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III.

Der Lerche Lieder tönen
So voller Freud' und Lust,
Als wollten sie verhöhnen
Den Schmerz in meiner Brust.
Sie kann gar fröhlich singen,
Weil ihr das Leben lacht,
Mir wird es nie gelingen
Nach einer solchen Nacht.

Es tönten Orgelklänge
Mit feierlichem Laut,
Da schritten durchs Gedränge
Der Bräut'gam und die Braut.
Ich suchte ihre Herzen,
Doch ach, sie hatten keins,
Nicht Liebeslust, noch Schmerz; –
Da schlug die Glocke eins.

Und sieh, am Hochzeitslager
Erblickt' ich jetzt die Braut,
Der Bräut'gam, blaß und hager,
War schon ihr angetraut.
Er hielt sie fest umschlungen,
Dann hört' ich einen Schrei,
Der mir das Herz durchdrungen; –
Da schlug die Glocke zwei.

Und durch des Tores Pforte
Zog jetzt ein Trauerzug,
Der still zum Friedensorte
Die tote Braut nun trug.
Ich fragte herzzerrissen:
Wo denn der Gatte sei?
Doch wollt' es keiner wissen; –
Da schlug die Glocke drei.

Und ehe neue Bilder
Mir Leib und Seel' erschreckt,
Die wild und immer wilder
Den Wahnsinn wohl geweckt,
Entfloh ich meinem Lager,
Doch nicht der Angst und Not,
Mir folgte, blaß und hager,
Ihr Gatte jetzt – der Tod.

Während Rudolph früh am Morgen dies Lied sang, da Alles den neuen Tag mit Wonne und Jubel begrüßte, schrieb Clara mit zitternder Hand wenige Zeilen an den Geliebten:

 

»Das Unvermeidliche ist geschehn! er weiß, daß ich Dich liebe. Eine namenlose Furcht, die mich ergriff, als ich Dich gestern unvermutet an dem Ufer des Sees erblickte, verriet ihm Alles. Segnen wir den Himmel für eine solche Fügung! Nur die Besorgnis für Dein Wohl konnte mich die tausend Rücksichten vergessen machen, welche ich, dem Bruder gegenüber, nie außer Acht gelassen habe. Ohne einen solchen Zufall wäre es mir unmöglich gewesen, ihm unser Verhältnis einzugestehn. Ich fürchtete einen leidenschaftlichen Ausbruch seiner Heftigkeit; ich hatte ihn jedoch verkannt. Er blieb schrecklich ruhig, so ruhig, daß ich wünschen möchte, sein Zorn hätte keine Grenzen gefunden. Aber ich glaube, mein Geständnis hat seine Kraft gelähmt. Er gleicht einem Vulkan, dessen Feuer nur eben hinreicht, sich selbst zu verzehren, aber viel zu schwach ist, in heftigen Ausbrüchen rings um sich her Tod und Verderben zu verbreiten. Du bist so gut, so liebevoll, und bald Rudolphs sicherste Stütze, eile zu uns und suche den Unglücklichen zu trösten. Ich vermag es nicht; sein Anblick bricht mir das Herz. Zeige Du Dich in Deiner ganzen Kraft; Du bist ja ein Mann, Du mußt den vorwurfsvollen, schmerzensreichen Blick eher ertragen können, der selbst aus dem ewig geschlossenen Auge hervorleuchtet. Komm, komm Geliebter, um ihn und mich zu retten.

Deine Clara.«

 

Eine Stunde später klopfte es an Rudolphs Tür. Nach mehrmaligem Pochen öffnete er, und die hohe, ehrfurchtgebietende Gestalt des Predigers trat in das Zimmer; Clara bleich und weinend hielt seinen Arm umklammert. Der Geistliche grüßte seinen Nebenbuhler mit wenigen freundlichen Worten. Als dieser an der Stimme erkannte, wer in seiner Nähe sei, ergriff ihn ein heftiges Zittern, umsonst rang er nach Fassung, um die Begrüßung seines Gastes erwidern zu können; endlich hatte er sich insoweit gesammelt, um mit bittrem Hohne die Frage an diesen richten zu können:

– Was gewährt mir so früh das Vergnügen Ihres Besuchs, Herr Prediger? Doch ehe ihm derselbe zu antworten vermochte, rief er, vom Schmerz überwältigt, aus: Ich weiß Alles! ich flehe Sie an, jede Bemühung einzustellen, um die Wunde, die Sie mir schlugen, durch Trostesreden und Erbauungspredigten heilen zu wollen; jedes Ihrer Worte würde mir wie ein dreischneidiger Dolch in der unheilbaren Herzenswunde wühlen, sie vergrößern, augenblicklich vielleicht sie tödlich machen. Nehmen Sie mein Alles, Alles was ich außer meinem Schmerze besitze; wohl mir, der hat nur Wert für mich; sonst würden mir ein hartes Herz und eine gierige Hand auch das Letzte zu rauben suchen, was mir vom Leben geblieben ist. O, ein köstlicher Rest! Clara liebt Sie, – o nehmen Sie ohne Verzug die Geliebte fort aus der Nähe ihres blinden Bruders. Bei Gott! ich mißgönne sie Ihnen nicht. In dem Augenblicke, wo sie Ihnen ihr Herz schenkte, hörte sie auf mein zu sein, und fremdes Eigentum habe ich nimmer gern bei mir geborgen. Was ist mir Clara ohne ihr liebend Herz? Nichts andres wie die Wärterin eines Blinden. Sie sei die Ihre; macht es Sie doch glücklich und mir kann es gleichgültig sein, wer mir die Suppe kocht.

– Rudolph, ich kann den Bruder meiner Braut bei keinem andern Namen nennen, unterbrach ihn hier der Geistliche, verbittern Sie nicht uns Allen eine Zukunft, die so reich an Freuden sein könnte. In Ihrer Hand ruht unser aller Schicksal, Sie können sich und uns verderben. Was Ihnen Clärchen war, – ich weiß es wohl, doch mochte Ihre Liebe in die glühendste Leidenschaft ausgeartet sein, eine heilige Pflicht, die Erfüllung der Naturgesetze, zwang Sie mit unbesiegbarer Kraft in der Schwester immer nur die Schwester zu lieben. Sie denken zu edel, Clara ist zu rein, um auch im Verborgenen ein innigeres Gefühl obwalten zu lassen, das dem Auge stets verdeckt bleiben müßte, und so müssen Sie eine Gnade des Himmels darin erkennen, daß er sich ein Werkzeug erkor, um für immer zu trennen, dessen Vereinigung eine Todsünde gewesen wäre. Ich spreche nicht zu Ihnen, Bruder meiner Clara, wie ein moralisierender Gottesgelehrter, der unter dem Deckmantel der Religion seinen teuflischen Egoismus, die Habsucht und den Geiz seiner schmutzigen Seele verbirgt, nein, ein solches Tun und Treiben sei ferne von mir. Ich entbinde Clärchen hiermit jedes Versprechens, das sie mir gegeben; möge sie Angesichts Ihrer noch einmal entscheiden, ob sie es um des Bruders willen verschmäht, das eheliche Weib ihres Geliebten zu werden!

– Nein, nein, rief Rudolph mit lauter Stimme – wozu? ihr Herz hat längst entschieden.

– Erwägen Sie ferner, fuhr der Geistliche fort, daß Sie zu viel von unserm Clärchen fordern. Sie soll nur Ihre Schwester sein. Wie gemäßigt sind meine Ansprüche im Vergleich zu den Ihrigen: ich verlange sie zum Weibe und werde doch nimmer zürnen, wenn sie ihre Liebe zwischen dem Gatten und Bruder teilt. Hier Angesichts des teuren Mädchens, deren innige Liebe für Sie nie zu ersterben vermag, die in dem Augenblicke, wo ihr Mund das für dies Leben entscheidende Ja ausgesprochen hatte, wo ich die Geliebte an meine Brust und den ersten süßen Kuß auf ihre Lippen drückte, – dennoch an den Bruder dachte und fast zu meinem Kummer fragen konnte: Aber Rudolph wird doch bei uns sein? – Angesichts ihrer schwöre ich es Ihnen, jene schwesterliche Liebe wie ein Kleinod ihrer Seele hegen und pflegen, aber sie nimmermehr wie eine Flamme löschen zu wollen, die ihre Liebe zu mir in Todesgefahr bringen könnte. Begleiten Sie unser Clärchen! ich gedenke nicht zwei Wesen zu trennen, deren Herzen sich ewig gehören werden. Sein Sie mir ein innig geliebter Bruder, ich habe nie Geschwister gehabt, lassen Sie mich diesen hohen, himmlischen Genuß empfinden. Alles Leid und Weh, das ich Ihnen scheinbar zugefügt haben mag, soll die unverkennbare Wirklichkeit meiner Bruderliebe unvergeßlich machen. Ich ergreife Ihre Hand, erwidern Sie diesen Druck mit gleicher Innigkeit und besiegeln Sie einen Bund, den erst der Tod auflösen soll.

Rudolph entzog dem Prediger hastig seine Hand, die dieser ergriffen hatte.

– Nein, nein, – um des Himmels willen nein! rief er in größter Aufregung, es kann, es darf nicht sein. Ist es nicht genug aus einem Himmel gerissen und der nüchternen Erde wiedergegeben zu werden? warum soll ich mich selbst zu Höllenqualen verdammen!

Clara eilte auf ihn zu, schloß den Widerstrebenden in ihre Arme und beschwor ihn in seiner Rede inne zu halten.

– Teurer Bruder, bei der Liebe, die Du einst für mich gefühlt haben willst, liehe ich zu Dir: laß Dich erweichen! Willst Du mein Lebensglück zerstören und eine namenlos Glückliche der Verzweiflung preisgeben? Du wirst, Du mußt in unsrer Mitte und unser lieber, guter Bruder sein. Mein Gott! was soll aus Dir werden, wenn ich Dir fehle, welcher der Himmel das beneidenswerte Los beschieden hatte, einem Unglücklichen sein einzig und Alles zu sein? Wer wird Dich trösten in Deinem Schmerz? wer Dir aus der Bibel lesen? Dir ein Liedchen singen und Dich am See spazieren führen? Ach, ich weiß es, Du kannst ohne die Schwester nicht leben, die ein Teil Deiner selbst geworden ist; reißt Du doch kein Glied Deines Körpers gewaltsam von Dir, warum willst Du Dich meiner entäußern, die ich durch festere, geistige Bande an Dir gefesselt bin?

– Clara, Du bist in einem unerklärlichen Irrtume befangen! Wer hat alle Bande zwischen uns gelöst? Wer hat sich losgerissen? schärfe Dein Gedächtnis und Du wirst in Dir selbst den Täter erkennen. Geh mit Gott und sei glücklich! ich kann und werde nie aufhören Dich zu lieben, weshalb sich der Wunsch für Dein Wohl im Innersten meines Herzens regte. Ich muß es beklagen, daß Du meine Liebe zu Dir nicht verstehen konntest, sonst würdest Du jetzt den Beweggrund zu meiner Handlungsweise in keiner allzugroßen Eitelkeit erblicken. Sie Herr Prediger huldigen noch einem ungleich größeren Wahne, wenn Sie mir die Fähigkeit, ja sogar die Absicht zumuten, die Reinheit eines Engels durch Erdenlust entweihen zu wollen. Ich wäre zu einem Sünder ohne Gleichen herabgesunken, wenn ich meine Schwester, die mir Vater und Mutter ersetzen mußte, zu der ich wie zu meinem guten Engel betete, für die ich gleichzeitig wie für ein fromm unschuldig Kind den Beistand Gottes erflehte, wenn ich mich bemüht hätte dies Wesen durch Befriedigung einer irdischen Lust zu entheiligen, o Gott – die Schwester zu meinem Weibe zu machen. – Clara, was Du mir gewesen bist, ich weiß es nicht zu sagen. Die Sprache hat weder Worte noch Vergleiche dafür. Ebenso glühend, aber reiner, wie der Geliebte die Braut, frei von Eigennutz, jeder Aufopferung fähig, hab' ich Dich geliebt, wie die Mutter ihr Kind, ein Vergleich, der umso passender sein dürfte als mich das traurige, aber unabänderliche Schicksal einer Mutter trifft. Das undankbare Kind, das sie mit Schmerzen geboren, das als zarte Pflanze benetzt vom Tränentau des sorglichen Mutterauges gediehen und emporgewachsen ist, das die Ruhe ihres Schlafes störte und in bösen Träumen ihr Herz mit banger Besorgnis für sein Wohl erfüllte; dies undankbare Kind verläßt, von wilder Leidenschaft getrieben, mit unverhehlter Freude das elterliche Haus, reißt sich freudig los aus der Umarmung der weinenden Mutter, die ihm einst Alles war und schon nach Minuten nur noch ein Nothafen ist, der das leckgewordene Schiff von Zeit zu Zeit rettend aufzunehmen vermag, wenn es auf dem Lebensozean den schönen Port der Liebe und des Glücks vergeblich gesucht haben sollte. – Clärchen, noch immer geliebte Schwester, leb' wohl für ewig, ihn, der Dich nie erblickte, darfst Du nimmer wiedersehn.

Bei diesen Worten hatte er sich ihr zitternd genähert und sie heftig an seine Brust drückend fuhr er fort:

– Mein Schmerz hat sich in Wehmut aufgelöst, die mich als eine treuere Gefährtin wie Du mein Clärchen auf der Lebensreise begleiten soll, die mich hoffentlich recht, recht bald an das Ziel meiner Wünsche geführt haben wird. Mögen Monate, mögen Jahre darüber vergehn, Du mußt es mir versprechen, diese Stunde stets als Trennungsstunde für die Ewigkeit anzusehn. Tu' es aus Liebe zu mir, von der Du einen so kleinen Teil vielleicht bewahrt haben wirst. Der leiseste Ton Deiner Stimme würde alte Schmerzen in ihrer alten Kraft erwachen lassen, darum fliehe mich wie einen Verdammten, den die Menschheit ausgestoßen oder richtiger nie in sich aufgenommen hatte; fliehe mich, wenn ich in diesen Mauern weilen soll. Jeder Versuch, mich meiner grabesgleichen Einsamkeit zu entreißen, würde meinen Entschluß heranreifen, mich meinen Vorsatz in Ausführung bringen lassen. Ich würde gewiß ein Plätzchen linden, wo ich ungestört mein Haupt zum letzten Schlummer niederlegen könnte; ach mein Gott, der Blinde bedarf ja keiner Hand das Auge sanft ihm zuzudrücken. – Gatte meiner Clara, nimm hin dies Kleinod, dessen Tugendglanz von Zeit zu Zeit die ewige Nacht meines Herzens erhellte und führe sie dort oben so engelrein in meine Hand zurück, als ich sie Dir, dem Glückgekrönten, übergebe.

Hier legte er die Hände Beider in einander, suchte sie durch einen innigen Druck wie für das ganze Leben zu verfestigen und eilte dann mit staunenswerter Schnelle aus dem Zimmer hinab in den Garten.

Langsamen Schrittes verließen die Liebenden das helle, freundliche Gemach seines düstren Bewohners. Sie wurden ihres Glückes nicht froh; Clara ging schweigsam und Tränen im Auge an der Seite des Geliebten, auf dessen Stirn sich eine finstere Wolke gelagert hatte. Er geleitete jene nach ihrem Zimmer; nur ein herzliches Abschiedswort sprachen seine Lippen und mit der bestimmten Zusage, nach wenigen Stunden zurückzukehren, um über ihre nächste Zukunft zu entscheiden, trennte er sich mit Kuß und Händedruck von der unglücklichen Braut.

Diese war ein Bild des Jammers; bald saß sie weinend in einer Ecke des Zimmers und überließ sich ihrem wilden Schmerz, bald ging sie händeringend auf und ab und bat um Rettung in ihrer Not bei dem Gott der Liebe und Gnade.

Unaufhaltsam klangen ihr Rudolphs letzte Worte im Ohr und Herzen.

– Weh mir, rief sie aus, mein armes Herz wird ein Raul) der verschiedensten Gefühle, die in ihm stürmen. Rudolphs Zorn hätte ich ertragen und Trost in den Armen des Geliebten gesucht und gefunden; aber dies wehmütige, stillergebene Entsagen vernichtet mich. »Engelsrein« hat er mich genannt! Ach, die Reinheit meines Herzens ist dahin, die Leidenschaft hat in ihm getobt und jene zerstört; ich hätte vor Scham über ein Lob vergehen mögen, das ich – ein trauriges Geständnis – nicht mehr verdiene. Wohl ergreift mich eine unendliche Sehnsucht nach jener schönen Zeit, wo die unbefleckte Liebe, wo Ruhe und Frieden in meinem Herzen thronten; – aber ach unwiederbringlich ist die herrliche Vergangenheit für mich verloren!


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