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5.
Die Maultiere

Am Morgen weckt mich Hufschlag und Schellengeläut: Die ersten Maultiertreiber sind da. Die Freude und der sonnige Tag treiben mir mit einem Schlag allen Dunst aus Kopf und Gliedern. Ich bin in einem Umdrehen unten auf der Straße. Es sind drei Männer gekommen, alle aus den Abruzzen, untersetzte, schwarze Kerle mit listigen Augen in den dunklen Gesichtern. Jeder hat sechs Mulis, die alle die schweren Packsättel tragen, wahre Ungetüme von Sätteln. Die Filzkissen unter dem wuchtigen Holzgestell sind einen Viertelmeter stark. Jeder Sattel wiegt fünfzig oder fünfundfünfzig Kilo. Ketten, Seile, Holzringe hängen daran, wie an einem Lastwagen.

Sie sind den alten Saumweg heraufgekommen, der steil und gerade heraufführt, während die Straße in weiten Windungen die Hänge auskehrt. Ich bin einmal diesen Weg, eine Steilrinne wie ein trockenes Bachbett, ein Stück hinuntergekrochen und bin umgekehrt, weil er mir ungangbar schien. Die Mulis sind ihn heraufgekommen, und keiner schnauft, keiner hat ein nasses Haar. Sie stehen da, mit den Lenkseilen aneinandergehängt, am Straßenrand und sehen gleichmütig über die niedere Umfassungsmauer ins Tal hinunter, den harten Weg, den sie gekommen sind.

Kein Tiergesicht reicht an Ausdruckskraft an diese schweren Maultierköpfe hin. In den großen Augen steht keine Klage, keine Bitte um Mitleid, doch auch kein Sklavenhaß, keine tückische Rachsucht. Aus Unzucht entsprungen, der Geschlechtslust vom Menschen, der Arterhaltung von Natur beraubt, stehen sie da, ihres Schicksals bewußt, daß Arbeit, Arbeit und Ergebung ist. Sie folgen dem Rufe des Führers, wenden, treten beiseite, gehen los oder bleiben stehen. Durch Schläge sind nur die ganz alten anzutreiben; die jüngeren beantworten sie, je nach Temperament, mit bockigem Trotz oder mit unberechenbarer Wildheit. Erschütternder noch ist die schroffe Ablehnung jeder Liebkosung: Du, Mensch, bist das Werkzeug, mit dem Gott mich straft, ich weiß nicht warum. – Deine Hand soll mich nicht streicheln!

Die Treiber sehen die Sache weniger romantisch an. Sie lassen die schwergesattelten Tiere in dem schmalen Schattenstreifen stehen und setzen sich zum Wein. Torquato und Polidoro haben strenge Amtsmienen aufgesetzt, fragen nach Namen, Herkunft, Zahl der Tiere, tragen alles in die Lohnlisten ein und erklären das Weiderecht. Die Tiere nämlich bleiben in der Nacht weit oben in den Bergen auf der Weide, wofür den Bauern, die das Berggras sonst doch verkommen lassen, ein lächerliches Entgelt zu zahlen ist, eigentlich nur ein Anerkennungszins. Eine Lira für den Kopf und Monat. Die meisten Tiere bekommen außer der Weide kein Beifutter, höchstens dann und wann ein paar Handvoll Kleie oder ein Büschel Heu. Die Treiber schlafen im Freien unter einem Buchenbusch, auf bloßer Erde, oder sie machen sich aus Packsätteln eine Art Wiege: zwei, drei umgekehrte unten, zwei, drei als Dach darüber. Der Mann liegt in den weichen Filzkissen, die überkrustet sind vom Schweiß und Dunst seiner Tiere.

Das große Postauto knattert heran, hält, gibt Post ab, knattert weiter, Staub und Gestank hinter sich. Keines der Tiere hat auch nur den Kopf gewandt nach dem Boten der Neuzeit. Der mag die Lasttiere im Tal unten verdrängt, erlöst haben – hier in den Bergen bleibt Raum und Arbeit genug für uns, die wir zur Fron geboren sind.

Nun haben sich die Treiber gestärkt und kommen fertig aus dem Hause. Jeder tritt zu dem ersten seiner Tiere, bindet es los und klettert hinauf. Dann ein Zuruf wie ein Schluchzen: Üüih! Und die Reihe setzt sich langsam in Marsch, überquert die Straße und klappert jenseits den gepflasterten Saumweg weiter hinauf. Die Tiere haben ringsum vorstehende, fingerstarke Eisen, rückwärts zu weitgreifenden Stollen ausgeschmiedet. Damit finden sie überall Halt. Nun sind sie aus den Bäumen heraus, ziehen frei die Windungen weiter oben entlang. Die lange Kette von Tieren steht gegen den Himmel und die blaßgrüne Steinhalde wie ein Bild aus alter, alter Zeit. Das erste Tier trägt den Reiter. An seinem Sattel hängt das Lenkseil des zweiten, das in einem Bündel des Reiters Habe trägt. Die anderen vier tragen nur die Sättel – und ihr Schicksal, stumm und gleichmütig. Sie rupfen im Gehen die gelbe Schafgarbe ab, deren herber Duft diese Berge kennzeichnet, auch Erika, Ginster, Gras – was sich eben bietet, wenn eine leichte Stelle Muße läßt, nicht scharf auf den Weg zu achten. Denn jedes Tier, wenn auch an das vorangehende angehängt, geht ungeführt für sich. Nicht einmal der Reiter führt das seine.

Bevor sie alle in der Senke hinter dem ersten Hügelkamm verschwinden, hallt noch ein gedehntes Lied herunter. Ich verstehe nur wenige Worte des Kehrreims, den die Treiber zusammen singen:

» Ma perchè? Non sai perchè …?

Doch warum, weißt du nicht warum?«

Die Treiber singen es, doch es ist das Lied der Maultiere.


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