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XXVI.
Amsterdam.

Wanderung der klimatischen Ueppigkeit aus Indien nach Europa. Entstehung des Luxus in Freistaaten. Verschiedenheit des nordischen und französischen Charakters. Ungelenkigkeit der Holländer bei französischen Sitten und Moden. Französische Bühne in Amsterdam. Porträt einer Nordholländerin. Saardam und Broek. Peter der Große. Aufklärung und Läuterung des Geschmacks in Amsterdam. Das Athenäum und dessen jetzige Lehrer. Mühsame Beschäftigung der Aerzte. Felix Meritis. Patrioten. Holländische Orthodoxie. Symptome der Unreifheit für Aufklärung im Volke durch ganz Europa. Regentenklugheit. Unausbleibliche Gärung. Pflicht der menschenfreundlichen Regenten. Rachsucht der in Holland obsiegenden Partei. Charakteristische Empfindlichkeit.

In dem entnervenden Klima von Indien gewöhnen sich die europäischen Eroberer nur gar zu leicht an asiatische, weichliche Ueppigkeit und Pracht. Treibt sie hernach das unruhige Gefühl, womit sie dort vergebens Glück und Zufriedenheit suchten, mit ihrem Golde wieder nach Europa zurück, so verpflanzen sie die orientalischen Sitten in ihr Vaterland. Man sträubt sich zwar in Republiken eine Zeit lang gegen die Einführung des Luxus; allein der übermäßige Reichthum bringt ihn unfehlbar in seinem Gefolge. Wenngleich nüchterne Enthaltsamkeit mehrere Generationen hindurch die Ersparnisse des Fleißes vervielfältigte, so kommt doch zuletzt das aufgehäufte Kapital an einen lachenden Erben, der über die Besorgniß hinaus, es nur vermindern zu können, die Forderungen der Gewinnsucht mit der Befriedigung seiner Sinne reimen lernt. Unglücklicherweise pflegt dieser Aufwand selten anders als barbarisch und geschmacklos zu sein, da der Sinn des Schönen, wodurch der Luxus allein erträglich wird, eine frühzeitige Bildung voraussetzt, die dem Sohne eines kargen Reichen nicht zutheil werden kann. Von dieser Seite hat die Emsigkeit, wovon man hier so viele Beispiele sieht, der das Sammeln, statt bloßes Mittel zu bleiben, alleiniger engherziger Zweck geworden ist, etwas Empörendes; man erkennt an ihr zu deutlich den Uebergang einer vereinzelten, tugendhaften Gewohnheit durch ihr Extrem in das verwandte Laster, die Metamorphose der schönen, edeln Sparsamkeit in niedrigen, verächtlichen Geiz. In dieser traurigen Abgestorbenheit, die alle Verhältnisse des Menschen, bis auf das Eine mit seinem Mammon, gänzlich vernichtet, geht nicht nur die Möglichkeit der individuellen Ausbildung verloren, sondern auch die Erziehung des künftigen Besitzers wird so sehr vernachlässigt oder verschroben, daß, wenn Temperament und Beispiel ihn in der Folge zum Prasser machen, sein Misbrauch der ererbten Schätze genau so unmoralisch bleibt, wie es des Vaters Nichtgebrauch derselben war.

Ich mache diese Betrachtung, indem ich erwäge, welche unzählige Verbindungen von nie vorherzusehenden Ursachen zur Entstehung eines Volkscharakters mitwirken können, und wie sehr man unrecht hat, den späten Enkeln eine Schuld beizumessen oder auch ein Lob zu ertheilen, wovon der Grund vor Jahrhunderten in einer nothwendigen Verkettung der Umstände gelegt worden ist. Die Widerwärtigkeiten, womit die Holländer in frühem Zeiten zu kämpfen hatten, stärkten in ihnen den hartnäckigen Geist der Unabhängigkeit. Ihre Freiheitsliebe führte sie zu großen Aufopferungen; ihre Enthaltsamkeit ward ihnen zur andern Natur. Indeß alle Nationen Europas bereits einer Ueppigkeit fröhnten, die gleich einer ansteckenden Seuche weder Geschlecht, noch Alter, noch Stand verschonte, blieben sie allein unangefochten von ihrem verführerischen Reiz, in rauher, unzierlicher republikanischer Einfalt. Aber ihr Muth, der ihnen das reiche Batavia schenkte, ihr Handelsfleiß, dem alles Gold von Asien und Europa in der Hand zurückblieb, ihre Sparsamkeit selbst, die ihnen wehrte, die gesammelten Schätze wieder zu zerstreuen, bereiteten die jetzige Anwendung derselben vor. Jetzt befinden sich die Holländer in der Lage aller spät reifenden Völker; indem sie aus jenem vegetirenden Leben erwachen, sehen sie ihre Vorgänger in der Laufbahn des Genusses als Muster an, denen sie mit verdoppelten Schritten, oder vielmehr mit einem Sprunge nacheilen wollen, und diese unglückliche Nachahmung stört sie in dem ruhigen Gange der ihnen angeeigneten Entwickelung.

Dem physischen und klimatischen Naturell der Holländer, wie ihrem besonnenen Gemüthscharakter, ziemte die äußerste Simplicität; ihre Cultur durfte sich nie von dieser Grundlage entfernen; sie mußte lediglich darauf gerichtet sein, dem Einfachen Eleganz und Größe beizugesellen. Der bunte, kleinliche Luxus der Mode, der glatte Firnis herzloser Sitten, die wortreiche Leere der Ideen des Tages, stehen ihnen wie erborgte Kleider. Witz, Laune und Geist können unsere Aufmerksamkeit von diesen Misverhältnissen des Welttons abziehen; ihr munteres Spiel kann wenigstens auf einige Augenblicke ergötzen, wenn schon nicht entschädigen für den Mangel an Schönheit und Harmonie; französische Leichtigkeit endlich scheint zu diesem Flitterstaat zu passen, wie Schmetterlingsflügel zum Schmelz der brennendsten Farbencontraste. Bei andern Nationen können zwar diese flüchtigen Blüten des französischen Charakters als einzelne Erscheinungen hervorsprossen; sie gehören aber nie zu dem specifischen Gepräge, womit die Natur und das Schicksal sie voneinander ausgezeichnet haben. Allen deutschen und nordischen Völkern – fast möchte ich auch die Engländer mit einschließen – macht daher ihre Organisation und ihre ganze Geistesanlage einen edlern Ernst und eine überlegte Einheit des Betragens zur natürlichen Pflicht; jede Abweichung von dieser Norm bestraft sich selbst durch die davon unzertrennliche Lächerlichkeit, die niemand so komisch auffällt wie dem leichtsinnigen Volke, dessen Tracht und Manieren man ungeschickt nachahmen will. Selten wird ein Franzose sich die Zeit nehmen, den eigenthümlichen Werth des deutschen, holländischen und englischen Nationalcharakters auszuforschen und anzuerkennen; kein Wunder also, wenn ihm auf den ersten Blick die meisten fremden Gesellschaften eine Aehnlichkeit mit einem abderitischen Maskenball zu verrathen scheinen, wo niemand Talent und Versatilität genug besitzt, um dem gewählten Charakter gemäß seine Rolle zu spielen, sondern jeder treuherzig den ganzen Scherz darin sucht, hinter einer bedeutenden Larve ein Schafsgesicht zu verstecken.

Es ist nicht etwa eine neue Ketzerei, die ich da predige; von allem unserm Beginnen gilt die Regel, daß eigene Empfindung sich damit gleichsam identificiren muß, um es mit einer gewissen Würde zu stempeln. Die Religion selbst ist ebendarum so tief herabgesunken, weil sie bei den meisten Menschen als ein blos überkommenes Erbstück im Gedächtniß haftet und nicht bis ins Herz und aus dem Herzen wieder als eine schöne Blume der individuellen Menschheit an das Licht gedrungen ist. Die Wissenschaften werden verächtlich in dem Munde des Lehrers, der sie mechanisch erlernte, um sie mechanisch herzuleiern. Die Formeln des gesitteten Umgangs ekeln uns an, wenn kein Gefühl des Schicklichen, keine wahre Achtung für die eigene und die fremde Moralität sie länger würzt, ob sie gleich ursprünglich daraus entstanden. Der nachgeahmte Luxus, der nicht mit originellem Kunstsinn bezeichnet ist, kann ebenso wenig einen angenehmen Eindruck machen, wie jene Papagaien- und Pudelkünste; er erscheint nie an seiner rechten Stelle und bleibt dort immer fremd, wo man ihn nicht erfand. Ich trete nur an den Putztisch des Frauenzimmers, um mir noch einen Beleg zu dieser Wahrheit zu holen. Unsere Kleidermoden entlehnen wir von Frankreich; allein wer dieses Land je betreten hat, wird mir bekennen müssen, daß ihre Extravaganz und Unnatürlichkeit dort lange nicht so unerträglich scheinen, wie außerhalb seiner Grenzen. Wie wenig Sinn für das echte einfach Schöne der Natur man immer den Französinnen zugestehen mag, einen Sinn für das Passende und Gefällige des Anzugs wird man ihnen schwerlich abstreiten können. Sie sind gleichsam Eins mit ihrem Putz, und die Erfindung des Tages erhält unter ihren Händen das richtige Verhältniss zu ihren persönlichen Reizen. Wenn hingegen eine fremde Tracht zu ihren Nachbarinnen herüberkommt, bringt sie fast immer das empörende Schauspiel einer unbedingten Nachahmung zu Wege; im Theater, in den Assembleen, in den Concert- und Tanzsälen sieht man nur lebendige Puppen, die ohne die mindeste Rücksicht auf ihren verschiedenen Körperbau und ihre Gesichtszüge mit völlig gleichförmigem Putz beladen sind.

Dieser Contrast zwischen der erborgten Kleidung und der Gestalt, sowie dem Charakter des Frauenzimmers, scheint mir hier noch auffallender als bei uns zu sein und zuweilen an Caricatur zu grenzen. Wir haben die schöne Welt von Amsterdam im französischen Theater versammelt gesehen, welches hier auf Subscription von einigen der vornehmsten Häuser unterhalten wird, und wo niemand Zutritt haben kann, der nicht von den Theilnehmern Billets bekommt. Der Unterschied der Sitten zwischen diesem Publikum und jenem in dem holländischen Schauspielhause zeigte schon, dass hier die erlesenste Gesellschaft versammelt war. Alle Mannspersonen waren sauber gekleidet, zum Theil reich geputzt, und niemand ließ es sich einfallen, den Hut aufzusetzen. Unter den Damen zeigte sich manches hübsche Gesicht, dem nur etwas von jener allgemeinen Belebung fehlte, die eine zarte, rege Empfänglichkeit verräth. In Amsterdam mag wol nicht der Geist auf den Wassern schweben; er schwebte nicht einmal in dem Wald von Strauß- und Hahnenfedern, nicht in den Bändern, nicht in den Halstüchern, worin sich diese schönen Nixen wie in Wolken hüllten. Ihre Schuld ist es indeß auch nicht, wenn sich überall der Ixion Ixion, König in Thessalien. In die Versammlung der Götter zugelassen, verliebte er sich in Juno, die Gemahlin des Jupiter, welcher, um seinen Liebling zu befriedigen, ihm ein Wolkenbild in Juno's Gestalt schuf. Da er jedoch mit der Gunst der großen Göttin prahlte, ward er zu ausgesuchter Qual in den Tartarus hinabgestürzt. Anmerkung d. Hg. findet, der die Wolke für Juno selbst ansieht.

Zum Abstich laß Dir eine Erscheinung einer andern Art beschreiben: ein Mädchen, jung und schön, mit einem Teint von Lilien und Rosen, Lippen von Korall, gesunden schönen Zähnen und feinen regelmäßigen Zügen des kleinen mediceischen Kopfs; kurz, ein Geschöpf, als hätt' es Prometheus geschaffen – und seinen gestohlenen Feuerfunken mocht' es auch schon empfinden. Ihr Haar verbarg sie unter einer dichtanliegenden Kappe von feiner Gaze. Drei längliche, gebogene goldene Spangen von getriebener Arbeit, die sich durch ihre Elasticität fest anschlossen, schien diese Kappe am Gesicht festzuhalten; die eine ging über die Stirn hin und drückte sich nicht weit vom linken Schlafe ein; die beiden andern lagen über den Ohren und knippen die vollen Wangen. In den Ohrläppchen hingen kleine viereckige Zierathen von Metall, wie kleine Vorhängeschlösser, und über beiden Schläfen, an den Augen hinab, spielten feine spiralförmig gewundene Schlängelchen von Silberdraht. Um den Hals ging eine dicke Schnur von rothen Korallen, vorn mit einem goldenen Schlosse. Eine unförmliche Juppe von Kattun mit langen, abstehenden Schößen und an den Aermeln einem kleinen, zusammengenähten Flügel; sodann die häßlichen, bauschigen Unterröcke und ein Paar Pantoffeln ohne Hackenstücke dazu, vollendeten den ganzen Anzug. Nicht wahr, man muß außerordentlich schön sein, um es in diesem Wildenschmuck noch zu bleiben? Wäre diese Dirne einem Reisenden in Ost- oder Westindien begegnet, so hätte er ihren barbarischen Kopfputz einer Abbildung werth geachtet und über das Ungeheuere und Abenteuerliche im Geschmack der ungebildeten Völker lang und breit disserirt; denn wir bedenken nie, wie ähnlich wir den Wilden sind und geben diesen Namen sehr uneigentlich allem, was in einem andern Welttheile nicht parisisch gekleidet ist. In Alkmaar und Enkhuisen, und überhaupt in Nordholland ist die Tracht dieses Mädchens allgemein üblich. Wir sahen sie in dem durch Peter den Großen so berühmt gewordenen Saardam, wo sonst die Weiber über die gewöhnliche holländische Kleidung mit schwarzseidenen Nonnenkappen erscheinen, die hinten und vorn den Hals und die Schultern bedecken und wunderhäßlich aussehen.

Saardam oder Zaandam, wie es sonst eigentlich heißt, verdient sowenig wie der Haag ein Dorf genannt zu werden; es ist ein großer Flecken, der allmählich zur Größe einer Stadt herangewachsen ist und seine eigene Regierung hat. Die Einwohner sind auch nichts weniger als Bauern, wofür man sie gewöhnlich auszugeben pflegt, sondern reiche Kapitalisten, Schiffbaumeister, Handwerker aller Art und Arbeiter in den unzähligen Fabriken, Werften und Mühlen. Der Ort ist überaus niedlich und reinlich; fast ein jedes Haus mit seinem Gärtchen ist eine Insel und wird von einem Kanal umflossen. Da indeß das Wasser in diesen Kanälen jederzeit mehr oder weniger stockt, so halte ich die Luft hier keineswegs für gesund. Die Straßen sind äußerst sauber und regelmäßig mit kleinen Backsteinen gepflastert; es ist aber dessenungeachtet von der übertriebenen Reinlichkeit keine Spur, worin, wie man uns versichert hatte, Saardam mit dem schönen Dorfe Broek übereinkommen soll. Broek wird von reichen Kaufleuten aus Amsterdam bewohnt, die dort der ländlichen Ruhe genießen und nur – noch täglich auf der Börse erscheinen. So ein holländischer Alfius Der Wucherer Alfius kommt vor in Horaz, »Epoden«, 2, in der bekannten Ode » Beatus ille«, der anmuthigen Schilderung des Landlebens, womit die letzten vier Zeilen des muthwilligen Dichters in humoristischem Gegensatze stehen. Sie lauten in freier Uebersetzung:
So sprach der Wuchrer Alfius gerührten Blicks,
    Als haust' er schon auf seinem Gut;
Trieb ein sein Geld zum halben Mai und lieh es dann
    Am ersten Juni wieder aus.
Anmerkung d. Hg.
hat also, wie Du siehst, noch über den römischen zu raffiniren gewußt und verbindet das Landleben mit dem Actienhandel, da Horaz dem seinigen nur die Wahl läßt:

jamjam futurus rusticus,
omnem redegit Idibus pecuniam;
quaerit Calendis ponere.

Dort soll man wirklich die Schuhe ausziehen müssen, ehe man durch die Hinterthür in den Tempel der holländischen Reinlichkeit eingelassen wird; dort sind die Häuser und die Bäume mit bunten Farben bemalt; die Eigenthümer selbst genießen die altmodischen Herrlichkeiten nicht, die sie dort angehäuft haben, und – sonderbar genug! – sie wissen nicht einmal von jenem Genusse der Ostentation, die so gern mit ihren Schätzen prunkt; das Bewußtsein, sich einen solchen Raritätenkasten erbaut zu haben, genügt ihnen so vollkommen, daß ein Fremder selten Erlaubniß erhalten kann, seine Neugier daran zu befriedigen. Um sie her herrscht eine Todtenstille; kein lebendiges Geschöpf darf sich dem Dorfe nähern, aus Furcht, es zu verunreinigen; alle Thüren sind verschlossen, die kostbaren Vorhänge tief herabgesenkt, und nichts regt sich, außer dem Wucherer, der im verborgensten Kämmerchen in seinem Golde scharrt.

Wir nehmen diese Beschreibung auf Treu und Glauben; denn es bleibt uns keine Zeit übrig, uns durch eigene Erfahrung von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. In Saardam, wie gesagt, geht es mit Menschen und Thieren so natürlich zu, wie in der übrigen Welt. Die Häuser sind nach Maßgabe der Bewohner sehr verschieden; ich habe sehr ärmliche hölzerne Hütten und große steinerne Häuser gesehen, breite Straßen und enge Gäßchen, einfache und mit Farben angestrichene Bäume, und einen Wald, oder, mit dem Ritter von la Mancha zu reden, eine Armee von beinahe zweitausend Windmühlen, worin alles, was nur durch diese Vorrichtung bereitet werden kann, bis zur Uebersättigung der Wißbegierde fabricirt wird. Der Schiffbau ist noch jetzt ein wichtiger Zweig der hiesigen Betriebsamkeit, wiewol er seit einiger Zeit sehr abgenommen hat. Die Einwohner, oder eigentlich der Pöbel von Saardam, besteht großentheils aus sogenannten Patrioten, die sich während der letzten Unruhen geweigert haben, für die Prinzlichgesinnten zu arbeiten und jetzt zur Strafe von diesen keine Arbeit bekommen. Das Häuschen, wo der Schöpfer der russischen Despotie Zar Peter der Große, regierte 1682-1725; er verweilte bekanntlich 1697 in Tracht und Lebensweise eines Zimmergesellen zu Saardam, um die Schiffsbaukunst zu lernen. Anmerkung d. Hg. gewohnt hat, ist winzig klein und mit einem ärmlichen Hausrath versehen. Seine Schlafstelle ist in der Wand angebracht, und ich glaube nicht, daß seine lange Figur darin hat ausgestreckt liegen können. Man zeigt den Fremden sein éloge historique, französisch gedruckt, sein Bildniß in Kupferstich, das jemand aus Paris hierher geschenkt hat, und eine kleine goldene Denkmünze, etwa funfzehn Dukaten schwer, ein Geschenk der jetzigen russischen Kaiserin. Es ist merkwürdig genug, daß dieser außerordentliche Mann gerade das aus seinem Staate gemacht hat, was er hat machen können und wollen. Eine andere Frage ist wol, ob es nicht zu wünschen wäre, er hätte etwas anderes gewollt und gekannt. Rußland hat nun eine Marine, aber hat es auch Sitten? Damals war vielleicht so etwas zu versuchen; jetzt dürfte selbst Peter's große Nachfolgerin die Aufgabe nicht mehr ausführbar finden; denn die feine Verderbniß der neuesten Cultur, auf den rohen Stamm der Barbarei geimpft, ist nur ein Hinderniß mehr.

Wenn auf der einen Seite die Verminderung des holländischen Handels, die Stockung des Geldumlaufs, die Einführung des Luxus und die Erschlaffung der vaterländischen Sitten ein trauriges Bild der Vergänglichkeit menschlicher Einrichtungen und des unausbleiblichen Verfalls der Reiche im Gemüth des Beobachters zurücklassen, so gibt es doch auch Gegenstände in Amsterdam, die zu erfreulichern Betrachtungen Anlaß geben und den Zeitpunkt der gänzlichen Auflösung so weit in die dunkle Zukunft hinauszurücken scheinen, daß die Einbildungskraft wieder Feld gewinnt, sich noch ein blühendes Zeitalter der Republik, wenn auch nicht in politischer Hinsicht, so doch mit Beziehung auf die Privatglückseligkeit der Einwohner, als Resultat einer höhern Cultur und eines geläuterten Geschmacks, mit frischen Farben auszumalen. An Mitteln zur Erreichung dieses Endzwecks wird es nicht fehlen, wenn auch der Handel noch ungleich größere Einschränkungen leiden sollte; die Zinsen der bereits angelegten Kapitalien sind fast allein hinreichend, die Einwohner zu ernähren. Im Jahre 1781 hatten sie nicht weniger als achthundert Millionen Gulden in Europa ausgeliehen. Die ungleich größern Summen, die im Waarenhandel oder in den kostbaren Anlagen unzähliger Fabriken sich verinteressiren; die Fonds, womit die Walfisch- und Heringsfischereien betrieben werden; die der Ost- und Westindischen Compagnien; die eigenen Staatsschulden der vereinigten Niederlande; endlich der Ertrag des Erdreichs, wovon ich nur beispielsweise anführen will, daß Nordholland allein auf den drei Märkten von Alkmaar, Hoorn und Purmerend in einem Durchschnitt von sieben Jahren jährlich an Käse vierzehn Millionen Pfund verkauft hat: machen zusammen eine Masse von Reichthum aus, wobei es den Niederländern, und sollte sich ihre Anzahl auch auf dritthalb Millionen belaufen, um ihre Existenz nicht bange werden kann.

Es fällt aber auch in die Augen, daß seit einigen Jahren die Wissenschaften und Künste in Holland und insbesondere in Amsterdam merkliche Fortschritte gemacht und von den reichen Kaufleuten außerordentliche Unterstützung genossen haben. Die öffentliche Lehranstalt, das sogenannte Athenäum, welches seit anderthalb Jahrhunderten mit verdienstvollen Männern besetzt gewesen ist und dem Staate manchen vortrefflichen Kopf gezogen hat, zeichnet sich noch gegenwärtig sowol durch seine nützlichen Institute als durch geschickte Lehrer in allen Fächern aus. Das schöne anatomische Cabinet, welches Hovius sammelte, steht setzt unter der Aufsicht des gelehrten Professors Bonn Andreas Bonn aus Amsterdam (1738-1819), Professor der Anatomie zu Amsterdam, Verfasser anatomischer Werke. Anmerkung d. Hg.. Der botanische Garten, wo ehedem Commelin Johann Commelin (1629-92) und Kaspar Commelin (1667-1731), beide geb. zu Amsterdam und daselbst lebend, bedeutende Botaniker; ebenso Nikolaus Lorenz Burmann aus Amsterdam (1734-93). Anmerkung d. Hg. die Wissenschaft so sehr bereicherte, ist gegenwärtig dem nicht minder berühmten Burmann anvertraut, der sein thätiges Leben gänzlich der Erhaltung seiner Mitbürger weiht und vom frühen Morgen an bis in die Nacht, die einzige Stunde des Mittagsessens ausgenommen, seine Kranken besucht. Dies ist das Los aller hiesigen Aerzte von einigem Ruf und insbesondere des als Physiker so allgemein geschätzten Dr. Deimann Johann Rudolf Deimann (1743-1808) lebte zu Amsterdam, bedeutender holländischer Arzt, Chemiker und Physiker. Anmerkung d. Hg., dem man die neuerlichen pneumatisch-elektrischen Experimente verdankt. Die ungesunde Lage von Amsterdam und die starke Bevölkerung kommen zusammen, um die Zahl der Kranken, zumal in den Sommermonaten, hier so stark heranwachsen zu lassen, daß ein Arzt, der sehr en vogue ist, mehrmal im Tage Pferde wechseln muß. Unter den Gelehrten, die wir hier kennen lernten, nenne ich mit wahrer Achtung einen Wyttenbach Daniel Wyttenbach, geb. 1746 zu Bern, gest. 1820, Professor der Philosophie und griechischen Sprache am Athenäum zu Amsterdam, sodann an der leydener Hochschule, berühmter Philolog. Anmerkung d. Hg., dessen philologische Verdienste man auch bei uns und in England zu schätzen weiß; einen Nieuwland Peter Nieuwland (1764-94), bedeutender Mathematiker, Professor der Astronomie und Schiffahrtskunde zu Amsterdam. Anmerkung d. Hg., dessen Bescheidenheit noch größer ist als das auszeichnende Genie, womit er sich selbst zum Mathematiker und Sternkundigen gebildet hat; endlich den würdigen Cras Heinrich Konstantin Cras (1739-1820), bedeutender holländischer Jurist, Professor zu Amsterdam. Anmerkung d. Hg., der mit der Jurisprudenz eine so ausgebreitete als gründliche Belesenheit in vielen andern Zweigen der Literatur, eine allgemeine, humane Theilnahme an allem, was unserer Gattung frommen kann, mit dem gebildetsten Ton, und wahre Gastfreundschaft mit dem Wohlstand, der sie möglich macht, ohne Anmaßung verbindet. Ich könnte Dir noch den wackern Hieronymus de Bosch (Forster schreibt unrichtig de Bos) aus Amsterdam (1740-1811), erster Stadtschreiber daselbst, gelehrter Bücherfreund und lateinischer Dichter. Anmerkung d. Hg. rühmen, dem die ernsthaften Beschäftigungen eines Geheimschreibers (Clerk) der sechsunddreißig Rathsherren den feinen Sinn für römische Dichtkunst nicht benommen haben; ich könnte lange bei dem wunderschönen Cabinet des Schatzmeisters der Ostindischen Compagnie, Herrn Temminck C. J. Temminck, geb. um 1770, lebte zu Leyden, berühmter Ornitholog. Anmerkung d. Hg., verweilen und Dir die unnachahmliche, anderwärts noch nie erreichte Vollkommenheit in der Kunst, die Vögel auszustopfen, anschaulich zu machen suchen; ich könnte Dir die Menge und Schönheit der neuen Gattungen von Vögeln rühmen, womit der edle Sonderling, le Vaillant, diese Sammlung seines ersten Wohlthäters und Beschützers bereichert hat; allein es ist Zeit, daß ich noch mit einigen Zeilen eines Instituts erwähne, welches vielleicht nur in Amsterdam so schnell entstehen und zur Reife gedeihen konnte, ich meine das prachtvolle Felix meritis. Der Sinnspruch, der die Interessenten dieses Unternehmens vereinigte und womit sie auf das Glück anspielten, welches wissenschaftliche Verdienste gewahren, ist zugleich der Name des Instituts geworden..

Vor ein paar Jahren hatten einige der reichsten Einwohner von Amsterdam den Gedanken, für die wissenschaftliche Bildung und die Erweckung des Kunstsinns unter ihren Mitbürgern zu sorgen. Jene Leere, welche dem Kaufmann nach vollbrachter Arbeit in seinen Nebenstunden bleibt, sollte nun ausgefüllt und sein Kopf mit Ideen bereichert werden, die zum Glück des Lebens so viel mehr als todte Schätze beitragen können, und um deren Erwerb die vorige Generation sich gleichwol so wenig bekümmert hatte, daß auch die jetzige ihren Mangel noch nicht hinlänglich fühlte. Die Beschaffenheit des Unterrichts sollte zu gleicher Zeit für das Bedürfniß des schönen Geschlechts berechnet sein, und indem man dieser empfänglichern Hälfte unserer Gattung die Quellen der Erkenntniß eröffnete, glaubte man mit Recht auf eine dreifache Art für die Männer zu sorgen, theils durch Erweckung eines edeln Wetteifers zwischen beiden Geschlechtern, theils weil man ihrem häuslichen Glück durch die Vervollkommnung ihrer Gattinnen und Töchter zu vernünftigen und wohlunterrichteten Gesellschafterinnen einen wesentlichen Zuwachs verschaffte; theils aber auch, indem man die ersten Erzieherinnen der künftigen Generation mit zweckmäßigen Kenntnissen ausrüstete und ihre Urtheilskraft schärfte und übte. Man umfaßte die ganze Masse der Belehrung, deren man zu bedürfen glaubte, in den fünf Klassen der Philosophie, Mathematik, der schönen Wissenschaften, der Tonkunst und der Zeichenkunst. Zur Philosophie rechnete man Naturkunde, Physik und Chemie, sowie zur Mathematik noch die Sternkunde. Die Ausführung dieses Plans war dem Umfang und der Bestimmung desselben, sowie der Stadt und des Publikums würdig. Eine Million Gulden – ich sage noch einmal: eine Million Gulden! wurden zusammengeschossen, und an der Heerengracht, der vornehmsten Straße in der Stadt, erhob sich ein prächtiger Bau, durchaus zu diesem Endzweck eingerichtet, an dessen Fronton der Sinnspruch der Gesellschaft: » Felix meritis«, in großen goldenen Buchstaben prangt. Jede Klasse hat hier ihre eigenen Säle und Zimmer, ihre Instrumente und anderweitigen Erfordernisse. Der Concertsaal ist eine schöne Rotunde, die beinahe neunhundert Menschen enthalten kann und wo das Orchester nebst den Oefen und Luftzügen dem Baumeister vorzüglich Ehre macht. Der Saal, wo man nach lebendigen Modellen zeichnet, hat ebenfalls eine zweckmäßige Einrichtung und Beleuchtung. Das physikalische Cabinet und die Sternwarte im obersten Stock waren noch nicht fertig; überall aber herrschte Vollständigkeit, Eleganz und reiner Geschmack. Die gelehrten Mitglieder bezeigen ihren Eifer durch die Vorlesungen, die sie zur Belehrung der andern halten. Einen schönern Bund der Menschen als diesen kann man sich nicht denken, wo jeder in die gemeinschaftliche Masse bringt, was er auf seinem Wege fand, es sei nun Gold oder Wissenschaft. Die Anzahl der Interessenten soll sich gegenwärtig beinahe auf tausend belaufen.

Wie ungeduldig oder wie spöttisch würde man bei dieser Erzählung in vielen Gesellschaften fragen, ob denn dieses Institut gar keine Mängel habe? Es ist so leicht, indem man tadelt, einige Kenntnisse geltend zu machen, daß man gewöhnlich zuerst an allen Dingen das Fehlerhafte hervorsucht und darüber oft ihre wesentlichen Vorzüge vergißt; recensiren und tadeln sind daher im Wörterbuche manches jungen Gelehrten vollkommene Synonymen. Ich gebe zu, daß eine strenge Prüfung auch hier verschiedene Gebrechen entdecken würde; allein ich kann mir jetzt den Genuß nicht schmälern lassen, den ein so lebhafter Enthusiasmus für das Gute gewährt. Man nannte uns einige demokratischgesinnte Kaufleute als die Hauptstützen dieses Unternehmens. Die heitere Aussicht in die Zukunft, welche diese Anwendung ihrer Kapitalien ihnen eröffnet, sollte ihnen das traurige Andenken an ihre mislungenen politischen Plane aus dem Sinne schlagen helfen. Es kann nun gleichgelten, welche Partei das Recht auf ihrer Seite hatte; das erste Bedürfniß des Staats ist Aufhellung der Begriffe und Läuterung des Geschmacks, denn nur auf diesem Wege wird ein richtiges Urtheil über das wahre Interesse des Bürgers möglich. Unwissenheit ist der große allgemeine Unterdrücker aller gesellschaftlichen Verträge, und diesen zu stürzen durch sanfte, wohlthätige Verbreitung des Lichts der Vernunft, ist fürwahr die edelste Rache.

Reine Vaterlandsliebe kann überall nur das Eigenthum einer geringen Anzahl von Auserwählten sein, und in unsern Zeiten, wo auf der einen Seite blinde Anhänglichkeit an altes Herkommen, auf der andern tiefes Sittenverderbniß und vermessene Neuerungssucht herrschen, wäre es kein Wunder, wenn diese erhabene Tugend beinahe gänzlich ausgestorben schiene. Der Kampf des unvernünftigen Vorurtheils mit aufgeblasenem Halbwissen bringt überall der wahren Bildung der Nationen mehr Schaden als Gewinn und hält die Menschheit vom Ziele ihrer Vervollkommnung entfernt. Ohne die zarteste Reizbarkeit des moralischen Gefühls kann die Entwickelung der übrigen Geisteskräfte genau so gefährlich werden, als ihre Vernachlässigung es bis dahin gewesen ist; die Ertödtung aber jenes Gefühls, diese unverzeihliche Sünde des religiösen und politischen Despotismus, der die Menschheit in den Ketten der mechanischen Gewöhnung gefangen hält, bereitet jene furchtbaren Zerrüttungen vor, die von der jetzigen Art der Fortschritte im Denken unzertrennlich sind. In Holland hält die Orthodoxie gebunden, was die freiere Staatsverfassung vor weltlicher Uebermacht beschützte. Natürlicherweise ging daher das Bestreben der wenigen redlichgesinnten Patrioten auf die Befreiung des Volks vom schweren Joche der Meinungen; sie wünschten den Einfluß der orthodoxen Geistlichkeit zu vermindern und den Zeloten unter ihnen Schranken zu setzen. Allein diesen uneigennützigen Charakter konnte die Partei nicht beibehalten, sobald sie das Süße der Herrscherrolle gekostet hatte; um die Oberhand, um das Ruder im Staate, galt der Kampf, und eine Aristokratie wollte die andere vertreiben. Im Taumel des Sieges hatte man die Stimme der Mäßigung nicht gehört und manchen willkürlichen Schritt gethan, die Herrschaft der Vernunft zu erweitern, die gleichwol nur über freiwillige Untergebene gebieten kann. Der Hof kannte die Macht der Geistlichkeit über die Majorität der Gemüther; er wußte sich diese Stütze zu sichern und gab dadurch einen Beweis von Regentenklugheit, den man nur deshalb weniger achtet, weil er nicht ungewöhnlich ist. Thörichter kann in der That kaum eine Forderung sein als diese, die man jetzt so oft machen hört, daß in einem Zeitpunkt, wo Eigennutz und Privatinteresse mehr als jemals die Götter des Erdenrundes geworden sind, gerade die Fürsten der Lieblingsneigung des menschlichen Herzens, der Herrschsucht, und den Mitteln, wodurch sie ihrer Befriedigung sicher bleiben, freiwillig entsagen sollen.

Die Vernunft der wenigen, die ein Herz sie zu wärmen hatten, ist auch hier zu der edeln Reife gediehen, die sich selbst genügt, still und ruhig wirkt, auf Hoffnung säet und mit Vertrauen harrt. In schwächern Köpfen gärt und braust der Reichthum neuer und heller Begriffe mit den ungezähmten Leidenschaften und gebiert riesenhafte Entwürfe, wilde Schwärmerei, ungeduldigen Eifer. Das Volk ist nirgends, mithin auch hier nicht, reif zu einer dauerhaften Revolution, weder der kirchlichen noch der politischen Verfassung; überall fehlt das Organ, wodurch der Geist der Gärung in dasselbe übergehen, sich mit ihm verbinden und eine gemeinschaftliche, vorbereitende Stimmung bewirken soll; überall scheitern die Versuche, sowol der namenlosen Ehrgeizigen als der größten Menschen, eine neue Ordnung der Dinge einzuführen. In Holland herrscht noch die intolerante Synode von Dordrecht Die dordrechter Synode vom November 1618 bis Juni 1619, bestehend aus holländischen, schweizer, pfälzischen und andern reformirten Theologen, stellte ein besonders die calvinische Prädestinationslehre hervorhebendes Glaubensbekenntniß der reformirten Kirche auf. Anmerkung d. Hg., und ein Hofstede Peter Hofstede aus Rotterdam (1720-1803), Professor der Theologie daselbst. Ein streitfertiger theologischer Schriftsteller, eiferte er als schroffer Calvinist gegen den Bau einer lutherischen Kirche am Cap der guten Hoffnung; seine Schrift gegen Marmontel's »Belisar« und das Buch »Ueber die Laster der berühmten Heiden« (1769) veranlaßten Eberhard's »Neue Apologie des Sokrates«. Anmerkung d. Hg. darf ungestraft verfolgen, verurtheilen und verfluchen. Selbst in England wagt es die gesetzgebende Macht nicht mehr, seit Gordon's Aufruhr Georg Lord Gordon (1750-93) organisirte als Mitglied des Parlaments 1780 eine gewaltige Volksempörung zu London gegen die vom Parlament den Katholiken neuerdings gewährten Rechte, ward verhaftet, vor Gericht gestellt und freigesprochen. Später wegen Schmähschriften sechs Jahre lang gefangen gehalten, nahm er schließlich das jüdische Bekenntniß an. Anmerkung d. Hg. zu Gunsten der bedrückten Religionsparteien etwas zu unternehmen. Was Friedrich der Große und Joseph II. in ihren Staaten der Vernunft einräumen wollten, wird entweder von ihren Nachfolgern vorsichtig zurückgenommen oder von ihren Unterthanen ungestüm vernichtet. Hier müssen allmählich Religionsedicte und Katechismusvorschriften erscheinen; dort (in Brabant) wiegelt der Klerus das Volk zur Empörung auf und usurpirt die Rechte des Regenten. In Italien versinkt die Synode von Pistoja Gleichzeitig mit Joseph's II. Versuchen zu einer Befreiung des Staats von der Kirche in Oesterreich, seit 1780, unternahm sein Bruder Großherzog Leopold dasselbe für Toscana. Er legte den toscanischen Bischöfen einen Reformationsplan vor, demgemäß die Geistlichkeit selbst durch regelmäßige Synoden die Umgestaltung herstellen sollte. Aber nur Scipio Ricci, der Bischof von Pistoja, trat eifrig für diesen Plan auf; die von ihm 1786 versammelte Synode von Pistoja faßte sehr freisinnige Beschlüsse. Die Landessynode von Florenz dagegen, 1787, war der Reform völlig feindselig; Ricci mußte später sein Amt niederlegen, ward gefangen gesetzt und mußte widerrufen. So blieben Leopold's Versuche ebenso erfolglos als die seines Bruders Joseph. Anmerkung d. Hg. in ihr voriges Nichts; am Rhein wird an Josephs Sterbetage die Emser Punktation Wie Joseph II. die päpstlichen Ansprüche auf die geistliche Gerichtsbarkeit in seinen Erblanden einschränkte, so vereinigten sich die Erzbischöfe von Köln, Mainz, Trier und Salzburg zu einer gleichen Einsprache auf dem Emser Congreß. Die hier vereinbarte Emser Punktation vom 25. August 1786 erkannte den Papst als Oberherrn der römischen Kirche an, wies aber seine Anmaßungen zurück und suchte so die geistliche Gewalt der deutschen Erzbischöfe selbständiger zu machen. Indessen hatten diese Bemühungen keinen Erfolg, weil nicht nur der Papst, sondern auch die Bischöfe widerstrebten; die bald danach ausbrechende französische Staatsumwälzung rief einen Gegenschlag hervor, welcher allen Versuchen zur Befreiung der katholischen Kirche von Rom ein Ende machte. Anmerkung d. Hg. zerrissen. Spanien und Portugal schlafen noch den Todesschlaf der betäubten Vernunft, und ob in Frankreich die Heiligkeit der Hierarchie versinken wird vor der größern Heiligkeit des Staatscredits, liegt noch vom Schleier der Zukunft tief verhüllt. Diese allgemeine Uebereinstimmung ist nicht das Werk des Zufalls; eine allgemeine Ursache bringt sie hervor; und warum wollten wir der Politik den Sinn absprechen, die Zeichen der Zeit zu erkennen? Warum wollten wir von der Weisheit der Cabinete verlangen, daß sie eher das unmündige Menschengeschlecht sich selbst überlassen sollte, als jene unverkennbare Majestät der Wahrheit hervorleuchtet, gegen welche die Willkür ohnmächtig und ihr Widerstand eitel ist?

Eine ganz andere Frage ist es aber, ob die herrschende Partei in allen Ländern und von allen Sekten weise handelt, ihre Uebermacht noch jetzt in ihrem äußersten Umfange geltend zu machen, oder ob es nicht räthlicher wäre, zu einer Zeit, wo sie noch mit guter Art Concessionen machen kann, dem Genius der Vernunft ein Opfer zu bringen? Es sei die Bewegung, die einmal entstanden ist, auch noch so schwach, so ist sie doch durch keine Macht mehr vertilgbar. Vom Druck erhalten Parteien und Sekten ihre Spannkraft; der Widerstand erhärtet ihren Sinn, die Absonderung gibt ihnen Einseitigkeit und Strenge; Mishandlung macht sie ehrwürdig; ihre Standhaftigkeit im Leiden flößt Enthusiasmus für sie ein; ihre Kräfte, extensiver Wirksamkeit beraubt, wirken in ihnen selbst subjective, romantische Tugend. Alsdann bricht plötzlich ihr Feuer unaufhaltsam hervor und verzehrt alles, was sich ihm widersetzt. Die Revolutionen, welche gewaltsamer Druck veranlaßt, sind heftige, schnelle, von Grund aus umwälzende Krämpfe, wie in der äußern Natur, so im Menschen. Es ist unmöglich, dem Zeitpunkt einer solchen Veränderung zu entgehen; allein ihn weit hinauszurücken, bleibt das Werk menschlicher Klugheit, welche die Gemüther durch Nachgiebigkeit besänftigt und, wo sie nicht überreden kann, wenigstens den Zwist vermeidet, der die unausbleibliche Folge einer unbilligen Behandlung der Andersgesinnten ist.

Die in Holland wiederhergestellte Ruhe hat unleugbare wohlthätige Folgen für seine innere und äußere Betriebsamkeit hervorgebracht; man hat einem zerrüttenden Bürgerkriege vorgebeugt, dessen Ausgang ungewiß war, der aber in dem jetzigen Zeitpunkt, wo England ohnehin schon allen Activhandel an sich reißt, unheilbare Wunden geschlagen hätte. Wie sehr ist es nicht bei dieser guten Wendung der Sache zu bedauern, daß die siegende Partei keine Schonung kannte, sondern sich vielmehr für berechtigt hielt, die beleidigte zu spielen und die Hälfte der Nation für ihre Meinungen zu bestrafen! Meinungen, in so gleichen Schalen gewogen, daß eine Nation sich ihretwegen in zwei, beinahe gleichstarke Hälften theilt, können ohne Ungerechtigkeit keiner von beiden zum Verbrechen gedeutet werden. Man hatte nun einmal auf beiden Seiten das Schwert gezogen für etwas – wie chimärisch es immer sei –, was man für Freiheit hielt. Besiegt zu werden und den Irrthum eingestehen zu müssen, ist unter solchen Umständen schon Strafe genug; hier eine desto empfindlichere Strafe, je gewisser die besiegte Partei durch ihre entschiedene Mehrheit ihren Endzweck zu erreichen hoffen durfte, wenn eine fremde Dazwischenkunft nicht der Schale gegen sie den Ausschlag gegeben hätte. Allein die Rachsucht der Sieger hat in Holland dreihundert der angesehensten Familien zu einer freiwilligen Verbannung aus ihrem Vaterlande gezwungen; fünfhundert andere hat die Entsetzung von den Aemtern, die sie bisher bekleideten, zu Grunde gerichtet. In Friesland geht die Verbitterung noch ungleich weiter, und die häufigen Confiscationen, wären sie auch nur Wiedervergeltungen für den von den Patrioten zuvor verübten Misbrauch ihrer Uebermacht, erhalten doch dadurch, daß sie nach geschlossenem Frieden gleichsam mit kaltem Blute vorgenommen werden, einen gehässigern Anstrich. Auch ist das Feuer, das vorhin aufloderte, noch keineswegs gedämpft; es glimmt überall unter der Asche und wird durch jede neue Mishandlung der Patrioten genährt. Das Andenken an empfangene Beleidigungen ist im Busen des Niederländers beinahe unvertilgbar; der tiefe, mit ihm alternde Groll ist von seinem Charakter unzertrennlich und, wie schon andere mit Recht erinnert haben, in seiner ganzen Organisation gegründet. So tief wird schwerlich ein anderer Europäer gekränkt, wie man einen Holländer kränken kann. Diese Kränkungen sind die unzerstörbaren Keime einer neuen Revolution, die nach einem Jahrhundert vielleicht erst reifen wird; allein auch alsdann noch wird die Rache den Kindern der Unterdrückten zurufen: »Man schonte euerer Väter nicht!«



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