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XXVII.
Helvoetsluis.

Abreise von Amsterdam. Regel für Reisende. Henry Hope's Landsitz und Gemäldegalerie bei Harlem. Landschaften von Poussin und von Rubens. Susanna von Domenichino. Guido's Kleopatra und seine Magdalena. Venus von Carlo Maratti. Lucretia von Tizian. Caracci's Johannes. Dessen Hercules und Carus. Perin del Vaga's heilige Familie. Claude le Lorrain. Venus und Adonis von Trevisano und von Paul Veronese. Latet anguis in herba von Sir Joshua Reynolds. Harlemer Blumenflor. Koster's Druckproben. Teyler's Institut. Willkürliche Anwendung des Fonds der Universität Leyden. Naturaliencabinet der harlemer Societät der Wissenschaften. Keessen. Sehenswürdigkeiten in Leyden. Professoren. Herr und Madame M. Mennoniten. Metamorphose des Fanatismus. Reinlichkeit der Stadt Leyden. Verfall der Universitätsgebäude und öffentlichen Institute. Spaziergang um die Stadt. Abreise von Leyden. Schöner Morgen. Skizze zum Porträt eines holländischen Schiffers. Maassluis. Theer von Steinkohlen. Naturschönheit. Reise über Briel nach Helvoet. Gewinnsucht der Einwohner von Helvoet. Erinnerung an Holland und Bild seiner Bewohner.

In wenigen Stunden gehen wir zu Schiffe; aus dem Fenster, wo ich schreibe, kann ich unser Packetboot liegen und sich durch seinen schlankern Bau von den kleinen holländischen Fahrzeugen auszeichnen sehen. Während daß die Reisegesellschaft sich hier versammelt, will ich unsere Abschiedsbemerkungen über Holland, auf der Fahrt von Amsterdam hierher, so im Flug aufzeichnen, wie wir sie im Flug angestellt haben.

In Amsterdam wie im Haag nahte die Abschiedsstunde zu früh für unsere Wünsche heran. Kaum hatten wir die Hälfte der Merkwürdigkeiten besehen, welche man in dieser großen Stadt den Fremden zu zeigen pflegt, kaum fingen wir an, eine Menge der interessantesten Bekanntschaften zu machen, so erwachte der Maimorgen, auf den unsere Abreise unwiderruflich festgesetzt war. Von allen Regeln, deren Beobachtung dem Reisenden oft unmöglich wird, ist keine so leicht übertreten, als diese gewissenhafte Eintheilung der Zeit, und keine, wobei die Standhaftigkeit der Entschlüsse sich selbst besser belohnt. Wir fuhren um fünf Uhr morgens mit der Barke nach Harlem. Hier war unser erster Gang zum Landhause des in allen Welttheilen bekannten Herrn Henry Hope, der uns in Amsterdam den Erlaubnißschein dazu gegeben hatte, einen Talisman, ohne welchen man in Holland selten ein Privathaus besehen darf. Ein angenehmer Spaziergang durch ein Gehölz führte uns bis an das Gebäude, dessen Aeußeres weniger verspricht, als man im Innern findet. Die winkelige Form verräth noch den seltsamen Geschmack des ehemaligen Besitzers, und das feuchte Klima löst unaufhörlich den Gipsüberzug ab, womit die Mauern beworfen sind. Inwendig fällt sogleich eine prächtige Treppe vom schönsten, weißen Marmor ins Auge, die in der That alle Forderungen der Kunst befriedigt. Die Zimmer sind sehr reich möblirt und mit Zierathen fast überladen. Ein Parket von kostbaren ost- und westindischen Hölzern und Kamine von gelbem, parischem Marmor verriethen uns den königlichen Reichthum des Besitzers. Auf einigen großen Tischen ahmte der feinste Lackfirnis den parischen Marmor so vollkommen nach, daß wir mit den Augen allein den Unterschied nicht entdeckt hätten.

Drei prächtige Säle, die größtentheils von obenher erleuchtet werden, bilden eine Gemäldegalerie, die wir eigentlich zu sehen hergekommen waren, und die uns dennoch sehr überraschte. Die Stücke sind nicht nur zahlreich und erlesen, sondern auch großentheils aus der italienischen Schule. Zwar kann nicht alles in einer so großen Sammlung von gleicher Vortrefflichkeit sein; Mannichfaltigkeit gehört zu einer Galerie, und um einen Künstlernamen mehr darin nennen zu können, räumt man oft einem Bilde einen Platz ein, das die Forderungen des Kenners und des Malers befriedigt, wenn es auch den Kunstliebhaber gleichgültig läßt. Indessen bleibt immer so viel zu bewundern, daß Du bei den folgenden Anzeichnungen wol inne werden wirst, welch ein Fest der Augen und des innern Sinns ich in einem Lande genoß, wo ich seit langer Zeit nur flämische und holländische Kunstwerke gesehen hatte.

Im ersten Zimmer ruhte ich vor allem auf drei großen Landschaften des großen Poussin, den schönsten, die ich noch von ihm gesehen hatte. Sein so gänzlich von dem sanften Claude verschiedener Stil, das Riesenhafte, Einfache und Erhabene seiner Phantasie, war dunkel genug, um sich mit ihr zu vertiefen, und doch klar und göttlich genug, um sich nie ganz zu verlieren! Das Blau des Ultramarins, welches in dem einen Stück zu sehr hervorsticht, gibt ihm jetzt eine Härte und etwas Trockenes, womit es sicherlich nicht aus der Hand des Meisters kam.

Von einem ganz verschiedenen Werth, doch in ihrer Art auch trefflich behandelt, ist Backhuisen's Aussicht von Rotterdam und der Maas, mit herrlichen Wellen und Schiffen und einem meisterhaften Effect des zwischen trüben Wolken hervorbrechenden Lichts. In einem paar von Rubens skizzirten Landschaften herrscht sein wildes Feuer; die Menschen und Thiere darin sind übrigens unförmlich, und von der Ausführung läßt sich gar nicht sprechen. Seine Ehebrecherin im Tempel, ein großes Kniestück, hat das Verdienst, welches man seinen guten Werken nicht absprechen kann, Ausdruck und Wahrheit in den Köpfen, aber ein livides Colorit und viel häßliche Natur.

Im zweiten Zimmer fand ich eine Susanna von, oder nach, Domenichino, sehr frisch und wohlbehalten, von jener in Düsseldorf ganz verschieden, aber nichts edler gedacht; eine fleischige, rubensische Dirne, ohne alle Jungfräulichkeit. Es ist wahr, diese Masse von Fleisch und Blut scheint zu leben, und die Maler glauben oft, man dürfe weiter nichts an sie fordern. Ist es denn gleichviel, ob Gibbon Edward Gibbon (1737-94), berühmter englischer Geschichtschreiber (»Geschichte des Unterganges des römischen Reiches«, 1776 fg.). – Lodovico Ariosto, der gefeierte Dichter des »Rasenden Roland«. – Jean Baptiste Joseph Grécourt (Forster schreibt unrichtig Grécour), 1683-1743, Abbé, ein sehr leichtfertiger Schriftsteller. Anmerkung d. Hg. und Schiller eine Geschichte erzählen oder der Zeitungsschreiber? Ariost und Wieland oder Grécourt?

Wie reich ist dagegen für die Empfindung und den Verstand diese schöne einzelne Figur, die, stehend oder wankend, ihren rechten Arm auf einem Kissen ruhen und das göttliche Haupt voll Leiden und Liebe zurücksinken läßt! Ihr Auge bricht von einem brennendern Schmerz als dem des Schlangenbisses an ihrer Brust. Sie steht da in vollendetem Ebenmaß, in unverbesserlichen Umrissen, ein Wesen höherer Art. Eine andere Stellung konnte sie nicht wählen; diese reine, zwanglose Grazie, diese einfach wahre Natur ist edel und schön zugleich. Sie ist ganz unverhüllt, ein wenig marmorn von Substanz und Farbe; doch was ist Farbe gegen Form, und was ist Bekleidung gegen Blöße, wenn diese Form sie heiligt? Malen für den denkenden Geist und malen für den thierischen Sinn, Zampieri's Susanna und Guido's Kleopatra schaffen – wem das einerlei sein kann, wer wol lieber dort zugreifen als hier von Seele zu Seele empfinden mag, den wollen wir doch freundlich bitten, an dieser heiligen Magdalena unsers Guido schnell vorüberzugehen. Es ist eine ganze sitzende Figur in Lebensgröße, mit einem Kopf, der schöner wird, je länger man ihn ansieht. Im Colorit ist der Künstler hier ungewöhnlich glücklich gewesen; der ganze milde Farbenton des Stücks ist gut gewählt. Diese Gestalt mußte drapirt werden, denn sie hat sinnlichen Reiz; der zart unterscheidende Meister empfand dieses Gesetz der höhern Kunst; nur ist das Gewand nicht glücklich geworfen. Im Gesicht ist alles ausgedrückt, was man von einer reuevollen Magdalena erwartet; doch wird es nicht durch Leidenschaft entstellt, wodurch die Stümper in der Malerei gewöhnlich den Affect bezeichnen müssen. Für die Menge der Beobachter geht der zartere Ausdruck des Seelenzustands gänzlich verloren; sie merken nicht, daß man traurig ist, wenn man nicht heult und schluchzt oder sich wüthend zur Erde niederwirft; sie kennen keine Freude, ohne das Grinsen des Satyrs, und so geht es durch alle Modificationen des Gemüths. – Mit Vergnügen betrachtete ich hier noch einen schönen Engelskopf von Guido und, damit ich alle seine Bilder zusammenstelle, im dritten Zimmer einen kolossalischen Christuskopf, mit einem Adel angethan, den nur das Studium der Antike geben konnte, und ein wunderschönes, schlafendes Kind im Arm der Mutter, die so ganz liebende Mutter ist.

Der Eid des Brutus bei Lucretia's entseeltem Körper, von Hamilton Gavin Hamilton, ein Schotte, lebte und starb (1797) zu Rom; er stellte in seinen Gemälden mit Beifall besonders homerische und andere antike Stoffe dar. Anmerkung d. Hg., hat richtige Zeichnung und schöne Farbengebung; das weiche Fleisch des eben erst durchbohrten Leichnams ist gut gehalten; das Ganze, wie solche Geschichten, wenn nicht der höhere Genius der Malerei hinzukommt, immer behandelt zu werden pflegen, eine kalte Deklamation. Carlo Maratti's schlafende Venus verdiente wol ein gutes Wort. Es ist nicht möglich, einen schönem weiblichen Kopf zu bilden, und schön ist auch die ganze Gestalt, sodaß der Adonis gänzlich vor ihr verschwindet. Männliche Schönheit glückt überhaupt den Künstlern seltener, vielleicht weil sie wirklich seltener ist. Winckelmann Johann Joachim Winckelmann, der große Begründer der Kunstgeschichte, geb. 1717 zu Stendal, ermordet 1768 zu Triest. Anmerkung d. Hg. würde sagen, die vollkommenste Form muß auch die seltenste sein. Das Colorit dieses Stücks hat übrigens etwas gelitten; ein Unfall, der auch einer Venus mit dem Amor, von Tizian, widerfahren ist. Schöner ist von diesem Meister die Tochter Cimon's erhalten, die ihren alten Vater im Gefängniß aus ihren Brüsten tränkt; leider ist diese Geschichte kein schicklicher Gegenstand für die Malerei. In der Nähe hängt ein kleines Brustbild einer Lucretia, die sich ersticht; sie ist nicht schön, sie ist nicht edel, mit Einem Worte: es ist die wahre Lucretia nicht; aber sie lebt und ersticht sich. An dem Busen dieses Weibes sollten sich die Maler blind studiren, bis sie von Tizian lernten, wo Natur und Wahrheit sich scheiden von Manier.

Der sterbende Gladiator mit einem Antinouskopf, der wild aufblickt, mit offenem Munde, und den linken Arm hinter sich ausstreckt, ist eine schöne, riesenhafte Figur, deren Härte übrigens trotz dem dunkelbraunen Colorit ihr marmornes Urbild verräth. Ich hätte es nicht errathen, daß dieses aus Antiken zusammengesetzte Bild einen Johannes in der Wüste vorstellen soll, und möchte den großen Caracci gern gefragt haben, was nun ein solches Machwerk zum Johannes charakterisirt? Bei einem andern großen, gräßlichen Gemälde, das den Hercules und Cacus vorstellen soll, müßte ich eine ähnliche Frage an den Künstler thun. Vom Cacus sieht man den blutenden Hinterkopf, nicht das Gesicht; woher soll man erfahren, ob er ein Bösewicht ist, der sein Schicksal verdient? Kein Zug auf Hercules' Gesicht bezeichnet den Rächer der beleidigten Menschheit. Was unterscheidet hier den Halbgott von einem Banditen? Ich sehe nur einen wilden Kerl, der mit beiden Händen eine Keule über dem Kopfe schwingt, um einem Unglücklichen, dem er den Fuß in den Nacken setzt, den letzten Streich zu geben. Wahrlich, wenn ich Heldenthaten verrichtet hätte, ich würde mir Meister Annibal's Biographie verbitten.

Der alte Perin del Vaga Perino del Vaga, eigentlich Buonacorsi, aus Florenz (1500-47), einer der besten Schüler Rafael Santi's. Anmerkung d. Hg. gefällt mir besser in seiner santa famiglia; das schönste Kind küßt eine holde, gute, sanft duldende Mutter; Elisabeth ist alt, aber nicht widrig, und der kleine Johannes von untergeordneter Schönheit. Welch ein Abstich dieses Bildes aus der ältesten italienischen Kunstepoche, gegen die geschmacklosen, hölzernen Gruppen der ersten niederländischen Künstler! – Hier ist übrigens noch eine Madonna mit dem Kinde, angeblich von Rafael.

Zwei Landschaften von Claude le Lorrain vereinigen mit ägyptischen und orientalischen Gebäuden seine Wärme, seinen Reichthum, seine Klarheit und sein Vermögen für die Phantasie des Zuschauers zu malen. Das eine Stück, wo Pharao's Tochter den kleinen Moses findet, ist köstlich; das andere aber noch viel vortrefflicher. Die Paläste sind wahre Feenpaläste.

Ein kolossalischer Mannskopf, von Mengs Anton Rafael Mengs, geb. 1728 zu Außig, lebte zu Dresden, Rom und Madrid, gest. 1779 zu Rom, gefeierter Maler. Anmerkung d. Hg., mit einem Ausdruck von heftigem Schmerz im offenen Munde, ist brav gemalt, aber kalt. Ich eile weg von ein paar großen Bildern, welche die Venus bei dem erschlagenen Adonis vorstellen sollen. Was nur die Venus des Trevisano Francesco Trevisani (Forster schreibt Trevisano) aus Capo d'Istria, gest. 1746 zu Rom, malte Heiligenbilder und mythologische Gegenstände. Anmerkung d. Hg. an ihrem getödteten Freunde so ängstlich zu untersuchen haben kann? Die von Paul Veronese scheint aus einem amsterdamer Musico entlaufen zu sein.

Zum Beschluß noch ein erotisches Gedicht. Amor spielt mit einer reizenden Nymphe, die ihr Gesicht zur Hälfte mit der Hand verbirgt, aber den lieben, schalkhaften Blick des schönen Glanzauges so hervorstrahlen läßt, wie Sonnenstrahlen hinter dem Wolkensaum. Hingegossen ist die ganze Figur, Grazie ihre Stellung und all ihr Regen. Das Gewand, woran Amor zupft, ist nymphenhaft, phantastisch und von den Charitinnen angelegt. Ein Colorit, so frisch wie von der Staffelei! Das lose Mädchen erröthet nicht blos auf der Wange. Im Grase vor ihr hebt ein buntes Schlängelchen den Kopf in die Höhe: latet anguis in herba! Eine feine Allegorie und desto unnachahmlicher, weil der Zuschauer schon sie denkt, ehe er noch den Wink des Künstlers gewahr wird. Dieses Gemälde ist modern, aber seines Platzes unter den Werken des italienischen Pinsels würdig. Es ist von Sir Joshua Reynolds geb. 1723 bei Plymouth, lebte zu London, gest. 1792, gefeiert besonders als Porträtmaler. Anmerkung d. Hg..

Wir spazierten hierauf in die Gegend, wo die berühmten harlemer Blumengärten liegen. Wol mag es wahr sein, daß der Wind ganze Tagereisen weit die würzhaften Wohlgerüche des glücklichen Arabiens den Schiffenden im Ocean zuführt, da wir in diesem nördlichen Klima schon von fern den Duft der Hyacinthen und Aurikeln verspürten. Es war ein warmer Vormittag; die Sonne schien am heitern Himmel, und in ihrem Licht bewunderten wir die Farben der Natur, deren Pracht und Glanz alle Nachahmung und allen Ausdruck so weit übersteigen. Wir übersahen die ganze Fläche eines großen Blumengartens, wo Tulpen von verschiedenen Farben in langen Beeten miteinander abwechselten und ein streifiges Band von Feuerfarbe, Citronengelb, Schneeweiß, Karminroth und vielen andern Schattirungen darstellten. Die minder glänzende Hyacinthenflor befriedigte das Auge fast noch mehr bei einer nähern Untersuchung der Größe, Zahl und Gestalt ihrer Glocken und ihrer mannichfaltigen Farbenstufung. Wie man sonst einen zu großen Werth auf diesen Zweig der Gartenkunst legte, so wird er jetzt beinahe zu sehr verachtet. Es ist doch keine Kleinigkeit, daß der Mensch die Wesen der Natur modificiren kann, ohne sie blos zu verunstalten! Das ehemalige Actienspiel, wozu die seltenen Tulpenzwiebeln nur die eingebildete Veranlassung oder eigentlich nur die Form und Einkleidung hergaben, hat gänzlich aufgehört.

Jetzt wollten wir noch die typographischen Instrumente in Augenschein nehmen, womit man hier vor der Erfindung der beweglichen Lettern druckte; allein der jetzige Eigenthümer des Koster Laurens Janszoon Koster oder Coster, nach der Ansicht der Holländer der Erfinder des Buchdrucks (um 1430), dem Gutenberg seine Kunst abgestohlen habe. Die Geschichte der holländischen Buchdruckerei ist sehr dunkel, und Coster wird, außer von den Holländern selbst, wenn er überhaupt je existirte, gewöhnlich nur für einen sogenannten Briefdrucker, d. h. Drucker mit Holzplatten, gehalten. Anmerkung d. Hg.'schen Apparats, Herr Enschede, war entweder nicht zu Hause, oder ließ sich verleugnen. Nach Tische besuchten wir das sogenannte Teyler'sche Institut. Peter Teyler van der Hulst, ein reicher Kaufmann, der in seinem Leben keine besondere Neigung für die Wissenschaften geäußert hatte, vermachte sein ganzes Vermögen den Armen und der Physik. Zu diesem doppelten Endzweck haben die Curatoren des Vermächtnisses beinahe hunderttausend Gulden jährlicher Einkünfte zu verwenden. Wir sahen die Bibliothek, eine Kupferstichsammlung, einen unvergleichlichen Apparat von physikalischen Instrumenten und ein bereits sehr ansehnliches und prächtiges Naturaliencabinet. Die große Elektrisirmaschine, die in ihrer Art einzig ist, kennt man aus dem trefflichen Bericht des Dr. van Marum, der über das Cabinet die Aufsicht führt. Sie steht in einem großen, mit Geschmack decorirten Saal, und ihre Scheiben haben gegen sechs Fuß im Durchmesser. Mit solchen Werkzeugen lassen sich Erscheinungen hervorrufen, die bei jedem schwächern Apparat unmöglich sind. Die Anwendung der Elektricität auf die Schmelzung und Verkalchung der Metalle und auf die Scheidung der Luftarten liefert hiervon mehr als Einen Beweis, und mit der Zeit, wenn wir dem Himmel seine Geheimnisse nicht ablernen, wozu es freilich nicht viel Anschein hat, werden unsere Wissenschaften doch überall den Punkt genauer treffen, wo das Sinnliche in das Uebersinnliche, das Materielle in das Immaterielle, Effect in Ursache und Kraft übergeht. Die neuesten Versuche, die Herr van Marum hier angestellt hat, liefern den Beweis, daß eine gänzliche Beraubung der Reizbarkeit mit der Tödtung der Thiere durch den Blitz allemal verbunden ist. Der Aal zum Beispiel, dessen abgesonderte Stücke, wenn man ihn zerschnitten hat, sich nach langer Zeit noch krümmen und bewegen, blieb steif und an allen den Theilen unregsam, durch welche der tödtende Strahl seinen Weg genommen hatte.

Die Administratoren dieses Vermächtnisses könnten ohne Zweifel, wenn wahrer Eifer um die Wissenschaft sie beseelte, noch weit größere Ausgaben in dem Geiste des Stifters bestreiten, ohne Besorgniß, sich von Mitteln entblößt zu sehen, oder auch nur die jährlichen Zinsen des ungeheuern Kapitals zu erschöpfen. Allein die Versuchung bei einer solchen Geldmasse ist zu groß zum Vermehren und Anhäufen, als daß man ihr widerstehen könnte; wenn aber einmal ein Fond zu einer disproportionirten Größe herangewachsen ist, wer sichert ihn dann vor jener räuberischen Staatsnothwendigkeit, der in einem Augenblick des öffentlichen Miscredits alle Bedenklichkeiten weichen müssen? Hatte nicht die Universität Leyden bereits eine halbe Million erspart, womit sie während der neulichen Unruhen den Entschluß faßte, ein neues akademisches Gebäude zu errichten? Würde der Großpensionar van Bleiswyk diesen der Universität so unentbehrlich gewordenen Bau nicht durchgesetzt haben, wenn er aus dem Schiffbruche seines Einflusses bei dem Siege der oranischen Partei mehr als den blosen Ehrentitel eines Curators gerettet hätte? Jene ungeheuere Contribution von achtzig Millionen verschlang die kleinen Ersparnisse der Wissenschaften, und keine Stimme klagt in Europa über diesen – mehr als Kirchenraub. Wie darf man es wagen, nach einer solchen That noch von den eingezogenen Gütern müßiger Prälaten und Mönche in Frankreich zu sprechen?

Zuletzt führte uns Herr van Marum, der uns sehr freundschaftlich aufnahm, auch in das Naturaliencabinet der harlemer Societät der Wissenschaften, welches zwar minder glänzend, aber durch seine zweckmäßige Einrichtung und die genau befolgte Linné'sche Methode vorzüglich lehrreich ist. Der zoologische Theil enthält besonders viele seltene Stücke und ist in den Klassen der Säugethiere, der Vögel und der Zoophyten ziemlich vollständig. So verstrich uns die Zeit bis zum Abend, da wir ein leichtes Fuhrwerk bestiegen, das uns in drei Stunden unter beständigem Wetterleuchten und Blitzen nach Leyden brachte. Wir eilten so schnell davon, daß uns der heftige Patriotismus der Harlemer während der letzten Unruhen kaum eingefallen wäre, wenn uns nicht das Symbol desselben, die Menge der Spitzhunde (holländisch: Keessen) auf allen Straßen daran erinnert hätte. In allen Volksbewegungen scheint es gefährlich zu sein, gegen die Partei, die der Pöbel begünstigt, zu viel Verachtung blicken zu lassen. Die Spottnamen, womit man sie zu erniedrigen meint, verwandeln sich leicht in ehrenvolle Benennungen, wodurch das Band der Vereinigung nur noch fester wird. Die Mehrheit behauptet unwiderlegbar das Recht, den Sprachgebrauch zu bestimmen. Als die von Philipp II. unterdrückte Partei freiwillig den Namen Geusen ( gueux, Bettler) adoptirte, ward sie dem Tyrannen furchtbar; als die Neuengländer nach den Gefechten bei Lexington und auf Bunkershill mit ihrem und mit britischem Blut den Vorwurf der Feigheit abgewaschen hatten, der auf dem Namen Yankees haftete, setzten sie ihren Stolz darin, sich ihre Feinde von Yankees besiegt und durch diesen Namen noch tiefer gedemüthigt zu denken. So kannten auch bald die holländischen Patrioten kein Wort, das sie stärker begeistern konnte, als das anfangs gehässige Kees; als eine Anspielung darauf trugen die Weiber ein goldenes oder porzellanenes Hündchen an ihrem Halsgeschmeide; die Männer trugen es als Brelocque an der Uhrkette, und so ward es ein Abzeichen, woran man sich einander zu erkennen gab.

Mit der Besichtigung der Sehenswürdigkeiten in Leyden und im Umgange mit den dortigen Gelehrten haben wir ein paar vergnügte Tage zugebracht. Wer mit allen Vorurtheilen gegen die Niederländer, die man zumal in Deutschland bis zum Ueberdruß wiederholt, plötzlich hierher verschlagen würde, dem könnte wol ein Zweifel aufsteigen, ob er sich auch auf holländischem Boden befände; so vereinigen sich hier die gründlichsten Kenntnisse mit echter Urbanität und milden Sitten, vor allem aber mit der Bescheidenheit und der aufmerksamen Achtung gegen Fremde, die sich auf ein Gefühl vom eigenen Werthe gründen und nie zur kleinlichen Eitelkeit des Pedanten herabsinken. Der gute Ton unter den hiesigen Professoren ist eine natürliche Folge dieser Selbstachtung, verbunden mit der willigen Anerkennung ihrer gegenseitigen Verdienste. Vielleicht trägt auch der Umstand, daß die meisten eigenes Vermögen besitzen und einige zu den wohlhabendsten Einwohnern des Orts gezählt werden, etwas dazu bei, den kleinlichen Neid und die Schelsucht zu verbannen, die bei einer größern Ungleichheit sowol der Talente als der Glücksgüter beinahe unvermeidlich sind. Die Universität ist wirklich noch mit Männern besetzt, die ihrem alten Ruhm Ehre machen. Pestel Friedrich Wilhelm Pestel, geb. 1724 zu Rinteln, seit 1763 Professor der Rechte zu Leyden, wo er 1805 starb; ein Rechtsgelehrter. – David Ruhnken, geb. 1723 zu Stolpe, 1761 Professor zu Leyden, wo er 1798 starb; bedeutender Philologe. – Heinrich Albert Schultens, geb. 1749 zu Herborn, 1778 Professor der orientalischen Sprachen zu Leyden, wo er 1793 starb. – Johann Luzac, geb. 1746 zu Leyden, gest. daselbst 1807, Professor der griechischen Sprache, Publicist, Philolog und Historiker. Anmerkung d. Hg., Ruhnken, Schultens, Luzac sind Namen, die unter Gelehrten keiner Empfehlung bedürfen; sie würden sich in jeder Gesellschaft Aufmerksamkeit und Achtung erwerben, und wir ehrten in ihnen allen noch mehr den Menschen als den Professor. Es freute mich besonders, meinen alten Bekannten, den am Vorgebirge der guten Hoffnung geborenen Dr. Voltelen, einen geschickten Chemiker, als Rector der Universität wiederzusehen; dagegen mußten wir auf die Bekanntschaft des trefflichen Naturforschers Brugmans Sebald Justin Brugmans (1763-1819), Professor der Botanik zu Leyden, geachteter Schriftsteller seines Faches. – Bernhard Siegfried Albinus, geb. 1696 zu Frankfurt a. d. O., gest. 1770 zu Leyden, wo er 50 Jahre lang Professor gewesen war; einer der größten Anatomen seiner Zeit und bedeutender Schriftsteller in seiner Wissenschaft. Anmerkung d. Hg., der eben nach dem Haag gereist war, für jetzt Verzicht thun. Sandifort, der thätige Nachfolger des großen Albinus, zeigte uns freundschaftlich seines Vorgängers und seine eigenen anatomischen Schätze, seine reiche Bibliothek und sein großes osteologisches Werk, wozu er bereits eine beträchtliche Anzahl Kupfertafeln fertig liegen hat. Den feinen Genuß, den die höchste Ausbildung des Geistes und die zarteste Empfänglichkeit des Gefühls gewährt, durften wir uns vom Zufall und einem Aufenthalt von wenigen Stunden nicht versprechen; desto schöner war die Ueberraschung, die uns in Herrn M.'s Wohnung erwartete. Ich wage es nicht, die Empfindung zu beschreiben, womit wir gewisse Saiten berühren und erbeben fühlten, die während unserer ganzen Reise kaum aus ihrer Ruhe gekommen waren. Unserm Vergnügen fehlte diesmal nichts; wir gingen berauscht von unserm Glück davon, das uns mit einem so wohlthätigen Eindruck von der in diesem Hause herrschenden Harmonie aus Holland entließ. Wir hatten nun in diesem Lande an der Seite eines mit Kenntnissen reich ausgerüsteten, an Kopf und Herz gleich schätzbaren Mannes auch das gefunden, was in allen Ländern so selten ist: eine Gefährtin von Gefühl und Verstand, von gebildetem Urtheil, ohne Anmaßung, mit sanfter Weiblichkeit und jener glücklichen, mit sich selbst einigen Ruhe der bessern Menschheit!

Einen frohen und geselligen Abend brachten wir bei Herrn van G., einem jungen Manne von vortrefflichem Charakter zu, der hier der mennonitschen Gemeinde als Prediger vorsteht. Diese Mennoniten sind nicht mehr die alten fanatischen Wiedertäufer; es gibt in den Niederlanden keine aufgeklärteren und vernünftigeren Menschen. Ueberhaupt macht man in freien Staaten oft die Bemerkung, daß die schwärmerischsten Sekten, indem man ihnen Zeit zum Gären läßt, sich endlich in stille, weise, nützliche Bürger verwandeln. Die Wohlfahrt des Staats hat keine herzlichern Freunde, die Freiheit der Verfassung und der Vernunft keine eifrigern Verfechter, die Wissenschaft keine thätigern Beförderer als diese jetzt in ihrer Kleidung von den andern Einwohnern nicht mehr zu unterscheidenden Mennoniten. Sie zählen viele der reichsten Familien in Holland zu ihrer Gemeinschaft, deren jetziges religiöses Band wol eher in einem bescheidenen und schüchternen Gebrauch der Vernunft bei allen unauflösbaren Zweifeln des Uebernatürlichen, als in dem ehemaligen Mysticismus besteht.

Des starken Regens ungeachtet, der gleich nach unserer Ankunft fiel, war doch am folgenden Morgen das Pflaster so rein, wie es nur in Holland und in einer Stadt möglich ist, wo die Reinlichkeit und die stille Hantierung der Einwohner zusammentreffen. Wirklich ist in Leyden wenig Bewegung auf den Straßen; die vielen Fabriken beschäftigen die für ihren Umfang ziemlich beträchtliche Volksmenge, und die Zahl der Studirenden ist verhältnißmäßig nur gering. Wir konnten also unsere Gänge durch die schönen, mit Bäumen bepflanzten und mit Kanälen durchschnittenen Straßen vornehmen. Wir besahen das alte baufällige akademische Gebäude, die Universitätsbibliothek, den botanischen Garten und das Naturaliencabinet; lauter Institute, die einer kräftigen Unterstützung bedürfen, ehe sie einigermaßen ihrem Endzweck werden entsprechen können.

An einem schönen Abend machten wir endlich nach unserer Gewohnheit einen Spaziergang rund um die Stadt. Die Sorgfalt, womit der breite Weg, blos für Fußgänger, wie eine Gartenallee unterhalten wird; die überall willkommene, nirgends erkünstelte Reinlichkeit; die heiligen Schatten ehrwürdiger Linden und Ulmen, unter denen wir wandelten, die Pracht der Blüten in den Obstgärten rundumher; die balsamische, mit Wohlgerüchen erfüllte Luft, in welcher kein Blättchen sich bewegte und kaum die Nachtigallen zu flöten wagten; die gut und einfach gekleideten Bürger, die uns einzeln oder paarweise begegneten und uns zuletzt in der Dämmerung ganz allein ließen; der unverhoffte Anblick des Rheins, der hier ein stiller, kaum merklich fließender Kanal von unansehnlicher Breite geworden ist; das Heer der Gedanken, das sich bei diesem Genuß in uns regte, die Heiterkeit des traulichen, einsamen Gesprächs; der kühne Flügelschlag der Phantasie von dieser zauberischen Gegenwart hinüber in die Gefilde der Erinnerung, und nun, heilige, beglückende Schauer der sanftesten Schwermuth: wer vermag das Bewußtsein zu beschreiben, das so ergriffen wird?

Um 6 Uhr morgens verließen wir Leyden. Von allen Seiten um uns her ertönte ununterbrochener Gesang der erwachenden Vögel. Die Sonne vergoldete die Thürme hinter uns. Unsere Barke umflatterten die Kibitze, die Brachvögel, die Schnepfen, die Meerschwalben, und alles jauchzte und jubelte in der Luft und auf den Wiesen. Das bunte Vieh, in hundert kleinen zerstreuten Heerden, bedeckte die unermeßliche Ebene, die mit frischem smaragdfarbenem Grün dem reinen, blauen Himmel entgegenlachtae; ein leichtes Lüftchen liebkoste die spiegelglatte Fläche des Kanals, worauf wir hinglitten, und ein Spiegel in der Kajüte malte uns immer wieder zum zweiten mal die Aussichten, die in entgegengesetzter Richtung vor unserm Auge vorüberflogen. Sogar die wortkargen Schiffer fühlten den Einfluß des belebenden Frühlings und glückwünschten einander naiv und energisch zum köstlichen Wetter.

Diese Schiffer auf den Kanälen, die ich sorgfältig von den Schiffenden zur See unterscheide, dürften leicht die langsamsten, phlegmatischsten unter allen Einwohnern von Holland sein, und weil die meisten Reisenden sie beständig vor Augen, vielleicht auch von ihrer Indolenz am meisten zu dulden haben, ist vermuthlich auch von ihnen der so allgemein bekannte Nationalcharakter abstrahirt, der keineswegs so genau auf die übrigen Volksklassen paßt. Ihnen begegnet nie etwas Ungewöhnliches auf ihren Fahrten; ruhig sitzen sie da, lassen sich und ihren Nachen vom Pferde ziehen und fühlen kaum, daß sich das Fahrzeug unter ihnen bewegt. Alle Gegenstände sind ihnen unterwegs bekannt, alle kehren zur gesetzten Minute wieder vor ihr Auge zurück; sie sehen auf dem Hin- und Herwege von einer Stadt zur andern nichts Neues, die Passagiere ausgenommen, die ihnen so gleichgültig sind wie die Bäume am Rain der Kanäle. Ihr ganzes Geschäft heischt nicht die mindeste Anstrengung; der eine führt das Ruder, der andere vorn gibt Acht auf das Seil, löst es ab, wenn die Barke unter einer Brücke hinzieht und greift es, sobald sie hindurch ist, auf der andern Seite wieder auf. Einige Augenblicke vor der Ankunft sammelt der Steuermann die Bezahlung von den Passagieren ein. So treibt er es den ganzen Tag, und am folgenden Morgen geht es wieder so fort. Hieraus entspringt jene Gemessenheit und Langsamkeit in allen Bewegungen, die einen lebhaften Menschen oft in Verzweiflung bringen möchte. Alles geschieht zu seiner Minute, aber gewiß auch keine Secunde früher. Kein Muskel verzieht sich in dem festen, dicken, ruhigen, rothen Gesicht, wenn auch auf der Wange des Fremden die Farbe zehnmal geht und kommt. Eine bei uns ganz ungewöhnliche Höflichkeit, ohne die mindeste Affectation und Ziererei, kann man indeß diesen Menschen so wenig wie ihren Landsleuten überhaupt absprechen. Sie grüßen die Vorübergehenden sehr herzlich und freundlich, ziehen vor dem Geringsten den Hut ab, antworten mit Gefälligkeit und Bereitwilligkeit auf alle Fragen, weisen einen gern zurecht, und äußern also in ihrem Betragen wie in ihrer Kleidung und in allen andern Verhältnissen die Art von Rechtlichkeit, die nur wohlhabenden Nationen eigen ist. Die Politik ist ihr liebstes Gespräch, ihre einzige Lektüre die Zeitungen, ihr Zeitvertreib die Tabackspfeife und ihr Labsal ein Glas Wachholderbranntwein. Auf ihre Ehrlichkeit kann man sich vollkommen verlassen; mit der größten Aufmerksamkeit sorgen sie, daß man alles aus dem Schiffe mitnimmt und nichts vergißt.

Ohne in Delft anzuhalten gingen wir zu Fuß um die Stadt und setzten uns auf der andern Seite in die Barke, die nach Maassluis abgeht, woselbst wir zu Mittag eintrafen. Dort waren wir von Helvoet noch drei Stunden Wegs entfernt; weil aber die hiesige Bewirthung nicht die beste und billigste ist und das Packetboot erst heute abgehen sollte, entschlossen wir uns, daselbst in einem sehr bequemen Gasthof zu übernachten. Maassluis ist ein niedlicher kleiner Flecken, dessen Hafen mit Fischerfahrzeugen angefüllt war, indem von hier aus und dem benachbarten Vlaardingen der Kabeljau- und Heringsfang betrieben wird. Nichts gibt einen so klaren Begriff von holländischer Reinlichkeit als der Umstand, daß man sie auch in einem Fischerstädtchen, ungeachtet der von den Beschäftigungen der Einwohner fast unzertrennlichen Unsauberkeit, in einem hohen Grade noch antrifft. Das Schauspiel der Arbeitsamkeit unterhielt uns eine geraume Zeit, indem wir hier umhergingen. Wir bemerkten unter anderm, was man uns bereits in dem Admiralitätswerfte zu Amsterdam gelehrt hatte, daß der Theer, der aus Steinkohlen geschwehlt wird, allmählich an der Stelle des aus dem Tannenharz bereiteten in Gebrauch kommt, indem er vor diesem letztern wesentliche Vorzüge hat. Von zwei Kriegsschiffen, die man nach Ostindien geschickt hatte, kam das mit Holztheer bestrichene von Würmern ganz zerfressen nach Holland zurück, da hingegen das andere, welches man mit Steinkohlentheer überzogen hatte, fast gar nicht angegriffen war. England bereitet gegenwärtig noch allein diesen Theer, und von dort aus wird er nach Holland ausgeführt.

Nach dem Essen machten wir einen langen Spaziergang durch die Wiesen und Viehweiden an der Maas und lagerten uns auf dem üppig hervorgrünenden Klee an einem Damm, um die Sonne im Strom sich spiegeln zu sehen. Seine ganze Oberfläche war wie der Sternhimmel, nur unendlich dichter mit funkelnden und flimmernden Punkten besäet, indem der leichte Wind die Oberfläche des Wassers kräuselte und in jedem Rändchen, das sich erhob, ein Strahl zurückgeworfen ward. Dichter und dichter gesäet, verschränkten sich in Reihen und Glieder die Funken, bis sie senkrecht unter der Sonne zusammenflossen in ein Silbermeer von Licht, das blendend vor uns lag. Die zarten Blüten unsers Rasenbettes hielten wir über uns in das Licht, gegen den Azur des Himmels; da schien uns ihr Rosenroth in das unermeßliche Blau hineingehaucht; von der Sonne durchschimmert schien ihr Wesen von ätherischer Substanz; so rein und zart sind die Farben und die Gewebe der Tausendkünstlerin Natur!

Auf diesen schönen Abend folgte ein trüber nebelichter Morgen. Wir ließen uns über die Maas setzen und fuhren in einem offenen Wagen über die Insel Rosenburg an den südlichern Arm desselben Flusses, wo wir nochmals übersetzen mußten, um unsern Einzug in die nette kleine Festung Briel zu halten, den ersten festen Platz, den die Niederländer den Spaniern entrissen. Ein anmuthiger Weg von wenig mehr als zwei Stunden, durch frische Saaten, fette Wiesen und unabsehliche Felder von Oelrettich, führte uns endlich hierher nach Helvoetsluis, wo wir eine Anzahl der schönsten holländischen Kriegschiffe theils im Hafen vor Anker, theils im Werfte abgetakelt liegen sahen. Die niedrige Gewinnsucht, die sich hier den Zeitpunkt zu Nutze macht, wo die Reisenden, indem sie den guten Wind oder die Abfertigung des Packetboots abwarten müssen, ohne Rettung in ihren Krallen liegen, scheint in der That das moralische Gefühl der hiesigen Einwohner fast ganz erstickt zu haben; indeß sind es nicht die Einheimischen allein, sondern auch Ausländer, die jene verächtliche Rolle spielen und ihre kleine Tyrannei ungeahndet an den Vorüberziehenden ausüben. Wir sind von dem allgemeinen Lose der Reisenden an diesem Orte nicht verschont geblieben; aber keine Mishandlung, die uns noch begegnen kann, wird den guten Eindruck schwächen, den unsere Reise in Holland in unserm Gedächtnisse zurückläßt. Das Bild einer freien und arbeitsamen, gesunden und wohlgekleideten, genügsamen und reinlichen, gutgearteten und durch Erziehung zu einer auf Grundsatz ruhenden Tugend gebildeten Nation – sei auch mit ihrer Ruhe Gleichgültigkeit und Kälte, mit ihrer Einfalt Einseitigkeit und Beschränkheit, mit ihrer Emsigkeit kleinliche Liebe des todten Eigenthums zuweilen unvermeidlich verbunden – bleibt uns dennoch ein erfreuliches, versöhnendes Exemplar der Menschheit, das uns zumal für jenen scheußlichen Anblick belohnt, den die erschlaffte, zur herz- und geisttödtenden Sklaverei unter dem Joche der papistischen Hierarchie so tief herabgesunkene menschliche Natur in Brabant, bei so viel mehr versprechenden Anlagen, uns gewährte.


Mit dem siebenundzwanzigsten Briefe schließen die »Ansichten« Forster's, soweit er sie selbst bearbeitet hat; sein Tod hinderte ihn an der ferneren Ausführung und Vollendung. Was noch folgt, ist aus seinem Nachlasse durch L. F. Huber gerettet und der ersten Ausgabe als dritter Band (Berlin 1794) beigefügt worden. Es sind die Notizen, die sich Forster während seiner Reise in England unmittelbar aufgezeichnet hatte. Die »Geschichte der Kunst in England vom Jahre 1789«, welche Huber als Anhang beigegeben, ist hier, als nicht zu den »Ansichten vom Niederrhein« gehörig und für die Gegenwart ohne Interesse, nicht wieder mit abgedruckt worden.


 

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