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4.
Mimi und Vivi

Mimi und Vivi sind die Schwestern des Wirtes, üppige Mädchen auf der Kippe zum Verblühen. Beide haben Wuschelköpfe, von kurzem, aber ungeheuer dichtem Kraushaar wie von phantastischen Federkronen umweht. Beide arbeiten fieberhaft, von morgens bis abends, Mimi in der Küche, Vivi in den Zimmern. Beide tragen die gleichen schmucklosen, schwarzen Gewänder, von den Spuren des Alltags leise überhaucht; nur trägt sie Mimi lang bis zu den Fersen niederfallend, keine Strümpfe darunter und absatzlose Pantoffeln, Vivi aber kniefrei, mit Florstrümpfen und Stöckelschuhen. Vivi hat auch untertags immer eine leichte lila Puderschicht auf Wangen und Kinn, und bei der Zimmerarbeit gerne eine Zigarette zwischen den Lippen. Mimi aber, die jüngere, hat sich ganz in ihr Arbeitsschicksal ergeben und ist der Liebling der alten Mutter, die ihre Tage meist in der Küche zubringt und der fleißigen Tochter da und dort an die Hand geht. Mimi hat für gewöhnlich einen gutmütigen Sopran, der aber im Zorn – und sie erzürnt sich leicht – sofort in grellen Diskant umschlägt und mühelos durch alle Stockwerke dringt. Dann verziehen sich beide Brüder lautlos, auch Vivi macht einen großen Bogen um die Schwester, die alte Mutter sitzt in ihrem Küchenwinkel, murrt und wackelt mit dem grauen Kopf, weil man das süße Kind geärgert hat. Meistens sind es Teresa, die Stallmagd, und Antonio, der Hausbursche, denen die Ausbrüche gelten. Beide sind lange im Hause, arbeiten unverdrossen, brauchen aber gelegentlich ein Donnerwetter; es scheint ihnen geradezu zur Verdauung zu fehlen, darum fordern sie es in gemessenen Abständen durch ein kleines Versehen oder durch Widerrede gegen einen Tadel heraus. Mimi ist ihnen gerne zu Diensten: sie schont ihre Stimme nicht, donnert mit dem rußigen Kupfergeschirr und läßt das Feuer Funken regnen. Nach furchtbarem Anrufen aller Himmelsmächte ist dann der Sklaventrotz schnell gebrochen: alles kriecht seiner Wege, Mimi steht sieghaft in der Küche, schwarzgewandet, mit fliegendem Haar, eine Medea, und schmettert Verwünschungen hinter den Fliehenden drein. Die alte Mutter macht den dumpfen Chor: »Es ist wahr, nur allzu wahr!«

Vivi war die erste der Schwestern, die den Verkehr mit mir über die rein dienstlichen Grenzen ausdehnte. Eines Abends, als sie das Essen abtragen wollte, erzählte sie mir unvermittelt, daß die engen Stöckelschuhe ihr eine wahre Qual seien. Sie hat einen lächerlich kleinen Fuß, der gar nicht zu der kurzen, dicken Wade passen will, und hob mir ihn freiwillig entgegen: hier über den Zehen spanne der Schuh unerträglich; den ganzen Tag auf den Beinen, auf den Steinböden, und die vielen Treppen hinauf und hinunter – ein Martyrium! Auch sei es gefährlich – man könne ausgleiten, und dann sei, kracks! der Knöchel ab? – Ich gab ihr den Rat, Schuhe mit niederen oder keinen Absätzen zu tragen. – Das könne sie nicht, sie komme sich unbeholfen vor, als ob sie gar keine Beine hätte, ihr Fuß sei so gebaut, hier, bitte – –

Ein schwieriger Fall, treuherziges Mädchen! Ich habe nichts als einen oberflächlichen Rat zu geben, und gerade den begehrst du nicht! Meine Einsamkeit aber mit der deinen zusammenkochen, an einem trägen Zufallsflämmchen, das gäbe ein übles Gericht! Ich bin kein Joseph, ich habe nicht meinen Mantel in begehrenden Frauenhänden gelassen – meine Seele, mein Herz und all meine Mannheit gehören der einen Frau zu eigen, die sie wohl gar nicht haben will. So kann ich nie mehr einer andern Spielgesell sein, und hätte sie deinen Polstermund, Vivi, und deine hungrigen Augen. Ein Geheimnis unter uns, Vivi: Ich bin überhaupt kein Mensch – ich bin nur eine Hautblase voll Erinnerung, mit brennender Sehnsucht darunter, und treibe im Wind, wie die Luftgondel der Montgolfier selig. Du gehst auf deinen Stöckeln so hart auf dem Steinboden – ich hänge ganz in der Luft, sehne mich nach dem Boden, wollte ihn nicht nur treten, wollte festwachsen an ihm, mich ganz verwurzeln – denke nur – und kann es nicht!

Aber Vivi hat für meine stummen Nöte nur das schielende Frauenlächeln, das kein Mann gerne sieht. Es heißt so ungefähr: »Das Leben ist gerade, und dein Verstand ist krumm. Wirf ihn weg und lebe!«

Nachts höre ich sie in ihrem Schlafzimmer, das unter meinem liegt, mit der Schwester flüstern und quietschend lachen.

Ich sitze im Dunkeln, am offenen Fenster, sehe auf Berge und Sterne. Der Nachtwind weht mir Holzrauch zu und das Rauschen ferner Bäche.

Lacht, ihr Mädchen! Ich küsse eine Lavendelblüte. –

 

Der große Betrieb kündigt sich an. Zwei Aufseher sind angekommen, die den Kohlentransport leiten sollen. Ippolito sitzt viel mit ihnen beim Wein. Auch ich wurde mehrfach geziemend aufgefordert, an den Sitzungen teilzunehmen, und tat es anfangs nur zögernd, denn die Neuen schienen mir ungeheurer Wichtigkeit voll. Sie sind es nur teilweise – wenn man ihnen gelten läßt, daß sie, Säulen des Gemeinwesens, eine klaffende Lücke ausfüllen, dann werfen sie bald das starre Feierkleid ab und werden spielfrohe Knaben.

Torquato ist ein grauhaariger Mann, klein und stämmig; Polidoro, sein Gefährte, ein dunkelblonder Leichtathlet über Mittelmaß, kaum fünfundzwanzig Jahre alt. Seine Augenbrauen sind wie Triumphbögen für manchen Liebessieg. Er hat es Vivi angetan: wenn er sich, zur Bekräftigung irgendeiner Behauptung, mit der Faust gegen die Brust schlägt, daß das Zimmer dröhnt, dann quiekt sie und tut verängstigt vor soviel Manneskraft. Dann wird der Starke zart und weich und entschuldigt sich mit Flötenstimme, weil er das Fräulein erschreckt hat. Und sie kreuzen Blicke wie Feuerzungen. Neulich kam ich eben dazu, wie sie ihm wegen der hohen Stöckel ihr Leid klagte. Er suchte durch Streichen der Wade Linderung zu schaffen. Mein Eintritt unterbrach wohl die völlige Heilung.

Torquato ist ein begeisterter Verehrer von Deutschland: er war zwei Jahre kriegsgefangen in Darmstadt, Karlsruhe, Mannheim. Er spricht es Darstàtt, Kasrù, Manáim aus. Mit leichter Kopfneigung gegen mich rühmt er immer wieder die unerhörte Sauberkeit und Ordnung. Sogar der Umsturz hat seinen Beifall: »Die Revolution – welche Ruhe – welche Ordnung! Bewundernswert! Ein gebildetes Volk, dagegen ist nichts zu sagen!«

Nun, nun, die Biene saugt aus mancherlei den Honig, nicht nur aus Blüten; so freue ich mich des Lobes, daß bei uns so bedächtig das Unterste zu oberst gekehrt wurde. »Vorsichtig stürzen!« sagen die Möbelpacker. »Hauptsache, daß die Kiste ganz bleibt – die inwendigen Scherben sieht man von außen nicht!«

Polidoro wiederum hat keinen Sinn für Außenpolitik. Er kennt nur sein Land. Wenn er Fremdes loben hört, dann bekommt er den starren Blick des Fanatikers und schwärmt von Italiens zukünftiger Größe. Torquato widerspricht ihm nicht – er schüttelt nur den grauen Kopf, schlenkert die Rechte durch die Luft und meint, der Weg sei lang und hart. Ippolito, der Wirt, gibt ihnen abwechselnd recht, damit das Gespräch im Fluß bleibe. Es geht vom Hundertsten ins Tausendste: Torquato haßt die »Amerikaner«, wie er sie nennt, die Italiener, die sich drüben Geld gemacht haben und es nun in der Heimat verzehren. Der ganze Küstenstrich, bis tief in die Berge hinein, ist von ihnen und ihren Protzenhäuschen übersät: »Es sind keine Italiener mehr,« tobt er. »Sie haben kein Herz mehr für ihr Land, nur noch einen Hintern, um auf ihrem Gelde zu sitzen. Keiner will einen Soldo wagen, um unserer Industrie zu helfen: sie haben ihre Dollars irgendwo in Sicherheit und freuen sich, wenn die Lira fällt. Hätte ich zu befehlen, dann würde ich ein großes Netz hier längs der Küste ziehen, über diese Berge – und dann mit einem Ruck die ganze Gesellschaft ins Meer! Schwimmt nach Amerika!«

Stark gedacht! Vielleicht schwer ausführbar, aber stark!

Auch Camillo habe ich nun kennengelernt, des Wirtes jüngeren Bruder. Er war einige Tage verreist, um Vieh zu kaufen. Torquato, der im vorigen Jahre schon hier war, nennt ihn »Gambalunga« – Langbein –, so hager und lang ist er. Zwischen den beiden geht ein ewiges Gehechel hin und wider, denn Camillo ist aus dem Fascio ausgetreten und war doch »Einer von 1919!« Torquato schwört, er werde nicht ruhen, bis Camillo wieder eingeschriebenes Mitglied sei; und Camillo schwört, er sei im Herzen Faschist, werde es immer bleiben, aber in die Ortsgruppe in der Stadt unten gehe er nicht mehr, es seien da gewisse Persönlichkeiten – –

»Was, Persönlichkeiten!« fährt Polidoro dazwischen. »Wir können nicht lauter Engel sein! Was ist eine Persönlichkeit, oder zwei, oder zehn, gegen Italien! Ihm müssen wir dienen!«

Doch Camillo tauscht mit dem Bruder einen lachenden Blick, und ich weiß, was sie meinen; denn Ippolito hat mir des öfteren seine markige Lebensanschauung entwickelt: Ein Wirt soll nicht politisch sein! Und überdies ist hier an der Küste der Fascio schwächer als die Popolari, die klerikale Volkspartei. – Vertraute Töne! »I sag' net ja oder na, damit's net hoaßt, i hab' ja oder na g'sagt!« So heißt es bei uns; nur sind die Eiertänzer hier in der Minderheit, bei uns aber – –

Camillo übrigens verschließt sich den Errungenschaften des Fascio keineswegs und schwärmt vor allem für die Mittel, mit denen dem neuen Arbeitsgeist das Feld bereitet wurde. »Italien,« sagt er, »ist nur deshalb so lange ein armes Land geblieben, weil die Mehrzahl der Leute faul war. Sie wollten lieber hungern als arbeiten. Da mußte der Knüppel her, man mußte ihnen einfach den Knüppel zu fressen geben! Das war wie Regen auf eine dürre Wiese – auf einmal blüht alles! Der Knüppel, oh, der Knüppel, nichts andres!«

Der Knüppel aber heißt manganello, und ich berausche mich an dem weichen Wohllaut des harten Werkzeugs. – Torquato und Polidoro lächeln, wie strenge Erzeuger, die das geliebte Kind gezüchtigt haben. Ippolito hält den Augenblick für gekommen, etwas Öl ins Feuer zu gießen: »Ah was – der Knüppel macht auch nicht alles! Das Leben macht er nicht billiger! Ihr mit eurem Knüppel!«

Torquato und Polidoro hetzen sofort lauthals auf der neuen Fährte los; Ippolito begnügt sich mit vielsagendem Kopfschütteln und dem Zischlaut, der entgegengesetzte Meinung andeutet. Camillo, den der Wein zu packen beginnt, schleudert von Zeit zu Zeit ein gebieterisches » Il manganello!« dazwischen. Ich bin hingerissen von dem Widerstreit der Meinungen, die mich nichts angehen, werde durch häufigen Zutrunk geehrt und ehre die andern. Schließlich verlassen wir das Gebiet der Politik und vereinen unsere Stimmen im Chorgesang. Polidoro und Camillo übernehmen den Tenor, wir andern drei die Bässe, und in den langgezogenen Akkorden der Berglieder scheinen uns die Stimmen nicht übel zusammenzuklingen. Mimi ist anderer Meinung. Sie erscheint in der Küchentüre und übertönt uns mühelos: »Was für Stimmen, o Gott im Himmel! Wie wilde Kühe! Wenn draußen ein Fuhrwerk vorbeifährt, werden die Pferde scheu! Wollt ihr mich böse machen?«

Nein, das wollen wir nicht. Wir lechzen nach Versöhnung. Camillo springt zu dem selbstspielenden Klavier im großen Saal und beginnt die Kurbel zu drehen. Torquato und Polidoro verneigen sich mit höchstem Anstand vor den Schwestern: »Man tanzt?« Und zu den wilden Klängen eines Negermarsches schlängeln sich die Paare dahin. Ippolito zieht mich ins Gespräch: »Schmeckt Ihnen der Wein?« – Ja, er schmeckt mir. – »Das ist Piemonteser. Den hiesigen kann man nicht trinken, der dreht einem die Leber um. Aber den roten Piemonteser mag ich, auch den Toskaner. Ich trinke für gewöhnlich zwei bis drei Liter im Tag. Wenn ich mich aber hinsetze, eigens um zu trinken – uff! Dann trinke ich viel!« Ich wage ihn nicht zu fragen, ob er sich heute eigens dazu hingesetzt hat, denn es beginnt mir schon aus den Ohren zu rauchen, und besiegt will ich mich nicht geben. Da bringt Antonio, der Hausbursche, Rettung, indem er, dem Wohlklang des Spielwerks verfallen, sich mit der Magd dem Tanze ergibt. Die Magd ist klein, hat einen langen Oberleib und lächerlich kurze Beine. Ich bin überrascht, mit wieviel Geschick sie tanzt. Antonio will zeigen, daß er etwas von der großen Welt gesehen hat, und erfindet eine neue Figur: mitten im Schieben bleibt er einen Takt lang auf einem Fuß stehen und streckt den anderen, im Kniegelenk abgebogen, in die Luft. Teresa ahmt ihm gelehrig nach. Es sieht hündisch aus.

Inzwischen aber ist die alte Mutter in die Tür getreten und verfolgt mit bösem Auge die Erlustigung des Personals. Als Camillo, vom Kurbeln erschöpft, eine kleine Pause macht, winkt die Mutter Mimi zu sich und flüstert ihr etwas zu. Und Mimi verfällt vom Fleck in Raserei, denn Teresa hat die Kühe zu melken, folglich auch die Kälber zu tränken vergessen, Antonio aber kein Holz für den Backofen hergerichtet. Die Gescholtenen rennen auseinander wie die Wanzen, Mimi hinter ihnen. Wir Männer bleiben, bedrückt und stumm. Vivi flüstert uns zu: »Mit Mimi scherzt man nicht!« und verzieht sich. Der Fiasco gibt eben noch einen kleinen Schluck für jeden her: den trinken wir einander mit stummem Augenaufschlag zu und gehen leise zu Bett.

Draußen liegt dicker Nebel, und der Regen singt.


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