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Goldene Hochzeit

Sie hießen Großvater und Großmutter; jedes Kind im Dorfe kannte sie. Sie hatten selbst einst Kinder gehabt, zwei Söhne; aber das war lange her. Der eine starb jung, der andre war im Felde geblieben; nun war das Dorf ihr Kind und morgen war goldene Hochzeit.

Sie bewohnten ein Häuschen, das ihnen die Gutsherrschaft geschenkt hatte. Jeder im Dorfe gab ihnen nach seiner Kraft; aber sie verdienten auch dazu. Großvater war Zimmermann gewesen und war es noch. Wenn der Sommer kam, nahm er Axt und Säge über die Schulter und ging »scharwerken«, wie er's nannte. Was er darunter verstand, war nur aus seiner Arbeit abzusehen. Er flickte Treppen und Scheuntore, machte Schwellen und Leitersprossen, und so alt er war, 's ging ihm flink genug von der Hand. Im Winter saß er hinterm Ofen und spaltete Schindelholz; Großmutters Spinnrad surrte ihm dann zur Seite und ein Rotkehlchen, das sich ihnen aus freien Stücken zugesellt hatte, zwitscherte leis aus seinem Bauer herab. Es hätte lauter singen können, ohne zu stören, denn die beiden Alten waren halbtaub und nur untereinander verstanden sie jedes Wort.

Sie wohnten jetzt zehn Jahre in ihrem Häuschen. Damals hatte der Gutsherr gesagt: »Großvater, bau' ein Haus, so und so.« Der Alte war ans Werk gegangen (denn er war noch rüstig damals) und sieh da, in zwölf Wochen hatte er's hergerichtet, das ganze Haus: eine Stube, ein Flur, eine Küche und ein rotes lachendes Dach drüberhin. Als er fertig war, war auch der Gutsherr schon zur Stelle und sagte: »nun bleib nur gleich hier, Du hast es für Dich gebaut.« Der Alte wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte; zuletzt tat er beides. Und wie die Freude nie allein kommt, so auch hier. Das ganze Dorf, das nicht Zurückbleiben wollte hinter der Herrschaft, hatte sich aufgemacht wie zur Kirmes und eh noch der Alte sein neues Besitztum dreimal umschritten und die Wirklichkeit seines selbstgebauten Hauses mit Händen gefühlt hatte, da kam es schon die Dorfgasse herauf, in langem Zuge Männer und Frauen, jeder mit einem Stück in die Wirtschaft und alle mit lachenden Gesichtern. Der Kupferschmied, der den Zug eröffnete, brachte einen Kessel und schlug ihn wie eine Pauke. Das war zuviel für Großmutter; sie vergaß fast das Haus über den Kessel, und wäre sie hundert Jahr alt geworden, diesen Tag hätte sie nicht vergessen.

Seitdem waren zehn Jahre vergangen, still, geräuschlos, zufrieden. Sie forderten nichts vom Leben, drum hatten sie Alles. In der Küche, jahrein, jahraus, brodelte im braunen Topf ein brauner Trank, den nannten sie »Kaffee« und Großmutter lebte davon. Der Alte blies Wolken aus seiner kurzen tönernen Pfeife und wenn man ihn fragte: Großvater, wie geht's? so antwortete er: 't geiht jo, ick hev min Pip Toback.

Nun war Pfingsten. Die Sonne ging festlich auf und blickte in das Zimmer der alten Leute. Die schliefen noch und selbst das Rotkehlchen saß geduckt in einer Ecke des Bauers. Aber die Wände trugen schon ihr pfingstlich Kleid und der Schatten der grünen Maienblätter tanzte auf Diele und Decke umher. Am Fenster stand ein fichtner, blankgescheuerter Tisch und in der Mitte desselben lag eine aufgeschlagene Bibel. Der Goldrand an Schnitt und Ecken war abgegriffen; man sah, es war eine Bibel zum Lesen.

Nach einer halben Stunde sah die Sonne wieder nach; da waren die alten Leute auf und schon fertig zum Kirchgang. Großvater trug seinen langen blauen Rock mit dem Stehkragen und den großen, seidebesponnenen Knöpfen. Die Schöße gingen bis nahe an die Knöchel und man sah wenig von den samtnen Kniehosen und schwarzen Seidenstrümpfen, Überbleibseln aus einer längst vergangenen Zeit. Er stand jetzt am Fenster, daran ein kleiner mit rotem Papier umklebter Spiegel hing und sein spärliches, schneeweißes Haar nach hinten streichend, versuchte er mit einem Kamm es festzustecken. Dabei zitterte der alte Mann und es war doch Pfingsten.

Großmutter war in der Küche beschäftigt und durch die halbgeöffnete Tür klang von Zeit zu Zeit das Knallen und Knistern eines lustigen Feuers. Sie stand am Herd, geputzt, aber gebückt; – eine hübsche alte Frau. Der schwarze, großgeblümte Wollenrock, darauf sich das saubere Brusttuch noch weißer abhob als es war, ließ ihr gut und der schmale Streifen grauen Haares, der glattgescheitelt unter der Seidenmütze hervorsah, gab ihr ein freundliches und ehrwürdiges Ansehen. Sie lächelte; war es die Freude an diesem Tag, oder war es mehr?

Sie trat jetzt wieder in die Stube zurück und den Alten leise auf die Schulter klopfend, sagte sie: drink, Vader, et is Pingsten-Koffee un en Ehren-Koffee darto.

Der Alte nahm und trank; aber ihn fröstelte nach wie vor, und auf die Sonne zeigend, die immer heller ins Zimmer schien, sagte er: kumm in de Sünn, Olling, mi freert.

Er legte seinen Zeigefinger in die aufgeschlagene Bibelstelle, klappte das Buch zu und ging in den Hof. Großmutter folgte ihm auf den Fuß. Der Hof war ein eingezäuntes Viereck, aber so klein, daß ein Kastanienbaum, der in der Mitte stand, mit seinen Zweigen den ganzen Fleck überdachte. Um den Stamm des Baumes herum zog sich eine Rasenbank, die blitzte jetzt von Tautropfen.

Der Alte wollte sich setzen. Töf 'n beten – rief ihm die Alte zu:

Morgendau un Morgenrod
Laten wol fien un hebben den Dod;

aber der Alte saß schon und sie setzte sich zu ihm.

Der Himmel war tiefblau und lachte. Kiek Olling – fuhr die Alte fort – de Häwen (Himmel) is so apen, as wull he seggen: kamt in, Kinner.

Der Alte schwieg; er schien nicht gehört zu haben, was sie sagte. Auf den Zweigen über ihnen hüpften die Vögel hin und her und gestreift vom Flügel des einen oder andern, fiel von Zeit zu Zeit ein Blütenblatt auf den Schoß der alten Leute. Sie achteten es nicht, und aufatmend in der warmen Juniluft, starrten sie durch den offnen Lattenzaun in ein unabsehbares Saatfeld hinein, dessen Halme kaum sich neigten, so stille war die Luft. Durch das Grün der Saat lief hier und da in breiten Streifen ein gelbes Rapsfeld und würzte Nähe und Ferne mit seinem Duft.

Großvater schlug die Bibel auf und sagte: we will'n wat lesen und wat recht schön's darto; nich all Sündag is Pingsten un nich all Pingsten is goldne Hochtit.

Er las und sie hörte, was beide auswendig wußten. Eh er noch geendet hatte, da war es plötzlich, als käme ein Luftzug, ein langsam-feierliches Wehen über die Felder her und die Hahne tief niederbeugend, fuhr es jetzt mit lautem Geräusch durch den Wipfel des Baumes. Die Vögel fuhren erschreckt in die Luft; es war, als sei ein Sperber unter sie gefahren. Dann wiederum war alles still.

Eine Stunde verging; fröhliche Pfingstglocken riefen zur Kirche; da kam es singend und scherzend die Dorfgasse herauf; der Gutsherr und der Prediger voran und Mädchen und Knaben mit Kränzen und Blumen hinterdrein. Sie traten in das Haus und endlich in den Hof. Des Gutsherrn Tochter, ein Blondkopf mit langen Flechten, küßte die schmalen Lippen der alten Frau, – sie waren kalt; der Prediger ergriff die Hand des Alten – sie war kalt. »Wir kommen zu spät – wandte er sich an die Umstehenden – sie sind getraut für immer.« Dann nahm er die Bibel und den Spruch erblickend, darauf die Hand des Alten geruht hatte, las er mit bewegter Stimme: Du bist ein frommer und getreuer Knecht gewesen, gehe ein zu Deines Herren Freude. –


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