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II.
Reise nach Windsor. Slough.

1. Windsor.

Eine schöne Lage, eine herrliche Aussicht, und immer nur die ewige Wiederholung des Schönen und Herrlichen, die es einem so begreiflich macht, daß der unvergeßliche Lessing sich die Langeweile so lebhaft mit der allgenugsamen Existenz in Verbindung denken konnte! Was ist es denn nun mehr, daß ich von dem Dach des Gefangenthurms in Windsor zwölf Grafschaften dieses Feenreichs überschaute? – Der blaue Strich da ist Bedfordshire; jener ist Sussex; diese kleine Erhabenheit liegt in Kent; dort neben Harrow könnte man an einem hellen Tage die Spitze der Paulskirche sehen! –

Ich sehe beinahe rings um den Horizont einen dunkelblauen Kreis, worin ich keine Gegenstände mehr unterscheide; diesseits ist alles ein herrlicher Wald von schönem, dunkelgrünem Laube, mit lieblichen Gefilden von lichtem Grün durchwirkt. Zu meinen Füßen windet sich die Themse, ein wasserarmes, seichtes, schmales Flüßchen, über ihre halbtrockenen Kieselbetten hin. Jenseits, umringt von säulenförmigen Ulmengruppen, liegt das gothische, klösterliche Eton, in dessen finstern Hallen die Blüte der britischen Jugend die erste Erziehung erhält. Welch eine Erziehung! – Ist es möglich, daß dieses eiserne Joch von freigeborenen Kindern getragen wird? Ich meine nicht das Joch des Unterrichts und der Disciplin; beide, so unzweckmäßig sie sind, so mechanisch sie den Menschen machen, lassen noch die Möglichkeit eines unbefleckten Charakters übrig. Nein, ich denke an die entsetzliche Tyrannei, welche die ältern Buben hier über die spätern Ankömmlinge ausüben. Dadurch gerathen sie unwiederbringlich in einen Abgrund von Niederträchtigkeit, aus welchem sie nur vermöge eines günstigen Schicksals sich zu tugendhaften Männern entwickeln; oder sie müssen ungewöhnlich reiche Anlage hineinbringen, um beim Selbstdenken zu edeln, großen Vorstellungen zu kommen. – Wohin gerathe ich? – Windsors hohe Thürme liegen unter mir und streben umsonst zu gleicher Höhe mit diesem, auf welchem ich stehe, hinan. Die Privatwohnung des königlichen Paars (Queen's Lodge) mit dem Nebengebäude, welches den zahlreichen Sprößlingen ihres gesegneten Ehebetts gewidmet ist (Royal Nursery), einfach und rein auf seinen Rasenplätzen, steht zwischen mir und dem dunkeln Park, der sich über den nahen Hügel hinwegzieht. Hier senkt sich das kleine, nette Städtchen Windsor am Rücken des Hügels gegen die Themse hinab, und alles, alles lacht, grünt und lebt um mich her.

Etwa hundert Stufen tiefer kam ich auf die Terrasse des Schlosses. Eine auf dem Hügel erbaute Mauer läuft weit über den fernen Horizont hinaus; die ganze Gegend liegt unter mir und ihr, und neben dem schönen breiten Gange steigen nun die hohen Mauern des Schlosses wie ein Feenpalast in die Lüfte.

Die Zimmer.

Das Bett der Königin ist schön mit Blumen gestickt. Ebenso schöne und noch schönere Blumenstickerei sieht man auf dem Thron im Drawing-room.

Die alten Zimmer enthalten allerlei Gemälde von wenig Werth. Die zwei neuen Zimmer sind sehr geschmacklos bunt. West's Benjamin West, geb. 1738 zu Springfield in Pennsylvanien, lebte als gefeierter Maler zu London, wo er 1820 starb. Anmerkung d. Hg. Gemälde bleiben weit unter meiner Erwartung. Nur zwei sind groß: die Schlachten von Crécy und Poitiers; beide stellen den Zeitpunkt nach geendigter Schlacht vor. Sie haben hölzerne Pferde, und ein gewisse Steifigkeit, einen gänzlichen Mangel an Haltung. Die Stiftung des Ordens ist auch ein großes Gemälde. Es sind einige schöne Weiber in dem Gefolge der Königin; allein das Ganze sieht aus, als hätte der Künstler, um die Costüme der Zeit anzubringen, eine Menge Mannequins gemalt.

Die übrigen Stücke sind klein. Die Schlacht bei Nevilscroß finde ich schlecht erzählt. Das Pferd der Königin bäumt sich so, daß sie wahrscheinlich, anstatt so kerzengerade zu sitzen, heruntergefallen wäre. Und ein Pferd ist es – daß Gott erbarme! Hinter der Königin sieht man den Bischof zu Pferde im Harnisch. Es gibt keine heterogenere Figur in der moralischen sowol als in der physischen Welt.

Die St.-Georgs-Kapelle ist sehr schön. Prächtige Fascikel von gothischen Pfeilern schießen auf in einer langen, unabsehlichen Reihe und breiten oben ihre Arme umher, dem schönen Gewölbe zur Stütze. Alles ist neu aufgeputzt, die ganze Kapelle neu gepflastert; auch die Orgel neu. – West hat sich am Altar übertroffen. Es ist unstreitig das Schönste, was er je malte. Sein Christus hat Leben, Geist und Ausdruck; großer Adel, hoher Schwung, kühner Enthusiasmus und erhabene Ruhe liegen in diesem Kopfe. Johannes ist ein vollkommen glücklicher Schwärmer in der Demuth und Hingebung, Judas ein Meisterstück von Größe und Kraft, bei seiner Bosheit; schön gedacht, edel mußte er sein, wenngleich nicht rein. – Die übrigen interessiren weniger.

Darüber, nach West's Zeichnung, das Fenster von Jarvis Thomas Jarvis, von den Engländern hochgepriesener Glasmaler, gest. 1801. Anmerkung d. Hg. gemalt, die Auferstehung: ein weit größeres Werk, was die Dimensionen betrifft; nur nicht so einfach in Gedanken und Größe des Dichters als jenes – doch immer mit vieler Besonnenheit gemalt. Man sieht, daß diese Gegenstände fähiger sind, diesen Künstler zu begeistern, als profane Geschichte. Seine Liebe für den König, sein vertrauter Umgang mit ihm, seine eigene Neigung vielleicht und was sonst alles konnte zusammenwirken, um ihn für diese Scenen zu begeistern und seinen Vorstellungen ungewöhnliche Energie zu verleihen! In der flämischen Schule sucht man umsonst nach dem Edeln dieses Altarblattes. Es schadet ihm indeß, wenn man in eben jenen Zimmern, die ich vorhin erwähnte, die hohe Einfalt von Rafael's Cartons bewundert hat. Ich mag diese Bilder nicht; sie sind in Absicht des Gegenstandes zum Theil widrig, wie der Tod des Ananias, wo Petrus wirklich etwas vom Giftmischer hat, und der andere, mit dem Finger drohende Apostel etwas vom gemeinen Pfaffen – weil allerdings die Sache ziemlich pfäffisch ist –; ferner die Heilung der Blinden und Lahmen im Tempel, von deren ekelhaften Gestalten ich noch jedesmal, so oft ich diese Cartons (nun zum dritten mal und im Kupfer noch öfter) betrachte, den Kopf abwenden mußte. – Ich sage: ich mag sie nicht; allein ich bewundere sie wegen einer Kraft, die kein anderer Künstler erreicht. Paulus, dem die Griechen in Kleinasien opfern, ist aber auch ein schönes Bild, und Paulus, der den Athenern vom unbekannten Gott predigt, ist eine göttliche Figur. Der Fischzug gehört zu den minder edeln.


2. Slough. (Herschel's Teleskop.)

Das Herschel Friedrich Wilhelm Herschel, einer der größten Astronomen, geb. 1738 zu Hannover, ging als Musiker nach England, trieb nebenbei eifrig Mathematik und Sternkunde, baute sich selbst große Fernröhre und machte damit viele wichtige Entdeckungen, z. B. 1781 die des Uranus. In Slough bei Windsor baute er sich das hier erwähnte vierzigfüßige Teleskop, mit dessen Hülfe er vornehmlich die Nebelflecken, Sternhaufen und die von ihm entdeckten Doppelsterne beobachtete. Er starb 1822 zu Slough. Seine Schwester Karoline (1750-1848) war seine treue Helferin bei seinen Entdeckungen; wegen ihrer Kometenentdeckungen nannte sie Herschel nach Forster »seinen kleinen Kometenjäger«. Anmerkung d. Hg.'sche Teleskop sieht man von weitem, wenn man hierherkommt, denn das Gestell ist wenigstens so hoch als der Tubus lang ist, also 40 Fuß. Balken streben gegen Balken in entgegengesetzter Richtung, und zwischen ihren Fugen bewegt sich das Seherohr, dessen Durchmesser 4 Fuß 10 Zoll beträgt, von der wagrechten in die senkrechte Lage mit der Leichtigkeit, daß ein einziger Arm es heben und richten kann. Man hat Musik in dem Teleskop gemacht.

Das ganze Gestell liegt auf einigen Kreisen von Steinplatten und rollt vermittels angebrachter Walzen darüber hin.

Zwischen den Balken hängt noch zu jeder Seite des Rohrs ein hölzernes Haus. Es heißt the Observatory; hier sitzt Miß Herschel und schreibt die Beobachtungen ihres Bruders auf. Das andere, the Workhouse, ist der Aufenthalt des Bedienten, der die Bewegung des Instruments verrichtet, und dazu vermittels eines 40 Fuß langen Sprachrohrs von seinem vor der Oeffnung des Tubus sitzenden Herrn die jedesmaligen Befehle erhält. Eine Galerie ist vorn vor dieser Oeffnung angebracht, und auf derselben ein Sitz für den Astronomen, welcher nun zu unterst an der obern Oeffnung des Seherohrs mit seinem Ocularglase die Gegenstände, die sich 40 Fuß tiefer in dem großen Hohlspiegel zeigen, wieder auffaßt und beobachtet. Die Galerie mit dem Sitze des Beobachters wird durch einen leichten Mechanismus wagrecht erhalten.

Dies ganze Werk nun, welches mit den zwei Häuschen, den Balken und der Vorrichtung, um es den ganzen Kreis des Horizonts beschreiben zu lassen, gegen 60000 Pfund wiegt, dreht ein Mensch, ein schwächliches Frauenzimmer sogar, mit einer Hand. Eine Scheibe mit Gradabtheilungen bestimmt dem Aufwärter, wie er alles stellen soll; ein Quadrant, unten am Rohr befestigt und mit seiner Wasserwage versehen, mißt die Grade der Höhe über dem Horizont; Gegengewichte von Blei verursachen, daß in jeder Höhe das Instrument gleich leicht bewegt werden kann.

Der große Metallspiegel hat 4 Fuß 2 Zoll im Durchmesser und wiegt über 2000 Pfund. Er ist in der Röhre mit einer Blechkappe bedeckt, welche abgenommen und hierauf der Spiegel selbst mit Hülfe eines Krahns ausgehoben werden kann, um von neuem geputzt und polirt zu werden. Der vorige, dessen Politur ich sah, ist nicht zerbrochen, sondern nur nicht concav genug geschliffen (ein Fehler, dem man noch abhelfen könnte); er war aber nicht so schwer.

Es ist zum Erstaunen, welche Kunst und wie viel Genie in den Erfindungen liegt, die Bewegungen des Instruments nicht nur möglich, sondern auch leicht zu machen, und wie glücklich der vortreffliche Erfinder alle Schwierigkeiten überwunden hat. Was man bei einem gewöhnlichen Instrument mit eigener Hand bei dem Beobachten leicht verrichten kann, das hält hier so schwer, daß man daran beinahe verzweifeln möchte, wenn nicht Herschel's mechanisches Genie so reich an Hülfsmitteln wäre. Man glaubt, am Rande eines Zauberkreises zu stehen, wenn man den Kieselgang an dem Cirkel von Stein betritt und die Walzen sieht, auf denen sich von einer schwachen Hand 60000 Pfund umschwingen lassen! Der Tubus selbst ist ganz mit Eisenblech überzogen, eisengrau mit Oelfarbe angestrichen.

Bei kleinen Teleskopen hat man die Vorrichtung oft gemacht, daß das ganze Dach des Observatoriums, wo sie stehen (wie ich bei dem kleinen Instrument in Oxford bemerkte), umgedreht werden kann, wodurch es denn möglich wird, in allen Gegenden des Himmels, durch die im Dache befindliche Oeffnung zu beobachten. Allein ein Haus zu bauen, das ein Instrument von 40 Fuß Höhe in sich faßte und Raum für dessen Beweglichkeit gäbe, wäre nicht leicht thunlich gewesen. Wie geschickt hat der Künstler nicht dieser Unbequemlichkeit abzuhelfen gewußt, indem er auf dem Gestelle des Instruments selbst die nöthigen Zimmer zur Beobachterswerkstatt anbrachte! Er konnte nicht das Haus über dem Instrumente bewegen; wohlan, so versetzte er es auf das Instrument en miniature und schob es mit demselben herum.

Große eiserne Barren liegen am Ende der Röhre unter dem Objectivspiegel oder Reflector; und hier bewegt sich auch der Tubus auf einer dicken, eisernen Achse, die an jedem Ende auf einer kleinen Walze ruht. Vermöge der eigenthümlichen Bewegung, welche der Beobachter diesen Walzen mittheilen kann, ist er im Stande, ohne das Teleskop selbst durch den größern Mechanismus fortrücken zu lassen, dem Rohr eine kleine Bewegung seitwärts oder aufwärts mitzutheilen, vermöge deren er ein Object vier bis fünf Minuten verfolgen kann, ehe er das Rohr stellen läßt. Dieser Vortheil ist von unbeschreiblicher Wichtigkeit bei dem Beobachten, denn das Stellen unterbricht jedesmal die Beobachtung; hingegen diese kleine unmerkliche Veränderung der Richtung hindert nicht, daß man fort betrachte.

Das zwanzigfüßige Teleskop ward früher als das vierzigfüßige aufgerichtet; und da es dieselbe Vorrichtung, nur im kleinen, erheischte, so gab es dem Erfinder die Abänderungen und Zusätze zu dem Mechanismus des großen an die Hand. Ein zehnfüßiges, welches wir ebenfalls sahen, soll sehr scharf die Objecte darstellen. Ein ganz kleines, dritthalbfüßiges, womit Miß Herschel neulich den Kometen entdeckte, ist sehr portativ; sie trägt es bald hier- bald dorthin mit sich herum, auf den Boden, in den Garten – und nennt es her little Sweeper, weil sie damit den Himmel kehrt. Herschel nennt seine Schwester his little Comet-catcher. – Dr. Herschel macht noch immer dergleichen Teleskope, unter andern jetzt ein siebenfüßiges für den Herzog von Orleans. Er läßt vermöge eines Mechanismus das Schleifen des Spiegels von zwei Arbeitern verrichten, wozu er sonst zwanzig brauchte. So simplificiren sich nach und nach die schwersten Operationen! Er kann mit dem großen Teleskop nicht in den Mond sehen, weil dieser ihn blendet und fast ebenso wie die Sonne Flimmern vor den Augen verursacht. Schon im zwanzigfüßigen ist der Mond sehr blendend, und länger als elf Minuten hält man es nicht aus. Saturn's Ring bleibt schon im zwanzigfüßigen immer sichtbar.

Die Bewegung des Teleskops geschieht auf dem Durchmesser des Gestells in gerader Linie, dergestalt, daß es bei einem kleinen Winkel, den es mit dem Horizonte macht, mit seiner Achse nahe an der Peripherie des Gestells liegt, hingegen dem Centro näherrückt, sowie es sich in die Höhe richtet.


3. Richmond.

Richmond – fürwahr ein reicher Hügel! von dessen Höhe, über dieses Gärtchen mit weißen und rothen Rosen, mit Nelken überschüttet und von weißem Geländer zierlich eingefaßt, das Auge hinunterstreift durch das wilde blühende Rosen- und Hollundergebüsch; dann längs den hohen Wänden von schlanken, tausendförmigen Ulmen die abgemähten Wiesen, die duftenden Heukegel besucht und zwischen den mit Laub umwundenen Stämmen die halbversteckten Wohnungen erblickt, von deren Dächern über die dunkeln Wipfel der bläuliche Rauch hindampft. Höher jetzt und dichter, mit immer üppigerm Schatten, reihen sich die Bäume mit mannichfaltigem Grün, daß zwischen ihnen die fernen Wiesen kaum wie zarte Linien erscheinen. Und vor dem ganzen Hügel rechts her windet sich die Themse mit ihren Inseln und hier und dort einem segelnden Kahn zwischen grasreichen Weiden, hinab nach Pope's Alexander Pope (1688-1744), berühmter englischer Dichter. Anmerkung d. Hg. Häuschen, Twickenham; und an ihren grünen Ufern, auf hervorspringenden Landspitzen, sehe ich durch die glatten, reinen Stämme der bewipfelten Baumgruppen hin auf den smaragdfarbigen Sammtteppich, an dessen Rande sich aus dem Gesträuch in mancherlei Lagen und Gestalten die Hütten und Paläste glücklicher Bewohner – solcher, meine ich, die glücklich sein könnten – erheben. Dann verliert sich das Auge in unabsehlichen Schatten und Reihen über Reihen von palmenähnlichen Ulmen, bis an den heiligen Kreis, wo die blauumnebelten Hügel den Horizont begrenzen. Daß es auch eben ein grauer Tag sein muß, der mich in dieses Reichthums Fülle nicht vollkommen schwelgen läßt! Blickte wenigstens nur verstohlen die Sonne aus den Wolken, liebäugelte mit diesem Wasserspiegel, beleuchtete in blendendem Glanze diese jenseit der Themse so schön sich ausbreitende Ebene mit ihren Bäumen und Heerden und zöge dann die dunkeln Schlagschatten über den Saum der glühenden Landschaft!



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