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III.
Reise in das Innere von England.

1. Weg nach Birmingham.

Der Weg von London nach Bath wird am häufigsten besucht; daher ist er allmählich mit vielen Häusern von netter Bauart besetzt worden. Mehrere fanden hier Nahrung, bauten und möblirten sich niedlich; andere ahmten nach, bekamen Geschmack an Gärtnerei, an zierlichem Ameublement u. s. w.

Bath ist eine artige Stadt und ganz von Kalk ( Free-stone) gebaut. Aspler-stone, eine compacte Art, kann mit einer Axt gebrochen werden, härtet sich aber in der Luft. Er wird von zwanzig bis dreißig Meilen hergeschafft. Der gemeine Free-stone findet sich auf der Stelle, wie auch Backsteinthon. Der Sandstein (bläuliche), der zu Platten für die Fußbänke gebraucht wird, bricht unter dem Kalk ( Free-stone), einem wahren Hammit oder Rogenstein. Er ist sehr hart und compact; doch läßt sich das Korn erkennen. Im Hammit sind hier und da sehr schmale Spatklüfte, etwa einen Viertelzoll breit. Die Bauleute unterscheiden sehr die verschiedenen Arten nach Dichtigkeit und Zusammenhang, wo der Mineralog nur geringe Varietät sieht.

Der Luxus ist in Bath so groß als in London. Man rechnet achthundert neuerbaute Häuser, und Häuser, an denen noch gebaut wird. Man lebt hier übrigens blos für Ergötzlichkeiten, nicht für Politik.

Miß Pulteney, eine Dame von zwanzigtausend Pfund Einkünften, hat eine große Besitzung, Laura-place, welche jetzt bebaut wird. Das Erdreich fing an nachzusinken von dem Absturz des Berges; daher baut man jetzt mit Faschinen, rammt Pfähle ein u. s. w., um zu verhindern, daß die Häuser nicht in Gefahr kommen.

Der Weg von Bath nach Bristol ist hügeliger als der bisherige. Wir fanden an einem Orte in der Mauer eines Hauses große Cornua Ammonis Ammonshörner, der bekannte versteinerte, schneckenförmig gewundene Nautilus der Vorwelt. Anmerkung d. Hg. befestigt.

Bristol ist ein häßlicher, schmuziger, schlecht gebauter Ort; hat aber eine sehr schöne Lage an der Avon. Längs diesem Flusse laufen die Quais eine ziemliche Strecke hinabwärts; und hier liegen die kleinen Fahrzeuge, deren jedoch keine große Anzahl vorhanden zu sein scheint. Hier sind auch die Werfte, wo neue Schiffe erbaut und alte ausgebessert werden. Unter anderm sah ich hier einen sogenannten dry Dock. Vermittels einer Schleuse wird bei der Flut das auszubessernde Schiff hineingelassen; dann läßt man das Wasser ablaufen und schließt die Schleuse, sodaß das Schiff auf dem Trocknen bleibt und die Zimmerleute überall bequem beikommen können. Die Seiten dieses Bassins sind stufenweis ausgearbeitet, sodaß man von einer Stufe zur andern bis auf den Boden hinabkommen kann.

Die Ebbe steigt und fällt hier in der Avon sehr ansehnlich, ob sie gleich erst mehrere englische Meilen unterhalb der Stadt ihre Mündung in den großen Severnfluß hat. Dort gehört die Flut zu den stärksten, die es in der bekannten Welt gibt. Es ist indeß sehr merkwürdig, daß die weiten Mündungen der englischen Flüsse mit ihrer inländischen Größe nicht in Verhältniss stehen; denn nur wenige Meilen hinaufwärts sind sie gemeiniglich sehr unbedeutend, so z. B. die Themse bei Maidenhead, die Severn bei Glocester u. s. w. Eigentlich kann es also wol von ihnen heißen: sie ergießen sich in große Meerbusen, die wegen ihrer Tiefe und Weite der Schiffahrt viele Bequemlichkeiten verschaffen.

Der Handel von Bristol ist bekanntlich seit einigen Jahren sehr in Abnahme gerathen, fast in dem Verhältnisse, wie der von Liverpool gestiegen ist. Die Ursachen dieses Verfalls liegen tiefer, als daß ich sie hier entwickeln könnte. Vielleicht gehört die unbequeme Einfahrt in die Rhede, Kingsroad, vielleicht auch die Emancipation von Irland unter die wesentlichsten.

Wir übernachteten im White Lion, einem elenden Wirthshause, wo wir indeß doch eine bristolsche Zeitung im Kaffeezimmer fanden; wie denn nicht blos diese dem Range nach zweite oder dritte Handelsstadt in England, sondern beinahe jedes kleine Landstädtchen mit dieser Bequemlichkeit versehen ist.

Den andern Morgen (8. Juni) mußten wir schon um halb 4 Uhr heraus, und um 4 Uhr ging der Postwagen nach Birmingham durch das schöne Glocestershire ab. Einige Meilen von Bristol, in der Gegend von Stone, auf einer Anhöhe, zeigte sich uns plötzlich der ganze schöne, lang ausgestreckte Meerbusen des Severnstroms, der Sommerset- und Glocestershire von dem Fürstenthum Wales trennt. Dieser Prospect ist einer der reichsten in der Welt, und wäre es nicht trübe auf den Hügeln und am Horizont gewesen, so müßten wir einen Anblick ohne seinesgleichen gehabt haben; denn schon bei allem Nachtheiligen des bewölkten, halb in Nebel geschleierten Morgens entzückte er uns. Der Busen der Severn lag mehrere deutsche Meilen lang soweit das Auge reichte, vor uns da, und dehnte sich immer mehr aus, wie er sich dem Ocean nahte. Die Berge von Wales hüllten ihre Gipfel in die Wolken; aber die niedere Gegend blieb sichtbar und auf ihr leuchteten in Sonnenblicken, welche verloren durch die Wolken schlüpften, einzelne Thürme, Landhäuser oder Städtchen. Das Wasser, wo es uns am nächsten war, verlor sich hinter einem schönbewachsenen Hügel und kam wieder jenseit desselben als schöner See zum Vorschein. Der Rhein im Rheingau hat nirgends diese Breite. Diesseits war der Vordersaum eine zauberische mit hellbelaubten Eschen bepflanzte Anhöhe und ein unendliches Thal, welches sich gegen die Severn hin in eine Ebene verflächte, ausgelegt in köstliche Wiesen und umzäunt mit lebendigen Hecken und hoch emporstrebenden Buchen, Ulmen und Eichen. Hätten wir dazu die Verzierungen des Lichts und Schattens gehabt, so wäre dies der reizendste Prospect gewesen, den ich je gesehen.

Nun kamen wir durch das fette Glocestershire, das wegen seiner Viehzucht und wegen seiner Käse berühmt ist. Eine Frau aus der hiesigen Gegend, die mit uns reiste, zeigte uns mehrere Bauern von ihrer Bekanntschaft, die an dem Wege wohnten und 4-500 Pfd. St. an jährlichen Einkünften haben. Sie gehen aber ganz bäuerisch gekleidet, folgen ihrem Vieh und füttern es; ihre Weiber und Töchter melken und machen Käse. Mancher Bauernhof in dieser Gegend hat siebzig und mehr Kühe, und in einer Familie von zehn Kindern hält man nur eine Magd. Die Wohnungen der Landleute in dieser Provinz haben ein schlechtes, vernachlässigtes Ansehen und sind mit ihrem Reichthum in keinem Verhältniß. Mir ist es wahrscheinlich, daß Menschen, die sich beständig mit der Viehzucht beschäftigen, für die Annehmlichkeit einer netten, reinlichen, zierlich möblirten Wohnung wenig Sinn haben können, weil sie bei ihrer unreinlichen Beschäftigung theils nicht darauf verfallen, theils auch, wenn sie alle Bequemlichkeit hätten, sie nicht genießen, ihrer nicht froh werden könnten, ohne ihr Gewerbe zu vernachlässigen und solcher Gestalt in eine Lebensart überzugehen, die von ihrer jetzigen Sparsamkeit das Widerspiel wäre. Wo es einmal Sitte geworden ist, den Vorzug eines Individuums vor dem andern in der Zahl seiner Heerden zu suchen, da wird nicht mehr der Endzweck, weshalb man überhaupt Viehzucht treibt, nämlich froher, bequemer Genuß des Lebens, im Auge behalten, sondern das Mittel wird Zweck, und das Leben ist mehr nicht als ein emsiges Bemühen, durch frühe und späte Anstrengung und karge Frugalität, jeden Sohn und jede Tochter mit einer ebenso großen Habe auszustatten, als der Hausvater ursprünglich hatte. Mich dünkt, diese Stimmung muß den Kreis der Ideen verengen, muß für den Kopf und das Gefühl nachtheilig wirken, und, wo nicht geradezu eine unmoralische Engherzigkeit, doch eine üble Einseitigkeit im Denken zu Wege bringen, die vielleicht auch hier wirklich sichtbar genug ist. Ihr kann man es zuschreiben, daß der Anbau dieser schönen reichen Provinz so sehr vernachlässigt wird; daß über das Bestreben, reicher zu werden, der Landmann die Vortheile einer neuen, weisen, einträglichern Methode nicht einsehen will, lieber bei seinem alten Herkommen hartnäckig bleibt und es ja nicht wagt, sein Vieh anders als er es bisher gewohnt war, zu füttern, aus Furcht, der Käse möchte schlechter ausfallen, oder was der albernen Einwendungen mehr sind. Wir sahen hier das schönste Rindvieh von der Welt bis an den Bauch in Blumen auf der Weide gehen, sodaß einem deutschen Oekonomen, wie z. B. dem edeln Herrn vom Kleefelde Johann Christian Schubart, genannt von Kleefeld, geb. 1734 zu Zeitz, gest. 1787, bedeutender landwirthschaftlicher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, besonders verdient durch lebhafte Empfehlung des Kleebaues. Anmerkung d. Hg., das Herz über diese Verschwendung der Grundstücke geblutet hätte. Bald möchte man glauben, daß auf dieser Insel alles, auch selbst das Vieh, im Genusse schwelgen soll; denn sicherlich könnte man, bei einer zweckmäßig eingerichteten Stallfütterung, von dem Ertrage derselben Oberfläche zwanzigmal soviel Kühe und Schafe ernähren und der Landmann folglich zwanzigmal reicher sein als er ist.

Mir scheint indeß in dieser Unvollkommenheit der englischen Landwirthschaft eine sehr glückliche Aussicht für die Zukunft zu liegen. Der Umlauf der Begriffe ist zu stark in diesem Lande, und die ökonomischen Schriftsteller schreien schon seit funfzig Jahren zu laut über die Vorurtheile, welche noch in diesem Fach der englischen Staatswirthschaft obwalten, als daß man nicht, sobald die. Veranlassung näher gelegt wird, auch hier eine Veränderung treffen sollte. Es kommt sicherlich ein Zeitpunkt, wo man den Ackerbau und die Viehzucht nach den Regeln einer gesunden Theorie einrichten und in ein gehöriges Gleichgewicht mit den Kräften der Natur in diesem Lande bringen wird. Alsdann – welch eine glückliche Aussicht für England! – alsdann, wenn sein auswärtiger Handel (der nach dem unabänderlichen Lauf der Dinge einmal abnehmen und in mehrere Hände vertheilt werden muß) den Manufacturen keinen Absatz mehr darbietet – alsdann wird der Reichthum des Landmanns und die Anzahl seiner Producte in dem Maße zugenommen haben, daß er die Fabrikwaaren in einem ungleich größern Verhältnisse verbraucht, und England wird in sich selbst, in seiner eigenen Unabhängigkeit schöner aufblühen, als es mit Hülfe seiner allumfassenden Schiffahrt und seines auswärtigen Debits je blühte.

Die Wiesen in Glocestershire sind für das Auge schön, was auch der Landwirth daran tadeln mag. Einen üppigern Graswuchs wird man nirgends sehen, nirgends so schöne Abwechselung und Mannichfaltigkeit der Lagen, der Gestalt der Felder und der hohen prachtvollen Bäume, die sich um jedes Feld, mit lebendigen Hecken verbunden, erheben. Hügel und Thal sind mit dem anmuthigsten Grün bekleidet, und man fährt zwischen zwei Gebirgsreihen, der einen links jenseit der Severn, der andern rechts in Worcestershire; beide so schön und reich als möglich. Glocester selbst ist ein ärmlicher, unansehnlicher Ort. – Tewksbury, das Vaterland des besten englischen Senfs, ist dem äußern Ansehen nach schon etwas besser und Worcester ein sehr nettes Landstädtchen. Die gothischen alten Kirchen in diesen Städten sehen sich sehr ähnlich; es sind lange, einfache Gebäude, aus deren Mitte sich ein viereckiger, gotisch verzierter Thurm erhebt. Das Landvolk spricht in diesen Gegenden einen groben, indeß noch ziemlich verständlichen Dialekt und scheint mir etwas bäuerischer als auf der westlichen Route und um London zu sein. Auch herrschte in den Physiognomien weniger Schönheit, weniger Phantasie; besonders dünkte mich der Mangel bei dem andern Geschlechte auffallend sichtbar.

Nachdem wir in Worcester zu Mittag gegessen hatten, kamen wir durch Droitwich (wo beträchtliche Salzpfannen sind) nach Bromsgrow, einem niedlichen Landstädtchen, und von da über einen hohen Bergrücken, mit einer unabsehbaren öden Gemeintrift, in Warwickshire und nach Birmingham. Diesen letzten Theil der Reise, von Droitwich an, hatten wir ein junges Frauenzimmer zur Gefährtin, deren Anzug keine gemeine Herkunft, wenigstens keinen Mangel verrieth, und die uns den Wagen mit Wohlgerüchen aller Art erfüllte. Sie war nicht uneben gebildet und nicht kokett, aber mit einer vornehmen Anmaßung reichlich begabt, die nur durch ihre Liebe zur Conversation ein wenig gezügelt werden konnte. Ich war boshaft genug, sobald ich es merkte, mit meinen Worten äußerst sparsam zu sein, ohne ins Unhöfliche zu verfallen; und die Sprödigkeit gelang so gut, daß die schöne Dame ihr wirklich pretiöses Wesen um vieles herunterstimmte und ihre Reisegesellschafter wol beinahe für Geschöpfe von gleicher Natur mit sich selbst gelten ließ. Es zeigte sich, daß sie wirklich sehr wohl erzogen war, sehr viele Kenntnisse besaß und ihre Wißbegierde auf nützliche Gegenstände gerichtet hatte. Wunderbar, daß bei solchen Vorzügen ein so lächerlicher Stolz sich in ihren Charakter mischen und ihr einen kalten Egoismus eingießen konnte, der die Menschen von ihr entfernen mußte! Ich kann mir die Entstehung desselben indeß leicht erklären. Wenige Menschen wissen sich selbst Würde zu geben, ohne den Anstrich von Kälte und Geringschätzung gegen andere zu bekommen; und in seiner Würde muß ja das englische Frauenzimmer sich behaupten, wenn es auch darüber in die unerträglichste Prüderie verfallen sollte. Unser Dämchen nahm ihren Hut ab, warf ihn mit Würde, oder doch mit dem Etwas, das hier Würde vorstellen sollte, vor sich hin auf den Sitz, schüttelte ihre blonden Locken um sich her, daß sie, wie Jupiter's Haar, die Atmosphäre mit Ambraduft erfüllten und spielte mit dem Kutschfenster, welches sie ohne Unterlaß bald auszog, bald niederließ, um ihre Alleinherrschaft im Wagen, die ihr niemand streitig machte, zu behaupten. Dann sprach sie von Bath und versicherte, es sei ohne gute Gesellschaft der langweiligste Ort von der Welt, und im Sommer könne man es dort gar nicht aushalten. Sie pries hierauf das Wetter und den Weg als zum Reiten vortrefflich, weil es ein wenig geregnet und der Staub sich gelegt hatte. Reiten mußte bekanntlich ein so vornehmes Frauenzimmer! Einen jungen Menschen, der ihr Begleiter war, entdeckten wir erst bei dem Absteigen in Birmingham. Er hatte draußen auf der Kutsche gesessen, kam aber jetzt zu uns ins Zimmer und trank mit seiner Schönen und uns einen Thee, worauf wir Abschied nahmen und sie sich zu ihren Verwandten führen ließ.

Birmingham kündigt sich nicht sehr vortheilhaft an. Es wimmelt zwar von Menschen auf den Straßen; allein sie sahen alle so ungewaschen und zerlumpt aus, daß wir wohl merkten, wir kämen in eine große Fabrikstadt. Die Straßen in einigen Quartieren der Stadt sind enge, kothig und mit elenden Häusern bebaut, die den armen Handwerkern und Tagelöhnern zum Aufenthalt dienen. Mitten in der Stadt sieht man indeß ansehnlichere Häuser und schönere Straßen; unter andern gibt es hier, wie in andern Städten Englands, vortreffliche Wirthshäuser. Ich bemerkte insbesondere die Shakspeare-Tavern, ein stattliches Gebäude, wo äußere und innere Eleganz vereinigt sind. Indeß fiel sie mir nicht sowol wegen dieser Eleganz als wegen ihrer Benennung auf. Wie schön und in welchem vortheilhaften Licht erscheint nicht die allgemeine Cultur in diesem Lande selbst darin, daß die großen Männer, die es hervorgebracht hat, auf diese Art mit den Helden in eine Klasse gesetzt werden. Wann wird man es sich wol in Deutschland einfallen lassen, einen Gasthof anzulegen, mit Lessing's, Goethe's, Schiller's, Wieland's Kopfe zum Schilde? – Dies ist gewiß keine so gleichgültige Sache wie man denkt. Der Genius eines Volks zeigt sich auch in diesen Dingen. Die Phantasie der Holländer erhebt sich nicht leicht über den Gaaper (Maulaffen): ein Lieblingsschild, das man auf allen Straßen sieht, und das einen Kopf mit schrecklich weit aufgerissenem Maule vorstellt. Das gekrönte Butterfaß ( 't gekroonte botervat) und das goldene A B C sind ebenfalls Beweise von holländischer Erfindungskraft. In England sieht man Pope und Dryden John Dryden (1631-1701), bedeutender englischer Dichter. – Benjamin Johnson, gewöhnlich Ben Johnson genannt (1574-1637), Shakspeare's Zeitgenosse und Freund, berühmter Lustspieldichter. Anmerkung d. Hg., Ben Johnson, Shakspeare u. s. w.


2. Birmingham und Soho.

Birmingham am Rea liegt unter 52° 33' nördl. Br., 160 Meilen von London, fast in der Mitte von England, zwischen Lichfield, Coventry und Worcester. Ungeachtet des Kohlendampfs und der metallischen Ausdünstungen ist Birmingham, selbst nach den Aussprüchen des unglückweissagenden Doctors Price Richard Price (1723-91), politischer und nationalökonomischer Schriftsteller. Seine berufene Schrift: »Ueber den gegenwärtigen Bestand der Bevölkerung in England« (1779), worin er eine bedenkliche Abnahme der Bevölkerung in Aussicht stellte, fand in den Thatsachen keine Rechtfertigung. Anmerkung d. Hg., eine der gesundesten Städte in England, da es einen trockenen Boden hat und auf Hügeln liegt, die vom Winde bestrichen werden. Dabei sind die Arbeiter nicht so zusammengedrängt, wie in einigen deutschen Manufacturstädten, z. B. Aachen, Berlin und Schmalkalden, wo einer dem andern die Luft vergiftet. Vor 1676 war Birmingham noch keine Market town, während daß Wolverhampton längst dieses Privilegiums genoß. Im Jahre 1690 hatte es, nach der Anzahl der Gestorbenen und Geborenen zu rechnen, kaum 4000 Einwohner; 1778 waren, nach Thom. Hanson, schon 7200 Häuser und 42550 Einwohner; 1789 zählte man gar 60000 Einwohner und 11000 Häuser. Also hat die Bevölkerung in einem Jahrhundert fünfzehnmal zugenommen. Birmingham hatte vor dem Jahre 1690 allerdings schon Manufacturen, aber nur in groben Eisenarbeiten, Nägeln u. dgl. Gleich nach der Revolution stieg die Industrie. Es wurden Gewehrfabriken angelegt. Die Regierung ließ sich die Waffen für die Armee aus Birmingham liefern und gab Verbote gegen französische Metallwaaren. Nun wurden Knöpfe, Schnallen, Uhrketten u. s. w. in England selbst verfertigt. Birmingham und London wetteiferten in der Fabrikation derselben. Aber die Hauptstadt, in der das Geld immer wohlfeiler und der Arbeitslohn immer theuerer wurde, mußte bald weichen. In der Mitte dieses Jahrhunderts war noch kein Kaufmann in Birmingham, der directe Verbindung mit dem Auslande hatte. Die londoner Negocianten trieben den Commerce d'entrepôt mit birminghamer Fabrikaten. Jetzt verschreiben russische und spanische Kaufleute ihre Bedürfnisse unmittelbar aus Birmingham. Bequemere Ausfuhr durch Verbindung schiffbarer Kanäle und Flüsse ist für keine Art der Manufacturen so nothwendig als für Metallfabriken, die eine Menge Brennmaterialien und schwere, rohe, unverarbeitete Waaren bedürfen.... Birmingham hat seit 1768 eine bequeme Ausfuhr nach allen Meeren, welche die Insel umfließen. Die Steinkohlen sind seit dem Abzuge des Old-Kanal (1786) nach den Kohlengruben von Wednesbury beinahe um die Hälfte wohlfeiler geworden. Gegenwärtig (1790) kosten 112 Pfund nur 5 Pence. Die Kohlenschiffe sind ungemein lang und schmal, die Kohlen selbst mürbe und stark mit Adern von Schwefelkies durchzogen. Die neueröffnete Schiffahrt von Wednesbury nach London hat auch Gelegenheit zu einem Absatze jener Steinkohlen nach der Hauptstadt gegeben, wodurch die Newcastler gezwungen sind, ihren Kohlenpreis zu erniedrigen. (Zu einem ähnlichen Zwecke schlug der berlinische Minister Heinitz Friedrich August Anton von Heinitz, geb. 1725 zu Dresden, gest. 1802 zu Berlin, preußischer Staatsminister und Leiter des Bergwerkswesens. Anmerkung d. Hg. einen Kanal im Forste Schweidnitz vor, um den großen Manufacturen eine wohlfeilere Feuerung zu verschaffen.) Der Old-Kanal wurde 1772 bis Autherley verlängert, wodurch eine Verbindung mit der Severn, nach Shrewsbury, Glocester und Bristol, und mit der Trent nach Gainsborough, Hull und London entstanden ist. Ein Arm dieses verlängerten Kanals führt auch in die Grand Line, die durch Staffordshire fließt und nach Manchester und Liverpool geht. England hat den natürlichen Vorzug, daß nicht etwa, wie in Deutschland und selbst in Schottland, die Abdachung nach einer Seite geht, sondern daß es in der Mitte der Insel (Derbyshire) am höchsten (nach Bilkington, ungefähr 1500-2500 Fuß über die Meeresfläche) erhaben ist. Daher laufen die englischen Flüsse nach allen Weltgegenden aus. Die Kunst brauchte diese Ströme nur unter sich zu verbinden, um England auch von innen schiffbarer als alle andern europäischen Staaten zu machen.

Noch scheint eine directere Schiffahrt nach London zu fehlen; aber auch dieser Mangel wird durch dem New-Kanal ersetzt, der durch Tacely, Fishenwik, Tannworth, Polesworth, Atherstone, Nuncaton und Coventry nach Oxford, und von da durch die Themse nach London führt.

Da Birmingham keine Chartred privileges hat, so schickt es auch keine Repräsentanten ins Parlament. Daß 60000 Menschen, deren Wohl in so manchen auswärtigen politischen Verhältnissen gegründet ist, und die wiederum einen so wesentlichen Einfluß auf den Reichthum Englands haben, daß diese 60000 keinen Antheil an den öffentlichen Berathschlagungen nehmen dürfen, während daß die armseligen Einwohner von Oldborough über die Herrschaft des Meeres entscheiden: dieses Recht oder Unrecht ist weder in dem republikanischen System des Plato, noch in andern klugen Träumereien neuerer Weisen gegründet. Der Fehler einer ungleichen Repräsentation ist der englischen Verfassung zu oft vorgeworfen, um ihn hier nochmals zu rügen. Nur die triviale Widerlegung, »daß England sich bei dieser Verfassung bisher wohlbefunden habe«, verdient eine ebenso triviale Antwort: daß jedes endliche Gute kein höheres ausschließt, und daß es Unwissenheit verräth, Werke des Zufalls, wie doch alle Regierungsformen der bekannten Welt sind, für vollendete Werke menschlicher Ueberlegung zu halten. Der Verfasser des » Present state of Birmingham« hält den Mangel der Repräsentation für einen der größten Vorzüge dieser Manufacturstadt, weil die Industrie der Arbeiter nie durch Parteigeist und Electionen gestört wird. Nach einer gewissen Moral, die in allen Uebeln einen Trost findet, mag dieses Raisonnement sehr philosophisch sein; auch konnte ein Einwohner von Aachen, der deutsche Zunftideen nach England überträgt, dazu verleitet werden. Wie unbeträchtlich aber im ganzen diese nach sieben Jahren erst wiederkehrende Störung gegen den schönern, edlern Gewinn an innern Kräften ist, das kann nur der fühlen, den eigene Erfahrung gelehrt hat, wie sehr die Arbeit gewisser mechanischen Künste die Seele stumpf läßt; wie streng auch in den freiesten Ländern die Disciplin einer großen Manufactur ist, und wie sehr der durch stete Nahrungssorgen gedrückte Geist es bedarf, wenigstens periodisch erweckt, auf größere Zwecke geleitet und des wohlthätigen Gefühls von seinem eigenen Werthe kundig zu werden.

Soho, die kleine Manufacturstadt der Herren Boulton, Watt James Watt, geb. 1736 zu Greenock in Schottland, berühmter Mechaniker, mit Boulton Verbesserer der Dampfmaschine, starb 1819. Anmerkung d. Hg. und Fothergill, liegt eine halbe englische Meile von Birmingham in einer angenehmen Gegend, die durch Wasser und Hügel durchschnitten ist. Die Gebäude sind nicht prächtig, weniger schön als die preußischen Seidenmanufacturen an der Oder bei Frankfurt, aber auch nicht so kleinlich als die frankenthaler. Sie sind solid, geräumig, wohlerleuchtet und ihrem Zwecke gemäß eingerichtet. An tausend Menschen werden hier beschäftigt, worunter viele Kinder und zum Poliren auch Weiber sind. Der wöchentliche Gewinn eines gemeinen Arbeiters ist im Durchschnitt ungefähr vierzehn Schillinge bis eine Guinee, folglich zwei- bis dreimal so groß als in Deutschland; ein Satz, dessen Nothwendigkeit sich nach der hiesigen Wohlfeilheit des Geldes und der Theuerung der Bedürfnisse gleichsam demonstriren läßt. Das Arbeitslohn muß in den verschiedensten Beschäftigungen der Menschen, sobald sie von keiner besonderen Geschicklichkeit abhangen, gleich sein. So weit ich es berechnen konnte, pflegte es im nördlichen Deutschland ungefähr 7-9 Groschen täglich zu betragen. Sobald eine Art der Arbeit vortheilhafter als die andere wird, so zieht die Hoffnung größern Gewinstes mehrere Menschen an, und durch die Concurrenz der Arbeiter fällt unmittelbar darauf der Lohn für die Arbeit. Das ist der natürliche Gang der Dinge. In despotischen Regierungen, wo das Gesetz seinen einzigen Zweck, Hindernisse zu entfernen, verfehlt und dadurch selbst Hindernisse verursacht, kann ein Zweig der Industrie bisweilen gewinnreicher sein als der andere. Aber auch dieser Vorzug ist gewöhnlich nur momentan.

Um sich von den mannichfaltigen Beschäftigungen in Soho einen Begriff zu machen, muß man die Manufacturen als aus zwei fast ganz abgesonderten Theilen bestehend betrachten. Erstlich die Knopfmacherei. Diese Arbeit ist die einträglichste und ernährt den größten Theil der Fabrikanten. Das rohe Material, das Kupfer, kommt aus Cornwall und aus den neuen unerschöpflichen Kupferwerken der Insel Anglesey. Es wird durch Walzen und Streckwerke zu Lamellen gezogen und die einzelnen Knöpfe, wie bei Stückelung der Münzen, durch einen mit Schrauben und Schwungeisen niedergedrückten scharfen Stempel ausgeschlagen. Zu dem Glätten des Randes sind einige Menschen bestimmt, welche den ausgeschlagenen Knopf zwischen zwei bewegliche Wellen spannen, und indem sie.... ( Caetera desunt.)


3. Theater in Birmingham.

Es ist ein herrliches Ding um ein Theater für Reisende, die den langen Abend an einem fremden Orte, ohne Bekanntschaft, nicht besser hinzubringen wissen. Wir waren hier in diesem Falle; denn um 12 Uhr Mitternacht sollten wir abreisen und der ganze Abend war noch vor uns. Zum Glück ward heute das Theater hier eröffnet. Ein schönes, mit vieler Zierlichkeit erbautes Schauspielhaus verkündigte von außen viel Unterhaltung. Wir gingen hinein und fanden ein sehr artiges Amphitheater, fast ein wenig zu viel mit Zierathen im Geschmack von Wedgwood's terra cotta Josiah Wedgwood (1730-95), Sohn eines Töpfers in Staffordshire. Durch Kränklichkeit unfähig zur fernern Betreibung des Geschäfts, begann er den Thon und seine Bearbeitung zu studiren und gründete mehrere große Fabriken, aus welchen kunst- und geschmackvolle Geräthe, auch Nachahmungen antiker Ornamente aus Terra cotta hervorgingen. Anmerkung d. Hg. beladen und mit einem scheußlichen Plafondgemälde verunziert, wo Terpsichore in einer verzerrten Stellung, mit einem Fuß in den Wolken, tanzte, Thalia auf beiden Knien, und Melpomene, um sich leichter erstechen zu können, auf dem Rücken lag, ein geschundener Apoll und eine Pallas Shakspeare's Brustbild en medaillon emporhielten, und ein Schiff, der Himmel weiß woher und zu welcher Absicht, in den Lüften segelte. – Als der Vorhang in die Höhe ging, zählten wir 14 Personen im Parterre; doch in der Folge erschienen mehrere und füllten das Haus noch ziemlich. Lange vorher hatte sich indeß das Krethi und Plethi auf der Galerie des Privilegiums, seine Ungeduld zu äußern, bedient, und uns hatte der Lärm von einer geringen Anzahl Menschen lächerlich geschienen, da der von den Theatern in London nur widrig ist. – Die Stücke, womit man debutirte, waren nicht die glänzendsten des englischen Theaters: » The Country girl« und » The Romp«; jenes ist eine Farce in fünf Acten, dieses in einem Act. Eine Madame Davis aus Manchester spielte die Rolle des unerzogenen Landmädchens mit außerordentlicher Kraft und einer unerschöpflichen Beweglichkeit; sie kam fast nie aus dem Springen und Hüpfen, und ihre Stimme hatte ebenso viel Modulation, als ihre Beine und Arme Schwung- und Schnellkraft. Ein wenig chargirt waren ihre Rollen allerdings, allein der Dichter mochte einen Theil der Schuld haben. Von den übrigen Schauspielern mag es hinreichendes Lob sein, zu sagen, daß sie mich lebhaft an gewisse Truppen in Deutschland erinnerten; zum ersten mal seitdem ich Deutschland verließ!


4. Leasowes war der Landsitz des Dichters William Shenstone, geb. daselbst 1714, gest. daselbst 1763. Er machte Leasowes zu einem Vorbild der englischen Gartenkunst, welche sich seit dem vorigen Jahrhundert einbürgerte. Seine »Werke« erschienen 1764. Die nachfolgende lateinische Inschrift lautet verdeutscht: »William Shenstone, – welcher die Reize dieses Landguts – die vorher weder erfreulich noch gekannt waren – durch seinen Geist erkannt – durch die Dichtung geschmückt – durch sein Leben gepriesen hat – weiht diesen Sitz mit dem Bache – E· M.« Anmerkung d. Hg..

Hoch in den Ulmenwipfeln sauste der Wind, rauh und kühn streifte er an uns vorüber, und die grauen Wolken von vielen Schattirungen jagten sich, stürzten sich schnell übereinander her, ließen Sonnenblicke durchfallen, und das Blau des Himmels zeigte sich von Zeit zu Zeit durch zerrissene Oeffnungen des Gewölks. Da umfing uns ein dunkler Schattengang von allerlei Laubwerk. Noch sauste der Wind über uns, aber er berührte uns nicht mehr; wir vernahmen das sanfte Rieseln des Waldbachs, an dem unser Pfad sich hinschlängelte, und stiegen an mancherlei Gebüschen hinab in das Thal, bis wo sich der Bach zu einem stillen Flüßchen sammelte und leise dahinschlich im Gebüsch. Bald, zwischen den überhangenden Zweigen, öffnete es sich in einen stillen Wasserspiegel, dessen Grenze man nicht übersah. – Wenige Schritte brachten uns an den lieblichen See. Hinter uns war ein schöner Grashügel, vorn ein Dorfkirchthurm und seitwärts blökende Lämmer mit ihren Müttern. Hier stürzte sich ein neues Gewässer ins Becken.

Eine Moosgrotte am Bach, der in unendlichen Cascaden zwischen dem Gebüsch und grünen Kräutern silbern herabfällt. Am Sitze steht die Inschrift:

GULIELMO SHENSTONE
QUI HUJUSCE RURIS AMOENITATES
NEC GRATAS OLIM NEC COGNITAS
INGENIO SUO INDAGAVIT
LITTERIS EXORNAVIT
MORIBUS COMMENDAVIT
SEDEM CUM RIVO
DEDICAT
E. M.

Und gegenüber auf einer Anhöhe zwischen Taxus und hohen Eichen eine schöne Urne:

GENIO LOCI.

Weiter durch einen Kranz von Eichen, Buchen und Weißpappeln wand sich der Pfad hinan um eine Waldwiese, längs den Grenzen dieses Zaubergebiets, längs Hügeln mit Acker, Weide und Schatten gekrönt, bis wir an einen schönen Grashügel kamen, wo, umringt von hohen Fichten, ein alter Krug auf einem hölzernen Gestelle steht. – Hier schwebte das Auge hin an die äußerste Grenze des Horizonts und ruhte zuerst auf den Wrekin, dem fernen Gebirge im blauen Nebelduft, und zog sich dann näher in die durcheinanderkreuzenden Berge und Thäler. Diese zeigten in unbeschreiblicher Mannichfaltigkeit ihre Zierde von hundertfältig schattirtem Grün und ihre stets abwechselnden Umzäunungen, ihre schönen Formen, ihre Waldungen, ihre hoch emporstrebenden schwarzen Thurmspitzen, ihre weißen von der Sonne beschienenen Kirchthürme, Windmühlen, große, weit ausgebreitete, in den Thälern ruhende Dörfer, zerstreute Wohnungen und den unnennbaren Reichthum in ewig abgeänderter Schönheit des Wuchses, der Gruppirung und des Laubes emporstrebender Bäume. Näher endlich unter unsern Füßen das ganze liebe Dichterland und große Hügelrücken prangend mit grünen Saaten, und der Bach, der sich breit um den Hügel windet, von Erlen beschattet, die ihre Zweige in das Wasser senken, und Reihen schlanker, junger, leichtbewipfelter Eichbäume, die den Umkreis in allerlei Richtungen durchschneiden und blühendes Gebüsch, welches die Wohnung des Eigenthümers halb versteckt.

Einige Schritte weiter öffnet sich eine neue Aussicht. Ein Sitz in einem gothischen offenen Kapellchen, zu beiden Seiten mit hohen Eichbäumen, deren Aeste sich gatten. Zwischen ihnen geht die Aussicht über eine beschränkte, aber nicht minder schöne Gegend von großem Reichthum.

Bei einer weit ausgebreiteten Wiese, wo man das Wasser im Gebüsch halb versteckt sieht, gibt ein kleines Wäldchen rechts, Lions walk, dichten Schatten. Das Wasser bildet einen Teich, der sich an den Gipfeln unter die Bäume zieht und von mehrern Seiten kleine rieselnde Zuflüsse aus den Gebüschen erhält. Unter den verflochtenen Wurzeln einer schönen Buchengruppe, an einem moosigen Felsen, läuft ein silbernes Fädchen Wasser und stürzt sich einige Schuh tief plätschernd hinab. Ueber die Wurzeln der Bäume stiegen wir den Hügel hinan. Wie braust der Sturm, wie stürzt der Regen hinab! Kaum schützen uns hier die dichten Buchenschatten. Auf dem Sitze steht:

    Hic latis otia fundis,
Speluncae vivique lacus, hic frigida Tempe
Mugitusque boum mollesque sub arbore somni.
Die (von Huber fehlerhaft abgedruckte) Stelle steht Virgil. Georg., II, 468 fg.

Sie lautet frei verdeutscht:
... Hier findest du Ruh in weiten Gefilden,
Nächtige Höhlen, lebendige Seen und kühlende Thäler,
Heerdengebrüll und erquickenden Schlaf im Schatten des Baumes.
Anmerkung d. Hg.

Hilf Himmel, welch ein Guß! Dieser dichtbelaubte Gang schützt uns nicht mehr. Dort seh' ich ein Sacellum. Wir wollen die Laren um Erlaubniß bitten, an ihrem Herde zu stehen. Es ist Pan's Tempel.

Pan primus calamos cera conjungere plures
Edocuit; Pan curat oves, oviumque magistros.
Die Stelle » Pan primus« steht Virgil. Ecl., II, 32, fg. (statt edocuit hat Heyne instituit). Sie heißt in der Verdeutschung von Voß:
Pan hat zuerst Rohrpfeifen mit Wachs aneinanderzufügen
Ausgedacht, Pan liebet die Schaf' und die Hüter der Schafe. Anmerkung d. Hg.

Auf dieser modernden Bank läßt es sich ruhen und verschnaufen und den langen, langen geraden Pfad durchsehen, den wir so schnell hierher durchlaufen sind. Hier können wir uns trösten über die plötzliche schneidende Kälte in diesen Irrgängen. Ist es doch, als paßten sich Ort und Wetter und Benennung! Siehe da, ein heller Sonnenblick! Wir eilen weiter.

Wir steigen herab an der Grenze, längs Wiesen und Schatten, die sich weit hinter den Wohnhäusern hinziehen. Plötzlich ein Wald! Ein Pfad windet sich schnell hinab in die jähe Tiefe; unten rauscht kühner und mächtiger der klarste Waldstrom dieses Orts; ein schäumender Sturz über die dickbemooste Felsenbank aus einer heiligen Grotte mit Epheu bekleidet, mit Stechpalmen umwunden, schleunigt seinen Lauf, und immer wieder stürzt die Welle mit neuer Jugendkraft die Bahn der Zeit sich hinab. Wer ist der Schutzgeist dieser Schatten? Wem spielt die Najade? Wen verkündigt diese feierliche Stille des Waldes? Ha! ein Obelisk!

GENIO P. VIRGILII MARONIS »Dem Genius des P. Virgilius Maro – Ist dieser Stein und Hain – Geheiligt.« Publius Virgilius Maro, der Dichter der » Aeneis«, der » Eclogae«, » Georgica« u. a. lebte zu Augustus' Zeit. Anmerkung d. Hg.
LAPIS ISTE CUM LUCO
SACER ESTO

Und ein Sitz!

CELEBERRIMO POETAE Die Inschrift, in welcher übrigens die erste Ausgabe einen hier verbesserten Sprachfehler hat, sagt: »Dem hochberühmten Dichter – Jakob Thomson – hat bei seiner Lieblingsquelle – G. S. (Shenstone selbst) – diesen Sitz geweiht.« Jakob Thomson (1700-48), englischer Dichter, besonders berühmt durch sein beschreibendes Gedicht »Die Jahreszeiten«. Anmerkung d. Hg.
JACOBO THOMSON
PROPE FONTEM ILLI NON FASTIDITUM
G. S.
SEDEM HANC ORNAVIT.

    Quae tibi, quae tali reddam pro carmine dona? Die Stelle steht Virg. Ecl., V, 81 fg.; in der Verdeutschung von Voß:
Welches, o welches Geschenk für solchen Gesang dir erfind' ich?
Denn nicht freuet mich so das Geräusch des kommenden Südwinds,
Nicht die Gestad', aufwallend von schlagenden Fluten, und so nicht
Bäche, die jähling hinab durch felsichte Thäler sich stürzen.
Anmerkung d. Hg.

Nam neque me tantum venientis sibilus austri,
Nec percussa juvant fluctu tam litora, nec quae
Saxosas inter decurrunt flumina valles.

Am Baum:

    Sweet Najad Die von R. Dodsley (1703-64) gedichtete Inschrift am Baum lautet frei verdeutscht:
Im Silberquell, o holde Fei,
Die schönen Glieder bade frei;
In dieser Bäume Schattendach
Folgt dir kein frevelnd Auge nach.
Dem stillen Denker gönne nur,
Zu folgen deiner Schritte Spur;
Dem Dichter, der dies holde Thal
Erschuf, zeig' deiner Schönheit Strahl!
Anmerkung d. Hg.
, in this crystal wave
Thy beauteous limbs with freedom lave,
By friendly shades encompast, fly
The rude approach of vulgar eye;
Yet grant the courteous and the kind
To trace thy footsteps unconfin'd,
And grant the swain thy charms to see,
Who form'd these friendly shades for thee.

R. Dodsley.

Diesen wunderschönen Hügel krönt eine Gruppe blühender, dickbelaubter Roßkastanien. Wir müssen uns ihren heiligen Schatten nahen. Wie? diese Schatten verbergen einen Tempel? Umhüllt mit blühendem Geisblatt, umpflanzt mit Kiefern und Tannen, steht hier eine alte Abtei in gothischem Geschmack, deren Inneres zum Wohnhaus einer alten Dienerschaft eingerichtet ist. Ein Zimmerchen hat der Besitzer für sich.


5. Hayleypark.

Dieser prächtige Landsitz ist jetzt das Eigenthum des Lords Westcote, eines Bruders von dem berühmten Lord George Lyttelton, der die Anlage machte. Es hält schwer, ihn mit den lieblichen Leasowes zu vergleichen denn er ist in einem ganz andern Stil und mußte es nach seiner Bestimmung, zum Aufenthalt der Damhirsche, auch sein. – Hier ist alles festlicher, geputzter, weitläufiger als in den Leasowes. Um das Wohnhaus des Lords ( Hall) zieht sich ein sammtweicher Grasplatz ( Lawn) weit hinauf an den Hügel, hier und dort durch einzelne Gruppen von Buchen mit üppigem Wuchs, von Laub strotzend, verziert. In der Ferne auf einem hohen mit Gras bedeckten Berge steht ein prächtiger Obelisk, der in der ganzen Gegend sichtbar ist. Die Bäume im Walde stehen weitläufig gepflanzt und sind alle vom stolzesten Wuchs; königlich streben sie empor, ragen an den Gehängen der Hügel stufenweise übereinander hinaus und bilden gleichsam Wolken von grünem Laub, welche in unaussprechlicher Fülle über dem grünen Rasen sich thürmen. Das Gras zwischen ihnen ist so sammtweich als auf den Wiesen um das Haus, und mit Waldkräutern fast ganz unvermischt; das schönste Futter für die niedlichen Damhirsche, die hier mit ihrem bunten Fell, ihren muntern Köpfchen, schlanken Körpern und schlankem schnellen Füßen in Heerden von mehrern Hunderten den Fremden ganz nahe kommen lassen, ehe sie sich in leichten Sprüngen, als flögen sie dahin, von ihm entfernen. Dieses festliche geputzte Ansehen gibt mir einen Vergleich an die Hand, den ich nicht vergessen will. Die Leasowes fand ich in einem reizenden Négligé, wie eine Schöne, die ihrer natürlichen Grazie mit kaum merkbarer Kunst Einheit zu geben, und Blick und Gedanken auf sie beständig zurückzuführen weiß. Bei Hayleypark fiel mir der Herr Ceremonienmeister in Bath wieder ein, der eine stattliche, wohlgewachsene Dame vom Lande in ein schweres Full-dress-Atlaskleid vom schönsten Gewebe und Dessein wohl eingepackt hat, und sie mit aller ihrer Herrlichkeit steif dasitzen und keuchen läßt. Noch ein anderer Vergleich – denn eine Idee gibt die andere – läßt sich aus der Dichtkunst hernehmen, weil hier doch von Dichtern die Rede ist. Hayleypark ähnelt einer modernen pindarischen Ode mit ihrer gemessenen Zahl von Strophen, Antistrophen und Epoden, die weiter nichts als diese Abtheilungen und der hochtrabende Gang ihrer Verse zu einem Gedichte machen; die Leasowes sind die schöne ungekünstelte Ergießung des kühnen Dichtergenies in einem glücklichen Augenblick. Jeder Schulmeister in einer lateinischen Schule weiß ein Recept, nach welchem man eine Ode verfertigen kann; und in der That sind die Ingredienzien, bis auf das eine, das Genie des Dichters, überall zu haben. Ebenso läßt sich von jedem Gärtner lernen, daß zu einem schönen englischen Park Bäume und blühendes Gebüsch, rieselnde Waldbäche, schlängelnde Pfade, Tempelchen, Moossitze, Inschriften, Denksäulen, Begräbnißurnen und, so Gott will, auch Ruinen gehören. Dies alles findet man denn in so manchem Garten in England, wie in so manchem auf dem festen Lande, der im englischen Geschmack sein soll. Allein, daß dies alles auch ein Ganzes bilden sollte, daran wird selten gedacht; weil man sicher glaubt, diese Absicht werde schon durch die Hecke, die das Grundstück vom nachbarlichen Gebiet trennt, vollkommen erreicht. Was ich hier sage, soll dem guten Lord Lyttelton zu keinem Vorwurf gereichen. Friede sei mit seiner Asche! Nemo dat quod non habet. – Aber jetzt können wir wol sagen, was uns besser gefällt, sowie er es sich selbst herausnehmen konnte, seinen Freund Alexander Pope den elegantesten, lieblichsten englischen Dichter, den angenehmsten Lehrer der Weisheit, und wer weiß was alles, zu nennen. Ich finde in seiner Anlage nicht die Einheit, die einen Zauber durch das Ganze haucht, wohl aber einzelne schöne Partien, die, wenn sie schicklicher an ihrem Orte wären, wirklich Effect haben und entzücken würden. So z. B. ist die Urne zu Pope's Andenken, die am Pfade steht, schön und in herrlichem Geschmack. Allein warum just dort? fragt man immer und fragt umsonst. Liegt er etwa dort begraben, oder ward er dort erschlagen? Denn sonst hat die Stelle schlechterdings nichts Auszeichnendes, nichts, das auf den elegantissimum dulcissimumque poëtam hindeutete. – Die Grotte des Eremiten, mit der schönen Stelle aus Milton's »Penseroso«, sollte in tiefes heiliges Dunkel vergraben sein, um die Schwermuth zu bezeichnen, die der herrschende Gedanke ist. Statt dessen steht sie an einem Orte, wo man aus dem Park ins freie Feld geht. – Die Inschrift » Omnia vanitas« findet man in einem Häuschen, welches in einer ganz beschränkten Gegend steht. Vielleicht wäre sie an dem schönen Thurm, wo man die halbe Welt überschaut, weit treffender gewesen. Dieser Thurm ist in der That das Schönste im ganzen Garten. Er ist sehr hoch und auf einer Seite mit Epheu höchst malerisch bekleidet; er hängt mit dicht verflochtenen Zweigen wie ein Pelzmantel daran herab und übersteigt seine höchsten Zinnen. Oben hat man eine Aussicht, deren Umfang wie ihr Reichthum unermeßlich ist. Die Malvernhills in Worcestershire, die Blackmountains in Südwales, Radnorthump in Radnorshire, dreißig englische Meilen entfernt, die Haberleyhills in Worcestershire, die Cleehills und der Wrekin in Shropshire, endlich Dudley und Rowley liegen alle umher, und ein unendlicher Garten Gottes zu den Füßen des Wanderers, der auf dieser Warte schaut, streckt sich weit und breit bis hin an jene Gebirge. Eine Rotonda, eine Säule, auf welcher eine Statue zu Fuß des verstorbenen Prinzen von Wales steht, ein bedeckter Sitz Thomson zu Ehren, eine Cascade, die zwischen überhängenden Wipfeln der Bäume in ein Becken stürzt, sind liebliche Partien dieses großen Lustgartens, den auch ein gutes anmaßungsloses und gleichwol der Würde des Besitzers angemessenes Wohnhaus ziert. Ein Leichenhof ist in diesem Garten angebracht; doch auch der steht nicht an seiner Stelle: die Idee ist nicht eingeleitet, nicht vorbereitet. Ein schönes Pfarrhaus, wie eine Kirche in gothischem Geschmack, außerhalb des Parks, doch daranstoßend und damit zusammenhängend, macht ebenfalls eine angenehme Verzierung. Das häufigere Wasser in den Leasowes ist dort auch besser benutzt worden, sowie die tiefern Gründe zwischen den Bergen vieles zur natürlichen Schönheit dieses Lieblingsplätzchens beitragen, was man daher von Hayley nicht einmal fordern kann.


6. Reise von Birmingham nach Derby.

Um 12 Uhr Mitternacht, den 12. Juni, reisten wir in der Manchesterkutsche mit vier andern Passagieren ab. Es ward schon um 2 Uhr hell. Um 6 Uhr morgens kamen wir in dem kleinen Städtchen Uttoxeter an, welches aber Utcheter, oder auch wol Hutcheter ausgesprochen wird. Zwischen diesem Orte und Cheadle vermehrte sich die Kutschgesellschaft bis zu dreizehn Personen, indem fünf auf der Kutschimperiale und einer neben dem Kutscher auf dem Bocke saß. In Cheadle, einem kleinen Orte, frühstückten wir. Es werden daselbst Steinkohlen gebrochen, deren es überhaupt in Staffordshire einen großen Ueberfluß gibt. Auch ist daselbst eine Schmelzhütte, wo Garkupfer gesotten wird, und eine Messingdrahtfabrik. Zwischen diesem Orte und Lichfield, im Dorfe Tane, ist eine große Manufactur von Linnenband ( Tape). Mitleid und ein wenig ausländische Artigkeit gegen ein Frauenzimmer, das weder schön noch einnehmend war, bewogen mich hier, ihr meinen Platz im Wagen einzuräumen und bis Leak, zehn englische Meilen weit, oben auf der Imperiale zu sitzen. Dieser Sitz ist im Sommer bei gutem Wetter, wegen der freien Luft und der freien Aussicht so angenehm, daß kein Mensch im Wagen würde sitzen wollen, wenn man Sorge trüge, die Sitze draußen so bequem einzurichten, als es mit leichter Mühe geschehen könnte. Geflissentlich läßt man also diese Sitze sehr ungemächlich, und ich fand sie so in dem Grade, daß ich es mir nicht leicht anders als aus Noth werde gefallen lassen, je wieder draußen Platz zu nehmen. Man sitzt zwar auf dem Kutschkasten erträglich, aber sehr hart und hält sich an einem krummen Eisen, das wie ein Geländer am Rande befestigt ist; die Füße aber muß man gegen einen festen Punkt am Kutschbock stemmen, welches dem ganzen Körper eine sehr heftige Erschütterung mittheilt. Man sitzt keinen Augenblick fest und, sobald man den eisernen Griff losläßt, keinen Augenblick sicher. Nie sitzt man bequem und daher kann man kaum fünf Minuten in einerlei Stellung aushalten. Kurz, ich weiß nur die Pein eines deutschen Postwagens, die damit zu vergleichen wäre. Die zehn Meilen wurden jedoch überstanden, und die Aussicht auf die Vorberge von Derbyshire entschädigte und zerstreute mich. Die schöne reiche Gegend von Staffordshire fing an hinter Cheadle allmählich zu verschwinden. Wir fuhren bergan, und sichtbarlich ward alles Laubholz und alles Gesträuch krüppelhafter um uns her; es zeigten sich große Heiden, Sandsteinfelsen und einzelne darauf umherirrende Schafe, mit ihrem Pelz in Lappen herabhängend. – In Leak, einem kleinen wohlgebauten Landstädtchen, dem seine Manufacturen von gesponnenen Knöpfen und Bändern viel Activität geben, setzten wir uns in eine Postchaise und fuhren nach Buxton. Gleich anfangs ging es in einem fort bergan. Hecken von lebendigem Gesträuch hatten wir schon eine geraume Strecke Wegs nicht gesehen; alle Befriedigungen und Abmarkungen des Eigenthums bestanden aus Mauern von lockern, blos aufeinandergepackten Steinen. Die ganze Gegend ward öde und traurig um uns her, die Bäume verschwanden ganz und gar, und die Oberfläche der Felsen war mit der verdorrten Heide des vorigen Jahrs, in großen schwarzen Flecken, und dazwischen mit groben Gräsern bewachsen. Der röthlichgraue Sandsteinfels, aus welchem das hiesige Gebirge besteht, ist ziemlich grobkörnig und nicht allzu fest von Gefüge, wenigstens an den Orten, wo er zu Tage aussteht und der Verwitterung ausgesetzt ist. In ein paar Stückchen dieses Sandsteins wurden wir kleine Bläschen Bleiglanz gewahr. Er bildet hier sehr hohe und breite Bergrücken, zwischen denen an einigen Orten ein nicht minder hohes Kalkgebirge ruht. Die Kühlung der Luft und der Zustand des Pflanzenwachsthums ließen uns auf eine sehr ansehnliche Höhe dieser Sandsteinberge schließen, und unser ununterbrochenes Berganfahren scheint die Sache außer Zweifel zu setzen. Etwa vier englische Meilen von Leak, an einem Orte, der, glaube ich, Upper Hulme heißt, stellte sich uns einer der bewundernswürdigen Anblicke dar, die man nur in hohen Gebirgsgegenden sehen kann. Das Sandsteingebirge zog sich hier als ein hoher Kamm von Mitternacht nach Mittag herab; drei bis vier hoch aufgethürmte, bogenförmige, aber wie Messerrücken zusammengedrückte Gipfel standen furchtbar in einer Reihe da und hoben ihre nackten, schwarzen, zerklüfteten Häupter in malerischen Formen der Zerstörung empor. Es waren sowol wagrechte, etwas in die Teufe streichende Ablösungen, als senkrechte Spalten der Verwitterung an ihnen sichtbar, sodaß der Fels, bald schieferig, bald säulenähnlich zertrümmert, sich auseinandergab. Aufeinanderruhende Gelenke von Felsen, von ungeheuerer Größe; Zacken oder Zinken, die in schräger Richtung spitzig und kühn hinaufliefen und leicht funfzig Fuß lang sein mochten, überhangende Gewölbe von moderndem Stein, die den Einsturz drohten und unter deren Obdach alle andere Gegenstände vor Kleinheit verschwanden; abgerissene, hinuntergestürzte Felsmassen, die in ihrem Fall einen Palast zerschmettert hätten, und ringsumher eine Saat von kleinern und größern Steinen, die nicht von der belebenden Hand Deukalion's und Pyrrhens geworfen, sondern von dem Genius der Unfruchtbarkeit und der Zwietracht, oder im Titanenkriege herabgeschleudert schienen. Die herausstehenden schroffen Spitzen und Trümmer dieser Felsenkämme sind insgesammt nach Morgen gerichtet; gegen Abend hin verliert sich der Fels unter einer sumpfigen Decke von Torf, die an einigen andern Stellen des Sandsteingebirges nur wenige Fuß dick ist, aber dennoch gestochen und zum Nutzen verwendet wird. Es ließe sich also muthmaßen, daß entweder plötzliche Revolutionen oder allmähliches Anspülen der Regengüsse, die von Morgen herkommen, hier das Phänomen, wovon wir eben sprachen, hervorgebracht haben müsse. Schrecklicher Zeitpunkt, den man ohne Schauder nicht denken kann! Wie sah es damals in der Welt um die Sicherheit des Menschengeschlechts aus, als die Berge sich wälzten aus ihrer Stätte! – Ich stieg auf einen der höchsten hinausragenden Punkte dieses Gebirges. Die höchste Gegend umher war weit und breit in die Farben der erstorbenen Natur gekleidet, die Thäler und niedrigern Bergrücken prangten noch mit grünenden Wiesen, aber ohne die schöne Zierde der Bäume und überall mit todten Steinmauern wie mit Lavagüssen umzäunt. Von den Kalkbergen, die sich durch ein lebhafteres Grün und hervorstehende weiße Felspunkte verriethen, dampften hier und dort die Kalköfen. Näher um uns her weideten einzeln etliche Schafe, die jetzt ihr Winterkleid ablegten und halb nackt, halb bepelzt, die Lappen hinter sich her schleppten; zwischen dem Heidekraut, das noch nicht wieder grünte, und dem häufigen harten Moose fanden sie einige Grashalme und einige Futterkräuter. Fern wie das Auge hier reichte, unaufgehalten durch die zunächst umliegenden Berge, die insgesammt niedriger sind, sahen wir nach allen Seiten die langen Bergrücken reihenweise sich einander umgürten. Ihre Gehänge sind mehrentheils ziemlich gewölbt und verflächen sich gelinde in die geräumigen flachen Thäler. Weit in Nordosten ragte die hohe Kuppe des Mam Tor bei Castleton über den umliegenden Horizont. Unten rollte unser Wagen einsam auf einem gebahnten Wege durch die unermeßliche Leere. Wir stiegen wieder hinab und blickten mit Staunen vom Fuß dieser hoch über unsern Häuptern furchtbar hinausschwebenden Felsmassen nach ihren drohenden kühnen Gipfeln und Zacken. Wie still, wie ruhig ist alles in der Natur mitten unter diesen Schrecknissen! Tausendjähriges Moos wächst auf den Spitzen des Gebirges, wohin sich der verwegenste Fuß von Menschen und Thieren nicht wagt. Die kleine Tormentille, die Hyacinthe, das gelbe Veilchen, blühen zwischen den Klippen, die, von dem Gipfel abgerissen, einst donnernd hinunterstürzten. Das Vieh wandert friedlich und sicher über die Abgründe und schwebt gleichsam in der Luft auf einem morschen Gewölbe. Wir selbst hier unter der Wölbung, die jeden Augenblick zusammenstürzen und uns zerschmettern könnte, standen sorglos und verließen uns auf die Baukunst der Natur; wir würden hier Schutz gegen den Gewittersturm gesucht haben, wenn er uns überrascht hätte.

Um 3 Uhr kamen wir endlich zu Buxton an und stiegen im White Hart ab, wo eben die Gesellschaft zu Tische gehen wollte. Es ist hier gewöhnlich – zum ersten mal sah ich es in England – à Table-d'hôte zu speisen. Die Gesellschaft bestand aus etwa zwanzig Personen, Herren und Damen von Stande, die hierherkommen, theils um wirklich das Bad ihrer Gesundheit wegen zu brauchen, theils um dem Todfeinde der Reichen, der Langenweile, zu entfliehen, die sie von Bath nach London, von London nach Buxton und von hier auf ihr Landgut verfolgt und wie eine Harpye unablässig an ihnen zehrt. Hier sind allerlei Mittel dieses immer wieder wachsende Ungeheuer zu tödten: öffentliche Zimmer, öffentliche und Privatbäder, gemeinschaftlicher Tisch, ein Schauspielhaus, Karten, Bälle, Promenaden, die Poolshöhle unter der Erde und eine öde, nackte Gegend, welche die Anwesenden zu einiger Anstrengung nöthigt, um sich Unterhaltung zu ersinnen, und sie einander näher bringt, um das gemeinschaftliche Bedürfniß zu befriedigen und dem gemeinschaftlichen Peiniger mit vereinten Kräften Widerstand zu leisten. Im Juli und August ist es hier am vollsten; dann gibt es hier mehrere hundert Badegäste. Auch jetzt wäre die Gesellschaft schon zahlreicher, wenn das Parlament nicht so lange Sitzungen hielte, wodurch eine müßige Menge in London zurückgehalten wird, die sonst früher dieses Bergthal, Bristol und Tunbridgewells, Brighton, Margate, Harrowgate, Cheltenham und noch einige andere Orte derart überschwemmen. Der Herzog von Devonshire, Eigenthümer der meisten Grundstücke in dieser Gegend, hat vieles zur Verschönerung des Orts und für die Bequemlichkeit der Badegäste gethan. Der Crescent, ein halbmondförmiges Gebäude von großer Eleganz, welches lauter Arcaden und oben eine Reihe gereifelter dorischer Pilaster hat, enthält öffentliche und einzelne Bäder, Assemblée-, Tanz- und Spielzimmer und Bequemlichkeiten aller Art. Dieses Gebäude ist zwar nicht so groß wie der Crescent in Bath, aber dem Endzweck vollkommen angemessen, ob es gleich wie die meisten modernen Gebäude in England in den Verhältnissen gegen alle Regeln der Baukunst sündigt. Unweit dieses Gebäudes ist ein kleiner Spaziergang, von einigen hundert Bäumen und Sträuchen angenehm beschattet und in der That desto angenehmer, je öder die umliegende Gegend ist. Etwas höher liegt ein kreisförmiges Gebäude von großer Pracht, ebenfalls vom Herzog von Devonshire errichtet. Wer hätte, nach den schönen dorischen Säulen, die rings um das erste Geschoß gehen, wol erwartet, daß dieses Gebäude die Bestimmung hat, den Pferden der Badegäste (die etwa mit eigenen Pferden herkommen) einen Aufenthalt zu verschaffen! Es ist hier Platz für 112 Pferde, und an zwei Seiten geht in einem halben Viereck eine Wagenremise um den Stall, in gehöriger Entfernung von dem Gebäude. Der Herzog verpachtet diesen Stall und die Remisen an einen Menschen, der wieder einzelne Stallungen vermiethet und zugleich eigene Lehnpferde hält. Auf diese Art wird allmählich der Zeitpunkt herannahen, wo das Kapital, welches der Bau kostete, sich ersetzt und alsdann reine Interessen abwirft.

Buxton liegt in einem von den flachen Thälern des hiesigen Gebirges und in einer traurigen Gegend, wo man weit und breit, außer dem angepflanzten Spaziergange, keine Bäume sieht. Man geht über ein paar Felder, die durch Mauern von aufeinandergelegten Steinen abgesondert sind, nach dem Eingange einer Kalkhöhle, welche Pool's hole heißt. Drei alte Weiber standen hier schon bereit, uns in den unterirdischen Schlund zu führen, gaben jedem von uns ein Licht in die Hand und gingen selbst mit brennenden Lichtern vor uns her. Ich dachte lebhaft an die Zauberschwestern im »Macbeth«, und die unterirdischen stygischen Gewölbe, wohin sie uns führten, waren wahrlich gemacht, um dieser Idee ihren gehörigen Grad der Lebhaftigkeit zu geben. Man kommt durch einen engen, niedrigen Eingang in verschiedene Höhlen, die sich bis 669 Yards in den Felsen hineinwinden und an einigen Stellen eine beträchtliche Höhe haben. Die berühmte Baumannshöhle am Harz ist an Größe mit dieser nicht zu vergleichen; hingegen hat sie einen wesentlichen Vorzug in Absicht des Sinters, den die Wasser darin absetzen. Die dortigen Stalaktiten, auf hartem rothem Marmor abgesetzt, sind schneeweiß; die hiesigen überziehen einen groben, grauen, dichten Kalkstein und sind von einer schmuzigen Farbe, ohne irgendetwas Auszeichnendes an Gestalt; denn die vorgeblichen Aehnlichkeiten mit einer Schildkröte, einer Speckseite, einem Löwen, einer Orgel, einem Sattel u. s. w., gehören zu den Absurditäten, die man von unwissenden Menschen zu hören gewohnt ist. – Wir gingen immer über Schutt und lockere Steine, die von den durchhin strömenden Fluten irgendwo losgerissen und in dem Boden der Höhle zurückgelassen oder auch von oben hinabgestürzt waren, ungefähr 569 Yards tief hinein. Jenseit dieser Stelle kann man noch bis an den Bauch im Wasser 100 Yards weiter gehen, wo die Höhle sich schließt oder wenigstens nicht weiter gangbar ist. Von oben träufelt es beständig in allen Theilen der Höhle, folglich ist es auf dem Boden überall unbequem und feucht zu gehen. Nicht fern vom Eingange hat die Höhle einen Querschlag oder ein doppeltes Gewölbe. Man geht durch das höhere hinein und kommt durch das unterste wieder heraus. Ein kleiner Bach rieselt aus der Höhle hervor und führt das Wasser aus ihrem Hintergrunde ab. Es gibt in derselben weder Petrefacte noch Knochen; nur muß man sich nicht durch die Sprache der hiesigen Führer irren lassen, die den Sinter ein Petrefact nennen, sowie unsere Megären oder eigentlich die Hekate dieses Avernus selbst, nach der Analogie des Wortes icicle (Eiszapfen), ein neues Wort bildete und die Stalaktiten watericles nannte. Beim Austritt aus dem unterirdischen Gange umringte uns eine Schar von Weibern und Kindern, die so ungestüm bettelten, daß wir froh waren, mit dem Verlust einiger Schillinge von ihnen loszukommen.

Die angenehme Tischgesellschaft im Weißen Hirsch konnte uns nicht verleiten, die Nacht hier zuzubringen, zumal da wir schlechthin gar keinen Bekannten unter diesen Herrschaften hatten, die doch den Nationalcharakter durch einen Trunk Wasser in Buxton nicht, sowie die griechischen Helden und Halbgötter ihr Gedächtniß in einer Schale voll Lethe, ertränkt zu haben scheinen. Sobald wir uns also mit einem Thee erfrischt hatten, den man in der Regel fast in allen englischen Wirthshäusern vortrefflich und mit dem vortrefflichsten Rahm oder Sahne bekommt, fuhren wir zwölf englische Meilen weiter nach Castleton, dem Hauptsitz der sogenannten Wunder des Piks in Derbyshire. Ueber die Anzahl dieser Wunder ist man nicht einig; man zählt ihrer in Büchern sieben, weil dies eine geheimnißvolle und wunderschwere Zahl ist, mithin der Wunder auch im Pik nicht weniger sein dürfen. Allein die hiesigen Einwohner wissen nichts von dieser mystischen Sieben und bringen bald sechs, bald nur fünf Wunder heraus: nämlich die drei unterirdischen Höhlen, Peak's hole, Eldenhole und Poole's hole; den Brunnen, der in Zeit von ein paar Stunden steigt und fällt; und den höchsten Berg in dem ganzen Gebirge, dem seine wallisische oder cambrische Benennung Mam Tor (der Mutterberg) geblieben ist. Bei dieser Gelegenheit erinnert es sich am besten, daß das hiesige Gebirge sehr uneigentlich den Namen eines Piks ( Peak) trägt, indem hier nirgends ein Spitzberg zu sehen ist, welcher, wie die von Teneriffa, Piko u. s. w., den mit diesem Worte insgemein verknüpften Begriff erweckte. Allein ich vermuthe wohl, daß hier eine weit ältere und allgemeinere Bedeutung des Worts peaked zum Grunde liegt, vermöge deren es alles, was hoch und steil ist, bezeichnen kann. Das hiesige Gebirge ist gewissermaßen ein 3000 Fuß über die Meeresfläche erhöhtes Plateau, worin zwar Berge und Thäler, aber gleichwol keine sehr beträchtliche Unebenheiten bemerklich sind: eine einzige hohe Gebirgsmasse, in mehrere kleinere auf ihrer Oberfläche ausgespült.

Wir kamen bei dem Lustwäldchen von Buxton und hernach bei einigen in den Dörfern angepflanzten Bäumen vorbei. Es fiel äußerst auf, wie wenig die ganze Vegetation hier noch vorgerückt war. Die Buchen und etliche andere Bäume, insbesondere aber die Eschen, kamen eben erst aus ihren Knospen hervor. Dieser Baum erinnerte uns hier herum durchgehends, daß der Frühling hier eben begönne. Der kalte Wind und der kalte Gewitterregen gaben ein bestätigendes Zeugniß. Unser Weg war indeß noch immer ziemlich gebahnt, und dicht vor Castleton zog er sich romantisch durch einen tiefen, tiefen Abgrund, wo ungeheuere Felsmauern zu beiden Seiten furchtbar in der Höhe schwebten und auf der einen Seite des Wegs einen hervorspringenden Winkel bildeten, wo gegenüber ein hineingehender war. Die ungeheuere Höhe dieser Riesenmauern, ihre malerische Gestalt, die Schafe, die sich oben am Rande sehen ließen, der abschüssige Weg, den wir nur mit gehemmtem Rad zurücklegen durften, und das eintretende Dunkel des Abend machten diese Naturscene feierlich und eingreifend. Bald hernach langten wir zu Castleton an und nahmen unser Quartier im Castle-inn, wo wir die beste Bedienung fanden und nach einem so ermüdenden Tagewerk die Nachtruhe unser Hauptaugenmerk sein ließen.

Den 13. Juni. Einen Tag wie den heutigen in dem unbeständigen Klima dieses Gebirges schenkt der Himmel den auserwähltesten Naturforschern nicht; allein wir sind gute Kinder und hatten schon längst einen schönen Spieltag abverdient. Wenn Neuseeland und das Feuerland, wenn die Eisfelder des Südpols, und vor allem die Ebenen von Taheiti mit den Lustgärten der Freundschaftsinseln ihre Eindrücke in der Einbildungskraft zurückgelassen haben, dann muß der Tag schon reich an Wundern sein, der unvergeßlich genannt zu werden verdient. Was ich heute sah, hab' ich noch nie gesehen. Dies ist zu wenig gesagt. Ich will hinzusetzen, daß es alle meine Erwartungen und Vorstellungen weit überstieg; und auch dann spreche ich mehr zu meiner eigenen Erinnerung, als zur Belehrung anderer, die nicht wissen können, was ich zu erwarten oder mir vorzustellen vermochte. Schon unser Erwachen war Genuß der romantischen Gegend. Aus dem kleinen Gärtchen unsers Gasthofs erblickten wir längs dem Gipfel des steilen daranstoßenden Bergs die ehrwürdigen Trümmer einer uralten Burg. Eine Mauer mit Ueberbleibseln von Thürmen an jeder Ecke erstreckte sich längs dem jähen Gehänge; in der Mitte war sie eingestürzt, und über der Oeffnung hatte sich ein Hügel von Schutt und Gräsern gebildet. Aus der Mitte des innern Bezirks hob sich ein schöner viereckiger Thurm, der einst mit Quadersteinen ganz bekleidet gewesen war, jetzt aber von unten hinaufwärts diese Bekleidung schon verloren hatte. An jeder Ecke ging ein zarter schlanker Pfeiler in die Höhe; über ihm sprang die Mauer einen Stein dick weiter hervor und bildete ein etwas vorstehendes Viereck. Die Zinnen des Thurms waren eingestürzt; aus seinen zerrissenen Wänden sproßten Bäume und Pflanzen. Epheu schlang sich üppig über die Vormauern und längs den Ritzen und Spalten. Rechts öffnete sich hart an der Burgmauer selbst ein tiefer weiter Schlund, dessen senkrechter Absturz aus einer weißen Felsenwand bestand, auf welcher bogenförmig ein Hügel sich wölbte; und längs dem Rande desselben strebte malerisch ein schöner Hain von Buchen, Eschen und Fichten empor und krönte mit seinen Schatten die ganze Bogenlinie des hinabgleitenden Hügels. In diesem Schlunde, dessen untere Gegend der Schloßberg uns hier verdeckte, sollten wir den Eingang zu der unermeßlichen Höhle des Piks antreffen.


7. ΟΙΣ ΘΕΜΙΣ ΕΣΤΙ. In dieser ebenso geistreichen als glänzenden Schilderung vergleicht Forster seine Wanderung durch die Höhle von Castleton mit der geheimnißvollen Feier der Eleusinischen Mysterien, bei welchen die Epopten oder Eingeweihten durch tiefes Dunkel und die Schrecknisse der Unterwelt zu hellem Licht, himmlischen Erscheinungen und freudigen Festbräuchen geführt wurden. Ueber das Wunderbare, welches sie gesehen, durften sie nur reden zu denen, »οἷς δἑμις ἐστἰ (welchen es gestattet ist), d. h. zu den Eingeweihten. Anmerkung d. Hg.

Castleton.

Stille! heilige Stille umher! Auch ich bin der Geweihten einer und spreche von der unterirdischen Weihe und schweige von den unaussprechlichen Dingen. Ich war im Reich der Schatten und durchwandelte die Nacht des Erebus. Die stygischen Vögel umflatterten mein Haupt mit furchtbarem Gekrächz. Die Erde öffnete ihren Schos und umfing mich. Felsen wölbten sich über mir, und der Abgrund stürzte hinab in schwindelnde jähe Tiefe, neben dem engen schlüpfrigen Pfade. Ich sah die furchtbaren Schwestern mit allen Schrecken der Hölle, mit Macht und Misgestalt gerüstet, die Fäden des Lebens spinnen und messen. Das Auge der Unterwelt liehen sie einander und hoben es hoch empor, um mich zu schauen – Parzen und Furien zugleich. In Charon's Nachen ausgestreckt, schwamm ich unter dem tief hinabgesenkten Felsengewölbe an das jenseitige Ufer des schwarzen Kocytus. Ich ging durch alle Elemente des stets sich wechselnden Chaos. Ein Staubbach netzte mein Haupt. Kalte Lüfte wehten mich an, und immer, immer rauschte es neben mir und über mir und unter mir, wie der Sturz der Waldbäche über den zerklüfteten Felsen. Meine Lampe erlosch; ich versank in die ewige Finsterniß des Tartarus. Mir war es, als nähme mich ein Riese auf seine Schultern und trüge mich durch die gähnenden Schlünde. Plötzlich durchleuchtete ein Blitz die schauerlichen Bogen des Felsens; ein krachender Donner betäubte mein Ohr; die Gewölbe wankten hin und her und zitterten über mir, und dreimal kehrten die rollenden Donner durch die Schneckengänge des Gewölbes wieder. Da öffneten sich die Grüfte in der Höhe und helles erquickendes Licht strömte durch die schwarzen Hallen; siebenfach war das Licht, sieben glänzende Funken wie Sterne, und der Chor der Wissenden stimmte nun an den hohen belehrenden Hymnus. Mir ward die Schale voll des schäumenden Göttertranks; ich kostete vom Quell des Lebens, und mein Dankopfer floß den unterirdischen Mächten. Neue Kraft durchströmte die Adern des Ermatteten, und der Hierophant d. h. der die Heiligthümer zeigt, hieß der oberste Weihepriester zu Eleusis. Anmerkung d. Hg. begann nun die Weihe.


Fünf Tage, nachdem Lady Craven Lady Elisabeth Craven, geb. 1750, gest. 1828, eine geborene Gräfin Berkeley, heirathete 1767 den Grafen Craven, von dem sie sich 1781 trennte. 1781 machte sie eine Reise nach der Türkei und Krim, von welcher 1789 eine Beschreibung erschien. Sie verheirathete sich wieder 1791 mit dem Markgrafen Karl Alexander von Baireuth (gest. 1806), welcher ihr zu Liebe nach England übersiedelte. Anmerkung d. Hg. in die Höhle von Antiparos gestiegen war, kam Dr. Sibthorp John Sibthorp, geb. 1758 zu Oxford, gest. 1796, Botaniker, bereiste zu wissenschaftlichen Zwecken 1786 und 1787 Kleinasien und die griechischen Inseln. Die Anstrengungen einer zweiten Reise (1794) dahin zerstörten seine Gesundheit. Er veröffentlichte eine » Flora Graeca«. Anmerkung d. Hg. daselbst an. Sein Führer erzählte ihm: die Lady habe beim Hinabsteigen sehr gezittert; sobald sie aber in die herrliche Grotte mit den wunderschönen Stalaktiten gekommen sei, habe sich plötzlich eine so lebhafte Begeisterung ihrer bemächtigt, daß sie auf der Stelle die Feder ergriffen und ein Gedicht auf dieses entzückende Schauspiel der Unterwelt verfertigt habe. Ich kann mir einen sehr lebendigen Begriff von diesem Uebergang aus einem Extrem der Empfindung zum andern machen, und physisch ist die Spannung die natürlichste Reaction, die auf jene gewaltsame Erschlaffung der Furcht unausbleiblich folgen muß. Daher sind die ärgsten Poltrons immer so viel tapferer als andere Leute, sobald die Gefahr überstanden ist.


8. Von Castleton bis Middleton.

Steil geht der Weg von Castleton in einem Winkel von 38 Graden an dem Gehänge eines noch weit steilern Bergs hinauf. Das schöne Thal von Castleton mit seinen unzähligen Wiesen und Weiden, die doch wieder durch lebendige Hecken begrenzt sind, hat in der Mitte einen lieblichen runden Hügel, rechts von dem kleinen Dörfchen Hope, und windet sich dann nach Osten um den Berg, an der entgegengesetzten Seite von hohen Sandsteinrücken umgeben. Sobald man oben ist, sieht man das ganze Kalkgebirge in einer erstaunlich großen Ausdehnung flach vor sich liegen, und wir fuhren gegen neun englische Meilen auf dieser erhabenen Ebene, fast ohne eine bedeutende Vertiefung anzutreffen. Die Gebirgszüge umher gingen sichtbarlich von Abend nach Morgen; und wo wir schroff emporstehende Wände sahen, waren es, soviel wir aus der Farbe und nach der Analogie von Mam Tor schließen konnten, Sandsteinmassen. Die Gänge streichen meistens in derselben Richtung von Abend gegen Morgen und setzen, wie es die Haldenzüge zu erkennen gaben, oft mehrere englische Meilen über die Ebene fort. Weiterhin nach Middleton sahen wir jenseit des Thals auf der Morgenseite einen mitternächtigen Gang. Die Gänge gehen an den meisten Orten unter einem sehr wenig von der Perpendikularlinie abweichenden Winkel in die Teufe. Eine englische Meile vor Middleton ging es endlich wieder bergab durch eine romantische Kluft, wo die Felsmassen von weißem Kalkstein, mit ihren regelmäßigen, zum Theil über mannshohen Schichten, bekleidet mit Epheu und Strauchwerk, Moos und blühenden Pflänzchen, wie Thürme auf einer langen Strecke zu beiden Seiten hervorragten. Augenscheinlich ward hier alles durch die Gewalt der Fluten einst abgestürzt und durchgerissen; allein die öde Oberfläche des Kalkgebirgs nährt keinen Bach; und wo ehedem die Wogen des Meeres wüthend hindurchströmten, da fuhren wir jetzt auf dürrem Boden und gebahntem Wege.


9. Matlock.

Endlich ist sie hinabgesunken hinter die himmelanstrebenden Berge im Westen, diese Sonne, die mich blendete, wärmte, bezauberte durch ihre vermannichfaltigte Beleuchtung dieses Wunderthals, seiner Felsen und seiner Haine. Sei mir gegrüßt, holde Dämmerung, und du blauer Abendhimmel mit den Purpurstreifen im Westen, und willkommener als sie, göttliche Kühle, rauschend in dem wogenden Meere von Wipfeln, lauter als die lispelnden Fluten der sanften Derwent, und überstimmt nur von einzelnen schmetternden Tönen der Nachtigallenchöre, die in jenem Schatten das Lied der glücklichen Liebe singen! Gebt mir stillen Genuß; umrauscht mich sanft zur nachsinnenden, nachempfindenden Ruhe! Ich bin des Schauens für heute satt und erliege unter der Unerschöpflichkeit der Natur; ich sehne mich nach mir selbst. Des heutigen Tags tausendfältige Bilder einen Augenblick nur im Vorübergehen aufzufassen, ohne sie festhalten zu können, ist Herabwürdigung zum leblosen Spiegel; sie alle zu verzehren, alle ins eigene Wesen verwandeln zu wollen, stürmisches Schwelgen, ohne Zweck, wie ohne Empfindung. Wie wohl ist mir in dieser Einsamkeit! Hier will ich nicht mehr mit umherspähendem Blick den Gegenständen nachjagen; nicht mit Anstrengung und Spannkraft haschen, was mir links und rechts entfliehen will; nein, ich entbinde meine Sinne ihres Dienstes und überlasse mich leidend dem all-eindringenden Berühren der Natur. Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht zergliedern die Gestalten, die Töne, die Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild ströme sie mir durch Aug' und Ohr und fülle meine lechzende Seele mit der Wonne, die keine Zunge stammeln kann! Dies ist die allgemeine Zauberei der schönen Natur, allen fühlbar, wenngleich nicht von allen erkannt; die wohlthätige Macht, die uns alle hält und nährt und erfreut, und deren Wirkungen die Vernunft nicht fassen kann; denn des Genusses Grenze ist Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! – wunderbares Gesetz der Menschenform! – dennoch sind die Weisern unter uns glücklich nur wie ein Kind, das, wenn es die Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und Farbe einen Augenblick froh wird, sie dann bricht und zerpflückt. Heilige Pflegerin! Mehr Blüten als wir zerstören können, schufst du um uns her; und den Quell der ewig wiederkehrenden, ewig sich verjüngenden Wesen verbargst du vor unserm verzehrenden Geiste? O, ich wähne dir nachzuwandeln auf deinem verborgenen Pfade, und Absicht und Mittel, wie in dem Lebensgang eines Menschen, darauf zu erblicken. Er ist nicht ohne Zweck, dieser Trieb des Forschens und Sonderns, den du in uns legtest, der schon im Kinde sich regt, der bis ins Alter uns begleitet. Du durchbebst die Saiten der thierischen Bildung, du führst den Aetherstrom des Lebens in ihren Adern umher, und das ferne Geblöke, das jetzt auf den Triften emporsteigt und in den säuselnden Abendwind tönt – und diese Jubelgesänge in den hochbelaubten Buchenästen, sind der Widerhall deiner alles erquickenden Freude. Aber ein anderer Genuß wartet des sinnenden, sondernden Menschen: im Labyrinth der Gefühle sucht er das empfindende Wesen; im unendlichen Meere von Bildern den Seher; in der duldsamen Materie den gebietenden Willen; in allem außer ihm, sich selbst.


Ich finde hier Aehnlichkeit mit dem Plauenschen Grunde bei Dresden. Die Partie der Brücke in Plauen ist romantischer und fehlt hier; auch hat es einen schönen Effect, daß die Felsenwände an einigen Orten bis ins Wasser senkrecht stehen, und folglich größere, einfachere Wände bilden; der Contrast des Lichts wird durch die großen, winkeligen Brüche des Thals romantischer und lieblicher; die Mühlen sind dort angenehme, ländliche Bilder. Die Aussicht nach Tharand ist wegen des weißen Thurms und der malerischen Gipfel des Sonnen- und Königsteins, des weit durch das Thal sichtbaren, sich schlängelnden Flüßchens, und vor allem des Reichthums der goldenen Saaten von entzückender Schönheit.

Hingegen hat Matlock den Vorzug, daß es zwischen ungleich höhern Bergen liegt; daß in den schönen Partien das Thal noch enger zusammentritt, und daß die Vegetation ohne allen Vergleich reicher, üppiger und eigentlich mit verschwenderischer Hand auf die Felsenmassen hingeworfen ist. Die Derwent läuft ruhig und auf ebenem Bett, außer wo sie über Kiesel in gelinden Fällen hinrieselt. Die Bäume mit dem dicksten Laub wölben sich über sie hinaus; ihre Zweige stehen wie Schirme übereinander; die untersten tauchen ihre Spitzen in den Fluß, und der ganze mit Wald gekrönte Berg spiegelt sich im Wasser, wie man von der andern Seite die weißen Gebäude darin erblickte. Die weißen Felsmauern kommen nur hier und dort mit hervorspringenden Ecken durch das Gebüsch, welches aus ihren Klüften mit unbeschreiblicher Ueppigkeit herauswächst, zum Vorschein. An andern Stellen zeigen sie sich von einer unermeßlichen Höhe. Die Gebirge im Westen sind einige der höchsten in Derbyshire. Die Abrahamshöhe (nach der bei Quebec so genannt, wo Wolfe und Montcalm blieben Louis Joseph Marquis de Montcalm, geb. 1712, französischer General, kämpfte seit 1756 in Canada gegen die Engländer und ward in der unglücklichen Schlacht auf der Abrahamshöhe bei Quebec (13. Sept. 1759) auf den Tod verwundet; er starb am folgenden Tage. In derselben Schlacht fiel Montcalm's siegreicher Gegner, der englische General James Wolfe, geb. 1726. Anmerkung d. Hg.) hinan geht ein schlängelnder Pfad, dessen Länge zwar ermüdet, wofür man aber, wenn man ihn zurücklegt, mit einer herrlichen Aussicht über den ganzen Lauf der Derwent durch alle Windungen des Thals über die schönen reichen Hügel und Thäler mit ihren Heerden u. s. w. über das nahe Dorf Matlock belohnt wird. Die Natur ist hier so verschwenderisch mit den schönsten Formen der Landschaft, der Bäume, mit Licht und Grün, daß man sich umsonst nach einer ähnlichen Gegend im Gedächtniß umsieht. Die schönen Aussichten bei Münden im Hannöverischen haben den Vorzug der breitern Weser und der am Zusammenflusse der Werra und Fulda malerisch liegenden Stadt mit ihren alten Thürmen; hingegen fehlen ihnen die hiesige endlose Abwechselung und die schönen Felswände, die sich zwar wieder bei Allendorf an der Werra, jedoch ohne die Begleitung des reichen, unbezahlbaren Schattens finden lassen. Die Badehäuser sind zum Empfang der Gäste sehr bequem angelegt und eben nicht gar theuer. Das Bad ist lau und sehr erfrischend; ich badete nachmittags mit der besten Wirkung und fühlte mich außerordentlich dadurch gestärkt. Das Wasser ist nur reines Quellwasser. Die Haine sind insbesondere wegen der vielerlei Arten von Bäumen so wunderschön; Eichen, Eschen, Buchen, Hainbuchen, Tannen und Lärchen wechseln miteinander ab.


10. Chatsworth.

Von Middleton an geht es im Thal der Derwent hinab, welches immer schöner und reicher wird. Der Contrast, nachdem wir so geraume Zeit nichts als öde Gebirgsrücken gesehen hatten, war über alle Beschreibung erfreulich. Wir hatten schöne Weiden, Saatfelder, herrliche malerische Umzäunungen und Raine, mit hochstämmigen Eichen, Eschen und Buchen, Linden und Ahorn, auch hier und dort längs den Höhen ein Wäldchen. Je näher an Chatsworth, desto reicher wird die Gegend. Die Waldung an beiden Seiten des Thals, sowol hinter dem Hause als gegenüber, ist dicht und überschwenglich an Wuchs; zwischen dem Laubholze streben überall schlanke Tannen und pyramidische schwarze Fichten in die Höhe. Der herzogliche Park liegt auf einer Anhöhe am linken Ufer der Derwent, in welcher wir Gruppen von Kühen sich kühlen sahen, indeß die schönen Wiesen zu beiden Seiten mit diesen malerischen Heerden bedeckt waren. Man fährt auf einer steinernen Brücke über den Fluß durch den Park nach dem Schlosse. Beides, Park und Schloß, sind vor achtzig Jahren auf der Stelle, wo das alte Schloß Chatsworth stand, angelegt worden und haben viel von der Pracht jener Zeit. Das Schloß ist ganz eines so großen englischen Peers würdig. Auf die Architektur mag ich mich nicht einlassen; die ist nun einmal in England, auch da, wo sie Geld genug gekostet hat, nicht fehlerfrei. Die Zimmer sind reich, doch nicht mit dem Geschmack, den wir in Schooneberg bewunderten, möblirt; viele haben auch noch das alte Ameublement von achtzig Jahren her. Der Bau ist erst kürzlich ganz fertig geworden; denn man hat nach- und angebaut. Ein Theil des Gebäudes heißt noch the Queen of scot's apartment. Die Zimmer der unglücklichen Marie sollen wirklich in dieser Gegend gestanden haben. Das einzige, was man aus jenen Zeiten aufbewahrt hat, ist ihr Bett mit Vorhängen und Decke von rothem Sammt mit Gold. Wer kann sich entbrechen, bei dem Anblick eines Bettes, worin diese unglückliche Prinzessin so oft geschlafen, geruht, gesonnen, geweint, gemacht, geträumt – und den ganzen Kreis ihrer regen Leidenschaften durchlaufen haben mag, in Gedanken zuweilen sich in jene Zeiten zu versetzen und für die schöne Dulderin den Athem ein wenig gepreßt zu fühlen?

Der Garten hat eine schöne Cascade mit allerlei davon abhängigen Fontainen und Wasserkünsten. Die höchste Fontaine soll achtzig Fuß hoch springen; sechzig glaube ich selbst, daß sie bei stillem Wetter in die Höhe gehen kann. – Für die Phantasie ist hier keine außerordentliche Nahrung, wenig Sublimes, Romantisches, Poetisches; aber eine reiche, geschmückte Natur, und ein Aufenthalt, wo man ein Vermögen von 40-50000 Pfd. St. wohl genießen kann.

So schön als jenseits ist auch das Thal unterhalb Chatsworth, welches sich immer weiter südostwärts zieht. Die Sandsteingebirge umschlingen es überall auf der östlichen und südlichen Seite. Innerhalb sieht man Kalkgebirge. Endlich öffnet sich eine Reihe Hügel gegen den Fluß, und ihre abgestürzten, senkrechten Felswände stehen romantisch, mit Waldung bekleidet, an seinen Ufern. Vom Dorfe Matlock, zwei englische Meilen weit bis nach Matlock Bath, zieht sich dieses verengte, wunderschöne Kalkthal in verschiedenen Krümmungen und läßt hier und da dreieckige Wiesen in den Zwischenräumen der Hügel. – Drosseln und Nachtigallen hielten hier ihr immerwährendes Concert im Walde.


11. Fortsetzung der Reise.

Den 15. Juni. Von Matlock fuhren wir heute um 1½ Uhr nachmittags ab. Der Weg ging bis Cromford, wo ein neuer schiffbarer Kanal angelegt wird, in dem schönen Derwentthale fort. Gerade Cromford gegenüber, an einer sehr schön gewählten Stelle, baut sich jetzt Sir Richard Arkwright Sir Richard Arkwright, geb. 1732 zu Preston, gest. 1792. Armer Herkunft, zuerst Barbier, erfand er, mit ungewöhnlichem mechanischen Talent begabt, 1768 eine Spinnmaschine für Baumwolle. Diese Erfindung erwarb ihm nicht nur großen Reichthum, sondern begründete auch Englands ausgedehnte Baumwollenindustrie. Anmerkung d. Hg. ein neues Landhaus. Hinter Cromford kamen wir auf einen sehr hohen Bergrücken von Sandstein, von dem wir nicht nur rechts das nahe, in einem reichen Kessel gelegene niedliche Städtchen Wirksworth, sondern auch vor uns und links das ganze südliche Derbyshire, nebst Nottingham und Leicestershire und einen Theil von Warwickshire übersahen. Jenseit dieses Bergs kamen wir an verschiedenen Orten vorbei, wo man die Erdschollen mit einem Schälpfluge abstach und zum Dünger verbrannte. Derbyshire hat in dieser Gegend schon viel angenehme Abwechselung, ob es gleich nicht so fett ist als andere Provinzen. Die Stadt Derby (sechzehn Meilen), die wir um 4 Uhr erreichten, ist von geringer Bedeutung. Man hatte eben heute die sogenannte Canvaß vorgenommen, d. i. die Herren, welche Parlamentsglieder als Repräsentanten der Stadt werden wollen, waren zu allen Stimmgebenden herumgelaufen, sie um ihre Stimme zu bitten. Eine Formalität, der sie sich unterwerfen müssen.

Den 16. Juni. Um 8 Uhr morgens reisten wir von Derby ab, nach Burton, einem kleinen, elf Meilen entlegenen Städtchen. Der Weg ging noch über Gebirge von Sandstein, die also auch von der Südwestseite den Kalkdepot des Piks umgeben. An einigen Stellen bemerkten wir viel Sand. Zwischen Atherstone und Burton übersahen wir vom Gipfel eines nicht gar hohen Hügels wieder das schöne Warwickshire; allein wir blickten in die weite Ferne, weil eine Ebene vor uns lag. – Hier sind wir auf classischem Grunde. Links blieb uns in einer Entfernung von drei bis vier Meilen Bosworth liegen, wo der Herzog von Richmond, hernach Heinrich VII. den König Richard III. schlug, welcher auf der Walstatt blieb. – Von Derby nach Burton sind elf Meilen, nach Allerstone zwanzig, nach Coventry vierzehn Meilen. Coventry mit seinen drei langen, spitzen Thürmen, worunter die berühmte Kathedralkirche oder Coventrycroß die größte ist, hielt uns nur eine halbe Stunde nachmittags auf, während daß wir aßen. Von da eilten wir durch eine, wie Berkshire angebaute und überaus schöne Gegend nach Warwick. Unterwegs blieben uns rechts, in einer schönen, schattenreichen Gegend, die Ueberreste von Killingworth-Schloß in drei großen Thurmmassen liegen. Aber das Schloß von Warwick (zehn Meilen) verdiente näher gesehen zu werden. Wie erinnerte mich hier alles an die thatenreiche, charaktervolle englische Geschichte: an den Warwick Richard Neville Graf von Warwick, genannt der Königmacher, ein gefürchteter Kriegsmann in den Kämpfen der Rothen und Weißen Rose, erst an der Seite von York, dann von Lancaster; gefallen 1471 in der Schlacht von Barnet. Anmerkung d. Hg., der größer als ein König war, indem er Könige absetzte oder machte; und vor allem an den unsterblichen Dichter, der das Große dieser Idee so ganz zu fassen und in seinem » King Henry the Sixth« so göttlich darzustellen gewußt hat! – Gleich bei dem Eingang in die Stadt über dem Stadtthor erinnerte mich der wilde Eberskopf auf einem Speer (seit undenklichen Zeiten das Wappen der Warwicks) an den großen Ritter, der dieses siegreiche Panier so oft vor sich wehen ließ. Wir besahen das Schloß. Unter allen Ueberresten des 10. Jahrhunderts hat keins in England sich so herrlich erhalten. – Der jetzige Graf wohnt sogar darin und hat sich die Zimmer sehr schön einrichten lassen, auch einige Nebengebäude in demselben Geschmack, um der Gleichförmigkeit willen, aufgeführt. Die Mauern sind an einigen Orten vier Ellen dick. Eine Enfilade von Zimmern enthält etliche schöne und etliche lehrreiche Porträts, z. B. die Königin Elisabeth, Essex, die Königin Maria von Schottland, die Gemahlin Karl's I. und diesen unglücklichen König selbst, die Infantin von Parma und viele andere mehr. Elisabeth sieht ihrem Vater doch sehr ähnlich, und dieser Zug ist ihrem Charakter nicht günstig. Essex hat eine fausse ressemblance von Herrn Koch, dem Schauspieler in Mainz. – Maria von Schottland ist entweder nicht getroffen oder in einer sehr späten Periode ihres Lebens gemalt.

Die Aussicht aus den Fenstern ist sehr reich und lieblich.

Die Rüstkammer erinnert an den kriegerischen ritterlichen Genius der ehemaligen Bewohner dieser Burg. Wir sahen das lederne Wams, welches Robert Lord Brooke anhatte, als er bei Lichfield erschlagen ward. Auch Südsee-Sachen gibt es hier; ferner eine schöne Büste in Marmor von Edward, dem schwarzen Prinzen, nach einem Gemälde; einen schönen Kopf der Pallas; Glasmalerei nach Rubens; Anna und Maria Boleyn von Holbein Hans Holbein, genannt der Jüngere, geb. zu Augsburg 1495, gest. zu London 1543, einer der größten deutschen Maler, besonders von Bildnissen; er lebte lange Zeit in England. Anmerkung d. Hg., vortrefflich erhalten.

Den Garten sahen wir nicht, denn wir eilten (acht Meilen) nach Stratford, wo wir um 7 Uhr ankamen und die elende Hütte, wo Shakspeare geboren ward, den Stuhl, in welchem er zu sitzen pflegte und vermuthlich dichtete, das Stadthaus mit seiner Statue in einer Nische von außen, sein Porträt inwendig, von Garrick hingeschenkt – und sein Grabmal in der Kirche besahen. Der Stuhl, ist jetzt in die Wand gemauert, damit er nicht ganz zerfallen möge. Seit funfzehn Jahren, daß ich ihn nicht sah, ist er sehr beschädigt.

Den 17. Juni, um halb 10 Uhr vormittags, fuhren wir weiter durch Shipston und Chapel nach Woodstock, und – fast ermüde ich, es zu schreiben – wieder durch eine schöne, liebliche Gegend. England hat keine Waldungen, weiß jeder Schüler in der Geographie und Länderkunde zu erzählen; aber daß beinahe ganz England wie ein fortwährender Lustwald aussieht, wo Wiesen und Triften, Aecker und Anger und die lieblichen Ufer der Flüsse mit dem herrlichsten blühenden Gebüsch und den schattenreichsten Bäumen in ewiger Abwechselung prangen, das sollte man dabei zu erinnern nie vergessen. Wie manchen schönen Landsitz englischer Landedelleute fuhren wir nicht heute vorbei! wie manches im Haine gleichsam vergrabenes Dorf! Hier hatte einer sein niedliches Haus auf einen reichgeblümten Rasen gebaut. Dahinter zog sich ein kleiner Wald; seitwärts wölbte sich eine zierliche weiße Brücke über einen Graben; jenseit der Heerstraße stürzte sich ein Flüßchen einige Schuh tief über einen Damm; und auf dem schönen Teiche, der vor dem Rasenplatze seinen Spiegel ausbreitete, und um grasreiche Ufer, zwischen den Blumen der Wiese, erblickten wir manchen schönen Schwan, an dessen stolzer Form der Eigenthümer dieses Gütchens vermuthlich sein Vergnügen fand. – O Natur, was ist erquickender und zugleich erlaubter, als deine Werke zu lieben und ihrer froh zu werden! Was kann unschuldiger sein als die Freude an diesem schönen, in seiner Pracht des Gefieders stolz dahersegelnden Vogel! Wenn es einen Genuß auf Erden gibt, den keine Macht verbieten, keine sich ausschließend zueignen darf, der allen ewig gemein bleiben muß und zu dem man berechtigt ist, indem man Sinn dafür hat, so ist es der Genuß dieses Anblicks. Doch ich vergesse, daß der Schwan ein königlicher Vogel ist, und daß es Länder gibt, wo niemand einen Schwan halten darf als der König, d. i. derjenige, der wahrscheinlicherweise nicht zu empfinden weiß, wie liebenswürdig die Natur in diesem Thiere ist. Ich gönne den Großen das Wild, das sie hegen; es ist billig, daß diejenigen unter ihnen, die nicht durch Wohlthaten des Herrscheramtes würdig sind, wenigstens zum Scheine fortfahren, den Nutzen zu stiften, weshalb man sie zuerst als Beschützer der Wehrlosen über andere erhob; und wenn es heutigentags keine Raubthiere mehr gibt, um derentwillen man Heroen oder Halbgötter zu Hülfe ruft, so mögen ihre Abkömmlinge meinetwegen Hirsche in ihre Parks einsperren oder ihren Unterthanen verbieten, einen wilden Eber zu tödten, damit sie an einem gesetzten Tage ihn vor ihrem Richterstuhl vorbeijagen lassen und mit eigenen Händen erlegen können, wie der Kaiser von China jährlich einmal den Pflug mit hoher Hand berührt, zum Zeichen, daß vor mehrern tausend Jahren ein Kaiser durch dieses Werkzeug den Namen eines Landesvaters verdiente. Aber daß ein Mensch sich erfrecht, allen andern den Besitz eines zahmen Vogels zu verbieten, das scheint so arg, als wollte er ihnen die Fenster an den Häusern oder die Augen im Kopfe verschließen, und daß Menschen dies von einem dulden, beweist nur, wie tief die Menschheit sinken kann.

So kamen wir um 3 Uhr nach Woodstock, wo die ganze Stadt in Bewegung war, weil die Wahl zweier Repräsentanten heute vor sich ging. Alles, bis auf die Straßenjungen, trug Cocarden, gleichviel von welcher Farbe; die Frauenzimmer, jung und alt, häßlich und schön, reich und dürftig, hatten ihre Feierkleider an, und von allen Seiten ertönte ein ewiges Huzzah! Vor unserm Gasthof wehten hoch in der Luft drei große, weißseidene Fahnen, worin die Wappen der Bürgerschaft und der neuen Parlamentsherren nebst allerlei emblematischen Verzierungen in Farben prangten; denn heute speiste die Bürgerschaft mit den Neugewählten in dem Gasthofe, nachdem man diese letztern, wie die Sitte es mit sich bringt, in große Armstühle gesetzt und herumgetragen hatte. Uebrigens war hier keine Uneinigkeit, keine Gegenpartei; der Einfluß des Herzogs von Marlborough ist in Oxfordshire so unwiderstehlich, daß man die Parlamentsglieder, sowol für Woodstock als für die Grafschaft selbst, ohne Widerrede nach seinem Wunsche wählt. Sein ältester Sohn, der Marquis Blandford, wird in diesem Parlament die Grafschaft Oxford, und ein jüngerer, Lord Henry Spencer, die Stadt Woodstock repräsentiren. Die Betrachtungen, die sich bei dieser Veranlassung über die Constitution von England machen lassen und die wir wirklich zu machen uns nicht enthalten konnten, will ich nicht alle hierher setzen. Soviel ist indeß gewiß, daß die blinden Vertheidiger und übertriebenen Lobredner ebenso weit vom Ziele sind als die plumpen Tadler dieser berühmten und in der That merkwürdigen Verfassung.


12. Blenheim.

Wie mag dem großen Churchill John Churchill, Herzog von Marlborough (1650-1722), berühmter siegreicher Feldherr in den blutigen Schlachten des Spanischen Erbfolgekriegs: Blenheim oder Höchstädt (1704), Ramillies (1706), Malplaquet (1709). Aus Dankbarkeit erbaute ihm die Königin Anna das Schloß Blenheim. Anmerkung d. Hg. zwischen diesen unaufhörlichen Apotheosen zu Muthe gewesen sein! Etwa wie Ludwig XIV. bei den ewigen Fêten und Vergötterungen in Versailles? Die menschliche Natur kann das nicht ertragen. Ludwig's Schicksal ist bekannt. Seine Imbecillität datirte von diesem Zeitpunkte. Marlborough ward aber auch kindisch und furchtsam vor seinem Ende, und ich möchte nicht dafür schwören, daß nicht die Tapeten das ihrige dazu gethan haben. Wie aber, wenn er in dem Augenblicke, da er seiner Geisteskräfte noch nicht beraubt war, mitten unter diesen ungeheuern Bildern seiner Größe das Los der Menschheit tragen und in körperlichem Schmerz sich winden, von Gicht oder Kolik gequält werden mußte: wie klein und verächtlich mochte er sich da fühlen! Ich für mein Theil bin froh, daß ich nicht Marlborough bin und seine Thaten gethan habe, um so zu Schanden gemacht zu werden mit der Geschwätzigkeit des Ruhmes. Ich gestehe, der üble Geschmack, womit man ihn in der großen Halle zwischen den kleinen lachenden Faun und die mediceische Venus hingestellt hat, ist mir wegen der Lächerlichkeit noch die willkommenste von allen diesen Vergötterungen. Ich lache heute über diese Eitelkeit, – indeß vielleicht morgen ein Recensent dafür meinen Leichtsinn und meine Fühllosigkeit straft; allein zwischen heute und morgen habe ich beides, gelacht und geweint: über mich selbst, über ihn und über die ganze Welt. Ist es nicht Thorheit, die Schriftsteller richten zu wollen wegen einzelner Empfindungen eines Augenblicks, wo man vielmehr ihre Offenherzigkeit, das Herz des Menschen aufzudecken, bewundern sollte? Wenn sie einen Fehler dabei begehen, so ist es nur eine unschickliche Wahl in der Darstellung der Eindrücke, die ihr Gefühl bestürmen. Die schnellen, tausendfachen Uebergänge in einer empfänglichen Seele zählen zu wollen, die sich unaufhörlich jagen, wenn Gegenstände von außen, oder durch ihre lebhafte Phantasie hervorgerufen, auf sie wirken, wäre wirklich verlorene Mühe.


13. Oxford.

Den 18. Juni. Einen englischen Musensitz erkennt man leicht an den schwarzen viereckigen Biretten der Studirenden und an ihren langen schwarzen Mänteln mit kurzen weiten, oder sehr langen engen Aermeln. Man glaubt, die Schüler eines Jesuiter-Collegiums zu sehen; und in gewisser Rücksicht sieht man sie in der That. Ich wurde sehr lebhaft an Wilna in Litauen erinnert, als ich diese possirlichen Gespenster an mir vorüberflattern sah.

Ich weiß wohl, die Kleidung allein thut nichts zur Sache; sie ist aber auch nicht so gleichgültig als man denkt: sie steht in unmittelbarer Verbindung mit Gesetzen, Formalitäten und Zwangssystemen, welche eine Falte in den Charakter biegen, deren Spur auf zeitlebens unauslöschlich bleibt.

Die monastische Ordnung, welche auf den englischen Universitäten eingeführt ist, hat man oft in Deutschland als musterhaft gepriesen – weil man sie nicht kannte. Die Strenge geht hier so weit, daß man kein Gesetz mehr beobachten kann. Dieser Fall ist in England nicht selten. Die Gesetze gegen die Katholiken sind so drückend, daß man sie schlechterdings nicht mehr in Ausübung bringt; und dennoch hat man nicht den Muth, sie abzuändern. Kein Volk hängt so blindlings an alten Formen wie das englische; es knüpft den Begriff seiner politischen Existenz daran. Sagt ihm, die Abschaffung eines einzigen Gesetzes gegen die Katholiken sei gefährlich, so rottet sich der Pöbel noch heute zusammen und Gordons Wahnsinn wirkt zum zweiten mal eine furchtbare Empörung. – Die Studenten in Oxford müssen sich so manchen Erbärmlichkeiten unterziehen, daß sie im wesentlichen mehr Freiheit genießen als andere Studenten aus deutschen Universitäten; und wohl dem Lande, daß dem also ist! Zwischen dem blinden Gehorsam des Schulknaben und dem freien Willen des Mannes muß es einen Mittelzustand geben, in welchem der Misbrauch der Selbstherrschaft so wenig üble Folgen für das Gemeinwesen hat als möglich. Sonst wird, wenn der Jüngling auch noch Sklave bleibt, erst der Mann im Amte sich seinen Ausschweifungen überlassen und sein Toben wird von übeln Folgen für das gemeine Beste sein. Wenn hingegen ein Student seine Freiheit misbraucht, so schadet er höchstens sich selbst und gewinnt unter seinesgleichen bald so viel Erfahrung, als er zur Lebensnothdurft bedarf.

Ich weiß zwar wohl, daß es theoretische und praktische Erzieher gibt, welche den Zögling nie genug einzuschränken und zu fesseln glauben, Menschen, die sich vorstellen, man dürfe die menschliche Seele im Erziehungsinstitute treiben, wie man Spargel im Lohbeete treibt, und die dann auch wirklich nur saft- und kraftlose, ekelhafte Geschöpfe in die Welt liefern, unfähig, sich auf einen Augenblick von ihren auswendig gelernten Regeln zu entfernen und selbständig zu denken, Maschinen in jeder Bedeutung des Wortes! An ihren Werken müssen wir sie erkennen. Es ist eine leichte Kunst, Maschinen aus Menschen zu schnitzeln; aber die menschliche Natur in ihrer Würde zu lassen und Kräften, die eine höhere Hand schuf und in die einzelnen Keime legte, zu ihrer freien, vollkommenen Entwickelung behülflich zu sein, anstatt ihnen unwürdige, verunstaltende Fesseln anzulegen: – das ist die große Kunst, wozu die wenigsten Erzieher Geduld, Billigkeit und Selbstverleugnung genug besitzen. Anstatt den Zögling den Gebrauch seiner Anlagen zu lehren, wollen sie immer nur, daß er sie nach ihrer Art gebrauchen soll, und machen ihn zur schlechten Copie eines elenden Originals. Ihr kurzsichtiger, enger Egoismus ist nicht zufrieden, Menschen in verschiedenen Graden der Intension, ihrer verschiedenen Organisation und der damit verknüpften Kräfte genießen zu sehen und sich des mannichfaltigen, unerschöpflichen Reichthums der Natur zu freuen; sondern es ist ihr armseliger Ehrgeiz, nach ihrem Bilde alles um sich her modeln zu wollen. Ich brauche nicht zu sagen, wie sehr diese Methode auf die Verewigung der Vorurtheile und Irrthümer abzwecken muß; denn ich behaupte sogar, daß, wenn ein solches Unding, wie ein vollkommenes System, möglich wäre, die Anwendung desselben bei der Pädagogik für den Gebrauch der Vernunft dennoch gefährlicher als jedes andere werden müßte. Die Idee des Unverbesserlichen zieht einen lähmenden Mechanismus nach sich, welcher mit dem chinesischen Sittengesetz am besten exemplificirt wird und den Begriff von Tugend ganz aufhebt. Der Erzieher hätte meines Erachtens wenig Verdienst um die Menschheit, der die Jugend dahin gebracht hätte, alles zu thun oder zu lassen, je nachdem es dem gewohnten Herkommen gemäß ist oder nicht, oder, was auf eins hinausläuft, nachdem es mit den Regeln, die er von seinem Lehrer lernte, übereinstimmt, oder ihnen widerspricht. Alle dogmatische, alle geistliche Erziehung hat mehr oder weniger diese Tendenz und ihr nachtheiliger Einfluß, der allerdings hier durch viele andere Umstände gemildert wird, äußert sich doch wirklich noch kenntlich genug in der Denkart und den Handlungen der Engländer. Es ist ihnen freilich eben nicht anzusehen, daß sich alle nach dem Geläute des Tom » Der Tom« heißt die große Glocke der oxforder Kathedrale. Anmerkung d. Hg. richten müssen, sowenig es den jungen Edelleuten einen Adelstolz einflößt, daß sie bei den Mahlzeiten an einem eigenen Tische sitzen, und durch allerlei kleine Vorrechte, wie z. B. den Gebrauch der collegialischen Bibliotheken, vor den Bürgerlichen ausgezeichnet werden. Unstreitig ist ihre Anzahl zu unbedeutend, als daß sie unter sich bleiben und die große Masse der Studirenden ganz entbehren könnten; daher müssen sie ihre Vorrechte fahren lassen, und wenigstens im Umgange sich der Vorzüge entäußern, welche die monastisch-pfäffische Einrichtung ihnen mit Hinsicht auf einen möglichst zu unterstützenden Despotismus verlieh. Hingegen ist es sehr die Frage, ob da, wo die Eigenliebe des großen Haufens der Studenten nicht in Collision kommt, nicht der Grund zu jener blinden Anhänglichkeit an religiöse Vorurtheile gelegt wird, wodurch die Engländer sich auszeichnen, und worauf unter andern ihr Beharren bei der unsinnigen testact beruht. Ich meinestheils begreife nicht, wie junge Männer der Alternative des Aberglaubens oder des Unglaubens entgehen können, wenn sie sich hier sechs bis acht Jahre lang viermal täglich zum Gebet in der Kapelle ihres Collegii einstellen müssen. Dieses Opus operatum, wovon sich die guten Wirkungen in der Kapelle von Christchurch-College, drei Schritte weit vom Altar, an den in die Bank geschnitzten Eselsköpfen, Namen u. s. w. erkennen lassen, muß einen geistigen Stumpfsinn bewirken, wenn es wirklich zur Gewohnheit wird.


Wer schön erhaltene gothische Gebäude sehen will, komme hierher. Oxford nimmt sich, nach London, vielleicht unter allen Städten Englands aus der Ferne – und fast möchte ich hinzusetzen, auch in der Nähe – am besten aus. Ein Wald von gothischen Thurmspitzen ragt aus den schattenreichen Gängen und Gefilden an der Kam und Isid hervor, und zwischen ihnen prangt mit allem Pomp der modernen Baukunst der Dom von Radcliff's Rotonda und das schöne Achteck seiner Sternwarte. Wandelt man auf den reinlichen, wohlgepflasterten und meistens mit guten, neuen Häusern bebauten Straßen, so erstaunt man, überall die weitläufigen Klostergebäude zu erblicken, welche der britischen Jugend, aber noch mehr dem theologischen Wohlleben gewidmet sind. Aus einem geräumigen Vorhof, aus einer Halle tritt man in die andere, und es gibt hier Collegia, wie z. B. das von Christchurch, die aus vier großen, aneinanderstoßenden Vierecken bestehen. Der Umfang dieser prächtigen Werke des Alterthums ist so ungeheuer, daß man nicht weiß, ob man mehr über die Verwegenheit des Eifers, oder über den Misbrauch der Kosten erstaunen soll. Die große westliche Facciate des größern Vierecks in Christchurch-College hat eine Länge von 382 Fuß, und seine gothischen Thürmchen steigen leicht und kühn in die Luft. Nichts kann einen angenehmern Effect machen als der schöne, weite Bogen, der sich über dem Thor von Merton-College wölbt, mit den Schnörkeln und Verzierungen, die den innern Raum des Bogens füllen und den hohen, krausen Gipfeln des breiten, viereckigen Thurms, durch den Ulmenhain gesehen, der dieses Gebäude umgibt. Allsouls-College ist beinahe das schönste gothische Gebäude an Einfachheit und schlanker Kühnheit seiner rund um das Viereck aufsteigenden Pfeiler und der beiden hohen, wie Cypressengipfel sich verlängernden Thürme. Nirgends war mir die Aehnlichkeit dieser Bauart mit einem angepflanzten Walde so auffallend als hier und vor dem Stufengange, der zum großen Speisesaal in Christchurch-College führt. Hier ruht der Mittelpunkt des Gewölbes auf einer zarten, schlanken Säule, deren Aeste sich oben palmenförmig ausbreiten, zierlich wölben und den Wölbungen des Schwibbogens nach allen Seiten hin entgegenstreben.

Die gothische Bauart, wie auffallend auch ihre Misverhältnisse sind, ergreift die Phantasie auf eine unwiderstehliche Weise. Wie leicht schießen diese schlanken Säulen so himmelhoch hinan! Durch welche Zauberkraft begegnen sich ihre höher sprossenden Aeste und schließen den spitzen, kühnen Bogen! Romantische Größe, schauervolle Stille, lichtscheue Schwermuth und stolzes Bewußtsein füllen die Seele, die sich in diesen Formen gefiel und in ihnen sich äußerte; denn diese Formen wecken jene Gefühle in einem Sinne, der sie wieder auffaßt.

Die Collegia sind indeß nicht aus einmal zu ihrer jetzigen Größe und Pracht gediehen. Dies läßt sich schon im voraus vermuthen, und oft gibt es auch der blose Anblick und die heterogene Einmischung römischer Architektur zwischen den altgothischen Steinmassen. Peckwater-court in Christchurch-College ist ein modernes, mit Radcliff's Vermächtniß erbautes Viereck; Magdalen-College hat ebenfalls eine moderne Partie u. s. w. Allein sehr alt sind freilich die hiesigen Gebäude nicht. Magdalen-College ward als ein Hospital von Heinrich III. gestiftet, erst 1456 in ein Collegium verwandelt und von Wolsey endlich mit dem Thurme verziert. Wolsey hat auch Christchurch-College erbaut. Von University-College ward der Bau erst 1634 angefangen und durch Dr. John Radcliffe vollendet. Allsouls-College ward 1437 gegründet. Brasenhose-College im Jahre 1507. Hertford-College fing man erst vor siebzig Jahren an wieder auszubauen. Watham-College ward erbaut 1613, Trinity 1594, Balhol 1284, St.-John's 1557 und später, Worcester 1714, Exeter 1316, Jesus 1571, Lincoln 1717, Oriel 1324, Corpus Christi 1706, Merton 1610, Pembroke 1620.

Der Aufwand im Innern dieser Gebäude ist nicht minder ungeheuer und nicht minder gothisch als die barbarische Pracht ihrer Mauern und ihrer unermeßlichen Säle. Marmorne Statuen der Stifter und Wohlthäter sieht man überall; Porträts der berühmten Gelehrten und Staatsmänner, die in den verschiedenen Collegien jedesmal studirten, verzieren die Wände. Dazu kommt noch, daß fast jedes Collegium seinen eigenen Garten hat. – Magdalen-College hat sogar einen Park mit 40 Stück Damhirschen, von denen die Herren sich gütlich thun. Es ist allerdings eine schöne Sache um diese schattenreichen Gänge, diese Ακαδημεἱαι bei jedem Collegium, der Betrachtung und der Philosophie geweiht; allein diejenigen, die des Umherlaufens in Gärten am meisten bedürften, sind eben die, welche davon ausgeschlossen sind. – Nur die wohlbeleibten und mit reichlichen Einkünften versehenen Fellows Die englischen Hochschulen besitzen zahlreiche colleges (Collegien), d. h. ausgedehnte, von altersher mit Grundstücken reich ausgestattete Stiftungen, deren jede ihr eigenes Gebäude hat, wo Lehrer und Schüler gemeinsam in klösterlicher Abgeschlossenheit wohnen. Die Vorsteher der colleges verwalten die Einkünfte derselben; fellows (Burschen) heißen die mit mehr oder weniger ansehnlichen Jahrgeldern von der Stiftung ausgestatteten Angehörigen der Collegien, welche aber mit den in strengster Abhängigkeit gehaltenen eigentlichen Studenten nicht zu verwechseln sind. Die deutschen Hochschulen kennen eine solche Einrichtung nicht. Anmerkung d. Hg. haben Erlaubniß, dieses Heiligthum zu betreten, und ihnen wird vermuthlich auch allein das feiste Wildpret zutheil.

Die Glasmalerei ist ein anderer Luxus in diesen Gebäuden; beinahe eine jede Kapelle hat etwas von dieser Art aufzuweisen, und eine wetteifert darin mit der andern. Einige Fenster sind so alt, daß man das Datum ihrer Verfertigung nicht weiß; die meisten sind aus dem 16., 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. Einige, zumal in Allsouls-College, sind von ausgezeichneter Schönheit, und noch immer fährt man fort, in dieser kürzlich wiedererfundenen Kunst neue Stücke ausarbeiten zu lassen und die ungeheuern Einkünfte der Collegien für bunte Glasscheiben zu verthun.

Eine Seltenheit von ganz besonderer Art sind die emblematischen, in Stein gehauenen Figuren, welche in dem Viereck von Magdalen-College rundumher an den Wänden angebracht sind. Die bizarren Erfindungen des sicilianischen Prinzen, von welchem Brydone Patrick Brydone (1741-1818), Physiker, machte große Reisen durch die Schweiz und Italien. In seiner »Reise durch Sicilien und Malta« (1774) berichtet er Wunderdinge über das Schloß eines halbverrückten sicilianischen Fürsten von Pallagonia. Anmerkung d. Hg. erzählt, können nicht toller aussehen, und man brauche ihretwegen nicht so weite Reisen zu thun. Hier gibt man sie für Allegorien aus. Vielleicht sollen auch jene sicilianischen einen Sinn haben, und es kommt nur darauf an, daß jemand sich die Mühe gibt, ihn herauszubringen und hinterdrein auszurufen: » If this be madness, yet there's method in't.«

Christchurch-College.

Dieses Collegium war anfangs ein Nonnenkloster unter St.-Frideswiden; hernach ward ein Mannskloster von Regularibus, Augustinern, daraus; und erst spät bei der Aufhebung desselben stiftete Wolsey das Collegium, welches in der Folge, als man in Oxford ein Bisthum stiftete, sammt der dazu gehörigen Kirche zum Kapitel und zur Kathedralkirche erhoben ward. In der Kapelle zeigt man noch Monumente vom Jahre 740 und älter.

Die hiesige Bildergalerie soll 35000 Pfd. St. gekostet haben; der General Guise hat sie hierher geschenkt. Auf die Vortrefflichlichkeit und Echtheit einer Damascenerklinge hätte er sich vielleicht besser verstanden; denn diese Bilder sind großentheils Copien, soviel man sich auch darauf zugute thut, und zum Theil sehr schlechte Copien. Das beste ist unstreitig ein verblichener Carton von Andrea del Sarto, eine heilige Familie, von exquisiter Zeichnung. Annibal Caracci's Bild von seiner Familie, als Fleischer gekleidet, war mir wegen der plumpen Phantasie des Malers merkwürdig. Dieser Mensch konnte nicht dichten. Hier ist ein Fleischerscharrn mit großen Fleischstücken abgebildet, und die Söhne des alten Caracci sind die Metzger. – Dies ist auch der ganze Charakter seiner Werke; Fleisch und Blut konnte er nachbilden, aber nicht den lebendigen Geist. Es sind allerdings unter dieser zahlreichen Sammlung einige Originale; allein es ekelt einen über allen Ausdruck, den Führer je zuweilen eine Copie eingestehen zu hören, oder mit dem Ausdrucke: nach Rafael, nach Titian, nach Guido, der Lüge zu entgehen, indeß er sich bei diesen Geständnissen das Recht vorbehält, die ärgsten Sudeleien für Meisterwerke von der Hand der größten Künstler auszugeben. Von Holbein sah ich hier ein paar schöne Köpfe, wie denn überhaupt seine besten Arbeiten in England anzutreffen sind. Es ist in diesen weniger Härte, als ich ihm sonst zugetraut hätte, und eine unübertreffliche Treue. Kein Strich, kein Zug ist vergessen; aber von dem Seinen ist nichts hinzugekommen; denn was der Künstler hinzuthun soll, Genie in der Darstellung und Idealisirung, das hatte er nicht. Fleiß und Anstrengung sind unverkennbar.

Eine sehr zahlreiche Sammlung von Gemälden befindet sich in einem akademischen Gebäude neben der Bodley'schen Bibliothek. Hier ist ein Gemisch von Gutem, Mittelmäßigem und Schlechtem zusammengehäuft, dessen vorzüglicher Werth nur darin besteht, selbst ein schlechtes Porträt doch einige Idee von einem berühmten Manne, den es vorstellen soll, erweckt. Was hier außer den Porträts vorhanden ist, verdient keine Erwähnung.

In Magdalen-College wird die Kapelle jetzt reparirt. Wir sahen daher das schöne Altarblatt in der alten Bibliothek, wo die Bücher noch, nach der beliebten Methode der Klosterherren, an Ketten liegen. Der Guido ist in der That dieses Ganges werth und eins der vortrefflichsten Werke von diesem Maler. Es ist ein Christus, der sein Kreuz trägt, in Lebensgröße. In dem Kopfe liegt ein wunderbarer Reichthum von Seelenausdruck, der den Zuschauer, welcher auch von dem dargestellten Gegenstande nichts wüßte, doch mit Entzücken über den Dichtergeist des liebevollen Künstlers erfüllen muß. Es ist fast der vollendetste Christuskopf, den ich je gesehen habe. Man erstaunt, daß der Künstler dieses Interesse unter den übrigen nachtheiligen Umständen der darzustellenden Geschichte erwecken konnte. Die Stellung unter dem schweren Holze, das Christus trägt; die unmalerische Figur dieses Holzes selbst; die Entstellung der Gesichtszüge durch die livide Farbe, welche von den Wunden der Dornenkrone verursacht wird; der Strick um den Leib, der auf der Erde schleppt: alles scheint sich verschworen zu haben, den edeln Gegenstand unter den ungünstigsten Verhältnissen so unedel als möglich erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt blieb. Schade nur, daß er gerade diesen Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger als beide ist, ein Andächtler, bestimmt das Sujet und dem Maler bleibt nur das Verdienst übrig, die neue Schwierigkeit, die aus der Wahl eines unschicklichen Gegenstandes entspringt, durch seine Kunst zu überwinden.

In Allsouls-College sieht man ein Altarblatt von Rafael Mengs. Es ist sein Heiland im Garten nach der Auferstehung. Magdalena liegt vor ihm auf den Knien und seine Linke gebietet ihr, ihn nicht zu berühren. Dieses berühmte Noli me tangere ist unstreitig besser gemalt als der Guido; allein es läßt den Zuschauer kalt, weil ihm die theatralische Stellung nicht den Ausdruck ersetzt. Es ist fast nicht möglich, einen schönern Körper als den des Heilands zu sehen; jeder Zug ist der Natur abgeborgt; das Ganze ist – eine sehr schöne Akademie. Auch wüßte ich nicht, daß Rubens etwas wahrer und schöner colorirt hätte. Ich finde die Draperie edel, die Verkürzung des Arms meisterhaft, den Christus-, oder besser, den bärtigen Bacchuskopf von großer Schönheit; und selbst die kniende Magdalene hat genug von einer Niobes-Tochter, um vor Kenneraugen Gnade zu finden. Allein dieser behagliche Christuskopf sagt mir nichts, erzählt nichts von seiner Geschichte, und die Magdalene mit den Thränen im Auge scheint zu weinen, weil sie zurückgestoßen wird, nicht weil sie ein Wunder ahnt.

Die Ausführung und Vollendung dieses schönen Gemäldes geht übrigens bis in die geringsten Details. Die Blumen und Kräuter, die Cypressen in der Mitte und die Wipfel der Palme in der einen Ecke des Bildes zeugen von der Sorgsamkeit des Künstlers, auch in diesen hors d'oeuvre nichts was täuschen konnte, zu vernachlässigen.

Botanischer Garten zu Oxford.

Der Garten enthält fünf Acres. Henry d'Anvers, Earl of Darby, kaufte den Grund von dem Magdalen-College und schenkte ihn der Universität. Das Thor am Eingange, von Inigo Jones berühmter Baumeister, geb. zu London 1572, gest. 1651. Anmerkung d. Hg. gebaut, ist mit den Statuen Karls I., Karls II. und des Grafen von Darby geziert. Dillenius Johann Jakob Dillenius, geb. 1687 zu Darmstadt, gest. 1747 zu Oxford, wo er seit 1721 weilte und seit 1728 Professor der Botanik war. Seine » Historia muscorum« ist für die Bearbeitung der Kryptogamen epochemachend; sein » Hortus Elthamensis« ist eine Beschreibung seltener Pflanzen aus dem botanischen Garten seiner Gönner Wilhelm und Jakob Sherard zu Eltham bei Oxford. – Johann Scheuchzer, geb. 1684 zu Zürich, gest. daselbst 1738, machte große Reisen; zuletzt Ingenieur und Professor zu Zürich. Seine » Agrostographia« (1719) ist die erste wissenschaftliche Bearbeitung der Gräser. – Johann Daniel Leers' »Flora von Herborn« (1775) ist wegen ihrer genauen Darstellung der Gräser bemerkenswerth. – William Sherard, geb. 1659, gest. 1728, bedeutender Botaniker, welcher 1702-18 als englischer Consul zu Smyrna eine werthvolle Pflanzensammlung begründete. Nach England zurückgekehrt war er in Oxford Dillenius' besonderer Gönner. Anmerkung d. Hg., der von Gießen berufen wurde, Scheuchzer, der erste, der vor Leers Gräser kannte, Sherard, der sich lange in Smyrna aufhielt, waren Aufseher dieses Gartens. Dr. Sherard, aus dessen Stiftung der Professor Botanices einen Gehalt bekommt, führte ein eigenes Gebäude im Garten auf; der geräumige Saal darin dient zur Büchersammlung, zu den Herbarien und zu den öffentlichen Demonstrationen. Die Büchersammlung ist wahrscheinlich die vollständigste in Europa. Am reichsten ist sie an ältern Schriften, die Sherard aufs mühsamste bis zum Jahre 1726 sammelte. An neuern Schriftstellern wird sie bis jetzt noch von der Banks'schen Bibliothek übertroffen; doch hat der Professor Sibthorp ( of Lincoln College) auch diesem Mangel abzuhelfen gesucht. Rudbeck's Olaw Rudbeck (1630-1720), Professor der Botanik zu Upsala. Er starb aus Gram, daß sein unvollendetes großes botanisches Werk » Campi Elysii« (1701) fast völlig durch eine Feuersbrunst vernichtet ward. Anmerkung d. Hg. » Campi Elysii« sind vollständig hier; sie existiren außerdem nur in Upsala und bei Sir Joseph Banks, alle andere Exemplare sind verbrannt. Die Orchis, Serapias und Irisarten sind in Holzschnitten vortrefflich darin abgebildet.

Eine Sammlung ausgemalter Zeichnungen von japanischen Pflanzen ist überaus sauber und ohne Vergleich deutlicher als die oft citirte Sudelei von Menzel, die man Flora Japonica nennt. Ein Japanese, der nach Oxford kam, hat mehrere dieser Pflanzen benannt.

Etliche Volumina indischer Pflanzenzeichnungen, die Boerhaave Hermann Boerhaave (1668-1738), der berühmteste Arzt des 18. Jahrhunderts, Professor der Medicin, Botanik und Chemie zu Leyden. Anmerkung d. Hg. kaufte und die noch ungestochen sind.

Herbaria. Das von Dillenius, aus dem viele Pflanzen durch Raub in die Hein'sche Sammlung kamen. Originalzeichnungen von Dillenius zum Hortus Eltamensis, zur Historia muscorum, ebenfalls noch ungestochen. Sammlung von Kryptogamisten, aufgeklebt, ebenso wie sie in der Historia muscorum gestochen sind. – Herbarium von Sherard, nebst dem Banks'schen und Linné'schen wol das erste in der Welt. Als Dr. Sherard Consul zu Smyrna war, schickte er junge Leute durch den ganzen Orient, um Pflanzen zu sammeln; auch vergrößerte er seine Sammlung ansehnlich durch Ankauf aller Dubletten aus dem Tournefort'schen Joseph Pitton de Tournefort, geb. 1656 zu Aix, gest. 1708 zu Paris, Professor am Pflanzengarten, berühmter Reisender im Orient und Botaniker. – William Dampier, geb. 1652, gest. um 1710. Matrose, Seeräuber gegen die Spanier, ward er nach einem unglaublich abenteuerlichen Jugendleben 1699 von der englischen Regierung zu einer Entdeckungsreise in die Südsee ausgeschickt. Ein eifriger Pflanzenfreund, schenkte er seine Sammlungen nach Oxford. – Sebastian Vaillant (1669-1722), bedeutender französischer Botaniker. – Paolo Boccone (Forster's Schreibweise »Bocconi« ist unrichtig), geb. 1633 zu Palermo, gest. 1704, Professor der Botanik zu Padua; seine Arbeiten über die Flora von Sicilien und Italien sind ebenso bedeutend, wie die von Vaillant über die pariser Flora. – Pietro Antonio Micheli aus Florenz, daher Fiorentino genannt, (1679-1737), lebte daselbst; er gehört zu den zahlreichen großen Pflanzenforschern jener Zeit und war der wissenschaftliche Begründer der Lehre von den Kryptogamen. – Robert Morison, geb. 1620 zu Aberdeen, gest. 1683 zu London, Botaniker zu Blois bei dem Herzog von Orleans, 1660 königlicher Leibarzt und Botaniker zu London, hat mehrere verdienstliche botanische Werke verfaßt. Anmerkung d. Hg. Herbarium und durch Geschenke. Sir Joseph Banks erstaunte, als er von der Südsee zurückkam, hier Pflanzen aus Neuholland zu finden. Sie waren von Dampier hierher geschenkt. Dr. Sibthorp ist damit beschäftigt, das große Sherard'sche Herbarium nach dem Linné'schen System zu ordnen. Es enthält auch viele Pflanzen von Vaillant, Boccone und Micheli Fiorentino. – Herbaria von Morison und Scheuchzer.

Der botanische Garten enthält einzelne Seltenheiten, im ganzen aber weder eine solche Varietät von Pflanzen als der göttinger oder salzwedelsche, noch so alte und prächtige Exemplare als der berliner oder amsterdamer. Eine große Zierde dieses Gartens ist die vollständige Sammlung inländischer englischer Gewächse, welche auf einem eigenen Quartiere cultivirt werden. Mehr Grasarten sind wol kaum in Erlangen zu finden als hier. Zwei Gewächshäuser, größer als die göttinger, aber ohne Vergleich kleiner als die berliner. Eine neue Grasart, deren Blätter wie Citronen riechen, vermuthlich eine Agrostis, hat nie geblüht. Aus dem Archipelagus hat Sibthorp viel neue Species gebracht, neue Hesperis, Thymus, Verbascum, Campanula, neue Gräser; alle wohlriechend. Nachdem er den größten Theil von Spanien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz durchreist war, ging er mit Bauer (dessen Bruder mit dem jungen Jacquin nach London zu Banks kam) von Wien nach Neapel, von Neapel im Sommer auf einem englischen Schiffe nach dem Archipelagus. Dort schifften sie mit einem kleinen Boote, das von fünf Mann gerudert wurde, von einer Insel zur andern. Sie besuchten den Peloponnes, einen kleinen Theil von Macedonien (wegen der Unsicherheit), Negroponte, Rhodus, Cephalonia, das dürre Cypern u. s. w. und Candia, die pflanzenreichste Gegend im Ionischen Meere. Den Winter brachten sie in Pera zu, wo ihnen Hawkins nachkam; und den zweiten Sommer gingen sie mit Hawkins und einem englischen Kapitän auf einem venetianischen Schiffe wieder nach den griechischen Inseln und Kleinasien. Im Herbst kehrten sie über Italien zurück. Morina Persica bedeckt den ganzen Parnaß. Der Helleborus der Alten ist eine neue Species, ein Mittelding zwischen Heleborus niger und viridis; doch dem letztern näher. Arbutus Andrachne ist es, dessen Dioscorides aus Cilicien, Arzt im 1. Jahrhundert n. Chr., Botaniker, schrieb über die Heilmittel seiner Zeit ein hochgeschätztes Buch, » De materia medica«. Anmerkung d. Hg. erwähnt, nicht Arbutus Unedo, wie die Commentatoren glauben. Es ist der gemeinste, aber wegen seiner glatten, vielfarbigen Rinde auch der schönste Baum auf den griechischen Inseln. Weder Dianthus caryophyllus, noch Rosa centifolia, fand Sibthorp irgendwo wild, wol aber den seltenen und über alle Beschreibung prächtigen Dianthus fruticosus und Dianthus arboreus. Bei Paros, an einem Tempel, fand Sibthorp noch denselben Laurus nobilis, den Pausanias beschreibt. Ueberhaupt wird Sibthorp an fünfhundert neue Species aus dem griechischen Meere herausgeben. Zeichnungen brachte er gegen tausend mit.

Lizari ist corrumpirt von Rizari, schlechtweg die Wurzel, wegen der Wichtigkeit der Pflanze. Diese wahre Rubia tinctorum fand Sibthorp noch ebenda in der Gegend von Athen, wo Dioscorides ihre Cultur beschreibt. Ein Grieche versicherte Sibthorpen im Archipelagus, daß der obere Theil der Euphorbia Apios Erbrechen, der untere Durchfall verursache. Das große Specimen von Myrtus Pimenta im oxfordischen Garten hat Folia decussata opposita. Die Türken essen die Frucht vom Prunus Laurocerasus. Sibthorp selbst konnte nicht ausfindig machen, welche Gattung von Papaver das Opium gibt. Es scheint ihm Papaver orientale zu sein, Er zeigte Ladanum vor, das er selbst vom Cistus creticus gesammelt; auch echtes Balsamum Meccae, das dem englischen Gesandten aus dem Serail geschenkt war. Sibthorp glaubt, es komme von Amyris Opobalsamum; eine Fabel, die ja schon Gleditsch Johann Gottlieb Gleditsch, geb. 1714 zu Leipzig, gest. 1786, Professor und Director des botanischen Gartens zu Berlin, bedeutender Botaniker. Anmerkung d. Hg. widerlegt hat.

Der botanische Cursus in Oxford dauert nur sechs Wochen.


14. Dover.

Den 28. Juni abends 9 Uhr. Diesen Spaziergang am Strande gäb' ich nicht um vieles! Es war etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang; der Himmel blau und heiter und wolkenleer über uns. Das Meer rauschte auf den Kieseln des abschüssigen Strandes fast ohne Wellen; denn ein sanfter Morgenwind hauchte nur längs seiner Oberfläche hin, und die Ebbe milderte die Gewalt der majestätisch anprellenden großen Kreise, die der Krümmung des Ufers parallel in schäumenden Linien verrauschten. Hinter uns hing Shakspeares Felsen hoch und schauervoll in der Luft; eine thurmähnliche, senkrecht abgestürzte Masse, fünfhundert Fuß über der Meeresfläche erhaben, weiß und nur mit etwas daran hangendem Grün verziert. Links auf einer ähnlichen doch etwas mindern Höhe, über dem Kieselstrande, straubten sich im magischen Licht der Dämmerung die malerischen Thürme des Schlosses von Dover, gleichsam vor dem Sturz, an dessen Rande sie standen. Und jenseit des blauen Meers, das links und rechts im unabsehlichen Horizont sich verlor, lag Frankreichs weiße und blaue Küste in manchen hervorspringenden Hügeln vor uns hingestreckt. Sowie wir dieses Schauspiel betrachteten und von einem Gegenstand zum andern unsere Blicke wandern ließen, wachten neue Empfindungen in uns auf. Plötzlich, indem ich die felsenähnlichen Spitzen des Schlosses betrachtete, that mein Reisegefährte einen Schrei des Erstaunens und Entzückens. Ich wandte mich um und sah über dem Ufer von Calais ein aufloderndes Feuer. Es war der Vollmond, welcher göttlich aus dem Meere stieg und allmählich sich über die Region der dichtern Dünste erhob. Welch ein Anblick von unbeschreiblicher Einfalt und Pracht! Bald höher und höher emporschwebend, schickte er von Frankreichs Ufer bis nach Albion herüber einen hellen Lichtstreif, der wie ein gewässertes Band zwischen beiden Ländern eine täuschende Vereinigung zu knüpfen schien. Im Dunkel, das längs der Felsenwand unter dem Schlosse herrschte, flimmerte ein Licht romantisch hervor; über Shakspeare's Cliff hing ein schöner Stern im weißesten Glanze nieder. O Natur! die Größe, womit du die Seele erfüllst, ist heilig und erhaben über allen Ausdruck. Shakspeare's Cliff nannten uns die Knaben, wie sie am Strande spielten, bei diesem geliebten Namen.



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