Karl Emil Franzos
Moschko von Parma
Karl Emil Franzos

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

So begann diese Liebe, welche zwei arme, rohe, hilflose Herzen in ihren tiefsten Tiefen aufrührte, und mit dem Beginn schien auch das Ende gekommen. Denn jenes Entsagen, welches sie einander zugestammelt, schien ihnen in der Tat notwendig, selbstverständlich. Der jüdische Schmied und die christliche Magd – die Schranken zwischen ihnen hätten nicht unübersteiglicher sein können, wenn er ein Menschenfresser der Südsee gewesen wäre und sie eine deutsche Prinzessin. Das wußten die beiden und verlebten nun trübselige Tage ohne Trost und Hoffnung.

Der Kasia erging es übrigens doch noch besser als dem armen Juden, schon deshalb, weil ihr Gefühl das schwächere war. Daß es nicht tiefer drang, verhinderte wohl ihre Frömmigkeit. Sie wußte, diese Liebe gehe gegen den Glauben, und weil ihr der Glaube hochstand, so fand sie darin einen Trost für den Verlust. Freilich war sie deshalb doch traurig und sehnsüchtig genug. Solange sie mit dem anderen Gesinde beisammen war, zwang sie sich zur Heiterkeit, trug den Kopf hoch und verdrehte auch dem Hritzko zum Zeitvertreib seinen blonden Kopf noch mehr als bisher. Letzteres tat sie wirklich nur aus Langweile oder auch, um jenem grausamen Instinkte zu genügen, welcher im Herzen jedes Weibes lebt, selbst des edelsten Weibes. Aber wenn sie 76 allein war oder doch nur mit den Kühen, da schüttete sie ihr Herz aus. »Muh! Muh!« sagte sie zu ihrem braunen Liebling, einem prächtigen wolhynischen Kalb, »du hast es gut! Hast kein Christentum und kannst nicht sündigen! Und wenn dir die Leute etwas nachreden, so ist dir das gleichgiltig. Muh! Muh! wenn ich doch auch nur so ein unvernünftiges Tier wäre!«

Und noch einem anderen lebendigen Wesen schüttete sie ihr Herz aus, aber dieses hatte eine unsterbliche Seele und sagte nicht »Muh! Muh!« dazu, sondern sehr erbauliche Worte. Das war der hochwürdige Herr Mikita Borodaykiewicz, und es geschah bei Gelegenheit der Beichte. »Väterchen«, sagte die Dirne und drückte ihr glühendes Antlitz gegen die Holzstäbe des Beichtstuhles, »ich habe eine schwere Sünde begangen!«

Der Hochwürdige nickte gutmütig. »Also auch du! Nun, wir wollen den Burschen schon zwingen, daß er seine Pflicht gegen dich tut. Wer ist es denn?«

Röter konnte die Dirne nicht werden, als sie schon ohnehin war, aber zornig wurde sie. »Was fällt dir ein, Väterchen? Es war ja nur ein Kuß!«

»Ein Kuß! Hoho! Himmelkreuzdonnerwetter! Das ist mir seit dreißig Jahren noch nicht vorgekommen! Ein Kuß soll eine Sünde sein? Das heißt, hoho! es ist eine Sünde, aber die Leute beichten's nicht, hoho!«

»Es war aber auch ein besonderer Kuß!«

»Besonders? Hoho! ich verstehe –«

»Nein, Väterchen, wirklich nur ein Kuß, aber ich habe ihn einem Verfluchten gegeben, einem Juden!«

»Himmelkreuzdon . . .« Der Hochwürdige war so erstaunt, daß er nicht einmal den Fluch, welcher seinem frommen Munde doch sicherlich sehr geläufig war, zu Ende brachte.

» . . . nerwetter«, konnte er erst nach einer Pause pusten. »Das ist ja eine Sünde, so fürchterlich, daß sich alle Heiligen die Nase zuhalten müssen, wenn sie von der Erde zum Himmel emporstinkt. Das ist ja nicht einmal mit zwölf Wallfahrten, zwölf Fasttagen, ja sogar nicht einmal mit zwölf Gulden Opfergeld gesühnt! Unglückliches Geschöpf! – ein Jude, welcher den Heiland gekreuzigt hat . . .«

»Er schwört, daß er nicht dabei war«, versicherte die Magd. 77 »Und wenn ich auch zum Wallfahrten keine Zeit habe und das Fasten mir schwerfiele, weil ich ja immerfort arbeiten muß, so will ich doch gerne die Sünde durch Opfergeld sühnen! Zwölf Gulden freilich nicht, soviel macht ja mein ganzer Jahreslohn.«

»Und ist dir deine Seligkeit nicht soviel wert?« fiel ihr der hochwürdige Mikita ins Wort. »Wenn ich dir schon den Gang zu Unserer Lieben Frau in Ulaszkowce erlasse und sogar den zum heiligen Knöchelchen der gebenedeiten Wanda im Kloster zu Buczacz – ich sage dir, Mädchen, das ist ein so heiliges Knöchelchen, wie man kein zweites auf der ganzen Welt findet, jenes von Mikulince ist dagegen ein Ochsenknochen! –, wenn ich dir also das erlasse und das Fasten dazu, wie könnte ich es dann vor Gott verantworten, wenn ich auch noch ein geringeres Opfergeld von dir annehmen würde?«

Aber die Kasia blieb fest: das Höchste, was sie zur Rettung ihrer Seele opfern könne, sei ein Gulden Konventionsmünze. Mehr habe sie auch nicht an Bargeld. Höchstens noch einige Eier und eine Henne.

Seufzend willigte der gute Mikita ein. Er hätte es nicht getan, wenn nicht die schlaue Dirne so unter anderem davon gesprochen hätte, daß sie sonst vielleicht genötigt sein werde, zu dem heiligen Knöchelchen in Mikulince zu pilgern; dort sei die Absolution billig. Das durfte Mikita nicht zulassen. Das heilige Knöchelchen in Mikulince war sein persönlicher Feind; es hatte ihn, den frommen Hirten, oft genug ein sündiges Schnapsfaß genannt und ihm mehr als einmal das griechisch-katholische Konsistorium in Lemberg auf den Hals gehetzt. Wohl hatte dies alles nicht die fragwürdige Reliquie in persona begangen, sondern ihr Hüter, der gleichfalls sehr wohlgenährte und dem Schnaps nicht grundsätzlich abgeneigte Basilianer Pater Andreas. Aber Mikita schlug den Sack und meinte den Esel. Und wenn er auf das heilige Knöchelchen losschimpfte, so traf er dabei besagten Esel gleichfalls auf – den Sack.

»Also«, rekapitulierte er seufzend, »einen Gulden Konventionsmünze, eine fette, nicht zu alte Henne und zwanzig Eier. Daß mir aber keines davon verdorben ist, Mädchen! . . . Absolvo te!«

Freudig aufatmend sprang die Dirne aus dem Beichtstuhl.

78 »Aber halt«, rief ihr Mikita nach, »du hast mir ja noch gar nicht gesagt, mit welchem Juden du die Sünde begangen hast!«

»Das sag ich auch nicht!«

»Aber dann kann ich dich nicht absolvieren!«

»Das hast du ja schon getan, Väterchen«, lachte die Dirne. »Und zurücknehmen läßt sich so was nicht!«

Teils durch die Beichte, teils durch die tröstlichen Unterredungen mit ihren Pflegebefohlenen fühlte sich die Kasia merklich erleichtert und trug es leichter, daß sie ihren jüdischen Geliebten in derselben Stunde gefunden und verloren. Der arme Moschko hatte es lange nicht so gut. Erstlich konnte er nicht beichten, weil das Judentum die Beichte nicht kennt, zweitens hatte er keine Kühe um sich, und mit Menschen mochte er nicht darüber reden. Und drittens hatte er die Kasia weit, weit lieber als sie ihn.

Diese Empfindung äußerte sich freilich nur verstohlen, oft komisch genug. So studierte er zum Beispiel täglich die Gesichtszüge des Hawrilo, weil der Bursche seiner Schwester ähnlich sah. Freilich nur »wie das Schwein der Kuh, sie haben beide vier Füße«, wie sich der poetische Jüngling selber sagen mußte. Aber, sagte er sich auch, »wer keinen Braten hat, frißt Eicheln«. Und darum starrte er dem Hawrilo stundenlang heimlich, verstohlen in das berußte Gesicht. Selbst die schwarze Magdusia, die Magd des Pfarrers, hat ihren vierschrötigen Liebsten schwerlich so oft und so zärtlich angesehen wie Moschko.

Das merkte der Geselle einmal und ließ erstaunt den Hammer sinken. »Höre du«, sagte er, »mit dir ist's nicht richtig. Du schielst ja nach mir wie der Mönch nach der Nonne!«

Moschko wurde verlegen und darum grimmig. »Ich habe nur sehen wollen, wieviel Platz auf deinem Gesichte ist. Jetzt weiß ich es genau. Drei Ohrfeigen kann ich dir nebeneinander geben.«

Aber Hawrilo schüttelte den Kopf.

»Das wird immer verdächtiger!« sagte er. »Nun wirst du sogar ohne Grund zornig. Bursch, was geht mit dir vor? Du wirst ja immer schweigsamer und trauriger! Stumm wie ein Fisch, traurig wie ein Ehemann. Daß du nicht singst, wundert mich nicht, ein Jude singt nie; das hast du auch früher nicht getan! 79 Aber sonst hast du doch gesprochen! Sogar unser Alter ist seit seinem Traume heiterer als du. Also, was geht mit dir vor?«

»Nichts. Kümmert dich auch nicht!«

»Weißt du, auf welchen Gedanken ich komme? Du bist freilich ein Jud, und von Juden hört man sonst dergleichen nicht, aber ich glaube gar, du bist verliebt!«

»Unsinn«, rief Moschko unwillig. Und halb als Ausflucht, halb in bitterem Hohn über sich selbst, fügte er tief aufatmend hinzu: »Wie sollte ich verliebt sein? Weißt du denn nicht, daß ich eine Braut habe?«

»Eben darum!«

»Aber ich kenne sie ja gar nicht!«

»Sag, wie ist das möglich? Seine Braut nicht kennen! Und wirst du sie heiraten?«

»Was weiß ich?«

»Aber wer anderer kann es wissen?«

»Jeder andere eher als ich. Gott oder der Marschallik oder meine Braut. Ich selbst«, fügte er hinzu, »habe wenig dabei zu tun.« Er seufzte tief auf. »Es ist übrigens auch gleichgültig!«

»Wie kannst du so reden?« verwies ihm Hawrilo. »Aber mich täuschest du doch nicht, du bist doch verliebt! Und ich weiß sogar, in wen du verliebt bist. Ganz genau weiß ich das!«

Moschko wurde unruhig. »Du natürlich, du weißt es!«

»Freilich, weil es mir meine Schwester gesagt hat!«

Der arme Bursche wurde totenbleich und konnte kaum den Hammer in der zitternden Hand halten. »Dei-ne Schwe-ster?«

»Freilich! warum erschrickst du so? Ich sag es nicht weiter. Mich wundert nur, woher meine Schwester es weiß.«

Moschko wäre am liebsten davongerannt; wie ein Knabe stand er da und zitterte. Aber der unerbittliche Hawrilo fuhr fort: »Hast du es ihr selbst gesagt? Oder hat es ihr dein Mädchen gesagt?«

»Mein Mädchen? Welches Mädchen?«

»Nun – das Judenmädchen, welches du liebhast!«

»Ich?!«

»Du! Ich bitte dich, verstelle dich nicht so, es nützt dir ja nichts. Meine Schwester hat es mir erzählt, haarklein, alles! Da sage ich ihr neulich: ›Du, wie sich der Moschko verändert hat, 80 gar nicht zu sagen, so traurig!‹ Und da lacht sie: ›Das ist ja kein Wunder, er ist ja verliebt!‹ – ›In wen?‹ frage ich neugierig. Da denkt sie ein bißchen nach und meint: ›Nun, dir kann ich es sagen, weil du sein Kamerad bist, aber plaudere es nicht aus, denn es ist ein Geheimnis. Der Moschko liebt die Tochter des Juden, der in der Roten Schenke sitzt, an der Kaiserstraße von Barnow nach Rozaczywów. Es ist ein Mädchen mit roten Haaren, so rot wie der Anstrich am Hause ihres Vaters, aber sonst ganz dick und schön. Ihr Vater will sie ihm nicht geben, weil er nur ein Schmied ist. Und darum ist der Moschko so traurig.‹ So hat mir meine Schwester erzählt. Du siehst, ich weiß alles, leugnen hilft nichts.«

»Leugnen hilft nichts«, wiederholte Moschko, und obwohl ihm gar nicht fröhlich zumute war, mußte er doch unwillkürlich lächeln.

»Aber höre nur weiter! ›Der Moschko‹, hat meine Schwester ferner gesagt, ›ist ein sehr braver Junge, ich glaube nicht, daß sich unter diesen verfluchten Juden noch ein gleich braver Mensch findet. Also mußt du ihm raten, daß er recht glücklich wird. Denn du bist ein vernünftiger Mensch, Hawrilo!‹ – ja, wahrhaftig, so hat sie gesagt: ›Denn du bist ein vernünftiger Mensch, Hawrilo! Also rede ihm zu, daß er eine heiratet, die ihm gefällt, die Rote aus der Schenke oder sonst eine, die er sich selbst erwählt. Dann wird er glücklich sein. Aber die aus Chorostkow soll er nicht heiraten oder wenigstens nicht früher, bis er sich's gut überlegt hat. Höre, sage du's ihm und rate ihm gut! Denn der Moschko verdient, glücklich zu werden!‹«

Dem armen Burschen war es sonderbar zumute. Und in den Augen hatte er ein ungewohntes Gefühl, seine Lider begannen leise zu brennen . . . »Danke deiner Schwester«, sagte er ruhig, aber seine Stimme zitterte doch bei den Worten. »Danke ihr recht herzlich in meinem Namen . . . Und was das Glücklichsein betrifft – ich werde nie glücklich werden, niemals!« Er wandte sich jählings ab, weil er fühlte, wie ihm die Tränen ins Auge schossen. Hastig griff er zum Hammer und schlug auf das Eisen los, daß eine Funkengarbe aufflog.

»Aber warum kannst du denn nicht glücklich werden?« fragte Hawrilo erstaunt.

81 Moschko gab keine Antwort. Ihm war sehr bitter zumute: als läge da sein eigen Herz auf dem Amboß und er müßte selbst unerbittlich drauflosschlagen.

Erst eine halbe Stunde später wandte er sich wieder um und sagte: »Dir sage ich es, und du kannst es auch deiner Schwester sagen, wenn du willst: die aus Chorostkow heirate ich nicht. Wahrscheinlich heirate ich niemals, wenn es nach meinem Willen geht, sogar gewiß nicht, aber die aus Chorostkow schon gar nicht. Und sobald ich den Marschallik sehe, mache ich der ganzen Geschichte ein Ende!«

Und am nächsten Tage führte er diesen Entschluß wirklich aus. Es war dies ein Sabbat. Bereits am Vormittage warMoschko dem Marschallik in der Schul während des Gottesdienstes begegnet, aber da mochte er ihn nicht ansprechen, zumal in einer so wenig gottgefälligen Angelegenheit. Erst nach dem Essen suchte er den Gönner auf. Er fand ihn aber nicht allein, sondern in großem Kreise. Da stand unser Herr Türkischgelb in allerrosigster Stimmung vor der Schul, dem Plätzchen, wo sich um diese Stunde alles zusammenfand, was eine gemütliche Konversation liebte, und sein Bäuchlein wackelte behaglich, und sein Nasensystem glühte wie eine Zentifolie im heißen Juli. Wahrscheinlich war es Triumph, was von diesen Hügeln strahlte, Triumph über den Erbfeind, den alten Moldauer. Aber es war kein Pyrrhussieg gewesen. Denn aufrecht stand der Wackere und konnte erzählen, und nur die anderen um ihn her wackelten. Vor Lachen und Vergnügen wackelten sie, denn wie und was konnte der Marschallik erzählen!

Wie und was! Man müßte selbst ein geborener Marschallik sein, um das wiedergeben zu können. Zum Beispiel die Geschichte, wie Abraham Rosenberg, genannt »Avrumele Bron-fen«, was zu deutsch Schnaps bedeutet, den Rabbi von Sadagóra mit des Rabbi eigenem Silbergeräte beschenkt und hiefür einen vollwichtigen Segen von dem Wundermanne erschlichen; oder wie besagter Schnaps-Abraham einem Bauer um fünf Gulden des Bauers eigenen Pelz verkauft; oder wie der Rabbi von Nadworna mit dem von Neu-Sandec in Fehde geraten, ob im Jenseits der Fisch Leviathan in einer Zwiebelsauce den Gottseligen präsentiert werde oder ob man an der Tafel des lieben 82 Herrgotts besagten Fisch süß eingemacht bekomme, mit sehr vielen Zibeben; oder wie Frau Golde Hellstein mit ihrer Köchin rede, und in welcher Tonart; oder – aber was nützt die trockene Aufzählung der Themen, welche Herr Türkischgelb überaus saftig bearbeitete! Genug, es war sehr schön, und die Leute lachten so laut, daß es dem Moschko schon von ferne entgegenhallte, was seine Schritte nicht gerade beflügelte.

Aber der Marschallik hatte ihn schon ersehen und streckte die Arme aus, als wollte er ihn umarmen. »Wer kommt da?« rief er fröhlich. »Ihr werdet sagen: Da kommt Avrumele Schulklopfers Moschele, der Schmied! Ich aber sage euch: Da kommt das gesegneteste Jüngel unter der Sonne! Denn was macht ein Jüngel glücklich? Eine schöne Braut! Und wer hat die schönste Braut in ganz Polen? Dieser Mensch da hat die schönste Braut, und morgen fährt er mit mir nach Chorostkow, und in vier Wochen ist die Hochzeit.«

»Ist das schon so ausgemacht?« fragte der junge Schmied finster.

»Natürlich!« antwortete der Marschallik harmlos, »wie ich vorgestern in Chorostkow war, habe ich es mit Sprinzele Krämerin so ausgemacht. Und dabei habe ich mir deine Braut wieder angeschaut, Moschele, und das Wasser ist mir im Munde zusammengelaufen, mir altem Narren – wenn das mein Weib wüßte! Aber das ist ja auch ein Mädel« – der Marschallik schnalzte mit der Zunge –, »ein Mädel, wenn die nicht drei Zentner wiegt, so will ich mein Lebtag Wasser trinken, ich! Ich sag euch, wenn die im Zimmer auf und ab geht, so ächzt das ganze Haus. Und diese Schönheit . . .«

»Möchtet Ihr das nicht mir allein erzählen?« fiel ihm Moschko heftig ins Wort.

»Warum dir allein?« lachte der Marschallik behaglich. »Heißt eine Liebe! Noch niemals gesehen hat er sie und wird schon eifersüchtig, wenn man anderen von ihr erzählt. Moschele, was wird das erst werden, wenn sie dein Weib ist! Aber ich wundere mich gar nicht, die Rosel ist ja auch schon heute deinetwegen eifersüchtig. Und wie! Ich sag euch!« rief er pathetisch, »wie die zwei Leut füreinander passen –«

»Reb Itzig«, sagte Moschko sehr entschieden, »ich habe mit 83 Euch allein zu reden. Seid also so gut oder –« Das »Oder« klang sehr drohend.

»Oder?« machte ihm der Marschallik nach und stemmte so imponierend, als es sein Bäuchlein erlaubte, die Hände auf die Hüften. Dann aber ließ er sie sinken und lachte freundlich. »Gut, Moscheleben, du sollst deinen Willen haben. Hört, ihr Leut, das ist kein Mensch, dem man widerspricht. Das ist ein eiserner Kopf, schon als Jüngel mit dreizehn Jahren war er's. Wißt ihr, was der einmal zu einem kaiserlichen Hauptmann gesagt hat? ›Wir Juden sind auch Menschen!‹ hat er ihm gesagt. Einem kaiserlichen Hauptmann – dieser Mosche da, so wie ihr ihn anschaut! Muß man nicht einem solchen Menschen den Willen tun? Also komm.«

Sie schritten abseit, dort, wo die alte Betschul an den Fluß grenzt. »Also, was willst du, mein Goldjüngel!«

»Euch sagen, daß es mit meiner Hochzeit nichts wird, gar nichts!« Der Bursche stieß es nur so hervor, seine Lippen bebten, und sein Herz pochte.

»Mbh!« machte der Marschallik; er gebrauchte diesen unartikulierten Laut, wo ihm Worte fehlten, und wußte ihm durch die Betonung die verschiedensten Bedeutungen zu geben. Hier klang das »Mbh!« wie der Ausdruck höchster Verwunderung.

»Gar nichts!« wiederholte der junge Schmied. »Gebt Euch keine Mühe, mich zu überreden. Ich heirate die Rosel doch nicht, und wenn sie von lauter Gold wär.«

»Dann hättest du auch nicht viel von ihr«, sagte der Marschallik; er war wieder soweit gefaßt, daß er einen Witz in seiner Manier machen konnte. Dann aber wurde er ernst und fragte: »Warum? Wenn du diese Perle wegwirfst, bist du ein Esel. Ich will wissen, warum du ein Esel bist.«

»Das – geht Euch nichts an!«

»Doch!« sagte der Marschallik. »Aus mehr als einem Grund. Zuerst, weil ich dich liebhab und dir zu deinem Glück verhelfen möcht! Zweitens, weil ich mich liebhab und nicht gern vor ganz Barnow und Chorostkow als ein Narr dastehen möcht. Drittens . . .«

»Und wenn Ihr tausend Gründe hättet, ich habe nur einen, und der ist genügend: Die Rosel gefällt mir nicht!«

84 »Kennst du sie schon?«

»Nein, eben darum! Ich heirate nur eine, die ich mir selbst ausgesucht habe und genau kenne. Aber durch den Marschallik heirate ich nicht.«

»Mbh!« klang es wieder von den Lippen des dicken Mannes. Aber diesmal klang es wie Spott. »Höre, mein Sohn«, sagte er, »du bist nicht dumm genug, um selbst auf diesen Gedanken zu kommen. Wer hat dir die Dummheit eingegeben?«

Moschko wurde feuerrot. »Ich selbst bin vernünftig geworden«, versicherte er eifrig. »Schreit es nicht gegen Gott, daß man bei uns so die Ehe schließt, wie man Ochsen verkauft oder ein Faß Heringe?«

»Nein«, erwiderte der Marschallik. »Gegen Gott schreit, was du hier zusammenredest. Wenn die Christen die Mode haben, daß der Bräutigam die Braut genau kennenlernt, so hat das seinen vernünftigen Grund. Nicht dessentwegen, was sie ›Liebe‹ heißen, sondern die Vorsicht gebietet es so. Ein Christ weiß eben nicht im voraus, was er für ein Mädchen bekommt, aber ein Jude weiß es. Unsere Mädchen sind alle brav und fromm und gesittet und gehorsam, sie haben weder Mucken im Kopf, noch sind sie unzüchtig. Also weiß jedes jüdische Jüngel im voraus, daß seine Braut eine brave, treue, wirtschaftliche Frau sein wird. Nun fragt sich noch, ob sie für ihn paßt, das heißt: ob sie Geld hat, wenn er Geld braucht, und ob sie stark und gesund ist, wenn er es ist. Diese Sachen bringt aber ein Dritter leichter heraus als derjenige, den es selbst angeht. Und darum sind bei uns Juden die Heiraten durch den Vermittler üblich, und es ist gut, daß es so üblich ist.«

Der Marschallik hatte ernst gesprochen; man sah es ihm an, daß er hier seine innerste Überzeugung aussprach. Dann fuhr er fort: »Bei den Christen ist es anders, das gebe ich zu. Dort wird das Weib durch die Zucht und Frömmigkeit nicht genug gebunden, vielleicht ist also diese ›Liebe‹ nötig, damit das Mädchen dem Manne eine treue Gattin werde. Auch bei den Juden, welche sich deutsch kleiden und vom strengen Glauben abfallen, mag es vielleicht nötig sein. Aber bei uns ist es gottlob nicht nötig, und ob zwischen dir und deiner Rosel eine ›Liebe‹ ist oder nicht, ist gleichgiltig.«

85 »Meint Ihr?« fiel ihm der Geselle spöttisch ins Wort.

»Das meine ich!« erwiderte der Marschallik. »Weil ihr füreinander paßt in allem, was eine Ehe glücklich machen kann. Sie hat Geld und ist von Jichus (frommer, vornehmer Abkunft), der Bruder ihres Großvaters ist Rabbi in Hussiatyn gewesen. Du bist arm und eines Schulklopfers Sohn. Aber dafür bist du ein starker, schöner, braver Mensch, und sie ist taub, das heißt, sie hört nicht ganz gut, und das auch nur an manchen Tagen – ich glaube, nur an den ungeraden Tagen hört sie nicht ganz gut –, was weiß ich! Du hast ja eine starke Stimme,dich wird sie schon hören. Es war nicht leicht, für dich eine Braut zu finden, Moschele, denn du betreibst ein unerhörtes Handwerk und bist ein Amhorez (Unwissender), nicht einmal die fünf Bücher kennst du genau. Also überlege es dir gut!«

»Ich habe es schon überlegt«, sagte Moschko. »Ich heirate die Rosel nicht!«

»Warum nicht?«

»Ich kann nur wiederholen: das geht Euch eigentlich nichts an. Aber meinetwegen, ich will Euch nochmals den Grund sagen: weil ich nur eine heirate, die mir gefällt.«

»So schaue sie dir an, vielleicht gefällt sie dir. Warum auch nicht? Weil sie taub ist? Hab ich dir denn nicht schon gesagt, daß man bloß an den ungeraden Tagen mit ihr etwas lauter reden muß? Nun – und übrigens, ich kann ja ein ander Mädel für dich suchen.«

»Nein, ich danke, ich tue es selbst!«

Der Marschallik blickte seinen Liebling scharf an. Dann sagte er langsam: »Moschele, verstelle dich nicht. Du bist ein ehrlicher Junge, es gelingt dir schlecht. Darum sage mir offen und ehrlich, wie es die Wahrheit ist, daß du überhaupt nicht heiraten willst!«

»Nun, also – es ist so!«

»Dann weiß ich auch, warum es so ist! Gott sei's geklagt, was ich da an dir erleben muß! Aber ich hätt gleich denken sollen: es tut auf die Dauer doch nicht gut, wenn man ein jüdisch Kind so mitten unter Christen leben läßt.« Er sprach es im Tone aufrichtigster Bekümmernis.

»Wie – wie meint Ihr das?« fragte Moschko verlegen.

Der Marschallik schüttelte betrübt den Kopf. »Ich meine 86 nicht, ich weiß. Als wenn ich dabeigestanden wäre, so genau weiß ich es. Ich bin ja kein Esel, ich hab ja meinen Verstand! Die Sache steht so: du hast so eine Geschichte mit einer Goje (Christin), und darum willst du von einem Judenmädel nichts wissen!«

Moschko wandte sich hastig ab und wechselte jählings die Farbe.

»Wirf dich nicht herum wie ein Huzulenpferd, und werd nicht weiß wie die Wand und rot wie meine Nase! Es nützt dir ja doch nichts! Sage mir wenigstens, wer es ist!«

Aber Moschko richtete sich hoch auf. »Reb Itzig«, sagte er, »ich bin Euch dankbar für Euere Liebe, und wenn ich Euch einen Dienst leisten könnt, einen großen, großen Dienst, das war mir ein Glück! Aber von diesen Sachen dürft Ihr nicht weiter mit mir reden – auch Ihr nicht, sowenig wie ein anderer Mensch! Nur vom Notwendigen wollen wir reden«, fuhr er fort. »Ihr müßt die Sache mit der Chorostkowerin lösen, bald – gleich!«

»Jetzt habe ich nichts mehr dagegen«, sagte der Marschallik; der Mann war so betrübt, daß er sogar keinen Witz mehr zu machen wußte. »Ich will die arme Rosel nicht unglücklich machen. Freilich habe ich sie auch ohnehin schon tief genug in den Schlamm hineingesetzt. Wenn ein Mädel verlobt war und die Geschichte löst sich wieder, etwas Schande bleibt doch immer an ihr hängen.«

»Nein, nein!« rief Moschko, »das darf nicht sein! Das muß ich natürlich auf mich nehmen! Ich will Euch einen Vorschlag machen: Wir verbreiten, daß ich mit Euch in Chorostkow war und daß ich der Rosel und ihrer Mutter gar nicht gefallen habe. Meinetwegen könnt Ihr sogar den Leuten erzählen, daß sie mich zur Tür hinausgeworfen hat. Mir kann das gleichgiltig sein!«

Der Marschallik schüttelte betrübt den Kopf und legte dem Gesellen die Hand auf die Schulter. »Moscheleben«, sagte er, »das mit der Rosel will ich besorgen, aber das Herz tut mir sehr weh um dich. Du hast eine Geschichte mit einer Goje, das lasse ich mir nicht ausreden. Und wenn ich so daran denk, daß du vielleicht dadurch selbst ein Goi wirst, so könnt ich weinen. Ich 87 hab dich sehr lieb, Moschele, aber lieber will ich dich zum ›guten Ort‹ (Friedhof) hinaustragen sehen, ehe ich dich in der Kirche seh. Tu's nicht, Moschele!«

»Aber es fällt mir nicht ein!« rief dieser.

»Wirklich nicht?«

Der Jüngling schwor es ihm mit heiligen Eiden zu.

Aber der sonst so lustige Mann blieb gleichwohl traurig genug und seufzte. »Moschele«, sagte er, »ich will keinem Menschen von meiner Vermutung erzählen und hoffe, du wirst vernünftig und wirfst die Goje wieder weg, wie man einen Stein wegwirft. Denn sonst ist es das größte, größte Unglück! – für sie, für dich, für die ganze ›Jüdischkeit‹. Und meinst du, daß unser Gott mit sich spaßen läßt?«

Damit verließ er ihn und ging zu den Leuten zurück, die noch immer seiner und seiner Geschichten harrten. Aber obwohl er mit gewohnter Virtuosität erzählte und der Stoff sehr glücklich gewählt war – wie einmal ein Rabbi den anderen dazu gebracht, Schweinefleisch zu essen, aus Haß und Trotz natürlich –, so ging es ihm doch nicht recht vom Herzen, und die Zuhörer merkten dies auch.


 << zurück weiter >>