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Die Amtsfreiheit,

an dem Knie gelegen, das die vom Bahnhofe kommende Straße durch Einmündung in die Hauptstraße bildet, ist dieselbe Lokalität, wo sich früher das Amt befand. Wie weit dies »früher« zurückreicht, ist fraglich. Gewiß ist nur, daß sich das um 1787 von Neustadt nach dem benachbarten Dorfe Dreetz verlegte Amt in obengenanntem Jahr (wie sehr wahrscheinlich auch mehrere Jahrzehnte früher schon) an dieser Amtsfreiheits-Stelle befand. Was sich bis diese Stunde noch an Baulichkeiten daselbst vorfindet, repräsentiert einen leidlich modernen Privatbesitz, dem, mit Ausnahme zweier prächtiger alter Bäume, die die Auffahrt bewachen, jeder Hauch von Historischem fehlt.


Die Kirche,

die sich fast in Front der Amtsfreiheit auf dem triangelförmigen Marktplatze der Stadt erhebt, ist eine Kuppelkirche und stellt in ihrem Grundriß ein kurzes griechisches Kreuz dar. Sie gibt sich sauber von außen und innen, womit so ziemlich erschöpft ist, was sich zu ihrem Lobe sagen läßt. In den vier abgestumpften Ecken des Kreuzes erheben sich die vier Fenster, hoch und lichtvoll und langweilig, wie denn überhaupt alles von jener symmetrischen Anordnung ist, die mehr durch Nüchternheit stört, als durch Übersichtlichkeit erbaut. Im östlichen Kreuzstück der Altar, im nördlichen die Kanzel und beiden gegenüber zwei Emporen, in die sich, wenn ich recht berichtet bin, die Honoratioren der Stadt und die Beamten des Gestüts gewissenhaft teilen. Das letztere tritt uns hier noch einmal in seiner ganzen Distinguiertheit entgegen und trägt unterhalb seines Chors ein großes vielfeldriges Wappen, das mir, seitens meines Führers, einfach als das »Gestütswappen« bezeichnet ward. Es ist aber nur das preußische. Eine daneben oder darunter befindliche Inschrift ist von relativer Wichtigkeit, insoweit sie uns positive Anhaltspunkte für die Geschichte der Stadt und dieser Kirche gibt. Sie lautet: »Anno 1666 hat das Feuer durch Gottes Schickung das Schloß, Kirche und Stadt allhier verzehrt, und unter der hochlöblichen Regierung des durchlauchtigen Kurfürsten und Herrn, Herrn Friedrich Wilhelm, Markgraf zu Brandenburg, hat der durchlauchtige Fürst und Herr, Herr Friedrich, Landgraf zu Hessen-Homburg, Anno 1673 diese neue Kirche zu bauen angefangen. Anno 1686 ist abermal der neuste Teil der Stadt in Feuer aufgegangen; jedoch ist noch in demselben Jahre die Kirche von Johannes Michael Helmich, Pfarrer allhier, eingeweiht worden. 1694 hat der durchlauchtige und großmächtigste Kurfürst und Herr, Herr Friedrich III., das ganze Ambt erhandelt und Seine Exzellenz, Oberpräsident Freiherr Eberhard von Danckelmann als Amtshauptmann darin bestellt, welcher Anno 1696 den ganzen Kirchenbau zu Ende bringen läßt.«


Der »Spiegelberg«,

dem wir uns zuletzt zuwenden, ist eine reizend gelegene Vorstadt am andern Ufer der Dosse. Hier war es mutmaßlich, wo der Prinz von Hessen-Homburg jene eingangs erwähnten fünfundzwanzig Familien ansiedelte, die berufen waren, das bis dahin kaum über ein Dorfansehen hinausgewachsene Neustadt in einen Fabrikort umzuwandeln. Der Prinz war der Mann der Initiative, gewiß, aber wir werden seinem Verdienste kaum zu nahe treten, wenn wir, auch an dieser Stelle wieder, die Vermutung aussprechen, daß erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts all das von ihm Gepflanzte wirklich reichliche Früchte trug. Die Neustädter Glasindustrie hatte zu dieser Zeit ein Ansehen gewonnen, und besonders seine Spiegel bildeten einen nicht unerheblichen Exportartikel.

Was sich jetzt noch von Gebäuden auf dem »Spiegelberge« vorfindet, gehört nicht der Epoche des »Landgrafen«, sondern sehr wahrscheinlich den letzten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms I. an, wenigstens scheint die Bauweise, die man kurzweg als eine kümmerliche Nachahmung des Holländischen bezeichnen kann, darauf hinzuweisen. Die Glasschmelze, vor allem aber das Langhaus, in dem ehedem die Spiegelplatten belegt wurden – sie wirken wie bloße Schuppen, denen man bemüht gewesen ist mittelst roten Anstrichs ein etwas höheres Ansehn zu geben (ein Ansehn von dem was sie nicht sind), und erinnern dadurch an die derselben Zeit angehörigen Soldatenwesten, die gar keine Westen waren, sondern nur angenähte Tuchlappen. Am meisten tritt einem diese Dürftigkeit an dem hier errichteten reformierten Betsaal entgegen, der dasselbe Fachwerk und dieselbe rote Tünche zeigt und seine Bestimmung durch nichts anderes andeutet als durch einen Dachreiter in Form eines aus Schindeln zusammengeklebten Schilderhauses. Zu Häupten desselben ein Glöckchen.

Das Ganze fiel uns auf, wenn auch nur durch seine Wunderlichkeit. Wir traten deshalb dicht an die hohen, aus kleinen grünen Scheiben zusammengesetzten Fenster heran und sahen in den Betsaal hinein, der aus einem Katheder und sechs Bank- und Pultreihen bestand. Auf den Pulten lagen viele Gesangbücher aufgeschlagen, als habe eben erst eine Gemeinde diesen Betsaal verlassen. Und doch waren es über drei Jahre, seit man sich hier zum letzten Male versammelt hatte. Das Ganze berührte mich unheimlich, etwa wie ein angerichtetes Mahl, das von langer Zeit her seiner Gäste harrt, oder wie die leise Musik in Spukschlössern, drin Geigen unsichtbar zum Tanze spielen. Aber kein Tänzer kommt.


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