Karl Emil Franzos
Moschko von Parma
Karl Emil Franzos

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Zwölftes Kapitel

Es werden heulen alle Geschlechter und mit den Zähnen klappern, und es wird Jammer und Furcht sein unter den Menschenkindern. So wird uns vom Tage des Weltgerichts verkündet, aber wer es erfüllt sehen will, braucht nicht zu warten, bis die Festen der Erde wanken und die Gewölbe des Himmels bersten. Denn dieselbe Erscheinung läßt sich in Barnow beobachten, alljährlich im April, wenn der Tag der Assentierung herannaht. Und jedes Anzeichen dieses Nahens mehrt den Jammer und die Herzensnot.

Da ist zuerst die Vorladung zur Losung, dann die Losung selbst. Schon sie bringt zwar nicht das Schicksal, aber doch eine Vorentscheidung, und darum wird ihr Ergebnis mit fieberhafter Spannung erwartet und hier mit wildem Jubel, dort mit banger Trauer aufgenommen. Das gilt natürlich von all den Jünglingen und ihren Verwandten, ohne Unterschied der Rasse oder Religion: Nathan und Hritzko bejammern ein niedriges, bejubeln ein hohes Los, weil die Selbstliebe in jeder Menschenbrust wacht. Aber wie sich nun dieser Jubel und Jammer kundtun und austoben, darin erweist sich der ungeheuere Unterschied der beiden Völker, die seit Jahrhunderten unvermischt in derselben Landschaft nebeneinander wohnen.

Der Ruthene zieht jedenfalls zur Schenke und zecht sich einen Rausch an, gleichviel zu welchem Zwecke: die Verzweiflung zu lindern oder die Freude zu erhöhen. Erst in der Frühe des nächsten Tages wanken die jungen Bauernsöhne mit ihren Sippen ernüchtert in ihr Dorf zurück. Wer ein hohes Los gezogen, ist nun aller Sorgen bar, wem ein niedriges zugefallen, sieht mit stumpfer Ergebung der Zukunft entgegen. Nach dem Losungstage wird in den Dörfern mehr Schnaps getrunken als 113 sonst, aber es findet keine Flucht mehr statt, keine Verstümmelung. Das Schicksal hat gesprochen; es schiene ihnen sündhaft und töricht, sich gegen seine Entscheidung zu mühen.

Anders die Juden. Auch sie alle haben nach der Losung, wie immer der Zufall dabei gespielt, ein gemeinsames Ziel, aber es ist nicht das Wirtshaus, sondern die Betschul. Der Glückliche muß Gott danken, der Bedrohte nur noch heißer und inniger um seine Hilfe flehen. Man könnte glauben, daß dieses feste Vertrauen in die Gnade des Allmächtigen die Zuversicht erhöhen, die Angst verringern, den bewegten Gemütern Ruhe bringen müsse. Aber diesem Volke ist die Tatkraft eingeboren; kein Zug ist seiner Seele fremder als jene stumpfe Ergebung des Slawen. Und wenn der Jüngling auch das höchste Los heimgebracht, er und seine Familie hören doch nicht auf, sich zu mühen, um die Gefahr zu wenden, welche ihnen nun einmal, nach ihrer gegenwärtigen Anschauung, diesem traurigen Produkt äußeren Drucks und inneren Wahns, als die furchtbarste erscheinen muß. Die irdischen Mittel sind bereits vor der Losung erschöpft, nun werden die himmlischen ins Treffen geführt. Die Eltern verpflichten sich zu milden Stiftungen, bezahlen die Steuer für dürftige Familienväter oder statten Bräute aus. Allerdings geschieht Ähnliches während des ganzen Jahres; es ist ein warmherziges Erbarmen, eine werktätige Menschenliebe in diesem Volke; aber in keiner Zeit fließen die milden Gaben so reichlich als zwischen dem Tage der Losung und jenem der Rekrutierung. Daneben wird auch ein Mittel angewandt, welches sowohl himmlische als irdische Zwecke erfüllt. Die jungen Leute fasten jeden zweiten Tag oder enthalten sich doch des Genusses von Fleisch und Wein. Denn diese Buße ist Gott wohlgefällig und scheucht zugleich das Rot der Gesundheit von den Wangen.

Unser Moschko fastete nicht wie seine Glaubensgenossen, noch trank er Schnaps wie die Bauernsöhne. Die Assentierung machte ihm, wissen wir schon, sehr geringe Sorge, weil ihm auf der Seele viel schwerere Lasten lagen. Sein neuer Herr, Simeon Grypko, der Vetter des Wassilj, welcher früher Lohnfuhrmann gewesen, verstand vom Schmiedehandwerk nur soviel, daß ein Jude nicht dazu tauge, und behandelte ihn demgemäß. 114 Vergeblich suchte sich der Geselle dadurch seine Gunst und das fernere Verbleiben zu erwerben, daß er mit schier übermenschlicher Kraft vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein die schwerste Arbeit verrichtete; vergeblich blieb auch die Fürsprache des ehrlichen Hawrilo. »Wie könnte ich«, erwiderte Simeon, »mich so an Gott versündigen? Er hat mich soeben reich mit seiner Gunst begnadet, indem er den alten Wassilj sterben und mir die Erbschaft zufallen ließ. Und dafür sollte ich ihm nur den Dank wissen, daß ich einen der Leute in meinem Hause dulde, welche ihn ans Kreuz geschlagen haben?« Dabei blieb er, und so mußte sich Moschko, indes er den Hammer niedersausen ließ, immer wieder fragen: Was soll nun aus mir werden? Aber auch dies war seine schlimmste Sorge nicht, sondern der Gedanke an die arme Kasia. Je länger er darüber grübelte, desto trostloser ward ihm zumute. Nun bist du ein Schurke geworden, trotz deiner Ehrlichkeit! sagte er sich zähneknirschend und biß sich die Lippen wund, daß das Blut hervorquoll, weil es ihm eine Erleichterung war, sich selbst durch körperlichen Schmerz zu züchtigen. Wenn ein anderer ein Mädchen in Schande bringt, so kann er ihm die Ehre wiedergeben, du, Schurke, kannst es nicht! Denn an eine Ehe dachte er keinen Augenblick: noch immer lag ihm der Gedanke, Christ zu werden, so ferne, daß es ihm eher beigefallen wäre, plötzlich auf den Händen umherzugehen. Auch Kasia dachte nie daran, aber so bittere Tränen sie über die unausbleibliche Schmach weinte, dem Geliebten machte sie keine Vorwürfe, im Gegenteil! sie bemitleidete ihn. »Du Armer!« schluchzte sie. »Ich darf mich wenigstens zu meinem Kinde bekennen, es liebhaben und zu einem braven Menschen machen! Du darfst es nicht! Es wird ja nie erfahren dürfen, daß du sein Vater bist.« Sie war nur eine einfältige Magd und er ein armer Handwerksbursche, aber wie dieser Gedanke in beider Herzen wühlte, kann doch kein Menschenwort sagen . . . Wie hätte Moschko da an die Assentierung denken sollen?

Er wurde erst wieder daran erinnert, als sein Vater eines Vormittags atemlos zur Schmiede gelaufen kam. »Moschko!« rief er stammelnd in den dämmerigen Raum hinein, »sie kehren schon!«

115 Der junge Riese trat vor die Türe. »Was kehren sie, Vater?« fragte er gleichmütig.

»Du fragst noch?« rief Abraham verzweifelt. »Er fragt noch, was man kehrt!« wiederholte er klagend und blickte zum Himmel empor, als wollte er diesen zum Zeugen der betrüblichen Tatsache anrufen. »Die Reitschul kehrt man, den Assentplatz! Weißt du nicht, was das bedeutet?«

Moschko wußte es. Es war dies das dritte Zeichen, welches das Nahen der Kommission verkündete, und pflegte darum den Geschäftsgang der Dorfschenken und den Wohltätigkeitssinn im Städtchen erheblich zu steigern. Aber der Jüngling verlor seine Ruhe nicht. »Ja«, erwiderte er, »in drei Tagen kommt die Kommission. Aber was soll ich tun? Soll ich kehren helfen?!«

»Sohn!« rief der Greis jammernd und hob die Hände flehend zu ihm empor. »Mach dir keinen Spaß mit diesen Sachen! Trotze nicht deshalb gegen Gott, weil du ein hohes Los hast! Komm heim und verbringe wenigstens die drei Tage zu Hause und in der Betschul, wie die anderen!«

Moschko verspürte keinen Drang zum Fasten. Gleichwohl mochte er den Vater nicht betrüben. »Es geht nicht«, sagte er sanft. »Ich kann nicht meine Arbeit liegen- und stehenlassen.«

Mit diesem Bescheide mußte Abraham sich zufriedengeben. Betrübt ging er heim. »Er denkt nicht an Gott!« klagte er seinem Weibe. Aber da irrte er; der junge Schmied betete in diesem Augenblick so inbrünstig wie noch selten. Es war freilich ein seltsames Gebet. Gott im Himmel! dachte er, während er eine mächtige Stange formte, daß die Funken stoben, ich weiß nicht, ob du in meiner Schuld stehst oder ich in der deinen! Aber wie immer dies sei, errette mich vor dem Soldatenrock! Du wirst ja einsehen, daß ich nun bei meinem Handwerk bleiben und Geld erwerben und der Kasia helfen muß, unser Kind zu ernähren. Bedenke, was ohnehin schon über mich gekommen ist, oder wenn es anders zwischen uns steht, wenn ich schwere Sünden begangen habe, so strafe mich in anderer Art! Du wirst diese Bitte erhören, Gott im Himmel, du mußt sie erhören, denn wenn ich kein Erbarmen verdiene, so denke doch an das arme Kind!

Es war vielleicht ein sehr sündhaftes Gebet, vielleicht auch eines der frömmsten, die je auf Erden gestammelt worden sind. 116 Aber wie dem auch sein mag, es kam aus tiefstem Herzensgrunde und erleichterte dem Beter das Herz. Er wendete nun die Gedanken wieder seinen anderen Sorgen zu; die Assentierung bekümmerte ihn nicht mehr.

So verbrachte er denn auch die beiden nächsten Tage ruhig in der Schmiede; einer der wenigen Menschen in Barnow und Umgebung, welche auf die Zeichen der nahenden Gefahr nicht weiter achteten. Am vierzehnten April umstanden die Leute die gedeckte Reitschule und sahen zu, wie der verwahrloste Raum von den Gefangenen des Dominialgerichts reingefegt wurde. Im Inneren waren nur Staubwolken zu sehen und, wenn diese sich verzogen, einige zerlumpte Kerle mit Besen in den Händen, gleichwohl standen die Bewohner von Barnow andächtig im Kreise, und alle Schauer der Angst und Erwartung gingen ihnen durch die Seele. Und noch stärker rüttelten sie die Schauer am nächsten Tage, obwohl auch dieser kein sonderlich interessantes Schauspiel brachte: da umstanden sie das Gasthaus des Moses Freudenthal und sahen zu, wie die Fremdenzimmer für die Kommission instand gesetzt wurden. »Das ist die Matratze für den Herrn Major!« flüsterten die Eingeweihten, und das Wort ging von Mund zu Mund, und alle sahen mit gespannter Aufmerksamkeit zu, wie die Matratze geklopft wurde. Am sechzehnten April konnte die Schaulust schon reichere Befriedigung finden; da fuhr auf zwei Leiterwagen das Dutzend Soldaten vom Regimente Parma ein, welche den Dienst bei der Assentierung zu besorgen hatten. Flüsternd teilten sich die Zuschauer den Eindruck mit, den ihnen die bewaffnete Macht machte, insbesondere war der martialische Schnurrbart des Führers, eines Feldwebels, Gegenstand eifriger Erörterung. Obwohl dieser Schnurrbart sehr imponierend aufgedreht war, ließ sich der Träger desselben doch herbei, am Abend in der Schenkstube des David Brennteufel all den Moldauer zu trinken, mit dem ihn einige Hausväter der Stadt regalierten, und dabei seine Ansichten über die Kommission zu offenbaren. »Es wird furchtbar streng zugehen, ihr Juden«, versicherte er, »denn der Herr Major hat die Gicht, und der Kreisphysikus, der verdammte Zivilist, ist so einfältig, kein Geld zu nehmen. Wir werden rekrutieren, was stehen und gehen kann!« Die anwesenden Jünglinge setzten sich 117 sofort, nicht bloß, um dem Feldwebel zu beweisen, daß sie nicht stehen konnten, sondern weil sie der Schrecken auf einen Sitz niederzwang. »Ja!« fuhr der Feldwebel fort, »der Kaiser braucht Soldaten, denn es wird bald Krieg geben, und was für einen Krieg!« – »Krieg!« klang es rings von bleichen Lippen wider; nur Türkischgelb, der Marschallik, behielt seine Fassung und meinte: »Zahlet ihm noch eine Flasche Moldauer, und es wird keinen Krieg geben!« In der Tat erwies sich dieses Mittel zur Herstellung des europäischen Friedens als probat; der Feldwebel äußerte sich weniger blutgierig und gab nach einer Weile sogar zu: »Nun, ihr Juden, vielleicht verträgt sich der Kaiser diesmal noch mit seinen Nachbarn, obwohl ich ihm nicht dazu raten könnte.« Aber keine der folgenden Flaschen vermochte auch die Gicht des Majors oder die Ehrlichkeit des Physikus hinwegzuspülen, das schien leider Wahrheit und war es auch.

Davon konnten sich die Leute am Nachmittage des siebzehnten April überzeugen, als endlich jene drei schweren, plumpen Mietkutschen dahergehumpelt kamen, welche die hohe Kommission von Tluste nach Barnow beförderten. Aus der ersten stieg der Major; der alte, verwitterte Kriegsmann mußte sich wirklich auf den Arm des Hauptmanns stützen, und der Schmerz im Kniegelenk entlockte ihm einen halblauten Fluch. Oh, wie dieser Fluch allen Umstehenden in die Beine fuhr, daß auch sie zu wanken begannen, als hätte das Podagra sie insgesamt mit Blitzesschnelle ergriffen! Der zweite Wagen barg den Physikus und den Kreiskommissär, und obwohl die Ehrlichkeit in einem Antlitz unmöglich so deutlich zu erkennen ist wie die Gicht an einem Fuße, so gewahrten die Leute doch an der verachtungsvollen Art, mit welcher der Arzt den demütigen Gruß des Beer Blitzer abwehrte, daß der Feldwebel auch hierin wahr geblieben. Einigen Trost bot ihnen nur die Verlegenheit, mit welcher der Regimentsarzt im dritten Wagen denselben Gruß aufnahm. Noch viel befangener war der junge, blasse Leutnant an seiner Seite. Der arme Junge! Der Versucher war in dem Augenblicke an ihn herangetreten, als er die Pistole geladen, um sich das Hirn zu zerschmettern. Mit den fünfhundert Gulden, welche ihm der Faktor auf den Tisch gezählt, konnte er seine Ehrenschuld begleichen und war aller Not enthoben. 118 Gleichwohl wollte es ihm in jenem Momente scheinen, als wäre es besser gewesen, die Pistole loszudrücken . . .

Die Physiognomien der sechs Herren und die Art, wie sie den Gruß des wackeren Blitzer aufgenommen, wurden nun für den Rest des Tages zu einem unerschöpflichen Gesprächsstoff, der von Stunde zu Stunde bänger und leidenschaftlicher diskutiert wurde. Auch Moschko entging diesen wichtigen Neuigkeiten nicht, als er am Abend aus der Schmiede heimkehrte. »Was geht's mich an?« erwiderte er gleichmütig, so daß die Leute ihn verwundert anstarrten oder die Achseln zuckten. »Er ist eben kein jüdisch Kind«, meinten sie, »wenigstens keines, wie es sein soll, und hätt gar nicht das große Glück verdient, ein so hohes Los zu ziehen.« Ruhig ging er durch die engen Gäßchen und besah sich das rege Treiben, als wäre er ein völlig unbeteiligter Zuschauer. Aus jedem der Häuser klang heftiges Reden oder Schluchzen, dazwischen das feierliche Rezitieren der Psalmen, dieser wundersamen Dichtungen, zu welchen der Jude stets seine Zuflucht nimmt, wenn sein Empfinden zu stark wird, um ihm eigenen Ausdruck zu leihen, mag ihn nun Leid oder Freude bewegen. Die ärmste Stube, aus welcher einer der Bewohner der Gefahr entgegengehen mußte, war heute hell erleuchtet wie sonst nur am Freitagabend; überall durchwachten die Mitglieder der Familie die Nacht mit dem Bedrohten. Auch die Bauernsöhne aus den umliegenden Dörfern hatten bereits mit sinkender Sonne, unter Führung ihrer Richter und Ältesten und von all ihren Lieben geleitet, ihren Einzug gehalten, auch sie schickten sich an, in und vor den Schenken die Nacht zu durchwachen, und verübten desto wilderen Lärm und Skandal, je bänger ihr Herz war. So widerhallte das Städtchen an allen Ecken und Enden von tausend wirren Stimmen.

Während Moschko so dahinschritt durch all das Drängen wildbewegter Menschen, ward ihm selbst die eigene Ruhe fast unheimlich. Ich möchte Gott fragen, tauchte wieder jener Gedanke in ihm auf, den er seit Jahren nicht abschütteln konnte, warum ich anders bin als die übrigen Menschen! Warum drängt es mich nicht, zu beten oder in der Schenke lustig zu sein? Freilich, ich bin ja nicht in Gefahr. Aber auch andere haben hohe Lose gezogen und verbringen die Nacht dennoch in Gebet oder 119 Lustbarkeit. Und ich? In mir rührt sich nichts, als wäre mein Herz aus Stein!

Aber dieselbe Nacht sollte ihn belehren, daß sein Herz keineswegs steinern war, sondern im Gegenteil viel weicher und leidenschaftlicher als ihm zuträglich. Dafür sorgten zwei Begegnungen, die er kurz nacheinander hatte. Als er zur Schenke des David Brennteufel kam, wo sich die Leute von Korowla unter Führung des alten Jacek Hlina gelagert, gewahrte er unter den Dirnen auch seine Kasia. Die anderen waren gekommen, um mit ihren Brüdern oder Verlobten noch einmal fröhlich zu sein, ehe ihr Schicksal sich erfüllte; die arme Magd hatte sich irgendeinen schlauen Anlaß ausgeklügelt, in die Stadt mitgenommen zu werden. Dem jungen Gesellen begann das Herz stürmisch zu klopfen, als er sie erkannte; dieser stille Beweis ihrer treuen Liebe und Sorge rührte ihn tief. »O du Gute! du Arme! du Treue!« murmelte er vor sich hin. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt, und hart kämpfte er mit sich selbst, ob er sie ansprechen solle oder nicht. Endlich siegte doch die Sehnsucht, mindestens einen warmen Blick, ein Wort mit ihr zu tauschen, und er trat auf die Gruppe zu, in der sie stand. »Guten Abend, ihr Mädchen«, sagte er und zwang sich zum Scherz, »wollt ihr euch morgen rekrutieren lassen?«

»Nein, Jüdchen«, riefen sie kichernd. »Da kämen wir ja mit dir in ein Regiment!« Die Kasia aber sagte: »Achtet nicht auf ihn! Da strolcht er herum wie ein Heide und hat doch auch einen Gott, zu dem er beten könnte!«

»Was liegt daran, ob sie ihn nehmen oder nicht!« riefen die anderen. »He, Jud, möchtest du gern das Gewehr tragen?«

Moschko blieb die Antwort darauf schuldig; bang suchte er dem Blick der Kasia zu begegnen, um zu erkennen, ob sie ihm ernstlich einen Vorwurf gemacht.

Es schien wirklich so. Denn als ihre Freundinnen fortfuhren, ihn zu hänseln, wiederholte sie: »Laßt ihn gehen! Er ist ein leichtsinniger Mensch! Ich kenne zufällig das jüdische Mädchen, dessen Geliebter er ist; die Arme hat sich in den letzten Tagen die Augen aus dem Kopfe geweint, weil sie so sehr um ihn bangt, er aber geht da fröhlich herum und neckt fremde Dirnen!«

Darauf wußte er keine Antwort zu geben und ging hastig 120 weiter. »Sie hat wirklich verweinte Augen!« murmelte er betrübt.

Während er so ziellos durch das Gewühle drängte, legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter. »Halt, Mosche!« Der Jüngling blickte auf. Es war Luiser Wonnenblum, der Gemeindeschreiber. »Du hast ja Zeit?« fragte der mächtige Mann herablassend. »Ich habe dir ein Geschäft vorzuschlagen . . .«

»Ein Geschäft?« fragte Moschko erstaunt.

»Ja! ein gutes Geschäft, es sind dreihundert Gulden dabei zu verdienen. Dreihundert Gulden!« wiederholte er langsam und gewichtig. »Du kennst Chaim den Bäcker? Sein Sohn Ruben soll morgen zur Assentierung. Er hat eines von den mittleren Losen gezogen, und darauf hat sich der Alte verlassen und mit Beer Faktor nicht abgeschlossen. Jetzt ist es zu spät; der Regimentsarzt hat gesagt, wenn er noch mehr Bestechung annimmt, so kann es auffällig werden. Auch ich habe dem Geizhals, der nun verzweifelt ist, keinen anderen Rat gewußt, als einen Ersatzmann zu kaufen. Nun bist du freilich auch unter den Pflichtigen, wirst aber wahrscheinlich gar nicht vorgerufen werden. Willst du dich morgen als Ersatzmann für Ruben abstellen lassen? Einem anderen würde ich es nicht vorschlagen, aber du hast ja schon vor sieben Jahren Sellner werden wollen! Nun kannst du den Rock anziehen, den du dir damals so sehr gewünscht hast, und außerdem füttert man ihn dir warm aus: dreihundert Gulden sind viel Geld! Du kannst damit deine Eltern versorgen und obendrein selbst das lustigste Leben führen. Also, überleg nicht lang und komm mit!«

Moschko stand starr vor Staunen, dann aber begannen ihm die widersprechendsten Gedanken im Hirn zu wirbeln. Das war allerdings für seine Verhältnisse ein Vermögen, und wenn er das Opfer brachte, dann war seine Schuld an der Geliebten so weit gesühnt, als dies überhaupt möglich: sie konnte mit dem Gelde in ein entferntes Dorf ziehen, dort ihre schwere Stunde überstehen, das Kind bei verläßlichen Leuten unterbringen und wieder nach Korowla zurückkehren, ohne daß jemand etwas von ihrer Schande ahnte. Aber durfte er das Opfer bringen, war es nicht eine Versündigung an sich selbst? Nicht die Frömmigkeit, wohl aber die Vernunft ließ ihn jetzt den bunten Rock 121 verabscheuen. Und durfte er seinen Eltern die schwerste Kränkung zufügen, welche ein Sohn ihnen, nach den Begriffen dieser Menschen, bereiten kann? Luiser hatte geheuchelt, als er ihn durch den Gedanken an ihre Versorgung zu ködern gesucht; er wußte ja so gut wie Moschko, daß Abraham Veilchenduft lieber Hungers sterben als einen Heller von dem Sündengelde annehmen würde, um welches sich sein Sohn zum Verächter der göttlichen Gebote gemacht! . . .

»Nun?« drängte Luiser, »du wirst doch kein Tor sein und dein Glück von dir weisen?«

»Gebt mir Bedenkzeit!« rief Moschko fliegenden Atems.

»Ich kann nicht. Komm mit, oder ich sehe mich nach einem Bauer um.« Der Mann wußte wohl, daß dies ein schwer Stück Arbeit sein würde, weil er ja einen Pflichtigen mit geringerer Losnummer nicht brauchen konnte. Und darum hielt er es für klug, fortzufahren: »Übrigens, weil du es bist, du triffst mich binnen einer Stunde bei Chaim dem Bäcker! Aber berate dich doch nicht etwa vorher mit deinem Vater! Der Mann ist alt und kennt die Welt nicht mehr!«

»Nein!« beteuerte Moschko, »meinem Vater sag ich keine Silbe.« Er riß sich los und verschwand im Gedränge. Es war ihm ernst um dieses Versprechen, denn so rasch, als ihn die Füße tragen konnten, eilte er zur Schenke zurück, wo er die Kasia wußte. Der Zufall war ihm günstig; sie hatte sich von ihren Gefährtinnen getrennt und stand abseit, in trübes Sinnen versunken. Der Jüngling strich hastig an ihr vorbei. »Komm mit – zum Flusse!« flüsterte er ihr zu und verschwand in einem engen Seitengäßchen, welches zum Sered führte.

Nach einer Minute stand sie an seiner Seite. »Was sind das für Streiche!« flüsterte sie zornig. »Wenn uns jemand nachkäme!«

»Ich mußte es tun«, entschuldigte er sich und erzählte ihr atemlos, in wirren Worten, den Antrag des Luiser und warum er ihn annehmen wolle.

»Du tust es nicht!« schrie sie auf und umfaßte seine Hand. »Du Tor, willst du mich ganz zugrunde richten? Meinst du, ich könnte das Leben ertragen, wenn sie dich etwa im Kriege totschießen würden und ich mir sagen müßte: Um meinetwillen hat er's getan! Und wenn auch dies nicht wäre, meinst du, ich 122 ließe unser Kind aus schmählicher Feigheit unter fremden Leuten verderben? Geh und sage dem Verführer, daß er sich einen anderen suchen mag!«

»Kasia!« rief er, »du bist so gut – so gut –«

»Nein«, erwiderte sie, »ich war schlecht und will nur nicht noch schlechter werden. Ich will nicht, um meine Sünde zu verbergen, noch schwerere Sünden auf mich laden! – Geh!«fuhr sie fort und umfaßte ihn, »und möge dich Jesus Christ morgen beschützen!«

Er zuckte zusammen. »Kasia . . .«, flüsterte er scheu.

»Ich kann ja nicht anders!« schluchzte sie. »Ich weiß nichts von deinem Gott! . . . Das kann ja keine Sünde sein! . . . Und vielleicht erbarmt sich auch dein Gott über uns beide!«

Sie wand sich aus seinen Armen und eilte zu ihren Gefährtinnen zurück. Er aber blieb noch eine Weile schwer atmend in der Dunkelheit stehen und begab sich dann raschen Schrittes zum Hause des Bäckers.

Schon von ferne scholl ihm aus den geöffneten Fenstern lautes Schluchzen entgegen. Dazwischen hörte er die tröstende Stimme Luisers. »Der leichtsinnige Bursche wird's ja tun«, versicherte der würdige Mann, »ich habe ihn so schlau zu überreden gewußt . . .«

»Es hat Euch doch nichts genützt«, rief Moschko, ans Fenster tretend. »Vielleicht nimmt ein anderer eine solche Sünde an seinen Eltern auf sich!«

»Ich will für deinen Vater sorgen«, rief der alte Bäcker flehend. »Ich will ihm monatlich fünf Gulden geben oder sechs Gulden oder sieben . . .«

Aber der Jüngling hörte es nicht mehr; erleichtert schritt er von dannen, seiner Schlafstätte zu. Niemals will ich es der Kasia vergessen, schwor er sich zu, niemals!

Auch das Stübchen seiner Eltern war noch hell erleuchtet; die beiden alten Leute waren über dem Psalmenbuche eingenickt. Als Moschko eintrat, fuhren sie empor und begannen zu schelten. »Ist das eine Nacht, wo man herumstreicht?!« riefen sie. »Fahre nur fort, Gott zu trotzen, er kann dir morgen noch seine Macht weisen, obwohl du das hohe Los hast!« Dann aber befahlen sie: »Nun setz dich und sage Psalmen!«

123 Gehorsam hockte er auf einen Schemel hin, schlug den Psalter auf und begann halblaut: »Wohl dem, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen . . .«

»Ja! wohl dem!« unterbrach ihn der Vater. »Aber wehe dem, der die Nacht vor der Assentierung in der Schenke verbringt . . .«

Dann aber ließ er ihn ungestört weiterlesen, und das greise Paar nickte eifrig, bis ihnen das Haupt immer müder wurde und endlich auf die Brust herabsank. Moschko las tapfer fort; die schönen, kräftigen Worte taten seiner Seele wohl. Aber immer schwerer hoben sich seine Lider, und endlich schlief auch er ein.

Er erwachte erst, als bereits der helle Morgen in die Fenster schien. Das Johlen der Bursche, welche zum Assentplatze zogen, hatte ihn aufgeschreckt. Aus hundert rauhen Kehlen klang das Lied:

»Mutter, laß das Grämen,
Liebchen, laß das Schämen,
Liebchen, laß die Sorg und Qual!
Komm ja bald als Korporal!«

Es ist das verbreitetste Soldatenlied der Ruthenen. »Als Korporal« – höher versteigt sich der Ehrgeiz dieses Volkes nicht. Im polnischen Volksmunde lauten die Worte »als General«. Die kleine Variante charakterisiert die Eigenart der beiden Stämme überaus drastisch.

Hastig fuhr Moschko empor und weckte die Eltern. Es wäre ihm als freventlicher Leichtsinn erschienen, zum Assentplatz zu gehen, ohne vorher ihren Segen erbeten zu haben. Die Mutter küßte ihn auf die Stirne, Abraham legte die Hand auf seinen Scheitel. Den Gottesdienst in der Betschul hatten sie bereits verschlafen und verrichteten daher in der Stube das Morgengebet. Dann traten auch sie den schweren Gang an.

Je näher sie der Reitschule kamen, desto größer wurde das Gedränge, desto betäubender der Lärm. Wohl an die dreitausend Menschen umstanden das ovale, morsch gewordene Bauwerk, nicht bloß die Pflichtigen mit ihren Freunden und Verwandten, sondern auch die meisten Bewohner des Städtchens. Auch hier offenbarte sich auf den ersten Blick der 124 Unterschied des Volkscharakters. Die Ruthenen, sofern sie nüchtern waren, standen ruhig harrend da, aber es waren nur wenige nüchtern: die meisten verübten immensen Spektakel, und einige wälzten sich wohl auch im Kote. Unter den Juden hingegen war keiner, der in den letzten Stunden auch nur einen Tropfen Wasser über die Lippen gebracht hätte. Bleich und aufgeregt liefen sie umher, flüsterten und gestikulierten. Beer Blitzer war überall, obwohl er bereits die Nacht hindurch – Krampfadern gemalt! Aber es war auch nötig: er mußte ja jedem seiner Klienten noch einmal seinen »Fehler« und seine »Krankheitsgeschichte« einschärfen.

Um acht Uhr tat sich die Pforte der Reitschule auf, und einige Soldaten wurden sichtbar, an ihrer Spitze der Herr Feldwebel mit furchtbar emporgewichstem Schnurrbart. Die Bursche traten heran, wiesen den Schein mit der Losnummer vor und wurden eingelassen. In der Regel ging noch eine lange Abschiedsszene voraus, und manche Dirne hatte nicht übel Lust, den Liebsten überhaupt nicht aus ihren Armen zu lassen. Aber der Herr Feldwebel erwies sich als wenig galant; dauerte ihm das Küssen zu lange, so winkte er den Soldaten, und diese trennten die Zärtlichen im Handumdrehen und unter lautem Hallo der Menge. Und ebenso verfuhr der würdige Mann, wenn ein Betrunkener dahergeschleppt wurde. Er ließ ihn fassen und in der Vorhalle so lange mit eiskaltem Wasser begießen, bis das rote Gesicht bleich geworden.

Moschko bot ihm zu keiner der beiden Prozeduren Veranlassung. Als er vortrat und seinen Schein überreichte, besah sich der Korporal mit ingrimmigem Bedauern den mächtigen Leib des jungen Schmiedes. »Du kommst wohl gar nicht an die Reihe, Jud«, sagte er, »es ist ewig schade!«

Der Jüngling war anderer Ansicht. Lächelnd ließ er sich in die große Halle weisen, wo die Konskribierten zu harren hatten, bis sie vor die Kommission geführt wurden. Nachdem der Feldwebel seine Mission vor dem Tore erfüllt, erschien er hier und brachte bald Ordnung in die Menge, welche sich eng zusammengeschart, wie Schafe vor dem Gewitter. Er reihte sie nach dem Lose, und wieder murmelte er: »Schade! Schade!«, als er den Moschko unter die letzten weisen mußte. Dann teilte er sie 125 in Haufen zu je fünf Mann; wenn die einen ausgekleidet vor die Kommission traten, mußten die andern mit dem Ablegen der Kleider beginnen. Neugierig, ohne eine Spur von Erregung, besah sich Moschko das Treiben. Sooft ein Haufe aus dem Zimmer der Kommission zurückkehrte, um sich wieder anzukleiden, ging lebhafte Bewegung durch die Reihen der Harrenden. Denn den fünf, die da zurückkamen, war es schon am Schritt deutlich abzusehen, welches Schicksal ihnen gesprochen worden. Die Entlassenen kamen fröhlich dahergesprungen, die Rekrutierten schlichen jammernd hinterdrein. Aber es gab diesmal auffallend wenig traurige Gesichter; die meisten wurden untauglich befunden. Der Herr Feldwebel fluchte mörderisch, denn Stunde um Stunde verging, ohne daß man ein Ende hätte absehen können. Während sonst die ersten zweihundert genügt, um das Kontingent des Bezirkes auszuheben, war diesmal das dritte Hundert bereits überschritten und die Zahl noch immer nicht voll geworden. Es rührte dies einerseits daher, weil Beer Blitzer diesmal besonders gute Geschäfte gemacht, andererseits boten auch die Ruthenen aus den Dörfern schlechteres Material als sonst, weil das Vorjahr ein Jahr des Elends gewesen und den Hungertyphus in seinem Gefolge gehabt.

Drinnen am grünen Tische gab es verdrießliche Gesichter. Der Regimentsarzt war sehr bleich, denn der Herr Major hatte ihn einige Male mit sonderbar scharfem Blick gemessen. Der alte Offizier war in der übelsten Laune. Zudem steigerte der Luftzug in dem alten, morschen Gebäude sein Podagra zum Unerträglichen.

»Himmelkreuzdonnerwetter!« brach er endlich los, »so machen Sie doch ein Ende, Doktor! Wir brauchen noch zwei Mann, und dreißig stehen noch draußen. So führet sie denn alle zusammen herein!«

Moschko erbleichte, als der Feldwebel den Befehl verkündete. Dieser bemerkte es. »He, Jude«, sagte er, »mir scheint, du hast dich zu früh gefreut. Aber tröste dich, du wirst Flügelmann!«

Moschko vernahm die Worte entsetzt. Die Gefahr war ihm immer so fern, so unwahrscheinlich erschienen, daß er nun unter ihrer Wucht fast zusammenbrach. Mit zitternden Knien trat er den Gang an.

126 Die dreißig stellten sich in drei Reihen auf. »Keine Ordnung einhalten!« rief der Major. »Die Stärksten nehmen!«

Der Regimentsarzt griff einen Ruthenen aus der ersten Reihe heraus und besah ihn flüchtig. »Tauglich!« schnarrte er. Aber auch diese Prozedur hatte für das Podagra des Majors zu lange gedauert. »He!« rief er, »wer ist der Längste unter den Kerls?«

»Der Jude hier!« rief der Hauptmann und deutete auf Moschko.

Der Regimentsarzt schielte nach Beer Blitzer hin, welcher mit Luiser Wonnenblum als »Vertrauensmann« der Gemeinde der Rekrutierung beiwohnte, aber Blitzer zog diesmal nicht die Augenbrauen empor, wie früher schon so oft. Hatte doch Golde Hellstein nicht bestimmt mit ihm abgeschlossen, geschweige denn ein Angeld erlegt!

Und so sagte der Regimentsarzt schnarrend: »Gesund, ganz gesund! Wirrr sind ferrtig!«

Dieses »ferrtig!« war das letzte, was dem armen Moschko noch klar ins Bewußtsein kam. Die übrigen Vorgänge dieses Tages zogen an ihm vorbei wie ein wüster Traum.

Man führte ihn vor eine Thora, und auch eine Fahne war da, und er legte den Handballen auf die Thora und sprach dem Korporal eine unverständliche Formel nach. Und dann schnitten sie ihm die Wangenlöckchen ab und drückten ihm ein Papier in die Hand und sagten, er habe noch heute mit dem Transport abzugehen, zunächst nach Tarnopol und von da nach Mailand. Auf dem Papiere stand, daß »Moses Veilchenduft, Jude aus Barnow«, zum Gemeinen im Regimente Herzog von Parma Nummer 24 rekrutiert sei.

Moschko starrte die krausen, unverständlichen Zeichen an und schüttelte den Kopf. Und als er hinaustrat und ihn seine Verwandten mit markerschütterndem Weinen und Klagen empfingen, da fuhr er fort, nur immer leise den Kopf zu schütteln. Der Schlag war so heftig, daß er ihm Verstand und Empfindung gelähmt.

Der Schulklopfer schluchzte sehr, noch mehr sein Weib. Und das »goldene Mendele« und jede der drei Schwestern, ja selbst die dicke Frau Golde weinte, und sie alle schlugen sich an die Brust und zerrissen ihre Kleider.

127 Nur die drei Menschen, denen es gewiß am nächsten ging, daß Moschko Soldat werden mußte, nur diese drei weinten nicht.

Da war zunächst der Marschallik. Das rote, fröhliche Näschen war plötzlich weiß und betrübt geworden; er hüpfte gar nicht wie sonst, sondern ging langsam und schwerfällig umher und murmelte unverständliche Worte. Wohl die kräftigsten Ehrenbeleidigungen gegen Beer Blitzer und Golde Hellstein.

Dann die arme Kasia. Wie betäubt stand sie im Kreise der anderen Dirnen. Die einen, deren Geliebter losgekommen, lachten, die anderen weinten, sie jedoch starrte tränenlos vor sich hin und bezwang das Weh, das ihr im Herzen wühlte. Nur einmal kamen ihr ein paar jähe Tränen. Das war, als ihre Freundin Xenia, die leicht lustig sein konnte, weil ihr Liebster mit unter den letzten gewesen und glücklich entwischt, plötzlich ein Lied zu singen begann, in welchem ein Mädchen gerührten Abschied von dem Verlobten nimmt, der eben Rekrut geworden. Aber es war nicht Rührung, welche sie plötzlich wegen der Worte des Liedes beschlich, sondern sie dachte: Die Dirne, die dieses Lied gemacht hat, hat aller Welt ihren Schmerz vorklagen dürfen! Ach, was muß das für ein Glück sein!

Der dritte aber, dem es sehr naheging und der doch nicht weinte, war Moschko selbst.

»Nun bist du doch Sellner, sieben Jahre später«, klagte der Marschallik. »Mir scheint, du bist es gar zufrieden? Dein Gesicht ist so ruhig!«

»Ich wollte, ich wäre tot!« erwiderte der Jüngling. »Auch das hab ich schon vor sieben Jahren gedacht, und jetzt erst ist es Ernst geworden. Ich kann nicht sagen, daß Gott Euch lohnen soll, was Ihr an mir getan. Fragt mich nicht, warum ich das nicht sagen kann – genug! Ich kann nur eines sagen: ich werde an Euch denken, solange ich lebe!«

Von der Kasia Abschied zu nehmen war ihm versagt. Er durfte es nicht wagen, ihr zu nahen, er fürchtete, daß ihre Kraft nicht ausreichen würde, auch nun ihr Geheimnis zu verbergen. Von sich selber aber und seinem bisherigen Leben nahm er in der Weise Abschied, daß er fest die Linke in die Rechte legte und sagte: »Du willst ein braver Kerl bleiben!«

128 Und dann zog er mit dem Transport davon, nach Tarnopol. Das war ein trauriger Marsch auf der kotigen Landstraße . . .

Blicket ihm ein wenig nach, die ihr bisher getreulich seinem Geschick gefolgt, blicket ihm nach, wie er so betrübt dahinzieht! Denn sein Leben verhüllt sich nun auf lange, lange Jahre euerem freundlichen, teilnahmsvollen Blick . . .


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