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Der Kreis

In den Trümmern eines gebrandschatzten Walddorfes zwischen Fürth und Stein hatte sich eine friedländische Dragonerpatrouille eingenistet. Durch die klaffenden Dachsparren des Pfarrhauses schüttete die frostige Septembernacht ihre unregelmäßigen, harten Schauer gegen triefende, moderflackrige Kalkwände und auf den Fußboden der Kammer, der aus festgestampftem Kuhmist bestand und fast das Aussehen eines verwilderten Stücks Landstraße hatte.

In einem Winkel des Gelasses, der noch am meisten von einem letzten Nest überhangenden Dachwerks beschirmt war, saß ein Dragoner, in mehrere verwaschene Soldatenmäntel zu einer unförmigen Masse verpackt, und unterhielt ein brandig qualmendes Feuer in einer ausgeworfenen Grube. Neben ihm lag ein getürmter Haufen von zerbrochenem Holzgerät, Gebälktrümmern und feuchtem Reisig, aus dem er die schwelende Glut nährte. Seine Kameraden hatten sich, um ein Dach über dem Kopf zu haben, in die muffigen Winkel des triefend feuchten Kellers verkrochen. Der verwitterte Bursche mußte bis zum Morgengrauen wachen. Der Wald wimmelte von unsauberem Gesindel, mißhandelten, gebrandschatzten Bauern, die in ihrer hungertollen Wut schlimmer waren als angeschossene Keiler.

In das verwilderte Gesicht des Dragoners hatte sich, unvertilgbarer als Rost, eine harte Verdrossenheit eingefressen, die nicht auf Rechnung der unwirtlichen Nacht, sondern langer, erbarmungsloser Kriegsjahre zu setzen war. Mechanisch arbeiteten sich in regelmäßigen Pausen seine breiten Hände, dunkel wie regenfleckiges Leder, aus den hüllenden Mänteln vor und wühlten unter dem Holzhaufen nach einem trockenen Scheit, um das Feuer zu unterhalten. Der beizende Qualm, der in wolkigen Schwaden durchs Zimmer ging, verzog das wetterharte Gesicht des Mannes noch mehr, daß es aussah wie eine starre, fratzenhafte Maske von Weltverachtung und haßerfüllter Verbitterung.

Mit einmal ließen die Hände einen Ast, von dem sie eben den grauschwarzen Schwammansatz abstreiften, fallen und griffen nach einem dünnen, rötlich gebeizten Brett, das aus der Füllung einer Schranktür herausgebrochen schien. Irgend etwas an dem armseligen Holz schien bemerkenswert. In die Züge des Soldaten trat ein Zug starrender, gedankenloser Aufmerksamkeit, die langsam und schwerfällig Leben gewann.

Das Holz trug ein Ornament, wie es seit Jahren häufig an Schränken und Truhen verwendet wurde; eine rohe Zierschnitzerei täuschte einen Stoß knittrigen, vielgefalteten Pergamentes vor, das lose auf der Fläche zu liegen schien. Es war kunstvolles Pfuschwerk, dem man ansah, daß es einem vollkommeneren Vorbilde abgenommen war.

Für den Dragoner war es ein Stück Vergangenheit.

In den Werkstätten von Augsburg und Prag hatte er einst selbst solche Stücke geliefert. Aber besser! Wahrhaftig, der Meister wäre ihm über den Pelz gekommen, wäre er so schluddrig mit dem Messer übers Holz gefahren. ... Hier mußte der Bogen noch unterhöhlt werden, hier die Kante abgeschliffen und hier – lieber Gott, wer würde diese Sudelei für Pergament halten können! Bestenfalls für eine Schicht von Schieferplatten konnte man es halten. Aber freilich, wer mochte an dieses armselige, unsauber gehobelte Stück Fichtenholz soviel Arbeit wenden? In Prag, ja das war ein ander Ding! Schweres, altes Eichenholz, braun und glatt wie die Wangen einer Zigeunerdirne ... wehe dem, der ein Stück verdarb!

In Prag ... Wie lange mochte das her sein? Laß sehen: drei, vier, fünf – – lieber Gott, wer kann das nach Jahren berechnen! Nicht mehr als ein Dutzend Jährlein würde herauskommen bei dieser verlogenen Rechnung. Wer rechnet solche Zeit nach Jahren! Nach begangenen Morden, brennenden Dörfern, gebrandschatzten Städten, nach Wundfiebern und Seuchen, Dirnen und Raufhändeln mußte man rechnen, das gab eine runde Summe wüster Zeit ...

Wäre er in Prag geblieben, so wären's wohl eine Handvoll Jahre, die abgelaufen wären. Nichts weiter. Zwölf Jahre. Ein junger Meister würde er heute sein, der Jüngsten einer ... So aber waren es nicht zwölf Jahre, es war ein verpfuschtes Menschenleben, sein Leben, denn – bah, es lohnte sich nicht daran zu denken, was noch übrig war! Es war ein altes, rostbrüchiges Stück Eisen, gut zum Fortwerfen. Nichts weiter.

Er erinnerte sich, wie er in Prag den Gesellenkittel abgestreift hatte. Das war, als die Ligisten in der Stadt Kehraus hielten und die böhmischen Knechtlein aus ihren Löchern räucherten wie Ungeziefer. Mit leeren Taschen, so waren sie über die Mauern gestiegen, am Abend versoffen sie als große Herren den Schweiß der Bürger. Silberne Ketten waren denen als Hosenbund gerade noch recht. Herrgott, war man denn ein Narr, sein Leben lang den Pfennigkratzer schieben zu wollen! ...

Ein Rotschmiedegesell hatte es ihm vorgemacht. Recht als ein Türk war er mit dem Hammer auf einen verwundeten Böhmen losgegangen und hatte ihm den Rest gegeben, um sich zur Stund in dessen Reiterkleid und Gamaschen zu den ligistischen Fahnen zu kehren. Dem hatte er's nachgetan. Ein hartes Stück war es gewesen, den Beilschlag ins Genick des böhmischen Reiters zu tun ... Am Abend war er dem hellen Haufen zugelaufen und hatte sich von dem Ligistenobersten Kratz anwerben lassen mit einem Herzen prall von großmäuligen Hoffnungen ... Jetzt könnte er Meister zu Prag sein – – –

Die Gedankenkette des Dragoners riß klirrend auseinander. Vom Rücken her hatte sich ein zerlumpter Bauernjunge durchs Fenster angeschlichen und schmetterte eine eiserne Hacke jäh auf das unbeschirmte Haupt des Soldaten nieder. Der brach lautlos in sich zusammen, ohne auch nur zu begreifen, daß man ihn niedergeschlagen.

Ein paar wirre Gedankenschatten durchspülten noch auf Augenblicksdauer das Hirn des Gemordeten, das im aufquellenden Blute erstickte.

Einige Minuten später schwang sich, der als Dorfteufel gekommen war, als reisiger Kriegsknecht wieder durchs Fenster und entlief mit einem Herzen, das von wilden Hoffnungen tobte, durch den Wald zu den Lutherischen. Soldat sein! Herr sein –! ... Die qualmende Glut des Feuers in der Grube schwelte über den nackten Leichnam des Dragoners.

Über den Waldhöhen im Osten lag formloses, schwarzes Gewölk wie erkaltete Aschenhaufen, in denen die Glut des gestrigen Tages ausgebrannt war. Jetzt hob sich ein leiser Wind, und es war, als ob sein Hauch die unter der Asche vergrabenen Funken leise wieder entfache, die grauen Ränder begannen glutig aufzuschimmern.

Der Morgen dämmerte herüber.


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