Gustav Theodor Fechner
Elemente der Psychophysik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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XIII. Gesetze der Mischungsphänomene.

Siehe oben S. 238 Anm. 1).

Die bisherigen Erörterungen über das Weber'sche Gesetz, dessen Parallelgesetz und die Tatsache der Schwelle bezogen sich im Grunde nur auf den einfachsten Fall eines sehr allgemeinen Falles. Es handelte sich dabei stets darum, wiefern die Empfindung wächst oder abnimmt, beginnt oder schwindet, wenn eine Reizgröße einen Zuwachs oder eine Verminderung erfährt, unter der Voraussetzung, daß das, was zuwächst oder weggenommen wird, von gleicher Qualität als die Reizgröße sei, die man vermehrt oder vermindert; also auch der Reiz durch den Zuwachs oder die Verminderung keine Änderung in seiner Beschaffenheit erfahre. Aber unter allen denkbaren Fällen, wo ein Reiz einen Zuwachs oder eine Verminderung, überhaupt eine Änderung, erfährt, ist der Fall, daß das Zuwachsende oder Weggenommene von gleicher Beschaffenheit sei, als dasjenige, dem es zuwächst oder entzogen wird, eben nur der einfachste. Es kann sich aber z. B. der Reiz eines weißen Lichtes, anstatt dadurch, daß man die Intensität aller Farbestrahlen in gleichem Verhältnisse steigert oder schwächt, auch dadurch ändern, daß man farbiges Licht zum weißen fügt oder der weißen Farbemischung diesen oder jenen Farbestrahl oder ein Gemisch von Farbestrahlen, das nicht weiß ist, entzieht. Und Entsprechendes läßt sich, wie leicht zu erachten, auf andere als weiße Farbemischungen, auf Gemische von Tönen oder Klängen, von Gerüchen, von Substanzen, welche Geschmacksempfindung erregen, anwenden. Der Kürze halber wollen wir die von derartigen Veränderungen abhängigen Phänomene überhaupt als Mischungsphänomene den früheren als homogenen gegenüber bezeichnen, und uns in Besprechung derselben hauptsächlich an das Beispiel der Farben halten.

Man übersieht leicht, daß, indem es sich bei den Mischungsphänomenen nicht mehr um rein quantitative, sondern auch qualitative Änderungen des Reizes handelt, auch nicht bloß quantitative, sondern auch qualitative Änderungen der Empfindung zu erwarten sind, wie denn wirklich erfahrungsmäßig solche hierbei Platz greifen, und es wird sich handeln, diese bezüglich der Meßbarkeit unter Gesichtspunkte zu bringen, welche mit denjenigen zusammenhängen, die für die quantitativen Änderungen Anwendung gefunden haben.

Allgemein nun finden wir Folgendes:

Wenn zwei einfache oder selbst schon zusammengesetzte Reize A, B, deren jeder für sich eine einfache Empfindung besonderer Art, respektiv a, b zu erwecken im Stande ist, beispielsweise zwei Farben, in solcher Vermischung oder überhaupt Verbindung der Wahrnehmung dargeboten werden, daß wieder ein einfacher Eindruck derselben entsteht, so stimmt dieser resultierende Eindruck, diese resultierende Empfindung, im Allgemeinen weder mit dem Eindrucke a überein, den A, noch mit b, den B für sich hervorgebracht haben würde; es kann aber nach Maßgabe, als A oder B in Wirkung überwiegt, oder beider Wirkung sich das Gleichgewicht hält, der resultierende Eindruck sich mehr dem Eindrucke a oder b nähern, oder auch keiner beider Eindrücke vor dem anderen darin überwiegend erscheinen, wie es z. B. bei sich zu Weiß ergänzenden Komplementärfarben oder zu Orange zusammenfließendem Gelb und Rot der Fall ist. Heben wir nun damit an, A allein wirken zu lassen, so wird die Zumischung von B eine gewisse Größe erst erreichen oder übersteigen müssen, damit die Abweichung vom reinen a bemerklich werde, und so umgekehrt bezüglich b, wenn wir A zu B setzen; und heben wir damit an, A und B in solchem Verhältnisse zusammenwirken zu lassen, daß weder a noch b überwiegend erscheint, so wird A oder B erst in einem gewissen Verhältnisse gesteigert werden müssen, damit der resultierende Eindruck sich dem Charakter von a mehr als dem von b zu nähern scheine.

Ganz allgemein, von welchem einfachen Reize oder welcher Zusammensetzung der Reize und mithin welchem resultierenden Eindrucke wir auch ausgehen mögen, wenn wir sei es mehr von einem anderen einfachen oder zusammengesetzten Reize zufügen oder etwas von einem der Reize wegnehmen, so wird das Hinzugefügte oder Entzogene eine gewisse Größe überschreiten müssen, damit der einfache oder resultierende Eindruck gegen früher qualitativ geändert erscheine.

Dies sind Verhältnisse, die uns bei den Mischungsphänomenen zum Begriffe der Schwelle zurückführen, die wir hier kurz als Mischungsschwelle der früher bei den homogenen Phänomenen betrachteten Schwelle als homogener Schwelle, gegenüberstellen können.

Näher besehen nun sind die homogene Reizschwelle und Unterschiedsschwelle in der früheren Auffassung nur die einfachsten besonderen Fälle des allgemeineren Falles der Mischungsschwelle. In der Tat, wenn ein Reiz B sieh zum Reize oder einer Reizmischung A fügt, und man fragt, bei welchem Werte von B fängt der Zusatz an, als solcher erkannt zu werden oder einen Unterschied gegen die bloße Wirkung von A spürbar werden zu lassen, so kann unter allen möglichen Größenwerten, welche A hierbei haben kann, auch der Fall gedacht werden, daß A null ist; dann haben wir den Fall der gewöhnlichen homogenen Reizschwelle; nicht minder kann unter allen möglichen Qualitäten, welche A haben kann, auch die mit B gleichartige gedacht werden; dann haben wir den Fall der gewöhnlichen homogenen Unterschiedsschwelle.

Setzen wir nun den Fall, die Zufügung eines Reizes B zum Reize A bringe in dem, dem bloßen A entsprechenden Eindrucke a eine eben spürbare oder überhaupt in gewissem Grade spürbare Änderung hervor, so fragt sich, ob, wenn A in gegebenem Verhältnisse gesteigert oder vermindert wird, auch B in demselben Verhältnisse gesteigert oder vermindert werden muß, um noch eine gleich spürbare Änderung von a hervorzubringen. Sollte es bei beliebig verschiedener Qualität von A und B der Fall sein, so würden wir hierin zur vorbemerkten Verallgemeinerung der Tatsache der Schwelle auch eine Verallgemeinerung des Weber'schen Gesetzes haben, als welches nur den Fall des allgemeinen Gesetzes darstellt, wo die Verschiedenheit zwischen A und B verschwindend ist.

Hierüber fehlt es bis jetzt noch an Untersuchungen; doch habe ich selbst einige Versuche angestellt,Abhandl. der sächs. Gesellsch. der Wissensch., mathemat.-phys. Cl. Bd. V. S. 376. aus welchem ich schließe, daß mindestens für geringe Zumischungen von Farbe = B zu Weiß = A das Gesetz in ähnlichen Grenzen aber auch mit analogen Beschränkungen gültig sei, als das Weber'sche.

Man kann leicht nur eben spürbare Farbenscheine auf Weiß, sei es mittelst farbiger Pigmente, sei es dadurch erzeugen, daß man ein Farbenglas schief gegen ein Fenster auf einen Bogen weißen Papiers aufstellt. Bei Wiederholung nun des Versuches und Gegenversuches mit den Wolkennuancen, welche ich beschrieben habe, an diesen Farbenschattierungen, unter Anwendung möglichst farbloser dunkler Gläser, fand ich, daß man mit der Dunkelheit der Gläser sehr weit, z. B. bis auf 1/ 14 der Tageshelligkeit, herabgehen kann, ohne daß die mit freien Augen nur eben merklichen Farbenscheine verschwinden. Es ist aber immer möglich, die Verdunkelung der Augen durch die Gläser so weit zu treiben, daß ein mit bloßen Augen sichtbarer Farbenschatten verschwindet, und von der anderen Seite habe ich selbst früher gefunden,Pogg. Ann. L. p. 465. und dasselbe hat sich bei neueren Versuchen von HelmholtzPogg. Ann. LXXXVI. wieder gefunden, daß der Eindruck jeder Farbe, sei es einer homogenen oder gemischten, sich bei starker Intensität dem Weiß nähert.

Die Abweichung von dem Gesetze nach unten könnte jedoch ebenso nur scheinbar sein, und auf einem analogen Grunde beruhen, als die entsprechende Abweichung vom Weber'schen Gesetze bei den homogenen Phänomenen. Wenn ich einen Farbenschatten auf Weiß mit bloßen Augen betrachte, und ein so dunkles Glas vor die Augen nehme, daß das Weiß des Grundes dem Schwarz des geschlossenen Auges nahe kommt, so habe ich zwar die Farbe und das äußere Licht, welche von Außen in das Auge dringen, in gleichem Verhältnisse geschwächt, aber das Schwarz des Auges, welches als farblos einen geringen Grad weißen Lichtes repräsentiert, ist nicht mit geschwächt worden; also hat die überschüssige Farbe jetzt ein kleineres Verhältnis zum Weiß als vorher, und muß demnach minder merklich werden.

Der Grund der oberen Grenze des Gesetzes ist unbekannt.

In der Wirklichkeit werden wir es streng genommen nicht leicht je mit ganz homogenen Phänomenen, also auch nicht mit ganz reiner Reizschwelle oder Unterschiedsschwelle, dem ganz einfachen Weber'schen Gesetze, sondern im Allgemeinen mit dem allgemeineren Falle der Mischungsschwelle, des Mischungsgesetzes zu tun haben; doch lassen sich homogene Phänomene approximativ herstellen; die Betrachtung der einfachsten, wenn auch nur approximativ herstellbaren, Fälle ist vorerst die wichtigste, und wird daher auch später vorzugsweise unser Augenmerk bleiben, zumal über die gesetzlichen Verhältnisse der Mischungsphänomene noch wenig Untersuchungen vorliegen.

Selbst wenn man die einfachste Spektrumfarbe ins sonst verdunkelte Auge fallen läßt und fragt, welche Intensität sie haben müsse, um erkannt zu werden, hat man es mit keiner reinen Reizschwelle, sondern einer Mischungsschwelle zu tun, da man hierbei eigentlich fragt, welche Intensität die Spektrumfarbe haben müsse, um als Zumischung zu der durch das Augenschwarz repräsentierten Mischung aller Farbestrahlen ihren Charakter bemerklich werden zu lassen. Die Frage ist also ganz von derselben Natur, als wenn man fragt, in welcher Intensität muß sich eine Farbe dem Weiß beimischen, damit das Weiß einen bemerklichen. Farbeschein annehme, nur daß man es erstenfalls mit einem sehr geringen, letztenfalls, wo man von Weiß schlechthin spricht, mit einer großen Intensität des Weiß oder der farbenindifferenten Mischung zu tun hat, wozu die Farbe gemischt wird. Auch findet man in der Tat, daß erstenfalls das Schwarz ebenso schwarz, nur durch eine Spur Farbe nuanciert, als letztenfalls das Weiß weiß, nur mit einer Spur Farbe nuanciert, erscheint, wenn die zugemischte Farbe eben merklich wird.

Daher würde auch unstreitig das Ultraviolett leichter, d. h. bei einer geringeren Intensität, spürbar werden, als es der Fall ist, wenn es nicht als Zumischung zum schwachen Weiß im Auge aufzutreten hätte.

Die Frage, ob und wie sich ein Mischungsphänomen ändert, wenn alle Reizkomponenten, welche zur Misch-Empfindung beitragen, in gleichem Verhältnisse steigen oder abnehmen, ist natürlich selbst nur eine partikuläre Frage in Unterordnung unter die allgemeine Frage, wie überhaupt die Misch-Empfindung ausfällt und sich ändert, wenn die Reizkomponenten in beliebigem Verhältnisse stehen und sich ändern.

Um diese Frage auf klare Gesichtspunkte zu bringen, scheinen drei Hauptfälle als Anhaltspunkte festzuhalten; 1) wenn B groß genug wird, um bei Zusatz zu A die Qualität des Mischeindruckes gegen a eben merklich zu ändern; 2) wenn B groß genug wird, daß der Einfluß von A eben verschwindet, und der Eindruck sich vom reinen b nicht mehr merklich unterscheidet, und 3) wenn A und B sich so die Wage halten, daß man den Eindruck weder näher an a noch an b findet. Zwischen diese drei Schwellenfälle fallen notwendig alle Abänderungen, welche durch Vermischung von A und B hervorgehen können, und es gälte nun, Gesetze aufzufinden, welche diese Schwellenwerte und die dazwischen fallenden Abänderungen der Empfindung als Funktion des Mischungsverhältnisses der Reize darstellten; aber es liegt bis jetzt nichts darüber vor, und wenn schon eine Bestimmung homogener Schwellenwerte durch den Versuch immer nur eine ungefähre bleiben kann, gilt dies, wie es scheint, um so mehr von den Mischungsschwellen.

Zwischen den Mischungsphänomenen ist eine wichtige Unterscheidung zu machen, je nachdem die Reize, welche den Mischeindruck geben, selbst schon gemischt das Empfindungsorgan treffen, wie es der Fall ist, wenn zusammengesetzte Farben das Auge, Gemische von Geräuschen oder Tönen das Ohr so treffen, wie es beim gewöhnlichen Sehen oder Hören geschieht, oder je nachdem die Reize gesondert das Empfindungsorgan treffen, und nur ihre Wirkungen durch Vermittlung der Empfindungsorgane selbst sich zum Mischeindrucke zusammensetzen, wie es der Fall ist, wenn verschiedene Farben auf korrespondierende Stellen beider Augen oder verschiedene Töne gesondert in beide Ohren fallen. Beides wollen wir kurz als konjunktive und disjunktive Mischeindrücke unterscheiden.

In der Tat lehrt die Erfahrung, daß man mit zwei Augen, zwei Ohren durch gesondert einwirkende Reize entsprechende Mischeindrücke erhalten kann, als wenn die Reize schon gemischt in demselben Auge oder Ohre anlangten, ohne daß man die anatomische und physiologische Vermittlung kennt, auf denen dies beruht. Aber die Beschaffenheit der disjunktiven Eindrücke hängt von komplizierteren Verhältnissen ab, und kann durch Nebenbedingungen auf mannigfaltigere Weise mitbestimmt werden, als die der konjunktiven. Die Konjunktion zweier nach Intensität oder Farbe verschiedenartiger Lichteindrücke A, B auf derselben Netzhautstelle kann nämlich immer nur in derselben Weise erfolgen; aber die Disjunktion dieser Reize auf korrespondierenden Stellen kann in unendlich verschiedener Weise geschehen, indem z. B. auf der einen Null, auf der anderen A + B, oder auf der einen A, auf der anderen B, oder auf der einen , auf der anderen B +  einwirkt, u. s. f., auch können im Falle der Disjunktion verschiedene Verhältnisse der Reize auf beiden Netzhäuten zu Nachbareindrücken eintreten, die im Falle der Konjunktion auf derselben Netzhaut nicht eintreten können; und die Erfahrung hat gelehrt, daß an diesen Verschiedenheiten zwischen konjunktiven und disjunktiven Mischeindrücken Verschiedenheiten des resultierenden Mischeindruckes hängen können, wonach die Verteilung der Komponenten auf korrespondierende Netzhautfasern keineswegs allgemein durch ein Zusammentreffen derselben Komponenten auf einer identischen Faser ersetzt werden kann. Das Ohr zeigt bis zu gewissen Grenzen analoge Verhältnisse. Ausführlicher habe ich diesen Gegenstand in meiner Abhandlung "Über einige Verhältnisse des binokularen Sehens" in den Abhandlungen der sächs. Soc. der Wissenschaften, math.-phys. Cl. Bd. V. S. 339 ff. behandelt.


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