen deutschen Städten gab, die sogenannten Wurzelgärten). Plinius klagt über die damaligen Kräuterkenner, die ihre Wissenschaft von den verborgnen Kräften der Pflanzen andern mißgönnten, und preist den uneigennützigen und aufopfernden Forschergeist der Alten, die, selbst unwegsame Berggipfel, abgelegene Einöden und alle Eingeweide der Erde durchsuchend, die Kraft jeder Wurzel, den Nutzen jeden Pflanzenfaser ausfanden und selbst die von dem weidenden Vieh unberührten Gewächse zu heilsamen Zwecken verwandten. Die Abbildungen in einigen griechischen botanischen Werken waren täuschend oder ungenügend, in den übrigen fand man nur Beschreibungen oder Angaben von Namen und Wirkungen; doch Plinius hatte das Glück gehabt, die offizinellen Pflanzen, mit Ausnahme sehr weniger, durch Augenschein kennenzulernen, und zwar in dem kleinen botanischen Garten des Arztes Antonius Castor (vielleicht eines Freigelassenen einer Tochter des M. Antonius), der als Botaniker in seiner Zeit das höchste Ansehen genoß (auch über seine Wissenschaft schrieb) und die meisten Heilkräuter selbst zog. Er war über hundert Jahre alt geworden, ohne je krank gewesen zu sein, und ohne daß seine Rüstigkeit und sein Gedächtnis durch das Alter gelitten hatten.

Für den Privatgebrauch des kaiserlichen Hauses waren in Rom Magazine angelegt, an welche fort und fort die Heilmittel aller Länder in bester Qualität und reichlicher Menge eingesendet wurden. Jährliche Sendungen kamen im Sommer aus Sizilien, Afrika und besonders Kreta, wo die Kaiser eigne Pflanzensammler unterhielten, »welche die dort in Fülle vorhandenen Medizinalstoffe, sorgfältig in Papier verpackt und mit der Aufschrift des Namens und des Fundorts bezeichnet«, auch geflochtne Körbe mit Heilkräutern gefüllt, teils für die kaiserlichen Apotheken, teils zum Verkauf in Rom versendeten. Galen erwähnt auch kaiserliche Sklaven, welche Nattern fangen mußten, deren man sich zur Bereitung verschiedner Medikamente bediente. Der ganze Reichtum jener kaiserlichen Magazine stand Galen als kaiserlichem Leibarzt zur Herstellung der erforderten Arzneimittel zu Gebot. Er konnte die passenden Jahrgänge alten Falerners aus langen Reihen von Tonkrügen, auf denen die Jahre der Weinlese verzeichnet waren, ebenso den hymettischen Honig aus den Erträgen verschiedner Jahre wählen. Die hölzernen Gefäße mit Zimt stammten aus den Regierungen des Trajan, Hadrian und Antoninus Pius; darunter befand sich ein 4½ Ellen langes Behältnis, das einen ganzen Zimtbaum erster Gattung enthielt. In ähnlicher Fülle werden die übrigen Stoffe (wie der Balsam von Engeddi) vorhanden gewesen sein: Pausanias erwähnt beiläufig, daß das vorzügliche, zur Bereitung von Salben besonders geschätzte Öl von Tithorea an die Kaiser gesendet wurde.

Nicht minder wichtig als die Beschaffung der Medizinalstoffe war natürlich die Kenntnis der Bereitung der Medikamente, und der Besitz einer guten Rezeptsammlung bildete für jeden Arzt ein sehr wichtiges, für viele wahrscheinlich das einzige Erfordernis zur Betreibung der Praxis. Ein solches Rezeptbuch, nach den Körperteilen (vom Kopfe bis zu den Füßen) geordnet, schrieb unter andern der oben erwähnte Leibarzt des Kaisers Claudius, Scribonius Largus, auf Veranlassung seines Gönners, des Freigelassenen C. Julius Callistus, der auch diese Schrift »den göttlichen Händen« des Kaisers übergab. Die Heilkunde schien dem Verfasser derselben ganz hauptsächlich in der Kenntnis wohlerprobter Mittel zu bestehen. Hatte doch selbst Asklepiades, von dem man (wiewohl fälschlich) behauptete, er habe die Krankheiten ganz ohne Medikamente behandeln wollen, gesagt, ein Arzt, der nicht für jedes Übel zwei bis drei bewährte Rezepte in Bereitschaft habe, stehe auf der niedrigsten Stufe. Von den Medikamenten habe die Medizin ihren Namen. Nach ihrer Kenntnis soll man also vor allem streben und sich nicht scheuen, sich deshalb auch an geringe und oft, wie man mit Beschämung gestehen müsse, der Wissenschaft der Heilkunde ganz fernstehende, aber erfahrne Personen zu wenden, die nicht selten durch ein wirksames Mittel Krankheiten heilten, gegen welche die Ärzte alle ihre Kunst vergebens aufgeboten hätten. So hatte Scribonius selbst ein über alle Erwartung wirksames Mittel gegen Kolik von einer alten Frau aus Afrika, die vielen in Rom damit geholfen hatte, für den von ihr geforderten Preis erworben. Er gibt ein Mittel gegen Schlangenbisse an, das die Jäger in Sizilien im Gurt zu tragen pflegten. Gegen Tollwut bereitete sein Lehrer Apulejus Celsus ein Medikament, das er jährlich an die Gemeinde seines Geburtsorts Centuripä in Sizilien schickte, wo es viele tolle Hunde gab; doch verschaffte es den Kranken nur Linderung. Scribonius hatte aber erfahren, daß auf Kreta ein alter Mann aus einem Barbarenlande, der durch Schiffbruch dorthin verschlagen worden war, von den Gemeinden für die Bereitung eines Mittels besoldet wurde, das die Wasserscheu im höchsten Stadium heilen sollte; und als ein Arzt aus Cortyn auf Kreta, Zopyrus, als Gesandter nach Rom kam und bei ihm wohnte, erfuhr er von diesem, daß das Mittel in einem Stückchen eines Hyänenfells, in Zeug eingewickelt, bestehe; er hatte sich auch sofort ein solches Fell verschafft, aber (glücklicherweise, wie er sagt) noch keine Gelegenheit gehabt, seine Wirkung zu erproben. Daß der Arzt Ambrosius von Puteoli bei einem Mittel gegen den Stein angab, es müsse mit einer hölzernen Mörserkeule gestoßen werden, und der, der es bereite, dürfe keinen eisernen Ring tragen, bezeichnet er zwar als Aberglauben, ohne jedoch die Unterlassung dieser Vorschrift anzuraten. Die meisten seiner Mittel, unter denen sich auch ein von der Kaiserin Messalina gebrauchtes Zahnpulver befindet, versichert er selbst erprobt zu haben. Nur wenige hatte er auf eidliche Versicherung von Freunden, daß sie sich als wirksam erwiesen, aufgenommen. Marcellus Empiricus sagt in der Vorrede zu seiner für seine Söhne bestimmten Rezeptsammlung, seine Arbeit werde ihnen ohne Mitwirkung eines Arztes die nötige Hilfe und Heilung bringen. Doch solle die Bereitung der Medikamente nicht ohne einen Arzt erfolgen.

Auch von Galens Schriften bezieht sich ein beträchtlicher Teil auf die Zubereitung der Medikamente. Er wollte den Arzt in den Stand setzen, sich auch da, wo die eigentlich erforderten Ingredienzien fehlten, namentlich auf Reisen, durch Surrogate zu helfen; waren doch sogar Ärzte, die ihre Heimat nie verlassen hatten, durch den Verlust ihrer Handapotheken so rat- und hilflos geworden, daß sie vor Kummer gestorben waren. Sehr viele Medikamente wurden aus sehr zahlreichen Bestandteilen bereitet, der Theriak aus 61, wozu auch getrocknete Nattern gehörten. Einer unübersehbaren Menge von Stoffen schrieb man Heilkraft zu, und darunter den widerlichsten und scheußlichsten; auch Bettwanzen und Tausendfüße dienten zu Medikamenten. Galen wundert sich, daß der Arzt Xenokrates aus Aphrodisias (aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr.) zuversichtlich den Genuß von Menschenhirn, -fleisch, -leber, -blut und -knochen für verschiedne Übel anzuraten wagte, da doch der Kannibalismus im römischen Reiche gesetzlich verpönt war. Derselbe empfahl auch sämtliche Ausscheidungen des menschlichen Körpers sowie verschiedner Tiere (darunter der Nilpferde und Elefanten) als Heilmittel; auch römische Ärzte, wie Serenus Sammonicus und andre, nennen Exkremente als Medikamente oder Ingredienzien derselben. Obwohl Galen aufs entschiedenste seinen Abscheu vor derartigen Mitteln äußert, berichtet er doch selbst, daß sie in manchen Fällen gute Wirkungen taten, so z. B. der Kot eines Knaben bei gefährlichen Halsgeschwülsten äußerlich angewendet; doch durfte der Patient nicht wissen, woraus das Mittel bestand, weil es nur durch die hierauf beruhende Antipathie wirkte. Ziegenmist hat ein Dorfarzt mit bestem Erfolge gegen Schlangenbisse und andre Übel angewendet. Solcher Mittel, fügt Galen wie zur Beruhigung seiner Leser hinzu, darf sich der Arzt bei Städtern, bei angesehenen Männern nicht bedienen, aber er muß sie kennen, um sie erforderlichenfalls bei Gräbern, Mähern und Leuten ähnlichen Schlages anwenden zu können, die nicht besser als Esel und für dergleichen nicht zu gut sind.

In ärztlichen Büchern fand man auch Anweisungen zur Bereitung von Giften und Zaubertränken, mit denen Haß und Liebe erregt, Träume gesendet, die Zunge eines Gegners vor Gericht gefesselt werden sollte usw. Von diesen wollte Galen ebensowenig reden wie von den todbringenden Mitteln, deren Wirkung, wenn überhaupt, nur durch Verbrechen erprobt sein konnte. Ein Mann hatte zwei Ärzten, die bei den Salbenhandlungen standen, Honig zum Verkauf angeboten und, nachdem sie davon gekostet, sich schnell entfernt; beide waren ums Leben gekommen. Es gab angeblich auch Medikamente, welche die Entleerung des Körpers vom Blute bewirkten und so den Tod herbeiführten. Galen sagt, daß er folgendes als sicher mitteilen könne. In seiner Kindheit hatte ein Mensch im bithynischen Thrazien, d. h. im Gebiet von Byzanz, zufällig ein Kraut entdeckt, das diese Wirkung tat. Er hatte, wie er später vor Gericht aussagte, eine Schweinsleber darauf gelegt, und als er sie wieder aufhob, überall von ihr Blutstropfen abfließen sehen, dann mit dem Kraute an dem ersten besten experimentiert, und als die erwartete Wirkung eintrat, viele so ums Leben gebracht. Auf der Folter blieb er dabei, daß er das Kraut niemandem gezeigt habe; da es aber nach seiner Aussage überall wuchs, ließ ihn der Statthalter mit verbundenen Augen zur Hinrichtung führen, damit er es nicht noch auf diesem Wege zeigen könne.

Die Verbreitung der Giftmischerei machte den Gebrauch von Gegengiften sehr allgemein, in deren Bereitung die Ärzte eine ihrer wichtigsten Aufgaben sahen. Das Theriak sollte, wie der Erfinder, Neros Leibarzt Andromachus, in einem langen Gedichte rühmt, nicht nur alle Gifte unschädlich machen, sondern auch gegen die verschiedenartigsten Übel wirksam sein. Daher gebrauchten es auch viel Gesunde täglich als Präservativ, wie der Kaiser Marc Aurel, besonders aber solche, die durch widriges und plumpes Wesen sich viel Haß zugezogen hatten und die Nachstellungen ihrer Feinde fürchteten. Scribonius gibt die Symptome der Vergiftungen mit den am meisten gebrauchten Giften, wie Schierling, Opium, Bilsenkraut, Gips, Bleiglätte, Bleiweiß usw., und die für jeden Fall geeigneten Gegenmittel an. Unter den Gegengiften befindet sich auch eines des Arztes Marcianus, das »vollkommene« genannt, das für Augustus bereitet wurde.

Viele Ärzte mißbrauchten ihre Kunst zu kosmetischen Zwecken, wie ein kaiserlicher Leibarzt Crito, der eine Kosmetik in vier Büchern geschrieben hatte, aus der Galen nur die Mittel mitteilen wollte, welche zur Erhaltung der natürlichen Schönheit dienen. Denn Enthaarungsmittel, Mittel zur Verbesserung der Hautfarbe, vollends Rezepte wohlriechender Essenzen zum Besprengen von Kleidern, Zimmern u. dgl. anzugeben, hielt er unter der Würde der Medizin.

Der Verkauf der Medikamente war für die Ärzte um so einträglicher, als die Meinung verbreitet war, daß die teuersten Mittel auch die wirksamsten seien, und manche reiche Leute wohlfeile, wenn auch wirksame, geradezu mit Verachtung zurückwiesen. Ein reicher Mann, dessen Sklaven Galen von einem bösartigen Geschwür geheilt hatte, verlangte das Rezept des Medikaments; als er hörte, daß es aus lauter wohlfeilen Ingredienzien bestehe, sagte er: »Dies kannst du für Bettler aufheben, mich lehre ein teureres.« Galen willfahrte ihm; jener experimentierte nun an Freien und Sklaven und beschenkte Galen reichlich, da der Erfolg alle Erwartung übertraf. Von den beiden Arten des Storax riet Galen in der Regel, die häufig vorkommende und wohlfeile zu brauchen, die seltne und teure in Medikamenten für den Kaiser und für solche, die zur Verschwendung bei Arzneien geneigt waren. Sogar für Abführmittel, die unnützerweise künstlich zusammengesetzt waren, ließen Ärzte sich »unermeßliches Geld« zahlen.

Die Bereitung gesuchter Medikamente wurde ohne Zweifel meist geheimgehalten. Ein Freund Galens Claudianus fand in einem Nachlaß ein Pergamentbüchlein mit einem Mittel gegen vorzeitige Kahlheit, von dem er wußte, daß es ausgezeichnete Wirkungen getan hatte; aber das Rezept war in symbolischen Ausdrücken abgefaßt, die Galen nur mit Mühe und vermutungsweise enträtseln konnte. Scribonius Largus gibt das Rezept zu einer »wunderbaren« Mixtur gegen Brustschmerzen, die schon den Alten bekannt war, hauptsächlich aber durch den auch von Galen oft erwähnten Arzt Paccius Antiochus berühmt wurde, der damit in sehr schweren Fällen vortreffliche Erfolge erzielte und einen bedeutenden Gewinn daraus zog. Er bereitete sie nur bei verschlossenen Türen und ließ von seinen Gehilfen, um sie zu täuschen, mehr Ingredienzien als erforderlich reiben. Doch nach seinem Tode wurde seiner Bestimmung gemäß das Rezept dem Kaiser Tiberius übergeben, der es in die öffentlichen Bibliotheken niederlegen ließ, so wie später Hadrian und Antoninus Pius die Aufstellung der Werke des Arztes Marcellus von Side in ihnen anordneten.

Auf den Etiketten der Medikamente pflegte der Name des Mittels, des Erfinders, der Krankheit, gegen die es diente, häufig auch eines namhaften Kranken, für den es bereitet worden war oder bei dem es sich wirksam erwiesen hatte, angegeben zu sein, wie einige aus Galen gewählte Beispiele zeigen mögen. »Berytisches Mittel, das Strato aus Berytus gegen die stärksten Augenflüsse gebrauchte, hilft auf der Stelle. Augensalbe, die Florus bei Antonia, der Mutter des Drusus, anwandte, als sie von den andern Ärzten fast blind gemacht worden wäre. Flechtenmittel, durch die Pamphilus in Rom viel Geld gewann, als dort die Kinnflechte grassierte. Einreibung (gegen Gicht), für den kaiserlichen Freigelassenen Patroclus komponiert, befreit von jeder Affektion.« Eine andre Einreibung, von Pompejus Sabinus, genannt »die kostspielige«, für Aburnius Valens, vielleicht den berühmten Juristen, bereitet, »hilft Hüftkranken, Gichtleidenden, Podagrischen, mit Zittern Behafteten und gegen jede Affektion der Nerven« usw. Oft wurden den Mitteln hochklingende Namen gegeben, wie Ambrosia, Nectarium, Anicetum (Unübertreffliches), Phosphorus (Morgenstern), Isis, Galene (der von beiden Andromachus ihrem Theriak beigelegte Name), Papagei, Phönix, Schwan (von der weißen Farbe) usw. Die Etiketten waren wahrscheinlich auf die Gefäße selbst oder auf die darüber gebundene Haut geschrieben (Galen erwähnt einmal, daß Natterngift in einem Zinnbehältnis in Gärung geriet und die Haut und den Bindfaden sprengte), vielleicht auch auf angebundne Zettel. Gestempelt scheinen nur die Augensalben (Kollyrien) worden zu sein, die trocken, in Form viereckiger Stäbchen versandt wurden. Noch sind etwa 230 Steinstempel von Augenärzten erhalten, fast sämtlich in England, Frankreich, Deutschland, Österreich und den Niederlanden gefunden (nur knapp ein Dutzend aus Italien), »welche ebenfalls den Namen des Arztes, die Bestimmung des Mittels, die Bestandteile desselben und die Art seiner Auflösung (Ei, Wasser, Wein) enthalten«.

Es ist selbstverständlich, daß ein Stand, zu dem der Zutritt niemandem verwehrt war, und dessen Mitglieder starken Versuchungen ausgesetzt waren, sehr viele unlautere Elemente enthielt. Bei Martial stiehlt sogar ein Arzt dem Kranken den Medizinlöffel. Außer der Giftmischerei wurden die Ärzte besonders der Erbschleicherei und des Ehebruchs geziehen; und man glaubte, daß sie nicht selten die Gatten der von ihnen verführten Frauen »ohne Fieber sterben ließen«, d. h. durch Gift aus dem Wege räumten. Nach Seneca gab es Ärzte, welche die Krankheiten steigerten, um durch deren Heilung größern Ruhm zu gewinnen. Dazu kamen die zum Teil schon berührten Vorwürfe der Habsucht und Erpressung; der Streitsucht, der die Gegensätze und Feindseligkeiten der zahlreichen Schulen immer neue Nahrung gaben, und der rohen Leidenschaftlichkeit gegen Kollegen, von der sich manche bei Disputationen und am Krankenbett zu Schimpfreden, zum Ausstrecken der Zunge, zu Schlägereien hinreißen ließen; der Rechthaberei, die bei manchen so groß war, daß sie nicht einmal auf Apollo und Äskulap hätten hören mögen, wenn diese sie ihrer Lehren gewürdigt hätten; des Brotneids, der durch die Größe der zu gewinnenden Einnahmen in Rom mehr Nahrung erhielt als anderwärts und nicht bloß gehässige Verleumdungen und Verfolgungen, sondern selbst Morde veranlaßte. Galen wurde durch den Haß der Kollegen aus Rom vertrieben, der mit der Bewunderung der Kranken in gleichem Grade wuchs (der treffliche, durch ihn wunderbar von der Melancholie befreite L. Marcius sagte, daß seine Stimme von einem goldnen Deifuß ertönte). Doch am meisten verbreitet war wohl im ärztlichen Stande überall Scharlatanerie, Unwissenheit und handwerksmäßige Verachtung aller wissenschaftlichen Bildung.

Neben den hauptsächlichsten Schulen der Dogmatiker, Empiriker, Methodiker, Pneumatiker, Eklektiker gab es noch viele Sekten, die sich zum Teil nach dem Namen ihres Stifters nannten, wie Erasistrateer usw. Dem kaiserlichen Leibarzt Ti. Claudius Menecrates, »Verfasser einer besondern, einleuchtenden Logik in 156 Büchern, weshalb er von ansehnlichen Städten mit Ehrendekreten ausgezeichnet wurde«, errichteten seine Anhänger zu Rom als ihrem Schulhaupte ein Grabdenkmal. Zum Teil bezeichneten diese Sekten sich nach ihrer Kurmethode, z. B. als Weinverordner (οἰνοδόται) oder Wasserärzte; die Hydrotherapie wurde in Rom, wie unter Augustus durch Antonius Musa, unter Nero durch Charmis aus Massilia Mode, welcher kalte Bäder sogar im Winter verordnete, die Kranken in Bassins tauchen ließ, und unter dessen Anhängern selbst alte Konsulare wie Seneca »die Erstarrung bis zur Ostentation übertrieben«. Wie feindselig die verschiednen Schulen einander befehdeten, ergibt sich auch aus der Polemik Galens gegen den »läppischen« Thessalus, »die Esel aus seiner Herde«, die »steinernen (stupiden) Methodiker« usw. Keine Wissenschaft, sagt Plinius, sei unbeständiger gewesen und werde auch jetzt noch häufiger umgewandelt. Auf Vettius Valens, der, als Hofarzt zur Macht gelangt, eine neue Schule stiftete, folgte Thessalus, der alle frühern Grundsätze verwarf, mit einer an Raserei grenzenden Leidenschaft gegen die Ärzte aller früheren Zeiten donnerte und sich auf seinem Monument an der Via Appia »Ärztebezwinger« nannte. Er stand auf der Höhe seines Rufs, und kein Wagenlenker oder Pantomimentänzer hatte auf der Straße ein größres Gefolge, als ihm Crinas aus Massilia den Rang ablief, der sich durch Verbindung der Medizin mit der Astrologie den Schein größrer Sorgsamkeit und Gewissenhaftigkeit gab und die Stunden der Mahlzeiten nach dem Stande der Planeten bestimmte. Diesen verdrängte wieder jener Charmis, so daß unter Nero drei nach ganz verschiednen Prinzipien verfahrende Ärzte nacheinander, wie Plinius sagt, die Schicksale Roms lenkten. »Unzweifelhaft«, fährt er fort, »jagten sie alle durch ihre Neuerungen nach Berühmtheit und machten mit dem Leben der Patienten Geschäfte; daher auch jene unseligen Zänkereien im Krankenzimmer, wo jeder etwas andres rät, um nicht von einem andern abhängig zu erscheinen; daher jene unglückliche Inschrift eines Grabmals, durch die Menge der Ärzte sei der Verstorbene umgekommen. Täglich wird die so oft umgemodelte Wissenschaft verändert und wir durch den Hauch der Talente Griechenlands hin und her getrieben. Sobald jemand unter jenen redemächtig ist, wird er sofort für uns Gebieter über Tod und Leben, als ob nicht Tausende von Völkern ohne Ärzte und doch nicht ohne Arznei lebten, wie auch das römische Volk mehr als 600 Jahre, das im Aufnehmen der Wissenschaften keineswegs langsam, nach der Medizin sogar begierig war, bis es sie aus Erfahrung verwünschen lernte.«

Auch die Magie stand mit der Medizin in vielfältigem Zusammenhange; sie wurde von den Ärzten keineswegs bloß aus Scharlatanerie, sondern vielleicht ebenso oft in gutem Glauben angewendet. Denn von dem unermeßlichen medizinischen Aberglauben des Altertums war gewiß die große Mehrzahl der Ärzte mehr oder weniger angesteckt. Am meisten verbreitet war wohl im ganzen Altertum (und nicht bloß unter den Ärzten) der Glaube an die in der ganzen Natur herrschende Antipathie und Sympathie, »die Feindschaften und Freundschaften der stummen bewußtlosen Dinge. Aus der Erkenntnis derselben war nach Plinius die Heilkunde entstanden. So hatte die Natur einfache, leicht zu findende und ohne Kosten zu erlangende Heilmittel erschaffen, die teuren, seltnen, sowie deren künstliche Zusammensetzungen und Mischungen hatten Betrug und Gewinnsucht ersonnen. Auch Dioskorides, dessen Heilmittellehre für die gesamte medizinische Welt sechzehn Jahrhunderte lang eine Quelle des Wissens wurde und für die türkischen Ärzte noch heute die alles arzneilichen Wissens ist, empfiehlt sympathetisch wirkende Mittel. Er berichtet auch, daß man bei der Ausgrabung der in vielen Krankheiten (besonders Epilepsie und Geistesstörungen) angewandten Nieswurz stehend zu Apoll und Äskulap betete und sich sehr hütete, von einem etwa vorüberfliegenden Adler gesehen zu werden: denn dies brachte dem Grabenden den Tod. Alle Arten des Jaspis dienten nach ihm als Amulette; um die Schenkel kreißender Frauen gebunden, beschleunigten sie die Geburt. Galen gibt an, daß der Jaspis gegen Magenleiden helfe. Einige ließen nach der Vorschrift des ägyptischen Königs Nechepsos eine Schlange mit einem Strahlenkranz darauf gravieren, Galen wußte aber aus Erfahrung, daß der Stein auch ohne diese Eingravierung wirksam war; er hatte eine Halskette, aus Jaspisstückchen angefertigt, so um den Hals hängen lassen, daß die Steine den Magenmund berührten, und einen guten Erfolg gehabt. An die Wirksamkeit von Besprechungen hatte er anfangs nicht geglaubt, sich aber später davon überzeugt. Dagegen von der sehr beliebten Anwendung der Pythagoreischen Zahlenmystik auf die Lehre von den kritischen Tagen wollte er nichts hören. Denn was haben wohl, so fragt er, die sieben Plejaden oder sieben Mündungen des Nil damit zu tun, daß öfters am siebenten Tage in der Lungen- oder Brustfellentzündung die Krisis eintritt? Ebenso oft tritt sie an andern Tagen ein. Ulpian sagt, solche, die besprechen und, »um ein gewöhnliches Wort der Betrüger zu brauchen, exorzisieren«, seien nicht für Ärzte zu halten, obwohl manche rühmend versichern, daß ihnen dergleichen geholfen habe. Das Austreiben von Dämonen, welche die Krankheiten verursachen sollten, war in Ägypten uralt; außer den Ägyptern verstanden sich besonders Juden darauf. Selbst diejenigen aber, die alle Zaubermittel verwarfen, stellten nicht leicht den Wert astrologischer Berechnungen in Abrede, die besonders in Ägypten der Therapie zugrunde gelegt wurden und vielen Ärzten und Nichtärzten als unentbehrlich galten. Ein Arzt, D. Servilius Apollonius, der nach seiner Grabschrift 93 Jahre alt wurde, »wie er gesagt«, hatte diese Prophezeiung wohl nicht auf Grund seiner ärztlichen, sondern seiner astrologischen Wissenschaft getan. Auch Galen war nicht bloß überzeugt, daß die siebentägigen Perioden des Mondwechsels auf alle irdischen Dinge den größten Einfluß übten, sondern hatte auch die Entdeckung der ägyptischen Astrologen durchaus wahr gefunden, daß aus der Stellung des Monds zu den guten und bösen Planeten sich für Gesunde und für Kranke ergebe, ob die Tage für sie gute oder böse sein würden. Wenn z. B. bei der Geburt eines Menschen die guten Gestirne im Widder, die bösen im Stier stehen, so sind für ihn Krankheiten am gefährlichsten, wenn der Mond im Stier, Löwen, Skorpion oder Wassermann steht, dagegen ist keine Gefahr, wenn er durch den Widder, Krebs, die Waage und den Steinbock geht. Wer solche Erscheinungen weder selbst beobachten, noch den Beobachtungen andrer Glauben schenken wolle, gehöre wohl zu den jetzt sich überall breitmachenden Sophisten, welche für offenbare Tatsachen Gründe verlangen, während sie doch vielmehr aus den erwiesnen Tatsachen deren unbekannte Gründe zu ermitteln versuchen sollten. Mit der Anwendung von Heilmitteln sind vermutlich oft auch Anrufungen von Göttern verbunden worden.

Auch die Astrologie war eine einträgliche Kunst, und obgleich nicht erlaubt und bei besondern Veranlassungen wiederholt mit strengen Strafen belegt, doch geduldet, insofern sie nicht auf die Person des Kaisers oder Staatsangelegenheiten angewandt wurde. Zu den Lehrern, welchen Alexander Severus Gehalte auswarf, Hörsäle bestimmte und Söhne aus armen, aber freien Familien, für deren Lebensunterhalt gesorgt wurde, als Schüler zuweisen ließ, gehörten außer Rhetoren, Grammatikern, Ärzten, Mechanikern, Architekten auch Haruspices und Astrologen. Der Großvater des Ausonius, Cäcilius Argicius Arborius, übte die Astrologie, die er sehr gut verstand, nur heimlich: die Tafeln, auf denen er das Leben seines Enkels verzeichnete, hatte er versiegelt; doch seine Tochter konnte sich nicht enthalten, das Siegel zu erbrechen. Augustinus, der als junger Mann zu den Prophezeiungen der Astrologen großes Vertrauen hatte, wurde von einem altern Freunde über ihre Trüglichkeit belehrt. Dieser hatte die Sterndeuterei zu seinem Beruf erwählen wollen und sie gründlich studiert, da er von ihr ganz allein zu leben gedachte, aber nachdem er ihre völlige Nichtigkeit erkannt, sich der Medizin zugewendet. Dagegen Firmicus Maternus, ein Mann senatorischen Standes, der seine Einführung in die Astrologie ( Mathesis) zwischen 334 und 337 begann, hatte sich von der Anwaltschaft, die ihm durch das damit verbundne »hündische« Gezänk, durch ihre Gefahren und ihre Gehässigkeit verleidet war, zurückgezogen, um in voller Muße die Seele von den Fehlern, die sie im Verkehr mit schlechten Menschen angenommen hatte, durch Untersuchungen über göttliche und himmlische Dinge, d. h. durch astrologische Schriftstellern, zu reinigen. Wenn er also selbst auch, wie es scheint, die Astrologie nicht zum Erwerbe betrieb, so erwähnt er doch in seinem Buch Astrologen neben andern Wahrsagern als solche, die durch ihre Kunst ihren Lebensunterhalt gewinnen. Die Gewerbesteuer, welche die Astrologen zu Alexandria zu entrichten hatten, nannte man die »Narrensteuer«, weil sie von der Bezahlung der jene befragenden Toren erhoben wurde. Das Ansehen der Astrologie scheint während der ganzen Kaiserzeit gleich groß geblieben zu sein. Astrologen, vorzugsweise Griechen, Orientalen und Ägypter, gingen wie am Hofe, so auch in den großen Palästen ein und aus, waren im engsten Vertrauen der Vornehmen, bei den wichtigsten und gefährlichsten Unternehmungen Anstifter und Berater und darum häufig in Hochverratsprozesse verwickelt. Pammenes, ein berühmter Astrolog, der wegen seiner Kunst zu vielen in freundschaftlicher Beziehung stand, erhielt noch auf der Insel, auf der er in der letzten Zeit Neros als Verbannter lebte, häufige Botschaften und Anfragen und von dem Konsularen P. Antejus ein Jahrgeld. Ein andrer auf derselben Insel lebender Verbannter, dem es gelang, sich der geheimen Papiere des Pammenes zu bemächtigen, denunzierte im Jahre 66 Antejus und Ostorius Scapula wegen ihrer Korrespondenz mit demselben; beide betrachteten ihre Verurteilung als gewiß und kamen ihr durch Selbstmord zuvor. Die Astrologie war die eigentlich aristokratische Art der Prophezeiung und verhielt sich in bezug auf das Ansehen, das sie genoß, zu den populären etwa wie in neuer Zeit der Somnambulismus, das Tisch- und Geisterklopfen, der Psychograph, der Spiritismus u. dgl. zu Wahrsagen aus Zinnguß, Kaffeesatz, Karten usw. Der Traumdeuter Artemidorus, der die Wahrsagung aus Gesichtszügen, Gestalt und Händen, aus Würfeln, Schüsseln, Sieben, Käse und Feuer und selbst das Geisterzitieren als gemeine Arten der Prophezeiung verachtete, erkannte außer der Traumdeutung nur Opfer- und Leberbeschauung, Deutung des Vogelflugs und der Gestirne als berechtigt an; ihm war freilich selbst die Zuverlässigkeit der Berechnungen aus Horoskopen zweifelhaft. Doch war damals die von den höhern Ständen allein oder vorzugsweise begünstigte Art der Prophezeiung auch in den übrigen Schichten der Gesellschaft sehr verbreitet, und neben jenen vornehmen »heiligen« und anspruchsvollen Propheten gab es auch überall (in Rom besonders am Zirkus) Winkelastrologen, die gemeinen Leuten für ein billiges ihre Zukunft ausrechneten. Auch das Wetter behaupteten die Sterndeuter vorhersagen zu können, da gewisse Veränderungen der Luft an bestimmten Tagen eintreten sollten, was Columella in einer eignen Schrift widerlegte. Von ihnen erfuhr der Landwirt, wie die Ernte ausfallen, der Kaufmann, ob ein Geschäft für ihn sich günstig gestalten, der lauernde Erbe, wann der reiche Mann sterben würde, der ihn in seinem Testamente bedacht hatte. Dies letztere war wohl der Gegenstand, um den die Astrologen am häufigsten befragt wurden, und sie verfehlten nicht, ihre Prophezeiungen nach den Wünschen der Fragenden einzurichten; Galen sagt, daß die Reichen sich um Astrologie nur kümmerten, um vorher zu wissen, wen sie beerben würden. Brautpaare ließen sich von Sterndeutern den günstigen Tag für die Hochzeit, Bauherren für die Grundsteinlegung ihres Hauses, Reisende für den Antritt ihrer Fahrt bestimmen. Als Honorar für eine Konsultation der letztern Art wird einmal die Summe von hundert Denaren (87 Mark) genannt. Um den Fragenden jeden Zweifel an der Untrüglichkeit ihres Wissens zu nehmen, zeigten sich die Astrologen auch über deren Vergangenheit aufs genaueste unterrichtet. Der Trimalchio Petrons erzählt, daß ihm sein Astrolog sogar Dinge gesagt habe, die er selbst vergessen hatte; ferner: »Du bist nicht glücklich in der Freundschaft. Niemand erweist dir die Dankbarkeit, die du verdienst. Du besitzest große Begüterungen. Du nährst eine Schlange an deinem Busen«; endlich, daß er noch 30 Jahre 4 Monate und 2 Tage leben und nächstens eine Erbschaft machen werde.

Der oben erwähnte Firmicius Maternus, der sein Werk über Astrologie auf Veranlassung des Prokonsuls Mavortius Lollianus schrieb und diesem widmete, ist bemüht, die Astrologie als eine nicht nur vollkommen unsträfliche, sondern auch den Geist erhebende und die Seele läuternde Wissenschaft darzustellen, weshalb auch diejenigen, die sich ihr weihen, sich durch priesterliche Reinheit und Heiligkeit ihrer würdig machen sollen. Die Vorschriften und Warnungen, die er angehenden Astrologen für ihr ganzes Verhalten erteilt, zeigen zugleich, wodurch dieselben sich am häufigsten Tadel oder Gefahren zuzogen. Wer in die Lehre des heiligen Werks eingeweiht ist, sagt er am Schluß des zweiten Buchs, muß sich dem Bilde der Gottheit ähnlich machen, um stets mit dem Ruhme der Wahrheit geschmückt zu sein. Er sei leicht zugänglich, und wer ihn befragen wolle, müsse sich ihm nicht mit Zittern nahen; er sei keusch, nüchtern, mäßig, mit wenigem genügsam, damit nicht unedle Geldgier den Ruhm der göttlichen Wissenschaft entwürdige. Als Priester der Sonne und des Monds und der übrigen Götter, durch die alles Irdische gelenkt wird, muß er stets danach trachten, nach dem Zeugnisse aller so großer Verrichtungen würdig erachtet zu werden. Er gebe seine Antworten öffentlich und sage dies den Fragenden vorher, damit er um nichts gefragt werde, was man weder fragen noch sagen darf. Fragen nach der Lage des Staats und dem Leben des Kaisers beantworte er nicht: beides ist verbrecherisch und das letztre nicht einmal möglich. Denn das Schicksal des Kaisers allein hängt nicht von den Bahnen der Gestirne ab; da er der Herr der ganzen Welt ist, wird sein Schicksal durch das Urteil des höchsten Gottes gelenkt, und er selbst gehört zu dem Kreise der Götter, welche die Urgottheit zur Vollbringung und Erhaltung aller Dinge eingesetzt hat. Auch bei den Haruspices zeigt es sich, daß keine Gottheit, die sie anrufen, das Wesen der höhern Macht, welche in dem Kaiser ist, zu deuten vermag, da die eigne Macht einer jeden geringer ist. Denn wem alle Geister, alle Stände, alle Reichen und Adligen, alle Würden und Mächte dienen, dem ist die Macht einer Gottheit und eine Stelle in den Reihen der Götter zuteil geworden. Man soll denjenigen, der eine Frage über den Kaiser tut, nicht mit hartem Tadel anfahren, sondern belehren, daß es unmöglich ist, über ihn etwas zu ergründen, damit er seinen sträflichen Wahn ablege. Es ist aber auch nicht zu verlangen, daß der Astrologe eine unerlaubte Frage anzeige, damit er nicht, wenn der Fragende wegen seines strafwürdigen Begehrens zum Tode verurteilt wird, mit einer Mitschuld an seinem Blute behaftet sei, von der das Priesteramt rein bleiben muß. Er habe eine Gattin, ein Haus, ehrbare Freunde, halte sich von dem öffentlichen Verkehr nicht zurück, bleibe allen Streitigkeiten und strafbaren Handlungen fern und lasse sich die Sorge um den Erwerb nicht kümmern. Er sei jeder grausamen Leidenschaft fremd, habe nicht an den Feindschaften andrer Freude, in jedem Verkehr gefalle ihm ruhige Mäßigung. Er fliehe den Aufruhr, sei treu in der Freundschaft, in allen Handlungen bewähre sich seine Rechtlichkeit als makellos. Nie beflecke er sein Gewissen durch falsches Zeugnis, treibe keinen Wucher, noch ziehe er aus fremder Not elenden Gewinn. Eidliche Versicherungen verlange er weder noch verspreche er sie, am wenigsten um des Gelds willen, damit es nicht scheine, als wenn er wegen einer armseligen Gabe die Hilfe der Götter anflehe. Irrenden, besonders Freunden zeige er den rechten Weg, damit sie durch seine Unterweisung von ihren Irrtümern frei werden. Niemals nehme er an nächtlichen Opfern teil, mögen sie öffentliche oder private heißen, spreche mit niemandem im geheimen, sondern, wie gesagt, öffentlich vor den Augen aller übe er die göttliche Kunst aus. Die Laster der Menschen soll er nicht bei der Deutung ihrer Horoskope zu offenbar darlegen, sondern seine Antworten über solche Dinge mit Zurückhaltung geben, damit er nicht jemandem das, was ihm der feindselige Gang der Gestirne verhängt hat, zum Vorwurf zu machen scheine. Stets halte er sich von den Verlockungen der Schauspiele fern, damit er nicht als Anhänger einer Partei gelte; denn für die Priester der Götter ziemt es, den bösen Verlockungen der Wollüste fremd zu bleiben. Wenn er seinen Geist mit diesen Zierden der Tugend ausgerüstet habe, möge er ans Werk gehen und die folgenden Bücher über den Einfluß der Gestirne auf die Schicksale der Menschen mit ruhigem Sinn studieren. In einem eingenommenen und von verruchter Leidenschaft befleckten Geiste kann die Lehre der ehrwürdigen Wissenschaft nicht einmal haften, sondern stets erleidet der eine große Einbuße, der sie durch einen gottlosen Willen schändet. Unbefleckt, rein und keusch gehe der Geist an das heilige Werk, dann werde der Astrolog noch mehr durch die Weissagungskraft des Geistes als durch das Studium erreichen. In der Vorrede des fünften Buchs wendet sich Firmicus in einem schwungvollen Gebet an den höchsten Gott, der »zugleich Vater und Mutter aller Wesen, zugleich Vater und Sohn, durch ein Band der Verwandtschaft geeint« ist. Er möge es gnädig aufnehmen, daß der Verfasser auf höhern Antrieb und mit reinem Sinn die Bahnen der Gestirne und ihre Wirkungen zu erklären unternehme: »Für deine Römer habe ich diese Bücher geschrieben, damit nach Übertragung aller Wissenschaften in ihre Literatur dies Werk nicht das einzige bliebe, an das kein römischer Geist sich gewagt hätte.« Dann bittet er die Gestirne, namentlich Sonne und Mond, um Verzeihung, daß er in ihre Geheimnisse eingedrungen sei. Nicht frevelhafte Begier und unheiliger Sinn habe ihn dazu getrieben, sondern ein durch göttliche Inspiration gestärkter Geist, der es unternahm, was die alten Seher aus ägyptischen Heiligtümern ans Licht gefördert haben, zu den Tempeln des tarpejischen Felsens zu tragen.

d) Landbau. Seehandel. Subalternämter. Militärdienst.

Von den übrigen Berufsarten preist Columella die Landwirtschaft als die vor allen andern (namentlich Kriegsdienst, Seefahrt und Handel, Zinswucher, Anwaltschaft, Klientendienst) zu erwählende Berufsart. Als unter Augustus der Zinsfuß auf 4 Prozent sank, stiegen die Preise der Güter, weil man Kapitalien nun lieber in diesen anlegte. Doch die »kleinen Kulturen«, deren Produkte auf den römischen Märkten guten Absatz fanden, wie Geflügel-, Gemüse- und Obstzucht, warfen gewiß viel höhere Renten ab: gaben doch einzelne Obstbäume in der Nähe Roms einen Jahresertrag von 2000 Sesterzen (435 Mark), und auch die Blumenzucht war dort sehr lohnend. Im Jahre 227 zahlte ein Pächter von Gemüsegärten an der Straße nach Ostia eine jährliche Pacht von 26.000 Sesterzen (5655 Mark). Die hohen Erträge der Kleinwirtschaft bewogen ohne Zweifel sehr viele, vielleicht die meisten mittlern und großen Grundbesitzer, die Bodenrente in der Form der Pachtzinse zahlreicher Kleinpächter zu ziehen; aus solchen ( coloni) hat in der Kaiserzeit ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Italiens (wie des römischen Reichs überhaupt) bestanden, und sicherlich sind diese nicht selten zu einem gewissen Wohlstande gelangt, wie es in einigen Fällen durch Inschriften bezeugt ist; eine in Mactaris in der Byzacena gefundne Grabinschrift erzählt den Lebenslauf eines Mannes, der erst als gemeiner Schnitter zwölf Jahre, dann elf weitere Jahre als Vorarbeiter der Schnitter tätig gewesen war, schließlich aber ein eignes Stadt- und Landhaus besaß und auch kommunale Ehrenämter bekleidet hatte.

18. EINE DIENERIN FRISIERT EIN JUNGES MÄDCHEN.
Wandgemälde aus Herculaneum. Neapel, Nationalmuseum

Auch damals also war die Kleinwirtschaft, wie von jeher und wie auch heutzutage, im italienischen Landbau die vorherrschende Form: die Großwirtschaft bestand regelmäßig aus einem Komplex von Kleinwirtschaften. Für die kleinen Eigentümer aber, wohl auch in einigem Umfang für die Selbstwirtschaft der Gutsherren, waren im Laufe der Zeit mehr und mehr Kleinpächter eingetreten, und der ältere Plinius kann bei seinem bekannten Ausspruch, daß der Großgrundbesitz Italien zugrunde gerichtet habe und nun auch die Provinzen, wohl nur an die Verdrängung der ansässigen Kleinbauern durch die eigentumslosen Kleinpächter gedacht haben. Doch daß er auch hier, wie so oft, übertrieben hat, zeigen namentlich zwei Obligationsurkunden über die von Trajan zur Erziehung freigeborner Kinder unbemittelter Eltern bewilligten Kapitalien, für welche Landgüter etwa vom zwölffachen Schätzungswert verpfändet waren, und zwar in der Gegend von Veleja (bei Parma) und Placentia (Piacenza) und in der Gegend von Benevent. In der letztern war die Bauernwirtschaft noch vorwiegend: von 50 Besitzern der verpfändeten Grundstücke waren nur 2 Großbesitzer (mit Komplexen im Werte von 451.000 und 501.000 Sesterzen, rund 98.000-109.000 Mark), 9 Besitzer von Gütern im Werte von 100.000-400.000 Sesterzen (21.750-87.000 Mark), die übrigen mit kleinern (der röm. Morgen = 0,252 Hektar kulturfähigen Bodens wurde auf 1000 Sesterzen = 217 Mark geschätzt). Ein sehr viel beträchtlicherer Teil des alten Kleinbesitzes war in der Ämilia an Großbesitzer übergegangen, »wahrscheinlich weil die reichen Fluren der Polandschaft das Kapital mehr anlockten als das Hirpinische Hügelland«. Von 52 Besitzern hatte dort die knappe Hälfte Güter im Werte von weniger als 100.000 Sesterzen (21.750 Mark), ungefähr ebenso viele im Werte von 100.000-400.000 Sesterzen (21.750-87.000 Mark), ein Fünftel darüber, von diesen drei im Werte von mehr als einer Million.

19. DAME AUF EINEM RUHEBETT.
Syrisch-römischer Sarkophag. Konstantinopel, Museum

Am einträglichsten war übrigens in Italien für den Landwirt auch damals der Weinbau. Das Anlagekapital für ¾ Hektar Weinland betrug mit Einschluß des Sklaven, der sie als Winzer zu besorgen hatte, der Weinstöcke und des Inventars und der Zinsen zweier Jahre, in denen die Weinstöcke noch nicht trugen, 32.480 Sesterzen (7064 Mark); und dieses Kapital verzinste sich nach Columella bei guter Kultur mit etwa 19 Prozent, während außerdem der Verkauf der Setzlinge noch eine erhebliche Rente gewährte, so daß, auch wenn man Mißernten, Unterhaltungskosten und außerordentliche Ausgaben abrechnet, diese Kapitalanlage offenbar eine sehr vorteilhafte war: wie es ja auch der von Remmius Palämon erzielte Gewinn beweist.

20. SALBGEFÄSS IN FORM EINES KAUERNDEN SKLAVEN.
Gefunden bei Trier. 2. Jahrhundert n. Chr. Berlin, Antiquarium

Unsicherer, aber auch noch gewinnbringender war der Seehandel, der von römischen Kaufleuten in allen Meeren betrieben wurde. Es war nach der in der Zeit des Tiberius verfaßten Astrologie des Manilius das Himmelszeichen des Krebses, das die Kunst des Erwerbens und Gewinnens mitteilte. Die unter ihm Gebornen trugen ihr in ausländische Waren verwandeltes Vermögen durch die Städte, kundschafteten große, durch Brand eingetretene Verluste an Korn aus und vertrauten dann ihre Schätze den Winden an. Sie verkauften der ganzen Welt die Güter der ganzen Welt, knüpften ihre Handelsbeziehungen durch unbekannte Länder und erwarben unter einer neuen Sonne neue Reichtümer. Daher rühmt sich auch der durch Seehandel reich gewordene Trimalchio Petrons, im Krebs geboren zu sein. Ein nach der Inschrift einer ihm 136 n. Chr. von seinem Sohne in Präneste gesetzten Statue auch in Rom wohlbekannter und wegen seiner Rechtlichkeit angesehener Getreidehändler, der seine Einkäufe mindestens zum Teil in Etrurien und Umbrien machte, war »gewohnt, in eifrigem Bemühen jene Häfen zu bereisen, die den ermüdeten Seefahrern sichre Landung gewähren«. Doch von der Ausdehnung und Vielfältigkeit des römischen Handelsverkehrs, von den nicht bloß zu den fernsten Punkten des Reichs, sondern weit über dessen Grenzen hinaus reichenden kaufmännischen Unternehmungen sowie von den Gefahren und dem Gewinn derselben wird an einer andern Stelle ausführlich die Rede sein.

21. ÖLFLASCHE UND SCHABER.
(Zum Gebrauch beim Bade.) Gefunden bei Düsseldorf. London, British Museum

Sehr gesucht waren ferner ohne Zweifel die Subalterndienste bei den Magistraten und Priesterschaften. Sie standen sämtlich den Freigelassenen offen und wurden daher auch größtenteils von ihnen versehen. Sie waren besoldet und konnten vielleicht kumuliert werden, und wenn auch die Anstellung gesetzlich nur für die Amtsdauer des Magistrats, also in der Regel auf ein Jahr erfolgte, war sie, da Weiteranstellung die Regel war, faktisch eine lebenslängliche. Auch konnten diese Subalternen ( apparitores), wenn sie freiwillig abtraten, einen Nachfolger stellen, an den sie ihre Stelle verkauften. Eine Konsequenz dieser faktischen Lebenslänglichkeit der meisten hauptstädtischen Apparitoren sind die ihnen schon in der Republik zugestandnen Korporationsrechte, durch die ihre Genossenschaften ( decuriae) bei der in der bessern Kaiserzeit obwaltenden strengen Beschränkung des Koalitionsrechts in Rom eine gewisse Bedeutung gewannen. Wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorzugsweise bestanden sie aus der Aristokratie der Freigelassenen. Der Trimalchio Petrons will in seine Grabschrift setzen lassen, daß er in Rom in sämtliche Dekurien hätte aufgenommen werden können, wenn er gewollt hätte.

Bei weitem die angesehensten und am besten besoldeten dieser Subalternen waren die Sekretäre und Rechnungsführer ( scribae), von denen jedoch nur die der Quästoren (in drei Dekurien) und die der kurulischen Ädilen (in einer Dekurie) korporiert waren; beide Körperschaften waren hauptsächlich bei der Verwaltung des Ärariums (das nicht bloß Kasse, sondern auch Archiv war) und der öffentlichen Rechnungsbücher beschäftigt. Bei dem jährlichen Wechsel der Magistrate ist es leicht erklärlich, daß die Verwaltung des Ärariums faktisch wenigstens vielfach von diesen ständigen Subalternen geführt wurde, denen es auch nicht an Gelegenheit fehlte, durch Auskunft über Gesetze, Rechnungen und andre Aktenstücke des Archivs, sowie durch Anordnungen in der Kassenverwaltung, auch durch Rechtskunde, sich die Städte Italiens, aber auch Provinzialstädte zu verpflichten, die sich dann ihrerseits durch Verleihung von Bürgerrechten, Ehrenämtern und andern Auszeichnungen dankbar bewiesen. Dieser so ansehnliche Dienst ist denn auch verhältnismäßig selten von Freigelassenen versehen worden, obwohl sie nicht ausgeschlossen waren; sehr häufig von Söhnen Freigelassener, aber auch, wie bemerkt, keineswegs selten von Männern des Ritterstands. Wie die Leiche des Augustus von den Rittern, so wurde die des altern Drusus von den Dekurien der Scribae eingeholt. Vitruv erwähnt das stattliche Haus eines Scriba Faberius auf dem Aventin, in dessen Peristylen alle Wände mit Zinnober gestrichen waren.

22. RÖMISCHE KÄMME UND ELFENBEINERNE HAARNADELN.
London, British Museum

Von den übrigen Apparitoren standen den Scribae am nächsten die Liktoren, von denen die der Magistrate in Rom eine Genossenschaft von drei Dekurien unter einem Vorstand von zehn Männern bildeten. Mitunter waren auch sie nicht ohne Einfluß. Einem konsularischen Liktor ist von der Gilde der Tiberfischer und -taucher, deren Patron er war, ein Denkmal gesetzt worden, besonders weil ihnen die Kahnschiffahrt durch ihn verschafft und bestätigt worden war. Söhne von Oberliktoren ( lictores proximi) erscheinen mehrmals als römische Ritter. Noch einflußreicher als die Liktoren war der neben denselben fungierende Amtsdiener ( accensus), den der Magistrat gewöhnlich aus seinen eignen Freigelassenen wählte, der ihm daher persönlich näher stand und leicht sein Vertrauensmann wurde. Einem L. Licinius Secundus, der diese Stelle bei seinem Patron, dem sehr mächtigen Freunde Trajans, Licinius Sura, in dessen drei Konsulaten (zuletzt 107) bekleidete, sind zu Barcelona von einzelnen und Körperschaften mindestens fünfzehn Statuen errichtet worden.

23. SPIEGELKAPSEL.
(»Raub des Ganymedes.«) Bronze. Berlin, Antiquarium

Tiefer im Range als die Liktoren standen unter den Subalternen die Boten ( viatores), der großen Mehrzahl nach Freigelassene und geringe Leute, doch hatten die quästorischen teilweise den Ritterstand. Die niedrigste Klasse ist die der Ausrufer ( praecones), deren geringes Ansehen sich aus der Bescholtenheit des Ausrufergewerbes erklärt. Die Inschriften nennen fast nur freigelassene und unehelich geborne Präkonen. Manilius führt in seinem astrologischen Werke eine eigne Konstellation an, unter der sich die zu den verschiednen Subalterndiensten erforderlichen Fähigkeiten entwickeln sollen. Wer unter ihr geboren ist, wird ein Kenner der Stadt. Er sorgt (als Praeco) für Gebote auf die amtlich zu versteigernden und zu parzellierenden Güter, zieht (als Bote oder Liktor) den Verbrecher zur Strafe und hält (als Scriba) die Schuldner der Staatskasse zur Zahlung an. Übrigens betrieben die geringeren Subalternen öfters nebenbei ein Handwerk oder ein Handelsgeschäft; wir finden Liktoren als Topfgießer, Weinhändler u. a.

Am größten war der Zudrang von Männern und Jünglingen aus dem Volke vielleicht zum Militärstande. Die Besatzung Roms (zuerst 9, seit Trajan 10 prätorische und 3 oder 4 städtische Kohorten, im ganzen 13-14.000 Mann) wurde ausschließlich aus Freien, die ebenfalls militärisch organisierte Feuerwehr (zugleich Nachtwache und Polizeimannschaft – etwas 7000 Mann) aus Freigelassenen angeworben. Die Gemeinen der römischen Besatzung standen im Solde und Range über denen der Legionen. Die der Stadtkohorten hatten bei zwanzig Dienstjahren einen Jahressold von 1500 Sesterzen (326 Mark), die Garden (Prätorianer) bei sechzehn Dienst jähren einen solchen von 3000 (652 Mark), seit Domitian von 4000 Sesterzen (870 Mark). Hierzu kamen noch sehr ansehnliche Geschenke bei außerordentlichen Gelegenheiten; mit Claudius, der den Prätorianern bei seiner Erhebung auf den Thron Mann für Mann 15.000 Sesterzen (3262 Mark) versprach, begann die Sitte, sie durch große Summen zu erkaufen; kleinere Schenkungen wurden von einigen Kaisern jährlich, von andern alle 5 oder 10 Jahre wiederholt. Es war aber nicht bloß der Sold, die Aussicht auf Beförderung und militärische Ehren, auf eine Altersversorgung nach erhaltenem Abschied, die Lust am Waffenhandwerk und Waffenschmuck, was zum Eintritt in den Militärstand lockte: es war ganz gewiß auch dessen mit der Zeit immer zunehmende Geltung. Wie die Personen der bessern Stände konnten auch die Soldaten und besonders die Veteranen nicht zu gewissen schweren Strafen, wie Arbeit in den Bergwerken, verurteilt, auch nicht gefoltert werden. In einem Gedicht aus dem Anfange des 2. Jahrhunderts wird unter andern Vorzügen des Militärdienstes in Rom besonders hervorgehoben, daß Gardisten sich ungestraft manchen Übermut gegen Nichtsoldaten erlauben durften. Schlug ein Gardist einen Mann in der Toga, so wagte dieser nicht nur nicht, den Schlag zu erwidern, sondern auch nicht einmal, vor Gericht über den ausgeschlagenen Zahn, das hoffnungslos zugerichtete Auge zu klagen. Vor dem Militärgericht, in der Prätorianerkaserne, wo die Sache verhandelt wurde, nahm die ganze Kohorte gegen den Ankläger Partei, und niemand wagte für ihn als Zeuge aufzutreten; es war leichter, einen falschen Zeugen gegen einen Nichtsoldaten, als einen wahren gegen einen Soldaten zu finden.

Daß die Truppen in den Provinzen an trotzigem Übermut den Garden Roms nicht nachstanden, versteht sich von selbst. Wenn die Legionen auch vorzugsweise durch Aushebung gebildet wurden, so wird immer ein beträchtlicher Teil derselben aus Freiwilligen bestanden haben, und diese bewog meist Armut und Abneigung gegen ein geregeltes Leben zum Eintritt in das Heer und damit zu dem Entschlusse, die Zeit vom 17. bis zum 37., später (vielleicht seit Hadrian) bis zum 42. Jahre im Lager, oft in fernen, rauhen Grenzgebieten, ehelos zu verleben. Konkubinate der Soldaten wurden geduldet, ohne rechtlich anerkannt zu sein; erst Septimius Severus gestattete ihnen zum großen Schaden der Heereszucht das Zusammenleben und Zusammenwohnen (außerhalb des Lagers) mit ihren Weibern, für die jetzt der Name focaria (Köchin) gebräuchlich wird. In langem und hartem Dienst ohne Zweifel größtenteils je länger je mehr verwildernd, wurden sie überdies nicht selten durch die Verkürzung ihres Solds von seiten der Offiziere zu Raub und Plünderung getrieben. Quintilian warnt den Gerichtsredner davor, beleidigende Äußerungen über ganze Stände zu machen, oder rät doch wenigstens eine Entschuldigung hinzuzufügen. Man möge die Soldaten habgierig nennen, aber bemerken, es sei kein Wunder, wenn sie ihr Blut und Leben eines größern Lohns wert hielten; desgleichen frech, aber sie seien eben mehr an Krieg als an Frieden gewöhnt.

Dem Pescennius Niger wird von seinem Biographen offenbar als etwas Ungewöhnliches nachgerühmt, daß unter ihm niemals ein Soldat Holz oder Öl erpreßt oder Arbeitsleistungen erzwungen habe. Pertinax war den Soldaten verhaßt, weil er ihren Plünderungen und Gewalttätigkeiten Einhalt tat. Wie weit ihre Frechheit den Provinzialen gegenüber gehen konnte, zeigt eine Erzählung in dem Roman des Apulejus. Ein Legionssoldat begegnet in der Provinz Mazedonien auf der Landstraße einem Gärtner, der auf einem Esel reitet. Er richtet in hochmütiger und anmaßender Sprache eine Frage auf lateinisch an ihn, die dieser nicht versteht und daher nicht beantwortet. Der Soldat kann die gewohnte Unverschämtheit nicht zurückhalten; er schlägt dem Gärtner sogleich mit seinem Rebstock den Kopf blutig und wirft ihn von seinem Esel. Der Gärtner entschuldigt sich demütig. Darauf will ihm der Soldat den Esel gewaltsam entreißen; der Gärtner legt sich erst aufs Bitten, das der Soldat mit brutalen Drohungen beantwortet; dann aber wirft er diesen zu Boden und bearbeitet ihn mit Schlägen, bis er sich tot stellt, entreißt ihm seine Waffen und flieht nach der nächsten Stadt, wo er sich bei einem Freunde versteckt. Der Soldat begibt sich ebendahin und fordert seine Kameraden zur Rache auf; diese klagen den Gärtner bei den Behörden an, sich ein Silbergefäß des Statthalters angeeignet zu haben; er wird entdeckt und ins Gefängnis geführt, um mit dem Tode zu büßen.

24. VORNEHMER MANN BEI DER TOILETTE.
Marmorrelief, römische Kaiserzeit. Trier, Provinzialmuseum

Der Eintritt in die am meisten bevorzugte Garde wurde natürlich am meisten gesucht: auch jüngere Söhne der Honoratioren der Munizipien und der dortigen höchsten Beamten dienten hier als Gemeine. Er war aber auch am schwersten zu erlangen; vermutlich wurden aus den Bewerbern nur die größten und stärksten Leute gewählt und keiner angenommen, der nicht ein gewisses Maß (5 Fuß 10 Zoll römisch, d. i. etwas über 1,72 m) hatte. Einen Bewerber um den Dienst in der Garde, dem etwa 4 Zoll an diesem Maß fehlen, ließ Hadrian nur bei den Stadtkohorten zu. Bei diesen fanden auch Söhne von Freigelassenen Zutritt und erscheinen überhaupt die in den Legionen wie in der Garde so gut wie ganz fehlenden Bürger der städtischen Tribus zahlreich, die zwischen den Vollbürgern der ländlichen und den Freigelassenen eine Art von Mittelstellung einnahmen. Diesen Stadtkindern scheint Augustus als Tribulen zweiter Klasse den Dienst nur in den Stadtkohorten zugestanden zu haben. Die ganze römische Besatzung wurde aber, und zwar offenbar vorwiegend aus Freiwilligen, anfangs ausschließlich in Rom und Italien gebildet, unter Tiberius namentlich in Etrurien und Umbrien, in den erst 90 v. Chr. des vollen Bürgerrechts teilhaft gewordnen Latinerstädten und den alten Bürgerkolonien in Italien. Doch wurden auch schon vor Claudius die Transpadaner zugelassen. Dann erfolgte die Anwerbung wenigstens in solchen Provinzen, deren Bewohner in äußerer Erscheinung und Sitten nicht gar zu sehr von den Römern abwichen, wie Mazedonien, Noricum und Spanien. Auf diese drei Provinzen fallen von Heimatangaben der Prätorianer vor Septimius Severus 23, 18 und 13; außerdem auf Pannonien 11, die Narbonensis 6, Dalmatien 5. Ganz ausgeschlossen waren vom Dienst in dieser Elitetruppe die Afrikaner, die Leute des semitisch-griechischen Ostens und des barbarischen Teils des Donaugebiets, endlich die Bewohner von Rätien, Gallien außer der Narbonensis, Germanien und Britannien. Diese Ausgeschlossenen, namentlich die Afrikaner, dienten aber in den geringeren Truppenkörpern der städtischen Besatzung, den Stadtkohorten und der Feuerwehr. Auch im 2. Jahrhundert waren die Prätorianer der weit überwiegenden Mehrzahl nach Italiker: dies zeigen die erhaltenen Fragmente ihrer Listen. In einem Leute der Jahrgänge 119/120 umfassenden kommen auf 102 Italiker 10 Fremde, in einem von 141/142 auf 36 vier, in einem von 143/144 auf 260 höchstens zwölf, 153/156 auf 47 zwei, 172/178 auf 60 fünfzehn. Dasselbe gilt von den Stadtkohorten: in einer Liste von 197/198 sind von 172 nur 16 Nichtitaliener. Erst Septimius Severus, der die Truppe der Prätorianer im Jahre 193 auflöste und neu organisierte, ließ zur großen Unzufriedenheit der Römer die Veteranen aus den Legionen aller Provinzen in die Garde aufrücken, wodurch die Stadt mit einer Menge von Soldaten aus allen Ländern gefüllt wurde, von wildem Aussehen, rohen Sitten und furchtbar klingenden Mundarten. Der großen Mehrzahl nach bestand die Garde nun aus Illyriern, Afrikanern, Syrern. Ihre noch vorhandenen Grabsteine von schlechter Schrift und voll von Sprachfehlern zeigen, daß sie mindestens zum großen Teil von römischer Bildung wenig annahmen und Barbaren blieben, auf welche die geborenen Italiker mit Verachtung und Widerwillen sahen. »Hier liegt«, so lautet die Grabschrift eines Centurionen der Garde, »ein billiger und gerechter Mann, den Sassina gebar, jetzt Aquileja aufgenommen hat, der trefflich in Treue eine Centurie einer Prätorianerkohorte führte, nicht einer barbarischen Legion«. Die junge Mannschaft Italiens aber, die sich aus dem bisher ihr vorzugsweise zugänglichen Kriegsdienst in der Stadt verdrängt sah, wandte sich nun in Masse dem Gladiatoren- und Räuberhandwerk zu.

25. RÖMISCHER OHRLÖFFEL, Silber. – RÖMISCHES RASIERMESSER, Eisen.
London, British Museum

Wer seinen Dienst »im Stiefel« begann, d. h. vom Gemeinen auf diente, beschloß gewöhnlich seine militärische Laufbahn mit dem Centurionat; dies war schon eine ansehnliche Stellung. Den Primipilat, die höchste Centurionenstelle, erlangten wohl verhältnismäßig nur wenige; und gar manche von diesen, die jahrelang, um martialisch auszusehen, sich weder gewaschen noch gekämmt und in den verschiedensten Himmelsgegenden herumgeschlagen, Baracken der Mauren und Festungen der Briganten (in Britannien, in der Zeit Hadrians) zerstört hatten, erst im sechzigsten Jahre. Gewöhnlich, wie gesagt, traten die bis zu dieser Stelle vorgerückten Veteranen aus dem Kriegsdienste aus. Sie bildeten als »Primipilaren« (welchen Titel sie lebenslänglich führten) einen besondern, sehr angesehenen Stand, erfreuten sich wahrscheinlich wertvoller Privilegien und jedenfalls infolge der günstigen Bedingungen, unter denen die Entlassung erfolgte, einer nicht geringen Wohlhabenheit; nicht selten wurden sie in den Ritterstand erhoben, dem ihre Söhne stets angehört zu haben scheinen. Waren in den Städten Italiens und der Provinzen schon die übrigen dort im Ruhestand lebenden Centurionen tonangebende Persönlichkeiten, die nicht weniger Ansehen genossen, als sie durch Wichtigtuerei und breitspuriges Auftreten beanspruchten, so war dies bei den Primipilaren in noch höherem Grade der Fall. Schon Augustus hatte allen ehrenvoll verabschiedeten Centurionen die Toga mit dem Purpursaum und den Rang der Dekurionen (Stadträte) verliehen. Die Primipilaren bekleideten (wohl in der Regel) die höchsten städtischen Ämter und wurden von den Stadtgemeinden zu Patronen gewählt, auch von den Kaisern als Vertreter in städtischen Ämtern und als Regierungskommissäre zur Leitung der Stadtverwaltung (Kuratoren) ernannt. Übrigens wurden sie gelegentlich bei wichtigen Dienstleistungen und Sendungen verwendet, die nur vollkommen zuverlässigen Männern anvertraut werden konnten.

26. HEISSLUFTBAD.
Das Tepidarium der Pompeianer Thermen

Doch konnte der Centurionat auch der Ausgangspunkt einer weitern Beförderung werden, und zwar in doppelter Weise. Junge Männer des dritten (aber auch des zweiten) Standes traten mit kaiserlicher Erlaubnis, ohne als Gemeine gedient zu haben, als Centurionen in das Heer, und wenn sie drei ritterliche Offizierstellen (die Präfektur einer Auxiliarkohorte, den Legionstribunat und die Reiterpräfektur) – zu denen vermutlich unter Septimius Severus eine vierte trat – bekleidet hatten, verließen sie entweder den Dienst mit dem Titel a (tribus, quattuor) militiis oder traten als Prokuratoren in die Verwaltung ein, um hier zu immer höhern Ämtern aufzurücken. Die als Centurionen eintretenden Ritter entsagten mit der Übernahme dieses nicht zu den ritterlichen Stellungen zählenden Postens zeitweise ihrem Range: sie taten es in der nicht immer erfüllten Hoffnung auf Beförderung zu den ehrenvollen und gut besoldeten Offiziersstellen, besonders aber auf die mit hohen Gehältern verbundenen Prokuratoren.

27. EHERNE BADEWANNE.
Aus dem Caldarium von Stabiae. Neapel, Nationalmuseum

Aber auch der Eintritt von Veteranen, die von unten auf dienend in regelmäßiger Beförderung bis zum Primipilat vorgerückt waren, in die Offizierslaufbahn wurde in der frühern Kaiserzeit begünstigt, und vorzugsweise der ritterliche Posten eines Platzkommandanten ( praefectus castrorum) denselben verliehen, nachdem sie oft noch vorher den Legionstribunat bekleidet hatten. Auch zu Tribunen der städtischen Kohorten in Rom wurden sie häufig, seltner zu Präfekten von Auxiliarkohorten ernannt. Mit der Zeit bildeten die (mindestens seit Commodus als militiae – d. h. militiae equestrispetitores bezeichneten) Avantageure eine eigne Klasse, zu welcher zwar auch junge Leute vom Ritterstande gehörten, die aber je länger je mehr aus Veteranen (meistens, vielleicht sämtlich, der prätorianischen Kohorten) bestand. Auch diese konnten, wenn sie den Ritterrang verhältnismäßig früh erreicht hatten, zu den höchsten ritterlichen Stellungen, ja selbst dem Senatorenstande aufsteigen, welches letztere allerdings vor dem Ende des zweiten Jahrhunderts kaum vorgekommen ist.

Wir kennen eine nicht ganz geringe Anzahl von Männern, die auf die eine oder auf die andere Art emporgestiegen sind. Clodius Quirinalis, der im Jahre 56 als Präfekt der Flotte zu Ravenna der Verurteilung wegen mannigfacher Gewalttaten durch Selbstmord zuvorkam, hatte seine höhere Laufbahn als Primipilus begonnen. Catonius Justus, im Jahre 14 Primipilus in einer pannonischen Legion, starb im Jahre 43 als Präfekt der Garden. Plotius Firmus, der, als Gemeiner eingetreten, im Jahre 69 bereits Präfekt der Feuerwehr war, wurde von den Prätorianern selbst zum Befehlshaber gewählt. Zu demselben Amt ernannte Vitellius im Jahre 69 den Centurio Julius Priscus. Sulpicius Similis, der unter Trajan Centurio war, war unter demselben Kaiser Vorsteher der Getreideverwaltung und unter Hadrian Präfekt des Prätoriums Haterius Nepos, der im Jahre 121 Vizekönig von Ägypten war, nachdem er vorher die Präfektur der Feuerwehr bekleidet hatte, hatte sich etwa zu Anfang des 2. Jahrhunderts wohl noch in keiner höhern Stellung befunden. Auch der (ebenfalls – spätestens im Jahre 140 – zur Präfektur von Ägypten beförderte) Rhetor Avidius Heliodorus, der Vater des Prätendenten Avidius Cassius, war Centurio gewesen. Der spätere Kaiser Pertinax erhielt durch den Konsularen Lollius Avitus den Centurionat, stieg, nachdem er sich im parthischen Kriege ausgezeichnet, schnell zu immer bedeutendem ritterlichen Ämtern in Heer, Flotte und Verwaltung, und durch sie zur senatorischen Würde und zum Konsulat. Auch der Gegenkaiser des Severus, Pescennius Niger, der im Jahre 193 bereits Statthalter (Konsularlegat) von Syrien war, hatte lange als Centurio gedient. Bassäus Rufus, der in der Zeit der Antonine niedrig geboren und ohne Erziehung aufgewachsen war, begann seine Laufbahn als Centurio, wurde dann Tribun der römischen Feuerwache und, nachdem er bis zum Tribunat einer Kohorte Garden aufgerückt war, nacheinander kaiserlicher Prokurator in Spanien, Noricum, Belgien und beiden Germanien. Hierauf wurde er Chef der kaiserlichen Finanzverwaltung, Getreidepräfekt, Vizekönig von Ägypten, endlich Präfekt der Garden und erhielt die konsularischen Ehrenzeichen. Seine ganze amtliche Laufbahn ist auf den Postamenten dreier Statuen verzeichnet, die ihm der Senat an verschiednen Orten zu Rom errichten ließ. Bis zum Konsulat gelangte 218 der als gemeiner Soldat eingetretne Oclatinius Adventus; bis zum höchsten senatorischen Amt der als Centurio eingetretne T. Petronius Taurus Volusianus, der nach der Bekleidung der Gardepräfektur im Jahre 261 ordentlicher Konsul und in den Jahren 267/268 Stadtpräfekt war.

e) Klienten

Endlich muß in Rom zu allen Zeiten die Masse derer sehr groß gewesen sein, die von sogenannten Klientendiensten teils ausschließlich lebten, teils diesen Erwerb neben einem andern betrieben. Tacitus hebt bei seiner Schilderung der Stimmung nach Neros Tode aus der Masse des dritten Standes in Rom nur zwei Klassen hervor: den gemeinen, an Zirkus und Theater gewohnten Pöbel und den soliden und den großen Häusern anhängenden Teil des Volks, die Klienten und Freigelassenen der Verbannten und Verurteilten. Wie wenig zutreffend und erschöpfend auch die Einteilung des ganzen Volks in diese beiden Klassen sein mochte, so ergibt sich doch schon hieraus die große Verbreitung der Klientel, und sie ist überhaupt eine für das damalige Rom so charakteristische Erscheinung, daß sie eine besondre Betrachtung verdient. Von der ursprünglichen Klientel hatte sie kaum mehr als den Namen; jene war ein heilig geachtetes Pietäts-, diese ein Mietsverhältnis. Der Klient der frühern Republik war ein treuer Anhänger, je selbst, wie es Ennius schildert, Vertrauter seines Patrons, den dieser mit Rat und Tat unterstützte, schützte und vertrat; der Klient der Kaiserzeit ein karg belohnter und verächtlich behandelter Figurant in dem Troß seines »Herrn« oder »Königs«.

In der letzten Zeit der Republik hatte die Klientel noch etwas von ihrem frühern Charakter bewahrt, wie das von Horaz geschilderte Verhältnis zwischen dem Konsularen L. Marcius Philippus und Voltejus Menas zeigt. Der erstere zieht den letztern, dessen Wesen ihm aufgefallen, in sein Haus, nachdem die Erkundigung über ihn ergeben, daß er ein zwar geringer, doch unbescholtner, übrigens lebensfroher Mann sei, von dessen Gesellschaft der mit Geschäften überhäufte Staatsmann sich Unterhaltung und Zerstreuung versprechen darf; in dieser Hoffnung macht er ihn zu seinem täglichen Tischgenossen und Reisebegleiter und bemüht sich, ihm durch ein Geschenk und ein Darlehen eine bescheidne, aber gesicherte Existenz zu schaffen. Doch dieser persönliche Anteil des Patrons am Klienten und umgekehrt hörte allmählich auf, je zahlreicher die Klienten des einzelnen Hauses, je äußerlicher die Beziehungen zwischen ihnen und dem Patron wurden. Denn mehr und mehr bildete sich die aus der Republik überkommne Sitte aus, daß jeder einigermaßen hervorragende Mann sich mit einem Gefolge umgab, dessen Größe und Ansehnlichkeit sich nach seinem Stande und Vermögen richtete und hierauf wieder zurückschließen ließ; das an jedem Morgen sein Atrium füllte, ihn überall begleitete, wo er öffentlich erschien, und überhaupt die Bestimmung hatte, sein Auftreten so achtunggebietend und glänzend wie möglich zu machen. Da diese Sitte mit der Zeit so allgemein wurde, daß selbst wenig begüterte Geschäftsleute um ihres Kredits willen eine Anzahl Klienten halten mußten, die ihre Tragsessel umgaben, wurde der Zudrang zur Klientel, und dies schon seit der ersten Kaiserzeit, bei der entschiednen Abneigung der Römer gegen den kleinen, ehrlichen Erwerb immer größer, und eine große Menge dürftiger Menschen stand für geringen Lohn den Reichen und Vornehmen zur Bildung oder Vergrößerung eines Gefolgs oder Hofstaats zu Gebot. Für eine Reihe von bestimmten Diensten wurde ihnen eine bestimmte Entschädigung gewährt, die zunächst in Beköstigung, seit der Zeit Neros aber in einer an deren Stelle tretenden Geldentschädigung bestand. Der Name dieser letztern, sportula, d. h. Körbchen, weist darauf hin, daß schon vor der Ablösung die Speisung der Klienten in der Regel nicht mehr in Gestalt der cena recta im Hause ihres Patrons erfolgte, sondern sie die Mahlzeit, in ein Körbchen verpackt, zum Mitnehmen erhielten. In der Zeit Domitians hat man vorübergehend wieder auf die Naturalverpflegung der Klienten zurückgegriffen, doch hat das nur kurze Zeit gedauert und ist die Geldabfindung bald wieder in ihre Rechte getreten. Ohne Zweifel drückte die zunehmende Konkurrenz den ohnedies kargen Lohn der Klienten immer mehr herab und verschlechterte überhaupt ihre Stellung. In Martials und Juvenals Zeit klagten die Klienten, daß die Großen hart und knausrig seien und ihre demütigen »Freunde« schlecht behandelten, und priesen die Freigebigkeit und Leutseligkeit der Memmier und Pisonen, der Cotta und Seneca »in der guten alten Zeit«. Allerdings war die Prachtliebe und Freigebigkeit der großen adligen Häuser nicht mehr die alte. Doch ob sich die Vergangenheit in der Erinnerung nicht mit zu glänzenden Farben schmückte, steht, wie bei allen solchen Klagen über Verschlechterung der Zeiten, wohl dahin. Wenigstens einem Zeitgenossen jener so gerühmten Männer schien schon damals die Lage der Klienten erbärmlich genug.

Außer der regelmäßigen Belohnung, gleichviel ob sie in Geld oder Speisung bestand, pflegte den Klienten noch manche andre gelegentlich gewährt zu werden. Dazu gehörte eine Einladung an die Tafel des Herrn, wenn dieser sich nach langer Zeit seines vernachlässigten Anhängers erinnerte, falls gerade ein Platz leer war; eine solche Belohnung langer Dienste wurde hoch angerechnet und hoch aufgenommen. Auch erhielten die Klienten hin und wieder ein Geschenk: einen abgetragnen Mantel, eine höchstens drei- oder viermal gewaschne Toga, aber auch wohl einige tausend Sesterzen – fast überall, wo Material von der Knauserei der Reichen gegen ihre armen Freunde spricht, ist an Klientel zu denken – oder einige Morgen Lands, dies vermutlich als endliche Belohnung jahrelanger Dienste. Auch Martials nomentanisches Gütchen war wohl das Geschenk eines Patrons (vermutlich aus der Erbschaft der Seneca). In einem seiner spätesten in Rom verfaßten Gedichte ergeht er sich in komischen Übertreibungen der Winzigkeit eines Gütchens, das ihm sein Freund Lupus geschenkt hatte. Es sei kleiner als die Erde, in der er Blumen an seinem Fenster ziehe; der Flügel einer Zikade könne es bedecken, eine Gurke darin nicht gerade liegen, die Ernte fülle kaum ein Schneckenhäuschen, der Most eine Nußschale usw. Andre fanden es zweckmäßiger, alte ausgediente Klienten zu Aufsehern ihrer Güter zu machen: einen von den »Soldfronern«, wie Columella sagt, »der jenen täglichen Dienst nicht mehr leisten will« und des Geschäfts, dem er vorstehen soll, ganz unkundig ist. Zuweilen gab der Patron seinen Klienten und Freigelassenen freie Wohnung. Auch Unterstützungen durch Darlehen, Bürgschaft, Rechtsbeistand und sonstiger Schutz scheinen immer noch in der Regel erwartet und gewährt worden zu sein. Dem Pätus Thrasea wurde von seinem Ankläger vorgeworfen, daß er, statt wichtige Senatssitzungen zu besuchen, sich den Privatangelegenheiten seiner Klienten gewidmet habe. Im ganzen war jedoch der Erwerb der Klienten ein sehr spärlicher. Manche wurden ganz und gar mit Hoffnungen gespeist, und »kaum zwei oder drei«, sagt Martial, »hat der Besuch vornehmer Atrien wirklich ernährt, die übrige Menge ist vor Hunger blaß«. Trotzdem ließen sich immer wieder Leute in Menge zu diesem Dienste auch bei solchen bereit finden, die ihnen nicht nur nicht die geringsten Vorteile boten, sondern auch selbst nichts besaßen: wieviel Dummheit steckt doch in Rom in der Toga! ruft derselbe Dichter aus.

Der karge Tagelohn, der in Martials Zeit 6¼ Sesterzen (25 As, etwa 1 Mark 35 Pfennig) zu betragen pflegte, eine Summe, die man einem Sklaven als Trinkgeld gab, die aber nebst den übrigen Einnahmen für den Lebensunterhalt der Klienten notdürftig hinreichte, mußte durch eine Reihe mühseliger Dienste erworben werden, von denen der beschwerlichste, aber zugleich unerläßlichste war, dem »Herrn« oder »König« täglich in der ersten Frühe aufzuwarten, da, wie bemerkt, ein täglich gefülltes Atrium zu den Erfordernissen eines angesehenen Hauses gehörte. Die Morgenbesuche wurden überhaupt in der ersten und zweiten Tagesstunde gemacht. Da aber die Klienten sich pünktlich einstellen mußten und lieber auf Einlaß warteten, als zu spät kamen, auch oft sehr weite Wege hatten, traten sie gewöhnlich noch im Finstern ihre Wanderungen an, um, wie Martial sagt, bei nächtlicher Weile Freunde zu besuchen, die den Besuch nicht erwiderten, und hatten oft nicht Zeit zum Ausschlafen und zur Verdauung. »Wenn der Schein der Gestirne ungewiß zu werden anfangt«, sagt Juvenal, »oder wenn sich noch der träge Wagen des kalten Bootes am Himmel herumdreht, entreißt sich schon der arme Klient seinem Schlaf und vergißt in der Hast seine Schuhe zu schnüren, voll Angst, das Heer der Besucher möchte seinen Kreislauf schon beendet haben.« Besonders beweglich klagt Martial: er verlange ja für seine kleinen Gedichte nichts, als ausschlafen zu können; die Unmöglichkeit, diesen Wunsch zu erfüllen, wie überhaupt die unendlichen Beschwerden und Mühseligkeiten des so schlecht gelohnten Dienstes vertrieben ihn zuletzt aus Rom; in seiner Heimat fand er Ruhe und Schlaf wieder. Eine fernere Unbequemlichkeit war, daß der Klient vor seinem Patron nicht anders erscheinen durfte, als in dem Staats- und Feierkleide, der Toga, einem heißen, schweren, wollnen Umwurf, der in Rom seit dem Anfange der Monarchie immer seltner und bald für die Klienten eine auszeichnende Tracht wurde, überdies eine für Arme nicht unerhebliche Ausgabe – in einem Sommer konnte man vier oder mehr verbrauchen. In dieser viel verwünschten Toga traten sie ihre Wanderungen, wie gesagt, in der Regel schon vor Tagesanbruch beim Krähen der Hähne an, wenn auf den Straßen noch kaum jemand anzutreffen war als die Bäcker, die ihre Ware ausriefen, und deren erste Kunden, die Knaben, die mit Lampen in der Hand in die Schule gingen, oder hin und wieder ein Nachtschwärmer, der von einem späten Gelage heimkehrte. Kein Wetter durfte sie zurückhalten, weder der pfeifende Nordwind und Hagelschauer, noch selbst Schneefall, welchen man sonst als genügenden Grund ansah, einer angenommenen Einladung nicht Folge zu leisten. Dazu kam der Straßenschmutz, die weiten Entfernungen – viele Klienten hatten täglich mehrere Besuche zu machen – und, wenn sich nun die Straßen mit dem lärmenden Getriebe des Tages zu füllen begannen, die Hemmungen bei jedem Schritt, ja selbst die Gefahren, die Fußgängern in den engen und gewundenen Straßen, namentlich von den schwer beladnen Lastwagen drohten, schließlich das Gedränge vor der Tür des Herrn und die Demütigungen bei der Empfangnahme des täglichen Geldbetrages. Die tägliche Wiederkehr all dieser Beschwerden war wohl allein schon hinreichend, manchem diese Lebensweise zu verleiden; bei Martial fingiert ein Klient, welcher der täglichen Morgenbesuche müde ist, das Podagra.

Die Aufwartung in der Frühe war die wichtigste Obliegenheit der Klienten, daher sie auch »Morgenbesucher« ( salutatores), sowie nach ihrer Kleidung »Togaträger« ( togati) hießen; doch viele waren einen großen Teil des Tags oder selbst bis zum Abend durch ihren Dienst in Anspruch genommen, da sie, wie gesagt, bei dem öffentlichen Erscheinen ihres Herrn überall dessen Gefolge bilden mußten. Sie mußten seinem Tragsessel oder seiner Sänfte vorausgehen oder folgen, seine sämtlichen Besuche (mitunter bei zehn alten Weibern) mitmachen, um ihn endlich vielleicht um die zehnte Tagesstunde in die Thermen des Agrippa zu geleiten, während sie selbst ihr Bad in den eine halbe Stunde entfernten des Titus nehmen wollten. Sie mußten Raum im Gedränge schaffen, nötigenfalls mit Schimpfreden und Ellbogenstößen. Ging der Herr aufs Land oder auf Reisen, so mußten sie sich bereit halten, einen leeren Platz in seinem Wagen einzunehmen. Las er seine Gedichte vor, so gaben sie das Zeichen für die Beifallsäußerungen der Zuhörer durch Aufstehen und Gebärden der Bewunderung; redete er vor Gericht, so brüllte »der Haufe in der Toga« Bravo, was, wie Martial sagt, nicht die Beredsamkeit des Patrons, sondern die seiner Küche bewies. Alles, was er redete oder tat, lobten sie und waren stets ergeben und untertänig. Bei dem sehr jähzornigen Redner Cälius Rufus speiste einmal ein Klient von ausgesuchter Geduld, dem es jedoch schwer ward, Streit zu vermeiden. Endlich wurde Cälius sein fortwährendes Jasagen unerträglich, und er rief aus: Widersprich einmal, damit man merkt, daß hier zwei sind. Nicht immer waren die von den Klienten geforderten Dienste gefahrlos. Mitunter mußten sie sich auch als Werkzeuge zur Ausführung von Plänen und Komplotten verwenden lassen, deren Entdeckung oder Vereitelung allen Beteiligten Verderben brachte. Junia Silana bediente sich im Jahre 55 ihrer Klienten Iturius und Calvisius, um Agrippina bei Nero des Strebens nach der Herrschaft verdächtig zu machen. Der Plan mißlang, Silana büßte mit Verbannung, ihre beiden Klienten mit Relegation. In Pompeji sehen wir Klienten für die Wahlen ihrer Patrone zu städtischen Ämtern agitieren. Zuweilen vereinigten sich die Klienten eines vornehmen Hauses, um den Patron durch Errichtung seiner Statue in seinem Atrium zu ehren.

Nicht nur von ihrem Herrn, sondern auch von dessen Sklaven hatten die Klienten die größten Demütigungen zu ertragen. Columella nennt ihr Gewerbe die lügenhafte Vogelstellerei des »Besuchers für Sold«, der die Schwelle des Mächtigen umschwärmt und nach Hörensagen Vermutungen anstellt, wie sein König geschlafen habe. Denn seine Frage, was drinnen vorgehe, würdigen die Sklaven keiner Antwort, und häufig muß er, von einem angeketteten Pförtner zurückgewiesen, in später Nacht vor der undankbaren Türe liegen. Hatten sie ein dringendes Anliegen und wollten nicht unter den gewöhnlichen Vorwänden abgewiesen werden, daß der Herr nicht zu Hause sei, so mußten sie die Dienerschaft bestechen, und aus dem sauern Erwerb der viel ärmern Klienten floß mancher Tribut den Ersparnissen dieser geputzten Sklaven zu, die übrigens auch von ihren eignen Klienten sprachen. War es ihnen gelungen, durch die halbgeöffnete Tür hineinzuschlüpfen, so hatten sie im Innern des Hauses den Übermut andrer, vornehmerer Sklaven (»den Stolz des Anmelders, das Stirnrunzeln des Kammerdieners«) zu überwinden und neue Anstrengungen zu machen, um endlich vorgelassen zu werden. Oft ließ sich der Hausherr nur herbei, den Morgengruß »des Haufens« in vorher bestimmter Reihenfolge entgegenzunehmen, und öffnete nicht einmal den Mund zum Gegengruße. »Wie viele«, sagt Seneca, »die noch vom gestrigen Rausche beschwert und schläfrig sind, werden jene Armen, die ihren Schlaf abbrechen, um einen fremden abzuwarten, mit kaum geöffneten Lippen bei dem tausendmal eingeflüsterten Namen nur mit dem hochmütigsten Gähnen anreden?« Es galt schon für Herablassung, wenn der Herr sich an den Namen seines demütigen Besuchers erinnerte. Der Klient dagegen durfte nicht wagen, dem Patron anders als mit der größten Ehrerbietung zu begegnen, ihn anders als »Herr« und »König« zu nennen, wenn er sich nicht seine Ungnade zuziehen und der gehofften Belohnung verlustig gehen wollte. Seine »Freundschaft« bewies der Patron höchstens etwa dadurch, daß er sich in Gegenwart des Klienten durchaus keinen Zwang auferlegte. Selbst jahrelange Dienste brachten oft in diesem Verhältnis keine Veränderung hervor. Die »glücklichen Freunde« verstanden nur zu zürnen, und dabei gewannen sie noch, da Hassen wohlfeiler war als Schenken; und nichts wurde von den Großen in Rom leichter verschmerzt, als der Verlust eines Klienten: in der Tat wurden die letztern dem Patron oft genug gerade durch ihre Dienstbeflissenheit lästig. Natürlich konnte aber dieser, wenn er Untertänigkeit forderte, auch keine Liebe erwarten.

Der schmählichsten Behandlung aber waren die Klienten an der Tafel ihres Patrons ausgesetzt. Juvenal hat diese in seiner fünften Satire breit geschildert; einzelnes mag hier zu stark aufgetragen sein, daß aber die Schilderung im allgemeinen richtig ist, dafür bürgt die Übereinstimmung Martials und andrer. In vielen Häusern wurden nämlich die Klienten, wie andre geringere Tischgenossen, namentlich Freigelassene, in jeder Weise anders bewirtet als der Herr und die ihm gleichstehenden Gäste; Speisen, Getränke, Geschirr und Bedienung waren hier und dort verschieden, und den Klienten wurde der Abstand zwischen ihnen und den geehrten Gästen auf jede Weise fühlbar gemacht. Der jüngere Plinius warnt einen jungen Freund vor dieser Verbindung von Luxus und Knauserei, die er kürzlich bei einem Gastmahl angetroffen hatte, wo unter anderm drei verschiedne Weinsorten aufgestellt waren: für den Hausherrn und seine Gäste, für die »geringern Freunde«, für die Freigelassenen. Auf Plinius' Äußerung, daß er allen, auch seinen Freigelassenen, an seiner Tafel dasselbe vorsetze, bemerkte sein Tischnachbar, das müsse ihn viel kosten; worauf Plinius erwiderte: keineswegs, da nicht seine Freigelassenen denselben Wein wie er, sondern er denselben wie sie trinke. Bei Martial speist der Patron Lucriner Austern, die feinsten Pilze, eine Butte, eine fette Turteltaube oder Drossel, der Klient wäßrige Muscheln, Sauschwämme, ein schlechtes Fischchen und eine im Käfig gestorbne Elster; dieser trinkt heurigen Sabiner aus einem gläsernen, jener einen uralten Jahrgang aus einem Becher von Murrha: das letztere, wie Martial bemerkt, damit die Undurchsichtigkeit des Materials die Verschiedenheit der Sorten nicht bemerken lasse. Und dabei wundern sich die Reichen noch, daß es keine Freundschaften mehr gebe wie die des Orest und Pylades, aber Orest und Pylades aßen und tranken dasselbe! Wollten sie geliebt sein, so schließt er mit einem auch von Seneca erteilten Rat (des Stoikers Hekaton), so müßten sie selbst Liebe beweisen. Ganz ähnlich schildert Juvenal die Bewirtung der Klienten. Der Hausherr trank aus kostbaren Gefäßen; ward dem Klienten ein solches anvertraut, so stand ein Wächter bei ihm, der die Edelsteine an dem Becher zählte und dem Gast scharf auf die Finger sah; oder er erhielt einen irdenen, noch dazu zerbrochnen Topf. Dem Hausherrn wartete die Blüte der Jugend Kleinasiens auf, dem Klienten ein afrikanischer Läufer, ein Mohr mit knöchernen Fäusten, dem man bei Nacht nicht auf der Landstraße begegnen möchte. Die Sklaven lassen sich vergebens rufen, sie sind unwillig, einem alten Klienten zu gehorchen, unwillig, daß er fordern und liegen darf, während sie stehen müssen. Sie reichen ihm steinhartes, schimmliges Brot, das zarte, weiße Weizenbrot bleibt für den Herrn. Wagt der Klient es anzurühren, so heißt es: willst du dir wohl den Leib aus deinem Korbe füllen! Dem Herrn wird eine Languste mit Riesenspargeln und das feinste Öl gereicht, dem Klienten ein gemeiner Tiberfisch und Öl, das nach Lampe riecht. Er darf nicht wagen, dem Herrn zuzutrinken; öffnet er unaufgefordert den Mund, so läuft er Gefahr, hinausgeworfen zu werden; dagegen muß er sich gefallen lassen, der Gegenstand schmählicher Scherze des Herrn und seiner Gäste zu sein. Auch der Verfasser des Lobgedichts auf Piso sagt, daß man die armen Klienten gewöhnlich auf diese Weise den geringen Lohn, den man ihnen reichte, verdienen ließ, und rühmt von dem Hause seines Gönners, daß dort »niemandes Kränkung plötzliches Gelächter errege«. Noch im 5. Jahrhundert spricht der gallische Bischof Valerianus seine Entrüstung darüber aus, daß armen Gästen an den Tafeln der Reichen zerbrochne Gefäße gereicht, der Bart gezupft, die Stühle weggezogen, und sie gegeneinander gehetzt wurden, um durch Schlägereien dem Gastgeber ein ergötzliches Schauspiel zu bieten.

Die gelegentlichen Erwähnungen des Klientelverhältnisses bei Epictet stimmen durchaus mit den Schilderungen Juvenals und Martials überein. Er hebt »das Getümmel und die Morgenbesuche« als besonders für Rom charakteristische Erscheinungen hervor. Man solle es mit Gelassenheit ertragen, wenn man zu einem Gastmahl nicht eingeladen, an der Tafel, bei der Aufwartung oder bei der Zuziehung zu Sitzungen zurückgesetzt worden sei. Die Bevorzugten müßten die ihnen erwiesene Ehre durch Morgenbesuche, Begleitungen und Schmeicheleien erkaufen. Wer bei einem Großen Zutritt suche, solle darauf gefaßt sein, daß er abgewiesen, die Tür vor ihm zugeworfen werden, der Hausherr ihn keiner Beachtung würdigen werde. Epictet erwähnt auch, daß manche Große sich von Bittstellern die Hände küssen ließen.

Aus dem 2. Jahrhundert haben wir nur gelegentliche und spärliche Andeutungen über das Verhältnis und den Dienst der Klienten. Beides scheint im ganzen unverändert geblieben zu sein. Die veränderte Stellung der Aristokratie nach Nero, das Sinken und die Abnahme des alten Adels, das Emporkommen neuer, aus den Munizipien und Provinzen stammender Familien kann schwerlich auf das Klientelverhältnis einen wesentlichen Einfluß geübt haben. Daß die Anzahl der reichen und vornehmen Familien im 2. und 3. Jahrhundert geringer gewesen sei als im ersten, haben wir keinen Grund anzunehmen, und ohne Zweifel konnten Männer des Senatorenstands von neuem Adel durch Macht, Reichtum und Einfluß dieselben Vorteile gewähren wie die Repräsentanten der ältesten und edelsten Geschlechter. Auch die von den Klienten geforderten Leistungen waren immer noch dieselben. Fronto sagt, daß der Senator Gavius Clarus ihm unverdrossen von Jugend auf die Willfährigkeit bewiesen habe, die Klienten oder treue und diensteifrige Freigelassene ihrem Patron zu erzeigen pflegen. Galen gibt eine Verordnung für die vielen, die kein ruhiges Leben erwählt haben, sondern sich vor Tagesanbruch zu den Türen der Mächtigen begeben müssen, nicht vermeiden können, oft in Schweiß zu geraten und sich dann zu erkälten, die bei dem Bade andrer zugegen sein und sie nach Hause begleiten, hierauf in großer Hast selbst baden und zur Mahlzeit eilen müssen. Tertullian spricht wiederholt von der schimpflichen Geduld, welche die Knechte des Bauchs unter der schmachvollen Gönnerschaft reicher Gastgeber beweisen. Nach den Schilderungen Lucians im Nigrinus hat es den Anschein, daß der Abstand zwischen Klienten und Patronen sich noch erweitert hatte, so daß auf der einen Seite sklavische Unterwürfigkeit, auf der andern hochfahrende Geringschätzung noch auffallender hervortrat; doch läßt es sich bei der rhetorischen Färbung der ganzen Schrift nicht mit Sicherheit behaupten. Im wesentlichen erscheint jedenfalls das Verhältnis und die Lebensweise der Klienten auch hier wie im 1. Jahrhundert. Sie stehen um Mitternacht auf, laufen in der ganzen Stadt umher, werden durch Sklaven von der Tür gewiesen und müssen es ertragen, Hunde, Schmeichler und dgl. gescholten zu werden. Die Reichen dagegen prangen in Purpurgewändern, strecken die Finger aus, um ihre Ringe sehen zu lassen, und tragen überhaupt einen geschmacklosen und überladnen Pomp zur Schau; die ihnen Nahenden müssen zufrieden sein, wenn sie stumm angeblickt und statt von dem Herrn von einem aus dem Gefolge angeredet werden. Die Hochmütigsten lassen sich sogar Fußfälle tun, nicht viel anders als es bei den Persern Sitte ist, schon im Herankommen muß man sich bücken und von fern die Seele erniedrigen und ihren Zustand durch die entsprechende Körperhaltung ausdrücken; so muß man ihnen die Brust oder die rechte Hand küssen, wobei man von denen beneidet wird, die dieser Ehre nicht teilhaft geworden sind. Als Lohn erfolgte eine schmähliche Bewirtung, wobei die Gäste oft gegen ihren Willen genötigt wurden, sich zu berauschen, dann im Rausch Geheimnisse ausplauderten und schließlich mit Verwünschungen über das Gastmahl, die Knickerei und die verächtliche Behandlung nach Hause gingen. Dann sah man sie an den Straßenecken sich übergeben, vor schlechten Häusern in Schlägereien geraten; am andern Tage lagen die meisten zu Bett und mußten Ärzte holen lassen, manche hatten aber nicht einmal Zeit, krank zu sein.

Die meisten, die sich zu dieser unwürdigen Dienstbarkeit hergaben, waren allerdings von niederm Stande, »Leute mit durchlöcherten Mänteln«, wie Juvenal sagt; in der Regel werden die Freigelassenen ihren frühern Herren Klientendienste geleistet haben. Auch Soldaten waren darunter; denn wenn Claudius den Soldaten verbot, senatorische Häuser der Aufwartung halber zu betreten, so kann dies sich doch nur auf stehende Verhältnisse beziehen, die allein Befürchtungen für die Sicherheit des Throns veranlassen konnten. Auch Lucian spricht von der Menge der Soldaten, die bei der Aufwartung nicht an ihrem durch die Reihenfolge bestimmten Platze bleiben, sondern sich vordrängen. Aber auch manche, die aus bessern Verhältnissen heruntergekommen waren, fristeten ihr Leben in Klientenstellungen. So heißt es von den bereits erwähnten Klienten der Junia Silana, Iturius und Calvisius, daß sie sich nach Aufzehrung ihres ganzen Vermögens auf das Verlangen ihrer Patronin zur Anklage der Agrippina hergaben. Auch Männer von Bildung konnte Dürftigkeit nötigen, sich unter den rohen Haufen zu mischen, der in vornehmen Häusern Klientendienste tat, wie den Stoiker P. Egnatius Celer (Klient, dann Ankläger des Bara Soranus), Martial (der dem Ritterstande angehörte) und den jugendlichen Verfasser des Lobgedichts auf Piso. Wir dürfen dem letztern glauben, daß die Häuser, in denen man gebildete Männer zu Klienten wählte, zu den Ausnahmen gehörten; das seines Gönners rechnet er vor allem dazu. Die Angehörigen desselben waren in irgendeiner Kunst oder Wissenschaft unterrichtet, um Bildung bemüht. Piso fand keinen Gefallen an einer Schar plumper und roher Klienten, die nur elende Dienstleistungen zu bieten haben, die nichts verstehen, als dem Herrn vorauszugehen und ihm Platz im Volksgedränge zu schaffen. Sein Haus war darum auch keines von denen, wo man den geringen Freund verschmähte, den Klienten hochmütig mit Füßen trat.

Auch für die Patrone war das Klientenverhältnis nicht ohne Beschwerden, besonders in der frühern Zeit, wo die Klienten noch etwas mehr waren als bezahlte Nachtreter. Manchem ließ »das um ihn her ergossne Volk von Klienten keine Zeit übrig«, der Patron rettete sich nach der Horazischen Regel durch eine Hintertür, während sie im Atrium warteten, was aber Seneca inhumaner fand als eine Abweisung. Sie behelligten ihn mit ihren Anliegen oder Betteleien; sie plauderten mit unheilvoller Geschwätzigkeit die Geheimnisse seines Hauses aus. An seiner Tafel betrugen sie sich ungebührlich, es kam wohl gar zu Schlägereien zwischen ihnen und den Freigelassenen. An den Saturnalien, am Neujahrs- und Geburtstage brachten sie kleine Geschenke, wie z. B. Servietten, Löffelchen, Wachslichter, Papier, ein Körbchen mit Damascenerpflaumen, doch dies waren »Angeln«, mit denen sie größre Gaben zu fischen hofften: der Arme, sagt Martial, ist dann am großmütigsten gegen seinen reichen Freund, wenn er ihm nichts schenkt. Häufig entsprachen aber die Gegengeschenke nicht den gehegten Erwartungen; »es war selten, daß ein Patron Goldstücke klingen ließ«. Statt der gehofften Quittung über seinen jährlichen Mietzins erhielt der Klient vielleicht eine Flasche Wein, einen Hasen oder ein Stück Geflügel. Manches unterschlugen auch die Sklaven, oder sie überbrachten die Geschenke in ganzen Haufen, und jeder forderte ein Trinkgeld. Acht stämmige Träger, sagt Martial, hätten ihm an den Saturnalien eine Menge Dinge ins Haus geschleppt, die zusammen kaum 30 Sesterzen (6,50 Mark) wert waren: wie viel leichter hätte ein einziger Bursche fünf Pfund Silber tragen können! Überdies mußte der Arme das Geschenk des Reichen aufs höchste loben, während das seine oft mit Verachtung beiseite geworfen wurde. Bei Gelegenheit der Feste an den Saturnalien, wo die Klienten insgesamt gespeist zu werden pflegten, wiederholt Lucian fast wörtlich alle Klagen Juvenals über die Bewirtung und Behandlung der Klienten an der Tafel des Patrons, gesteht aber zugleich ein, daß auch die Klienten ihrerseits durch ihr Betragen Grund zu Klagen gaben.

f) Die Freigelassenen

Zum Schlusse muß hier abermals daran erinnert werden, daß die Bevölkerung Roms im höchsten Grade aus allen Nationalitäten zusammengesetzt war, und zwar hauptsächlich infolge der unaufhörlichen massenhaften Einführung von Sklaven aus allen Teilen des Reichs wie aus Barbarenländern, von denen jahraus jahrein Hunderte, ja Tausende die Freiheit erhielten und in den dritten Stand eintraten. Noch jetzt bilden unter den Grabmälern, die sich zu beiden Seiten der Heerstraßen vor den Toren Roms hinziehen, die der Freigelassenen die weit überwiegende Mehrzahl. Die 80.000 Bürger, die Cäsar an überseeischen Orten angesiedelt haben soll, scheinen größtenteils Freigelassene gewesen zu sein; jedenfalls war dies bei den nach Korinth gesandten Kolonisten der Fall. Einen Maßstab für die Ausdehnung der Freilassungen gibt es auch, daß Augustus, der sie auf jede Weise einzuschränken suchte, das Maximum der testamentarisch freizulassenden Sklaven doch auf die immerhin erhebliche Zahl von hundert festsetzte. Dazu kam jene fortwährende Masseneinwanderung von Freien aus allen Provinzen, besonders aber aus den südlichen und östlichen, die Rom überflutete und dem gebornen Römer je länger je mehr den Boden streitig machte. Schon Lucan nennt Rom nicht von eignen Bürgern bevölkert, sondern mit der Hefe des Erdballs erfüllt. Rom war, so klagten die Römer zu Anfang des 2. Jahrhunderts, eine griechische Stadt geworden, obwohl der geringste Teil der griechisch redenden Eindringlinge wirklich aus Hellas stammte, die überwiegende Mehrzahl vielmehr aus Kleinasien und dem Orient: es war gleichsam »der ganze Orontes (der Hauptfluß Syriens) in den Tiber eingeströmt«. Die Städte, heißt es bei Athenäus (zu Anfang des dritten Jahrhunderts), die in Rom enthalten seien, könne man gar nicht aufzählen, ja es seien die Bevölkerungen ganzer Provinzen dort angesiedelt, wie die Bewohner Cappodociens, Scythiens, des Pontus und mehrerer andrer Länder. Wie ungemein groß die Menge der in Rom lebenden Orientalen war, kann man nach einigen Angaben über die dortigen Juden ermessen. Eine Gesandtschaft des Judenkönigs Herodes wurde angeblich von achttausend ihrer in Rom ansässigen Glaubensgenossen zu Augustus begleitet; und im Jahre 19 n. Chr. wurden viertausend Freigelassene in waffenfähigem Alter, »die von ägyptischem und jüdischem Aberglauben angesteckt waren«, zur Deportation nach Sardinien verurteilt. Während nun die Einwanderung der Ausländer fortdauerte, nahm die echtrömische und freigeborne Bevölkerung hauptsächlich durch die unaufhörliche Vermischung mit fremdem und unfreiem Blute immer mehr ab; im Jahre 24, wo man einen neuen Sklavenkrieg besorgte, war in Rom die Angst wegen der ins Grenzenlose wachsenden Zahl der Sklaven groß, »während die freigeborne Plebs sich von Tage zu Tage verminderte«. Obwohl, wie gesagt, bereits Augustus die Freilassungen eingeschränkt und seinen Nachfolgern und dem Senat den Rat hinterlassen hatte, ebenso zu verfahren, »um die Stadt nicht mit allerlei Volk anzufüllen«, war die Zahl der Freigelassenen offenbar in stetem Wachsen begriffen, und die Einwohnerschaft Roms gestaltete sich je länger je mehr zu einem bunten, chaotischen Gemenge der verschiedenartigsten Elemente und ihrer unzähligen Mischungen und Kreuzungen.

Gerade die freigelassenen Ausländer waren häufig im Besitze großer Reichtümer. Teils hatten sie diese im Dienste vornehmer Häuser erworben, wo namentlich Griechen und Orientalen es verstanden, sich unentbehrlich, bei den Herren beliebt oder (als Mitwisser schwerer oder schimpflicher Geheimnisse) gefürchtet zu machen, oder die Neigung der Herrinnen zu gewinnen; teils durch kaufmännische und andre geschäftliche Unternehmungen, die zum großen Teil in den Händen dieser rührigen und betriebsamen Söhne der östlichen Länder waren. Bei Juvenal verlangt der reiche Freigelassene, dessen Geburt am Euphrat sich durch die Löcher in den Ohrläppchen verrät, den Vortritt vor Prätoren und Tribunen; denn fünf Läden bringen ihm (jährlich) 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) ein. Wie der Grund zu solchem Reichtum gelegt wurde, deutet derselbe Dichter an einer andern Stelle an, wo er sagt, daß ein Hister sein ganzes Vermögen seinem Freigelassenen hinterlassen habe. Ausführlicher erzählt der Trimalchio Petrons selbst, daß er als Knabe aus Asia nach Rom gekommen und vierzehn Jahre lang der Geliebte seines Herrn gewesen, doch zugleich auch mit der Herrin auf gutem Fuße gestanden habe; man werde ihn verstehen, er wolle sich nicht rühmen, denn er gehöre nicht zu den Prahlern. So sei er nach dem Willen der Götter Herr im Hause geworden; der Herr habe ihn zum Miterben des Kaisers eingesetzt und ihm ein senatorisches Vermögen hinterlassen. Doch da nun einmal niemand je genug habe, so habe er angefangen, Geschäfte zu machen, fünf Schiffe erbaut, mit Wein befrachtet, der damals mit Gold aufgewogen wurde, und nach Rom gesandt, aber alle seien gestrandet, und Neptun habe an einem Tage 30 Millionen Sesterzen (6½ Millionen Mark) geschluckt. Dadurch sei er aber nicht abgeschreckt worden, er habe größre und beßre Schiffe gebaut, sie mit Wein, Speck, Bohnen, Parfümerien und Sklaven beladen und so durch eine Fahrt 10 Millionen Sesterzen zusammengeschlagen, hierauf alle Güter seines ehemaligen Herrn zurückgekauft, in der Seestadt am Golf von Neapel, wo er sich niedergelassen, ein prachtvolles Haus gebaut, und nachdem er mehr erworben, als seine ganze Vaterstadt besitze, sich vom Handel zurückgezogen und mache jetzt nur noch Geldgeschäfte durch seine Freigelassenen. Auf sein Grabmal solle man schreiben, daß er klein angefangen habe und groß geworden sei, 30 Millionen Sesterzen hinterlassen und nie einen Philosophen gehört habe. Auch die Mitfreigelassenen Trimalchios sind Leute, »vor denen man Respekt haben muß«; einer, der mit nichts angefangen, Holzbündel auf dem Rücken geschleppt hat, besitzt 800.000 Sesterzen (174.000 Mark), ein andrer, dessen Kredit augenblicklich stark erschüttert ist, hat schon einmal seine Million gehabt. Wie auch sonst bei Petron ist hier alles nach dem Leben geschildert, am wenigsten der Reichtum der Freigelassenen übertrieben. Schon Demetrius, ein Freigelassener des Pompejus, soll 4000 Talente (18,860.000 Mark) hinterlassen haben; und Didymus und Philomelus, die in Domitians Zeit oder kurz zuvor zu den Reichsten in Rom gehörten, waren ohne Zweifel ebenfalls Sklaven gewesen. Der Reichtum der Freigelassenen war schon zu Anfang der Kaiserzeit ebensowohl sprichwörtlich wie die Geschmacklosigkeit und Insolenz, mit der sie ihn zur Schau trugen. Von dem ebenso reichen wie ungebildeten Calvisius Sabinus (Konsul 26 n. Chr.) sagt Seneca, er habe sowohl das Vermögen als die Sinnesart eines Freigelassenen gehabt. Auf den Tafeln von Freigelassenen prangten Schüsseln, »in welche der Ertrag ganzer Silberbergwerke verarbeitet war«. In ihren Bädern sah man eine Unzahl von Statuen, von Säulen, die nichts trugen, sondern nur zur Zierde und Vermehrung der Kosten dienten, und eine Menge von Wasserströmen rauschend über Stufenreihen hinabfallen. Die Spiegel, vor denen ihre Töchter sich schmückten, kosteten mehr, als in alten Zeiten die Töchter verdienter Männer vom Staate zur Mitgift erhalten hatten. In sybaritischem Luxus wetteiferten sie mit den Höchsten und Vornehmsten; um so mehr forderte die Gemeinheit ihrer Sitten, die Niedrigkeit ihrer Gesinnung, ihre Unwissenheit und Roheit Spott und Verachtung heraus. Sie, die ehemals die Peitsche gefürchtet hatten, die wohl gar die Spuren früherer Brandmale unter Schönheitspflästerchen verstecken oder von verschwiegnen Ärzten aus der Haut tilgen lassen mußten – wozu Scribonius Largus ein Rezept gibt –, sah man jetzt in schneeweißer Toga, echt tyrischem Purpurmantel, scharlachroten Schuhen von feinstem Leder, die Finger mit blitzenden Ringen besetzt, das Haar von Wohlgerüchen duftend, auf den vordersten Bänken des Marcellustheaters sitzen. Mit besondrer Vorliebe schwelgten sie in dem Genuß, gegen Beßre mit plumpem Hochmut auftreten zu können. Der reiche Freigelassene war in jener Zeit der eigentliche Typus des gemeinen, unverschämten, prahlenden Emporkömmlings. Der Zoilus, der bei Martial diese Klasse in Rom repräsentiert, wie bei Petron Trimalchio in seiner Kolonie, trägt pfundschwere Fingerringe, fast so schwer, wie er sie vor kurzem an den Beinen getragen; er bedient sich einer Sänfte von ungeheurer Größe, er stellt sich krank, um seinen Besuchern die aus Ägypten verschriebnen Polster mit echt purpurnen Überzügen und Scharlachdecken zu zeigen; er wechselt während einer Mahlzeit elfmal die Kleider; er schwelgt in den köstlichsten Speisen und Weinen, während er seinen Gästen gemeine Kost und Krätzer vorsetzt, und wenn er über Tisch einschläft, müssen sie sein Schnarchen mit ehrfurchtsvollem Schweigen anhören und dürfen sich nur mit stummem Nicken zutrinken; wen ein solches Gastmahl glücklich macht, sagt der Dichter, der ist wert, Bettlerbrot zu essen. Zur Erhöhung des Selbstgefühls dieser Menschen trug die Macht ihrer Standesgenossen am Hofe ohne Zweifel nicht wenig bei, da ein Teil des Glanzes, der diese umgab, auf den ganzen Stand zurückstrahlte; auch stiegen ihre Söhne und Enkel, wie bemerkt, nicht selten zu den höchsten Stellungen der beiden höhern Stände, und schon in Neros Zeit stammten sehr viele ritterliche, manche senatorische Familien von solchen Ahnen ab.

Doch neben diesem plumpen Hochmut, den die reichgewordnen ehemaligen Sklaven zur Schau trugen, fehlt es auch nicht ganz an Äußerungen eines edleren Stolzes, den der niedriggeborne, aber tüchtige und seiner Kraft sich bewußte Freie gegenüber dem unfähigen und verderbten Adel empfand. Cicero hatte in einer Zeit der unerschütterten Adelsherrschaft nur sehr schüchtern anzudeuten gewagt, daß auch der Mittelstand vor der Aristokratie einen Vorzug besitzen könne: »Die Adligen«, sagt er mit ironischem Beiklang, »überschreiten im Guten wie im Bösen so sehr das Maß des Gewöhnlichen, daß ein in unsern Kreisen Geborner sie nicht erreichen kann.« Zweihundert Jahre später, als der Adel durch die Monarchie tief herabgedrückt war, betonte Juvenal mit einem ganz andern Bewußtsein den Wert der mittlern und untern Klassen. Was war erlauchter als der Stammbaum des Catilina und Cethegus, welche die Brandfackel für die Häuser und Tempel Roms bereit hielten, gleich Abkömmlingen der Gallier? Aber der Konsul Cicero vereitelte ihre Pläne, der ahnenlose »neue Mann« aus Arpinum, der vor kurzem in Rom nicht mehr gewesen war als ein Ritter aus einer Landstadt: ihn hat das freie Rom den Vater des Vaterlands genannt. Und ein andrer Mann aus Arpinum holte sich in den Volskerbergen den Tagelohn, wenn er von der Arbeit auf fremdem Acker erschöpft war; später schwang er als Centurio den knotigen Rebstock, wenn der Soldat beim Schanzen die Axt lässig führte. Und doch hat er als Konsul den Cimbern standgehalten und allein die angstvolle Stadt in der höchsten Gefahr geschützt. Darum ward sein hochadliger Kollege mit dem zweiten Lorbeer geschmückt, als zu der Wallstadt der Cimbernschlacht die Raben flogen, die noch nie riesigere Leichen berührt hatten. Plebejisch waren die Seelen der Decier, plebejisch ihre Namen, und doch nahmen die Götter der Unterwelt sie als Sühneopfer für das ganze Heer an. Der letzte gute König Roms war der Sohn einer Sklavin; die Söhne des Konsuls Brutus öffneten verräterisch den verbannten Tyrannen die Tore, ein Sklave machte den Verrat kund. Mögt ihr übrigens euern Stammbaum noch so hoch hinaufführen, euer erster Ahn war doch nur ein Hirt oder ein Räuber, der in dem Asyl des Romulus Schutz fand. Unzüchtige andalusische Tänze und Gesänge, sagt derselbe Dichter, passen nicht in ein bescheidnes Haus, sondern in die prächtigen Paläste der Reichen. Würfelspiel und Ehebruch ist für Geringe schändlich; tun jene dasselbe, so werden sie munter und artig genannt; der hohe Adel verzeiht sich, was einen Schuhflicker beschimpfen würde. Im niedrigsten Volke, heißt es an einer andern Stelle, wirst du Männer von Beredsamkeit finden, sie führen die Prozesse des unwissenden Adligen; aus dem Volke kommen Männer, welche die Knoten des Rechts und die Rätsel der Gesetze entwirren; seine Jugend, im Waffenhandwerk geübt, zieht nach dem Euphrat und zu den Adlern, die über die gebändigten Bataver wachen: während jene, die keinen Vorzug aufzuweisen haben als ihre unermeßliche Ahnenreihe, armlosen Hermenbildern gleichen; in hoher Lebensstellung ist gesunder Sinn selten.

Wie aber diese kräftigen Elemente aus den untern Schichten der Bevölkerung fort und fort in die Höhe stiegen, während die unkräftigern aus den obern allmählich auf den Grund sanken, wie die drei Stände in stetem Wechsel, in unaufhörlichen Übergängen bis zu einem gewissen Grade ihren Inhalt gegeneinander austauschten: das kann freilich aus so vereinzelten Tatsachen und Andeutungen, wie sie in der obigen Schilderung benutzt sind, nur in sehr unvollkommner Weise erkannt werden.


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