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Das Armesünderwürfeln

Es war vor Nürnberg.

Die wehrhafte alte Stadt war eine einzige waffenstarrende Schanze des Schwedenkönigs, und jenseits der Regnitz hielt der Friedländer auf den Waldhöhen, die die zerstampfte, ausgehungerte Landschaft beherrschten, und wartete. Hielt unbeweglich in höhnischer Tatenlosigkeit und wartete. Der Hunger lief Sturm gegen die uneinnehmbaren Mauern der Stadt.

Ein naßkalter Septembertag war zur Rüste gegangen. Die Luft war feucht und schwer, und unablässig ging ein feiner, nässender Sprühregen nieder. Kein Sturm war zu sehen, nur die Lagerfeuer leuchteten von den Höhen zu Tal. Zuweilen wurden auch sie von den feuchten Schauern der Sturmnacht niedergedrückt, dann versank alles in Dunkelheit und Schweigen, daß man die Regnitz rauschen hörte und deutlich das feine Plätschern des Regens auf den ziehenden Wassern unterschied. Dann plötzlich – es sah sich an, als würden lodernde Pechkränze in den nächtigen Wald geschleudert – flammten hier und dort die Wachtfeuer auf den Höhen wieder auf.

»Eine Hundenacht!« fluchte ein friedländischer Dragoner und stieß das Schürholz in die qualmende Glut, daß die Funken umherstoben. Brummend schüttelten sich die zwei, die mit ihm ums Feuer lagen, die glühenden Pünktchen von ihren Mänteln und zogen das schwere, feuchte Zeug straffer über dem Leib zusammen.

»Da schlaf der Teufel!« Eine Weile war's still gewesen, jetzt sprang einer nach dem andern auf, um sich die steif gewordenen Beine zu vertreten.

»Holla, Frieder –!« schrie einer von ihnen, die Hände als Schalltrichter vor den Mund legend, in die Nacht. »Was gibt's?« kam's aus einiger Entfernung zurück. »Höll und Teufel, Kamerad, hast du noch was in der Flasche?«

Zweige knackten, und der Angerufene trat in den Lichtkreis des Feuers. Es war ein hagerer Bursche, der den rechten Arm in der Binde trug. Mit der Linken nestelte er die Feldflasche vom Koller und warf sie unter die drei. Dann wandte er sich wortlos und tauchte in die Dunkelheit zurück.

Der Dragoner, der die Flasche geschickt gefangen hatte, warf einen ärgerlichen Blick auf den Verschwindenden. Dann nahm er einen tiefen Zug, gab die Flasche weiter, wischte sich den Mund und blickte brummend wieder auf die Stelle, wo der andere eben gestanden. »Verrückter Heiliger! heut spinnt er wieder mehr als je! ... Aus freien Stücken die ganze Nachtwache zu übernehmen! Wünsch' ein gesegnetes Wundfieber!«

Der andere lachte. »Möcht' wissen, was er wieder zu betrüben hat, der Narr!«

Da hob der dritte, der sich bisher still verhalten, den Kopf. »Die Nacht wird ihm länger werden als uns! Ich sollt's nicht ausplappern ... aber den Schlaf hat der Teufel geholt und das Wachen soll er dreinhaben, wenn kein's das Maul auftut. Ich erzähl's euch. Von dem weiß ich ein Stückchen seit heut, wie's nicht jeder zu verzapfen hat ...« Er reckte den Daumen über die Schulter zurück, dorthin wo der Verschwundene Wacht hielt. Die andern reckten die Köpfe und schauten ihm erwartungsvoll ins Gesicht, aber er schwieg noch und hörte auf das Singen des Windes und das Rauschen des Wassers, als wüßte er keinen Anfang zu machen.

»Fang an«, trieben die beiden fast zugleich. Da hob er an:

»Hätt ich ihn heut nicht herausgehauen, er wäre ein stiller Mann. Ich weiß nicht, ob's einer von euch gesehen hat: wie wir heut mit dem schwedischen Streifkorps ins Scharmützel kommen, nimmt er sich den Leutnant aufs Korn. Ein blutjunges Kerlchen, der kaum seinen Gaul zwischen den Beinen hat. Wie der Frieder ihn attackiert, verliert er die Bügel und rutscht im Sattel. Der Frieder greift ihm in die Zügel, zieht auf und – er konnt ihm das Eisen ins Genick hauen wie der Henker dem Schelm auf dem Block – aber hol mich der Teufel, er schlägt nicht zu! ›Schlag zu!‹ schrei ich, denn ich seh, wie sich schon so ein schwedischer Lümmel heranmacht, aber er starrt wie auf einen Spuk, läßt die Zügel fahren und haut, so wahr ich hier stehe, haut den Gaul mit der flachen Klinge über den Hintern, daß er, heidi, hochgeht und mit dem Bengel auf und davon ist, eh man drei zählen könnt. Um ein Haar hatte der Frieder seinen Lohn weg, der Stoß, der ihm den Arm streifte, hätt ihm den Leib durch und durch gerannt, hätt ich dem Lümmel nicht mit dem Pallasch die Partisane beiseite geschlagen. Ich hau' den Frieder vollends heraus und spar' das Fluchen nicht. Er gibt keine Antwort. ›Höll und Teufel,‹ schrei ich, ›was fällt dir ein?‹ Er gibt keine Antwort. Nachher, wie ich ihm im Lager die Blessur verbinde, hat er mir die ganze Geschichte erzählt, ungefragt.«

Der Erzähler schwieg, als überlege er, ob er weiter reden solle. Die andern setzen ihm mit Blicken und Worten zu, da schöpft er tief Atem und fährt fort.

»Es liegt weit zurück. Nach dem Treffen bei Wimpfen ist's gewesen. Der Frieder war zehn Jahr jünger und heißer. Damals hat er's mit einem Frauenzimmer gehabt, das ihm ein Tillyscher Hauptmann wegschnappen wollt. Als er sich's nicht gleich gutwillig abknöpfen läßt, kriegt er Streit, läßt sich hinreißen und schlägt seinen Hauptmann ins Gesicht.

»Drauf wird er in Eisen gelegt, und der Prozeß wird ihm gemacht.

»Da war nun damals noch ein Bursche beim Haufen, der mit dem Frieder seit Wochen das Zelt teilte, ein blutjunges Kerlchen, das kaum mehr als siebzehn Jahre zählte. Als dreizehnjährigen Bengel hatten ihn die Holkschen Jäger von Haus weggefangen und zum Reitersjungen gepreßt. Von da hat er sich dann bis zum Reiter emporgearbeitet. Ein schmucker Junge, fix, geschmeidig, braunes Haar und ein Milchgesicht – das war dem Frieder sein Kamerad und sein ein und alles.

»Der macht sich also in selbiger Nacht – weiß der Teufel, wie er's angestellt hat – an den Frieder heran, bindet ihn los und entläuft mit ihm.

»Eine Nacht und einen Tag hat die Herrlichkeit gedauert, da haben sie die beiden Vögel wieder erwischt und eingebracht. Das Gericht war schnell genug bestellt, Aufruhr und Desertation – da ist nichts davon abzuhandeln. Sollten also am andern Morgen aufgeknüpft werden.

»Das Gericht ist kurz genug gewesen, aber eine Nacht ist drauf gefolgt, die ist lang gewesen. Die Nacht ist so lang gewesen, daß der eine von beiden den Verstand darüber verloren hat. Und das war dem Frieder sein Herzbruder.

»Es möcht's wohl jeder nachfühlen, was so ein armer Schelm aussteht, bis sich ihm der Verstand verkehrt, aber, Höll und Teufel, ich möcht' nicht kosten, geschweige auskosten, wie einem zumut ist, der zusehen muß, ruhig zusehen muß, wie sein Kamrad Zoll für Zoll zum Narren wird.

»Der Frieder hat den Jungen gebettelt und umarmt und geschüttelt, er sollt' nicht so vor sich hinstieren. Und dann hat der andere auf einmal zu kichern angefangen und hat gelacht wie ein Narr. Und ist wieder in sich versunken und hat gegreint wie ein Kind oder wie ein Trunkner. Und wie der Frieder in ihn dringt, ist er weich geworden und hat geheult über Dinge, die seit Jahr und Tag vergessen waren. Über den Vater hat er gejammert und über Mutter und Geschwister. Der Frieder hat anstellen mögen, was er wollte, betteln und flehen und herzen und wieder schütteln und schelten, es hat nichts geholfen. Bald hat er geflennt wie ein Kind und bald gelacht wie ein Narr. Und der Frieder ist für ihn Luft gewesen. ...

»Auch die Nacht hat ein Ende gehabt. Wie die Trommeln draußen das Rasseln anfangen, da ist's dem Frieder auf einmal beigefallen, daß er noch keine Zeit gehabt hat, an sich selbst zu denken. Aber er hat keinen andern Wunsch mehr gehabt als nach dem Ende. Ihm ist gewesen, als wär er die Nacht aufs Rad geflochten gewesen. Wem so zumut ist, dem gilt alles gleich. – –

»Dieselbe Nacht hat der Obrist mit des Frieders Hauptmann bei Würfeln und Karten versoffen. Und selbst die Trommeln, die die zwei armen Sünder zum letzten Gang rufen, hätten sie nicht aus ihrem Rausch geweckt. Aber da stürzt plötzlich des Frieders Weibsbild ins Zelt und wirft sich dem Obristen zu Füßen und schreit, es ginge nur noch um Minuten, und schreit ›Gnade! Gnade!‹ und schreit das Schelmenwort solang, bis der Obrist weiß, um was der Handel geht. Aber alles Betteln und Heulen wär doch umsonst gewesen, hätte sich nicht der Hauptmann, dem's um die Dirne zu tun war, so ungeschickt ereifert. ›Was da! Was da!‹ schreit er einmal ums andremal und schielt fuchswild auf das Weibsstück, ›sie haben's verdient! Höll und Teufel, sie haben's zehnmal verdient!‹

»Da spürt der Obrist, der sieht, wie der Hauptmann vor Zorn kollert, den Kitzel, ihn aufzuziehen und zu reizen, und er tut bedenklich.

»Derweil ist der Zug mit den Delinquenten die Zeltgasse herauf fast bis zum Zelt des Obristen gekommen. Da kommt dem Obristen ein toller Einfall. Er hält den Zug auf und läßt die armen Sünder vor sich bringen.

»Der Kapuziner, der die Delinquenten begleitet, raunt dem Obristen noch ins Ohr: ›Herr, der eine ist von Sinnen geworden.‹ Aber der Trunkene lacht: ›Um so besser, um so besser! Das gibt Unterhaltung!‹ Und er greift das Weibsbild am Arm und ruft ihr zu: ›Einen will ich dir schenken, Dirne! Aber gerecht muß ich sein! gerecht muß ich sein! es soll keiner den Vorteil haben. Sie sollen darum würfeln!‹ und schüttet sich aus vor Lachen.

»Indes werden die Sünder vorgeführt. Der Narr schneidet Grimassen und macht Kapriolen. Und je toller der Oberst lacht, desto unbändiger lacht er mit. Der Frieder hat ein Gesicht so weiß wie das Zelttuch, und seinem Gesicht sieht man an, daß er die Nacht nicht auf Daunen geschlafen hat.

»Wie der Obrist ihnen den Schwank anträgt, zuckt's ihm in den Fäusten, als müsse er den trunknen Hund zu Boden schlagen. Als er aber sieht, wie sein Kamerad begierig den ledernen Becher ergreift, preßt er die Hände ineinander und stöhnt.

»›Heissa! Heissa!‹ jauchzt der Narr, ›Herzbruder, was soll's gelten? Einen Batzen, Herzbruder. Da, da!‹ Der arme Schelm hat keine Ahnung, daß er um Kopf und Kragen spielt. Er stürzt den Becher, zählt die Augen und trommelt wie närrisch vor Glück mit den Fäusten auf der Tischplatte herum.

»Und der Frieder sieht's, und es packt ihn ein Gefühl, halb Ekel und halb Haß gegen den Irren. Nur einen Augenblick, aber der Augenblick ist lang genug, daß er erwacht. Und er fühlt plötzlich, daß alles in ihm nach Leben begehrt. Und er sieht plötzlich, daß der Herzbruder ein armer Narr ist, dem das Leben keinen Pfifferling gilt, und er sieht selbst das Weibsbild und sieht, daß sie schön ist, – so lang ist ein Augenblick.

»In dem Augenblick krallen sich des Frieders Finger um den ledernen Becher, spannen sich so fest darum, daß die Knöchel weiß werden. Und während er ihn stürzt, stieren seine Augen gläsern auf den Irren, als wollten sie ihn durchbohren.

Und der ganze Mensch ist Wille. Da rollen die Würfel hin.

»Drei Köpfe sahen über die Tischplatte, des Hauptmanns, des Obristen und des Narren. Der des Hauptmanns fährt zuerst wieder hoch, blutrot vor Zorn ›Teufel, Teufel! verloren!‹ Der Obrist sieht den Zornigen an und lacht schallend: ›Du Jörg? Hast du denn mitgespielt?‹

»Der Frieder allein hat dem Wurfe nicht nachgeblickt. Der Rausch ist von ihm gewichen, und er fühlt, was er getan hat. Fühlt, daß er um Blut und Leben des Herzbruders gespielt hat. Er ist aschfahl geworden und sieht starr gradaus.

»Da blickt der Narr, der die Augen zusammengezählt hat, trostlos auf und hängt sich dem Frieder an den Hals wie ein plärrendes Kind. ›Frieder, ich kann dir's ja nicht zahlen! ich kann dir's ja nicht zahlen, Frieder –!‹ Und die Tränen laufen ihm über die Backen.

»Dem Frieder hängen beide Arme schlaff herab und er kann sich nicht rühren. Er ist wie betäubt. Erst wie sie den Jungen von seinem Halse reißen und hinausführen, geht ein Zittern durch seinen Leib, als wolle er umsinken.

»›Frieder!‹ schreit die Dirne und will ihm um den Hals fallen, aber vor seinem Blick schrickt sie zurück. Der Frieder steht mitten im Zelt, als wäre er angenagelt an den Fleck, auf dem er gestanden. Und dann reißt er mit jähem Griff ein Kruzifix, das ihm im Gürtel steckt, heraus und bricht es, knack, in zwei Stücke und wirft's in den Dreck. Und er blickt auf den zerbrochenen Jesuchrist und lacht auf, blickt auf den Obristen und lacht auf, blickt auf die Dirne und den Hauptmann und lacht auf. Und dreht sich kurzum und geht aus dem Zelt.

»Der Obrist sieht ihm nach, und jetzt lacht auch er, aber man merkt, er lacht nur, weil es gar so still geworden ist. – –«

Der Erzähler verstummte. Aber als ihn die andern nach einer langen Weile, in der man die Regnitz gurgeln und treiben hörte, unterbrechen wollten, hob er unwirsch die Hand und fuhr rasch fort.

»Seitdem ist der Frieder so, wie er ist ... so seltsam. Er schleppt an seiner Tat, die er hündisch und hundsföttisch nennt, wie an einer Todsünde. Er hat seitdem oft wieder Handgeld genommen und hat viel Blut vergossen, aber eine Seltsamkeit ist ihm geblieben, die ihm noch mal den Rest geben kann. Heut, wo ich ihn verband, hat er mir's gesagt: ›Siehst du, ich kann auf Menschenschädel einhauen wie auf Klafterholz, aber mitunter treff ich einen so unbärtigen Fant, dem das Entsetzen vor dem Sterben so gläsern aus den Augen blickt, daß ich nicht zuschlagen kann. Ich hab einmal gesehen, wie hart solch jungem Blut das Sterben ankommt. Ob's nun lange Stunden dauert wie damals, oder ob sich's in einem einzigen gräßlichen Augenblick zusammendrängt wie bei dem Burschen von heute, dem vor Todesangst das lebendige Blut den weißen Nacken jählings rot färbte – ich kann nicht zuhauen ...‹

»Still, er kommt zurück! laßt ihn nicht merken, daß ich geschwätzt habe.«


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