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Über den Dichter der vorstehenden Poesien gibt der Übersetzer in der Zeitschrift »die Gegenwart« vom 27. Juli 1872 folgende Mitteilungen:

Der Goldgräber

Der neue amerikanische Dichter, den ich als den »Goldgräber« oder den »Kalifornier« beim deutschen Publikum eingeführt habe, heißt Francis Bret Harte, ist gegenwärtig ein Mann in der Mitte der Dreißiger, und lebt (oder lebte wenigstens bis vor kurzem noch) als Herausgeber der Zeitschrift » Overland Monthly« zu San Franzisko. Gleich vielen seiner Landsleute, die es in der Literatur oder in der Politik zu etwas gebracht haben, ist er aus engen und bescheidenen Verhältnissen hervorgegangen, und hat das Ziel, an welchem wir ihn jetzt angelangt sehen: eine Popularität, die von den Gestaden des Stillen Meeres bis zu den englischen Ufern der Nordsee reicht, nur auf Umwegen und unter Hindernissen gewonnen. Auf Umwegen und unter Hindernissen freilich, welche der Eigenartigkeit seines Talents nicht ungünstig gewesen sind, oder richtiger: welche diese Eigenartigkeit erst zur Erscheinung und zur Reife gebracht haben.

Geburtsort Bret Hartes ist Albany im Staate New-York. Dort lebte sein Vater als armer Mädchenlehrer: dort, nach des Vaters frühem Tode, empfing er den gewöhnlichen Unterricht einer Elementarschule, war darauf kurze Zeit Gehilfe in einem New-Yorker Warenmagazin, und wandte sich endlich, im Alter von siebzehn Jahren, mit seiner verwitweten Mutter westwärts – nach Kalifornien.

Hier, nachdem er es zuerst, wie sein verstorbener Vater, mit dem Unterrichtgeben versucht hatte, mag er denn auch eine Zeitlang »Goldgräber« gewesen sein. Aber ohne besonderes Glück, wie es scheint; denn wir finden ihn bald darauf in seinem eigentlichen Berufe – dem des Schriftstellers, mit dem er freilich fürs erste noch den des Schriftsetzers verbinden mußte. Er gab in der Ansiedlung, in welcher er sich eben befand, eine politische Wochenschrift heraus – Redakteur, Artikelschreiber, Setzer, Drucker, alles in einer Person. Und mitten im Walde. Die reizende Beschreibung, die er in einer seiner späteren Skizzen von den ursprünglichen Zuständen einer solchen Wald- und Wildnis-Journalistik gibt, beruht sicher auf persönlichen Erinnerungen. Da sehen wir den »unternehmenden Herausgeber« des »Sierra Flat Record«, wie er, seinen Leitartikel für die nächste Wochennummer eigenhändig setzend, emsig am Setzkasten steht, dabei aber nicht umhin kam, nach den Spechten hinzuhorchen, die auf dem Borkendache seiner Redaktionsbude herumhämmern. Eine Betrachtung über die Vögel wird sofort noch in den Artikel eingeschaltet. Da fliegt plötzlich durch die offene Tür eine Manuskriptrolle – Gedichte, wie er nachher zu seinem Schrecken finden muß. Er eilt rasch hinaus, entdeckt aber keine Spur seines geheimnisvollen Mitarbeiters. Nur ein Hase hüpft langsam davon, eine grüngoldne Eidechse sonnt sich auf einem Tannenstumpf, die Spechte hören auf zu hämmern. Die Waldeinsamkeit ist so vollkommen, daß er sich nicht denken kann, das Manuskript sei ihm aus Menschenhand an den Kopf geflogen. Eher, scheint es ihm, macht der Hase ein unsagbar schuldbewußtes Gesicht, beobachten die Spechte ein bedeutsames Schweigen, und ist die Eidechse, von Gewissensbissen gepeinigt, zu Stein geworden.

So, in seinen Waldgründen, schreibt er Zeitung, und träumt er Märchen. Aber nicht bloß den Spechten und Eidechsen sieht er in die klugen Augen: auch den Menschen, die ihn umgeben, sieht er in die Augen und in die Herzen. Der schüchterne Poet, der ihm die Manuskriptrolle zuwirft (und der in Wirklichkeit eine Poetin in Mannskleidern ist); der wilde waghalsige Abenteurer mit der Hacke in der Hand und dem Revolver im Gürtel; der »ärgste Vagabund des Lagers« mit dem Gesicht und der Lockenfülle eines Raphael; der leidenschaftliche Hazardspieler, der »so melancholisch aussieht, wie Hamlet«; das tapfere Weib, das sich vor der Welt verschließt, um den paralytisch gewordenen Geliebten jahraus jahrein in der Waldhütte zu pflegen; die Prostituierte, die ihr Kind der jungen Lehrerin bringt, damit es in reinerer Umgebung aufwachse, als die ihrige; die arme Tscherokesin, die dem »Glück von Roaring Camp« das Leben schenkt, und selbst dabei das Leben verliert; die Eingeschneite zweideutigen Rufs, die sich ganz im stillen zu Tode hungert, damit nur ihre Rationen dem jungen Mädchen zugutkommen, das ihr im Schneesturm der Sierra zufällige Schicksalsgefährtin geworden ist: – Keiner und keine ist ihm fremd, er kennt sie alle, er hat für alle einen Gruß, ein Lachen, eine Träne, ein Wort der Güte, ein Wort des Erbarmens, – ein Herz! Er tritt an die Wiegen und an die Gräber, er durchwandert die Tunnels und setzt sich an die Lagerfeuer, er ist zu Haus im Schulzimmer und in der Spielhölle; er ist ganz und gar ein Bürger der wunderbaren kleinen Welt, welche die auri sacra fames unter den Schneegipfeln und den Riesentannen des fernen Landes zusammengeführt hat. Und auch die Schneegipfel und die Riesentannen sind ihm lieb und vertraut; zu ihnen und zu den ewigen Sternen, die tröstlichen Glanzes über sie hinziehen, blickt er fest und klar empor aus allem Wirrsal und aller Unruhe des ihn umgebenden Menschengeschicks.

Dabei, wenn ich mich nicht sehr täusche, hat er denn auch, allen Schwierigkeiten einer äußeren Lage zum Trotz, mancherlei Studien obgelegen. Seine Schriften lassen ein reiches, vielseitiges Wissen durchblicken, besonders eine intime Bekanntschaft mit der zeitgenössischen englischen und amerikanischen Literatur. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß er manche stille Stunde gewissenhaft dazu angewandt hat, vieles, was der Gang seines Lebens und seiner Bildung ihn früher versäumen ließ, nach bestem Vermögen nachzuholen.

Und so nun, reich an Erfahrungen und Kenntnissen, verläßt er zuletzt die Minendistrikte und schreitet hinab zu den Küsten des Stillen Ozeans. Er sieht hinaus auf den weiten Wasserspiegel, über den China Jahr für Jahr Tausende seiner Söhne in das händebedürftige Kalifornien herüberschickt; er besucht die alten Pflanzstätten und Missionen der Spanier; er läßt sich in San Franzisko nieder, und hier, nach der Reihe an der Herausgabe der Blätter » The Golden Era«, » The Californian« und » Overland Monthly« sich beteiligend, übliche Abkürzung von Post-Office (Postamt). entwickelt er fortan jene staunenswerte Produktivität, die seinen Namen im Umsehen zu einem der gekanntesten und beliebtesten in der Literatur der Vereinigten Staaten gemacht hat. Skizzen, Erzählungen, Gedichte entströmen in rascher Folge seiner Feder: frische, lebensprühende, bald durch kecken Humor unwiderstehlich hinreißende, bald durch schlichtes Pathos tief ergreifende Schöpfungen. Seelengemälde von überraschender Feinheit und Schärfe, Charakterbilder, wie nur ein Dichter, ein echter rechter Dichter sie zu entwerfen im Stande ist.

Mein Lob (wie immer, wenn mich etwas »packt«, um mit meinem alten Meister Chamisso zu reden) klingt vielleicht überschwänglich. Ich muß es also wohl, um nicht der Kritiklosigkeit beschuldigt zu werden, ein wenig modifizieren, und gebe darum willig zu, daß, wenn wir strengere Maßstäbe anlegen, nicht alles, was Bret Harte geschrieben, als Kunstwerk Probe hält. Sein Realismus, immer herzhaft und derb, wird zuweilen unschön; der kalifornische Klang und die abgerissene Sprechweise in einigen seiner Gedichte machen ihn manchmal dunkel und »nicht jedwedem genießbar«; zuletzt sei noch zugestanden, daß, wie eigentümlich auch in der Wahl seiner Stoffe und in der Behandlung derselben, er dennoch, besonders in bezug auf die Form, fremde Einwirkungen keineswegs immer verleugnet. Es läßt sich unschwer nachweisen, wo Thackeray, wo Dickens, wo Longfellow, wo Winthrop M. Praed u.a. ihm als Muster vorgeschwebt haben.

Aber er bleibt darum dennoch, der er ist! Der »Kalifornier« und der »Goldgräber«. Das Gold aber, nach dem er gegraben, und das er gefunden hat, ist nicht das Gold in den Rinnsalen der Flüsse, nicht das Gold in den Schachten der Berge: es ist das Gold der Liebe, der Güte, der Treue, der Menschlichkeit, das selbst in harten und wilden Herzen, das selbst unter dem Schutt von Laster und Sünde ewig unvertilgbar in der Menschenbrust ruht. Daß er dort nach ihm geforscht, daß er es dort gefunden und der Welt triumphierend gezeigt hat, das ist seine Größe und sein Verdienst. Das ist's, was ihm die Herzen zugeführt hat, soweit die Sprache Shakespeares, Miltons und Byrons gesprochen wird. Und das ist's auch, was mich, den alten deutschen Poeten, noch zum Übersetzer des jungen amerikanischen Kollegen gemacht hat, und mich ihm heute, warm und herzlich, die Hand übers Meer hinüberreichen läßt. Glück auf, Francis Bret Harte! Glück auf, Goldgräber!


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