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Der Ring mit den blauen Steinen

Die letzten Brände des Abendrots verschwelten über den Waldhöhen um Nürnberg, deren schwarze Schattenrisse hart wie ausgebrannte Mauern zu dem friedländischen Lager herüberdrohten. Die ersten Wachtfeuer flammten auf. In den Zeltgassen verlärmte das letzte Leben. Nur vom Ufer der Regnitz, wo die Dragoner auf Vorposten hielten, scholl noch ungedämpft Lachen, Johlen und Singen herüber. Um den Karren einer zeternden Marketenderin drängte sich die Soldateska und wollte nicht ruhen, bis der letzte Heller, den ein dreister Beuteritt gebracht hatte, vertan war.

Die Marketenderin war ein schwarzhaariges Weib, schon zur Fülle neigend, doch von festen und drallen Formen, die ihr ein trotz aller Ausschweifungen hartes Leben gewahrt hatte. Ein hageres Gesicht mit flackernden, begehrlichen Augen, die beim Schänken und Karessieren nach dem Gelds schielten, das den Dragonern in Hand und Beutel klimperte. Ein vielleicht neunjähriger Junge half ihr bei der Arbeit; barfüßig und flink wand er sich mit gefüllten Bechern durch das Gedränge und brachte sie denen, die zu faul oder schon unfähig waren, selbst zum Karren zu kommen. Geschmeidig, ohne einen Tropfen zu verschütten, vermied er mit behenden Windungen allenfalls ihm zugedachte Tritte und Stöße, die nun einmal zum Lohne seines Handwerks gehörten.

Jetzt fiel er kläffend wie ein kleiner Köter einen Krüppel an, der sich auf seinen Stelzfüßen, Gott weiß wie, durch die Menge gedrängt hatte. Einen längst geleerten Becher, den er, wie dem geriebenen kleinen Kerl nicht entgangen war, mühselig mit Kupferpfennigen bezahlt hatte, hielt er mit krallenden Fingern umspannt und starrte auf das schwarze Weib, das in geschäftiger Hast mit Gläsern und Flaschen hantierte.

»Her –!« Der braune Bengel rannte ihm geschickt gegen die Krücken, daß dem Überfallenen der Becher aus den Händen klirrte. Eh er begriffen, war der Bursche mit seiner Beute verschwunden.

Ein paar Dragoner, die um ein nahes Feuer lagerten, lachten laut über die Frechheit des Schenkjungen und den Schrecken des Krüppels. Der hob mit einem Ruck das Haupt und blickte fast herausfordernd zu den trunkenen Gesellen hinüber. Plötzlich zog er die Krücken an sich heran und humpelte dem Feuer zu, an dem er sich ohne Umstände niederließ.

»Pack dich mit deinem Bettel, Landstreicher! Nimmt der Lump ehrlichen Leuten den Platz fort!« Der baumlange Kerl, der scheltend auf den Krüppel losgefahren war, erschrak einen Augenblick über den jäh auflodernden Blick des Bettlers, der eine Krücke wie zum Schlage gehoben hatte, und stand mit offenem Munde. Die anderen lachten.

Da fing der Krüppel, ehe die Burschen Hand an ihn legten, zu reden an mit einer harten, klirrenden Stimme, die zum Aufhorchen zwang. »Gebt Frieden, Leute! Der Platz ist bezahlt, auf dem ich hier sitze. Und der Einzige, der ein Recht hat, hier zu sitzen, bin ich.«

»Bezahlt! bezahlt!« höhnte der Lange. »Seit wann bezahlt ein Bettler den Dreck, drauf er sitzt? Platz da! Der Wein ist an deine Holzstecken vergeudet!« In weitem Schwunge schleuderte er eine geleerte Flasche in den Fluß, in dem sie aufplantschend niederfiel.

Unbeirrt blieb der Krüppel hocken. »Die Holzbeine haben's um mich verdient, haben mich weiter getragen als manchen von euch seine gesunden Knochen, haben mich einen Weg getragen neun Jahre lang bis hierher zum Ziel. Jetzt dürfen sie rasten.«

Ein paar Leute lachten über den dreisten Gesellen und versprachen sich eine billige Kurzweil von seiner Wunderlichkeit. Ein breiter, plattnasiger Geselle stieß ihn lachend in die Seite, während er seinen Kumpanen beschwichtigend zublinzelte. »He, Kamerad! Womit zahlst den Platz, drauf du hockst?«

Der Krüppel wandte ihm den stechenden Blick, der wie eines Fiebernden war, zu. »Der Platz ist bezahlt. Aber ich zahl ihn euch noch einmal, zahl ihn euch mit einer Schnurre.«

»Lustig! lustig!« lärmte der Dicke, »es gibt eine rare Geschichte! Eine Schnurre von abgeschossenen Beinen! He, Kamerad, das Gepräge hat keinen Kurs mehr! Abgeschossene Beine sind uns justament wie Wassertropfen im Regen, man denkt dran, wenn man einschlafen will, so gemein ist's geworden!«

Der Krüppel fiel ihm und den andern mit seinen Worten ins Gelächter. »Ich erzähl' euch keine Schnurre von abgeschossenen Beinen. Ich erzähl' euch eine Schnurre, die neun Jahr lang währt und heute zu Ende geht. Das Ende sollt ihr sehen.«

Allmählich hatte sich um die seltsame Gruppe eine schwatzende, lachende und gestikulierende Menge gedrängt. Der verschrobene Kauz versprach einen kurzweiligen Possen. Von allen Seiten verlangten schreiende Stimmen seine Schnurre zu hören.

Der Krüppel aber schien keinen von all den Schreiern zu sehen, er starrte schweigend gradaus. Wer sich die Mühe nahm, seinem Blick zu folgen, der sah, daß er wie eine Lanze in dem geröteten Gesicht der Marketenderin haftete, die etwa dreißig Schritte vom Feuer eifrig an ihrem Karren und den Fässern hantierte. Endlich fing er mit einer dunkeln und rauhen Stimme an zu reden, die sonderbar von seiner vorigen scharfen Sprechweise abstach. Er sprach gedämpft, ohne die Augen von dem schwarzhaarigen Weibe zu verwenden, als ob er nur zu ihr spräche und sie es doch nicht hören sollte.

»Neun Jahre ist's her. Da bin auch ich auf straffen, gesunden Beinen durch den Krieg gegangen wie irgendeiner. Durch den Krieg bin ich gegangen, wie durch eine Dornhecke. Wer so durch Hecken geht, an dem bleiben die Kletten haften. So ist dazumal eine Dirne an meinen guten Kleidern hängen geblieben wie eine Klette. Aber ich hab' sie nicht abgeschüttelt wie eine Klette, ich hab' sie gehalten und getragen wie eine Rose. Die Rose hat einen scharfen Dorn gehabt. Seht! Da hat sie mir die Hand geritzt...!« Jählings Gestalt und Stimme zu herrischer Gebärde zusammenraffend. hob er die linke Hand gegen das Feuer empor.

Die Dragoner, die schon, des zerfahrenen Gefasels müde, den Rücken gewandt hatten, horchten verdutzt auf und blickten auf die weit ausgereckte Hand. Da sahen sie, daß der Ringfinger fehlte. Bis zum dritten Knöchel war er abrasiert wie von einem Messer. Und der vernarbte Stumpf war alt und blau.

Der Krüppel fuhr fort. »In ein schwarzhaariges Weibstück, das dem Mansfelder Haufen nachgelaufen war, hab' ich mich vergafft. Ich hab' um sie gerauft mit Kameraden, ich hab' all meinen Bettel, den ich besaß – und ich war dazumal ein Kerl, der eine Grafschaft aufkaufen konnte – ihr an den Leib gehängt, soviel sie's verlangte. Blut ist geflossen um sie. Ich hätt' gegen Gott und Teufel mit nackten Händen noch gekämpft, wenn sie sie mir hätten nehmen wollen. Ich sag euch, mich und sie hätt' einer so wenig auseinander gebracht wie zwei verkämpfte Hirsche. Alles, was sie gehabt hat am nackten Leib, hat sie von mir gehabt... und für all das bin ich ihr nichts gewesen als ihr Narr, eben gut genug zum Rupfen. Und ich hab's gewußt! und sie um so toller behängt...

»Aber dann... dann – Im Sächsischen droben hatten wir eine Bataille geliefert. Eine verfluchte Stückkugel hat mich mit zerschmetterten Beinen vom Gaul geschmissen, und ich lag für tot. Der Feind über uns hinweg und davon wie die Windsbraut. Ich lag ohne Sinne in meinem Blut wie ein abgefangener Eber im Sturzacker ... Da... da wach' ich auf... plötzlich... ein Schmerz brennt durch meine Hand, als lag' sie auf glühendem Herd ...Jäh schrei ich auf ... Da schreit noch etwas ... neben mir ... über mir – ihr Gesicht! Des Weibsstücks Gesicht, das über mich gebeugt war. ... Ich fahr' empor, starr' sie an wie vom Tod zum Wahnwitz erwacht, und sie strauchelt in den Knieen, läßt die Hände fallen und schreit und kreischt, als ging's um ihr Leben – Katzen schreien nicht so in nächtigen Gärten – und rafft sich taumelnd auf und jagt davon wie gehetzt. Etwas Blinkendes war ihr aus der Hand auf mein Wams gefallen, danach tappt' ich mit den Händen – es war ein kurzes Stilet ... blutbefleckt ...Und das Blut... das Blut war Blut von meiner Hand! An meiner linken Hand hing der dritte Finger mit durchschnittenen Knochen im Gelenk ... An dem Finger trug ich einen Ring mit blauen Steinen ... Um den hatte sie mich einmal umsonst gebettelt, weil er fest im Fleische hing... und jetzt, jetzt, da ich in meinem Blute lag als ein Toter, war sie gekommen, sich ihn zu holen!«

Er dämpfte die kreischend gewordene Stimme und fuhr dumpf fort zu reden wie ein Stöhnender. »Da ... seht ihr ... da bin ich genesen. Die zerschmetterten Knochen hab' ich mit Erde, Hemd und Rockfetzen zugestopft und umwickelt, bin Handbreite um Handbreite bäuchlings gekrochen und hab' aus voller Lunge um Hilfe geschrieen, bis mich ein Feldscher auflas und davontrug. Ich wußt', daß ich's überstehen mußte; so überstand ich's. Ein stelzfüßiger Krüppel wurd' ich, aber ich blieb am Leben ...

»Und ich mußte leben. Ich mußte noch einmal vor das Weibstück treten und ihr den Ring mit den blauen Steinen bringen und sie mit meinen Krücken niederschlagen ...

»So bin ich neun Jahr als Landstreicher marodierend, bettelnd und stehlend von Land zu Land, von Kriegshaufen zu Kriegshaufen gezogen, wo immer die Kriegsfurie los war, das Weib zu suchen und ihr den Ring in die Katzenaugen zu werfen ... neun Jahr lang ...«

Es war still geworden im Kreis der Dragoner. Der Krüppel schwieg, seine Brust hob sich keuchend.

Da schlüpfte der braune Bengel der Marketenderin durch die Mauer der Soldaten. »Wein, Herren, Wein! Wer hat leere Becher? Leere Becher? Wein hier! Wein!«

Der lange Lümmel von Dragoner, der zuvor den Krüppel angefahren hatte wie einen Hund, preßte ihm jetzt, einer raschen Eingebung folgend, den eigenen noch halbgefüllten Becher in die Hand. »Trink, Kamerad!«

Der Krüppel stürzte hastig den Becher. Wild zupackend erwischte er dann den Marketenderjungen am Wams und hielt ihn fest. »Sie soll's wieder füllen!« Seine Stimme überschlug sich. Hastig wühlend griff er zugleich in seine Kleider und riß von der entblößten Brust eine kleine Schnur. Ein Ring mit blauen Steinen, drei beinerne Fingerglieder auf einen Faden gereiht, fielen ihm in die zitternde Hand. Das ließ er durch die Finger gleiten und in den zinnernen Becher niederklirren. »Das bring' ihr! Ich zahl' damit!«

Der Bursche sprang davon. Aber hinter sich ließ er eine offene Gasse von Soldaten zurück. Keiner sprach ein Wort. Alle hatten begriffen, was das Ende der Schnurre sei, die der Krüppel zum Besten gegeben. Durch die offene Gasse der Dragoner schritt steif aufgerichtet, schwankend der Krüppel. Lodernd haftete sein Blick auf der Gestalt des schwarzhaarigen Weibes.

Jetzt ist der Junge bei ihr. Er gibt ihr den Becher. Sie ergreift ihn achtlos und hält ihn unter eins der Fässer. Der Junge raunt ihr etwas zu. Da, plötzlich, zuckt das Weibsbild zusammen wie vom Schlage gerührt. Weitausgestreckten Armes, kreischend hält sie den Becher von sich, als siede kochender Wein in glühendem Gefäß ... Mitten im sinnlosen Kreischen entklirrt ihr der Becher. Der Ring mit den blauen Steinen rollt über den zerstampften Boden ...

Hochaufgerichtet, wie ein Racheengel, steht der Krüppel. »Schenke mir Wein, Gertrude! Gib mir vom Roten, Gertrude!«

Seine Worte durchschneidet ein Schrei, aus dem irrsinniges Entsetzen kreischt. Das Weib hat den Krüppel erblickt. Mitten im Kreischen schwankt ihr Leib wie der eines gehetzten Tieres, dem der Jäger die Fesselgelenke durchhauen... schwankt... steht einen Augenblick steilaufgerichtet wie im Krampf ...Dann stürzt die Sinnlose in tollem Laufe, brüllend vor Entsetzen, als peitschten ihr tausend glühende Geißeln den Nacken, an dem Krüppel vorüber, der steinern und starr wie eine Bildsäule steht, an den Dragonern vorüber, die mit offenen Mäulern stehen, über das freie Feld zum Flußufer hinab und wirft sich hinein, wie ein Mensch tut, dem Kleid und Haar und Leib in Feuer lodern ...

Die plötzliche lautlose Stille zerbricht den Bann der Zurückgebliebenen. Ein paar Dragoner springen in weiten Sätzen dem Weibe nach zum Ufer der Regnitz hinunter. Ein paar Kerle platschen ohne Überlegung ins Wasser wie apportierende Hunde. Die Übrigen drängen langsam nach und erwarten den Ausgang.

Nur der Krüppel bleibt unbeweglich zurück. Nur einen Augenblick durchzuckt ihn eine jähe Bewegung. Das ist, als der Marketenderjunge an ihm vorüberhastet. Seine Augen weiten sich, als ginge ihm beim Anblick der neunjährigen Züge des Knaben eine Ahnung auf. Doch im nächsten Augenblick schüttelt er den trotzigen Kopf, als verweise er sich selbst barsch zum Schweigen.

Ein-, zweimal holt er tief Atem und reckt sich. Dann bückt er sich und hebt den Ring mit den blauen Steinen aus dem Staube. Sorgsam verbirgt er ihn in den Kleidern. Dann rafft er sich auf, und ohne sich umzusehen setzt er seine Krücken weiter und stapft davon. Nürnberg und das Regnitzufer, das von schreienden Menschen erfüllt ist, läßt er im Rücken und zieht, der Nacht entgegen, seine Straße. Er wendet kein einziges Mal das Haupt im Weiterschreiten.


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