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III. Im Kabriolet

The spurns that patient merit of the unworthy takes. – Hamlet

Endlich war es eilf Uhr; die Post, mit der ich weiterbefördert werden sollte, erschien, und eine Seele kann aus dem Fegefeuer nicht jubelnder in den Himmel treten, als ich in die Kutsche kroch, die mich aus O... entführen sollte. Ich will sie nicht tadeln, obschon sie weder in Federn hing, noch jene unerläßliche Eigenschaft eines bequemen Postwagen^ die »Backen« besaß, ohne welche der Mittelsmann, wie ein Perpetuum mobile, bald links bald rechts seinem Nachbar in die Arme sinkt. Wir waren unsrer Drei im Wagen; später gewahrt' ich (um einen Heineschen Witz zu zitieren) die Anwesenheit eines vierten und zwar blinden Passagiers, – Amors nämlich. Ein Greifswalder Student und ein junges Mädchen saßen mir gegenüber. Jener trug eine blutrote Kappe von der Größe eines Achtgroschenstücks, die er auf seinem Lockenkopfe, vom Umfange eines Viert's, mit vieler Geschicklichkeit balancierte. Um den Hals hatte er einen wollenen Shawl geschlungen; seine Farbe war die »der brennenden Liebe«. – Das Mägdlein zeichnete sich durch semmelblonde Locken aus, so daß ich mich des Gedankens nicht erwehren konnte, ihr Vater sei ein Bäcker; eine Vermutung, die sich fast zur Gewißheit steigerte, als sie aus ihrem Pompadour die Überreste eines Napfkuchens hervorholte, von dem man mit vollem Rechte sagen konnte:

Man sieht noch am zerhaunen Stumpf
Wie mächtig war die Eiche.

Mit Hülfe eines Federmessers wurde derselbe, nicht ohne Schwierigkeit zerlegt, und zuerst dem Studio, dann mir präsentiert. Überhaupt merkt' ich bald, daß der Ritter »vom Shawl zur brennenden Liebe« sehr fest im Sattel saß, und durch mich keineswegs aus der Gunst des Blondkopfs verdrängt werden konnte. Er hatte auch Zeit gehabt sich in derselben festzusetzen, da er bereits die ganze Nacht hindurch in ihrer Gesellschaft gereist war, und zweifelsohne auf der letzten Station seinem Werk die Krone aufsetzen wollte. So kam ich beiden ungelegen, und der Napfkuchen, der mir präsentiert wurde, war um vieles süßer als die Gesichter, die man mir schnitt. Der Studio säuselte trotz seiner breiten Schultern wie Hölty und Matthisson zusammengenommen, und werden wir ihn der Zartheit seiner Liebe bald jede schuldige Rücksicht gegen mich opfern sehn. Vorläufig verzehrte er den Kuchen in gar zierlichen Häppchen, obschon er einen Mund und in demselben Zähne besaß, die mit Schiffszwieback eben so leicht wie mit Biskuit fertig geworden wären. Zuletzt prangte noch eine große Rosine in seiner Hand, über deren Bestimmung er selbst im Unklaren zu sein schien. Eben glaubt' ich er würde sie in der linken Westentasche, dem Herzen so nah wie möglich verbergen, um sie bei nächster Gelegenheit statt eines Karneols in Gold fassen und als Original-Tuchnadel bewundern zu lassen, als er sie zu meinem größten Erstaunen wie eine ganz gemeine Rosine verschluckte. Das Kuchen-Intermezzo war vorüber, und die Verlegenheit des jungen Pärchens wuchs mit jedem Augenblick. Sie hatten sich noch so viel Liebes und Gutes zu sagen, so mancher Händedruck, so mancher Kuß sollte noch getauscht werden, und ich Unglückseliger machte den heißersehnten Tausch zu einer traurigen Täuschung. Ich sah in der Miene des jungen Mädchens ganz unverkennbar den Wunsch ausgesprochen:

O, seid – gewährt mir die Bitte –
Nicht länger im Bunde der Dritte.

Ich las auf der gerunzelten Stirn des Studio ganz klar und deutlich:

O, Tod ich kenn's, das ist mein Famulus!
Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß;

und entzifferte wie die beste Zigeunerin, zwar nicht aus der flachen, doch aus der geballten Hand des Entrüsteten, »daß es gefährlich sei den Leu zu wecken.«

Ich bin kein Spielverderber und jedem Menschen gern gefällig, sann aber vergeblich auf Mittel und Wege, dem Pärchen nicht fürder lästig zu fallen. Der Studio erwies sich bald als ein anschlägiger Kopf; die Not, die Eisen bricht, macht auch erfinderisch. Wir passierten ein Dorf; der Postillon sprang vom Bock, wie es hieß, um ein Brieffelleisen abzuliefern, wahrscheinlicher jedoch um sich an einem Kirsch zu erquicken. Fast gleichzeitig äußerte die Blondine den Wunsch auszusteigen; weiß Gott, aus welchem Grunde, denn das Glas Wasser nach dem es ihr vorgeblich verlangte, würde jeder von uns mit Freuden herbeigeschafft haben. Kaum hatte sie den Wagen verlassen, als der Studio begann:

»Mein Herr, die Zeit ist kostbar, und jedes Kompliment, als eine Zeitverschwendung vom Uebel; ich lasse mich kurz: Sie sind hier überflüssig!«

»Mein Herr, ich habe meinen Platz bezahlt!«

»Gleichviel!«

»Freilich, gleichviel! soviel wie Sie!«

»Sie mißverstehn mich; kurz und gut Sie sind meinem Glück im Wege.«

»Das betrübt mich aufrichtig, indessen –«

»Ist dem wirklich so, und sind Sie nicht ein bloßer Schwätzer, so verlassen Sie den Wagen.«

»Ihre Forderung macht mich lachen.«

»Desto besser! Ich gönn' Ihnen ein solches Vergnügen; gönnen Sie mir auch das Meine.«

»In der Tat, mein Herr, Ihre Art und Weise mit mir zu sprechen, ist trotz aller Grobheit, nicht ohne Humor.«

»Gut, gut! aber zur Sache!«

»Mein Gott, wo soll ich denn hin?! Etwa zurück in die Passagierstube? Herr, Sie wissen nicht was Sie fordern, sonst blieben Sie mir mit solcher Zumutung vom Leibe!«

»Das verlangt auch niemand; aber im Kabriolet sind –«

»Unbesetzte Plätze. Daran dacht' ich nicht; es mag drum sein.«

Noch ehe die junge Dame an der Seite eines Jünglings Platz genommen hatte, der seine ganze Grazie dem schönen Geschlechte zuzuwenden schien, saß ich im Kabriolet, und der Neid, der sich mir verzeihlicherweise im Herzen regte, kam in keinen Betracht gegen das beseligende Gefühl ein »Werk der Liebe« vollführt, und ein zweites begünstigt zu haben.

Die Neugier hat mich nie gequält, so benutzt' ich denn die Klappe an der Rückwand ganz und gar nicht, mit deren Hülfe ich im Stande gewesen wäre, die Vorgänge im Wagen zu beobachten. Ungleich mehr beschäftigten mich die Wolken, die einer Karawane gleich am Himmel zogen, und vor allen der trübe, engbegrenzte Horizont, der hinnen einer Viertelstunde den besten Regen versprach.

O, meine Ahnungen! Alsbald erhob sich jener Wind, der dem Regen unmittelbar vorher zu gehen pflegt, und die ersten Tropfen fielen auf meinen Seidenhut. Ich habe Unglück mit meinen Hüten; an öffentlichen Orten verschwinden sie in der Regel spurlos, wie das Mädchen aus der Fremde, so daß ich statt der teuren Filz- die billigem Seidenhüte als Kopfbedeckung eingeführt habe; um gestohlen zu werden, sind sie noch immer gut genug. Und doch: »wärst Du ein Filz!« waren die ersten Worte, die ich mit einem Seufzer jetzt, als kenne ich mein Schicksal bereits, an den neuen, glänzenden Seidenhut richtete.

Die Tropfen fielen häufiger. Ich hin allen Ernstes außer Stande mir alle acht Tage einen neuen Hut zu kaufen; so mag man's denn verzeihn, daß ich endlich die Klappe lüftete, und während ich sprach, das Innere des Wagens einer Musterung unterwarf. Beide hielten sich umschlungen; dem Echo nach, das ich gerade noch hörte, mußte eine halbe Sekunde vorher ein Kuß gefallen sein, und von den Lippen der Blondine erklang es fast wie: »bester Mann, von Herzen lieb' ich Dich!« Der »beste Mann« aber bemerkte mich und sprach mit einem einzigen Blicke: »Du da?!« »Was geht's Dich an?!« Wär' ich nur irgendwie als Mephisto zu brauchen, so hätt' ich vielleicht mit einem hämischen: »hab' ich doch meine Freude dran!« darauf geantwortet; so aber sprach ich ganz prosaisch: »Bitte, lassen Sie sich nicht stören, aber sputen Sie sieh ein wenig, denn es regnet.« Ich wurde keiner Antwort gewürdigt, und der Vorhang, oder vielmehr die Klappe fiel. –

Ich bin gutmütig und von echt deutscher Geduld; so nahm ich denn mein seidnes Taschentuch und wickelte es um den Hut. Wär' es schwarz gewesen, so hätt' es meine Trauer über den abermaligen Verlust eines Hutes angezeigt; so aber war es rot, und ich sah da vorne auf dem Wagen, als war' ich der Hochzeitsbitter der Leute da drinnen. Zudem wurde der Regen mit jedem Augenblicke stärker; nicht ohne Entrüstung blickte ich zum zweiten Male in die Camera obscura und sprach: »meine Herrschaften, wie weit sind Sie gediehn? es regnet schon ganz erklecklich, und ich hin Inhaber eines Seidenhuts!« Alles still. – Das rotseidne Tuch flatterte lustig im Winde, mir aber ward traurig ums Herz.

»Mein Tuch!!« schrie ich plötzlich; mehr bracht' ich nicht hervor, denn der Schreck lähmte mir die Zunge. Weh, weh! mein schönes, seidnes Schnupftuch, mein Prachtstück für zwei Taler und acht Groschen, ward auf dem Saatfeld dahin gefegt, als wär' es eine lokomotive Vogelscheuche, und zu solchem Zweck hätte selbst Crassus keine seidnen Schnupftücher spendiert. Und nun der Hut? Jeder Hülle beraubt, ging er und seine pappne Seele dem sichren Verderben entgegen.

Jetzt hatte alle Rücksicht und Freundschaft ein Ende: »Meine Herrschaften« – schrie ich in den Wagen hinein – »Alles muß eine Grenze haben! Lieben Sie sich wie und wann und wo Sie wollen, lieben Sie sich meinetwegen auch im Postwagen, aber sputen Sie sich, und verlangen Sie nicht, daß man hier draußen im Kabriolet bankrott wird an Allem, was zur Leibesnahrung und Nothdurft eines gebildeten Menschen gehört. Mein seidnes Taschentuch ist über alle Berge, mein Hut löst sich soeben in Wohlgefallen auf; Schnupfen und Zahnweh und Gicht gar nicht 'mal zu gedenken. Allen Respekt vor Ihrer Liebe, aber ich darf auch Ihre Nächstenliebe in Anspruch nehmen; es gießt hier draußen nach gerade wie mit Mollen, ich lasse jetzt den Postillon anhalten, und nehme meinen Platz im Wagen, schlimmstenfalls mit Gewalt.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können!« entgegnete jetzt der Studio – »aber ich rat' Ihnen nicht dazu. Welche philiströse Gesinnung! Hier im Wagen finden sich zwei Seelen, die Gott für einander bestimmt hat, und Sie wollen, eines erbärmlichen Hutes halber, unsre Liebesandacht durch Ihre unheilige Gegenwart stören!«

»Verzeihen Sie, der Hut ist nicht erbärmlich, er kostet –«

»Und wenn er ein Königreich wert ist, und es draußen Ambosse und Schmiedegesellen durcheinander regnet, so kommen Sie jetzt doch nicht in den Wagen. Ich bin zu jeder Satisfaktion bereitet, wählen Sie krumme Säbel, oder Pistolen; – aber in diesem Augenblicke bleiben Sie mir vom Leibe, ich verteidige den Wagen wie ein Verzweifelter.«

Darauf wollt' ich's nicht ankommen lassen. Der Seidenhut war ohnehin windelweich geworden, und an meiner Garderobe nichts mehr zu verderben. »Wer die Gewalt hat, hat das Recht« war mein Gedanke, während ich mich resigniert in die Ecke drückte. Wir erreichten die nächste Station, von wo aus ich per Eisenbahn in die Residenz gelangen wollte. Naß wie eine Katze stieg ich aus dem Wagen und trat in das Passagierzimmer. Alsbald erschien der Studio, zog mich in eine Fensternische, und sprach:

»Mein Herr, die Umstände machen den Menschen; ich habe Sie beleidigt, – ich konnte nicht anders!«

»O, ja! Sie konnten anders –«

»Nein! höhre Pflichten verboten es mir. Übrigens heiß ich »Gutschlag« und schmeichle mir meinem Namen Ehre zu machen. Hier ist meine Karte; vormittags bin ich, mit Ausnahme der Manichäer, für jedermann zu Hause. Leben Sie wohl!«

Ich war verblüfft; fast hätt' ich mit Einem: »Es ist mir sehr angenehm gewesen Ihre werte Bekanntschaft gemacht zu haben!« darauf geantwortet. Eh' ich mich auf etwas Bessres besinnen konnte, hatte er die »im Postwagen gefundne Seele« noch einmal geküßt und eilte die Straße entlang.

Die Sonne ging eben unter; aber die Blondine heftete ihr blaues Auge auf eine Straßen-Ecke, hinter welcher so eben eine schönere Sonne, die rote Studentenmütze verschwand. Noch einmal flatterte der Shawl der brennenden Liebe im Winde, und folgte dann wie ein flüchtiges Abendrot der bereits untergegangenen Mützen-Sonne. Sie seufzte schwer. »Die Welt hat keine Freuden mehr auf diese!« so klang der Seufzer; dann wandte sie sich an den Billeteur und forderte mit ziemlicher Fassung: »ein Billet zur dritten Wagenklasse nach Berlin.« –


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