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7. Karl Friedrich Schinkel
Ehrwürdig dünkt euch gotische Kunst mit Recht;...
Doch schätz ich mehr Einfaches, dem ersten Blick
Nicht gleich enthüllbar.
Platen

Unter allen bedeutenden Männern, die Ruppin, Stadt wie Grafschaft, hervorgebracht, ist Karl Friedrich Schinkel der bedeutendste. Der »alte Zieten« übertrifft ihn freilich an Popularität, aber die Popularität eines Mannes ist nicht immer ein Kriterium für seine Bedeutung. Diese resultiert vielmehr aus seiner reformatorischen Macht, aus dem Einfluß, den sein Leben für die Gesamtheit gewonnen hat, und diesen Maßstab angelegt, kann der »Vater unsrer Husaren« neben dem »Schöpfer unsrer Baukunst« nicht bestehn. Wäre Zieten nie geboren, so besäßen wir (was freilich nicht unterschätzt werden soll) eine volkstümliche Figur weniger, wäre Schinkel nie geboren, so gebräch es unsrer immerhin eigenartigen künstlerischen Entwicklung an ihrem wesentlichsten Moment. Ich komme weiterhin ausführlicher auf diesen Punkt zurück.

Karl Friedrich Schinkel wurde am 13. März 1781 zu Neuruppin geboren. Wir wissen wenig von den ersten Jahren seiner Kindheit. Wenn Berühmtheiten in ihren alten Tagen sich entschließen, ihre Biographie zu schreiben, so geschieht es wohl, daß die ersten, also die sich mit ihrer Kindheit beschäftigenden Kapitel zugleich auch die interessantesten werden. Die Betreffenden, nachdem sie am Tische von Fürsten und Herren gesessen und sich genugsam von der Wahrheit des »alles ist eitel« überzeugt haben, kehren dann mit einer rührenden Vorliebe zu den Spielen ihrer Kindheit zurück und verweilen lieber bei diesen als bei dem Ordens- und Ehrenempfang ihrer späteren Jahre. Anders, wenn Berühmtheiten es verschmähen oder vergessen, ihre Lebensschicksale niederzuschreiben, und nur das zu unsrer Kenntnis kommt, was andre von ihnen wissen. Diese »anderen« wissen in der Regel wenig oder nichts von den Kinderjahren des berühmten Mannes, sie lebten damals kaum, und der Berühmte hat die vielleicht hübschesten Kapitel seines Lebens mit ins Grab genommen. So oder ähnlich verhält es sich mit Schinkel. Er hat seine Biographie nicht geschrieben, und wiewohl seine mittlerweile herausgegebenen »Briefe und Tagebücher« ein Material von seltener Reichhaltigkeit für das spätere Leben Schinkels bieten, so schweigen sie doch über seine Kinderjahre. Ich habe an seinem Geburtsorte nachgeforscht. Es lebten noch Personen, die ihn als Kind gekannt hatten, und ich gebe in nachstehendem, was ich über ihn erfuhr. Sein Vater war Superintendent in Ruppin und starb infolge der Anstrengungen, die er während des großen Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durchzumachen hatte. Auch die Superintendentenwohnung ward in Asche gelegt, so daß von dem Hause, darin Schinkel geboren wurde, nichts mehr existiert. Es stand ungefähr an derselben Stelle, wo sich die jetzige Superintendentenwohnung befindet, aber etwas vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an demselben. Die Mutter Schinkels (eine geborne Rose und der berühmten gleichnamigen Gelehrtenfamilie, der die Chemiker und Mineralogen Valentin, Heinrich und Gustav Rose zugehörten, nahe verwandt) zog nach dem Hinscheiden ihres Mannes in das sogenannte Predigerwitwenhaus, das, damals vom Feuer verschont geblieben, sich bis diesen Tag unversehrt erhalten hat. In diesem Hause, mit dem alten Birnbaum im Hof und einem dahinter gelegenen altmodischen Garten, hat Schinkel seine Knabenzeit vom sechsten bis vierzehnten Jahre zugebracht.

Aus seiner frühesten Jugend ist nur folgender kleiner Zug aufbewahrt worden. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge auf Papier, namentlich Vögel. Der kleine Schinkel saß dann dabei, war aber nie zufrieden und meinte immer: » Ein Vogel sähe doch noch anders aus.« Sein Charakter nahm früh ein bestimmtes Gepräge an; er zeigte sich bescheiden, zurückhaltend, gemütvoll, aber schnell aufbrausend und zum Zorn geneigt. Eine echte Künstlernatur. Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet, vielleicht weil jede Art der Kunstübung ihn von frühauf fesselte und ein intimeres Verhältnis zu den Büchern nicht aufkommen ließ. Seine musikalische Begabung war groß; nachdem er eine Oper gehört hatte, spielte er sie fast von Anfang bis zu Ende auf dem Klaviere nach. Theater war seine ganze Lust. Seine ältere Schwester schrieb die Stücke, er malte die Figuren und schnitt sie aus. Am Abend gab es dann Puppenspiel.

In seinem vierzehnten Jahre zog seine Mutter nach Berlin, und Schinkel kam nur noch besuchsweise nach Ruppin, besonders nach Kränzlin, einem nahebei gelegenen Dorfe, an dessen Pfarrherrn seine ältere Schwester verheiratet war. Nach Kränzlin hin, wie schon hier bemerkt werden mag, adressierte er auch seine Briefe aus Italien, wohin er im Jahre 1803 seine erste Reise antrat. Dies Dorf und sein Predigerhaus blieben ihm teuer bis in sein Mannesalter hinein. Unter seinen Jugendarbeiten im Radenslebener Herrenhause (siehe Seite 48) befindet sich auch eine Zeichnung der Kränzliner Kirche.

Das Berliner Leben unterschied sich zunächst wenig von den Tagen in Ruppin. Hier wie dort eine Wohnung im Predigerwitwenhause, hier wie dort Besuch des Gymnasiums. Auch auf der Berliner Schule, dem Grauen Kloster, ging es nicht glänzend mit dem Lernen, die Kunst hatte ihn bereits in ihrem Bann. Er zeichnete mit Eifer, und wir sind so glücklich, einige dieser seiner ersten Versuche zu besitzen. Es sind Portraitköpfe (Rembrandt, Friedrich der Große und ein Unbekannter), alle drei aus dem Jahre 1796 und mit großer Sauberkeit von dem damals fünfzehnjährigen Schinkel ausgeführt. Indessen, so wertvoll uns diese Blätter jetzt erscheinen müssen, so waren sie doch nichts andres als Zeichnungen nach Vorlegeblättern, wie sie, ohne daß sich später ein Schinkel daraus entwickelt, tagtäglich gemacht zu werden pflegen. Er entbehrte, trotz allen künstlerischen Dranges, noch jeder Klarheit, und der zündende Funke war noch nicht in seine Seele gefallen. Daß er der Kunst und nur ihr angehöre, dies Bewußtsein kam ihm erst später. Freilich bald.

Es war im Jahre 1797 auf der damals stattfindenden Ausstellung, daß ein großartiger, vom jungen Gilly herrührender, phantastischer Entwurf eines Denkmals für Friedrich den Großen den tiefsten Eindruck auf ihn machte und ihn empfinden ließ, wohin er selber gehöre. Er verließ die Schule (1798), ward in das Haus und die Werkstatt beider Gillys, Vater und Sohn, eingeführt und begann seine Arbeiten unter der Leitung dieser beiden ausgezeichneten Architekten. Eine enthusiastische Verehrung für den Genius des früh hingeschiedenen jüngeren Gilly blieb ihm bis an sein Lebensende.

Es existieren Arbeiten aus dieser ersten Schinkelschen Zeit, und alle zeigen den Gillyschen Einfluß. Kein Wunder. Auch das Genie schafft nicht lediglich aus sich selbst, und Schinkel entbehrte noch der lebendigen Anschauungen, die ihm die Kraft oder auch nur die Möglichkeit zu freier Entfaltung hätten geben können. Jedenfalls war das Verhältnis Schinkels zu Gilly von kürzester Dauer; schon nach zwei Jahren, am 3. August 1800, starb dieser liebenswürdige und geistreiche Künstler. Er hinterließ ihm zweierlei: den ausgesprochenen Wunsch, seine Arbeiten durch ihn (Schinkel) vollendet zu sehn, dann aber die Sehnsucht nach Italien. Im Durchblättern der Gillyschen Mappen hatte der jugendliche Schüler desselben vom ersten Augenblick an erkannt, wo das Richtige, das Nacheifernswerte zu finden sei.

Arbeiten, übernommene und eigene, hielten unsern Schinkel noch fast drei Jahre lang in der Heimat fest; endlich, im Frühjahr 1803, kam die lang ersehnte Stunde, und seine Fahrt ins »schöne Land Italia« begann. Er machte diese Reise an der Seite seines Freundes, des Architekten Steinmeyer, und nach längeren und kürzeren Aufenthalten an den alten deutschen Kunststätten: Dresden, Augsburg, Nürnberg, Wien, betrat er Italien zu Anfang August desselben Jahres, um es bis nach Sizilien hin zu durchwandern. Seine Briefe und Reisetagebücher geben Auskunft darüber, mit welch empfänglichem Sinn, zugleich auch mit welcher Gereiftheit des Urteils er die Kunstschätze Italiens studierte und Land und Leute beobachtete. Vor allem sprach das Land zu ihm von seiner malerischen Seite, das Architektonische trat zurück, und ein Blick auf die zahlreichen Landschaftszeichnungen, die dieser Reiseepoche angehören, bestätigt durchaus die Ansicht Waagens, daß Schinkel, wenn er statt der Bekanntschaft Gillys, des Architekten, die Bekanntschaft eines Malers von gleichem Talent gemacht hätte, sehr wahrscheinlich ein hervorragender Maler geworden wäre. Musik, Skulptur, Malerei, Baukunst – für alle hatte er eine ausgesprochene Begabung und für die Malerei in so hervorragender Weise, daß mit Recht von ihm gesagt worden ist, »er habe architektonisch gemalt und malerisch gebaut«.

Italien bot diesem malerischen Zuge die reichste Anregung, und die entsprechende Beschäftigung führte sehr bald zu einer Meisterschaft in der Behandlungsweise, die alles Unselbständige von ihm abstreifte. Seine früheren Sachen (bis 1803) zeigten etwas Steifes, in Italien aber eignete er sich eine ganz eigentümliche Technik an, die ihn, durch eine erstaunliche Breite und Kraft im Vordergrunde (wobei ihm die meisterhaft geführte stumpfe Rohrfeder treffliche Dienste leistete), in den Stand setzte, die Wirkung vollständiger Bilder zu erreichen. Seine großen Ansichten von Messina, Palermo, der Ebene von Partinico etc., die alle dem Jahre 1804 angehören, wurden später von Goethe »groß und bewundernswürdig« genannt. Goethe war überhaupt voller Anerkennung für Schinkel. 1820 war letzterer in Gesellschaft von Rauch und Friedrich Tieck in Weimar auf Besuch, und Goethe, dem vorzugsweise diese Reise gegolten hatte, schrieb über diese schönen Tage: »Von Jugend auf war meine Freude, mit bildenden Künstlern umzugehen. Herr Geheimrat Schinkel machte mich mit den Absichten seines Theaterbaues bekannt und wies zugleich unschätzbare landschaftliche Federzeichnungen vor, die er auf einer Reise ins Tirol gewonnen hatte. Die Herren Tieck und Rauch modellierten meine Büste, ersterer zugleich ein Profil von Freund Knebel. Eine lebhafte, ja leidenschaftliche Kunstunterhaltung ergab sich dabei, und ich durfte diese Tage unter die schönsten des Jahres rechnen.« Schinkel pflegte die Hauptlinien solcher landschaftlichen Aufnahmen am Tage sehr flüchtig, aber in der Perspektive höchst sorgfältig auf das Papier zu werfen und diese Umrisse dann am Abend mit der staunenswertesten Treue und von einem nie irrenden Gedächtnis unterstützt im einzelnen auszuführen. Es scheint fast, daß alle hervorragenden Künstler die oft ans Wunderbare grenzende Gabe besitzen, das allerflüchtigst Wahrgenommene auf viele Jahre hin, um nicht zu sagen für immer, in ihrer Vorstellung zu bewahren. Das Geschaute fällt wie ein Lichtbild in ihre Seele und fixiert sich daselbst. William Turner sollte zu einer bestimmten Gelegenheit die »Landungsbrücke von Calais« malen, und man erwartete, er werde hinüberfahren. um das Bild nach der Natur anzufertigen. Er war aber ein oder zwei Jahre vorher nach Paris gereist und hatte sich, auf dem Dampfschiffe stehend, ohne die geringste Ahnung davon, daß ihm solche Aufgabe jemals zufallen würde, die Szenerie von Calais (bloß dadurch, daß sein Auge einen Moment darauf ruhte) so vollständig eingeprägt, daß er das bestellte Bild in frappantester Naturwahrheit aus dem Kopfe malen konnte. – Ein andres Mal zeichnete er mit raschen Strichen einen Dreimaster aufs Papier, den er länger als zwanzig Jahre vorher auf der Reede von Spithead hatte tanzen sehn. Das Schiff existierte noch in Portsmouth oder Plymouth, und man verglich die Zeichnung damit. Zum Staunen aller ergab sich, daß Turner sogar die Zahl und Stellung der Stückpforten völlig richtig wiedergegeben hatte.

Während der ganzen Reise prävalierte in ihm der Maler. Er war unzweifelhaft als Architekt nach Italien gezogen, aber nur wenige seiner Briefe aus jenen Reisejahren beschäftigen sich mit Architektur. Selbst die herrlichen Tempeltrümmer von Girgenti regten überwiegend die dichterische Phantasie des Landschaftsmalers an; zu baukünstlerischen Betrachtungen über die hehren Überreste hellenischen Altertums gelangte er nirgends, und die Renaissancebauten Ober- und Mittelitaliens ließen ihn ebenfalls kalt. Am meisten Eindruck machte die sarazenische Baukunst auf ihn, und ihre phantastischen Reize umstrickten ihn überall von Venedig bis Sizilien – es sprach sich auch hierin seine Neigung zum Malerischen aus.


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