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Letzte Wacht

Am eben entzündeten Feuer eines weit bis über Fürth vorgeschobenen friedländischen Postens sitzt ein junger Dragoner in hockender Stellung. Um ihn her liegen wie Klötze die Kameraden. Teufel auch, zwei Tage und zwei Nächte durchritten, durchrauft, durchlauert ... Das Lauern, das Warten, das Spähen, das ist das Schlimmste! Das höhlt die Augen wie mit glühendem Schabeisen.

Der junge Mensch starrt mit verbissenem Gesicht gegen den Himmel. Er hält den Kopf krampfhaft vorgeschoben wie eine schlechte Holzfigur. Im Nacken hat er ein Gefühl, als sitze in den Halswirbeln ein verbrauchtes Scharnier, das fortwährend niederklappen will ... Augen auf! oder es braucht bald niemand mehr Leichenwacht zu halten.

Im Föhrenwald drüben huschen ruhlose, irrlichternde Schatten hin und wider. Verdammtes Gesindel! Diese halbnackten, halbverhungerten, halbtollen Bauern treiben sich wie Wolfsrudel in den Wäldern umher. Augen auf! die Wölfe haben Witterung. Auf den Wiesen unten liegen ein paar Erschlagene. Gesichter und Leiber von einer schlüpfrig grauen Farbe, auf der die wechselnden Abendlichter wie Perlmutterflimmer spielen. Hat denn niemand Zeit, sie zu verscharren ...? Die Leute um die Feuer schlafen wie die Toten. Man könnte zweifeln, wessen Schlaf tiefer ist, der der Toten oder jener der Lebendigen.

Der Dragoner starrt gegen den Himmel. Der weite Horizont ist von breitgelappten Wolkenschollen umkränzt, auf denen das Abendrot in dasselbe stumpfe Violettgrau übergegangen ist wie das tote Blut, das auf den Gesichtern der Erschlagenen geronnen ist. Es sieht sich an, als habe sich der Himmel zu dieser tollen Nacht des Todes mit Nachtschattenblüten gekränzt, die große Orgie des Wahnsinns mitzufeiern ...

Vor dem Dragoner geht ein schwarzer Mann auf und nieder. Auf und nieder ... Ja so, der Märten. Der Märten hat die Wache ...

Augen auf! Teufel, nur nicht einschlafen! Was war denn das? Der Märten... Unsinn! Der verdammte Zweig da vor ihm schaukelt im Winde auf und nieder. Er will ihn abreißen, aber die Arme sind an den Leib gelötet. Der ganze Leib ist wie ein Bleiklumpen...

Wer macht denn da die Tür auf? Der Friedel. Was willst du denn, kleiner Kerl? Laß mich doch schlafen!

Was macht nur das Brüderchen für ein Gesicht! Er kommt immer näher, leise, leise, auf den Zehen, mit einem feierlichen Leichenbittergesicht. Jetzt tippt er ihn an die Schulter. Komm mit! Komm mit ... Was denn? Ja so, der Vater. Der Vater liegt ja da drüben im Sterben.

Das kleine Brüderchen öffnet und schließt die Türen. Die Türen öffnen sich so leicht wie die Blätter eines Buches. Und sind doch von schwerem Eichenholz, das vom Alter gebräunt ist.

Jetzt sind sie da. Der Friedel sinkt in die Kniee und hebt die Hände vors Gesicht, als ob er bete oder schluchze. Joseph-Maria – wer hat denn an des Vaters Bett die Sterbekerze entzündet!?

Der Vater liegt in schwerem, pelzverbrämtem Ratsherrenkleide auf dem wuchtigen, geschnitzten Riesenbette. Sogar die goldene Kette hat er um den Hals. Die Farbe seiner Backen sticht nicht ab von dem Weiß der Kissen ...

Wenn er nur die Augen schlösse! Diese harten grauen Augen sind unerbittlich auf das schäbige Dragonerwams seines Kindes gerichtet. Vater, Vater, verzeih' mir, ich...

Der Ratsherr liegt starr wie ein steinernes Grabmal. Nur seine Augen leben. Sie leben, ein unbarmherziges, fürchterliches Leben. Wenn er nur die Augen schlösse! Diese fürchterlichen Augen brennen sich in das schäbige Soldatenwams wie glühende Späne ein. Vater, bitte – – –

Da, er murmelt etwas ... Segne mich, Vater–! Vater, Vater, was tust du?! Der Sterbende hat sich jäh aufgerichtet, als ob eine steinerne Apostelfigur Leben bekommen hätte. Die ganze herrische Gestalt grollt empor ... Fluche mir nicht, Vater! Was tust du, Vater –? Seine Arme tappen ruckweise nach der Sterbekerze. Die steile, stille Flamme schaudert plötzlich unter dem hart zupackenden Griff. ... Erbarmen, Erbarmen, Vater – – –! Umsonst. Der Vater stößt seinem Kinde die Sterbekerze ins Gesicht. Dann bricht er zusammen. ...

Gnädiger Gott, was war das?! Der Dragoner fährt wild auf. Auf der Stirn brennt ein jäher Schmerz. Gott im Himmel, er schläft ja! Wenn er jetzt nicht mit dem Kopf vornüber in das Feuer gesunken wäre. ... Augen auf, es ist nicht Zeit zum Schlafen! Teufel auch, es ist ja nur noch ein Stündchen. ... Unsinn, wer hat denn da gesagt, sein Vater sei gestorben ...? Die Bauern ... wie die Wölfe ... Die Kerls schlafen wie ... Was war das doch eben mit seinem Vater ...? Unsinn! Augen auf! Verd...

Über den mondweißen Dächern von Nürnberg tanzt ein großer, grauer, ruhlos huschender Schatten, wie von einer erlöschenden Lampe. Der Schlaf ist wie ein heimtückischer Räuber. Es ist, als ob er seinem Opfer ein Tuch mit betäubenden Dämpfen auf Mund und Nase drücke.

Der junge Dragoner liegt wie ein Toter unter Toten. Die Flamme knistert, als bettle sie um Holz. Sie leckt ängstlich flackernd hoch, ein paarmal schießt sie zuckend hierhin, dorthin, wie die Hände eines Fiebernden im Todeskampf. Dann sinkt sie zusammen ...

In den Wäldern drüben huschen die Schatten umher, irrlichternd, gespensternd. ... Die halbnackten, halbverhungerten, halbtollen Bauern sind wie Wolfsrudel. Die Wölfe sind wach, die Wölfe haben Witterung.

Die Wölfe sind auf der Streife. ...


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